Schwachpunkte
Dr. McKay musste sich nicht umdrehen um zu wissen wer grade sein Labor betreten hatte. Er verbrachte soviel Zeit mit diesen Leuten dass er jeden Bewohner von Atlantis schon am Rhythmus der Schritte erkannte. Er tippte weiter wie wild auf seinem Laptop herum, konnte aber nicht verhindern dass er die Bewegungsgeräusche visualisierte. Federnder Schritt, kräftiges absetzen der Füße und kurzes rascheln der Militärhose - Lieutenant Colonel John Sheppard hatte sich also entschlossen dass ein Hive mit direktem Kurs auf Atlantis höhere Priorität hatte als Lieutenant Collister, wie knackig ihr Hintern auch immer sein möge.
Routiniert bestätigte Rodney seine Fortschritte am neuen Decodermakro und machte sich an die nächste Zeile. Ein leichtes Hopsen und ein tiefer Atemzug im Hintergrund, erzeugten das nächste Bild in Rodneys Kopf.
Sheppard hatte sich lässig auf die Tischkante geschwungen, würde ihm jetzt ein paar Sekunden beim Tippen zusehen und anschließend eine seiner üblichen desinteressierten Floskeln ablassen, die Militärpersonal stets für Wissenschaftler bereithielt. Selbst wenn man seit Jahren mit diesem Wissenschaftler zusammenarbeitet oder dieser Wissenschaftler im Wochentakt allen Missionsmitgliedern den Arsch rettet, ja selbst dann wenn akuter ZPM Mangel herrscht und ein verdammtes Hive voller ausgehungerter Wraith in Lichtgeschwindigkeit auf sie zukam.
Erschrocken drückte Rodney die herausgesprungene Taste wieder an ihren Platz und hoffte inständig dass sein stetig aggressiver werdendes Tippen keine bleibenden Schäden hinterlassen hatte. Immerhin war dies sein Lieblingslaptop.
Vorsichtig betätigte Rodney die Taste und stellte erfreut fest dass er auch zukünftig nicht auf Backspace verzichten musste, auch wenn ein Genie wie er diese Taste kaum benötigte.
Er überflog flüchtig seine letzten Eingaben und wollte grade fortfahren als ein leises Räuspern seine Aufmerksamkeit wieder auf Sheppard lenkte. Die Zeit für eine ironische Bemerkung und anschließende wasserfallartige Erläuterungen im feinsten Fachchinesisch stand kurz bevor. Kurz fragte sich Rodney noch ob die Militärs wohl jemals begreifen würden dass dies die ausgeklügelte Rache der Wissenschaft für die grenzenlos arrogante Coolness der Soldaten war, dann drehte er sich um.
Obwohl die einzige andere Person in diesem Raum ihm den Rücken zu wandte versuchte John zwanghaft seine Füße stillzuhalten und einen lässigen Eindruck zu erwecken. Sein Ruf würde unweigerlich Schaden nehmen sollte jemand erfahren dass er - John Sheppard - aufgeregt auf die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Untersuchung wartete. Unter normalen Umständen wäre diese Situation auch vollkommen undenkbar, aber die Umstände waren alles andere als Normal. Er selbst hatte die Mission geleitet bei der sie versuchten mit einem Jumper auf das herannahende Hive zu gelangen und dessen Systeme zu sabotieren und er war es auch der zum Rückzug trompetete, als die ganze Aktion geradezu bombastisch scheiterte. Man sollte meinen dass bei seiner Erfahrung, was das Eindringen in feindliche Schiffe anging, solch ein Fauxpas nicht passieren würde, aber wer konnte schon Ahnen dass die Crew des Schiffes nicht nur vollzählig, sondern auch noch wach war?
Als einziger greifbarer Strohhalm verblieb nun dieser Datenspeicher den sie vom Hive hatten entwenden konnten. Das war zwar nur ein kleiner Trost, aber mit ein bisschen Glück konnte dies der Schlüssel zum Sieg sein. Denn die Wraith mochten zwar außer Menschen aussaugen und Dromeus jagen keine weiteren Hobbys pflegen, aber sie waren akribische Datensammler. Jeder Angriff und jedes Manöver wurde gründlich geplant und sorgfältig archiviert und genau das machte diese bürokratischen Monster verwundbar. Die Chancen standen gut dass die Speichereinheit das taktische Vorgehen oder sogar einen gewaltigen Schwachpunkt der Technologie offenbarte. Was auch immer für Informationen enthalten waren, McKay würde sie entschlüsseln, einen Plan entwickeln, diesen in letzter Sekunde verwerfen, spontan eine Idee bekommen und den Tag retten. Allerdings würde John sich eher die Zunge abbeißen als freiwillig zuzugeben dass in den meisten Fällen die Wissenschaftler die rettende Kraft darstellten. Schließlich übte er seine Heldenpose und das lockere Schwingen der P-90 nicht tagtäglich vor dem Spiegel um die Lorbeeren an einen intellektuellen Sozialphobiker abzutreten. Insbesondere nicht an diesen Speziellen.
Das wütende Tastaturgehämmere von McKay riss in wieder aus den Gedanken und John beschloss das es an der Zeit war endlich in Erfahrung zu bringen welche Informationsschätze sich im Datenspeicher verbargen. Er räusperte sich verhalten und setzte einen gelangweilten Blick auf als Rodney sich zu ihm umdrehte.
„Na schon was Brauchbares gefunden oder waren sie zu beschäftigt den Laptop zu misshandeln?“, fragte John und amüsierte sich insgeheim über die spontane Reaktion in Rodneys Mimik. Die auftretende arrogante Miene des Wissenschaftlers war so schwer dass John jeden Moment damit rechnete das sie ihm mitsamt der Nase aus dem Gesicht fiel.
„Nun ICH habe die letzten Stunden gearbeitet, anstatt mich im Angesicht der Gefahr um eine letzte Nummer vor dem Untergang zu bemühen.“
Grinsend zog John eine Augenbraue hoch. „Die Situation müsste auch schlimmer sein damit dass von Erfolg gekrönt wäre.“
„Uns sind die ZPMs ausgegangen und die Wraith sind hierher unterwegs, was bitte könnte schlimmer… „, erwiderte Rodney wild gestikulierend, brach dann aber ab um dem Soldaten einen giftigen Blick zuzuwerfen. „Nur damit das klar ist, ich könnte jederzeit… .“
„So genau wollte ich das gar nicht wissen“, wurde er von John unterbrochen, „allerdings gibt es etwas das ich wissen möchte.“ Ohne weiter auf den Wissenschaftler einzugehen ging er zum Tisch und nahm den Datenspeicher in die Hand. Fragend hielt er ihn Rodney vor das Gesicht. „Also, was für Geheimnisse verbergen sich hier?“
Rodney seufzte resignierend auf und begann ein paar Sachen einzusammeln. „Der Speicher enthält mehrere Videodateien. Ich hab bereits ein Makro geschrieben das es uns ermöglichen sollte die Dateien zu öffnen. Wenn wir die Computerkonsole im Gateraum benutzen können wir gleich den Übersetzer dazuschalten.“
Erfreut stieß sich John vom Tisch ab. „Worauf warten wir dann noch?“
~*~
Gewissenhaft stöpselte Rodney die letzte Datenverbindung zwischen dem Datenspeicher und der Konsole ein, während er die aufgeregten Blicke des Personals und seines restlichen Teams wohlwollend ignorierte. Per Knopfdruck aktivierte er die Übertragung und ein Strom von kryptischen Symbolen ergoss sich über den Monitor, nur darauf wartend durch den Decoder gejagt zu werden.
„Dr. McKay, in zwei Stunden stehen die Wraith vor unserer Haustür, könnten sie sich vielleicht etwas beeilen?“, drängelte Richard Woolsey nervös.
„Ich kann nicht zaubern.“, erwiderte der Wissenschaftler ruhig und gab einen letzten Befehl in den Computer ein. „Nun vielleicht doch.“, fügte er hinzu als gleich darauf der Monitor das Bild von einem Raum preisgab der architektonisch ganz eindeutig von den Wraith stammte.
Gespannt starrten alle Augen auf den Monitor und verfolgten wie eine Person aus einer zwielichtigen Ecke des Raumes ins Licht trat.
Ein erschrockenes Raunen ging durch die Menge als die Person sich zu erkennen gab. Teyla und John warfen sich vielsagende Blicke zu. „Michael!“
„Dann ist unser alter Kumpel also mal wieder auf dem Rachetrip“, kommentierte Major Lorne die Bilder auf dem Monitor.
„Das werden wir gleich erfahren“, erwiderte Rodney, „da ist noch mehr drauf. Ich bin gespannt was er zu sagen hat.“
Sofort konzentrierte sich die Aufmerksamkeit zurück auf den Bildschirm.
Der Video-Michael verbeugte sich kurz und entblößte seine Zähne in einem, nach Wraithmaßstäben, vermutlich charmanten Lächeln ehe er zu sprechen ansetzte.
„Haben sie es satt, dass sie die letzen 10.000 Jahre ihre Dromeus allein jagen mussten? Sind sie es leid, dass niemand in ihrem Kokon wartet, wenn sie vom Menschen tyrannisieren nach Hause kommen? Wünschen sie sich nicht auch jemanden der ihren Lederfetisch mit ihnen teilt und im Hintergrund bösartig lacht während sie ihr Mittagessen aussaugen?
Geben sie die Hoffnung nicht auf, wenden sie sich an mich. Meine zuverlässige, seriöse Partneragentur findet auch für den schwierigsten Fall ein passendes Gegenstück.“ Der Video-Michael verstummte und das Bild wechselte zu einer Strandszene mit einem strahlenden Wraith der Arm in Arm mit - Etwas anderem - spazieren ging. Das Bild wechselte zurück zu Michael und eine Gateadresse wurde eingeblendet.
„Meine talentierten Genetiker und ich erschaffen für sie den perfekten Hybriden aus den Spezies ihrer Wahl. Lassen sie endlich ihr trostloses Singledasein hinter sich und suchen sie mich noch Heute auf. Es lohnt sich.“
Mit funkelnden Augen verbeugte sich der Video-Michael erneut und das Bild wurde schwarz.
Das einzige Geräusch, welches die fassungslose Stille im Gateraum durchschnitt, kam von einem Kaffeebecher der Dr. Zelenka aus der Hand rutschte, aufschlug und seinen restlichen Inhalt über das DHD der Stadt ergoss. Niemand sagte etwas oder wagte es die Augen von dem Monitor abzuwenden. Als wenige Augenblicke später ein neues Bild auf dem Monitor erschien fuhr lediglich ein unbehagliches Schaudern durch die Menge.
~*~
Mit der Eleganz einer Katze bewegte sich der Commander durch die Gänge von Atlantis, dicht gefolgt von seinem Führungsstab und zwei dutzend schwer bewaffneter Drohnen. Seine Nasenflügel bebten vor Erregung. Die Menschen von Atlantis hatten den Wraith in den letzten Jahren enorme Verluste eingebracht und heute wäre es endlich soweit. Heute würde Atlantis in die Hände der Wraith fallen und das Kräfteverhältnis in dieser Galaxie würde sich zu ihren Gunsten verschieben.
Vorsichtig kontrollierte der Commander den nächsten Gang und fand zu seinem erstaunen wieder nur einen verwaisten Korridor vor. Er wusste zwar dass Atlantis zurzeit über kein ZPM verfügte, aber die Berichte der letzten Eroberungsversuche zeigten deutlich dass sich die Menschen von solchen Nebensächlichkeiten nicht aufhalten ließen. Umso erstaunter war er das sie vollkommen ohne Gegenwehr die Atmosphäre des Planeten durchdringen und seelenruhig neben der Stadt landen konnten. Selbst beim betreten der Stadt war kein schwerbewaffnetes Begrüßungskomitee zu gegen.
Verunsichert winkte der Commander seinen Stellvertreter zu sich. „Das Ganze gefällt mir nicht. Ich vermute sie stellen uns irgendwo eine Falle.“
Der second Commander zwirbelte sich einen Moment nachdenklich den Bart ehe er antwortete. „Vielleicht haben sie die Stadt auch aufgegeben.“
„Möglich. Wir sollten trotzdem Vorsichtig sein.“ Der Commander überlegte einen Moment und winkte dann seine restlichen Leute heran. „Wir gehen auf direktem Weg zum Kommandoturm, aber haltet die Augen offen.“
~*~
Irritiert hockte der Commander auf der Treppe zum Gateraum und beobachtete die Menschen die vollkommen erstarrt auf einen Monitor starrten. Niemand schien sich im Klaren darüber zu sein das ein vollbesetztes Hive in unmittelbarer Nähe parkte und die Stadt bereits von Wraith infiltriert wurde. Die anwesenden Soldaten waren völlig unbewaffnet und es gab nicht das geringste Anzeichen für Kampfbereitschaft oder Fluchtvorbereitungen. Kopfschüttelnd drehte er sich zu seinem second Commander um, erntete jedoch nur ein hilfloses Schulterzucken.
Irgendwie hatte er sich diese ganze Invasion aufregender vorgestellt.
Seufzend erhob sich der Commander und schlich, dicht gefolgt von seinen Begleitern, durch den Raum. Direkt vor dem Stargate nahmen sie Aufstellung und richteten ihre Stunner auf die bewegungslosen Menschen. Schadenfroh beobachteten die Wraith das Atlantisteam. Jeden Augenblick würde ihnen klar werden dass sie in der Falle saßen und keine Hoffnung auf Rettung bestand. Grinsend hob der Commander eine Hand zum Mund und Hustete gekünstelt.
Wie in Zeitlupe hob Rodney den Kopf und starrte direkt in einen Wald von Stunnern. Normalerweise war das die Art von Situation wo er in hysterische Panik ausbrach, aber diesmal griff er lediglich zum Monitor und drehte ihn, in einem noch immer surreal langsamen Tempo, den Wraith entgegen.
Das Grinsen des Commanders erstarb.
Lasziv räkelte sich die Wraithqueen auf einem gigantischen Bett, bedeckt von unzähligen Iratuskäfern. Trotz der schummrigen Lichtverhältnisse und den wimmelnden Käfern war deutlich dass die Wraith vollkommen nackt war.
Mit einer Klaue fuhr sie die Konturen ihres Körpers nach und winkte dann in Richtung Kamera.
Eine Gateadresse wurde eingeblendet, dicht gefolgt von einem blinkenden Schriftzug.
‚Frag nach Primary’.
Der Commander musste trotz seiner trockenen Kehle schlucken. Diese Invasion lief überhaupt nicht nach Plan. Verlegen senkte er seinen Stunner und wandte sich an Richard Woolsey. „Wir kommen dann ein andermal wieder.“ Ohne das zustimmende Nicken abzuwarten drehte sich der Commander um und verließ fluchtartig den Gateraum.
Als er das Hive erreichte wandte er sich abermals an seinen second Commander. „Ich hab schon immer gesagt dass diese Datenspeicher unser größter Schwachpunkt sind.“
The End
