Romantik auf dem Riesenrad
Kapitel 15
Romantik auf dem Riesenrad
„In einer halben Stunde macht der Park dicht.“ Clyde hat sich eine große Schale Pommes mit einer extra Portion Ketchup gekauft und kaut gerade mit vollen Backen, als er fortfährt: „Wir haben alles durch. Nur noch das Riesenrad fehlt, Leute.“ Ich bin schon froh genug darüber, dass ich mich irgendwie an der gigantischen Achterbahn habe vorbeimogeln können, doch mir ist schnell klar, dass derselbe Trick nicht auch noch bei dem Riesenrad funktionieren wird. Ich schlucke einmal und versuche nicht an den riesigen Koloss aus Eisen und Rädern zu denken, den ich selbst von hier aus und in der Dunkelheit schon sehen kann mit seinen vielen weißen Lichtern, die seinen Umriss nachzeichnen. Ich sehne mich nach einem Kaffee und beschließe, bei dem nächsten Stand, den ich finde, einen zu kaufen, ganz gleich zu welchem Preis.
„Ich will nicht auf das Riesenrad!“, mault Token und verschränkt die Arme vor der Brust. Irgendwie kann ich mir bei ihm nicht vorstellen, dass er Höhenangst oder so etwas hat, das würde ganz und gar nicht zu dem Token passen, den ich kennen gelernt habe. Höchstens findet er das Riesenrad zu langweilig. Clyde gibt ihm Recht und stopft sich die letzte Pommes in den Mund. „Lass uns noch mal mit der Achterbahn fahren, Token!“
Die beiden trennen sich kurzerhand von uns und nun wartet das Riesenrad nur noch auf mich und Craig, der neben mir steht und meine Hand hält. „Beeilen wir uns ein bisschen“, sagt er und lächelt. „Sonst kommen wir nicht mehr drauf!“ Ich nicke und meine dann: „Von mir aus, aber vorher brauche ich noch einen Kaffee!“
Irgendwo besorgen wir mir noch rechtzeitig einen Pappbecher, der mit einer übel riechenden Brühe gefüllt ist und für den ich mehr Geld ausgeben musste, als ich überhaupt befürchtet hatte. Naja, wenigstens ist er nicht koffeinfrei, denke ich mir und spüle das Zeug auf dem Weg zum Riesenrad mit zusammengekniffenen Augen hinunter.
Wenn man direkt vor dem Rad steht, wirkt es sogar noch größer und Furcht einflößender als von weitem. Ich muss den Kopf ganz tief in den Nacken legen, sodass ich meine Haarspitzen fast an meinem Schultern spüren kann, um die Gondel erkennen zu können, die gerade am obersten Punkt stehen geblieben ist. Was, wenn Craig und ich gerade in dieser Gondel sitzen und der Park macht genau in diesem Moment zu? Dann würden wir die ganze Nacht dort oben festsitzen und vielleicht erfrieren! Warum sind wir nur so spät hierhin gekommen?! Ich wünsche mir noch einen Kaffee und versuche mein Zittern zu kontrollieren, das mir mit jedem Schritt, den wir in der kurzen Warteschlange vorrücken, unbändiger zu werden scheint.
„Ist alles in Ordnung mit dir, Tweek?“ Craig flüstert die Worte, damit die anderen Besucher des Freizeitparks sie nicht mitbekommen. Das ist sehr nett von ihm. Ich nicke schnell und als ich merke, dass Craigs skeptisch-sorgenvoller Blick nicht verschwunden ist, sage ich: „Jaja, klar, alles okay. Ich hätte nur gerne noch einen Kaffee. Das Zeug eben hat furchtbar geschmeckt!“ Das erscheint ihm wohl plausibel, jedenfalls beugt er sich zu mir hinunter und meint: „Wenn wir wieder im Hotel sind, kann ich dir Kaffee aus der Küche holen. Den magst du doch, oder?“
Ehe ich noch einmal antworten kann, ist eine Gondel freigeworden und Craig und ich sind jetzt die ersten in der Reihe. Wir setzen uns zu zweit hinein und ich versuche mit abzulenken, indem ich mir sage, dass diese Gondel wirklich sehr hübsch ist. Sie ist klein und kreisrund und an den Seiten offen, sodass man sich den dunkelblauen Nachthimmel anschauen kann, in den man hochfliegt, und weiß angestrichenen. Richtig romantisch ist es hier. Meine Hände beben. Und es gibt keine Sicherheitsgurte. Man kann sich völlig frei bewegen, sogar aufstehen, wenn man möchte. Wenn die Gondel umkippt, fliegen wir heraus und landen zu Brei zerschlagen auf dem dunklen Asphalt am Boden. Aber nicht einmal das muss passieren, es reicht doch schon, wenn Craig kurz aufsteht, stolpert – und dann fliegt er kopfüber aus der Gondel, denke ich und spüre, wie mir der Atem bei diesem schrecklichen Gedanken wegbleibt.
„Tweek?“ Craig greift nach meiner Hand, und fragt mich wieder, ob wirklich alles okay sei. Ich kann sehen, dass er wieder seinen sorgenvollen Blick aufgesetzt hat und plötzlich möchte ich ihm unbedingt beweisen, dass er sich doch keine Sorgen um mich machen muss. „Es ist echt alles okay, Craig. M-mach dir keine Sorgen, mir geht’s gut!“ Ich drücke seine Hand und schaue ihm mit dem sichersten Blick, den ich hervorkramen kann, in die dunklen Augen. Er scheint beruhigt und lächelt mich an. Wieso lächelt er eigentlich die ganze Zeit? Schon seit Token erwähnt hat, dass er und Clyde lieber noch ein letztes Mal auf die Achterbahn gehen!
Unsere Gondel setzt sich langsam in Bewegung. Ich habe aus meiner Fahrt mit der Wasserbahn gelernt und bemühe mich, bloß nicht nach unten zu schauen. Wenn ich Craig angucke, der mir genau gegenüber sitzt, ist es eigentlich gar nicht so schlimm. Eigentlich ist es wirklich ziemlich romantisch. Craig und ich, in dieser weißen Gondel, um uns herum der Sternenhimmel… Ich muss wieder daran denken, dass wir noch keinen Zungenkuss gehabt haben, und obwohl mich der Gedanke stört, dass der erste Tag unserer Beziehung ohne einen vernünftigen Kuss zu Ende gehen wird, spreche ich Craig nicht darauf an. Irgendwie bin ich ja auch nervös bei dem Gedanken. Pip und ich haben nicht über Zungenküsse geredet, nicht ein einziges Mal, bloß über das erste Mal Sex und Handschellen und Orgasmen. Ich spüre, wie mein Mund trocken wird, und versuche ein paar letzte Reste Speichel unter meine Zunge hervorzukramen. Einen trockenen Mund zu küssen ist bestimmt nicht schön.
Craig sitzt immer noch mir gegenüber, ganz lässig, freundlich lächelnd. Er schaut mich an und ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich habe das komische Gefühl, dass er auf irgendetwas wartet, doch ich verstehe nicht, worauf. Will er mich hier oben küssen und wartet auf ein Zeichen von mir, dass ich dafür bereite bin? Ich bin bereit! Aber mir fällt keine Möglichkeit ein, Craig das mitzuteilen, ohne mich völlig zu blamieren und knallrot im Gesicht zu werden.
Ich beginne wieder zu zittern, mir ist es peinlich, und als unsere Gondel stehen bleibt, weil sie den höchsten Punkt erreicht hat, zucke ich einmal ganz kurz zusammen. Sollen Craig und ich uns jetzt küssen? Die Umgebung für einen ersten Zungenkuss ist absolut gegeben, finde ich, und versuche meine bebenden Hände ruhig zu halten.
Als Craig immer noch nichts sagt und nichts tut (was ja mal wieder so typisch für ihn ist!) beschließe ich, selbst die Initiative zu ergreifen. Ich suche nach den richtigen Worten und muss -wieder einmal- feststellen, dass sie irgendwo sind, nur gerade nicht in meinem Kopf und griffbereit. Aber muss ich denn überhaupt etwas sagen? Das Beste ist doch, ich gehe irgendwie auf ihn zu…
Wenn ich mich nur trauen würde, in dieser wackeligen Gondel aufzustehen! Sie ist nicht groß, ein halber Schritt und ich wäre bei Craig, doch sie wackelt ganz schlimm, wenn man sich zu sehr bewegt und ich muss wieder daran denken, was passiert, wenn man hier heraus fällt. Aber bleibt mir denn eine andere Wahl? Bald ist der Moment vorüber, unsere Gondel wird wieder nach unten gefahren und aus ist es mit dem romantischen Kuss.
Ich atme einmal tief durch, zwinge mich mit aller Kraft, nicht nach unten zu gucken, bloß nicht nach unten, nicht nach unten, nicht nach unten, und nicht daran denken, was alles passieren könnte, nicht daran denken, nicht…! Ehe ich wieder einen vernünftigen Gedanken fassen kann, stehe ich schon direkt vor dem noch immer ganz lässig und breitbeinig dasitzenden Craig und wünsche mir mit einem Mal, überall zu sein, bloß jetzt nicht mit ihm allein in dieser Gondel. Ich spüre, wie ich rot werde, knallrot, und ich beginne irgendwelche Worte zu stammeln, weil ich nicht weiß, was ich sagen oder tun soll. Wieso habe ich mir vorher nicht irgendeinen Satz zurecht gelegt?!
Craig schaut zu mir hinauf und obwohl er dieses Mal viel kleiner ist als ich, komme ich mir schon wieder vor wie ein Zwerg, der von seinem Blick und seiner unglaublichen Lässigkeit zerdrückt wird. Ich schlucke, zittere, und habe Angst.
Dann streckt Craig seine Hände nach mir aus, seine großen, starken Hände, und zieht mich völlig ohne Anstrengung zu sich auf seinen Schoß. Ich fühle mich gut hier, ich sehe sein Gesicht, seine blaue Mütze und den Sternenhimmel hinter ihm, und ich spüre seine Wärme und die starken Arme, die sich um meine Brust gelegt haben.
„Na?“, meint Craig und grinst wieder dieses freche Grinsen, das er mir immer schenkt, wenn er sich einen Kuss oder eine Umarmung von mir erhofft oder mit mir flirtet - und es ärgert mich, dass er mich sogar in dieser romantischen Situation so anschaut! „Hast du nicht noch etwas vor, Tweek, bevor wir wieder unten sind?“ Sein Grinsen wird breiter.
Bestimmt erwartet er gar nicht, dass ich mich traue, ihn zu küssen, denke ich. Bestimmt glaubt er wieder, er muss es am Ende selbst machen. Wie eben, da habe ich es ja auch nicht fertig gebracht. Und wieder regt sich in mir dieser Drang, es Craig heimzuzahlen. Ich will ihm beweisen, dass ich durchaus in der Lage bin, auch mal den ersten Schritt zu tun!
Ich nehme sein Gesicht in beide Hände, wie er gerne bei mir tut und ich spüre den Stoff seiner blauen Mütze. Um ihn zu ärgern, reiße ich sie ihm partout vom Kopf und fühle endlich sein schönes schwarzes Haar zwischen meinen Fingern. Ich kann sehen, dass Craig überrascht schaut, er hat also tatsächlich nicht erwartet, dass ich mich das trauen würde. Na warte!
Craig würde von mir jetzt den romantischsten, schönsten Kuss bekommen, den er sich überhaupt nur vorstellen kann!
Ich drehe seinen Kopf, den ich zwischen meinen Händen halte, ein Stückchen nach oben. Schließlich sitze ich immer noch auf ihm und ich möchte nicht, dass sich einer von uns den Kopf verrenken muss. Es soll romantisch werden, perfekt! Meine Hände zittern, ich fahre mit ihnen durch sein weiches Haar, und schaue Craig in die Augen. Die Überraschung ist aus ihnen verschwunden, dafür wirkt er umso erwartungsvoller. Dir wird ich’s zeigen!
Langsam nähere ich mich seinen Lippen, ganz langsam, er soll jeden Zentimeter spüren, den ich näher komme. Dann schließen wir unsere Augen und ich drücke vorsichtig meine Lippen auf seine, und diese samtige Wärme, die von ihnen ausgeht, raubt mir fast den Verstand. Ich reiße mich zusammen, dieses eine Mal werde ich mich zusammenreißen und ihm zeigen, dass ich unseren ersten Zungenkuss schaffen kann!
Ich spüre seine Lippen, sie erwidern den Kuss, und für einen Moment weiß ich wieder nicht, was jetzt zu tun ist. Wie küsst man mit der Zunge? Irgendwie muss ich wohl in seine Mundhöhle hineinkommen, eben der Zunge wegen. Ich improvisiere und lecke einmal ganz kurz über Craigs Unterlippe, damit ich es –falls sich dieser Versuch als absolut falsch herausstellt- als einmaliges Versehen tarnen kann. Doch ich scheine tatsächlich Glück zu haben und das Richtige getan zu haben: Craig öffnet den Mund, ganz langsam, und plötzlich spüre ich, wie seine Zungenspitze meine anstupst.
Ich erwidere es, stupse mit meiner eigenen Zungenspitze seine an. Ich weiß, dass ich gewonnen habe, darum lasse ich Craig die Oberhand gewinnen. Er scheint erfahrener zu sein als ich, was Zungenküsse angeht, jedenfalls ist er dabei nicht so ungeschickt wie ich, und ich möchte es uns nicht verderben, indem ich mit meiner Unerfahrenheit irgendwelche lächerlichen Fehler begehe. Ich frage mich, ob Craig der Kuss gefällt. Er stupst mit seiner Zunge nicht nur an meiner, er leckt auch über meine Lippen, knabbert ein- oder zweimal an ihnen, fährt mit der Zunge durch meine Mundhöhle, und ist bei allem so unglaublich vorsichtig und zärtlich, dass ich wieder das Gefühl bekomme, dass er in mir eine zerbrechliche Porzellanpuppe sieht. Aber es gefällt mir. Es ist wirklich unglaublich schön. Das Innere meines Brustkorb kribbelt bei jeder Berührung seine Zunge, und wenn er irgendetwas mit meiner eigenen Zunge oder meinen Lippen anstellt, was sich neu und schön anfühlt, merke ich, wie mein ganzer Körper zu zittern und beben beginnt, aber nicht auf eine schlechte Weise. Ich glaube, ich zittere und bebe vor Lust bei diesem Kuss.
Irgendwann ist er vorbei. Ich zittere immer noch und versuche das schöne Kribbeln in meiner Brust und in meinem Bauch noch einen kleinen Moment zu behalten und auszukosten, doch es verschwindet schnell. Unsere Gondel fährt wieder nach unten, und ich beeile mich, von Craig herunter zu kommen und mich neben ihn zu setzen, weil ich nicht möchte, dass die Leute unten unsere… naja, unsere Zärtlichkeiten mitbekommen.
Er legt seinen Arm um meine Schulter und grinst wieder. Diesmal ist es dieses Grinsen, das Leute aufsetzen, die sich unglaublich gut fühlen, weil sie glauben, ganz tolle Arbeit geleistet zu haben, die besser ist als die von irgendjemand anderem. Ich finde, Craig grinst zurecht dieses Grinsen. „Wie hat’s dir gefallen, Tweek? War’s schön?“ Er drückt mich fest und gibt mir noch einen Kuss auf’s Haar. „Unglaublich!“, gestehe ich und seufze auf. „Schade, dass wir nicht noch eine R-runde fahren können, aber der Park schließt ja gleich.“
„Mach dir keine Sorgen, Tweek!“, er zwinkert mir zu, als wir aus der Gondel steigen, und lacht leise. „Wenn du willst, können wir das jeden Tag machen, versprochen!“
Ich mag dieses Kapitel, trotz relativ wenigen Inhalts. Ihr hoffentlich auch! ;)
Und sorry, dass es letzten Dienstag kein neues Kapitel gab... Mein PC wurde umgestellt, da ging das einige Zeit lang mit dem Internet nicht mehr so gut. Aber nächsten Dienstag gibt es auf jeden Fall wieder eins!^^
„Mir geht’s gut“, sage ich und merke, dass meine Stimme seltsam leise und dünn klingt, „ich habe nur, gah, an was denken müssen.“
„Und woran?“
„Das-das ist doch egal, oder?!“
„Ist ja schon gut! Musst ja nicht gleich so zickig werden!“ Craig wirkt beleidigt und schaut absichtlich an mir vorbei.
„Ich bin nicht zickig!“
„Doch, bist du, definitiv.“
„Ach, lass mich doch in Ruhe!“
(Auszug aus Kapitel 16 "Kein Heimweh")
bye
sb