Milchzahn
„Nur wer erwachsen wird und Kind bleibt, ist ein Mensch!“ Erich Kästner
Im East Blue, Oro Jackson:
„Land in Sicht! Land in Sicht!“ Laut ertönten die Rufe des Wachposten aus dem Krähennest. In der Ferne noch gute zehn Seemeilen entfernt konnte er die vagen Umrisse einer Insel erkennen. Und das wurde langsam auch mal wieder Zeit, denn seitdem sie die Konomi-Insel verlassen hatten, waren auch schon wieder etliche Tage vergangen.
Mit den Rufen des Wachposten entbrach auf dem eine schiere Unruhe. Pokerkarten, Berries und ähnliches flogen über das ganze Deck, während alle Piraten an die Reling stürmten und sich das Schiff etwas zur Seite neigte.
„Ah, wir haben sie schneller erreicht als erwartet.“ Auch Rayleigh hatte sich nun zu den anderen an die Reling gesellte und begutachtete die Umrisse der Insel, die immer näher kam.
„Hey, und wie heißt die Insel?“ Tief aus der bunten Piratenmasse drang die Frage bis zu Rayleighs Ohren. Der Vize konnte zwar nicht genau sagen, wer die Frage gestellt hatte also antwortete er laut genug, damit ihn alle auf dem Deck hören konnte. „Das da vor uns ist die Gecko-Insel. Eine ziemlich kleine Insel ohne größere Städte. Und ohne größere Kneipen.“
Ein inniges, enttäuschtes Seufzen machte die Runde unter den Piraten. Der dunkle König grinste, hatte er doch gar keine andere Reaktion der Crew erwartet. Doch es hatte durchaus seine Vorteile, das es keine größeren Städte auf der Insel gab. Denn auf Inseln, auf denen es nur kleine Dörfer und wenig Bevölkerung gab, gab es auch keine Marinebasen und nur wenig Polizei.
Nach und nach kehrte wieder Ruhe auf dem Deck ein. Es würde auf jeden Fall noch ein paar Stunden in Anspruch nehmen, eh sie die Insel erreichen würde und so gingen alle wieder ihren üblichen Tätigkeiten nach. Shanks schlief in irgendeiner Ecke auf dem Deck. Buggy spielte mit ein paar anderen weiter Poker. Rayleigh erhöhte seine Schulden beim Wetten und Krokus schaute ihm munter dabei zu.
Alles auf dem Deck ging wieder seinen gewohnten Gang. Und in der Küche sah es nicht viel anders aus.
Eifrig arbeiteten die Köche an ihren Arbeitsplätzen um das Mittagessen noch vor der Ankunft bei der Insel auf den Tisch zu bekommen. Und obwohl es etliche Minuten bis zu der kleinen Insel waren, wurde die Zeit für die Köche langsam knapp. Um eine Mannschaft und vor allem einen Käpt’n wie den Ihrigen satt zu kriegen, brauchte es schon eine ganze Menge an Essen. Ein Piepen durchzog die Küche und einer der Köche machte sich daran, den Braten aus seiner warmen Zelle zu befreien. Er öffnete die Tür des Backofens und schlagartig wurde die ganze Kombüse vom Duft eines frischen Bratens durchzogen. Endlich. Schon seit einer halben Ewigkeit hatten zwei schwarzhaarige Gestalten auf dieses Ereignis ungeduldig gewartet.
Beide lugten durch ein geöffnetes Fenster in die Küche und ganz besonders auf den Braten, den der Koch gerade auf einer Arbeitsplatte abstellte. Und das nur wenige Zentimeter von den beiden entfernt. Spätestens jetzt konnten sie sich nicht mehr beherrschen. Zwei Hände, von unterschiedlicher Größe, fuhren durch das Fenster und strebten zielsicher den großen Berg Fleisch an. Doch kurz bevor sie das schon sicher geglaubte Ziel erreichten, wurden beide Hände von einer Bratpfanne gestoppt.
„Autsch!“
Sowohl Roger als auch Ace zogen ihre Hände wieder zurück und starrten nun wütend in ein noch wütenderes Gesicht des Oberkoches.
„Was glaubt ihr eigentlich, was ihr hier macht?“
Der Koch versuchte noch seine Wut in der Stimme zurückzuhalten.
„Was regst du dich so auf? Ist doch nur etwas Fleisch.“
Völlig verständnislos schaute der Piratenkönig zu den Oberkoch, dessen Nerven nun endgültig versagten.
„KÖNNT IHR ES NICHT MAL ZWEI STUNDEN OHNE WAS ZU ESSEN AUSHALTEN?!“
Erneut holte der Koch mit der Pfanne aus und warf das metallene Objekt durch das Fenster direkt auf die beiden Schuldigen. Knapp schafften diese es noch den rotierenden Flugobjekt aus dem Weg zu springen, sodass die Pfanne in den Tiefen des Meeres versank.
„Wenn ich euch vor dem Mittag hier noch einmal erwische, treffe ich.“
Mit diesen Worten wandte sich der Koch vom Fenster ab und brachte zwischen den Braten und den beiden D’s einen größtmöglichen Abstand. Enttäuscht zogen Ace und Roger wieder ab. Der Koch würde seine Drohung wahr machen. Ohne Zweifel. Und vielleicht würde er sich sogar weigern, ihnen etwas zum Mittag zu geben. Und das wollte keiner von ihnen riskieren.
Stattdessen begaben sie sich zu den anderen aufs Deck des Schiffes und ließen sich neben Krokus fallen. Dieser hatte sich bis dahin damit beschäftigt, Rayleigh beim Verlieren zu zusehen. Und das konnte ziemlich interessant sein, denn immerhin verlor Rayleigh beim Wetten sein Geld wie Bäume im Herbst ihre Blätter. Doch als der Schiffsarzt hörte, wie sich zwei Leute auf das Holz fallen ließen, wandte er sich von der Show ab und schaute auf die beiden Ankömmlinge.
„Na, gescheitert?“ Stille. Niemand antwortete ihm. Aber das Brummen von zwei verschiedenen Leuten, verriet ihm, das er recht hatte.
‘Sie werden es wohl nie begreifen.‘
Dann herrschte wieder Stille auf dem Deck. Nur das Klimpern von einzelnen Berrys, die beim Pokern gesetzt wurden, ertönte ab und zu. Der perfekte Moment für ein kleines Schläfchen, das der Schiffsarzt auch augenblicklich einlegte. Und es war ein schönes Schläfchen gewesen. Jedenfalls solange bis er geweckt wurde.
Er fuhr hoch. Mit einem Schmerzensschrei. Irgendjemand hatte wohl versucht ihm eines der Blütenblätter auszureißen. Und er wusste, wer es war.
„Geht es denn nicht mal anders?! Oder zumindest schmerzfrei?!“
Der Arzt rieb sich die schmerzende Stelle am Nacken. Es tat wirklich ziemlich weh.
„Jetzt reg dich deswegen nicht so auf und werd endlich wach.“
Roger stand vor Krokus und wirkte ziemlich ungeduldig.
„Was’n los?“
„Jetzt komm schon.“
Der Piratenkönig wurde immer ungeduldiger. Er wartete eigentlich nur noch darauf, dass der Schiffsarzt endlich aufstand. Dock Krokus saß immer noch auf dem Boden und starrte ihn irritiert an. Das verlangte nach drastischeren Maßnahmen. Roger versuchte erneut eines von Krokus Blütenblättern zu erhaschen, doch dieser sprang sofort auf, als er bemerkte, was sein Käpt’n vorhatte. Einmal am Tag reichte völlig. Und so folgte er Roger. Zu Ace.
Der Junge saß seltsam still in einer Ecke und fummelte mit einer Hand in seinem Mund herum. Irgendetwas schien ihn zu stören. Und das war wohl auch der Grund, warum ihn Roger geholt hatte. Krokus hockte sich vor dem Jungen hin um dessen Zähne genauer zu untersuchen. Und es dauerte gar nicht lange bis er das Problem fand. Einer von Ace‘ vorderen Schneidezähnen wackelte. Sogar ziemlich stark.
„Wackelt der Zahn schon lange?“
Ace begann zu überlegen. Dann nickte er.
„Seit ein paar Tagen.“
„Aha.“
Mit einem Grinsen auf dem Gesicht stand der Schiffsarzt wieder auf.
„Macht euch keinen Kopf. Ich schätze, er wird noch heute irgendwann rausfallen.“ Zu Krokus Überraschung; wobei, eigentlich hätte er gar nicht überrascht sein dürfen; legten die beiden ihre Köpfe zur Seite.
„Wieso rausfallen?“
„Wenn ich euch das jetzt erkläre, verpasst ihr das Mittagessen.“ Damit war die Sache für Krokus erledigt. Schneller als man schauen konnte, waren die beiden in der Küche verschwunden.
Der Schiffsarzt starrte auf die Insel, die nur noch wenige Minuten entfernt war. In spätestens einer halben Stunde würden sie anlegen. Und so war es auch.
In einer kleinen Bucht, etliche Kilometer vom nächstem Dorf entfernt, gingen die Piraten vor Anker. Hier würde die Marine sie erst einmal nicht entdecken. Doch obwohl die Piraten sich tierisch auf das Erreichen der Insel gefreut hatten, blieben die meisten noch an Bord des Schiffes. Klar, das Mittagessen war noch nicht vorbei.
In der Kombüse:
„Uhh!“ Mit seinen kleinen Fingern nahm Ace das weiße `Ding´ von seinem Teller und betrachtete es neugierig. Der kleine Zahn war ihm gerade aus dem Mund gefallen und rollte nun auf seiner Handfläche hin und her. Alle Piraten hatten nun wie Ace mit dem Essen aufgehört und beobachteten den kleinen, grinsenden Jungen. Die meisten mussten ein Lachen unterdrücken, als sie die Zahnlücke sahen. Und es lachte wirklich keiner. Nicht mal Shanks. Und das war wirklich seltsam, denn sonst fand er doch immer alles lustig. Aber der Rothaarige konnte gar nicht über das Geschehen lachen. Er war gar nicht in der Kombüse. Er war noch nicht einmal mehr auf der Oro Jackson.
Auf der Insel:
Langsam wanderte der Strohhutträger einen einsamen Pfad entlang. Sofort nach dem Anlegen hatte er das Schiff verlassen um sich auf der Insel umzusehen. Es war wirklich keine sehr große Insel. Von dem Hügel aus, auf dem er wanderte, konnte er nur ein kleines Dorf erkennen. Es gab nur wenige Häuser. Und somit vermutlich wirklich nur wenige Menschen.
'Schade!' , dachte er. 'Rayleigh hat also doch recht gehabt. Hoffentlich gibt es in dem Dorf wenigstens eine Kneipe.'
Shanks wollte sich gerade auf in Richtung Dorf machen, als er über irgendetwas stolperte und den kleinen Hügel hinunterrollte.
'Was, zum Teufel, war das?' Er rappelte sich wieder auf und ging zurück zu der Stelle, wo er gestolpert war. Und dort lag wirklich etwas, was dort nicht hingehörte: eine Zwille. Verwundert über seinen Fund, hob Shanks das Spielzeug auf. Im selben Moment ertönte ein Knall.
Ein Schuss.
Der Rothaarige fuhr herum und sah nur noch, wie eine Pistolenkugel auf ihn zukam.
