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Release me

von

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Prolog

Leise prasselte der Regen an die Scheibe des Fensters. Im Krankenhauszimmer hörte man ein leises Wimmern.

"Ich schaffe es nicht ohne dich. Bitte verzeih mir."

Ein junger Mann saß vor einem Krankenbett und hielt die leblose Hand einer jungen Frau. Obwohl kein Leben mehr in ihr wohnte, war sie wunderschön.

"Sie wird es ohne mich besser haben. Ohne deine Hilfe, kann ich kein Vater sein." In seinem Gesicht war keine Hoffnung mehr zu sehen. Die weißen Laken waren blutüberströmt, ihr provisorisch zugenähter Unterbauch wurde vor einigen Stunden lieblos zugedeckt.

Langsam stand der junge Mann auf. Liebevoll küsste er die Stirn der jungen Frau und verließ rasch das Krankenzimmer.

Welcome to New York City

Die Sonne gab heute mal wieder alles. Erschöpft saß ich auf meiner Lieblingsbank im River Side Park und beobachtete die fremden Menschen um mich herum. Der diesjährige Sommer war der heißeste, den ich je erlebt hatte. Dabei hasste ich die Hitze. Am liebsten verbrachte ich die Sommertage nur Zuhause in meinem dunklen Zimmer und beschäftigte mich mit einem meiner Kunstprojekte. Doch das würde mein Freund Lucien niemals zulassen. Er war das perfekte Gegenteil von mir und liebte den Sommer. Jeder noch so kleine Sonnenstrahl stimmte ihn glücklich. Ich bewunderte oft seine dynamische Art und war überaus dankbar, dass er mich vor einiger Zeit aus meinem tiefen psychischen Loch holte.

"Hallo, meine Schöne. Na, hast du mich vermisst?" Lucien strahlte mich an, setzte sich zu mir auf die Bank und küsste mich sanft. Sofort lief ich rot an und starrte auf meinen immer noch leeren Zeichenblock. Obwohl wir nun 2 Jahre zusammen waren, konnte ich mich immer noch nicht daran gewöhnen ihn zu küssen. "Hallo. Ich vermisse dich doch immer", sagte ich und lächelte ihn verlegen an. Schnell packte ich meine Sachen zusammen, während Lucien keinen Blick von mir wendete. "Du hast es aber plötzlich eilig, mein Schatz."

Verwundert sah ich in an und entgegnete: "Oh, ich dachte, du würdest nach Hause wollen nach deinem lange Unitag."

"So anstrengend war es heute zum Glück nicht. Ich habe dir doch schon so oft gesagt, dass du dich nicht immer nach mir richten musst. Scheinbar wolltest du doch noch etwas zeichnen."

"Ich komme heute irgendwie nicht so richtig in Fahrt", seufzte ich und ließ meinen Blick in die Ferne schweifen.

An einen Baum angelehnt saß ein junger Mann und beobachtete uns. Verwirrt starrte ich ihn an, doch das schien ihn nicht im Geringsten zu stören. Lucien folgte meinem Blick. Nun strahlte er nicht mehr. "Kennst du diesen Typ?", fragte er.

Ich schüttelte den Kopf. Ein warmer Schauer überlief meinen Rücken.

Was war das plötzlich für ein ungewohntes Gefühl?

"Lass uns gehen", sagte ich ruhig, stand auf und griff nach Luciens Hand. Immer noch wurden wir von dem unheimlichen Fremden beobachtet. Hand in Hand gingen wir zu Luciens Wohnung, die sich nicht weit vom River Side Park befand. Kurz vor der letzten Straßenecke kam uns ein Feuerwehrwagen entgegen, der eilig in Richtung des Parks fuhr.

Eigenartig, warum sollte es mitten am Tag im Park brennen? Ach nein, bestimmt mussten sie zu einem anderen Ort.

Ich blieb stehen und schaute in die Richtung aus der wir kamen.

Doch. Es muss der Park sein. Was für eine riesige Rauchwolke.

"Lilith, was hast du?" Lucien sah mich besorgt an und blickte dann in Richtung des Parks. "Was ist das denn? Im Park wird es doch nicht etwa brennen!"

Ich ging weiter und zuckte mit den Schultern. "Bestimmt haben sich Jugendliche mal wieder einen bösen Streich erlaubt oder waren unvorsichtig. Bei dieser Hitze war es nur eine Frage der Zeit bis das passieren musste."
 

Mittlerweile waren wir an Luciens Loft angekommen. Es war ein Geschenk seiner Eltern, so wie sie alles für ihn finanzierten. Unzählige Male hatte er mir schon angeboten auf Kosten seiner Eltern in den Urlaub zu fahren, doch das konnte und wollte ich einfach nicht annehmen. Sowohl er als auch seine Eltern konnten nichts dafür, dass ich so mittellos da stand. Der Verkauf meiner Bilder ermöglichte mir allerdings leider auch nicht genug finanziellen Überschuss, so dass die große weite Welt noch ein wenig auf mich warten musste. Ich wollte schon immer mal nach Skandinavien oder nach Frankreich reisen. Aber genug mit dem Fernweh. Ich konnte froh sein, dass ich mir meinen größten Wunsch erfüllt hatte und nach New York gezogen war. Mit 16 Jahren ergriff ich endlich die Initiative und floh aus dem Waisenhaus in New Orleans. Die Stadt fehlte mir ein wenig, doch ich werde nie vergessen, wie grausam ich dort behandelt wurde.

"Etwas stimmt doch heute nicht mit dir... Sag mir doch, was los ist..." Traurig sah Lucien mich an und riss mich mit seinen Worten aus meinen Gedanken. Da ich ihm nie etwas über meine Vergangenheit erzählt hatte, lächelte ich nur gequält und sagte: "Es tut mir leid, mach dir um mich keine Sorgen. Ich glaube ich saß einfach zu lange in der Sonne. Mein Kopf tut so weh."

"Dann leg dich ruhig auf die Couch, ich bringe dir ein Glas Wasser und schaue, ob ich noch irgendwo Schmerztabletten finden kann." Beruhigt lächelte mich der Blonde an und schob mich behutsam in Richtung des Wohnbereichs. Seine Wohnung war einfach atemberaubend und zudem immer perfekt aufgeräumt. So ordentlich war ich noch nie, doch ich mochte mein persönliches Chaos, in dem nur ich Dinge wiederfinden konnte.

Ich zog meine Schuhe aus und machte es mir auf dem großen Ledersofa bequem. Schon kam Lucien und brachte mir mein Wasser und eine kleine weiße Pille.

"Vielen Dank."

"Dafür doch nicht. Hast du denn Hunger?"

Ich schüttelte gleichgültig den Kopf.

Misstrauisch zog Lucien eine Augenbraue hoch und musterte mich kritisch. "Und was hast du heute so glorreiches zu dir genommen?"

"Ich hatte bisher 3 Kaffee und einen Bagel mit Frischkäse", antwortete ich zu meiner Verteidigung.

"Es ist mittlerweile schon halb 6 und du willst mir weiß machen, dass du keinen Hunger hast? Oh Lili, du musst mehr essen..."

Lucien machte sich schon immer Sorgen über mein Essverhalten. Doch ich war aus dem Waisenhaus nie große Portionen gewohnt. Zudem konnte ich mir in meiner Anfangszeit in New York kaum etwas zu Essen leisten, da ich genug Geld für die Miete brauchte und meine Bilder erst langsam verkauft wurden. Mittlerweile hatte ich mir zum Glück schon einen Namen in der hiesigen Kunstszene gemacht.

"Ich muss noch ein wenig für die Matheklausur nächste Woche lernen. Ich hoffe, es macht dir nichts aus?", fragte Lucien rein rhetorisch und setzte sich an seinen Schreibtisch. Er war der beste seines Jahrgangs und stets ehrgeizig am lernen. Neben seiner Leidenschaft für Mathematik, stand der Sport für ihn ganz oben. Er war begeisterter Quarterback in der Football-Mannschaft der Columbia und in seiner Uni sehr beliebt. Generell war er einer der charmantesten und freundlichsten Menschen, die ich je kennen gelernt habe. Daher hatte ich natürlich so einige Mitstreiterinnen, die nur zu gern einmal mit ihm ausgehen würden. Aber da brauchte ich mir keine weiteren Sorgen zu bereiten, denn Luciens stärkste Eigenschaft war seine Ehrlichkeit. Ich glaube, dafür liebte ich ihn am meisten. Bevor ich ihn traf, bestand mein ganzes Leben nur aus Lügen und schlechten Menschen. Vielleicht ist er ein Geschenk des Himmels...

Sehnsüchtig sah ich ihm beim Arbeiten zu und fragte mich, was er mit einem so psychisch labilen Menschen wie mir wollte.

"Lilith-Schatz, ich weiß genau, dass du mich die ganze Zeit über beobachtest. So kann ich mich gar nicht konzentrieren." Grinsend drehte er sich zu mir um und schaute mich verspielt böse an.

Ich grinste zurück und sagte: "Oh, tu mir leid. Aber keine Sorge, ich halte dich nicht weiter ab. Ich muss eh langsam los."

"Jetzt schon? Wir sind doch eben erst her gekommen. Ich dachte wir machen uns noch einen schönen Abend, wenn ich hier fertig bin?"

"Ich muss leider noch ein Projekt für meinen Kurs morgen fertig machen und bis ich zuhause bin, dauert es ja auch noch eine Stunde", entschuldigte ich mich und gab ihm einen schnellen Kuss.

"Na, da küsst mich meine alte Grandma ja leidenschaftlicher", sagte er und zog mich zu sich. Er küsste mich so intensiv, bis wir kaum noch Luft bekamen. Ich fühlte mich mal wieder schuldig, da ich ihm nicht geben konnte, was er sich schon lange wünschte. Doch leider war ich immer noch nicht bereit, den nächsten Schritt zu wagen.

"Wir sehen uns morgen", verabschiedete ich mich, packte meine Sachen und verließ die Wohnung.

Unten auf der Straße atmete ich erst mal tief durch.

Wie lange wird er wohl warten, bis er sich eine andere sucht, mit der er sein Bett teilen kann?

In Gedanken versunken ging ich die Straße entlang in Richtung U-Bahn-Station.

Whiskey and cigarettes

Als ich endlich in Brooklyn ankam wurde es langsam dunkel und die ersten Straßenlaternen begannen zu leuchten. Mittlerweile war es halb neun und eigentlich hatte ich keine Lust mehr, weiter an meinem Projekt zu arbeiten. Aus unerklärlichen Gründen war ich heute nicht besonders kreativ, sondern hing nur in schlechten Gedanken.

Ich betrat den nächstbesten Kiosk, kaufte mir eine Schachtel Zigaretten, ein Feuerzeug und zwei Dosen Jack Daniel's mit Cola und schlenderte in Richtung McCarren Park. Ungeschickt wie ich war, ließ ich auf halbem Weg mein Feuerzeug fallen. Als ich danach greifen wollte, kam mir jemand zuvor. Ich sah auf... Den kenn ich doch.

"Hier, bitte sehr. Das hast du fast verloren." Mein Gegenüber hielt mir das rote Feuerzeug hin und musterte mich und meinen 'Einkauf'. "Oh, da hattest du wohl einen schlechten Tag heute, was?"

Ich starrte entsetzt in das schiefe Grinsen in seinem Gesicht. Die tiefschwarzen Haare hingen ein wenig zerzaust in seinem Gesicht und sein Blick war fast schon ein wenig zu forsch. Plötzlich wurde es furchtbar heiß um mich herum.

"Danke. Ach, nein. Eigentlich ein ganz gewöhnlicher Montag", stammelte ich und steckte mein Feuerzeug schnell in meine Tasche.

"Ich glaube, ich habe dich heute schon einmal gesehen. Im River Side Park, kann das sein?"

Ich nickte nur. Was will der Typ von mir? Schon hatte ich Luciens tadelnde Stimme im Kopf, dass ein junges Mädchen wie ich nichts alleine in den Straßen Brooklyns zu suchen hatte.

"Es tut mir leid, du musst mich für einen Stalker halten", entschuldigend lächelte er und fuhr dann fort: "Ich bin neu hier in New York und habe mich heute in der Stadt umgesehen, da bist du mir vorhin einfach aufgefallen. Ich hätte nie gedacht, dass ich dich überhaupt einmal wiedersehe, vor allem nicht in diesem Teil der Stadt."

Er musste mich für eins der versnobten Mädels halten, die hinter meinem Freund her waren und irgendwo in Manhattan wohnten...

"Ich wohne hier in der Nähe...", entgegnete ich kühl und schaute wohl ein wenig zu verletzt.

Überrascht zog er beide Augenbrauen hoch. "Ich wollte dich nicht kränken, keineswegs. Dein Begleiter vorhin sah nur so 'edel' aus, da dachte ich du gehörst in ein anderes Viertel."

Wieder dieses schiefe Grinsen... und wieder wurde mir ganz warm.

"Dieser 'Begleiter' war mein Freund..." Mit diesen Worten drehte ich mich um und wollte weiter meines Weges gehen, doch er folgte mir und nahm mir eine meiner Dosen aus der Hand. Ich blieb stehen und wollte mich gerade aufregen... Verwirrt sah ich, wie er mir eine Zigarette hin hielt.

"Hier, nimm. Mit nur einer Dose raucht es sich einfacher." Etwas verlegen lächelte er und zwinkerte mir zu.

Ich seufzte, wollte eigentlich ablehnen, aber heute und gerade jetzt konnte ich die Zigarette wirklich gut gebrauchen. Ich nahm sie also an, steckte sie mir in den Mund und wollte gerade mein Feuerzeug heraus kramen, als mir der neue Bekannte schon eine kleine Flamme vors Gesicht hielt. Nun grinste ich etwas verlegen. Langsam zog ich den warmen Rauch ein und atmete zufrieden aus.

Lucien brachte mich am Anfang unserer Beziehung vom Rauchen ab, jedoch genehmigte ich mir in sehr stressigen Situationen eine neue Schachtel. Sicherlich wusste er von diesem kleinen Geheimnis, jedoch sprach er es nie an, um keinen unnötigen Streit zu provozieren.

Schweigend liefen wir zum Park und setzten uns auf eine Parkbank. Der Park war ungewöhnlich leer für diese Jahreszeit. Unsicher sah ich zu meinem Banknachbar und musterte ihn. Er sah Lucien nicht im Geringsten ähnlich, doch irgendetwas beeindruckte mich an ihm. Die dunkle Aura, die ihn umgab, ließ mich furchtbar nervös werden.

Mit einem durchdringenden Blick sah er mich plötzlich an. Mehrere Minuten vergingen, während wir uns schweigend in die Augen blickten. Gänsehaut überfuhr mich.

"Ich hatte mich gar nicht vorgestellt... Mein Name ist Aidan. Aidan Black." Lässig steckte er sich eine weitere Zigarette in den Mundwinkel. Welch passender Name...

Ich öffnete meine Jack Daniel's Dose. "Ich heiße Lilith..."

"Der Name gefällt mir. Sitzt du öfter in Parks und versuchst vor deinem Freund zu flüchten, Lilith?"

Erstaunlicherweise fühlte ich mich ertappt...

"Ich flüchte nicht vor meinem Freund..."

"Ach nein? Dann erzähl mal... Was machst du hier sonst so ganz allein?"

Ja, das ist tatsächlich eine gute Frage. Was mache ich hier eigentlich?

"Ich wüsste nicht, was dich das angehen sollte."

Ich stand auf. Er hielt mein Handgelenk fest. Es fühlte sich an, als würde meine Haut verbrennen. Erschrocken sah ich ihn an. Sofort ließ er mich los.

"Es tut mir leid... Ich wollte dir nicht weh tun."

Ich schnaubte und ließ ihn alleine sitzen. Was sollte das? Was erlaubt sich dieser Kerl? Und was in Gottes Namen war das?

Zuhause angekommen schmiss ich mich auf mein Bett. Meine Mitbewohnerin Ava war erstaunlicherweise nicht da, obwohl sie für Gewöhnlich zu dieser Uhrzeit immer Zuhause war. Immer noch schwirrte mir dieser Aidan im Kopf herum.

Auf einmal klingelte mein Handy. "Hallo?"

"Hallo, schöne Frau. Warst du schön fleißig?"

Lucien... was sage ich ihm bloß?

"Ach, leider kam ich zu nichts... künstlerische Schaffenskrise oder so etwas in der Art..."

"Oh, da hättest du ja auch noch bei mir bleiben können."

"Vielleicht tut uns etwas Abstand auch ganz gut."

Schweigen...

In dem Moment, in dem ich die Worte aussprach, bereute ich sie auch schon.

"Lilith, was ist los? Du bist schon den ganzen Tag so komisch..."

Ich seufzte nur.

"Liebst du mich?"

Ich erstarrte und bekam keinen Ton heraus.

"Du weißt, wie sehr ich dich liebe. Damals, als ich dich auf dieser Bank sitzen sah, so vertieft in deine Zeichnungen, da wusste ich schon, dass du jemand ganz besonderes bist. In dem Moment wusste ich einfach, dass ich dich ansprechen muss. Und das habe ich ja dann auch getan. Ich bin sehr glücklich mit dir, aber wenn du meine Gefühle nicht erwidern kannst... Sag mir, warum sind wir dann zwei Jahre schon ein Paar?"

Ich fühlte mich so furchtbar schuldig, aber ich wusste einfach nicht, was ich antworten sollte. Dieser Tag machte mich fertig. Der unheimliche Fremde erledigte schließlich den Rest...

"Lucien... es tut mir leid. Ich fühle mich heute einfach nicht besonders gut. Ich weiß, es ist schon spät, aber kannst du vielleicht vorbei kommen?"

Wieder schweigen. Dann ertönte ein langes Tuten die Leitung.

Er hat einfach aufgelegt.

Traurig legte ich das Handy zur Seite und vergrub meinen Kopf in mein Kissen. Schließlich stand ich auf und ging ins Bad. Ich stellte die Dusche an, zog mich aus und stellte mich unter den warmen Strahl. Das warme Wasser tat gut, konnte jedoch meine Gedanken nicht ruhig stellen.

Bin ich jetzt wieder allein?

Das Klingeln der Tür ließ mich aufschrecken. Schnell stellte ich die Dusche aus, warf mir ein Handtuch über und öffnete die Tür. Vor mir stand Lucien, sichtlich abgehetzt.

"Lucien... wie..." Weiter kam ich nicht.

Der sonst so sanfte Lucien knallte die Tür zu, drückte mich an sie und küsste mich stürmisch. Nach einer Weile ließ er von mir ab. Er sah mir tief in die Augen.

"Lilith, ich liebe dich."

Tränen liefen über mein Gesicht. Warum fällt es mir nur so schwer, ihm zu sagen, dass ich ihn auch liebe?

"Mein Schatz, ich weiß, dass es dir schwer fällt Gefühle auszudrücken, auch wenn ich nicht weiß, warum..."

Erstaunt sah ich ihn an.

"Ich werde warten, auch wenn es noch Jahre dauern wird. Ich spüre, dass du etwas für mich empfindest und das bedeutet mir mehr, als tausend Worte."

Vorsichtig nahm er mich in den Arm.

"Lucien? Möchtest du heute Nacht bei mir bleiben?"

Nun war er derjenige, der erstaunt aussah. "Bist du dir sicher?"

Ich nickte lächelnd. Ein wohliges Gefühl machte sich in mir breit. So wie damals, als er mich das erste Mal küsste.

"So, das reicht für heute mit Drama. Du ziehst dir jetzt erst mal was an und föhnst dir die Haare. Ich mache uns einen Tee und dann..."

Ich schluckte kurz. "...dann nehm ich dir den ganzen Platz in deinem Bett weg."

Lucien lachte und sah mich an. Sein Blick stimmte mich wieder fröhlich. Irgendwie gab er mir immer Hoffnung.
 

Eine kurze Zeit später kuschelten wir uns in meinem Bett aneinander. Ein wenig nervös war ich schon. Wie soll ich denn so jemals einschlafen?

Angespannt drückte ich mich näher an meinen Freund. Er war so herrlich warm. Sein Duft war so angenehm. So schlimm fühlte es sich gar nicht an, ihn bei mir zu haben...

Burst of flame

Langsam öffnete ich meine Augen. Durch einen Spalt fiel das morgendliche Sonnenlicht in den Raum. Lucien schlief weiterhin friedlich. Vorsichtig kuschelte ich mich an ihn. Ein Lächeln zeichnete sich in seinem Gesicht ab.

"Guten Morgen, meine Schöne. Na, hast du gut geschlafen?"

Ich nickte vergnügt und gab ihm einen Kuss. Heute fühlte ich mich schon viel besser. Die ganze Anspannung vom Vortag war vergangen. Geschickt kletterte ich über Lucien und schnappte mir mein Handy. WAS?! Schon so spät? Ich muss doch zu meinem Kurs!

Hektisch griff ich in meinen Kleiderschrank, zog mich an, band meine Haare zu einem hohen Zopf und rannte ins Bad. Mit der Zahnbürste im Mund, suchte ich in der Küche verzweifelt nach Kaffee, doch es ließ sich einfach keiner auftreiben.

So ein Mist, dann muss ich mir unterwegs einen Kaffee holen...

Langsam schlurfte auch Lucien in die Küche. "Ich bestell dir ein Taxi. Keine Widerrede, du kommst sonst noch zu spät."

Ich nickte nur kurz und lief zurück ins Badezimmer. Blitzschnell machte ich mich frisch, schmiss ein paar Pinsel, Stifte und Farbtuben in meine Tasche, rief noch ein kurzes "Bis später" in Richtung Küche und verschwand.
 

Die Taxifahrt ersparte mir nicht nur das Zuspätkommen, sondern riss noch gute 10 Minuten Bonus heraus. Zufrieden ging ich in meinen Lieblingscoffeeshop ganz in der Nähe der NYU. Der Laden 'Joe Coffee' war wie immer sehr gut besucht. Ich stellte mich an das Ende der Warteschlange und riskierte einen zögernden Blick in meine Tasche. Naja, die Hälfte hab ich leider Zuhause vergessen, aber ich werde einfach improvisieren.

Plötzlich durchströmte mich wieder diese unaufhaltbare Hitze vom Vortag. Erschrocken sah ich mich um und konnte tatsächlich Aidan hinter der Theke finden. Ein Mitarbeiter schien ihn gerade einzuweisen. Na herrlich... Ich muss mir wohl leider in Zukunft woanders meinen Kaffee holen. Unsere Blicke trafen sich. Nein, darauf hatte ich nun wirklich keine Lust und verließ schleunigst 'Joe Coffee'. Auf der Straße sah ich mich um, konnte mich jedoch nicht direkt entscheiden, wo ich nun hingehen würde.

"Lilith, warte..."

Ich drehte mich genervt um und sah Aidan direkt in seine geheimnisvollen, braunen Augen.

"Sind euch die Kunden jetzt schon so wichtig, dass ihr ihnen hinterherlauft?", konterte ich schnippisch.

Er grinste, was mir gar nicht gefiel.

"Gib mir eine Chance und lass mich den gestrigen Abend wiedergutmachen, ich wollte mich wirklich nirgendwo einmischen."

Skeptisch sah ich ihn an.

Er drückte mir einen Kaffeebecher in die Hand. "Heute Abend, 9 Uhr. Du weißt, wo du mich findest."

Mit diesen Worten ließ er mich und den Kaffee stehen.
 

Mein Tag in der Uni zog sich wie Kaugummi. Vor allem der sehr theorielastige Vormittag machte mir sehr zu schaffen. Meine Konzentration war einfach auf dem Tiefpunkt. Umso dankbarer war ich, als ich am Nachmittag meinen Malerei-Kurs hatte. Endlich konnte ich meinen Gedanken freien Lauf lassen und mich nur auf mich konzentrieren. Ein spezielles Thema bekamen wir heute nicht, da die Dozentin krank war und so konnten wir einfach an etwas arbeiten, auf das wir Lust hatten. In meine Gedanken vertieft bearbeitete ich meine Leinwand. So richtig ging mir Aidan einfach nicht aus dem Kopf. Was auch immer er mit mir gemacht hatte, ich musste ihn dazu bringen damit aufzuhören und sich am besten einfach von mir fern zu halten.

Was ist das ständig für ein Gefühl, wenn er in der Nähe ist? Diese unaufhörliche Hitze... Und dann auch noch gestern Abend dieser Schmerz, als er mich berührte...

Erst jetzt bemerkte ich die rote Stelle an meinem Handgelenk. Es sah aus, als hätte ich mich verbrannt.

"Mensch, Lilith. Das sieht ja wahnsinnig toll aus."

Erschrocken sah ich auf und betrachtete meine Leinwand. Ohne darauf zu achten, hatte ich eine kleine lodernde Flamme, umgeben von Dunkelheit gemalt. Irgendetwas stimmte nicht mit diesem Aidan... Und ich würde schon noch herausfinden, was es war.
 

Frustriert saß ich an der Bartheke und bestellte mir noch einen Whiskey-Cola. Es musste mittlerweile der 5. sein, doch irgendwie musste ich mich ablenken. Es war nun fünf vor neun und ich wusste immer noch nicht, ob ich mich mit diesem unheimlichen Typ treffen sollte, oder nicht. Du weißt, wo du mich findest... Nichts wusste ich. Und eigentlich wollte ich auch nichts von ihm wissen. Oder doch?

Ava war immer noch nicht aufgetaucht, ich hatte jedoch eine kurze Nachricht von ihr erhalten, dass ich mir keine Sorgen zu machen bräuchte. Lucien hatte natürlich auch keine Zeit für sie. Gerade heute traf er sich mit seiner Lerngruppe und das Treffen konnte er so kurz vor der Klausur auch nicht schwänzen. Also saß ich seit einer Stunde in dieser Bar und wünschte mir zum ersten Mal, dass ich ein paar mehr Freunde hätte, die mir einreden würden, dass ich den Typ bloß nicht sehen sollte.

Aber es half ja doch nichts... Mit einem schnellen Blick auf die Uhr kippte ich den letzten Rest Alkohol herunter und legte mein Geld auf den Tresen. Dann verließ ich die Bar und steuerte geradewegs unsere Bank vom Vortag an.
 

Tatsächlich saß Aidan lässig auf der Bank und rauchte. Bereits von weitem konnte ich erkennen, dass er mich ansah. Ich kam eine halbe Stunde zu spät, doch es schien ihn nicht im Geringsten zu stören. Wortlos hielt er mir seine Zigarettenschachtel hin. Zögernd nahm ich eine. Meine eigene Schachtel hatte ich gestern noch auf dem Heimweg in die nächste Mülltonne geschmissen, was ich nach meinem Barbesuch eben jedoch bitter bereute. Er hielt mir sein Feuerzeug hin, was ich dankend annahm und mich neben ihn setzte.

"Ich wusste du würdest kommen."

"Bilde dir bloß nichts drauf ein."

"Na na, nicht so gereizt." Wieder dieses Grinsen, das mein Herz leicht klopfen ließ.

"Ich bin nicht gereizt..."

"Natürlich nicht. Du musstest dir übrigens keinen Mut antrinken, für gewöhnlich bin ich ganz harmlos."

Entsetzt sah ich ihn an. Merkte man mir den Alkohol so sehr an?

Ich zuckte nur mit den Schultern. "Es liegt nicht an dir, es geht mir momentan einfach nicht so besonders..."

"Achso. Erzähl ruhig, ich hör dir gerne zu." Das freche Grinsen verwandelte sich in ein liebevolles Lächeln, was mein Herz nur noch schneller schlagen ließ.

"Ach, ni-nichts wahnsinnig aufregendes. Nur eine kleine Blockade, dank der ich keine Inspiration für meine Bilder finde." Ich konnte noch nie besonders gut lügen.

"Oh, eine Künstlerin?" Bewundernd sah er mich an und holte eine Flasche Jack Daniel's aus seinem schwarzen Rucksack. Er trank einen Schluck und hielt mir dann die Flasche hin. "Hier, vielleicht brauchst du noch ein wenig mehr Inspiration."

Ich setzte die Flasche an den Mund und ließ die brennende Flüssigkeit meinen Hals runter laufen. Eigentlich war ich nicht die Kandidatin, die gerne puren Whiskey trank. Doch eigentlich traf ich mich auch nicht mit fremden Männern im Park. Und eigentlich hatte ich auch aufgehört zu rauchen. Ich schüttelte mich leicht und gab Aidan die Flasche zurück. Dabei fiel sein Blick auf die Verbrennung an meinem Arm.

"Was hast du denn da gemacht?", wollte er wissen.

"Die Frage sollte eher lauten: Was hast du denn da gemacht?" Durchdringend sah ich ihn an. Scheinbar hatte er nicht damit gerechnet, dass ich wusste, dass es die Stelle war, an der er mich gestern festhielt.

Zum ersten Mal an diesem Abend wich er meinem Blick bewusst aus und sah betrübt in die Ferne.

"Ich werde es dir erklären. Aber nicht jetzt. Dafür ist es noch zu früh."

"Wie zu früh? Was soll den passieren, damit du es mir erklären kannst?", fragte ich verwundert.

Doch er antwortete nicht und trank seinen Whiskey.

Irritiert wusste ich nicht, was ich nun machen sollte und sah in den Himmel. Es war Vollmond.

Lange saßen wir so da, schwiegen, tranken und rauchten.

Plötzlich sah er mich wieder an. "Danke, dass du gekommen bist."

"Ach, ich hatte eh nichts besseres zu tun", sagte ich gleichgültig.

"So so." Jetzt grinste er wieder. "Weiß denn dein Freund, dass du hier bist?"

"Du wolltest dich doch nirgendwo mehr einmischen." Mein Unterton war fast schon ein wenig zu frech.

"Und du wolltest mich eigentlich nie wieder sehen."

Stille. Fordernd sah er mir in die Augen. Der Alkohol hatte dafür gesorgt, dass ich jede Scheu und jede Unsicherheit verlor, sodass ich seinem Blick standhielt. Ohne seinen Blick abzuwenden, nahm er meine halbabgebrannte Zigarette aus meiner Hand, zog noch einmal daran und schmiss sie weg.

Dann küsste er mich.

Secrets

Verwundert sah ich ihm in die Augen, als sich unser Kuss löste.

„Entschuldige, ich habe mich wohl doch gerade eingemischt“, flüsterte er.

Mein Körper spielte verrückt. Ich spürte ein Verlangen in mir aufkommen, von dem ich nie auch nur ansatzweise geträumt hätte. Doch der letzte Funken Verstand hielt mich auf.

„Ich muss jetzt gehen“, sagte ich und ging, ohne Aidan auch nur noch eines Blickes zu würdigen.

Ich versuchte souverän zu wirken und ging mit kontrollierten Schritten den Weg entlang, bis ich wusste, dass er mich nicht mehr sehen konnte. Verzweifelt ließ ich mich an einer Hauswand auf den Boden gleiten und vergrub meinen Kopf in meinen Händen. Ich durfte diesen Mann nie wieder sehen, auf gar keinen Fall. Lucien war derjenige, der mich glücklich machte. Der mich nach all den schweren Zeiten aufgebaut hatte. Und was tat ich als Dank? Schuldgefühle machten sich in mir breit.
 

Die darauffolgende Nacht verbrachte ich an meinem Fenster und starrte auf den Mond. An Schlaf war nicht zu denken. Ich fühlte mich viel zu schuldig um auch nur kurz die Augen zu schließen. Gegen 4 Uhr legte ich mich in mein Bett, doch auch da gelang es mir einfach nicht meine Gedanken zum Schweigen zu bringen. Schließlich setzte ich mich um halb sieben in die Küche und trank Kaffee. Eine halbe Stunde später hörte ich, wie jemand ins Bad ging und duschte.

Oh, Ava muss wieder da sein. Wo war sie denn die letzten Tage bloß?

Die Dusche verstummte. Ich stellte mich mit meinem Kaffee in den Rahmen der Küchentür und wartete auf Ava, die jeden Moment das Bad verlassen würde. Doch als die Badtür aufging fiel mir fast die Kinnlade herunter. Nicht meine Mitbewohnerin kam aus dem Raum, sondern ein ziemlich gut aussehender junger Mann. Seine braunen Haare hingen noch nass und wuschelig in sein Gesicht. Um seinen Unterkörper war eins unserer Handtücher gewickelt. Als er mich im Türrahmen stehen sah, lief er rot an.

„Tu- Tut mir leid, Ava meinte, dass ihre Mitbewohnerin für gewöhnlich immer lang schlafen würde“, stammelte er mit französischem Akzent. Verzweifelt versuchte er meinem Blick auszuweichen und huschte in Avas Zimmer.

Das hatte ich nun wirklich nicht erwartet. Meine Mitbewohnerin war zwar nicht schüchtern, aber noch nie hatte sie einfach so einen fremden Mann mit nach Hause gebracht. Vor allem nicht über Nacht. Das erklärte aber zumindest, wo sie die letzten Tage gesteckt hatte. Kopfschüttelnd machte ich mir noch einen Kaffee und ging in mein Zimmer.
 

Die nächsten Tage verliefen ziemlich ruhig. Aidan war von der Bildfläche verschwunden. Selbst im Coffeeshop sah ich ihn nicht mehr. Ein wenig erleichtert war ich darüber schon, jedoch konnte ich nicht verstehen, wo er so plötzlich abgeblieben war. Lucien konnte ich nichts von dem Vorfall erzählen. Zu tief saß die Angst, dass er mich verlassen könnte. Einsamkeit war mein größter Feind.

Auch bei Ava konnte ich die Geschichte nicht ansprechen. Auf der einen Seite wollte ich sie nicht mit meinen Problemen belasten, wo sie nun so glücklich schien und auf der anderen Seite gab es nun, wo Aidan verschwunden war, auch keinen Grund mehr, sich weiter darüber den Kopf zu zerbrechen. Sie erzählte mir eines Nachmittags, dass sie ihre neue Bekanntschaft in der Uni kennengelernt hatte. Er hieß Charles und war ein Austauschstudent aus Paris. Die beiden verstanden sich auf Anhieb und nun konnten sie kaum die Finger voneinander lassen. Ich hatte Ava vorher noch nie so glücklich gesehen.
 

Stunden, Tage und Wochen vergingen. Mittlerweile war es November. Aidan hatte ich seit dem Kuss nie wieder gesehen, wodurch ich zum Glück kaum noch an ihn denken musste. Ich saß in meinem Zimmer auf dem Boden, um mich herum tausend Stifte, Pinsel und Farbtuben. Es war mal wieder Zeit alle meine Kunstsachen auszusortieren. Ein Anruf von Lucien unterbrach meine Arbeit.

„Hallo, schöne Frau. Was machst du gerade?“

„Hallo. Nichts besonderes, ein wenig Inventur.“ Lächelnd ließ ich mich auf mein Bett fallen.

Momentan lief es wieder ziemlich gut bei uns beiden. Lucien verbrachte fast jede Nacht bei mir, was zur Folge hatte, dass die Nächte ohne ihn relativ schlaflos verliefen. Kaum zu glauben, wie schnell man sich an jemanden gewöhnen konnte.

„Oh, das hört sich natürlich spannend an.“ Sein Lachen ertönte durch mein Handy.

„Und was machst du so?“

„Ich laufe gerade von der Uni nach Hause. Allerdings rufe ich nicht ohne Grund an. Mein Vater hat vorhin angerufen. Leider geht es meiner Urgroßmutter nicht besonders gut. Du weißt ja, ihr Herz macht immer wieder Schwierigkeiten. Er sagte, es wäre schön wenn ich heute noch einen Flieger nehme, man kann nicht ausschließen, dass sie nicht mehr lange unter uns verweilen wird.“

Traurig suchte ich nach den richtigen Worten. „Oh, Schatz. Das tut mir unendlich leid. Weißt du schon wann der Flug geht?“

„Ich versuche einen um 20 Uhr zu nehmen. Möchtest du mich vielleicht begleiten?“

Zwar kannte ich seine Urgroßmutter bereits und mochte die alte Frau sehr gerne, doch hatte ich Lucien noch nie nach Kanada begleitet. Zudem musste ich Anfang der nächsten Woche noch eine Kunstmappe abgeben.

„Ich muss dich leider vertrösten. Dienstag ist Abgabetermin für meine Kunstmappe.“

„Das kann ich verstehen… Bestimmt ist es auch gar nicht so ernst, Grandma ist schließlich eine starke Frau. Mit Sicherheit übertreiben die Ärzte nur wegen ihres Alters.“

„Das stimmt wohl. Wann kommst du wieder?“

„Je nachdem. Eine Woche werde ich wohl weg sein. Ich melde mich aber auf jeden Fall bei dir.“

„In Ordnung. Grüße alle lieb von mir ja?“

„Mach ich. Viel Spaß noch bei deiner kleinen Inventur. Ich liebe dich.“ Mit diesen Worten legte er auf.
 

Nachdem ich alle Malutensilien geordnet hatte und eine Liste in den Händen hielt, was ich dringend nachkaufen musste, machte ich mich auf den Weg in die Stadt. Ich musste mich beeilen, wenn ich noch rechtzeitig vor Ladenschluss da sein wollte. Zu meinem Unglück fuhr die U-Band direkt vor meiner Nase davon.

„Na, du warst wohl nicht schnell genug.“

Ich brauchte mich nicht umzudrehen, um zu sehen von wem die Worte kamen.

„Glücklicherweise war das nicht die letzte, die heute fährt“, grummelte ich.

„Glücklicherweise muss ich auch in die Richtung“, entgegnete Aidan und stellte sich vor mich.

Er sah noch genauso aus, wie vor fast zwei Monaten.

„Bist du von den Toten auferstanden oder wo hast du dich in letzter Zeit rumgetrieben?“

„Hast du mich etwa vermisst?“, fragte er grinsend.

„Sehr“, antwortete ich ironisch.

„Ich hatte noch etwas zu erledigen.“

„Oh, du bist wohl sehr beschäftigt. Musstest wahrscheinlich noch weitere vergebene Mädchen, ohne ihre Zustimmung küssen…“

„Das hatte sich schon sehr zustimmend angefühlt, wenn du mich fragst. Aber nein, für gewöhnlich verfolge ich nur ein Ziel.“

Genervt sah ich weg und wünschte mir sehnlichst die Scheinwerfer der Bahn herbei.

„Heute schon etwas vor?“, fragte Aidan.

„Ja, eine Menge. Dir aus dem Weg gehen zum Beispiel“, antwortete ich gereizt.

„Ich verspreche dir, ich halte mich zurück.“ Ein leichtes Flehen lag in seiner Stimme.

Seufzend sah ich auf die Uhr. Die Bahn verspätete sich. Ich würde es niemals rechtzeitig zum Kunstladen schaffen. Ehrlichgesagt hatte ich auch nicht den leisesten Schimmer, was ich mit meinem restlichen Freitagabend anfangen sollte. Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass ich ihn mit Lucien verbringen würde. Doch nun, wo er auf dem Weg zu seiner Familie war, fiel diese Option wohl weg.

„Okay. Meinetwegen. Aber du musst ein paar Regeln einhalten.“

„Die da wären?“ Er grinste mich vergnügt an.

„Du fasst mich nicht an, schaust mich am besten nicht mal an und dein Grinsen kannst du auch bei dir behalten.“

Sein Grinsen erstarb sofort. Ernst sah er mich an. „Ach, schon verliebt?“

Wütend und entsetzt starrte ich ihn an. „Du spinnst doch.“

„Nein, ich scherze.“ Lachend sah er mich an.

Ich schüttelte nur den Kopf, musste aber schließlich auch lachen. So unsympathisch war er eigentlich gar nicht.

„Und was machen wir glorreiches?“, fragte ich.

„Na, wenn du schon so tolle Regeln aufstellen kannst, musst du mich wohl oder übel zu dir nach Hause einladen.“

„Was – zu mir nach Hause?“ Das konnte er unmöglich ernst meinen.

„Ja, natürlich. Oder hast du eine bessere Idee?“

Ich überlegte. Ava wollte den Abend bei Charles verbringen, somit würde sie nicht einmal mitkriegen, dass ich Besuch hatte. Und wenn Aidan sich daneben benehmen sollte, könnte ich ihn einfach rauswerfen…

„Gut. Dann komm, gehen wir.“

So gleichgültig wie möglich setzte ich mich in Bewegung. Ein wenig beunruhigte mich der Gedanke ihn zu mir zu bringen jedoch schon. Grinsend folgte Aidan mir und legte einen Arm über meine Schulter.

„Weißt du, ich glaube, das ist der Anfang von etwas ganz, ganz Großem“, verkündete er und drückte mich an sich.

Ich seufzte wieder und verdrehte die Augen. „Mit Sicherheit…“

Insane

Tatsächlich hielt Aidan sein Versprechen. Wir redeten über Gott und die Welt, lachten viel und kritisierten gemeinsam meine Kunstmappe. Erstaunlicherweise verstanden wir uns richtig gut. Selten hatte ich mich so frei gefühlt. Anders als Lucien behandelte er mich nicht mit Samthandschuhen.

Etliche Zigaretten und Stunden später fiel ich in mein Bett und sah mit halb zugekniffenen Augen zu meinem Fensterbrett rüber, auf dem Aidan saß und meine Leinwandsammlung durchsah. Er interessierte sich sehr für meine Kunst, vorausgesetzt das war keine gewöhnliche Masche von ihm.

Da das Fenster offenstand, um mein Zimmer nicht ganz im Zigarettenrauch untergehen zu lassen, kuschelte ich mich in meine Decke ein und beobachtete ihn. Langsam fielen mir die Augen zu. Es war bereits ziemlich spät geworden. Die Zeit verflog förmlich.

Aidan setzte sich an den unteren Rand meines Bettes und sah zu mir.

„Du wirst doch jetzt nicht einfach einschlafen?“ Er grinste.

Ich zuckte nur die Schultern und grinste zurück.

„Dann mach ich mich wohl mal lieber auf den Weg…“

„Meinetwegen kannst du auch hier bleiben“, flüsterte ich im Halbschlaf.

„Lassen das deine Regeln denn überhaupt zu?“ Auch er flüsterte. Langsam kletterte er über mich und legte sich hinter mich. Vorsichtig strich er mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

Ich nickte und schloss die Augen.
 

Als ich am nächsten Morgen erwachte war Aidan weg. An meiner Tür klebte ein kleiner Notizzettel:

» Ich muss heute Morgen arbeiten. Wenn du Hunger hast und einen Kaffee brauchst (ich weiß genau, dass du ihn brauchst) komme zu Joe Coffee. PS: Danke für den schönen Abend.«

Ein Lächeln huschte über meine Lippen. Er fand den Abend also schön. Der Gedanke bereitete mir Gänsehaut, sowie ein leichtes Flattern in meinem Bauch. Ich wollte gerade ins Bad gehen, als sich die Wohnungstür öffnete und Ava klatschnass herein kam.

„So ein Mistwetter“, fluchte sie. „Ja, aber was ist denn mit dir los? Du siehst ja aus, als wäre Weihnachten und Ostern gleichzeitig.“ Verwirrt betrachtete sie mich.

Abrupt ließ ich mein Lächeln verschwinden und zuckte nur mit den Schultern.

„Oh, nein. So einfach lasse ich dich nicht davon kommen. Sag bloß, du und Lucien habt endlich…“

Ich weitete die Augen. „Nein! Er ist gar nicht da. Gestern musste er nach Kanada.“

„Ja, aber weswegen bist du denn dann so fröhlich?“

„Es ist einfach ein wunderschöner Tag…“

„Und das soll dir wer glauben? Also spätestens wenn du nach draußen schaust, glaubst du mir, dass heute kein wunder - ,“ Ava verstummte und blickte mich skeptisch an „Du hast jemand anders kennen gelernt!“

Manchmal hasste ich sie dafür, dass sie mich zu gut kannte… Leider konnte ich auch nicht besonders gut lügen und so starrte ich nur auf den kalten Flurboden, in der Hoffnung sie würde nicht weiter nachfragen.

„Lilith Parker, kann es sein, dass du dich in jemand anders verliebt hast?“

„Ach so ein Quatsch! Wir sind nur Freunde und es war schön, sich mal nett mit jemand anders außer dir und Lucien zu unterhalten. Er ist wirklich witzig!“, versuchte ich mich zu verteidigen.

„Mhm. Na wie du meinst.“ Ava zog ihre nassen Schuhe und den Mantel aus und beobachtete mich, wie ich ins Bad flüchtete.

So richtig glaubhaft klang das wirklich nicht. Aber so schnell konnte ich mich gar nicht verliebt haben. Außerdem war da ja noch Lucien, zu dem ich mich weiterhin verbunden fühlte. Wahrscheinlich war das nur ein ganz kompliziertes Missverständnis durch die ganze Aufregung und den geheimen Kuss im August. Mein Körper musste erstmals abspeichern, dass Aidan nur ein Freund war. Alles würde sich schon noch einrenken. Ich duschte schnell, machte mich fertig und zog mich an. Dann machte ich mich auf den Weg zu Joe Coffee.
 

Aidan und ich verbrachten den ganzen Tag zusammen. Es fühlte sich an, als würden wir uns schon ewig kennen. Nach seiner Arbeitsschicht kauften wir meine Kunstsachen, die ich eigentlich am Vortag besorgen wollte. Anschließend stöberten wir noch durch diverse Klamottenläden. Abends gingen wir zusammen etwas essen und trinken. Mittlerweile war es kurz vor 11 und wir waren ein wenig unschlüssig, was wir nun machen sollten. Da ich nicht wusste, ob Ava da war und ich Aidan nicht vor ihren Augen schon wieder mit nach Hause bringen wollte, konnten wir nicht zu mir gehen. Für eine Bar war ich nach dem langen Shopping-Tag zu geizig. Entweder würden sich unsere Wege nun trennen, oder er könnte mich zu sich einladen. Allerdings traute ich mich nicht, ihn darauf anzusprechen. So liefen wir ziellos durch die Straßen Brooklyns.

„Ist dir kalt?“, fragte Aidan besorgt.

Ich nickte. Der Regen vom Vormittag hatte zwar aufgehört, doch war die Luft immer noch sehr feucht und kalt. Fürsorglich zog er seine Jacke aus und legte sie mir über die Schultern.

„Aber ohne Jacke frierst du doch sicher!“

Er schüttelte den Kopf. „Ich friere nie!“

„Hm, na gut. Aber lange solltest du trotzdem nicht so draußen herum laufen. Ich denke, es ist besser, wenn ich jetzt nach Hause gehe…“

„Auf gar keinen Fall! Zuhause wartet doch eh niemand auf dich. Wir gehen zu mir.“

Ich hatte Aidan nichts davon erzählt, wo sich Lucien im Moment befand…

„Woher willst du wissen, ob nicht doch jemand auf mich wartet?“, fragte ich.

„Dann wärst du entweder schon längst Zuhause, oder dein Handy würde fünfhundert Anrufe in Abwesenheit anzeigen…“

Nachdenklich holte ich mein Handy heraus und schaute auf das Display. Ich hatte tatsächlich 3 Anrufe in Abwesenheit. Lucien versuchte mich seit heute Nachmittag zu erreichen.

„Ich muss kurz telefonieren“, sagte ich und stellte mich an eine Hauswand.

Gespannt beobachtete Aidan mich, während ich wartete, dass Lucien abhob. In Gedanken rechnete ich die Zeitverschiebung aus. Wenn es nun 11 Uhr in New York war, müsste es in Vancouver erst 8 Uhr abends sein.

„Ja, hallo?“, meldete sich mein Freund endlich am anderen Ende der Leitung.

„Hallo, Schatz. Ich bins, Lilith.“

„Ah, hallo. Ich habe den ganzen Tag versucht dich zu erreichen. Ich habe auch Ava angerufen, aber die konnte mir auch nicht sagen, wo du bist. Was machst du gerade?“

„Eh, ich laufe nur durch die Stadt. Ich war verabredet heute. Mit einem guten Kumpel.“

„Ich wusste gar nicht, dass du so gut mit jemandem befreundet bist… Jemand aus deinem Kurs?“

„Mh, nee… Wir haben uns im Coffeeshop kennen gelernt… Er arbeitet da und so. Da kamen wir ins Gespräch. Naja und ich vermisse dich ganz schön, da kam mir etwas Ablenkung ganz gelegen.“

„Achso. Ja, das kann ich verstehen… Du fehlst mir auch unendlich. Aber ich habe gute Nachrichten: Morgen früh bin ich wieder da. Naja eher morgen Mittag… Ich habe noch keinen Flug gebucht, das mache ich morgen spontan. Wenn ich da bin, machen wir etwas Schönes, ja?“

„Das hört sich wundervoll an. Ich muss jetzt auflegen, mein Akku… Schreib mir, wenn du weißt, wann du hier sein wirst.“

„Na klar. Bis morgen. Gute Nacht.“

„Gute Nacht.“

Ich legte auf und betrachtete das Hintergrundbild auf meinem Display. Darauf waren Lucien und ich an unserem ersten offiziellen Date zu sehen. Glücklich lächelte er in die Kamera, während ich ihn unsicher ansah.

„Und wartet jemand auf dich, oder kommst du mit?“, unterbrach Aidan meine Gedanken.

Seufzend packte ich das Handy weg. „Ich komm mit. Aber nur, wenn du was ordentliches zu trinken Zuhause hast…“

„So mag ich mein Mädchen“, triumphierte er und ging voraus.

„Ich bin nicht dein Mädchen…“, brummte ich.
 

Aidans Wohnung war winzig. Sie befand sich in einer schmuddeligen Seitenstraße nahe der Brooklyn Bridge. Um die Ecke besuchten wir noch einen Kiosk, in dem wir Zigaretten und natürlich Whiskey kauften. Meine Leber und Lunge mussten mich hassen, für die meine neugeschlossene Freundschaft.

Im Treppenhaus roch es unangenehm und überall fiel der Putz von den Wänden. Wir gingen durch eine schäbig wirkende Holztür, die schon einiges abbekommen hatte und betraten seine Wohnung. Rechts neben dem Eingang stand ein großer, schwarzer Schrank, davor ein Metallbett. Auf der linken Seite war eine Wand mit einer weiteren Tür. Daneben befand sich eine kleine Küche, in der nur ein Unterschrank, ein Herd und ein Kühlschrank Platz fanden. Alles war auf das nötigste beschränkt. Ich liebte es. Begeistert sah ich ihn an.

„Ich weiß, dein Märchenprinz lebt wahrscheinlich tausendfach luxuriöser und größer…“, murmelte er bescheiden und stellte die Whiskeyflasche auf die kleine Küchenzeile.

„Es ist wirklich schön hier. Ich fühle mich wohl“, sagte ich so überzeugend, wie es nur ging.

Jetzt grinste er wieder. „Ein bisschen Platz habe ich noch. Du kannst gerne einziehen.“

Ich lachte. „Mein Kunstzeug würde überall herum liegen und außerdem kann ich ganz schön ätzend sein, wenn ich schlechte Laune habe.“

„Das stört mich nicht.“ Ruhig schaute er mir in die Augen.

Ich ignorierte seinen Blick, nahm die Flasche und öffnete einen der 2 Oberschränke. „Gläser?“

„Ich trinke immer aus der Flasche.“

„Na gut“, sagte ich, drehte den Verschluss auf und nahm einen großen Schluck.

Dann hielt ich ihm die Flasche hin. Grinsend trank er, setzte sich aufs Bett und beobachtete mich. Da ich mich nicht einfach auf sein Bett setzen wollte, inspizierte ich noch ein wenig die kleine Wohnung. Als ich vor dem einzigen, riesigen Fenster stand und raus schaute, zuckte ich zusammen. Beschämt drehte ich mich um.

„Was hast du denn?“, fragte er lachend und stellte sich zu mir. Sein Blick wanderte über die Hauswand gegenüber, bis er scheinbar fand, was mich aufzucken ließ. Sein Grinsen wurde immer breiter.

„Achso, ist das. Lass die Leute doch ihren Spaß haben, das machen die beiden ständig. Andere würden für so einen Ausblick viel Geld bezahlen.“

Empört sah ich ihn an. „Wie denn die machen das ständig?“

„Naja je nachdem, ob sie gerade daheim sind. Teilweise geht das die ganze Nacht lang.“ Schamlos beobachtete er weiter das Liebesspiel seiner zwei Nachbarn. „Mensch, du bist ja richtig prüde. Das hätte ich gar nicht von dir gedacht.“

Ich lief rot an und starrte auf den Boden. „Ich bin nicht prüde… ich finde es aber sehr unverschämt von dir, diese Leute so zu beobachten. Ich würde nicht wollen, dass mir mein Nachbar dabei zu sieht.“

„Dann würdest du dein Bett wahrscheinlich auch nicht direkt vors Fenster stellen. Die zwei sind super offen, ihnen hab ich meine kleine Wohnung überhaupt zu verdanken. Sie haben auch schon gefragt, ob ich nicht das nächste Mal mitmachen will.“

Mir fiel vor Entsetzen die Kinnlade herunter. „Und… hast du?“

„Nein, hatte kein Interesse. Sie ist überhaupt nicht mein Typ…“

Vorsichtig drehte ich mich um und betrachtete die junge Frau. Sie war wirklich hübsch, mit sonnengebräunter Haut und schwarzen Haaren. Wahrscheinlich war sie halbe Latina.

„Na, sieh mal an. Jetzt bist du genauso unverschämt, wie ich“, flüsterte mir Aidan ins Ohr.

Meine Nackenhaare stellten sich auf. Ich riss ihm die Flasche aus der Hand und trank zwei großzügige Schlucke. Wieder lachte er und setzte sich zurück aufs Bett.

Als ich ihm nicht folgte und stattdessen nur anstarrte, sagte er: „Na komm schon her. Keine Sorge, wir müssen nicht das gleiche wie meine Nachbarn tun.“

„Du bist ja auch überhaupt nicht mein Typ…“, erklärte ich.

„Na dann ist doch alles gut.“ Der Schwarzhaarige zündete sich eine Zigarette an und fischte einen Aschenbecher unter dem Bett hervor. Ich zog meine Stiefel aus, setzte mich im Schneidersitz an die untere Bettkante und nahm mir auch eine.

Denk dran, er ist nur ein guter Freund. Morgen ist Lucien wieder da.
 

Etwa zwei Stunden später, hatten wir nicht nur die gekaufte Flasche leer getrunken, sondern auch noch eine weitere zur Hälfte geleert, die Aidan im Kühlschrank gefunden hatte. Mittlerweile waren wir nur noch am Lachen, wodurch uns furchtbar warm geworden war. Der Alkohol zeigte eindeutig seine Wirkung.

„Warum bist du eigentlich immer so prüde und verschlossen? Ist das nur bei mir so, oder lässt du deinen Märchenprinz auch so kalt abblitzen?“, wollte Aidan wissen.

Ich legte meinen Kopf auf sein Kissen, starrte zur Decke und lachte verbittert. „Ich bin ein Waisenkind, was erwartest du? Lucien ist nicht mein Märchenprinz… Und er lässt mir Zeit. So viel ich eben brauche. Zumindest hoffe ich, dass er nicht nebenbei irgendeine Cheerleaderin vögelt.“

Erstaunt sah Aidan mich an. Das waren wohl zu viele Informationen für ihn.

„Was? Hättest wohl nicht gedacht, dass ich noch prüder bin, als du glaubtest.“

„Nein… Das ist es nicht. Also doch – auch. Aber ich hätte nicht gedacht, dass deine Eltern nicht mehr leben…“

„Oh, sie leben noch. Sie wollten mich nur nicht. Zumindest behaupteten das immer unsere Erzieher. Es wäre kein Wunder, dass sie mich abgeben haben, als ich geboren wurde. Sie hätten schon geahnt, dass ich das undankbarste und schlimmste Kind werden würde.“ Wütend kniff ich meine Augen zusammen. Noch nie hatte ich mit jemandem über meine Vergangenheit gesprochen.

„Das glaubst du nicht wirklich?“, fragte Aidan mit leichter Belustigung.

Ich warf ihn mit einem Kissen ab. „Machst du dich etwa gerade über mich lustig?“

Er lachte nur noch mehr und schaute provozierend zu mir.

„Na warte, dein Lachen wird dir noch vergehen“, verkündete ich und schmiss mich bewaffnet mit zwei kleinen Kissen auf ihn. Wir rangen und kämpften miteinander. Dabei lachten wir so lange, bis wir ganz außer Puste waren. Schnell rollte Aidan sich auf mich, stütze sich mit den Händen ab und hielt meine Handgelenke fest.

„Du solltest keinen Kampf anfangen, den du nur verlieren kannst“, flüsterte er.

Erschöpft sah ich in seine Augen und verlor mich darin. Der Alkohol tat den Rest. Ich zog ihn zu mir und küsste ihn leidenschaftlich. Dabei schlang ich meine Beine und Arme um ihn und schmiss ihn um, so dass ich nun auf ihm lag.

Ich löste mich von ihm und grinste. „Ich habe nicht verloren…“

Diesmal konnte er sich nicht zurückhalten und zog mich zu sich. Wieder berührten sich unsere Lippen und nach kurzer Zeit auch unsere Zungen. Mir wurde immer heißer. Vorsichtig entfernte ich mich von seinen Lippen und zog meinen Pullover aus. Er musterte meinen Oberkörper und meinen schwarzen Spitzen-BH.

„So prüde ist mein Mädchen gar nicht.“ Langsam zog er mich wieder zu sich und küsste meinen Hals.

Ich hatte das Gefühl, als würde ich jeden Moment explodieren. Jede Berührung von ihm trieb mich weiter in den Wahnsinn. Seine Hände wanderten über meinen Rücken, zu meinem Po und schließlich zum Verschluss meiner Hose, welchen er ohne Schwierigkeiten öffnete und geschickt meine Hose auszog. Dann wechselten wir wieder die Plätze und ich lag auf dem Rücken. Leidenschaftlich beobachtete ich, wie Aidan sich auszog und dabei die ganze Zeit meinen Körper nicht aus den Augen verlor.

„Du bist wahnsinnig sexy, weißt du das überhaupt?“ hauchte er, als er sich, nur mit Boxershorts bekleidet, wieder an meinem Hals zu schaffen machte. Ich seufzte leicht auf und krallte meine Finger in die Bettdecke, als er ein Stück weiter nach unten wanderte und mein Dekolleté mit Küssen bedeckte. Was auch immer er da mit mir machte, es fühlte sich richtig, richtig gut an. Er wusste einfach ganz genau was er zu tun hatte.

Convicted

Erschrocken schlug ich die Augen auf, schloss sie jedoch gleich wieder, da die Helligkeit zu sehr brannte. Mein Kopf tat weh und es drehte sich alles um mich herum, obwohl ich im Bett lag. Zudem hatte ich eben noch einen furchtbaren Albtraum gehabt. Ich drehte mich zur Seite und versuchte noch einmal einzuschlafen. Plötzlich spürte ich, wie jemand seinen Arm um mich schloss und mich zu sich drückte. Da erinnerte ich mich wieder daran, wo ich mich gerade befand.

Oh Gott… oh Gott… OH GOTT! Was hab ich getan? Was ist heute Nacht noch passiert?

Vorsichtig lugte ich unter die Decke und stellte fest, dass ich nichts mehr an hatte. Immerhin konnte ich langsam meine Augen wieder öffnen, also drehte ich mich leicht und blickte zu Aidan, der direkt neben mir lag. Auch er schien nichts mehr anzuhaben.

Wie kann man nur so dumm sein… Wie konnte das nur passieren?! Und warum gerade er… In 2 Jahren habe ich Lucien jedes Mal abgeblockt und bei dem hier ist alles kein Problem?

Meine Schuldgefühle fraßen mich förmlich auf. Ich rutschte langsam aus dem Bett und zog mich an. Aidan schlief weiterhin tief und fest. Ich schlich mich aus der Wohnung und sah im Hausflur auf mein Handy. Wir hatten bereits 1 Uhr Mittag… 3 verpasste Anrufe, 2 davon waren von Lucien, der andere von Ava. Zudem von beiden eine Nachricht.
 

Lucien (11.23 Uhr): Mein Flieger startet gleich, in etwa 6 Stunden bin ich endlich wieder bei dir. Ich habe es kaum ohne dich ausgehalten. Ich komme vom Flughafen direkt bei dir vorbei.
 

Ava (12.14 Uhr): Lilith… WO bist du?! Lucien hat mich gestern angerufen, doch ich hatte keine Ahnung wo du steckst. Das weiß ich jetzt immer noch nicht. Melde dich bitte…
 

Entsetzt versuchte ich auszurechnen, wann Lucien bei mir auftauchen würde, während ich nach Hause lief. Gott sei Dank hatte ich durch Zeitverschiebung und Flugzeit noch etwa 5 Stunden Zeit.

Ich lief fast eine ganze Stunde, bis ich endlich zu Hause ankam. Im Flur kam mir direkt Ava mit einem ziemlich besorgten Blick entgegen.

„Lilith! Ich habe-„

„Ja… ich weiß, du hast dir wahnsinnige Sorgen gemacht…“, ich wollte eigentlich weiter sprechen, jedoch kam ich nicht dazu, da plötzlich Tränen über mein Gesicht strömten.

„Oh mein Gott… Liebes, was hast du denn?“ Aufgeregt kam sie auf mich zu und umarmte mich.

Doch ich bekam kein Wort raus und schluchzte nur. „Lucien… Kanada, jetzt gleich hier… schluchz… Aidan… Alkohol… schluchz… was jetzt…schluchz.“

Mit großen Augen sah Ava mich an und versuchte mein Durcheinander zu verstehen.

„Du gehst jetzt erst mal ins Bad und gönnst dir eine lange, heiße Dusche. Ich mache in der Zeit Tee und dann reden wir noch mal ordentlich über die ganze Sache.“ Mütterlich gab sie mir einen Kuss auf die Stirn.

Ava war die beste Freundin, die ich je hatte und wohl auch haben werde. Obwohl sie ein Jahr jünger war als ich, war sie schon viel reifer und bodenständiger. Sie kümmerte sich stets um den Haushalt, um den Einkauf und um unsere Rechnungen. Im Grunde waren wir wie ein Ehepaar, wobei sie den Part der perfekten Hausfrau übernahm und ich der schludrige Ehemann war, der zwar das Geld nach Hause brachte, aber meist auch die Hälfte davon wieder ausgab.
 

Die Dusche tat mir wirklich gut. Nun saß ich warm in eine Decke eingepackt auf dem Sofa und blickte Ava traurig an.

„So Lili-Maus und jetzt noch mal von vorne. Und ich meine ganz vorne. Wenn ich das richtig sehe, hat die ganze Misere wohl etwas mit deinem ach so tollen Kumpel zu tun…“

Ich nickte verlegen und erzählte ihr alles. Von der unheimlichen ersten Begegnung im Park, dem Kaffee, dem Kuss und seinem anschließenden Verschwinden. Von unserem Wiedersehen vor zwei Tagen, dem schönen Abend bei mir. Und schließlich vom gestrigen Tag, der in einer aufregenden Nacht endete.

„Willst du was von ihm?“, fragte sie nachdem ich fertig war.

Ich schüttelte den Kopf, dann runzelte ich die Stirn. Genau genommen hatte ich keine Ahnung.

„Bist du sicher, dass ihr Sex hattet?“

„Ich war nackt…“

„Das muss ja nichts heißen. Aber gut, nehmen wir es einfach mal an. Damit hast du Lucien betrogen, das ist dir hoffentlich bewusst…“

„Ja, euer Ehren. Ich bin der schrecklichste Mensch der Welt… Ich weiß.“ Traurig rührte ich in meinem Tee.

„Nein, das bist du nicht. Dieser Aidan scheint dir irgendetwas zu geben, was du bei Lucien vergeblich gesucht hast.“

„Und das wäre?“

„Hm… So wie ich das einschätze… Gefahr. Verbot. Leidenschaft?“

Ich blickte zurück zum gestrigen Abend. Nun ja leidenschaftlich war er, und wie… Ein Kribbeln durchströmte mich. Verlegen trank ich einen Schluck Tee.

„Oh oh. Da hat es Jemanden aber ganz gewaltig erwischt“, sagte Ava, die mich die ganze Zeit beobachtete.

„Was mach ich denn jetzt mit Lucien?“

„Das kann ich dir leider nicht sagen… Du musst entscheiden, wen du willst. Lucien oder Aidan. Aber Lucien hat auf jeden Fall die Wahrheit verdient. Er muss selbst entscheiden dürfen, ob er dich nach dem Ausrutscher mit Aidan noch als Freundin will.“

Ich seufzte. Am liebsten hätte ich mich für die nächsten Tage einfach zurück gezogen.
 

Lucien kam gegen 7 Uhr vorbei. Als ich ihm die Tür öffnete, kam er stürmisch auf mich zu und küsste mich.

Ich befreite mich jedoch schnell und sagte: „Wir müssen reden.“

Mein Noch-Freund sah mich verwirrt an und stellte seine Tasche neben die Wohnungstür. Dann zog er schweigend seinen Mantel und seine Schuhe aus und ging in mein Zimmer. Er setzte sich auf mein Bett und wartete.

„Du willst reden. Okay, ich höre dir zu.“ Zufrieden lächelte er.

Damit hatte ich nicht gerechnet… In Filmen wurden Männer immer komisch und fingen an zu schreien, wenn Frauen reden wollten. Lucien dagegen schien sich eher zu freuen.

„Ehm, wo fang ich am besten an…“ Nervös zog ich an den Ärmeln meines Pullis.

Lucien wartete weiterhin geduldig.

Ich holte tief Luft. „Ich hatte Sex mit einem anderen“, platzte es schließlich aus mir heraus.

Wieder liefen mir Tränen über mein Gesicht. Ich konnte ja selbst kaum fassen, wie ich dazu in der Lage gewesen sein konnte.

„Wann? Mit wem?“ Mittlerweile war aus dem Lächeln ein eher schmerzverzerrtes, wütendes Gesicht geworden.

„Heute Nacht… Du kennst ihn nicht.“

„Ist es diese hervorragende Ablenkung, damit du mich nicht so vermisst?“

Ich nickte stumm.

Er schnaubte verächtlich. „Komisch. Wir haben noch nie miteinander geschlafen… Du sagtest immer du wärst noch nicht so weit. Das ging aber ziemlich schnell auf einmal.“

Traurig betrachtete ich meinen Fußboden. Ich war eindeutig schuldig. Nach einer Weile des Schweigens nahm ich all meinen Mut zusammen und versuchte Lucien zu besänftigen.

„Ich weiß, ich habe einen unverzeihlichen Fehler begangen. Ich verstehe ja selbst nicht, wie es dazu gekommen war. Es war ziemlich viel Alkohol im Spiel und irgendwie muss es dann passiert sein… Ich kann mich nicht mal mehr dran erinnern.“

„Oh, das macht es natürlich gleich viel besser.“ Wütend stand Lucien auf und stapfte durch mein Zimmer.

Ich nahm seine Hände in meine und sah ihm in die Augen. Ein wenig überrascht blieb er stehen. Normalerweise war ich immer sehr passiv in unserer Beziehung.

„Lucien, es tut mir wirklich leid. Ich.. ich liebe dich doch eigentlich. BITTE verzeih mir.“ Weitere Tränen flossen.

Er nahm mich in den Arm. Ich weinte in seine rechte Schulter hinein. Beruhigend strich er mir über meinen Hinterkopf.

„Wenn ich den Typ jemals in die Finger bekomme… Ich bin mir sicher, da war nicht nur Alkohol im Spiel. Der hat dir bestimmt noch irgendetwas anderes verabreicht.“

So wütend kannte ich Lucien gar nicht. Sonst war er immer sehr vernünftig und versuchte einen Streit auf ruhige Art zu klären. Aber diesmal war es ihm wirklich ernst.

Ich sah zu ihm hoch und küsste ihn sanft. Alles schmeckte salzig wegen meiner Tränen. Lucien hielt mich fest und trug mich zum Bett.

„Im Grunde bist du immer noch nicht dazu bereit, oder?“, flüsterte er leise in mein Ohr. Ich konnte einen traurigen Unterton in seiner Stimme heraus hören.

Statt ihm zu antworten, zog ich ihn zu mir und kuschelte mich ins Bett. Langsam knöpfte ich sein Hemd aus und küsste ihn.

„Wir könnten zumindest schauen, wie weit wir für den Anfang gehen wollen“, flüsterte ich schließlich.

Lucien lächelte. „Das ist mir mehr als recht. Jetzt wo ich schon so lange gewartet habe, will ich nichts überstürzen.“
 

Wir schliefen nicht miteinander. Auf der einen Seite war ich noch ein wenig aufgewühlt wegen Aidan und auf der anderen Seite hätten wir eh nichts zum Verhüten da gehabt. Bei dem Gedanken wurde mir kurz schlecht. Ich hatte keinen blassen Schimmer, ob Aidan ein Kondom benutzt hatte. Morgens als ich meine Sachen zusammen gesucht hatte, konnte ich keins entdecken. Aber vielleicht hatte er es direkt weggeschmissen.

Glücklich kuschelte sich Lucien an mich. Scheinbar hatte er mir verziehen, wobei die letzte halbe Stunde durchaus auch einen Teil dazu beitrug.

„Hast du morgen Abend schon etwas vor, meine Schöne?“

„Bisher noch nicht… Wieso? Willst du etwa morgen zu Ende bringen, was wir heute angefangen haben?“ Ich lachte und küsste ihn.

„Nein. Also doch. Vielleicht. Danach.“

„Jetzt verstehe ich gar nichts mehr.“

„Morgen Abend ist eine ziemlich gute Party. Ich habe Dienstag eh frei und du müsstest deine Mappe bis dahin ja eigentlich schon fertig haben. Wir könnten Ava fragen, ob sie mitkommen möchte.“

Ich zuckte mit den Schultern. Partys waren nicht unbedingt mein Ding. Ohne etwas zu trinken, fühlte ich mich nicht wohl unter den vielen Menschen und außerdem wollte ich dann immer rauchen, was Lucien nicht gut heißen würde. Aber in meiner schuldigen Position wollte ich nicht ablehnen.

„Meinetwegen. Ich frage sie später. Dann kannst du vielleicht ihren neuen Freund kennen lernen.“

„Oh, Ava ist vergeben?“, fragte mein Freund überrascht.

Ich nickte. „Er ist Franzose…“

„Oh la la.“ Wir mussten beide lachen.

Monday is a basic b*tch

Am nächsten Tag war alles abgeklärt. Wir würden uns zu viert bei Ava und mir treffen und ein wenig quatschen und etwas trinken, damit wir Charles kennen lernen konnten. Dann würden wir gemeinsam zur Party aufbrechen. Tatsächlich fand ich den Gedanken an die Party gar nicht mehr so ätzend.

Nach einem gemeinsamen Frühstück mit Ava und Lucien machte ich mich auf den Weg zur Uni. An Aidan hatte ich seitdem gar nicht mehr gedacht. Bis er vor der NYU vor mir stand.

„Du warst einfach weg…“, sagte er.

Irrte ich mich, oder sah er wirklich traurig aus. Eigentlich dachte ich, dass er mich nur rumkriegen wollte und nun fallen lassen würde, wo er erreicht hatte, was er wollte.

„Hör zu… Keine Ahnung, was da schief gelaufen ist, aber das war so nicht geplant. Wir haben uns echt gut verstanden, aber ich weiß nicht, ob wir nach dem Abend noch miteinander abhängen sollten.“

„Dein Prinz ist wohl sauer, hm? Was genau hast du ihm erzählt?“

„Lucien hat damit nichts zu tun… Es ist meine Entscheidung.“

„Nichts ist deine Entscheidung. Du bist viel zu schwach um irgendwas in deinem Leben zu entscheiden. Alles machst du immer nur abhängig von anderen. Sieh dich doch an, du lebst hinter Mauern, die du selbst gebaut hast.“

Entsetzt starrte ich ihn an und ging dann einfach an ihm vorbei.

„Versuch nur davor wegzulaufen, aber du weißt genauso gut wie ich, dass da was ist zwischen uns!“, rief er mir hinterher.
 

Ich versuchte Aidan für den Rest des Tages einfach auszublenden, was mir erstaunlicherweise sogar recht gut gelang. Dafür versuchte ich mich auf die Party zu freuen. Abends stand ich ratlos vor meinem Kleiderschrank. Ich hatte keinen blassen Schimmer, was man zu so einer Party anzog. Die Party wurde von den zukünftigen Abgängern der Columbia organisiert. Somit konnte ich da nicht einfach nur in meinen Alltagsoutfits erscheinen. Immer mehr Sachen häuften sich auf meinem Bett, doch ich fand einfach nichts, was mir gefiel.

„Ava!“, rief ich frustriert. „Was soll ich denn nur anziehen?“

Meine Mitbewohnerin betrat mein Zimmer und schaute überrascht von meinem Kleiderchaos zu mir und dann wieder zurück. Sie sah mal wieder atemberaubend aus. Das dunkelblaue Kleid mit Carmen-Ausschnitt stand ihr fantastisch. Dazu trug sie silberne High Heels und silbernen Schmuck. Ihre langen Haare hatte sie halb hoch gesteckt. Ava war sich gar nicht bewusst, wie gut sie eigentlich aussah. Es gab nicht viele Mädchen wie sie, die hübsch, aber nicht abgehoben waren. Vor allem in New York war das etwas ganz besonderes.

Meine Freundin schritt zu meinem Kleiderschrank und wühlte ein wenig. Dann schüttelte sie den Kopf.

„Nein, hier findet man wirklich so gar nichts Passendes. Warte mal, ich hab da noch etwas von meiner Mum bekommen, das würde dir viel besser stehen als mir.“

Sie ging in ihr Zimmer und kam ein paar Minuten später mit einem schwarzen Kleid zurück. Ich zog es an und betrachtete mich in unserem bodenlangen Spiegel im Flur. Das Kleid ging mir bis kurz über die Knie, hatte lange Spitzenärmel und einen riesigen Rückenausschnitt. Es war perfekt.

„Wie stellst du das nur immer an?“, fragte ich begeistert.

Ava antwortete nicht, sondern holte ein paar goldene High Heels aus ihrem Zimmer. Dazu drückte sie mir eine kleine, goldene Umhängetasche in die Hand. Ich sah hinein. Darin befand sich eine Schachtel Zigaretten. Verwirrt sah ich sie an.

„Du musst es nicht verheimlichen. Mich stört es nicht und ich weiß, dass du dich dann viel wohler auf der Party fühlst. Lucien wird es akzeptieren, da bin ich sicher.“

Ich nickte und umarmte sie dankbar. Ava war einfach wundervoll.
 

Die Jungs klingelten pünktlich um 8 Uhr. Ava hatte mich gerade fertig frisiert und geschminkt. Ich betrachtete mich selbst im Spiegel. Ich sah ganz anders aus als sonst, aber trotzdem war ich es. Ich fühlte mich sehr wohl. Als ich Lucien und Charles begrüßen wollte, starrte mich Lucien nur mit großen Augen an.

„Ich nenne dich zwar immer schöne Frau, aber das jetzt… Wow. Einfach wow.“

Ava lächelte und gab Charles einen Kuss zur Begrüßung.

Wir setzten uns ins Wohnzimmer und unterhielten uns über banale Dinge. Charles war ein wenig schüchtern, aber sehr nett. Mit jedem Glas Wein taute er ein wenig auf. Zwischendurch musste ich an den Whiskey denken, den ich zusammen mit Aidan getrunken hatte. Mit ihm war es so einfach. Ich stellte mir Aidan ganz vornehm in Anzug und Krawatte vor, wie er genüsslich an einem Wein nippte und musste lachen. Die anderen schauten mich verständnislos an.

„Sorry, ich hatte grad so ein lustiges Bild im Kopf…“

Lucien nickte und unterhielt sich weiter mit Charles über die Geschäfte seiner Eltern. Ava hörte auch gespannt zu. Ich fand das Gespräch jedoch so gar nicht spannend und blickte auf die Wanduhr.

„Wollen wir langsam los?“, fragte ich zögernd.

Mein Freund stand auf, nahm meine Hand und sagte: „Diese schöne Frau möchte tanzen, lassen wir sie nicht warten.“

Wir lachten und machten uns auf den Weg.
 

Die Party war bereits in vollem Gange, als wir eintrafen. Über all standen junge Menschen und versuchten sich zu unterhalten, was bei der lautstarken Musik gar nicht so einfach war. Wir gingen zuerst in Richtung Bar, wo Lucien etwas zu Trinken bestellte. Nachdenklich sah ich mich um. Plötzlich entdeckte ich Aidan am anderen Ende der Bar. Lässig saß er mit einem Glas Whiskey auf einem der Barhocker und unterhielt sich mit einem schwarzhaarigen Mädchen.

„Ist er das?“, fragte mich Ava, so dass es nur ich hören konnte.

Ich nickte.

„Und was jetzt?“ Sie sah mich mitfühlend an.

Ich zuckte mit den Schultern. Damit hatte ich nicht gerechnet. Wobei ich mir eigentlich hätte denken können, dass er auch hier sein würde.

Aidans Blick traf meinen. Wie bereits bei Joe Coffee überströmte eine Hitzewelle meinen Körper. Er hob sein Glas in meine Richtung und nickte zur Begrüßung.

Ruckartig drehte ich mich um. Gerade noch rechtzeitig, da Lucien mit unseren Getränken zurück kam. Freudig stießen wir gemeinsam an. Ava zog mich zur Tanzfläche.

„Jetzt lass dir von dem Kerl nicht den Abend versauen. Du kannst ja jetzt doch nichts an der Situation ändern“, meinte sie.

Charles und Lucien hatten sich in der Zwischenzeit einen Platz in der Lounge gesichert. Sie verstanden sich wirklich gut. Ava und ich tanzten bis wir die Hitze auf der Tanzfläche kaum noch aushielten. Gemeinsam gingen wir in den kleinen Außenbereich, damit ich mir eine Zigarette anzünden konnte.

„Schlecht sieht er ja nicht aus“, verkündete sie und sah an mir vorbei.

Ich drehte mich um und entdeckte Aidan an einem der Stehtische. Seine Begleitung von vorhin war verschwunden. Stattdessen stand er alleine dort und beobachtete mich mit seinem typischen Grinsen.

„Ach Lilith, das muss wirklich schwierig für dich sein.“

„Was meinst du?“

„Naja, selbst ein blinder würde erkennen, dass du ihn magst. Aber ich kann schon verstehen, dass du Lucien nicht verletzen willst. 2 Jahre Beziehung will man ja auch nicht gleich wegen dem erstbesten Kerl, den man interessant findet, wegschmeißen.“

Nickend stimmte ich ihr zu.

„Egal wie du dich entscheidest, ich bin immer für dich da.“

„Danke, das ist lieb von dir.“ Ich lächelte sie an.

Zwei Mädchen stellten sich zu Aidan. Eine der beiden bot ihm eine Zigarette an, doch er schien abzulehnen. So leicht gab sie sich jedoch nicht geschlagen und flirtete offensichtlich weiter.

„Hier seid ihr!“ Lucien legte einen Arm um meine Hüfte und blickte skeptisch zu meiner Zigarette.

Aidans Blick verfinsterte sich als er meinen Freund identifizierte. Plötzlich flüsterte er seiner Anhängerin etwas ins Ohr und sie grinste sichtlich erfreut. Dabei ließ er mich jedoch nicht aus den Augen. Wollte er mich etwa eifersüchtig machen?

„Was hast du?“, fragte Lucien und riss mich aus meinen Gedanken.

„Ach nichts, war in Gedanken nur bei einem meiner Bilder.“ Ich drehte mich zu ihm und küsste ihn. Was Aidan konnte, konnte ich schon lange. Der Kuss verfehlte seine Wirkung nicht. Der Schwarzhaarige sah mich wütend an und formte mit seinen Lippen ein ‚Warum?‘.

Ich grinste provozierend.

Ava stupste mich vorsichtig an und versuchte mir mitzuteilen, dass ich sofort mit dem Theater aufhören solle. Doch sie war nicht vorsichtig genug, wodurch Lucien misstrauisch wurde und zu Aidan sah.

„Das kann doch jetzt nicht wahr sein“, raste er. Sofort nahm er seinen Arm von mir und sah mich empört an.

Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen und schaute irritiert zurück.

„Das ist der Kerl, hab ich Recht?!“

Einige Leute drehten sich zu uns um und fingen an zu tuscheln. Aidan schien sichtlich amüsiert.

„Ich hab keine Ahnung, wovon du redest“, blaffte ich.

„Jetzt tu doch nicht so! Mir wird das echt zu blöd… Und ich dachte, er wäre das Problem und hätte dich nur ausgenutzt. Von wegen! Gib doch wenigstens zu, dass du auf ihn stehst!“

Unser Streit war nun nicht mehr zu überhören. Peinlich berührt schwieg ich.

„Ich gehe. Bitte tu mir den Gefallen und melde dich erst bei mir, wenn du deine kleine pubertäre Phase überwunden hast.“ Mit diesen Worten lief Lucien in Richtung Ausgang.

Neben Aidan verharrte er und schrie: „Du kannst sie haben. Ach, warte. Du hattest sie ja eh schon.“

Dann war er weg.

Ava zerrte mich zur Bar und bestellte uns zwei Schnaps. Ich kippte beide herunter ohne mit der Wimper zu zucken.

„Naja, manche Probleme lösen sich von alleine…“ Sie versuchte echt immer noch etwas Positives zu finden.

Ich bestellte fünf weitere Shots und kippte einen nach dem andern in mich herein. Dann ging ich wieder in den Außenbereich und stellte mich zu Aidan. Die beiden Mädels waren immer noch da und starrten mich belustigt an.

„Ich hoffe, du hast jetzt was du wolltest“, schnauzte ich ihn leicht torkelnd an.

„Noch nicht ganz.“ Er grinste und lehnte sich zu mir um mich zu küssen.

Ich ging einen Schritt zurück und knallte ihm eine.

„Was ist denn mit dir falsch?“, giftete die eine, die sich vorhin noch an Aidan ranmachen wollte.

„Das geht DICH bestimmt nichts an!“

Der Schwarzhaarige rieb seine Wange, grinste jedoch immer noch.

Er ging wieder einen Schritt auf mich zu. „Lass uns gehen“, flüsterte er mir ins Ohr und griff nach meiner Hand.

Ich wehrte mich nicht und folgte ihm.

Lasting memory

Vor dem Club blieb Aidan stehen und ließ meine Hand los. Er lehnte sich gegen eine Hauswand, steckte sich eine Zigarette an und schüttelte grinsend den Kopf.

„Was?“, entgegnete ich genervt.

„Du bist wahnsinnig süß, wenn du dich aufregst. Generell gefiel mir die kleine Show da drinnen ganz gut. Aber ich glaube, du hättest auch sanfter mit dem armen Kerl Schluss machen können…“

„Ich habe gar nicht Schluss gemacht! Du bist doch Schuld, dass er mich verlassen hat! Ich hätte mich nie auf dich einlassen sollen…“ Wütend setzte ich mich auf den Boden und zog meine High Heels aus.

Aidan setzte sich neben mich. „Hey… Kleines. Na reg dich mal nicht so auf. Es ist alles halb so schlimm wie es aussieht.“

Geknickt sah ich ihn an.

„Liebst du ihn?“, fragte er plötzlich.

Ich öffnete den Mund, wusste aber nicht was ich antworten sollte. Also zuckte ich nur mit den Schultern.

„Wir kennen uns zwar noch nicht besonders lange, aber ich sehe die Sache so: Dein Prince Charming ist dir furchtbar wichtig. Er hat dir immer beigestanden, war für dich da, hat deine Welt zu einem besseren Ort gemacht. Er hat sich in dich verliebt und du dachtest, du würdest das gleiche für ihn empfinden. Aber du verwechselst Zuneigung mit Liebe. Im Grunde wärst du genauso glücklich mit ihm als besten Freund gewesen. Jetzt wo alles so kaputt scheint, geht es dir schlecht, weil du Angst hast ihn für immer verloren zu haben.“

Aidan hatte recht. Das wurde ich mir in diesem Moment bewusst. Vielleicht fühlte es sich deshalb so befremdlich an, ihn zu küssen und vielleicht konnte ich deshalb mit ihm nie weiter gehen, mit Aidan jedoch schon.

Ich seufzte. Warum war es nur immer so kompliziert im Leben? Erschöpft legte ich meinen Kopf auf seine Schulter und schloss für einen Moment die Augen. In Aidans Nähe fühlte ich mich anders, als die Jahre zuvor bei Lucien. Irgendwie angekommen. Sicher. So als hätte ich immer schon genau hier her gehört. Aber gab es so etwas überhaupt? War es das, was Menschen als Seelenverwandtschaft bezeichneten? Ich hatte in meiner Schulzeit einmal das Werk ‚Die Wahlverwandtschaften‘ von Goethe gelesen, in dem es darum ging, dass zwei Menschen für einander vorbestimmt sind und sie wie chemische Elemente zueinander hingezogen werden. War also Aidan in Wahrheit mein Gegenstück?

Er legte den Arm um mich. „Du musst dich deswegen nicht schlecht fühlen. Nicht jede Beziehung nimmt ein glückliches Ende. Meinst du nicht, es wäre schlimmer gewesen, wenn du deine Gefühle weiterhin geleugnet hättest und Lucien damit nur angelogen hättest?“

Ich nickte. Trotzdem war dieses ganze Durcheinander ein wenig zu viel für mich. Zudem machten mir die vielen Shots langsam echt zu schaffen.

„Ich kann nicht mehr“, flüsterte ich.

Aidan stand auf, rief ein Taxi und zog mich dann zu sich hoch. Ohne auf meine Widerworte zu reagieren, hieb er mich hoch und schleppte mich zum Taxi. Erst setzte er mich behutsam auf die Rückbank, dann stieg er selbst ein.

Das Taxi brachte uns zu seiner Wohnung. Langsam trug er mich die vielen Stufen hoch und setzte mich auf seinem Bett ab. Ich wollte aufstehen um mir ein Glas Wasser zu holen, jedoch war mir zu schwindelig.

„Na na. Du bleibst schön hier. Brauchst du Wasser?“

Ich nickte. Aidan ging zur kleinen Küchenecke und kam mit einem Glas Wasser und einem Honigbrot zurück.

„Was soll ich denn damit?“, fragte ich verwundert.

„Ein kleiner Geheimtipp…“ Er grinste. „Ich will doch nicht, dass du morgen platt bist. Ich habe letztens sogar extra Gläser gekauft, damit du nicht ständig aus der Flasche trinken musst.“

Ich lächelte und nahm dankbar das Wasser und das Brot an. Danach ging es mir tatsächlich schon ein wenig besser. Aidan legte sich auf die linke Bettseite und beobachtete mich. Ich wusste nicht so recht, was ich jetzt tun sollte. Schließlich brachte ich Glas und Teller in die Küche, wusch beides ab, richtete mein Kleid und sagte:

„Vielen Dank für alles. Mir geht es schon viel besser. Es wird wohl das Beste sein, wenn ich jetzt gehe…“

„Und für wen genau?“

„Wie?“

„Na für wen soll das, das Beste sein? Ich hab dich nicht ohne Grund hergebracht.“

Verunsichert sah ich ihn an und wurde rot. „Ich weiß nicht, was für eine Art Gegenleistung du jetzt von mir erwartest, aber ich wäre dir dankbar, wenn du mich gehen lassen würdest…“

„Sag mal, was denkst du eigentlich von mir? Dass ich dich jetzt ins Bett zerre und vergewaltige? Ich will einfach nur, dass du bei mir bleibst. Damit ich weiß, dass du in Ruhe einschlafen kannst. Warum denkst du immer so schlecht von Menschen? Wer hat dich so kaputt gemacht?“

Traurig musste ich an meine Jugend zurück denken. Jedes Wort, jeder Augenblick hatte sich in mein Gehirn eingebrannt... Wie in Trance stand ich da und sah vor meinen Augen in meine Vergangenheit zurück, zu dem Tag, als drei Jungen aus dem Waisenhaus anfingen, mich zu vergewaltigen.

Ich brach auf dem dunklen Holzboden zusammen. Die schmerzhafte Erinnerung war zu viel für mich und meinen Körper. Erschrocken kam Aidan zu mir geeilt. Dann wurde alles schwarz.

Nach einiger Zeit öffnete ich meine Augen und sah in Aidans besorgtes Gesicht. Als mir klar wurde, warum ich in seinem Bett lag und an was ich mich vorhin noch erinnert hatte, konnte ich die Tränen nicht zurück halten.

„Sch… Nicht weinen. Hey, alles ist gut.“ Aidan strich mir vorsichtig meine Haare aus dem Gesicht. „Es tut mir leid. Was auch immer passiert ist… Du musst es mir auch nicht erzählen, wenn du nicht möchtest. Wenn doch, höre ich dir gerne zu…“ Besorgt versuchte er meine Blicke zu deuten.

Ich hatte mich vorher noch nie so sicher bei einem Menschen gefühlt. Lucien war zwar immer liebevoll, aber ich hatte stets das Gefühl, als würde er die Wahrheit nicht verkraften. Aidan jedoch war stark und ich hatte das Bedürfnis, ihm alles zu erzählen. Er gab mir das Gefühl, als könne er mich vor allem beschützen. Also erzählte ich ihm alles. Von meiner einsamen Kindheit, den drei Jungen und der Vergewaltigung, der anschließenden Erpressung und meiner Flucht aus dem Waisenhaus, als ich 16 Jahre alt war.

Mit gesenktem Blick wartete ich auf eine Reaktion. Doch Aidan schien es die Sprache verschlagen zu haben. Ich sah ihn an, doch er starrte nur auf seine Hände.

„Lil… wenn ich das gewusst hätte… ich… der Kuss… ich bin so egoistisch… Samstagabend… ich wollte nicht…“

„Es ist okay… du konntest es ja nicht ahnen, dass ich so verkorkst bin. Du bist an nichts Schuld. Durch den Alkohol musste ich die Erlebnisse von damals verdrängt haben… Ich habe schon verkraftet, dass wir miteinander geschlafen haben.“

Sanft wollte ich seinen Arm berühren, doch ich verbrannte mich an ihm. Ein brennendes Loch erschien auf seinem Hemd. Er legte seine Hand an die Stelle und löschte die kleinen Flammen.

„Wir haben nicht miteinander geschlafen… Dazu kam es nicht“, sagte er trocken, zog sein Hemd aus und ging ins Bad.

Wie versteinert saß ich auf dem Bett und verstand die Welt nicht mehr.

Sexual ecstasy

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Supernatural

Ich schlug meine Augen auf. Aidan lag vor mir und lächelte sein verführerischtes Lächeln.

„Guten Morgen. Hast du gut geschlafen?“

Ich nickte lächelnd und küsste ihn sanft.

„Kaffee?“, hauchte er, zog mich jedoch an sich.

Mein Körper machte mir klar, dass mir etwas anderes viel lieber wäre. Mein Geliebter stütze sich über mir ab und liebkoste meinen Hals. Leise stöhnte ich auf. Würde dieses Gefühl jemals aufhören? Ich befürchtete, wir würden nie wieder aus dieser Wohnung entkommen. Für immer ans Bett gefesselt. Unsichtbar aneinander gebunden.

Nachdem wir uns heftig liebten, lagen wir erschöpft nebeneinander.

„Jetzt vielleicht wirklich einen Kaffee?“, fragte Aidan ein wenig verlegen.

„Gerne“, antwortete ich und huschte kurz ins Bad.

Mein Spiegelbild lächelte mich euphorisch an. War wirklich ich das? Plötzlich wirkte ich so anders. So glücklich. Ich machte mich ein wenig frisch und betrachtete noch einmal die kleinen Verbrennungen. Sie verheilten relativ schnell.

Ich ging zurück ins Wohn-/Schlafzimmer, wo mir Aidan bereits eine Tasse Kaffee in die Hand drückte und mich zurück ins Bett zog.

„Wir können uns wohl nicht für immer hier verkriechen“, lachte ich.

„Also ich hätte nichts dagegen“, meinte er und machte sich wieder an meinem Hals zu schaffen.

„Du kriegst wohl nie genug…“, seufzte ich.

„Von dir niemals… Ich wollte dich schon im ersten Augenblick, damals im Park…“

Lachend schob ich ihn von mir, trank einen Schluck und fischte mein Handy aus meiner Tasche. 23 Anrufe von Ava…

„Oh nein!“, stieß ich laut auf.

Verblüfft sah Aidan mich an. „Was hast du?“, fragte er.

„Ich habe Ava gar nicht Bescheid gesagt, wo ich bin…“

Mittlerweile war es bereits 17 Uhr… sie musste sich riesige Sorgen machen. Nervös rief ich sie zurück.

„Das wird aber auch mal Zeit… WO BIST DU?“, schrie sie fast in den Hörer.

„Keine Sorge, mir geht’s gut“, sagte ich und kicherte, da Aidan meinen Rücken mit Küssen übersäte.

„Das hört man“, gab sie erstaunt zu.

„Ich erkläre es dir später. Oder morgen… Wenn ich heim komme.“

„Okay, alles klar. Dann wünsche ich dir noch viel Spaß“, sagte sie wissend und legte auf.

Aidan zog mich zurück zu sich unter die Decke.
 

Wir verbrachten den restlichen Tag bei ihm, redeten viel, bestellten uns etwas zu Essen bei einem Lieferdienst und ließen die Finger nicht voneinander. Dieses Gefühl, das er mir gab, war so neu und aufregend. Nie hätte ich auch nur zu träumen gewagt, dass ich so glücklich sein konnte. Für nichts in dieser Welt wollte ich ihn gehen lassen.

„Was hat es eigentlich auf sich mit dieser ständigen Hitze?“, fragte ich irgendwann neugierig.

„Ich weiß nicht, wie ich es dir erklären soll… Es kam von einem Tag auf den anderen. Seitdem wusste ich, dass ich auf der Suche nach Etwas oder Jemandem war. Jetzt bin ich hier und habe dich gefunden“, erzählte Aidan.

„Was habe ich denn damit zu tun?“

„Dafür habe ich noch keine Antwort. Ich kann es leider auch noch nicht kontrollieren. Erinnerst du dich an den Tag im River Side Park, als wir uns zum ersten Mal begegneten?“

Ich nickte.

„Als ich dich mit ihm sah, wurde ich so wütend und fühlte mich so machtlos, da verlor ich irgendwie die Kontrolle… Plötzlich brannte der Rasen um mich herum…“, fuhr er fort.

Entsetzt sah ich ihn an.

„Ich glaube langsam beruhigt es sich… Zumindest kann ich es ein wenig steuern, so dass ich dir nicht mehr so weh tue.“ Vorsichtig strich er über mein Handgelenk, wo er mich noch vor ein paar Tagen verbrannt hatte.

Tatsächlich waren die kleinen Verbrennungen vom Vortag nicht so stark und bereits auch schon weitestgehend verheilt. An meinem Handgelenk zeichnete sich die Verbrennung jedoch immer noch deutlich ab.

„Meinst du, es gibt noch mehr Menschen, wie dich?“, fragte ich.

„Keine Ahnung. Möglich wäre es… Leider habe ich noch nirgendwo eine Antwort auf dieses Phänomen gefunden.“

„Darf ich es Ava erzählen? Für gewöhnlich hat sie auf alles eine schlaue Antwort…“

„Meinetwegen, ja. Aber nur wenn du sie mir persönlich vorstellst.“ Er grinste sein schiefes Lächeln.

Ich nickte und küsste ihn. Es war wieder sehr spät geworden, deswegen kuschelten wir uns ins Bett und schliefen bald ein.
 

Am nächsten Morgen rief ich Ava an und fragte sie, ob sie mir etwas zum Anziehen vorbei bringen könnte, da ich ungern wieder in das schwarze Kleid schlüpfen wollte. Eine Stunde später kam sie vorbei.

Glücklich öffnete ich ihr die Appartement-Tür. Ein wenig zögernd betrat sie die kleine Wohnung und sah sich um.

„Dann stelle ich mich dir mal vernünftig vor“, begann Aidan und hielt ihr seine rechte Hand hin. „Ich bin Aidan Black, es freut mich, dich kennen lernen zu dürfen.“

Ava sah ihn noch ein wenig misstrauisch an, nahm dann jedoch seine Hand. „Ava Coleman…“

Stumm reichte sie mir eine Tasche, in der sich meine Sachen befanden. Scheinbar traute sie der ganzen Sache noch nicht.

„Kommst du heute nach Hause?“, fragte sie mich.

Ich zuckte mit den Schultern. Aidan legte einen Arm um mich.

„Okay, also vermutlich bin ich heute Abend eh bei Charles. Wenn was sein sollte, kannst du dich ruhig melden. Dann will ich eure Zweisamkeit mal nicht weiter stören…“ Ein wenig unentschlossen trat sie zur Tür, sah mich noch einmal unsicher an und verließ die Wohnung.

„Sie mag mich nicht. Dein Märchenprinz war ihr wesentlich lieber“, stellte Aidan trocken fest.

Ich schüttelte den Kopf. „Sie kennt dich einfach nicht. Vermutlich ging ihr das auch einfach zu schnell“, widersprach ich und küsste ihn.

„Mhm. Wie du meinst…“

„Ich kann leider nicht den ganzen Tag bei dir bleiben… In der Uni vermissen sie mich bestimmt schon.“

Er nickte verständnisvoll und ging zur Küche.

Ich verschwand schließlich ins Bad und machte mich fertig.
 

Ava hatte mir genügend Kleidung für die nächsten fünf Tage eingepackt. Genauso lange blieb ich auch bei Aidan. Wir waren unzertrennlich. Ich konnte mir keinen Tag und keine Nacht ohne ihn vorstellen. Schließlich musste ich aber doch nach Hause, um meine Sachen zu wechseln und eine praktische Übung für den Malereikurs zu bearbeiten.

Als ich in den Flur trat, hörte ich, wie Ava sich in der Küche beschäftigte. Neugierig steckte ich meinen Kopf zur Tür herein.

„Ach, sie mal einer an: Meine verlorene Mitbewohnerin ist zurück gekehrt.“

Ich grinste verlegen.

„Konntet ihr euch voneinander lösen, ja?“

Ich nickte nur.

„Na komm, setz dich. Ich will jedes Detail hören. Und lass bloß nicht die Sexgeschichten aus.“ Wohlwissend zwinkerte sie mir zu.

Wahrscheinlich wurde ich in dem Moment rot wie eine Tomate. Trotzdem setzte ich mich zu ihr in die Küche und erzählte ihr alles. Während meiner Schwärmerei flatterten hunderte von Schmetterlingsfamilien durch meinen Bauch. Als ich fertig war, sah mich meine beste Freundin gerührt an.

„Ich kann den Kerl halt echt nicht einschätzen, aber es freut mich, dass er dich so glücklich macht. Ich hoffe wirklich, dass es dabei bleibt.“

Glücklich strahlte ich über beide Ohren. Dann wurde ich nachdenklich.

„Ava… Da ist noch etwas.“

„Ja?“, fragte sie voller Neugierde.

„Etwas sehr ungewöhnliches… Du wirst mich wahrscheinlich für verrückt erklären…“

„Nun spuck’s schon aus.“ Langsam wurde sie ungeduldig und betrachtete mich mit hochgezogener Augenbraue.

Ich wies auf mein verbranntes Handgelenk. „Es geht um Aidan… Die Verbrennung ist von ihm. Und ich meine wirklich von ihm…“

„Ich kann dir nicht ganz folgen, Lilith…“

„Er ist irgendwie anders. Wenn er mich anfasst… Oder wenn ich ihn berühre… dann verbrenne ich mich.“

„Wie soll das denn gehen?“ Ava verstand die Welt wohl nicht mehr.

„Er kann es nicht kontrollieren. Es ist wirklich eigenartig… ich weiß gar nicht, wie ich es dir erklären soll.“ Seufzend lehnte ich mich zurück.

„Zeig mal her“, meinte sie und wies auf mein Handgelenk.

Ich hielt ihr meinen Arm hin. Vorsichtig fuhr sie mit dem Zeigefinger über die Verbrennung. Plötzlich durchfuhr mich eine Kälte. Ich erschauderte. Erschrocken sahen wir beide auf die Stelle, auf der eben noch verbrannte Haut zu erkennen war. Jegliche Anzeichen davon waren einfach verschwunden.

„Wie…“, stammelte ich.

Ava sah mich nur fassungslos an. „Lilith… ich hab keine Ahnung, was das war, oder was ich gemacht habe.“

Blitzartig stand sie auf und eilte in ihr Zimmer. Nur Sekunden später kam sie mit ihrem Laptop zurück. Energisch fing sie an sich auf die Suche nach Antworten zu machen.

Ich beobachtete sie schweigend und blickte immer wieder skeptisch auf mein Handgelenk. Es war wirklich nichts mehr zu sehen. Nervös schrieb ich Aidan eine Nachricht.

Ava suchte und suchte, doch es ließ sich nichts finden.

Nach einiger Zeit klingelte es. Ich ging in den Flur und öffnete die Tür. Aidan stand verwirrt im Hausflur. Er betrat unsere Wohnung und begutachtete meinen Unterarm.

„Wie ist das möglich?“, fragte er erstaunt.

„Ich habe absolut keine Ahnung…“, entgegnete ich.

Wir betraten die Küche. Ava sah uns ernst an.

„Ich habe da so eine Theorie“, begann sie.

„Und die wäre?“ Aidan zog eine Augenbraue hoch.

„Kannst du mal versuchen, diese Art Hitze wieder zum Vorschein zu bringen?“, fragte sie nervös.

„Wenn ihr einen Feuerlöscher im Haus habt“, lachte er.

Ich nickte und musste auch lachen.

„Den werden wir vielleicht nicht brauchen“, meinte meine Mitbewohnerin und stellte sich direkt vor Aidan.

Unsicher setzte ich mich auf unsere Küchenzeile. Ich war wirklich gespannt, was nun passierte. Aufgeregt ließ ich meinen Blick zwischen den beiden hin und hergehen. Beide schienen sich vollends zu konzentrieren.

Aidan hielt seine Hände vor sich, die Handflächen nach oben zeigend. Er schloss die Augen. Was nun folgte, konnte ich einfach nicht fassen. Kleine Flammen loderten aus seinen Händen. Ava starrte konzentriert auf diese. Langsam legte sie ihre Hände in seine. Die Flammen erloschen.

Erstaunt betrachtete mein Freund sie. „Wie kann das sein?“

Sie sah ihn durchdringend an. Dann nahm sie ihre Hände vor sich und hielt sie in der gleichen Position, wie Aidan es eben getan hatte, nur dass sie eine Art Schale formte, die sich nach ein paar Sekunden mit Wasser füllte.

Ich hatte das Gefühl, als würde ich jeden Moment von der Küchenzeile fallen. Was passierte denn hier bitte? Hatte meine beste Freundin nun auch solche Pseudokräfte?

Aidan schien es auch nicht ganz geheuer. Er verschränkte die Arme vor der Brust.

Ava musterte uns und ließ das Wasser wieder verschwinden.

„Alle Achtung, du hast mir scheinbar viel voraus“, gab mein Freund zu.

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich habe einfach daran gedacht, dass es wieder verschwinden soll und das hat wohl geklappt.“

„Ja, aber Ava… Warum? Wieso kannst du sowas? Und warum kann Aidan Flammen erscheinen lassen?“ Ich war vollkommen verwirrt. War ich die einzig Normale in diesem Raum? Oder würde ich gleich kleine Katzenbabys regnen lassen?

Ava ließ sich auf einen Küchenstuhl fallen. „Nun, habt ihr schon mal von den heiligen Elementen gehört?“

Wir grübelten. Aidan war scheinbar schneller im Denken als ich.

„Aber das würde ja bedeuten, dass es noch andere gibt?“

Sie nickte. „Meinen Überlegungen zur Folge fehlen uns noch Luft und Erde. Wobei es auch Theorien darüber gibt, dass es weitere Elemente gibt.“

Beide starrten sie mich plötzlich an.

„Hey, Leute… Ich weiß ja nicht, was ihr euch gerade erhofft, aber ich kann sowas definitiv nicht.“

„Du hast es noch nicht versucht“, sagte Aidan ernst. Ava stimmte ihm zu.

Nervös rutschte ich von der Küchenzeile und ging in Position. Ich hielt meine Hände vor mich, schloss die Augen und versuchte mich zu konzentrieren.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Die ersten Kapitel sind geschafft :)
Es interessiert mich natürlich wahnsinnig, was ihr bisher davon haltet... Also lasst doch bitte einen Kommentar da :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Armer Lucien </3

Oder was sagt ihr? Seid ihr eher Team-Lucien oder Team-Aidan? Komplett anzeigen

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