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Dunkles Vergessen

von

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Schwarz rieselte die feine Asche auf die Erde, welche der Wind über der ganzen Lichtung verteilt hatte. Das Feuer loderte immer noch; er hörte es knistern und fühlte die Wärme der alles verzehrenden Flammen. Er musste nicht zum Feuer hinüber blicken um zu wissen, dass es noch eine ganze Weile lodern würde.

Er stand mit geschlossenen Augen, dem Feuer abgewandt und lauschte den leisen Atemzügen seiner Schwester.

Es war kein großer Kampf gewesen, aber er hatte ihr ein wenig Freude, ein wenig Abwechslung bereitet. Ihr Gesicht würde jetzt glühen und die Augen leuchten. Er wusste es, kannte er sie doch fast wie sich selbst. Gewöhnlich würde er sagen, dass niemand anderes sie so kannte, wie er es tat, aber sie waren nicht gewöhnlich.

Und so passte er seine Atemzüge den ihren an und genoss einen kurzen Augenblick die Stille ihrer Verbundenheit und dann ließ er seine Gedanken schweifen …
 

… Die Nacht war schwarz gewesen, fast ebenso schwarz wie der fallende Ruß. Die Steine auf dem Boden waren kalt und nur spärlich mit dreckigem und stinkendem Stroh bedeckt. Und das wenige Licht, das durch den Spalt der Holztür drang, konnte man eigentlich nur als geringere Finsternis bezeichnen.

Neben sich hörte er gelegentlich seine Schwester schluchzen. Sie saß dort schon seit Stunden, völlig unbewegt. Mittlerweile waren ihre Tränen versiegt, ihr Köper schien keine Kraft für mehr als ein paar trockene Schluchzer zu haben.

Es war seltsam! Er hatte später ein paar andere gefragt, an was sie sich aus DIESER Zeit erinnern konnten und kaum einer hatte so starke Erinnerungen wie er, was angesichts seines damaligen Zustandes ein echte Leistung war, wenn auch eine völlig unbedeutende.

Die Schmerzen waren höllisch gewesen, das schlimmste, was er bis zu diesem Zeitpunkt kannte. Obwohl es bei Leibe nicht die erste Prügel seines Lebens gewesen war; doch diese widerlichen Kreaturen hatten seinen Tod mehr als wohlwollend in Kauf genommen und vielleicht wäre es für ihn sogar gnädiger gewesen, wenn er daran gestorben wäre. Sein Gesicht hatte sich angefühlt, als wäre es durch den Fleischwolf gedreht worden. Sein linker Arm stach fürchterlich, bei jedem Versuch ihn zu bewegen; er konnte kaum und auch nur sehr flach atmen; es war die reinste Qual. Bestimmt waren einige Rippen gebrochen. Und wahrscheinlich war es leichter zu sagen, was nicht schmerzte: Nichts!

Vorrangig versuchte er ein Stöhnen zu unterdrücken und den Körper so schmerzarm wie möglich zu halten.

Und dennoch war das nicht das Schlimmste für ihn gewesen. Das Schlimmste war das Gesicht seiner Schwester, als diese Bestien sie zwangen dabei zu zusehen, wie ihm das angetan wurde. Sie hatte sich so verzweifelt gewehrt und doch nichts erreichen können. Sie hatte seinen Namen geschrien, doch in dem Moment brach seine Erinnerung ab, für Stunden.

Er hatte sie gefragt, was danach geschehen war mit ihr, ob eines dieser Tiere sie … Doch das war das einzige in ihrem Leben, was sie nie erzählt hatte. Für ihn war es Antwort genug. Zu gern würde er diese Monster noch einmal töten. Sein einziger Trost war, dass ihr nie wieder jemand etwas antun konnte. Dafür hatte das Schicksal gesorgt.

Doch damals konnte er nichts tun und so hatte ihr Schluchzen ihn irgendwann wieder ins Leben zurück gerufen.

Er wusste, dass sie dachte, sie hätten ihn umgebracht, doch sie hatten es nur beinah geschafft. Doch was nütze ihm das, denn selbst wenn sie die Nacht überleben sollten, gab es keine Hoffnung für sie, dann würden sie Beide dennoch am nächsten Morgen sterben.

Er hätte gerne etwas Aufmunterndes gesagt, doch selbst wenn er dazu in der Lage gewesen wäre, hatte er selbst keine Hoffnung, keinen Trost mehr, weder für sie noch für sich selbst. Sie würden morgen gemeinsam sterben für ein Verbrechen, das sie nicht begangen hatten. Und sich auch noch dabei zu sehen.

Er hatte es bei anderen gesehen: Liebende, Mütter mit ihren Kindern, die man mit den Gesichtern zueinander gebunden hatte, bevor man die Scheiterhaufen ansteckte. Deren einzige Hoffnung war im schwarzen Rauch zu ersticken, bevor man sah und fühlte, wie die Haut sich schälte und Augäpfel platzten. Es war eine verfluchte Ungerechtigkeit gewesen, nur weil sie Waisen waren und unter Niemandes Schutz standen, nicht einmal unter dem des Gutsherren, waren sie denunziert worden wegen gottverdammtem schlechten Wetter, wie es alle paar Jahre auch zu dieser Jahreszeit geschah. Doch für die Leute war das nur all zu sehr die Möglichkeit gewesen dieses merkwürdige Geschwisterpaar als Hexen zu entlarven. Es hatte nicht mal einen Prozess gegeben, oder war er zu dem Zeitpunkt schon bewusstlos gewesen? All zu lang kann der dann ja nicht gewesen sein.

Er sah sein Leben Revue passieren und es war ein schlechtes gewesen, hart und entbehrungsreich und ohne seine Schwester hätte er nicht einmal sein jetziges Lebensalter erreicht. Sie hatte immer gekämpft und seine Hoffnung am Leben gehalten.

Er hätte ihr so gern gedankt und konnte es nicht, konnte die aufgeplatzten Lippen nicht bewegen, brachte nicht mehr als ein Gurgeln heraus.

Es reichte, dass seine Schwester ihn noch hörte.

Ihre Schluchzer brachen ab und an dem leichten Schaben hörte er, dass sie zu ihm herüber robbte. Doch auch sie hatte keine Worte und so versuchte sie nur seinen Kopf in ihrem Schoß zu betten.

Heiße Tränen rannen über sein Gesicht, brannten in den offenen Wunden.

Mühsam öffnete er die geschwollen Augen und blickte in ihr Gottseidank unversehrtes Gesicht.

So blieben sie sitzen, lauschten ihren abgehackten Atemzügen.

Irgendwann schwanden ihm wieder die Sinne.

Das Nächste, woran er sich erinnerte, waren raue Stimmen und grobe Hände, die ihn hochzerrten und nach draußen schleiften. Eine wütende Menge und sehr viel Schmerz. Er warf einen letzten Blick auf seine Schwester, ihr Kinn stolz erhoben, verfluchte sie mit den Augen die ganze Meute, die sich an dem Schauspiel belustigen wollte … dann kam das Feuer.

Er hatte eigentlich gedacht, er wäre zusammengebrochen, Janes Schreie gellten in seinen Ohren.

Aber dann war es ganz unvermittelt wieder da, das Brennen, die Hitze.

So gab es nicht einmal hier Gerechtigkeit. Die Pfaffen hatten wohl Recht und ihnen blieb nur das ewige Fegefeuer.

Er wollte sterben und konnte nicht, denn er war ja schon tot.

Er schrie und schrie. Und trotz all der Qual kam er nicht darum seine Schwester zu bemitleiden, die neben ihm brannte.

Und dann war es vorbei gewesen und sie waren wieder zusammen.

Es hatte einige Zeit gebraucht zu verstehen wer und was sie waren, nicht tot, nicht lebendig, aber stärker als alles ihnen bis dahin Bekannte.

Aro hatte sie retten lassen, noch vom Scheiterhaufen herunter.

Er hatte sie schon als Leibeigene bezahlt, noch bevor sie ergriffen worden waren, doch die Menschen hielten sich nicht an den Vertrag und so wären seine Wachen fast zu spät gekommen.

Doch nur fast.

Sie beide waren ihm dankbar und von da an treu ergeben.

Nie hatten sie etwas verlangt, alles aber freiwillig gegeben.

Ein Lächeln schlich sich auf seine Züge, nein, das stimmte nicht, eines hatten sie beide gewollt, das Leben ihrer Peiniger, das Leben der wertlosen Menschenbrut. Und Aro hatte es gewährt.

In dem Moment, in dem sie auf das Dorf losgelassen wurden, hatte sich auch das erste Mal die Fähigkeit der beiden gezeigt. Jane hatte die Schmerzen und das Leid genossen, das sie verursachte, so wie er die hilflosen, dumpfen Gesichter. Als sie fertig waren, hatte es kein Leben mehr an diesem Ort gegeben. Und obwohl es hart an der Grenze der Regeln der Volturi war, war Aro hoch zufrieden mit ihnen gewesen. Schnell gehörten sie zum innersten Kreis.

Wo sie erschienen, herrschte nackte Angst in den Gesichtern aller Vampire, weniger wegen ihm, als wegen seiner Schwester, der Königin der Schmerzen.

Er jedoch konnte nur sagen, dass er sie liebte, er sah sie so, wie sie ist und immer war.

Und sie dankte ihm dafür auf ihre Weise.

Denn das Lächeln, mit dem sie ihn immer begrüßte, war einzigartig, nicht einen der Meister, auch Aro nicht, sah sie so an und er nahm es als das wahr, was es war: ein Geschenk.

Denn obwohl, seitdem sie Menschen gewesen waren, mittlerweile nicht Jahrzehnte, sondern Jahrhunderte vergangen waren, konnte sie noch immer keine lang anhaltenden körperlichen Berührungen ertragen. Sie konnte nicht vergessen, ebenso wenig wie er, sie waren gegenseitig ihrer beider Halt und Anker …
 

… Plötzlich fuhr er zusammen, war es Sekunden später oder Stunden, er konnte es nicht sagen; er hatte nicht darauf geachtet.

Aber in Anbetracht der Tatsache, dass das Feuer merklich herunter gebrannt war, musste einiges an Zeit vergangen sein.

Eine federleichte Berührung an seiner Hand war es, die ihn aus seinen Gedanken gerissen hatte. Mit fragendem Blick in das Gesicht seiner Schwester schlossen sich seine Finger um die ihren. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, bevor sie ihm die Finger wieder vorsichtig entzog. „Komm, lass uns nach Hause gehen!“

Der Weg war bedeutungslos und so folgte er ihr in die Welt aus Licht und Schatten, in die sie gehörten, zusammen.

Für jetzt und immerdar.



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