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Unsterblich

My Immortal ~ Eternal Chronicles
von

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Im Inneren

Das Haus brachte Erinnerungen wieder. Keine, die Leana deutlich erkennen konnte; keine, die ihr verrieten, weswegen sie hier war; sie konnte lediglich spüren, dass dies ein Ort war, der ihr viel bedeutete.

Egal, wie lange sie davor stand und das Hochhaus betrachtete, änderte sich nichts an den Erinnerungen, die in ihre Brust stachen, als wären sie Rosendornen. In ihrem Zustand bemerkte sie auch nicht, dass lediglich das Haus deutlich zu sehen war, während alles andere, das eigentlich in dessen Nähe sein sollte, nur undeutlich zu sehen war, manchmal sogar gänzlich in der Dunkelheit verschwand, nur um kurz danach wieder aufzutauchen und dabei immer abstrakter auszusehen.

Obwohl sie es nicht wollte, strebte sie auf das Gebäude zu. Die Tür schwang von allein auf, rief sie herein und verhieß ihr Glück, wenn sie nur endlich aufhören würde, sich an diese Erinnerung und damit ihr letztes bisschen Leben zu klammern. Aber sie konnte nicht loslassen. Noch nicht.

Das Treppenhaus bot ein vertrautes, düsteres Bild. Auf den Briefkästen direkt neben der Tür, standen allerdings keine Namen. Auf jedem einzelnen waren Zeichen zu sehen, die ihr im Moment nichts sagten, von denen sie aber wusste, dass sie diese kannte. Es war nur … zu mühsam, darüber nachzudenken, was sie wohl bedeuten mochten.

Sie wollte nicht nachdenken, nicht wissen, was dort stand und setzte stattdessen ihren Weg fort. Eine Dornenhecke, die scheinbar aus dem Nichts kam, folgte ihr dabei und verschlang sämtliche Briefkästen. Ein lautes Knacken, das Knirschen von Metall, das alles konnte sie hören, während sie unter dem Gewächs verschwanden, von wo sie niemals wieder herauskommen würden.

Leana machte sich derweil an den Aufstieg der Stufen. Langsam, ohne jede Hast, nahm sie eine Stufe nach der anderen, hielt immer wieder inne, als müsste sie sich erst erinnern, wie das überhaupt funktionieren sollte. Die Dornenhecke folgte ihr derweil geduldig und nahm jede Stufe ein, kaum, dass sie diese verlassen hatte.

Auf dem ersten Absatz angekommen, fand sie sich einem Fenster gegenüber, obwohl sie nicht glaubte, dass dort jemals zuvor ein Fenster gewesen wäre. Mit trägem Blick sah sie hinaus, konnte aber nicht die Umgebung jenseits des Hauses erkennen. Stattdessen war es, als würde sie in eine Wohnung hineinblicken, eine, die ihr äußerst vertraut war. Sie sah sich selbst auf dem Boden des Wohnzimmers sitzen, gegen den Körper eines Mannes gelehnt, dessen silbernes Haar so lang war, dass etwas davon ebenfalls auf dem Boden lag. Der Mann lächelte zufrieden und hatte den Arm um sie gelegt. Diesmal suchte sie in ihrer Erinnerung nach seinem Namen und fand ihn sogar. „... Zetsu ...“

Ihre heisere Stimme erzeugte ein Echo, irgendwo war ein leises Kreischen zu vernehmen, als würde dieser Name jemandem körperliche Schmerzen zufügen.

Für Leana hatte dieser Name allerdings eine andere Bedeutung. Er weckte Hoffnung in ihr und Zuversicht. Sie wusste, würde sie denjenigen finden, zu dem dieser Name gehörte, würde das alles hier enden, sie könnte sich wieder an alles erinnern und alles würde gut werden.

Ihre Schritte beschleunigten sich, als sie die weiteren Stufen hinaufstieg und mit jeder einzelnen glaubte sie, dass mehr von ihrer Erinnerung wiederkam. Sie roch seinen Duft, konnte wieder seine Stimme in ihren Ohren hören, glaubte sogar, dass er sie aus einem der unteren Stockwerke rief. Aber sie wusste, dass sie nicht umkehren durfte. Die Dornenhecke, die ihr immer noch folgte, würde sie dann ebenfalls verschlingen. Dort unten lebte nichts und niemand mehr, dieser Ruf war nur eine Falle, um sie endgültig aus dem Leben zu reißen und sie zu verschlingen.

Auf dem nächsten Treppenabsatz fand sie kein Fenster, dafür saß eine Person auf dem Fensterbrett, die sie nicht erkannte. Es war ein Mädchen, etwa 15 Jahre alt, mit langem schwarzem Haar und roten Augen, aber egal wie sehr sie danach suchte, sie fand ihren Namen nicht mehr, nur die Tatsache, dass Leana sie gehasst hatte. Deswegen blieb sie nicht stehen und lief an ihr vorbei, auch nicht, als das Mädchen den Mund öffnete: „Wo willst du hin? Wo willst du hin? Wo willst du hin?“

Sie wiederholte immer nur diese eine Frage, weswegen Leana sie nach wie vor ignorierte und weiter die Treppe hinaufstieg. Die Dornenhecke verschlang das Mädchen ohne jedes Geräusch.

Leana dachte nicht daran, stehenzubleiben. Weder ihr Körper, noch ihr Wille verlangten danach, so dass sie innerhalb kürzester Zeit den nächsten Absatz erreichte. Dort saß ein Mädchen mit langem blonden Haar und braunen Augen. An ihrem schwarzen Haarband war eine rote Rose befestigt, deren Anblick Leana in den Augen schmerzte.

„Es ist sinnlos“, sagte das Mädchen. „Es ist sinnlos. Es ist sinnlos.“

Sie wiederholte diesen Satz immer wieder, weswegen Leana einfach nur an ihr vorbeilief und auch nicht zurücksah, als auch dieses Mädchen von der Hecke verschlungen wurde.

Etwas zog sie weiter nach oben und versuchte gleichzeitig, sie nach unten zu rufen. Aber sie wusste, sie konnte nicht mehr stehenbleiben, nicht, wenn sie Zetsu erreichen wollte.

Daran änderte auch das Mädchen auf dem nächsten Absatz nichts. Es hatte kurzes, schwarzes Haar und trug eine Brille, Lichtreflexionen verhinderten, dass Leana ihre Augen erkennen konnte.

„Er ist nicht hier. Er ist nicht hier. Er ist nicht hier.“ Immer wieder derselbe Satz, bis das Mädchen von der Hecke verschlungen wurde.

Leana spürte keinerlei Bedauern darüber. Sie hasste jede einzelne von ihnen, selbst wenn sie sich nicht einmal an ihre Namen erinnerte und war geradezu froh darüber, dass sie derart zermalmt wurden.

Schon auf dem nächsten Absatz begegnete sie der nächsten. Sie sah jünger aus, als die vorigen, möglicherweise gerade erst 13, sie hatte kurzes, braunes Haar und rot-braune Augen, die sie verunsichert ansahen. Trotzdem waren die Worte, die sie sagte, vollkommen emotionslos: „Du wirst ihn nicht finden. Du wirst ihn nicht finden. Du wirst ihn nicht finden.“

Als dieses Mädchen von der Hecke verschlungen wurde, kam es Leana vor, als könnte sie noch einmal Zetsus Stimme hören, die ihren Namen rief. Aber es kam immer noch von unten, die Falle wollte nicht nachgeben, obwohl sie inzwischen weiter entfernt schien und mit jeder Stufe vergrößerte sie die Distanz zwischen sich und ihrem Feind.

Auf dem nächsten Absatz war ein weiteres blondes Mädchen, das allerdings verspielt lächelte. „Kehr um. Kehr um. Kehr um.“

Die Hecke fand neue Nahrung an ihr, Leana dachte gar nicht daran, umzukehren. Niemand würde sie mehr von Zetsu trennen können, wenn sie erst einmal bei ihm war. Sie würde verhindern, dass irgendjemand ihn ihr noch einmal entreißen würde.

„Du wirst sterben. Du wirst sterben. Du wirst sterben.“ Die Warnung des nächsten blonden Mädchens, das sein Haar zu zwei Pferdeschwänzen gebunden hatte, wurde von ihr genauso ignoriert, wie das neuerliche Rufen, nachdem es von der Hecke verschlungen worden war.

Als Leana die letzten Stufen erklommen hatte, stand sie vor einer Tür. Es gab keine weiteren Treppen, obwohl sie wusste, dass hier eigentlich noch welche sein müssten, genau wie es keine weiteren Türen gab. Dafür stand eine Person davor, ein Junge mit kurzen schwarzen Haaren, der Leana schelmisch anlächelte. Sie erinnerte sich auch nicht an seinen Namen, aber sie spürte auch keinen Hass ihm gegenüber, weswegen sie sogar stehenblieb, um sich anzuhören, was er zu sagen wusste.

Die Hecke bahnte sich derweil ebenfalls die letzten Stufen hinauf.

„Du bist zu spät“, sagte der Junge lächelnd. „Du bist zu spät. Du bist zu spät.“

Als die Worte in ihren Kopf sickerten, rannte sie weiter, stieß die Tür auf und stürzte in die kleine Wohnung hinein, die noch genau so war, wie es ihrer Erinnerung entsprach. Selbst der Geruch – Zetsus Geruch – war noch allgegenwärtig. Sie durchquerte den kleinen Flur und betrat das Wohnzimmer. Dort, auf den Tatamimatten, saß Zetsu, mit dem Rücken zu ihr. Sie rief seinen Namen, setzte sich hastig neben ihn und schlang die Arme um ihn, nur um sich zu vergewissern, dass er tatsächlich da war, dass sie nicht zu spät gekommen war.

Doch bevor die Erleichterung sie durchströmen konnte, spürte sie, wie der Zetsu in ihren Armen langsam zerbröckelte, bis nur noch ein Haufen Steine, die nicht im Mindesten an ihn erinnerten, dort lag, wo er eben noch gesessen hatte.

Stumpf starrte sie auf die Klumpen hinab. Sie wusste, sie müsste etwas fühlen, aber sie konnte nicht. Stattdessen war da nur das Wissen, dass sie wieder zu spät gekommen war, dass sie es wieder nicht geschafft hatte, ihn zu retten und dass sie ihn niemals wiedersehen würde.

„Er ist fort“, murmelte sie.

„Er ist fort.“ Sie zog die Beine an ihren Körper.

„Er ist fort.“ Sie schlang ihre Arme um ihre Beine.

„Er ist fort.“Sie starrte auf die Tür, durch die sich nun die Dornenhecke in die Wohnung hineinarbeitete.

„Er ist fort.“

Wie viel Zeit verging, während der sie einfach nur dasaß und auf die Tür starrte, wusste sie nicht und es war ihr auch egal. Ihr Innerstes war derart leer, dass sie nicht einmal Schmerzen spürte, als die Dornenhecke sich sogar um ihren Körper schlang und dabei oberflächliche Wunden in ihre Haut schlug.

Es kümmerte sie nicht einmal, dass plötzlich jemand zur Tür hereinkam, jemand, der früher ihr Herz allein dadurch hatte schneller schlagen lassen, dass er im selben Raum wie sie war. Aber an diesem Tag interessierte sie das nicht.

Auch als er sich vor sie kniete und in seine blauen Augen sehen konnte, die sie besorgt anblickten, interessierte es sie nicht. Sie wollte ihm sagen, dass er verschwinden sollte, da er nur eine weitere Falle in dieser Welt war, um sie in die Irre zu führen und sie zu zerbrechen, aber sie machte sich nicht die Mühe. In diesem Moment war sie sich selbst derart unwichtig, dass sie ihm sogar eher viel Glück dabei wünschte, sie zu zerstören, damit das alles endlich enden würde.

„Leana ...“

Wie sehr hatte sie sich gewünscht, wieder ihren Namen von ihm zu hören und doch hasste sie denjenigen, der vor ihr saß, gerade, als er es tat. Nein, sie konnte nicht einmal genug Kraft aufbringen, ihn zu hassen. Sie starrte ihn einfach nur an.

Er griff durch die Dornenhecke hindurch nach ihren Oberarmen. „Komm schon, du musst aufstehen, du kannst hier nicht bleiben.“

Vorsichtig und doch mit einer gewissen Hast, versuchte er, die Ranken zu entfernen.

„Warum?“, fragte sie murmelnd.

„Weil es wichtig ist, dass du lebst.“ Er antwortete, während er sich selbst die Hände mit den Dornen aufschnitt.

„Es ist unwichtig“, erwiderte sie kraftlos. „Zetsu ist fort. Es ist meine Schuld. Ich habe es verdient.“

Diesmal hielt er inne und schüttelte den Kopf. „Das ist nicht wahr. Ich bin nicht fort, ich bin genau hier und versuche gerade, dich wieder zurückzuholen.“

„Du bist nicht Zetsu … Zetsu ist tot.“

„Das bin ich nicht. Ich bin genau hier.“

Sie erwiderte nichts mehr darauf, machte aber auch keine Anstalten, ihm zu helfen, als er sich wieder darum bemühte, die Ranken zu entfernen. Ohne sie anzusehen, sprach er weiter: „Es sieht dir nicht ähnlich, einfach so aufzugeben. Und es tut mir leid, dass ich damals einfach aufgegeben habe und du mich deswegen nicht retten konntest. Ich wollte nicht, dass du so viel leidest.“

Das Blut tropfte bereits von seinen Händen zu Boden, kleine Rinnsale flossen seine Arme hinab, aber dennoch fuhr er fort damit, die Ranken von ihr zu entfernen. „Ich wusste aber, dass ich dich wiedersehen würde, wenn ich auf den Eternal Oath vertraue.“

Der Schwur, der ihre Orichalcum-Namen damals miteinander verbunden hatte, Leana erinnerte sich noch daran, obwohl alles andere inzwischen mehr als nur verschwommen war. Damals hatte es bereits so ausgesehen, als läge Zetsu im Sterben, mit dem Schwur hatte er damals sichergehen wollen, dass er sie auf jeden Fall wiedersehen würde.

Endlich legte er einen ihrer Arme frei. Sie blickte hinab und bemerkte, dass ihr Orichalcum-Name in einem sanften Licht leuchtete, im Einklang mit dem seinen, wie ihr in diesem Moment auffiel.

Das konnte keine Einbildung sein. Sie glaubte nicht länger an eine Falle, an einen Hinterhalt, der sie brechen sollte, stattdessen hob sie wieder den Blick, um ihm in die Augen sehen zu können. „Zetsu?“

Er lächelte sanft und nickte. „Ich bin es wirklich. Und ich bin hier, um dich zurückzuholen.“

„Zurück?“

„Ins Leben. Gemeinsam mit mir.“

Er log nicht. Sie spürte genau, dass er die Wahrheit sagte, dass sein Lächeln echt war, dass ihre Verzweiflung nun enden könnte, wenn sie es zuließ.

Langsam, weil es sie unendlich viel Anstrengung erforderte, hob sie ihre Arme, ignorierte dabei die Dornenranken, die noch immer um den einen geschlungen waren.

Kaum befand sie sich in einer Situation, in der sie Zetsu umarmen könnte, fielen die Ranken von ihr ab und begannen sich, überraschend schnell, aufzulösen.

Leanas Blick galt aber einzig und allein Zetsu, den sie immer noch nicht umarmte, aus Furcht, er würde sich dann direkt wieder auflösen. Sie wusste, sie würde es nicht ertragen, wenn sich herausstellte, dass er, entgegen ihres festen Glaubens, doch nicht real war.

Doch er überging ihre Unsicherheit einfach, indem er die Arme um sie schlang und sie an sich drückte. Dabei glaubte sie sogar, ihn leise schluchzen zu hören, aber schon einen Moment später erkannte sie, dass sie es war, die zu weinen begonnen hatte.

Sie schmiegte sich an ihn, nahm seinen Geruch und seine Wärme in sich auf, hörte seine Stimme, die beruhigende Dinge in ihr Ohr flüsterte, stellte sicher, dass er es wirklich war und schluchzte dabei immer weiter. Doch diesmal war es keine Trauer, die diese Tränen hervorrief, es war pure, unverfälschte Freude, Erleichterung, alle positiven Emotionen auf einmal.

„Zetsu“, brachte sie leise hervor. „Zetsu ...“

„Lass uns gehen“, erwiderte er. „Es wird langsam Zeit.“

Sie wusste nicht, wofür es Zeit wurde, nicht, was überhaupt wirklich geschehen war oder wo sie sich überhaupt befand, aber sie wusste, dass er damit recht hatte. Es gab keinen Grund mehr zu bleiben.

Er half ihr aufzustehen, ohne sich dabei aus ihrer Umarmung zu lösen. Doch bevor sie wirklich gehen konnten, erklang eine kalte Stimme, die Leana glaubte, schon einmal gehört zu haben, auch wenn es ihr inzwischen wie eine Ewigkeit vorkam: „Denkt ihr wirklich, ich lasse das so einfach zu?!“

Leana löste ihren Kopf von Zetsus Brust, um sich umsehen zu können, aber sie konnte sonst niemanden entdecken. Als sie in sein besorgtes Gesicht sah, wusste sie aber, dass diese Stimme wirklich ein Problem darstellte.

„Das hat gerade noch gefehlt“, murmelte er.

Im nächsten Moment zersprang die Wohnung, in der sie sich bis dahin befunden hatten und ein helles Licht überschattete Leanas Augen. Sie schloss diese und legte ihren Kopf wieder an Zetsus Brust. Sie lauschte seinem Herzschlag, der sie immer zu beruhigen verstanden hatte und wusste eines ganz genau: Egal, was geschieht … wir sind zusammen und werden es auch immer bleiben.



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