Leben - Goldmund
In meiner Schulzeit, so erschien es mir
War ich ständig nur am Träumen
In den Pausen ohne Schule und Messe ruhte ich,
Anstatt anständig zu beten, lieber unter den Bäumen.
Griechisch verstand ich nicht,
Genauso wenig Latein,
Und du sagtest mir:
„Goldmund, es soll nicht sein,
Dass du Mönch wirst im Kloster,
Dass du zölibatär und asketisch lebst,
Dass du zwangsweise Denker und
Am Ende dann unglücklich wirst.
Ich will dich ermahnen, ziehe hinaus
In die weite Welt, die dich erwartet,
Bevor das Leben, das dein Vater dir wollte,
Am Ende noch darin ausartet,
Dass du, der nicht zum Denker geboren,
Am Ende noch einer der Mystiker wirst.
Nicht von deinen Vorstellungen loskommst
Und damit letztendlich die Jugend verdirbst.“
Nun bin ich, wie du’s mir befohlen,
Hinausgezogen in die weite Welt,
Hab nichts zu essen, zu trinken
Und auch keinen Groschen Geld.
Aber wie du es mir prophezeit,
Bin ich glücklicher mit dem Leben.
Ich lebe in den Tag hinein,
Nichts kann mir mehr Freude geben!
Jeden Tag bin ich woanders,
Lach mir viele Frauen an
Und genieße meine Jugend,
Solange ich es kann.
Oft denk ich an dich, Narziss,
Aber immer wieder frage ich mich,
Ob du mein lieber Freund und Lehrer
Auch ab und zu denkst an mich…
Leben - Narziss
Meine Schulzeit im Kloster, ich liebte sie,
Mochte den Unterricht und das Beten,
War fleißig, ward viel gelobt vom Abt,
Mein Leben sollte der Kirche gelten.
Als junger Bursche noch, wurde ich,
Als ich eigentlich noch Schüler war,
Heraufgehoben in den Lehrerstand,
Konnte es kaum glauben, doch es war wahr.
Ich wurde Denker, las Thomas von Aquin
Und auch den von mir bewunderten Platon
Und konnte es einfach nicht verstehen,
Wieso die Schüler keine Freude daran hatten.
Und dann kamst du, ein schwieriger Fall,
Den kein Lehrer so recht leiden wollte,
Weil du faul und verträumt warst
Aber ausgerechnet ich, Narziss, sollte
In dir etwas Besonderes sehen,
Gewann dich schnell zum Freund,
Und du zeigtest mir im Beisammensein,
Wie man lacht und wie man weint.
Die anderen Lehrer und auch schon der Abt
Befürchteten, dass du mich verdirbst,
Ja sie dachten am Ende, mein guter Freund,
Dass du Träumer mich liebst
Und dass das schlimme Konsequenzen hat,
Dass du mich verführen willst zu weltlichem Leben
Und das Kloster in mir einen Mönch verliere
Doch ich sage dir, ich wollte dir nur geben
Was du selber nicht vermochtest,
Den Anstoß das Leben zu leben,
Zu dem du geschaffen bist
Ja, das konnte ich dir geben!
Nun bist du fort und ich sitze im Kloster
Und bete und lehre und denk auch an dich
Doch frag ich mich manchmal
Denkst du auch an mich?
Pest - Goldmund
Ich tanze und singe
Jucheissa, Juchaa,
Schaut her, liebe Leute,
Die Pest ist da!
Sie frisst unermüdlich sich weiter,
Bald lebt niemand mehr im Dorf
Und während wir tanzen und singen,
Nimmt das Schicksal seinen Lauf.
Wir, die Armen, bleiben über,
Unsere Leichen liegen auf den Straßen,
Auch die Kirche hilft nicht,
Der Bischof hat die Stadt verlassen.
Und mit ihm alle die bei Verstand
Und bei genug Geld auch waren.
Aber wir, wir haben davon nichts
Und können nur hier ausharren.
Wenn wir schon hier sind,
Dann können wir doch,
Die guten Weinkeller plündern
Wir durchsuchen jedes Rattenloch
Und schnappen uns alles, was wir finden
Keuschheit vergessen, ein jeder liebt.
Wir feiern, wir lachen, wir trällern ein Lied,
Eben, weil es kein Morgen gibt.
Wenn ich wie oft schon ein Liebchen hab,
Und sie am Morgen dann tot ist,
Dann geh ich sie begraben,
Damit keine der Ratten sie frisst.
Wenn ich dann nach viel Plackerei fertig bin,
Und nüchtern vorm frischen Grabe steh
Dann werden mir Gefahr und Elend erst bewusst,
Ja, wenn ich sie sie nur anseh.
Narziss! Du hättest auch die Leute begraben
Und getröstet, getrauert und gebetet
Und wärst nicht davongelaufen wie der Bischof,
Ach, wenn ich dich nur einmal noch erlebte!
Pest - Narziss
Die Pest ist gekommen
Und mit bedrücktem Schweigen
Würdige ich dies grausame Szenario,
Dieses schreckliche Treiben!
Doch genug des Betens.
„Brüder, lasst uns ins Dorf gehen!
Wir wollen dort den Leuten helfen
Und nicht einfach nur zusehen.“
Doch anstatt Zustimmung höre ich nur:
„Du bist doch verrückt, bitte, nein!
Die, die schon dort sind, sterben sowieso,
Das muss bei dir doch nicht sein.“
Ihr seid so feige, würd ich am liebsten sagen.
Ihr denkt nur an das eigene Wohl
Ihr habt den Sinn des Mönchtums nicht verstanden,
Die einzige Frage, die bleibt, ist: Soll
Ich zum Trotze alleine von hier weg gehen
Und den Menschen helfen allein für Gottes Dank?
Oder dürft ich dann nimmer zurück zum Kloster,
Weil sie dann denken, ich wär auch schon krank?
Doch ich fürchte mich nicht vor der Pest
Und auch nicht vorm frühen Ende meinerseits,
Denn ich vertraue dem Herrn, dem ewigen Gott.
Der allmächtige Vater hat nämlich bereits
Alles für mich entschieden und lässt mich sterben,
Wann er will und nicht eine Stunde eher
Wieso also nicht nach draußen gehen?
Was will ich also mehr?
Doch eine Furcht, die gibt es in mir,
Weshalb ich nicht gehe in der Städte Straßen
Was wäre, wenn ich dich da draußen fände,
Mausetot, geschändet, von allen verlassen.
Ich würde dich, Goldmund, bei mir begraben
Im Klostergarten vorm heiligen Haus
Doch ich könnte es nicht ertragen, dich tot zu wissen
Und risse mir dann selber das Herz heraus.
Aussage der Geschichte
Doch eine Frage bleibt offen stehen
So mancher wird sich das schon fragen:
Was soll denn nun diese Geschichte,
Um die es hier geht, aussagen?
Da gibt es gar vieles und jeder Leser
Wird darin was anderes finden
Ich kann nur von mir reden
Und meine Meinung darbringen.
Als eine Aussage dieses Werkes
Finde ich, ganz einfach gesagt:
Dass nicht jeder zu dem
Von anderen Vorbestimmten taugt.
So hätt’s der lebensfrohe Goldmund
Schlecht als Mönch zu leben geschafft.
Genauso könnte ich mir auch nie vorstellen
Einen Narziss auf zielloser Wanderschaft.
So komm ich gleich zu dem Wichtigsten,
Das sicher am meisten auffällt.
Und mir ganz persönlich
Auch am besten gefällt.
Narziss und Goldmund, diese Zwei,
Sie sind grundverschieden
Gegensätzlicher, wie es kaum geht
Deshalb konnten sie einander gut leiden.
Jeder Mensch sucht unermüdlich
Nach seinem Gegenstück,
Das ihn vervollständigt,
Damit sie dann beide im Glück
Miteinander sein können.
Goldmund zieht in die Welt hinaus
Während Narziss nicht sucht,
Sondern scheu wartet in seinem Zuhaus.
So bewahrheitete es sich wieder mal,
Auch wenn viele nicht glauben daran,
Es ist doch immer wieder so:
Gegensätze ziehen sich an.