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Dämonen und so

Mit Liebe und viel Alkohol gegen Dämonen und andere böse Wesen
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich entschuldige mich vielmals für die lange Pause. Komplett anzeigen

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Ein ganz normaler Tag?

Eine schläfrige Stille lag über dem Klassenzimmer. Emil hatte den Kopf auf seine Hände gestützt und war hauptsächlich damit beschäftigt, vor Müdigkeit nicht einzuschlalfen.

Vorne an der Tafel schrieb der Lehrer irgendwelche Zahlen und Formeln an. Für Emil waren sie jedoch nur wirr und hatten anscheinend irgendwas damit zu tun, dass die Elektronen mal wieder nach irgendeinem Phänomen nicht das taten, was man erwarten würde. Zumindest stand „Elektronen“ am oberen Ende der Tafel.

Emil konnte sich nicht vorstellen, wer es für eine gute Idee gehalten hatte, die Physikstunde auf Freitagnachmittag zu legen. Nicht einmal, wenn er wach gewesen wäre, hätte er Lust gehabt zuzuhören. Für ihn gab es in der Schule kein schlimmeres Fach, als Physik. Auch wenn er sich nicht sicher war, ob Mathematik nicht doch schlimmer war. Fantasyhelden hatten diese Probleme nicht. Sie mussten nicht einmal zur Schule gehen.

Schlaftrunken nahm Emil die Brille ab und fuhr sich über das Gesicht. Er hätte einfach nein sagen sollen, als ihn sein Freund 'Legend', den er nur aus World of Warcraft kannte und der eigentlich Jan hieß, nachts um halb zwei noch angerufen hatte. „Wir brauchen noch eine Tank für Karazhan“, hatte Jan gesagt, was so viel hieß, dass Emil unabdingbar für die Gruppe im Spiel war, die nachts spontan beschlossen hatte, zusammen ein weiteres Spielziel erreichen zu wollen. Als die Gruppe dann um fünf Uhr endlich fertig gewesen war, hatte es sich für Emil auch nicht mehr gelohnt wieder ins Bett zu gehen.

Hinter sich hörte Emil die Mädchen kichern. Er wusste genau, wer da saß und wagte es deshalb nicht, sich umzudrehen.

Eine Reihe hinter ihm saß Marie mit ihren Freundinnen. Wenn er nur an sie dachte, zog sich in Emil alles zusammen. Marie war unglaublich hübsch. Sie hatte lange dunkelblonde Haare, große hellblaue Augen, und ein schmales, zierliches Gesicht. Es war kein Wunder, dass sie neben der Schule modelte. Sie war nicht besonders groß, aber unglaublich schlank gebaut und ihre schmalen Lippen kräuselten sich etwas, wenn sie lächelte. Das sah unglaublich süß aus.

Emil musste sich nicht umblicken, um das zu wissen. Er mochte Marie schon seit Langem und natürlich wusste sie nichts davon. Marie war eines der Mädchen, bei dem Emil wusste, dass er nie eine Chance haben würde. Eigentlich rechnete er sich bei keinem Mädchen überhaupt Chancen aus.
 

Erst ein einziges Mädchen hatte überhaupt einmal Interesse an ihm gezeigt und das war irgendwann in der Siebten gewesen. Ihr Name war Evelyn gewesen. Sie hatte immer schwarze Klamotten und viel zu starkes Augen-Make-Up getragen. Als sie ihm seine Liebe gestanden hatte, hatte Emil nichts erwidern können. Am nächsten Tag, hatte sie sich dann bereits in den nächsten verguckt und Emil links liegen gelassen.

Emil war einfach nie der Typ gewesen, auf den die Mädchen standen. Er war ein Brillenträger, der mehr Zeit in der virtuellen Welt verbrachte als in der Realen und trug immer nur Jeans und das T-Shirt, das oben auf dem Stapel im Schrank lag.
 

Emil setzte seine Brille wieder auf, als sich seine Klassenkameradin Ina, die links neben ihm saß, zu ihm hinüber beugte und flüsterte: „Verstehst du das? Kannst du mir das erklären?“

Sein Blick begegnete dem eines Mädchens mit rundem Gesicht und kurzen braunen Haaren, die sie zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden hatte. Sie sah ihn mit großen braunen Augen hinter der schwarzen Nerdbrille an. Emil verfluchte es, dass sie in Physik neben ihm saß. Sie wusste genau, dass er genauso wenig davon verstand, wie er selbst. Trotzdem fragte sie ihn jedes Mal auf Neue. Er war sich mittlerweile sicher, sie wollte ihn ärgern und ignorierte sie deshalb.

„Ich versteh es wirklich nicht“, versuchte Ina es erneut, doch Emil blieb dabei so zu tun, als würde er sie nicht hören.

Dann spürte er, wie sein anderer Sitznachbar Martin in von der Seite an stupste und nahm das als Anlass sich ihm, statt Ina, zuzuwenden.

Martin war sein bester Freund und sein eingeschworener Leidenskumpan, wenn es um den Unterricht ging. Denn besonders in solchen langweiligen Unterrichtsstunden, verstand Martin es Emil aufzuheitern. Er war ein Stück größer als Emil und hatte kurz geschnittenes braunes Haar. Im Gegensatz zu Emil, spielte Martin überhaupt keine Computerspiele, was die beiden aber nicht daran hinderte, befreundet zu sein.

„Ich weiß, dass du's verstehst...“, raunte Emil Martin zu, doch der begann damit, etwas auf die Seite von Emils Block zu kritzeln.

„Guck mal. E = m*c². Kennst du, oder?“

Emil nickte, auch wenn er nicht wusste, worauf Martin hinaus wollte.

„Wenn wir die ganze Mathematik mal weglassen, könnte man das auch schreiben: E+m = c². Und zweimal c ergibt ein Herz.“

„Das ist der schlechteste Witz den du heute gebracht hast“, versuchte Emil beiläufig zu sagen, doch er musste dabei breit grinsen.

Emil wusste genau worauf Martin hinaus wollte. Das E stand für Emil, das M für Marie. Martin hatte ihn überredet heute Abend mit auf die Oberstufen-Party zu kommen. Nach seiner Aussage sollte das helfen, damit Emil mit Marie ins Gespräch kam. Emil glaubte jedoch nicht daran. Für ihn gab es nichts Schlimmeres als Parties. Außer Physik vielleicht.

Zu allem Übel war die Party auch noch mit Kostüm und alle aus der Stufe würden hingehen. Wenn er wenigstens als Magier hingehen dürfte, doch Martin hatte sich da scheinbar etwas anderes ausgedacht, dass er ihm nicht verraten wollte.

Emil spürte wie ihn Ina schmerzhaft in den Rücken piekste. „Was ist denn jetzt?“, zischte sie von hinten.

Genervt wandte Emil sich um. „Frag Martin.“

„Nein frag lieber Thomas!“, entgegnete Martin schnell und zeigte auf einen Jungen am anderen Ende des Raums, der irritiert aufsah.

„Ich will's aber von dir hören!“, schmollte Ina.

Emil, wollte gerade etwas erwidern, als ihn die Pausenklingel unterbrach.

„Schade, jetzt ist die Stunde schon vorbei“, sagte Emil und packte so schnell er konnte seinen Block ein. Einen Stift hatte er nicht einmal herausgeholt.

„Was ist mit heute Abend?“, fragte Ina hastig, bevor Emil flüchten konnte. „Kommt ihr beiden zur Party?“

Emil zuckte die Schultern. „Vielleicht.“

Damit Ina ihn und Martin nicht noch weiter in das Gespräch verwickeln konnte, verschwanden die beiden rasch Richtung Tür.
 

„Gib deine Brille her!“, sagte Martin und hielt die Hand auf. Sie saßen in Emils Zimmer. Martin war gegen Abend vorbeigekommen und hatte Emil ein Kostüm mitgebracht. Leider entsprach das nicht gerade dem, was Emil sich vorgestellt hatte.

„Aber ohne die bin ich so gut wie blind!“, entgegnete Emil und versuchte sich an seiner Brille festzuhalten, obwohl er wusste, wie idiotisch das war.

„Egal.“

„Ohne die Brille renne ich bestimmt irgendwo gegen“, versuchte Emil zu argumentieren.

„Dann rennst du einfach gegen Marie.“

„Ich sehe darin aus wie ein Volltrottel. Da macht es keinen Unterschied, ob die Brille trage oder nicht.“

„Grün steht dir aber.“ Martin musste sich das Grinsen verkneifen.

„Das rechtfertigt nicht die Tatsache, dass ich ein Frosch bin!“

„Nein, du bist ein Froschkönig!“, korrigierte ihn Martin.

„Ein Froschkönig ... du hast was von Märchenprinz gesagt!“

„Der Froschkönig war auch ein Prinz! Außerdem gab es bei dem Kostüm eine Maske dazu.“

Emil seufzte. „Muss das sein?“

„Ja. Das muss. Marie wird das Kostüm bestimmt toll finden. Mädchen stehen auf so etwas.“

Auch wenn Emil nicht davon überzeugt war, gab er Martin widerwillig seine Brille und tauschte sie gegen die Maske. Ein bisschen fühlte es sich mit der Maske auf der Nase an, als wäre er ein Superheld.

Emil stand auf und ging zum Spiegel an seinem Kleiderschrank. Normalerweise benutzte er diesen nie und hatte sich immer gefragt, wozu ein Kleiderschrank überhaupt einen Spiegel hatte, doch heute war er ganz froh, dass der Spiegel dort war. Er ging ganz nah heran, um sein Gesicht überhaupt erkennen zu können und rückte dann die Krone auf seinem Kopf zurecht.

Es sah lächerlich aus, fand Emil. Ohne Brille kam ihm sein Gesicht unglaublich fremd vor. Auch das dunkelgrüne Jackett machte die Rüschenbluse nicht besser.

Martin hatte da mit seinem Kostüm die bessere Wahl getroffen. Er hatte sich als Pirat verkleidet, was deutlich cooler war, als ein Froschkönig zu sein.

Anders als Emil ging er aber auch nicht auf die Party, um mit einem Mädchen ins Gespräch zu kommen. Martin war seit über einem Jahr mit Nicole zusammen. Die Beiden waren unzertrennlich gewesen, bis sie letzten Herbst für ein Austauschjahr nach Amerika gegangen war. Seitdem erzählte Martin kaum noch von ihr. Doch Emil war sich sicher, dass sie noch zusammen waren. Martin war einfach nicht der Typ der viel von seiner Freundin erzählte. Generell erzählte er so gut wie nie von sich selbst.

„Wollen wir los?“, fragte Martin und Emil wandte sich vom Spiegel ab. „Du willst doch nicht zu spät zu deiner Aphrodite kommen?“

„Aphrodite?“, wiederholte Emil ungläubig. „Das klingt übertrieben...“

„Dann halt zu deiner Angebeteten“, korrigierte Martin sich selbst und schob Emil aus der Tür.

Emil seufzte. Jetzt hatte er keine Wahl mehr. Seine Verabredungen online hatte er für heute Abend bereits abgesagt.

Wen man nicht alles so trifft

Es gab drei Dinge, deren Emil sich absolut sicher war: Erstens: die Musik war seit Anfang der Party scheiße.. Zweitens: der Barkeeper war ein Kumpel von Martin, der Emil, und zwar reichlich, Bier und anderen Alkohol kostenlos ausgeschenkt hatte. Und drittens: Emil wartete sehnsüchtig darauf, dass Marie endlich auftauchen würde.

Jedoch war er sich nicht einmal sicher, ob er sie schon gesehen hatte. Denn ohne Brille erkannte er gerade mal was knapp einen Meter um ihn herum passierte. Alles andere verschwamm vor seinen Augen, auch wenn er sich nicht sicher war, ob der Alkohol dabeinicht doch eine größere Rolle spielte. Er hatte gerade beschlossen, noch einmal nachzuzählen, wie viele Gläser Bier er bereits hatte. Er versuchte es an einer Hand, die, wie er schnell merkte, nicht ausreichte.

Dann merkte Emil, wie jemand auf ihn zukam. Er blinzelte und rieb sich die Augen. Das Licht machte es nicht gerade einfacher, zu erkennen, wer es war. Doch als er vor ihm stand, erkannte er Martin.

„Sie ist hier“, schrie Martin mit heiserer Stimme gegen die Musik an.

„Wer?“

„Na Marie!“

„Echt?“

„Würde ich's sonst sagen?“

„Wo ist sie?“

Martin deutete hinter sich und Emil sah daraufhin in die Richtung, doch er konnte aufgrund seines eingeschränkten Sichtfelds nicht erkennen.

„Bist du dir sicher, dass sie es ist?“, fragte er unsicher.

„Hundert Prozent. Sie ist mit Steffi und Lisa hier.“

Emil hätte sich am liebsten mit der Hand gegen die Stirn geschlagen. Das konnte doch nicht sein. Jetzt war sie auch noch mit Anhang hier. Martin hatte seinen Blick bemerkt und fügte hinzu:

„Vielleicht kannst du sie irgendwie weglocken. Genau! Frag sie, wo die Theke ist! Und schau dabei nicht so besoffen drein wie jetzt, sonst kauft sie dir das nicht ab.“

Emil warf ihm einen bösen Blick zu und rutschte vom Stuhl hinunter. Erst jetzt merkte er, dass er doch etwas wackelig auf den Beinen war. Er setzte sich in Bewegung und hörte noch, wie Martin ihm ein viel Glück zurief. Das würde ihm genauso wenig helfen, wenn er ihr gegenüber stehen würde. Was sollte er ihr nur sagen?

Etwas unbeholfen quetschte Emil sich durch die Leute, die es doch tatsächlich schafften die ganze Tanzfläche stehend zu füllen. Sie tanzten nicht einmal, sondern schnatterten nur miteinander und wippten, wenn's hinkam, vielleicht einmal mit dem kleinen Zeh. Nicht, dass er gerne getanzt hätte, aber sie behinderten doch ungemein.

Als er endlich wieder etwas Platz zwischen den ganzen verschwitzten Menschen hatte, versuchte er sich umzusehen. Er versuchte sich zu konzentrieren, doch soweit er sehen konnte, war hier keine Marie zu erkennen. Zunächst ärgerte er sich noch, bis er plötzlich erschrak, als ein schmaler Schatten auf ihn zukam, der wie Marie aussah. Das war der Punkt, wo sein Kopf aussetzte und seine Muskeln sich verkrampften.

„Ich weiß, die Frage ist doof, aber weißt du wo die Toiletten sind?“ Das war nicht Maries Stimme und Emil atmete erleichtert auf. Das Mädchen stand nun direkt vor ihm und er konnte ihr Gesicht erkennen. Ihre Augen waren leuchtend grün und ihr Haar schwarz wie die Nacht. Zunächst wunderte Emil sich über diese unnatürlichen Augen, doch dann fiel im ein, dass es eine Kostümparty war. So bestaunte er die realistische Umsetzung, bis ihm auffiel, dass er sie bereit eine ganze Zeit anstarrte.

„Ganz ehrlich weiß ich das selbst nicht so genau“, antwortete er hastig. „Aber ich glaube, die sind dort drüben.“

„Dankeschön.“ Und das Mädchen war so schnell weg wie es gekommen war.

Emil rieb sich mit der Hand durchs Gesicht. Seine Augen taten ihm weh und die Müdigkeit überkam ihn. Eigentlich konnte er doch einfach nach Hause gehen, er würde Marie hier eh nie finden. Doch als er aufsah, traf ihn der Schlag.

Marie stand plötzlich direkt vor ihm.

„Emil? Hätte dich fast nicht erkannt!“

„Was machst du hier?“, war das Erste was ihm einfiel und er wusste wie dumm es war.

„Ich bin eigentlich gerade auf dem Weg zur Mädchentoilette.“ Sie lächelte sanft und Emil merkte wie seine Knie weich wurden. Er sah an ihr hinunter. Sie trug eine weiße Toga, an die sie Plastikweintrauben geheftet hatte.

„Du siehst klasse aus“, hörte er sich plötzlich selbst sagen und versuchte krampfhaft den Blick von ihrem wohlgeformten Busen abzuwenden.

Als er nun in ihre Augen sah, wurde ihm dabei noch mulmiger.

„Dankeschön. Ich denke du weißt, was es darstellen soll.“

„Natürlich.“ Aphrodite. Was für ein dummer Zufall. „Aber mit den Weintrauben siehst du eher aus wie Dyonisos.“ Emil hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt. Wie konnte er dieses hübsche Wesen nur mit dem Gott des Weins und der Ekstase vergleichen?

„Wie wer?“ Marie setzte dieses gekünstelte Lächeln auf, wie Martin es nannte, doch Emil fand dass sie damit nur noch hübscher aussah.

„Ach vergiss es. Ich glaube die Toiletten sind übrigens da drüben.“ Er deutete in die Richtung, in die das Mädchen vorher verschwunden war. Auch wenn er immer noch keine Bestätigung dafür hatte, dass es die richtige Richtung war.

„Das weiß ich doch. Also man sieht sich.“

Und schon war sie wieder in der Menschenmasse verschwunden. Emil spürte, wie sein Herz immer noch in seiner Brust raste.

Doch was hatte das Ganze jetzt gebracht? Er hatte einige Worte mit ihr gewechselt und sie hatte ihn nicht ausgelacht, weil er ein Frosch war. Die Bilanz war doch positiv.

Mit Beinen wie aus Gummi machte er sich auf den Weg zurück an die Bar, zumindest glaubte er, dass dies der Weg zurück war. Die anderen Leute schienen sich so zu bewegen, dass er es doch schaffte, fast jeden anzurempeln. Nur wo war jetzt die Bar hin? Er blickte sich hilfesuchend um. Gerade war sie doch noch da gewesen!

„EMIL?“, hörte er plötzlich eine Stimme neben sich quietschen. Als er sich umdrehte stand Ina vor ihm und schob sich gekonnt die Brille zurück auf die Nase. Er fragte sich noch, warum sie das tat, als sein Blick auf ihrem Kostüm hängen blieb. Was sie darstellte erkannte Emil nicht, doch sie trug einen langen Rock und ein Korsett, das ihre Brüste nur noch üppiger machte. Warum dachte er schon wieder über Brüste nach?

„Oh Mann, du siehst gut aus!“, rief sie. Emil starrte in ihre Richtung, aber ihr Gesicht richtig scharf stellen, konnte er nicht mehr.

„Sag bloß du suchst jetzt auch noch das Mädchenklo?“, fragte er, doch eine Antwort bekam er nicht mehr.

„Oh mein Gott, du bist ein Frosch!“ Ina fing haltlos an zu lachen und konnte sich nicht mehr fangen.

„Was ist daran so lustig?“

„Ach nichts.“ Sie holte tief Luft und klopfte ihm auf die Schulter. „Zuckersüß!“

Was bitte? Was war zuckersüß? Emil verstand überhaupt nicht mehr, wovon sie redete. Es war auch egal, er wollte nur eins wissen: „Weißt du wo die Bar ist?“

Ina sah ihn verdattert an, bevor sie in eine Richtung deutete. „Dahinten!“

Und bevor sie sich versah, hatte Emil sich durch die Leute hindurch davon gestohlen.

Vielleicht doch zuviel Alkohol?

Zurück an der Bar trudelte Martin auch nach kurzer Zeit wieder ein und informierte sich über den Stand der Dinge.

„Sie ist Aphrodite“, beantwortete Emil seine Frage nur knapp.

Martin schaute ihn erst total perplex an und fing dann an zu lachen. „Nicht dein Ernst? Darauf sollten wir einen trinken!“

Zwei kleine Jägermeister später war Martin merkwürdigerweise auch wieder verschwunden und Emil konnte sich einfach nicht erinnern, wohin er gegangen war.

Er tippte etwas mit den Fingern auf der Tischplatte herum, bis er merkte wie jemand ihn von der Seite ansprach:

„Hallo, Lebensretterfrosch.“

Emil wandte sich um und sah vor sich das Mädchen mit den grünen Augen und dem schwarzen Haar.

„Na, ohne dich hätte ich das Klo nicht gefunden.“

Genau, er erinnerte sich.

„Ich bin übrigens Lilian. Und? Hast du deine Prinzessin des Abends schon gefunden?“

Ihre Augen glänzten in dem schummrigen Licht und Emil konnte sich kaum darauf konzentrieren, was sie sagte. So tiefgrün waren sie, noch grüner als seine eigenen.

„Ich meinte, weil du als Froschkönig verkleidet bist...“

„Als was bist du eigentlich hier?“, fragte Emil, der immer noch nicht den Blick von ihren Augen abwenden konnte.

„Was bitte? Ist mein Kostüm so schlecht?“

„Nein, es ist nur ...“ Emil betrachtete das schimmernde Krönchen in ihrem Haar. „Ich dachte erst an einen Vampir oder die Adams Family, als ich dich sah“, sprudelte es aus ihm heraus Erst danach fiel ihm auf, dass er sie damit höchstwahrscheinlich beleidigt hatte. Eine Prinzessin. Eine Prinzessin stellte sie da. Prinzessin, Prinz...

Doch anstatt sich aufzuregen, fing Lilian an zu lachen und grinste. „Dann muss ich mir nächstes Mal ein passenderes Kostüm anziehen.“

Emil hörte gar nicht mehr darauf, was sie genau sagte. In seinem Kopf wiederholte er nur noch immer wieder: Sie ist eine Prinzessin, Prinzessin. Seine Sicht lief nur noch in einzelnen Bildern ab. Sein Körper war taub, doch er spürte, dass er sich langsam zu ihr vorbeugte. Er stützte die Hände auf ihre Oberschenkeln ab und küsste sie einfach.

Ihre Lippen waren weich. Er hatte nicht einmal gewusst, wie die Lippen eines Mädchens sich überhaupt anfühlten. Instinktiv öffnete er seine Lippen, um sie richtig zu küssen, als er merkte wie ihm schwindelig wurde. Aus seinen Gliedern war plötzlich jegliche Kraft gewichen. Ihm war schlecht, richtig schlecht. Mit letzter Kraft öffnete er die Augen.

Alles was er sah, waren diese strahlend grünen Augen, die ihn entsetzt anstarrten. Dann wurde alles schwarz und er spürte dumpf wie er auf dem Boden aufschlug.
 

Das Erste, an das er sich wieder erinnerte, war dass es komisch roch. Als er die Augen aufschlug, wusste er auch warum. Alles um ihn herum war weiß und er lag in einem weichen Bett. Sie hatten ihn doch tatsächlich ins Krankenhaus gebracht! Aus dem Fenster fiel Licht herein und er schloss die Augen lieber schnell. Das helle Licht fühlte sich so an, als würde es direkt durch die Augen seinen Schädel verbrennen. Die Kopfschmerzen waren schlimmer, als er sie bei einem Kater in Erinnerung hatte.

„Willst du was trinken?“ Das war Martins Stimme und Emil öffnete die Augen einen Spalt breit. Sein bester Freund saß an seinem Bett.

Emil fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen und schluckte. Es schmeckte widerlich und er war froh, als Martin ihm das Glas reichte. Fast in einem Zug schluckte er das Wasser hinunter. Besser hätte ihm nur noch eine Aspirin getan.

„Nicht direkt weitermachen“, scherzte Martin. „Da ist kein Alkohol drin.“

„Danke für die Information. Das wäre mir so gar nicht aufgefallen“, entgegnete Emil trocken.

Martin schenkte ihm erneut ein und sah ihn dann ernst an. „Was war mit dir gestern los?“

„Ich weiß nicht. So viel habe ich gar nicht getrunken.“

„Nein, das mein ich nicht. Du kannst nicht einfach wildfremde Mädchen küssen!“

„Wieso nicht?“

„Du hast sie geküsst!“

„Ja und? Tust du das mit deiner Freundin nicht auch?“

„Ja ... wie soll ich dir das erklären.“ Martin rang nach Worten. „Sie ist eine Lesbe.“

„Na, das ist doch noch besser. Ich mag Lesben.“

„Du verstehst das nicht.“

„Richtig. Tue ich auch nicht. Was ist daran so schlimm?“

„War das eigentlich dein erster Kuss?“, warf Martin ein.

„Ja, ich denke schon.“

„So und jetzt zu ihr. Wie kommst du auf die Idee einfach ein Mädchen zu küssen?“

„Neidisch?“ Emil grinste.

„Nein.“

„Wirklich nicht? Nichtmal ein bisschen? Ich mein sie ist wirklich hübsch.“

„Findest du es nicht merkwürdig, dass du sie küsst und kurz darauf ohnmächtig wirst?“

„Doch schon, aber ich dachte, das wäre der Alkohol gewesen.“

„Ich zunächst auch.“

„Ich fand ihr Kostüm aber auch merkwürdig“, sprach Emil seine Gedanken aus.

„Wieso?“

„Mit schwarzen Haaren und grünen Augen als Prinzessin verkleidet.“

„Wie kommst du auf schwarze Haare?“ Martin sah ihn fragend an, als es an der Tür klopfte.

Ein Mädchen mit braunen, langen Haaren trat ein. Sie trug die Haare offen, weshalb ihr einige Strähnen ins runde Gesicht fielen. „Störe ich?“, fragte sie höflich. „Ich wollte nur sehen, ob es Emil wieder besser geht.“

Emil starrte sie wie ein Auto an. Wer war dieses Mädchen? Er kannte sie nicht einmal. Doch als sie näher kam, traf es ihn, wie einen Schlag. Sie war es, die er gestern Nacht geküsst hatte. Er spürte wie er knallrot anlief. Martins Miene verteinerte sich augenblicklich.

„Ich habe Schokolade mitgebracht, damit du schnell wieder auf die Beine kommst.“ Das Mädchen reichte ihm die Tafel. Wie hieß sie noch gleich? Lilly? Lina? Lilian! Das war's gewesen.

„Was hast du mit ihm angestellt?“ Martin wollte sie mit seinem Blick durchbohren.

Erschrocken sah sie ihn an, bevor sie lächelte. „Wie kommst du darauf?“

„Ach nur so“, meinte Martin und sein Blick war immer noch wie Eis.

„Ich bin nur hier, um mich bei dir zu entschuldigen. Ich hab dich fälschlicher Weise für schwul gehalten.“

Bitte was?! Deshalb hatte sie mit ihm gesprochen? Weil sie ihn für schwul hielt?

„Aha ...“, kam es nur von Martin.

„Ich denke, das ist kein Geheimnis, dass ich als Männerhasserin bekannt bin. Aber es war schön mit dir zu reden.“ Nur einen kurzen Moment sah sie Emil in die Augen. Er hätte sich fast wieder in diesem tiefen Blau verloren, als er stockte. Blau? Waren sie nicht gestern noch grün gewesen? Dann fiel es ihm ein: das Kostüm. Sie hatte sicher Kontaktlinsen getragen. Ihre Augen waren fast so schön, wie die von Marie.

„Ich geh wohl besser wieder“, sagte sie zögernd und wandte sich abrupt um.

„Ach hau doch ab!“, rief Martin ihr nach.

Ein stechender Schmerz fuhr durch Emils Kopf. „Au, nicht so laut.“

„Entschuldige.“

Die Tür fiel hinter Lilian ins Schloss.

„Was sollte das?“, fragte Emil entgeistert.

Martin zuckte die Schultern. „Es kam gerade so gut.“

Emil seufzte und schloss erschöpft die Augen.

„Um nochmal auf die schwarzen Haare zurückzukommen. Wie kommst du darauf?“, fragte Martin nachdenklich.

„Na sie war doch als Vampirprinzessin oder so verkleidet. Sogar Kontaktlinsen trug sie.“

„Nein, eigentlich nicht. Sie sah gestern genauso aus wie gerade eben.“

Emil riss erschrocken die Augen auf. „Was?“

„Oh man, du hast doch gestern zu viel getrunken“, lachte Martin.

„Nein, so viel war das gar nicht, das ich getrunken habe.“

„Sie war ganz normal verkleidet, als Prinzessin“ Martins Stimme war ruhig und Emil glaubte ihmd. Sie hatte also genauso ausgesehen, wie er sie eben gesehen hatte. Da waren keine schwarzen Haaren und grünen Augen gewesen. Hatte er sich das alles nur eingebildet oder hatte der Alkohol seine Erinnerungen verzerrt? Was hatte das zu bedeuten?

„Ich glaube, du hast Recht. Ich war wirklich ziemlich besoffen!“

Die Expertin

Die ganze nächste Woche hatte Emil das Gefühl, die anderen Schüler würden ihn auslachen. Vielleicht hatte er gar nicht so unrecht, war es scheinbar allen in Erinnerung geblieben, dass Freitag gegen halb eins plötzlich die Musik verstummt war, die Beleuchtung angesprungen und Rettungssanitäter sich durch die Menge geschoben hatten.

Und das war nicht einmal das Schlimmste. Dass er an dem Abend den Alkohol nicht vertragen hatte, war eine Sache, die schnell wieder verfliegen würde. Das Gerücht, dass sich jedoch hartnäckig hielt, obgleich es nun tatsächlich wahr war, dass Emil, die unter den meisten als Männerhasserin bekannte Lilian geküsst hatte, war deutlich das größere Übel.

Einige behaupteten auch fest, sie hätte ihm dabei die Seele abgesaugt und er sei deshalb zusammen gebrochen. Was natürlich vollkommener Blödsinn war.

Doch genau das rief auch Ina auf den Plan. Die freche Brillenträgerin, die es sich als selbsternannte Dämonenexpertin einfach nicht nehmen ließ, Emil weiter auf die Pelle zu rücken.

„Manslaughter Lilian?“, rief sie erstaunt aus, sodass Emil glaubte, der ganze Schulhof hätte sie gehört.

„Ja verdammt“, zischte er und rieb sich das Ohr. Ina war das, was ihm gerade noch gefehlt hatte und seine Lage nahm sie auch nicht gerade ernst, indem sie sich nun vor lachen kugelte.

„Was ist denn nun mit ihr?“, fragte Emil leicht genervt an seinem Freund Martin gewandt, doch Ina antwortete ihm:

„Sie ist ne Lesbe.“

„Ja das weiß ich doch schon und sonst?“

„Sie hasst Männer!“

„Weiß ich.“ Emil verdrehte genervt die Augen. „Ihr könnt mir auch nicht sagen, was so schlimm an ihr ist, oder?“

„Ich hab doch gar nichts ...“, begann Martin, doch Ina war wieder einmal schneller:

„Sie hat dir deine Seele ausgesagt!“

Emil verdrehte genervt die Augen. Er wollte etwas erwidern, doch ihm fehlten die richtigen Worte.

„Aber denn...“, begann Martin grübelnd, „Du bist ohnmächtig geworden.“

„Hab ich doch schon gesagt. Der Alkohol ...“

„Emil. Wie lange kennen wir uns jetzt schon?“

Emil musste einen Moment lang überlegen und zählte dann die Jahre an den Fingern ab, bevor er ausrief: „Acht Jahre!“

„Und wie oft bist du in den Jahren von Alkohol zusammen gebrochen?“

Emil zählte es wieder an den Fingern ab, doch er kam nicht weit: „Einmal... nein, da bin ich nur auf dem Weg eingeschlagen.“ Einen Moment war Stille. „Nein, eigentlich nicht.“

„Hinzu kommt diese Sache mit dem Gruselkostüm.“

Ina sah ratlos drein, doch langsam begannen hinter ihren Brillengläsern ihre Augen vor Neugier zu hüpfen. „Was für eine Sache?“ Mit geschickten Fingern schob sie ihre Brille fachmännisch ihre Nase hinauf.

„Ach, ich hatte mich nur daran erinnert, dass sie schwarze Haare hatte. War vielleicht das Licht“, tat Emil die Sache ab.

„Vielleicht ist sie doch ein Vampir!“, rief Ina aus.

„Nein, dann hätte sie ihn gebissen.“ Martin seufzte genervt. „Ina, so kommen wir nicht weiter. Es wäre nett, wenn du dich aus unserem Umfeld entfernen könntest. Deine Beiträge sind mehr als kontraproduktiv.“

Emil schüttelte nur den Kopf und sah hinauf in den blauen Himmel. Er seufzte laut bevor er sich wieder den Beiden zu wandte. Ina funkelte Martin nun böse an, während dieser mit verschränkten Armen versuchte dies zu ignorieren.

„Was denkst du, Emil?“, fragte er.

„Ich dachte nur gerade daran ...“ Ja woran hatte er überhaupt gedacht? „... dass ich sie vielleicht noch einmal treffen sollte. Ich hatte gar nicht die Gelegenheit, mich für die Schokolade zu bedanken.“

„Und wie willst du sie finden?“, fragte Martin, doch Ina unterbrach in abermals:

„Sie geht auf das Mädchengymnasium am Brückchenpark!“

„Ach, Emil, lass es doch. Du hast doch Marie!“, versuchte Martin schnell zu sagen.

Emil sah ihn nur verdutzt an. „Wie kommst du plötzlich darauf?“ Er merkte wie er rot anlief. „Du warst es doch, der die Sache merkwürdig fand.“

„Ja, aber ich mache mir Sorgen. Was, wenn du das nochmal versuchst?“

„Was denn?“, fragte Emil perplex.

„Sie zu küssen.“

„Du bist wirklich neidisch, oder?“

„Überhaupt nicht!“

Emil wollte gerade etwas entgegnen, als er ein Summen von der Seite vernahm. Er drehte sich zu Ina um, welche die Finger in beide Ohren gesteckt hatte und mit dummem Gesichtsausdruck vor sich hinsummte. Als sie den Blick der Beiden wahrnahm, verstummte sie und ließ die Finger sinken.

„Ist was? Ich dachte nur ihr wolltet das unter euch klären.“

Coming-Out

Wie war er nur hierher gekommen? Sein Körper zitterte vor Kälte und er rieb sich die tauben Hände. Was ihm jetzt nur noch fehlen würde wäre, dass es anfing zu regnen. Er streckte vorsichtshalber die Hand aus, um zu schauen, ob er es damit nicht auch noch provoziert hatte. Nein, kein Regen. Das war wenigstens etwas.

Warum hatte Emil sich nur dazu überreden lassen, hierher zu kommen? Jetzt stand er frierend vor dem Tor des Mädchengymnasiums und wusste nicht einmal, ob er es schaffen würde Lilian ab zu passen. Was mussten die Mädchen, die vorbei kamen, nur von ihm denken? Sie warfen ihm Blicke zu und fingen an zu kichern.

Emil zog daraufhin die Mütze tiefer ins Gesicht. Er wusste nicht einmal, was er ihr sagen wollte wenn sie wirklich kam. Sowas wie: „Hey, danke dass du mich besucht hast. Das war's eigentlich schon. Wollte gar nicht lange stören.“?

„Emil?“, fragte eine weibliche Stimme mit einem Mal.

Sein Herz begann schmerzhaft zu rasen und erschrocken blickte er auf. Doch dann stellte er fest, dass er das Mädchen, das bei ihm stehen geblieben war, nicht einmal kannte. Sie war etwas jünger als er, hatte braune Augen und lange, weißblonde Haare, die von einem rosa Haarreifen zurück gehalten wurden. Er blinzelte sie verständnislos an. „Kennen wir uns?“

„Nein, aber ich wollte dir einen schönen Tag wünschen.“ Sie lächelte.

„Ja, aber ...“, begann Emil verwirrt. Doch da hatte sie sich auch schon umgedreht und war die Straße entlang verschwunden.

Ratlos kratzte er sich am Kopf und versank mit geröteten Wangen in seinem Kragen. Woher wusste sie, wie er hieß? Hatte sich das etwa hier auch herumgesprochen? Es war schlimmer, als er gedacht hatte. Sein Ruf war ruiniert! Und alles nur, weil der Zufall es wollte, dass er genau dann zusammenbrach, wenn er ein Mädchen küsste. Das Schlimmste war, dass es sein erster Kuss gewesen war und er sich jetzt nur noch schwammig daran erinnern konnte, wie es sich angefühlt hatte. Ihre Lippen waren so weich gewesen. Wie Zuckerwatte... dabei mochte er Zuckerwatte nicht einmal. Er musste aufhören, daran zu denken.

Emil hob vorsichtig den Kopf, um Ausschau zu halten. Gerade kam eine Gruppe Mädchen aus dem Tor. Sein Herz blieb für einen Moment stehen. Er erkannte Lilian, die ein Stück hinter ihnen lief. Ihr braunes Haar hatte sie zu einem Dutt zusammengebunden, doch es sah nicht weniger hübsch aus, als an dem Abend, wo sie ihr Haar noch offen getragen hatte.

Als sie ihn erkannte, nickte sie ihm zu. Emil drückte sich einfach nur starr gegen die Wand und hoffte, diese würde ihn verschlucken. Doch es half nichts. Der Backstein wollte nicht nachgeben.

Warum wollte er überhaupt weg? Er hatte doch auf sie gewartet, oder nicht? Seine Wangen brannten, als sie ihm ein Lächeln zuwarf. „Hey.“

„Hi“, murmelte Emil tonlos und da war sie auch schon an ihm vorbei. Instinktiv griff er nach ihrem Arm und zog sie zurück.

Sie sah ihn für einen Moment erstaunt an, dann lächelte sie. Emil kam sich ziemlich dumm vor und ließ sie augenblicklich los.

„Entschuldige. Ich wusste nicht, dass du wegen mir hier bist.“

„Ich wollte mich für die Schokolade bedanken! Und dass du mich besucht hast und ...“ Er hatte so schnell gesprochen, dass er nun nach Luft japste.

„War doch kein Problem. Schließlich habe ich dir Ärger bereitet.“ Emil merkte, dass sie sich zurück hielt, nicht breit zu grinsen.

„Eh... ja ...“, begann er, auch wenn er eigentlich nicht wusste, was er sagen wollte.

„Ich hoffe, die Schokolade hat dir geschmeckt.“

Emil fiel auf, dass er sie nicht einmal probiert hatte. Er war nicht einmal dazu gekommen.

„Klar“, log er. „Unglaublich lecker.“

„Das freut mich.“

Darauf wusste Emil nichts zu erwidern. Was sollte er nur mit ihr reden? Worüber redete man mit Mädchen? Eine peinliche Stille trat ein, in der Emil fieberhaft versuchte, ein sinnvolles Gesprächsthema zu finden.

„Ich wollte eigentlich jetzt nach Hause.“, sagte Lilian plötzlich. Als sie Emils verzweifelten Blick auffing, fügte sie hinzu: „In welche Richtung musst du denn? Eventuell können wir ein Stück zusammen gehen?“

„Ja, können wir“, sagte er, bis ihm auffiel, dass er ihre Frage davor überhaupt nicht beantwortet hatte.

Sie grinste ihn an und setzte sich dann in Bewegung. Emils Beine wollten sich im ersten Moment nicht bewegen. Ein Mädchen redete mit ihm. Sie war zwar lesbisch, aber sie war ein Mädchen.

Langsam löste er sich aus der Schockstarre und folgte ihr. Sie gingen ein Stück, wobei Lilian die Richtung vorgab. Sie sah ihn nicht an, während sie versuchte ein Gespräch anzufangen:

„Du hast sicherlich gehört, dass ich als Männerhasserin bekannt bin, oder?“

Emil nickte. Ihn überraschte, dass Lilian das ansprach.

„Das ist totaler Schwachsinn“, sagte Lilian mit ruhiger Stimme und sah dann zu Emil hinüber. „Aber eine Männerhasserin zu sein, ist manchmal von Vorteil. Deine Klassenkameradinnen fragen dich nicht, welchen Kerl aus der Boygroup du süß findest und ob Brad oder Johnny heißer ist. Außerdem lästern sie dann immer nur darüber, dass du keine Männer magst.“ Dann hielt sie kurz inne. Mädchen lästern unglaublich gerne, musst du wissen“

„Ja, Mädchen können echt nerven...“, sagte Emil, mit dem Gedanken, an die Mädchen aus seiner Klasse. Außer Marie. Sie konnte niemals nerven, dafür war sie nicht der Typ.

„Auch ich?“, fragte Lilian lachend und erst da fiel Emil auf, was er gerade gesagt hatte.

„Nein, ich meinte“, versuchte Emil sich zu erklären, doch er wusste nicht wie.

„Schon okay. Ich weiß, wie du das meintest. Ich habe übrigens eine Menge Überzeugungsarbeit leisten müssten, um deine Aktion auf der Party erklären zu können.“

Mit Aktion meinte sie den Kuss. Jemanden zu küssen, wenn man dafür bekannt war, dass man keine Männer mag, war sicherlich nicht einfach zu erklären. Schließlich war sie lesbisch.

Aber warum hatte sie ihn dann zurück geküsst? Hatte sie das überhaupt? Sie hätte es, wenn sie nicht so überrascht gewesen wäre. Er fiel fast aus allen Wolken. Er hatte sie auch noch gegen ihren Willen geküsst.

„Das soll nicht heißen, dass es deine Schuld war“, sagte Lilian schnell. „Es tut mir Leid, dass es soweit gekommen ist.“

„Ach Unsinn. Du musst dich für nichts entschuldigen. Wenn dann ich, dass ich dich...“ Er suchte nach einer Beschreibung, die ihm über die Lippen gehen wollte.

„Wenn man es genau nimmt, ist es sogar allein meine Schuld.“ Lilians Stimme hatte einen ernsten Tonfall angenommen.

Emil blieb stehen und sah sie verwirrt an. Er wollte ihr sagen, dass es natürlich nicht so sei, doch irgendwie formten seine Lippen ein anderes Wort: „Warum?“

Sie waren bereits ein ganzes Stück von der Schule entfernt und hatten zur Hälfte den Park durchquert. Zu ihrer Rechten zwischen den Bäumen konnte man die Einkaufsstraße erkennen. Außer ihnen ging niemand auf dem schmalen Weg, der sich durch ein Stück Rasen vom Hauptweg abgrenzte.

„Weißt du ...“, begann sie langsam. „Das ist nicht einfach zu erklären.“ Sie rang nach Worten.

Emils Blick ging an Lilians Gesicht vorbei zur Einkaufstraße. Durch die Bäume sah er in einiger Entfernung das kleine Eiscafé. Draußen standen kleine Tische mit Korbstühlen. Trotz des frischen Wetters war die Eisdiele gut besucht.

Dann blieb sein Blick an einem Tisch hängen und sein Magen zog sich zusammen. Er kannte das Mädchen mit den dunkelblonden Haaren, die dort saß. Marie. Sie unterhielt sich mit einem Jungen, der ihr gegenüber saß. Emil merkte wie seine Knie weich wurden. Marie schien zu lachen, dann beugte sie sich zu dem Typen hinüber und gab ihm einen Kuss auf die Wange. In Emils Kopf drehte sich alles.

„Glaubst du an Magie?“, fragte Lilian plötzlich und Emil wandte hastig den Blick von diesem schockierenden Bild ab. In seinen Gedanken war er immer noch bei Marie.

„Ja...“, formten seine Lippen eine Antwort. Wer war dieser Typ? Und warum traf Marie sich mit ihm?“

„Was wäre, wenn magische Wesen wirklich existieren würden? Was, wenn nicht der Alkohol Schuld daran war, dass du ohnmächtig geworden bist, sondern ich? Weil...“

Lilian brach mitten im Satz ab. Emil hörte ihr überhaupt nicht mehr zu. Er war zu sehr damit beschäftigt, zu überlegen, wie er unauffällig den Blick abwenden konnte. Er hatte das Gefühl, in seinem Augenwinkel würde Marie gleich diesen komischen Typen küssen.

„Ich habe das Gefühl, dass du anders bist. Du nimmst das alles so locker.“

„Mhm...“ Emil nickte nur geistesabwesend.

„Emil!“ Sie packte ihn an beiden Schultern und sah ihn eindringlich an. „Das Beste ist, wenn du dich in Zukunft von mir fern hältst. Weil...Eigentlich darf ich dir das nicht sagen.“

„Dann lass es“, schlug Emil vor und hoffte, dass das Thema damit beendet war.

Lilian seufzte und ließ die Hände sinken. „Ich sollte nicht einmal mit dir reden. Ich bin eine Gefahr für dich...“

„Ja, kapiert. Du musst nicht darüber reden, wenn du nicht willst“ Emil biss sich auf die Lippen. Was konnte denn nun so wichtig sein?

„Ich könnte dich verletzten.“

„Ist ok.“

„Du könntest sterben!“

„Ich nehm's dir nicht übel.“

„Verstehst du nicht? Ich bin...“, begann sie erneut.

Emil schwieg, weil er nicht mehr wusste, was er sagen sollte. Er wusste doch schon, dass sie lesbisch war. Aber was war jetzt mit Marie?

„... eine Succubus!“

„Kein Problem. Das weiß ich schon!“, rief Emil hastig. Er wandte sich ab und stürmte in Richtung Eiscafé los. „Ich melde mich!“

Schönheit und das Biest

Wie konnte sie nur? Wer war eigentlich dieser Kerl? Und was hatte er mit Marie zu schaffen?

Schnurstracks lief Emil auf Maries Tisch zu. Er wusste nicht einmal, was er machen sollte, wenn er da war. Aber war das nicht egal? Er musste einfach irgendwas tun!

Erst als Emil dann endlich an Maries Tisch stand, stellte er verwundert fest, dass der Typ überhaupt nicht mehr da war. Nur Marie saß dort, den Kopf in den Händen vergraben.

Perplex sah Emil auf das unerwartete Bild vor ihm. Wo war der Kerl? Emil hatte schon beschlossen den Mann zu verfolgen, als ein Schluchzen an sein Ohr drang. Weinte Marie?

Sie hob leicht den Kopf. Scheinbar hatte sie Emils Anwesenheit bemerkt und er erstarrte, als er ihr Gesicht erkennen konnte. Es war Tränen verschmiert und ihr Augen-Make-Up hatte sich bereits in einer grauen Schicht unter ihren Augen verteilt.

Für einen kurzen Moment sah sie Emil direkt an. Das Blau ihrer Augen war wunderschön. Emil konnte überhaupt nicht den Blick von ihr abwenden.

Dann griff sie mit einer plötzlichen Handbewegung nach dem Stoff seines Parkas und zog ihn zu sich heran. Ihr Kopf verschwand schluchzend irgendwo in seiner Magengegend.

„Was ist denn passiert?“, fragte Emil zögernd.

Doch Marie antwortete nicht und schluchzte derweil einfach weiter. Emil sah ihr nur dabei zu, wie sie die zitternden Hände in seine Jacke grub. Er wusste einfach nicht, was er in so einer Situation tun sollte. Sollte er nach dem Typen fragen? Nachher wüsste sie, dass er sie beobachtet hatte. Vielleicht bemerkte sie es ja auch nicht. Aber er wusste nicht, was er sonst sagen sollte. Ein wird-schon-wieder? Alles klang doof. Er würde sie einfach fragen, irgendwas. Emil wollte gerade den Mund öffnen, da war sie aufgesprungen, hatte die Arme um ihn geschlungen und drückte sich bereits gegen seine Brust.

Emils Muskeln verkrampften sich augenblicklich. Das Blut in seinen Adern begann zu kochen. Was tat sie da nur? Aber es war so schön. So schön, sie bei sich zu wissen. Er legte vorsichtig die Arme um sie und schloss die Augen. Sie war weich. Ehrlich gestanden hatte Emil sie sich ein bisschen weicher vorgestellt. Sie war sehr zierlich und dünn, fast zerbrechlich. Emil spürte, dass er sie beschützen wollte. Vor allen, die ihr weh getan hatten. Er musste sie schützen!

„Kannst du“, murmelte Marie in sein T-Shirt hinein. „mich nach Hause bringen?“

Natürlich konnte Emil das. War ja nicht so schwer, jemanden nach Hause zu bringen der unentwegt schluchzte.

„Klar“, hörte Emil sich selbst sagen. „Wo musst du denn hin?“

Marie sah auf und ein Lächeln war auf ihrem Gesicht zu erkennen. Sie war so hübsch, wenn sie lachte. Da konnte nicht einmal ihre verschmierte Schminke etwas daran ändern.

„Emil“, flüsterte sie sanft und reckte sich. Für einen kurzen Moment berührten ihre Lippen Emils Wange. „Danke.“

Emil wollte darauf etwas entgegnen, doch er bekam kein Wort heraus. Sie hatte ihn geküsst! Nur auf die Wange, aber sie hatte ihn geküsst! Was konnte er sich mehr wünschen? Das Mädchen, das er liebte, hatte ihn geküsst! Er war im siebten Himmel.

Marie und Emil wechselten daraufhin den ganzen Weg bis zu ihrem Haus kein Wort. Vielleicht lag es einfach daran, dass als Emil sich gerade überwunden hatte etwas zu sagen, sie bereits davor standen. Sie verabschiedete sich noch von ihm, dann war die Tür vor seiner Nase bereits zu.

Erst auf dem Weg zurück, verflog seine überschwängliche Stimmung allmählich wieder und wich Kopfschmerzen und einem leichten Schwindel. Er hatte sich also doch erkältet. Was für ein beschissenes Wetter!
 

Es hatte Emil wirklich erwischt. Den nächsten Tag musste er zu Hause verbringen. Am Zweiten kam Martin bei ihm vorbei.

Emil war wach und saß aufrecht in seinem Bett. Immer wieder verschwammen die Worte auf den Seiten des Buches vor seinen Augen, doch er las tapfer weiter. Er musste doch wissen, was mit dem Schattenmagier passieren würde. Er durfte nicht sterben!

Er schreckte auf, als Martin mit einem Mal vor ihm stand.

„Ich wollte mich nicht rein schleichen.“ Martin ließ sich auf das Bett sinken. „Zweiter Krankenbesuch in zwei Wochen. Was machst du die ganze Zeit nur?“

„Keine Ahnung. Ich bin wohl besonders anfällig.“ Emil zuckte mit den Schultern. „Wie war's in der Schule?“

„Nichts Besonderes. Aber hey! Marie hat nach dir gefragt.“ Es klang beinahe, als wollte Martin es ihm auf die Nase binden.

„Und?!“ Emils Müdigkeit war mit einem Mal verschwunden und erwartungsvoll sah er Martin an.

„Ich habe gesagt, dass du wahrscheinlich krank bist.“

„Und was hat sie gesagt?“

„Dass ich dir gute Besserung ausrichten soll.“ Emil feierte sich bereits, als Martin grübelnd hinzufügte: „Sie hat gefragt, ob es denn etwas Ernstes sei.“

„Ist etwas merkwürdig daran?“

„Ich weiß nicht.“ Die Sorge stand Martin ins Gesicht geschrieben.

„Achso. Sie fragt sicher, weil ich sie vorgestern getroffen habe. Ich habe sie nach Hause gebracht“, erzählte Emil ihm stolz.

„Das meine ich nicht.“

„Eifersüchtig?“

„Nein!“, rief Martin auf und erwiderte Emils Grinsen. Wenn auch nur für einen Moment. „Vielleicht bin ich auch einfach nur vorsichtig geworden, nach der Sache mit Lilian.“

„Ja, ich auch. Ich küsse sie jetzt nicht mehr.“

Martin lachte kurz auf. „Wolltest du sie nicht am Mittwoch treffen? Wie ist es gelaufen?“

„Gut. Sie ist nicht sauer auf mich. Wir haben kurz geredet. Komischerweise hielt sie es für nötig mir zu sagen, dass sie lesbisch ist.“

„Ich dachte, du magst verrückte Mädchen. War das nicht dein Beuteschema?“

„Wegen Evelyn?“, stieß Emil aus. „Das war vor 5 Jahren!“ Er konnte sich noch zu gut an das Emomädchen erinnern, mit dem er fast zusammen gewesen war.

„Nicht deshalb. Ich dachte nur, vielleicht schaffst du es ja eine Lesbe zu bekehren?“

„Lilian interessiert mich aber nicht!“ Emil ließ sich rücklings aufs Bett fallen. „Für mich gibt es nur Marie.“

„Das war jetzt übertrieben theatralisch... wenn du krank bist, schaust du zu viele Soaps.“

Schon wieder eine Party?

„Bist du dir sicher, dass du schon wieder Alkohol trinken kannst?“, fragte Martin Emil und sah dabei nicht besonders überzeugt aus.

„Natürlich. Ich nehm doch kein Antibiotikum. Außerdem hast du mich hierher geschleift!“ Er griff nach dem Glas Bier.

Noch bis Mitte der Woche hatte Emil flach gelegen, doch dann war Martin heute morgen mit der Geburtstagsfeier von der Schwester einer Freundin seiner Freundin Nicki gekommen. Merkwürdige Sache. Besonders da besagte Schwester zufälligerweise auf das Mädchengymnasium ging. Emil hatte sie bis jetzt noch nicht einmal gesehen, auch wenn er hier scheinbar auf ihrer Party war.

„Ich hasse Parties“, seufzte er. „Warum lasse ich mich jedes Mal aufs Neue überreden?“

„Weil ich den Netzstecker deines Rechners habe“, grinste Martin.

„Ich lass dich nie wieder allein in meinem Zimmer!“ Emil starrte ihn böse an bis ihm plötzlich auffiel: „Nebenbei. Was macht eigentlich Ina hier?“

Ina, die gerade an ihrem Glas Kiba schlürfte, sah erstaunt auf. „Wieso? Ich dachte, das wäre klar! Ich pass auf, dass dich nicht wieder ein Dämon angreift!“, sagte sie mit einer Verständlichkeit, als würde das alltäglich passieren.

„Aber mich hat doch überhaupt kein Dämon angegriffen!“, jammerte Emil.

„Das behauptest du!“ Sie setzte wieder einmal ihren „Wiedersprich-mir-bloß-nicht-sonst-bist-du-tot“-Blick auf und Emil verstummte. Von einer Sekunde auf die Andere lächelte sie wieder zuckersüß.

Sie konnte einem wirklich Angst machen. Bestimmt würde, wenn wirklich ein Dämon auftauchen würde, er schreiend vor ihr reiß aus nehmen.

Emil lachte leise bei dem Gedanken daran und ließ den Blick über die Menge schweifen, bis sein Blick an einem Mädchen hängen blieb, das er glaubte zu kennen. Er kniff die Augen leicht zusammen und fragte sich noch, woher er sie kannte, als sie auf einmal den Kopf zu ihm wandte.

Erst jetzt erkannte er das zierliche Gesicht umrahmt von den weißblonden langen Haaren. Es war das Mädchen, das er letztens vor dem Mädchengymnasium gesehen hatte und sie sah direkt in seine Richtung. Irritiert beobachtete Emil, wie sie sich von ihren Gesprächspartnern abwandte und auf ihn zu kam. Kam sie wirklich auf ihn zu? Er warf Martin einen kurzen Blick zu als sie plötzlich auch schon vor ihm stand und ihn mit ihrem Blick durchbohrte. Dann sagte sie lächelnd:

„Hallo, Emil. Hallo, Martin. Hi! Dich kenne ich noch nicht!“ Sie streckte Ina die Hand hin. „Ich bin Sonia. Gefällt's dir hier?“

Ina sah sie ein paar Sekunden verdattert an, bis es aus dieser heraus platzte: „Natürlich!“ Ihre Augen begannen zu funkeln. „Das Haus ist der Wahnsinn! Du wohnst wirklich hier?“

Sonia kicherte und stimmte ihr nickend zu. Bei Emil fingen währenddessen die Räder im Kopf an zu rattern.

„Das ... ist deine Party!“, stieß er aus.

„Richtig!“, lachte sie.

Emil erstarrte. Er hatte sie doch nicht gerade wirklich zugegeben, dass er keine Ahnung hatte auf wessen Party er war. Am liebsten wäre er sofort im Boden versunken.

„Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag“, hörte er Ina freudig sagen.

„Herzlichen ...“, nuschelte er nur und wagte es überhaupt nicht aufzublicken.

„Dankeschön. Wie gesagt ich hoffe euch gefällt die Party. Ist schließlich mein 16.!“

„Super Sweet Sixteen!“, quietschte Ina.

„Sowas in der Art“, gab Sonia amüsiert zu.

„Das ist sooooo cool!“

Dann fingen Sonia und Ina an zu schnattern und Emil wagte Martin einen Blick zuzuwerfen. Dieser zuckte nur grinsend mit den Schultern.

Wieso hatte Martin ihm nicht erzählt auf wessen Party er eigentlich war? Und warum hatte Emil auch nicht selbst gefragt? Er ärgerte sich über sich selbst.

Martins Stoß mit dem Ellbogen in Emils Seite, riss diesen aus seinen Gedanken. „Sie nimmt's dir nicht übel“, flüsterte er und schenkte Emil ein aufmunterndes Lächeln.

„Woher willst du das wissen?“

„Das wäre nicht ihre Art.“

„Aber sie ist doch nur die Schwester einer Freundin von deiner Freundin oder so.“ Emil stockte und sah sich um, ob die beiden Mädchen noch da waren, denn er hörte sie nicht mehr. Die Beiden waren mittlerweile schon zusammen abgezogen.

Erleichtert atmete Emil auf, als er sich wieder Martin zu wandte. Er bemerkte nicht einmal, dass Martin ihm keine Antwort darauf gab, denn eine andere Sache beschäftigte ihn:

„Wer ist diese Freundin von Nicole eigentlich? Nicht dass sie auch gleich noch vor mir steht.“

„Sie ist doch mit ihr in den USA“, winkte Martin lächelnd ab. „Außerdem hättest du sie auf Anhieb erkannt.“

„Warum?“

„Sie hat die gleiche Haarfarbe.“

„Ah ... könnte ich die Beiden verwechseln?“, fragte Emil besorgt.

„Sie ist doch eh das ganze nächste Jahr nicht da.“

„Oh ja. Stimmt.“

Dann schwiegen sie einige Zeit in der Emil fröhlich an seinem Bier nippte. Den Geschmack hatte er wirklich irgendwie vermisst. Das letzte Mal, als er Bier getrunken hatte, war an diesem Abend gewesen, als er Lilian geküsst hatte. Der Gedanke daran ließ einen Schauer über seinen Rücken laufen. Vermisste er eigentlich das Gefühl jemanden zu küssen? Vorsichtig berührten seine Fingerspitzen seine eigenen Lippen. Er konnte sich nicht einmal richtig daran erinnern.

„Denkst du gerade an Marie?“, fragte Martin und Emil zuckte unwillkürlich zusammen.

„Wie kommst du darauf?“, stotterte er.

„Du sahst so verträumt aus. Mach dir einfach keine Gedanken. Die Frauen reißen sich um dich!“

Emil lachte trocken auf. „Klar.“

„Nein wirklich. Hast du nicht gesehen wie Sonia dich gerade angesehen hat?“

„Sie hat Ina genauso angesehen!“

„Dann kommt Ina wohl auch gut bei Frauen an.“

„Wer's glaubt ...“ Emil hustete ungläubig.

„Nimms doch nicht gleich so ernst“, lachte Martin. „Übrigens, erste Party ohne Marie und Lilian!“

„Zweite Party überhaupt“, murmelte Emil.

„Du kommst auf den Geschmack.“

„Es wäre wirklich lustiger, wenn wir beiden was trinken gehen würden ... nicht auf dieser Party ...“ Emil wusste nicht einmal warum er das sagte, doch er mochte keine Parties. Er hatte sie noch nie gemocht.

„Worauf warten wir dann noch? Wo möchtest du hin?“

„Aber du wolltest doch hier unbedingt hin“, stammelte Emil verdattert.

„Ach egal. Sonia hat ja gesehen, dass wir da waren. Jetzt können wir auch wieder gehen.“

„Das ist nicht gerade sehr nett, aber es gefällt mir!“

„Und das Beste daran ist, wir werden endlich Ina los!“

Emil atmete einmal tief ein und aus. „Jap. Stimmt. Ist angenehm ohne ihren Blick im Nacken.“

Martin grinste und schob Emil Richtung Tür.

Inas kleines Abenteuer

Erst drei Whisky-Cola später, Ina war nicht bei KiBa geblieben, musste sie feststellen, dass sowohl Emil als auch Martin spurlos von der Party verschwunden waren.

Im Wohnzimmer: Kein Emil.

In der Küche: auch kein Emil.

Im Garten: ebenfalls kein Emil.

Auf dem Klo: dauerbesetzt und kein Emil.

Das Bad in der ersten Etage: leer, aber ein guter Zeitpunkt Wasser zu lassen.

Ermüdet von der ganzen Sucherrei ließ sich Ina schließlich neben der leicht offen stehenden Balkontür nieder. Von draußen wehte ein angenehm kühler Luftzug hinein und kühlte ihr Gesicht. Genüsslich reckte Ina ihre Nase und schloss die Augen. Als sie plötzlich eine Stimme vernahm:

„Du bist nicht eingeladen.“

Ina erstarrte im ersten Moment, da sie dachte sie wäre gemeint.

„Marie“, zischte die Stimme.

Es kommt von draußen, schoss es Ina durch den Kopf. Nur vorsichtig drehte sie sich zu der gläsernen Balkontür um einen Blick nach draußen zu werfen.

„Oder sollte ich besser sagen ... Violetta?“, spottete das Mädchen, dessen rabenschwaarzen Haare im Wind wehten.

„Warum nennst du mich so? Du weißt, dass ich den Namen nicht mag“, säuselte eine zweite weibliche Stimme vom anderen Ende des Balkons, das Ina von hier aus nicht erkennen konnte. Doch sie war sich sicher, dass es die von Marie war.

Die Angriffslust war in der Stimme des dunkelhaarigen Mädchens zu hören, als sie weiter sprach: „Weil es dein Hexenname ist? Nennt dich dort drüben nicht jeder so?“

Ina hielt die Luft an. Wovon redete sie nur? Und wer war sie überhaupt? Ina musste es unbedingt wissen. Hatte sie doch Recht gehabt! Hexen existierten.

Als Marie darauf nicht antwortete, stichelte das Mädchen weiter: „Nun tu nicht so unwissend! Du weißt genau, was es bedeutet, wenn ein Dämon den wahren Namen einer Hexe ausspricht!“

„Was willst du damit bezwecken?“ All die sonst so nette Art war aus Maries Stimme gewichen.

„Ich will, dass du Emil da raus hältst! Ich halte mich von ihm fern und du solltest das auch tun.“ Der Wind umspielte bedrohlich den Saum ihres schwarzen Kleides.

„Wieso sollte ich? Ich brauche ihn noch. Du kannst ihn nicht für dich allein beanspruchen“, erwiderte Marie beinahe scherzend.

„Ich will ihn doch gar nicht!“ Die Antwort des Mädchens kam so plötzlich, dass Ina sich vor Schreck an die Wand drückte und ab jetzt lieber nur lauschte.

„Ach nein? Und was war das letztens?“ Der kalte Unterton war in Maries Stimme zurück gekehrt. „Glaub mir, es ist uns nicht entgangen.“

„Im Gegensatz zu dir bin ich nicht auf ihn angewiesen!“, verteidigte sich das Mädchen.

„Auf wen dann?“, lachte Marie. „Du bist ein abscheuliches Wesen, das sich von der Lebenskraft anderer ernährt. Nicht einmal kontrollieren kannst du es.“ Sie machte eine Kunstpause. „Ich hingegen brauche nur ein ganz kleines Bisschen von Emils Energie. Es ist mehr ein hübsches Accessoire. Sogar besser als Schokolade.“

„Nur weil ihr Hexen seid, glaubt ihr, ihr wärt etwas Besseres!“

„Sind wir auch“, stellte Marie nüchtern fest.

„Verschwinde einfach! Sonst sag ich Sonia, dass du hier bist!“

„Erzähl es ihr ruhig. Sie kann ohnehin nichts machen. Nixen haben Neutralität geschworen. Das ist eine Sache zwischen dir und mir.“ Da war sie wieder: Maries zuckersüße Stimme. „Du willst spielen? Gut, dann spielen wir. Der Bund kommt mir gerade recht.“

„Wenn du Emil nicht in Ruhe lässt, werde ich es wahr machen!“

„Ja ja, überstürz mal nichts, Lilian. Wir wollen doch nicht, dass du wieder Ärger bekommst.“

Vor Schreck japste Ina. Sie spürte wie ihr Herz in der Brust raste. Lilian? Das war doch nicht möglich? Es stimmt. Sie hatte es die ganze Zeit gewusst und damit Recht behalten. Wenn sie es schaffte einen Blick auf die Beiden werfen, dann konnte sie sich sicher sein.

„Emil ist wirklich zuckersüß“, säuselte Marie, doch Lilian hörte ihr überhaupt nicht mehr zu. Sie starrte Ina an, deren Gesicht hinter der Glasscheibe aufgetaucht war. Ina blickte in die leuchtend grünen Augen. Sie war es wirklich. Sie war ein Dämon.

In Panik sprang Ina auf, stolperte rückwärts und stieß gegen etwas weiches. Blitzartig drehte sie sich um und sah nur noch verschwommen ein Gesicht vor ihr, bevor ihre Augen einfach zu fielen.

Kaum zu glauben

Das starke Kribbeln in der Nase ließ Emil laut niesen.

„Gesundheit.“

„Danke.“

„Taschentuch?“

„Nein, danke. Geht schon.“

„Da denkt jemand an dich.“

„Ach, Unsinn!“ Emil kämpfte immer noch mit seiner laufenden Nase. „Hast du vielleicht doch ein Taschentuch?“

„Ne. Ich wollte nur höflich sein.“ Martin grinste ihn breit an.

„Na danke ...“
 

~*~*~*~
 

Klare Flüssigkeit benetzte ihre Lippen und holte sie zurück ins Hier und Jetzt. Sie fühlte sich immer noch leicht benommen. Von irgendwo her glaubte sie, dass jemand mit ihr sprach. Nur schwerfällig bewegte sie die Lippen um zu antworten und murmelte unverständliche Worte.

Erst der Schwall Wasser der plötzlich ihren Mund flutete, ließ sie vor Schreck die Augen aufreißen.

„Schlucken!“

Der Hustenreiz war so stark, dass Ina sich nach vorne beugen musste. Keuchend und prustend spuckte sie das Wasser wieder aus.

„Zweiter Versuch.“

Das Wasserglas wanderte wieder zu ihrem Mund. Diesmal sah Ina auf und blickte das Mädchen an, das ihr gegenüber saß. Sie erschrak, als sie Sonia vor sich erkannte und wollte ihr schon das Wasserglas aus der Hand schlagen. Nixe, Nixe, Nixe! Als diese ihre Hand nahm, ihr schon das Glas in die Finger drückte und sie verschmitzt anlächelte:

„Tut mir Leid, dass ich dich so überfallen haben. Aber das Wasser wird dir gut tun.“

Ina beäugte es misstrauisch.

„Du musst wohl einfach eingeschlafen sein.“

„Wie spät ist es?!“, platzte es aus Ina heraus, der der Schrecken ins Gesicht geschrieben stand.

„Halb vier“, antwortete Sonia gleich überrumpelt. „Morgens versteht sich.“

Der Raum, in dem sie sich befand, wurde von warmem, gelbem Licht beleuchtet. Ein Blick aus dem Fenster verriet ihr, dass es draußen immer noch dunkel war. Als sie nach unten sah, bemerkte sie erst, dass sie auf einem Bett saßen. Sie strich mit den Fingern über die Bettdecke. Sie war weich.

„Ist das dein Zimmer?“, fragte sie zögernd.

„Ja. Ist gemütlich, oder?“

Ina nickte zustimmend, bis ihr wieder einfiel, was sie zuvor gehört hatte. Es gab nur eine Möglichkeit herauszufinden, ob Sonia wirklich eine Nixe war. Ina streckte die Hand aus und legte sie auf Sonias Wange, strich dann leicht darüber und begann dann zu reiben.

„Was machst du da?“, lachte Sonia und packte Inas Hand. „Das kitzelt!“

„Keine Schuppen ...“, murmelte Ina nachdenklich.

„Die hat man normalerweise auch in den Haaren.“

„Isst du gerne Fisch?“

„Schon.“

„Kannst du unter Wasser atmen?!“

„Nein.“

„Hast du eine Flosse?“

„Hätte ich eine, dann müsste ich ja dauernd durch die Gegen hüpfen, anstatt zu laufen.“

„Du weißt also wie es ist eine Flosse zu haben!“, verkündete Ina triumphierend.

„Sehr gute Vorstellungskraft.“ Das Lächeln war nicht aus Sonias Geschicht gewichen.

Es war hoffnungslos. Sonia war einfach nicht zu überlisten. Aus ihrer Miene konnte man nichts lesen. Gar nichts. Sie war einfach zu gut. Ina musste sich erstmals geschlagen geben.

Sonia war ja auch nicht wichtig, versuchte sie sich zu trösten. Lilian und Marie waren die beiden, über die sie sich Gedanken machen sollte. Aber wo konnten die Beiden nur stecken?

„Wo sind Marie und Lilian?!“, rief Ina.

„Lilian ist schon weg.“

Inas folgende Gedankengänge waren so schnell abgehandelt, dass man sie überhaupt nicht in Worte fassen konnte. Doch ihre Schlussfolgerung war eindeutig:

„Ich muss Emil warnen!“
 

~*~*~*~
 

„Wie viel hast du nochmal an dem Abend getrunken, Ina?“ Der sarkastische Unterton in Martins Stimme war Emil nicht entgangen. Er verstand nur nicht, warum Martin sich so aufregte.

„Gar nicht so viel. Glaubst du mir etwa nicht?“ Sie wedelte mit dem Teelöffel bedrohlich in Martins Richtung.

„Lass mich raten: Marie ist danach auf einem Besen davon geflogen?“

„Nein!“, verteidigte sich Ina. „Man, Emil, sag doch auch etwas dazu!“

Emil, der die ganze Zeit mit dem Strohhalm in seiner Cola gespielt hatte, schreckte auf, als sie ihn so plötzlich ansprach. „Wozu?“

„Dass du auf der Speisekarte stehst!“ Inas Augen waren empört geweitet.

„Marie will mich doch gar nicht essen“, sprach Emil seinen ersten Gedanken aus.

„Lilian! Lilian ist der Dämon.“

Emil sah es kommen: Gleich würde der Teelöffel sich aus Inas Hand lösen, Martin vor die Stirn klatschen und danach würden die Beiden sich solange anschreien, bis sie aus dem Café geworfen würden.

Doch zu seiner Überraschung blieb der Löffel in Inas Hand und Martin unglaublich ruhig. „Wenn das stimmt, was du sagst. Woher sollen wir dann wissen, dass du nicht mit ihnen unter einer Decke steckst?“

Ina starrte ihn nach dieser Anschuldigung erst einmal nur perplex an. Es dauerte einige Sekunden, bis sie sich wieder gefangen hatte. „Würde ich es euch dann erzählen?“

„Komm, Ina, wir wissen beide, dass das Unsinn ist. Du willst immer in allem Dämonen, Vampire oder Werwölfe sehen.“

„Diesmal ist das was anderes. Ich habe es mit meinen eigenen Ohren gehört und mit meinen Augen gesehen.“

„Was hast du gesehen?“

„Lilian mit diesen gruseligen grünen Augen.“

Das war der Punkt, wo Emil plötzlich aufhorchte. „Du hast sie auch gesehen?“, fragte er zögernd. Wie aus heiterem Himmel kehrten diese Augen in sein Gedächtnis zurück.

„Ja.“ Ein triumphierendes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „Es war genau wie du erzählt hast. Schwarzes Haar und leuchtend grüne Augen. Ein Wesen der Dunkelheit.“ Sie beendete den Satz theatralisch flüsternd.

„Sah Marie auch so aus?“, fragte Emil neugierig geworden.

„Keine Ahnung, die habe ich nicht gesehen.“

Enttäuscht prustend ließ Emil sich zurück in seinen Sessel fallen. „Dann sag mir wenigstens, warum Marie es angeblich auch auf mich abgesehen hat.“

„Sie will dir die Seele aussaugen.“

„Ich habe also die Wahl ohne Seele weiter zu leben oder Dämonenfutter zu werden?“, erwiderte Emil lächelnd. Und Inas Reaktion ließ ihn langsam verstehen, was Martin daran fand, sie auf die Palme zu bringen.

„Nein! Deshalb bin ich doch da!“, rief sie und Emil konnte dabei zusehen, wie ihr Gehirn verzweifelt nach einem weiteren Überzeugungsgrund suchte.

„Faszinierend, oder?“, scherzte Martin, als hätte er Emils Gedanken gelesen.

Beide grinsten sich an, als plötzlich der Löffel nur knapp an ihren Köpfen vorbei schoss und klirrend auf dem Boden landete.

„Ich werde es euch beweisen!“ Abrupt stand Ina auf, packte ihre Jacke und wandte sich zum Gehen. „Und wehe, Emil, du lässt dich bis dahin umbringen!“ Dann rauschte sie einfach so aus dem Café.

Emil und Martin tauschten nur verwirrte Blicke aus.

Der Feind schlägt wieder zu

Weiße Zahlen auf grünem Grund, mathematische Zeichen und irgendwelche Graphen: Sie alle wollten Emil in den Wahnsinn treiben. Davon war er überzeugt.

Es war mal wieder einer dieser Freitage, 7. Stunde. Aber das war ja nicht gerade etwas Neues.

Neu war nur, dass sich Martin irgendwann zu Emil hinüber beugte und ihm diesmal leider keine Wochenendplanung zuflüsterte:

„Du weißt, dass wir nächste Woche Klausur schreiben?“

Natürlich wusste Emil das. „Welche Klausur?“

„Physik.“

„Ich hab das Fach nicht gewählt!“

„Doch, hast du.“

„Ich hab's mündlich.“

Martin schüttelte mitleidig den Kopf.

„Ich wähl's um“, beschloss Emil kurzerhand.

„Geht erst nächstes Halbjahr.“

Das Herz sank Emil in die Hose. Er hatte gewusst, dass es ein Fehler gewesen war, Physik zu wählen und ein noch viel größerer Fehler, dabei schriftlich anzukreuzen. Aber bis jetzt hatte er es einfach nicht geschafft, das zu ändern. Auf dem Bogen hatte er beim zweiten Mal einfach alles so gelassen, wie es da stand. Macht der Gewohnheit und des Zeitdrucks. Denn Emil hatte mal wieder fast die Abgabefrist verschlafen. Eigentlich wäre es auf das Gleiche hinausgelaufen, wie ihm jetzt klar war. Aber wie hätte er das ahnen können? Damit musste er jetzt leben.

Emil seufzte leise. „Lernst du mit mir?“, fragte er Martin hoffnungsvoll.

„Ich würde ja gerne ...“

„Aber?“

Martin schwieg und Emil starrte ihn nur ungläubig an. Er konnte ihn doch jetzt nicht im Stich lassen. Nicht jetzt. Nicht vor Physik!

„Meine Oma hat Geburtstag“, fügte Martin zögernd hinzu. „Und wir sind das ganze Wochenende über weg. Achtzigster Geburtstag. Du weißt schon.“

„Montag!“

„Fußballtraining.“

„Dienstag!“

„Mittwoch ist Klausur“, warf Martin ein.

„Egal. Du weißt ich brauche jede Hilfe, die ich kriegen kann. Bitte!“

Martin zuckte nur mit den Achseln. „Okay. Dienstag hab ich Zeit.“

Emil feierte sich selbst, als Martin hinzufügte:

„Aber“ Da war es wieder: dieses Aber. „Wenn du mich fragst, solltest du vorher anfangen zu lernen. Vielleicht hat ja noch jemand genauso Probleme wie du. Mit dem könntest du zusammen lernen.“

Emil schielte unweigerlich zu seiner Linken hinüber, wo Ina saß, die ihn seit Sonntag gekonnt ignorierte.

„Quatsch! So meinte ich das nicht“, zischte Martin. „Das würde in einer Katastrophe enden.“

„Wen meinst du da...“ Doch Emil kam nicht mehr dazu, den Satz zu Ende zubringen, als der Gong ihn übertönte.
 

Da Martin nach der Stunde schnell weg musste und nur irgendwas von „sofort losfahren“ murmelte, schlenderte Emil allein zu seinem Fahrrad. Er dachte jetzt erstmal lieber an das Mittagessen, das zu Hause auf ihn wartete, als an die bevorstehende Physikklausur.

Mit dem Blick nach unten schloss er sein Fahrrad auf. Dann erkannte er plötzlich ein paar Füße ihm gegenüber. Verwundert sah Emil auf und wich unmerklich vor Schreck zurück, als er Marie vor sich erkannte. Er stammelte einige unverständliche Worte, riss sich dann aber zusammen und schwieg lieber.

„Hi.“ Marie lächelte ihn an und Emil merkte wie seine Knie weich wurden. „Hast du das gerade in Physik verstanden?“, fragte sie mit ihrer wundervollen Stimme. Sie blinzelte leicht und ein Lächeln umspielte ihre schmalen Lippen. Ihre blauen Augen sahen ihn erwartungsvoll an.

Eine lange Pause folgte, in der Emil dieses hübsche Mädchen einfach nur anstarrte, während sein Kopf nach einer Antwort suchte. Dann sprach sein Mund ein Füllwort aus, mit dem er seinen Satz besser nicht hätte beginnen sollen. „Ja ...“

„Ich kapier das überhaupt nicht.“ Sie legte den Kopf zur Seite und sah ihn betrübt an. Bei dem Klang ihrer Stimme hatte er schon wieder vergessen, was er eigentlich hatte sagen wollen. „Könnten wir vielleicht am Wochenende zusammen lernen?“

Das überforderte Emil nun vollständig. Natürlich wollte er! Unter allen anderen Umständen hätte er sofort ja gesagt. Aber das konnte nicht wahr sein. Er musste träumen. Das war doch in allen Filmen so, wenn es zu schön war, um wahr zu sein.

„Emil?“

Er müsste jetzt etwas sagen. Irgendwas. „Ich ...“ Das war schonmal ein besserer Satzanfang. „... habe am Wochenende noch nichts vor.“ Lügner, der Raid am Samstag.

„Samstag?“, fragte Marie.

Nein! Quatsch. Der Raid war doch abends.

„Gerne.“ Emil nickte leicht.

„14 Uhr?“

„Joah.“

„Gut. Wir sehen uns dann.“ Sie lächelte, warf ihm noch einen kurzen Blick mit ihren unglaublich schönen Augen zu und schloss dann ihr Fahrrad auf, das direkt neben Emils stand. Er beobachtete sie dabei und überlegte krampfhaft, was er dazu noch sagen sollte, als sie auch schon fertig war und auf ihr Fahrrad stieg. Sie hob die Hand und winkte ihm.

„Bis Samstag“, säuselte sie noch, bevor sie fuhr.

„Bis Samstag“, wiederholte Emil geistesabwesend. Samstag ... das war ja bereits morgen!

Unerwarteter Besuch

Noch vor dem Wecker wachte Emil am Samstag auf. 10:43 Uhr. Er konnte kaum glauben, wie früh es noch war. Fast noch in der Nacht!

Nur langsam schlich er ins Bad: Duschen, Zähneputzen, das Gesicht mal wieder rasieren und dann erstmal frische Kleidung. Auf die Uhr gucken: 11:12 Uhr. Warum geht die Zeit nicht um?

Zum Frühstück eine Schüssel Cornflakes mit Milch. 11:25 Uhr. Das war unmöglich. Sonst raste die Zeit doch immer.

Emil setzte sich danach erstmal an den Rechner, doch er konnte sich kaum konzentrieren. Marie würde zu ihm kommen. Zu ihm! Nach Hause! Moment. Kam sie das überhaupt? Sie hatten überhaupt keinen Treffpunkt ausgemacht. Sie kam doch zu ihm? Ganz sicher. Vielleicht doch nicht ... Er musste sie anrufen! Aber er hatte ihre Nummer nicht.

Keine Minute später hatte er Telefon und Telefonbuch in der Hand, doch dann überkamen ihn Zweifel. Ihr Nachname. Er erinnerte sich dunkel daran. Aber was sollte er sagen, wenn er sie dann auch wirklich anrief? Telefonieren gehörte eindeutig zu einer seiner größten Abneigungen. Man musste dann immer mit fremden Menschen reden und Emil wusste nie, was er in solchen Situationen sagen sollte.

So saß er dann eine knappe viertel Stunde mit dem Telefonbuch in der Hand und dem Hörer in der Anderen da und grübelte verzweifelt, als das Telefon plötzlich klingelte und er es vor Schreck fast fallen ließ.

Zunächst dachte Emil es sei Marie, doch noch während er abnahm, wurde ihm klar, wie unwahrscheinlich das war. Doch als sich die Stimme einer jungen Frau meldete, stutzte er.

„Emil?“ Das war nicht Marie.

„Eh. Ja?“ Wer zur Hölle war das?

„Ich habe nicht viel Zeit. Bitte hör mir genau zu.“ Die Frau sprach so schnell, dass sich ihre Stimme fast überschlug.

„Wer ist denn da?“

„Egal was du heute vorhast. Bleib zu Hause und lass niemanden rein!“

Emil machte nur ein zustimmendes Geräusch, während er sich seinen Teil dachte. Es gab schon mal bessere Telefonstreiche.

„Hörst du! Niemanden!“

Er nickte nur, bis ihm einfiel, dass die Frau ihn ja überhaupt nicht sehen konnte.

Dann legte sie mit einem Mal klickend auf und das Telefon wurde still. Emil ließ verwirrt das Telefon sinken, dachte kurz darüber nach, zuckte mit den Schultern und stand auf. Dass er eigentlich hatte Marie anrufen wollen, war ihm entfallen.
 

Punkt 14 Uhr klingelte es an der Tür. Emil hatte die letzten 10 Minuten wartend auf der Treppe verbracht und sprang direkt auf. Doch bevor er nach der Türklinke griff, hielt er für einen Moment inne. Er dachte an den Telefonanruf, ach alles Unsinn, und öffnete mit rasendem Herzen die Tür.

Es war diesmal wirklich Marie, die ihn höflich begrüßte und eintrat.
 

Kurze Zeit später saßen die Beiden in Emils Zimmer. Sie lehnte zunächst sowohl Trinken als auch Essen ab, sodass Emil sich vor Nervosität selbst ein Colaglas nach dem anderen hineinschüttete, während sie an seinem Schreibtisch saß.

Zunächst gingen sie durch, was die Themen der Klausur waren und schon dabei wurde Emil bei den ganzen Zahlen und Formeln schwindelig. Möglicherweise lag es aber auch an dem Liter Cola. Seine Finger zitterten nervös und er hoffte inständig, Marie würde ihn nichts Konkretes fragen, das er nicht beantworten konnte. Dann war die erste Aufgabe dran, die die Beiden selbstständig lösen wollten. Marie saß an seinem Schreibtisch, Emil auf seinem Bett. Etwas Abstand von Marie zu haben beruhigte zwar seine Nerven, doch wie sehr er auch grübelte, er hatte keinen blassen Schimmer und so lugte er von seinem Blatt und sah hinüber zu Marie, die fleißig schrieb. Verstand sie das etwa doch?

Das lange glatte Haar fiel ihr elegant über die Schultern und schimmerte golden im Sonnenlicht. Sie sah aus wie ein Engel. Wunderschön.

Für einige Zeit starrte Emil sie einfach nur an. Dann überlegte er, ob er zu ihr hinüber gehen sollte und sie fragen sollte, ob sie es verstand. Emil zögerte. Sein Herz raste. Er konnte doch nicht. Warum eigentlich nicht? Natürlich konnte er.

Mit zitternden Beinen und einem mulmigen Gefühl im Bauch stand er auf und ging zum Schreibtisch hinüber. Vorsichtig beugte er sich über ihre Schulter und sah auf das Geschriebene auf ihrem Blatt. Er verstand überhaupt nichts.

„Was ist das?“, fragte er verwirrt. Die Zeichen hatte er noch nie gesehen und er war in den Physikstunden zumindest körperlich anwesend gewesen.

„Ach nichts“, erwiderte Marie und lachte spitz auf. „Ich kritzle nur etwas, bis mir eine Idee kommt.“

Emil stützte sich mit den Händen auf dem Tisch auf, um sich weiter nach vorne zu beugen. Die Zeichen auf ihrem Blatt erinnerten ihn an irgendwas. Runen oder so etwas, die er aus Fantasybüchern kannte.

Doch dann erstarrte er schlagartig, als er Maries feine Finger auf seiner Hand spürte. Ein heißer Schauer breitete sich über seinem ganzen Arm aus und drang tief in ihn ein. Er konnte sich nicht bewegen und er wollte sich auch überhaupt nicht bewegen. Sie sah zu ihm auf und hielt ihn mit ihren wunderschönen hellblauen Augen gefangen.

Ein lautes Klirren erschütterte plötzlich den Raum und riss Emil aus seiner Trance. Das Fenster zerbarst in kleine Splitter die auf den Teppich nieder regneten, als etwas großes ins Zimmer purzelte. Im ersten Moment dachte Emil, dass Lara Croft gerade in sein Zimmer gerauscht wäre: Der geflochtene Pferdeschwanz, schwarzes Top und Jeans. Doch nicht weniger erstaunt war er, als sich das hektisch vom Boden aufrappelnde Mädchen als Lilian entpuppte.

Kaum war sie wieder auf den Beinen, kam ein Mann hinter ihr durchs Fenster und riss sie erneut um. Sie landeten auf dem Boden. Der Mann versuchte sie mit seinen Armen zu umgreifen und festzuhalten. Doch Lilian schaffte es ihre Arme aus dem Griff zu befreien und schlug mit den Fäusten auf seinen Kopf ein. Er zog den Kopf ein, was ihn allerdings nicht vor den Schlägen schützte. Scheinbar wollte er Lilian um keinen Preis loslassen. Als sie zum Schlag etwas zu weit ausholte, packte der Mann, ohne den Kopf zu heben, ihren Arm. Zunächst erstaunt, schaltete Lilian jedoch schnell, riss das Knie hoch und traf hart sein Brust und Kinn, was ihn für einen Moment in sich zusammen fallen ließ. Hastig rutschte Lilian nach hinten, um sich aufzurichten. Jedoch erholte der Mann sich und langte nach ihrem Fuß. Er bekam sie am Knöchel zu packen und zog sie zu sich heran. Lilian fiel hinten über. Mit dem freien Bein trat sie nach ihm. Er hielt schützend den Arm vor seinen Kopf und hatte nach zwei vergeblichen Trittversuchen von Lilian auch ihr zweites Bein im Griff. Durch Überkreuzen der Bein zwang er sie ihre Position auf den Bauch zu verlagern. Unglaublich schnell war er über ihr und drückte ihren ausgestreckten Arm zu Boden. Lilian schrie vor Schmerz auf, blieb dann aber schwer keuchend starr unter ihm liegen.

Fassungslos starrte Emil auf das Geschehen, das sich ihm bot. Aber er verstand einfach nicht, was das alles zu bedeuten hatte. Noch bevor er irgendetwas tun konnte, war es auch schon vorbei und Stille legte sich über den Raum, in der er nur noch Lilian leise wimmern hörte.

Der Mann richtete sich langsam auf und Emil durchfuhr der Schock, als er merkte, dass er den Mann schon einmal gesehen hatte. Der Typ der mit Marie im Café gesessen hatte! Was machte der denn jetzt hier? Und ...

„Was zum Teufel ist hier eigentlich los?“, brach es aus Emil heraus und alle im Raum starrten ihn verwirrt an. Darauf folgte erneut eine endlos lange gespannte Stille, in der Emil sein eigenes Herz schlagen hörte. Langsam hob und senkte sich seine Brust, bis die Türklingel im Erdgeschoss überraschend anfing zu schellen.

Alle schienen jetzt Emil anzusehen und dieser wusste überhaupt nicht wo er zuerst hin gucken sollte, bis Lilian aus dem Klammergriff keuchte: „Geh schon!“

Das ließ Emil sich nicht zwei Mal sagen und unter Schock eilte er aus dem Zimmer die Treppe hinunter, öffnete die Tür und da stand ihm auch schon Ina gegenüber, die ihn überlegen angrinste, während sie ihm ein Buch unter die Nase schob mit dem Wort:

„Succubus!“

Vollständige Erklärungen gib's nicht

„Succubus!“

„Bitte was?“, fragte Emil verdattert und starrte sie wie eine Erscheinung an.

„Succubus“, wiederholte Ina und leierte dann eine Erklärung herunter, die klang, als hätte sie diese auswendig gelernt. „In folklore traced back to medieval legend, a succubus (plural succubi) is a female demon appearing in dreams who takes the form of a human woman in order to seduce men, usually through sexual intercourse.“

„Wieso erzählst du mir das in Englisch?“ Emil deutete auf den Titel 'Fabelwesen', der groß auf dem Buch stand.

„Auf Wikipedia gab's den Artikel nicht auf Deutsch.“

„Aber das ist ein Buch!“

„Das ist jetzt egal! Fakt ist: Lilian ist ein Dämon und sie will dir die Lebensenergie aussaugen!“ Ina wedelte bedrohlich mit dem Zeigefinger in seine Richtung.

„Das hast du aber so nicht in der Erklärung gesagt“, verteidigte Emil sich.

„Stand in einem anderen Buch.“

„Aber das war doch auch kein -“

In dem Moment drangen Kampfgeräusche aus dem ersten Stock zu ihnen hinunter. Schreie von denen Emil wusste, woher sie kommen mussten. Er und Ina tauschten nur kurze Blicke aus, dann stürmten sie nach oben.

Die Tür schwang mit einem lauten Schlag auf und Lilian und Marie, die scheinbar gerade aufeinander losgehen wollten, erstarrten in ihrer Bewegung. Der Typ lag bereits bewusstlos daneben auf dem Boden.

Das war endgültig zu viel und Emil riss der Geduldsfaden. „Okay, was wird hier eigentlich gespielt?!“

„Ist er tot?“, fragte Ina entsetzt, die über Emils Schulter lugte.

„Er ist nicht tot“, beantwortete Lilian wohl lieber Inas als Emils Frage.

„Ich sollte lieber gehen“, hauchte Marie schüchtern, griff nach ihrem Heft und stahl sich binnen Sekunden an Emil und Ina vorbei aus dem Zimmer.

„Mom-“, wollte Emil ihr noch nachrufen, da war Marie aber schon verschwunden. Als er sich Lilian wieder zu wandte, begann diese bereits händeringend nach einer Erklärung zu suchen, doch die Beste, die ihr scheinbar auf Anhieb einfiel, war nur: „Es ist nicht so, wie es aussieht!“

„Wie denn dann?“, fragte Emil.

Lilian biss sich auf die Unterlippe und sah hilfesuchend zu Ina, die ihr natürlich überhaupt nicht helfen konnte und es auch nicht wollte:

„Ich hab dir gesagt: Sie ist ein Dämon!“

„Ist sie nicht!“, warf Emil sofort ein. „Hör nicht auf -“

„Ja, bin ich.“ Lilians Miene war starr und sie ballte die Hände zu Fäusten. „Ich bin ein Dämon.“

„Bitte was?“ Emil starrte sie ungläubig an und Ina rief laut: „Siehst du, siehst du!“ Bis Emil ihr den Mund zu hielt.

„Ich bin eine Succubus, um genau zu sein“, erklärte Lilian. „Und ich“, sie trat einen Schritt nach vorn. „habe mir Sorgen um dich gemacht.“

„Warum?“, fragte Emil misstrauisch. Er wusste genauso viel wie am Anfang: Gar nichts.

„Marie. Sie hat irgendetwas geplant und wäre ich nicht gekommen -“

„Stop! Marie? Was hat Marie damit zu tun?“

Ina begann wimmernd nach Luft zu schnappen und Emil nahm vorsichtshalber die Hand weg. Erstaunlicherweise war sie danach trotzdem noch still, als Lilian ihm antwortete:

„Das weiß ich nicht genau. Ich weiß nur, dass sie es auf dich abgesehen hat.“

„Ah ja ...“

„Tut mir Leid, dass ich dein Zimmer verwüstet habe.“ Sie sah sich betreten in dem Scherbenhaufen um. Als sie den Kopf wieder hob, sah sie direkt zu ihm hinüber und für einen Moment trafen sich ihre Blicke. Egal wie weit sie weg stand, Emil sah ihre Augen so klar, als würde sie direkt vor ihm stehen. In diesem tiefen Blau, das Wellen schlug, wie ein unruhiger Ozean, verlor Emil sich.

Er merkte, wie seine Beine sich in Bewegung setzten und schnurstracks das Zimmer durchquerten. Lilians Präsenz spürte er sofort, als er ihr näher kam. Die Wärme, die von ihr ausging, war angenehm und zum ersten Mal wurde er in Gegenwart eines Mädchens nicht nervös. Emil war ihr schon so nahe, jetzt wollte er mehr. Seine Hände legten sich auf ihre weichen Wangen. Ein Schritt und er war ihr so nahe, wie noch nie einem Mädchen. Seine Lippen waren ihren so nahe, dass er ihren Atem auf seinem Gesicht spürte. Emil wusste, dass er sie spüren wollte. Jetzt und hier. Er schloss die Augen, als er sie mit den Händen zu sich zog.

Ein heftiger Schlag in den Magen ließ ihn zurück zucken. Er ließ unweigerlich Lilian los. Ina schob sich zwischen die Beiden und drückte Emil vorsichtshalber noch das dicke Buch in die Arme, damit er seine Finger bei sich behielt.

„Hier wird niemandem die Lebenskraft ausgesaugt!“ Ina warf Emil und Lilian abwechselnd böse Blicke zu.

„Aber ...“, röchelte Emil, der sich noch fragte, warum Ina ihre Ellenbogen so fest hatte ausfahren müssen.

„Beruhig dich, bitte.“ Lilian hob beschwichtigend die Hände. „Es war niemals meine Absicht, das zu tun.“

„Und was war das gerade?“, keifte Ina.

„Ich mach das nicht absichtlich.“

„Sondern?“

Lilian seufzte laut auf. „Es wird glaube ich Zeit, euch die ganze Wahrheit zu verraten.“

„Dann schieß mal los, Schätzchen!“

Bevor Lilian antwortete, warf sie Emil noch einen flüchtigen Blick zu, dann konzentrierte sie sich auf Ina. „Wie du schon sagtest. Ich bin eine Succubus. Normalerweise ist das auch kein Problem, solange ich einen Jungen nicht küsse, noch sonst was mit ihm mache.“

„Sex haben?“, bohrte Ina nach.

„Zum Beispiel.“ Immer wieder warf Lilian Emil nervöse Blicke zu. „Aber bei Emil scheint das anders zu sein. Seine Quelle liegt so weit offen, dass er sich angezogen fühlt, ohne dass ich dagegen etwas machen kann.“

„Dich zum Beispiel von ihm fernhalten?“

„Das würde ich auch! Wenn Violetta nicht damit angefangen hätte.“

Als Ina sie nur fragend ansah, ergänzte sie: „Marie. Sie hat irgendwie von Emils Quelle mitgekriegt und will sie nun nutzen.“

„Sie will ihn also auch aussaugen!“

„Ich weiß es nicht. Wirklich nicht, aber ich will nicht, dass sie das tut, was immer es ist. Deshalb bin ich hier.“

Jetzt mischte sich Emil ein, der bis dahin nur zugehört hatte: „Woher wusstest du, dass sie kommen würde?“

Das brachte Lilian komplett aus dem Konzept und sie druckste erst einige Zeit herum, doch da hatte Emil schon die nächste Frage gestellt. „Und dieser Kerl?“

„Keine Ahnung, er hat mich auf dem Weg hierher angegriffen“, beantwortete Lilian die Frage schulterzuckend und sichtlich erleichtert.

Ina sah sich im Zimmer um. „Wo ist der eigentlich? Hier liegt er nicht mehr.“

„Marie muss ihn zurück geholt haben.“

„Und wer sagt mir, dass du ihn nicht aufgefressen hast?“

„Ach komm schon!“ Lilian stieß genervt die Luft aus. „Ja, ich hab ihn bewusstlos geküsst, aber nein: Ich habe ihn weder aufgefressen, noch irgendwo hin gezaubert. Ich kann nicht zaubern!“

„Aber Marie.“

„Ja! Und jetzt lass die blöden Fragen, I... wie hießt du noch gleich?“

„Ina!“

„Achja, stimmt ... Sonia murmelte was davon, als sie dich letzten Samstag schlafen gelegt hat.“

Noch bevor Ina ihr irgendetwas an den Kopf werfen konnte, hatte Emil sich wieder in das Gespräch eingemischt. „Dann ist es also wahr. Alles was Ina erzählt hat ist wahr.“

„Was hat sie denn erzählt?“ Lilian war neugierig geworden.

„Will Marie wirklich nur meine Lebensenergie?“, fragte Emil mit einem so traurigen Blick, dass beide Mädchen im ersten Moment nicht wussten, was sie darauf sagen sollten.

Bis Lilian aussprach, was Emil sich schon gedacht hatte, aber nicht wahrhaben wollte. „Es ist ein Spiel für sie und das Einzige, was sie interessiert ist zu gewinnen. Ich wünschte ich könnte dir sagen, was du damit zu tun hast, aber das kann ich nicht.“

„Was ist das für ein Spiel?“

„Zwischen einem Dämon und einer Hexe, einer Dämonenjägerin.“ Für einen Moment tauschten Lilian und Emil einen langen ernsten Blick aus, bis Ina plötzlich auf quietschte:

„Das ist wie mit Vampiren und Vampirjägern! Wie cool!“ Dafür erntete sie nur genervtes Stöhnen. „Aber was ich noch nicht verstehe: Warum siehst du heute normal aus, Lilian?“

„Wie bitte?“

„Keine schwarzen Haare, blaue statt grüne Augen.“

„Weil ihr zwei Schnapsnasen nicht betrunken seid“, erwiderte Lilian als wäre das selbstverständlich.

„Alkohol ...“

„... lässt uns Dämonen sehen?“, vollendete Ina Emils Gestotter.

„So was in der Art. Es ist mein wahres Ich, das ihr gesehen habt, meine Dämonenform könnte man sagen. In der Regel fällt das aber keinem auf.“

„Kann man so auch eine Hexe erkennen?“

„Geschulte Spezialisten können das, ja.“

„Wer sind denn solche Spezialisten?“

„Egal! Ich hab euch eigentlich schon viel zu viel verraten. Wenn ihr mich entschuldigen würdet.“ Lilian schob sich an den Beiden vorbei in Richtung Tür, doch bevor sie dort ankam, drehte sie sich noch einmal um. „Entschuldige nochmal mit der Scheibe. Ich bezahle das!“

„Musst du nicht!“ Emil lächelte leicht. „Wir haben eine gute Haftpflichtversicherung!“

Für einen kurzen Moment erwiderte sie das Lächeln, dann war sie gegangen.

„Was war das denn bitte jetzt?“, beschwerte sich Ina neben ihm.

„Was war was?“

„Sie ist böse!“

Emil verdrehte genervt die Augen, als sein Blick an seinem Schreibtisch hängen blieb.

„Ich muss lernen.“

„Wie?“ Ina folgte verwirrt seinem Blick, als Emil sie bereits aus dem Zimmer schob und sich mit Nachdruck von ihr verabschiedete:

„Tschüss, Ina, wir sehen uns Montag.“

Ist dreizehn eine Unglückszahl?

„Was hast du dir nur dabei gedacht?“ Sonia stützte sich mit den Händen auf dem Beckenrand ab und legte den Kopf schief. “Das hätte böse enden können.”

Lilian, die auf dem Rand saß und die Beine ins Wasser baumeln ließ, beirrte das wenig. Sie zuckte nur die Schultern. “Wenn ich nicht eingegriffen hätte, hätte es böse geendet.”

“Woher wusstest du überhaupt, dass sie dort war?”

“Nun ...” Lilian wand den Blick ab und druckste etwas herum. Als sie wieder zu Sonia sah, schmolz sie jedoch unter dem Hundeblick ihrer Freundin. “Ich habe einen Bund mit ihr geschlossen“, erklärte Lilian trocken.

“Was?!” Sonia stieß sich so ruckartig vom Beckenrand ab, dass Lilian vor Schreck zurück wich. ”Woher kennst du ihren Hexennamen?”

“Nun ...”

“Hör auf mit diesem Nun!”

“Hexennamen herausfinden ist heutzutage doch kein Problem mehr. Wozu gibt’s das Internet!”

“Internet, aha”, wiederholte Sonia in sarkastischem Ton und ließ sich zurück ins Becken sinken. Lilian seufzte und sah Sonia dann eindringlich an.

“Ich musste es tun! Marie hat irgendwas vor und ich weiß, dass es sicher nicht mit rechten Dingen zugeht..”

“Aber das ist verrückt! Du weißt doch was es bedeutet, wenn ...” Sonia Stimme ebbte ab und ihr Blick war ernst geworden. “Alles wird auf die letzte Entscheidung hinauslaufen und der Dämon verliert immer. Es ist praktisch vorbestimmt. Man, Lilian, du warst doch nie so lebensmüde.” Sonia erstarrte und Lilian wusste, dass dieser gerade etwas durch den Kopf schoss, was sicher nichts Gutes für Lilian verhieß. Sonia fuhr daraufhin mit toternster Stimme fort, doch ihre Augen glitzerten vor Freude: “Du hast dich verliebt.”

“Hab ich nicht!” Lilian verschränkte die Arme vor der Brust.

“Sicher?”, stichelte Sonia nach und nun breitete sich ein schiefes Grinsen auf ihrem Gesicht aus.

“Was soll ich denn an Marie finden?” Lilian löste die Arme wieder und stützte sich wieder am Beckenrand ab. Sie wusste nicht wohin damit.

“Nicht Marie!”, kicherte Sonia. “Ich meine Emil.”

“Ach Unsinn, ich sagte doch, ich will nur Marie aufhalten.” Lilian merkte, dass es sich nicht wie Wahrheit anfühlte.

“Ach, das ist so romantisch!” Sonia ließ sich nicht von Lilians steifer Miene aufhalten. “Du riskierst dein Leben für ihn!”

“Überhaupt nicht!”

“Aber”, begann Sonia langsam, “du hast dich da auf etwas eingelassen, das nicht gut enden wird.”

“Marie wird mich schon nicht töten. Beziehungsweise ich lass mich schon nicht so leicht töten.” Auf Lilians Gesicht breitete sich ein überlegendes Lächeln aus.

“Du musst aber daran denken, dass sie jetzt immer herausfinden kann, wo du bist.”

“Aber ich weiß wo sie ist. Außerdem wiegt sie sich scheinbar in Sicherheit. Die hat nicht einmal bemerkt, dass ich ihr auf den Fersen war. Oder ihre magischen Kräfte sind nicht besonders ausgeprägt.” Lilian zuckte die Schultern.

“Trotzdem solltest du vorsichtig sein.”

“Jaja, ich pass schon auf.“

“Nicht nur auf dich“ Sonia stützte den Kopf auf die Hände. „Du hast Emil schon viel zu viel erzählt. So viel zum Gesetz der Geheimhaltung.”

“Ich hab mir alle Mühe gegeben!”

“Du weißt, was für Folgen das hätte, wenn das Ganze auffliegt.”

“Die Seher passen schon auf”, winkte Lilian ab.

“Auch Seher sind parteiisch.”

“Sind die nicht für unser aller Wohl da? Damit wir in Frieden zusammen mit den Menschen leben können? Sollen die doch was tun für ihr Geld!”

“Man merkt, dass du nie eine magische Schule besucht hast“, entgegete Sonia kopfschüttelnd.

“Wie denn auch als Dämon? Ich falle nicht unter die magischen Wesen, noch unter die mit magischen Fähigkeiten.”

“Gibt es denn keine Dämonenschulen?”, fragte Sonia mit mitleidigem Blick.

“Brauchen wir nicht. Zudem meinten meine Eltern, ich sollte lieber eine menschliche Schule besuchen, um nicht als Sonderling zu enden.”

“Apropos, wie läufts mit deinem Abi?”, fragte Sonia schnell, um das Thema zu wechseln.

“Läuft“, war das einzige, das Lilian dazu einfiel.

“Sag mal...”, begann Sonia, die schon wieder woanders war. “Emil ist ja jünger als du, oder? Wie süß!”

“Jetzt hör mir auf mit Emil!”, fuhr Lilian Sonia an und spritzte ihr einen Schwall Wasser direkt ins Gesicht. Sonia kreischte auf und entfernte sich lachend vom Beckenrand.

“Ich ertränk dich irgendwann!”, rief Lilian scherzhaft.

“Versuch’s doch!”
 

~*~*~*~*~
 

“In welche Richtung wird der Strom induziert?”

“Welche Hand war das jetzt nochmal?”, fragte Emil, dessen Blick fragend von seiner linken zu seiner rechten Hand wanderte.

“Rechte”, antwortete Martin, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. “Die Linke ist die Elektronen-Hand.”

“Und ich hab hier eine konventionelle Stromrichtung.”

“Richtig. Warum sagst du immer, du kannst das nicht? Ich hatte durchaus schon härtere Fälle, als dich.”

“Wofür stehen jetzt nochmal Zeige- und Mittelfinger?”

“Ich nehm alles zurück.”

“Ich verarsch dich doch nur. Zeigefinger ist das Magnetfeld. Mittelfinger die Richtung der Lorenzkraft, die die Elektronen bewegt und somit einen Strom induziert.”

“Du kannst das doch alles.”

“Ich hab gestern etwas gelernt. Das ist wirklich alles überhaupt nicht so schwer, wenn es einem jemand mal erklärt. Nur das Ausrechnen ...”

“Das schaffst du auch noch. Hast doch auch Lilian überlebt.”

“Und Marie. Das ist total gruselig, alle Mädchen scheinen plötzlich zu Dämonen und sonstwas zu mutieren.” Emil machte dazu eine theatralische Handbewegung.

“Ina auch?”

“Ina war schon immer böse”, erwiderte Emil todernst. “Ich weiß überhaupt nicht, was sie gegen mich hat, dass sie mir dauernd nachstellen muss.”

“Schon mal dran gedacht, dass sie vielleicht deine Nähe sucht?”

“Ja, weil sie auf diesen ganzen Vampirkram abfährt, nervt sie mich jetzt nur noch mehr.”

“Nun, wegen ihr wissen wir jetzt, dass Lilian eine Succubus ist und dass wir Dämonen mit Alkohol sehen können.”

“Das wissen wir von Lilian.”

“Wie auch immer. Ina könnte wirklich noch nützlich sein, um dir deine Haut zu retten. Ich traue Lilian nicht zu, dass sie dich beschützen will.”

“Aber sie ist wirklich nett.”

“Marie auch. Wem willst du also glauben?”

Emil überlegte kurz und zuckte dann mit den Schultern. “Ist das jetzt wichtig?”

“Könnte dein Leben retten.”

“Ich kann mich nicht entscheiden”, druckste Emil herum.

“Sag mal, versuchst du eigentlich vom Lernen abzulenken?”

“Du hast damit angefangen.”

“Also weiter im Text: Die Lorentzkraft.”

Nehmt den Bauern aus dem Spiel

Die Physikklausur lief gar nicht mal so schlecht. Jedenfalls fand Emil das. Sein Lehrer hingegen sah das irgendwie nicht so und gab Emil nur 9 Punkte, was Martin für 'eindeutig zu wenig' erklärte, aber für Emil waren es mehr, als er erwartet hatte.

„Ohne dich hätte ich vielleicht nur 5 Punkte“, sagte Emil zu Martin. „Das sind jetzt ... wie viel Prozent mehr?“

„80 Prozent“, antwortete Martin ohne darüber nachgedacht zu haben. „Aber du konntest alles!“

„Ich hab die Rechenaufgabe verkackt.“

„Egal. Dein Ehrgeiz sollte mit bewertet werden. In der Klausur davor konntest du gar nichts.“

Emil wollte gerade widersprechen, denn gar nichts war doch etwas hart ausgedrückt, als er unwillkürlich Maries Blick im Nacken spürte und sich umdrehte.

Als hätte sie es bemerkt, wandte sie rasch den Blick ab, doch bei Emil blieb dieses unbehagliche, nervöse Gefühl zurück.

„Was ist?“, fragte Martin und sah sich ebenfalls um.

„Marie“, murmelte Emil. „Sie starrt mich seit Samstag schon die ganze Zeit so an.“

„Bist du dir sicher? Vielleicht bildest du dir das nur ein. Nach allem, was passiert ist...“

„Dachte ich auch. Aber ...“ Er rieb sich nervös die Hand im Nacken. „Es beunruhigt mich, das ist anders als vorher.“

Martin lachte leicht auf. „Weil sie dich aufessen möchte?“

„Weil sie meine Energie will. Ach, ich habe keine Ahnung. Ich weiß nicht einmal, ob ich Lilian glauben kann. Wenn Marie wirklich so etwas vor hätte, dann würde sie es doch in der Schule versuchen.“

„Würde sie nicht.“ Wieder eine Antwort Martins, die so schnell kam, dass Emil sich fragte, ob sein Gehirn irgendwie anders aufgebaut war, als seines.

„Warum würde sie das nicht?“

„Weil sie es doch nicht vor den Sehern tun kann.“

„Sehern?“, fragte Emil verwirrt.

„Na, Seher. Das weißt du doch.“

„Nein, weiß ich nicht.“

„Hast du mir doch erzählt.“

Emil schüttelte den Kopf. „Ich hab dir davon nicht erzählt.“

„Nicht?“ Martin sah ihn einige Sekunden an. „Muss ich wohl woanders aufgeschnappt haben.“

„Vielleicht. Also was sind nun Seher?“, fragte Emil neugierig.

„Später.“ Martin sah sich zu beiden Seiten um, als wenn sie beobachtet würden und tatsächlich saß Ina in einiger Entfernung zu ihnen und spitzte die Ohren. Sicher war aber, dass sie, wenn überhaupt, nur die Hälfte von dem mitbekommen hatte, was die Beiden redeten.
 

~*~*~*~*~*~
 

Die Schule war aus und Ina gerade auf dem Heimweg. Sie ärgerte sich immer noch, dass Emil und Martin sie vollständig ausschlossen, wenn es um die Sache mit Marie und Lilian ging. Dabei war sie es doch gewesen, die bewiesen hatte, dass Lilian ein Dämon war. Genervt trat sie einen Kiesel vom Weg zur Seite. Nicht mal ein Danke hatte sie dafür bekommen und dann hatte Emil sie auch noch rausgeworfen. Es war ein totaler Reinfall gewesen. Wie konnte sie das nur wieder hinbiegen?

Gedankenverloren ließ sie den Blick über die Leute schweifen, die ihr entgegen kamen. Erkannte man Dämonen wirklich nur, wenn man Alkohol getrunken hatte? Waren sie nicht sonst irgendwie auffällig? Die Augen, der Blick, wie sie liefen? Hatten sie Reißzähne? Nein, Lilian hatte auch keine. Nicht einmal in ihrer Dämonenform. Also woran dann?

Nach einigen Minuten musste Ina aufgeben. Es gab einfach zu viele verschiedene Auffälligkeiten zwischen den Personen. Der Eine wankte von links nach rechts, einer starrte die ganze Zeit auf den Boden, eine kaute auf ihrer Haarsträhne, wie sollte man unter diesen ganzen komischen Leuten einen Dämon finden?

Doch bevor Ina den Blick abwenden konnte, erstarrte sie, als sie den Mann erkannte, der gerade an ihr vorüber ging. Sie wusste nicht einmal, warum sie ihn erkannte, denn sie hatte ihn nur für einige Sekunden bewusstlos auf dem Boden liegen sehen, aber sie war sich sicher. Da hatte sie ihr Gesichtergedächtnis noch nie enttäuscht.

„Hey“, rief sie und eilte dem Mann nach. Dieser blieb verwundert stehen. „Ich kenne Sie!“

Er starrte sie nur für einige Sekunden mit seinen blauen Augen an. „Wie bitte?“

„Sie stecken mit Marie unter einer Decke! Was haben Sie eigentlich vor?“ Ina bäumte sich vor ihm auf und drohte ihm mit dem Finger.

Zum Glück hatte Ina keine Ahnung, was er mit Lilian angestellt hatte, denn ihr unerschrockenes Auftreten jagte wiederum ihm eine Heidenangst ein, sodass er ohne zu zögern plötzlich los sprintete und Ina sofort hinterher. „Ich bin noch nicht mit Ihnen fertig!“

Die Verfolgungsjagd ging quer durch den Park hinein in die Innenstadt, wo er wahrscheinlich hoffte, Ina zwischen den Menschen los zu werden, doch diese war ihm dicht auf den Fersen, überzeugt davon, dass er die Antwort auf all ihre Fragen war und so leicht gab sie nicht auf.

Im Sportunterricht hätte sie bereits nach den ersten Sekunden aufgegeben, aber hier ging es um mehr: um viel mehr. Wie verbissen rannte sie. Auch wenn ihre Beine schon nach den ersten Metern streikten. Sie musste ihn kriegen!

Mit vielen Entschuldigungen und 'Achtung' kämpfte sie sich durch die entgegenkommenden Leute. Manchmal hatte sie sogar Glück und der flüchtende Mann schubste ihr die Passanten bereits aus dem Weg. Um ihm etwas zu zubrüllen, hatte sie nicht mehr genug Luft.

Schlitternd bog er um eine Ecke in eine kleinere Straße ab und direkt in die Nächste. Er schlug Haken bis sie in einer kleinen Gasse landeten. Für einen Moment zögerte er, welche Richtung er wählen sollte, sodass Ina ihn trotz ihres großen Abstands einholen konnte.

Beherzt stürzte sie sich auf den Mann und riss ihn zu Boden. Mit den Knien hielt sie ihn unten.

„Wer bist du?“, keuchte er und machte keine Anstalten sich zu befreien.

„Ich bin Ina“, verkündete diese triumphierend und nach Luft ringend.

„Wo hast du gelernt?“

„Selbstverteidigungskurs und Tekken.“

„Tekken?“, fragte er verwundert.

„Weißt du, das ist so ein Spiel ...“, fing Ina mit der Erklärung an, doch er unterbrach sie:

„Du bist kein Wächter?“

„Nö.“

Das hätte Ina lieber nicht sagen sollen. In Sekundenschnelle hatte er ihre Griffe gelöst. Ein schneller Schlag auf ihr Kinn und Ina brach bewusstlos zusammen.

Ach, das machen Seher!

„Was ist denn jetzt mit den Sehern?“, fragte Emil ungeduldig. Martin war währenddessen dabei das Regal in der Schulbibliothek abzusuchen.

„Einen Moment ...“, murmelte er, bevor er schließlich das fand, was er suchte und das Buch aus dem Regal zog.

Es war alt, das sah Emil auf den ersten Blick, doch er verstand das Ganze noch nicht ganz.

„Mir ist aufgefallen, dass ich das mit den Sehern gelesen hatte.“

„In diesem Buch da?“, Emil deutete darauf.

„Natürlich in diesem Buch.“ Martin ging mit dem dicken Schinken hinüber zum nächsten Tisch. Die Bibliothek war bis auf die Zwei total leer, denn wer lieh schon Freitag Nachmittag ein Buch aus?

Als wüsste er schon, welche Seite es war, schätzte er kurz die Seitenzahl ab, blätterte kurz und trat dann ein paar Schritte zurück, damit Emil lesen konnte.

Er überflog die Seite. Der Text behandelte die Möglichkeit, dass es Menschen gab, die die Zukunft vorher sahen und deshalb versuchten diese zu ändern. Es wurde auch der Vorschlag gemacht, diese Seher einzusetzen, um Geheimnisse zu wahren. Doch weder von Hexen noch Dämonen stand dort etwas.

„Wie kommst du darauf, dass das hier etwas damit zu tun hat?“ Emil sah ungläubig von dem Buch auf.

„Ich habe mich gefragt, warum niemand etwas mitbekommt, dass diese Wesen hier ihr Unwesen treiben. Es muss eine Instanz geben, die verhindert, dass sie auffliegen.“

„Seher also.“

„Die wissen würden, wenn Dämonen etwas versuchen würden.“

„Du glaubst, hier ist ein Seher und passt auf, dass Marie mir nichts antut?“

„Ja, das glaube ich.“

„Na, da bin ich ja beruhigt.“

„In der Schule bist du also sicher“, stellte Martin fest.

„Deshalb vielleicht der Anruf!“, brach es plötzlich aus Emil heraus.

„Welcher Anruf?“

„Bevor Marie zu mir kam, bekam ich einen Anruf, ich sollte niemanden herein lassen. Ich wäre in Gefahr.“

Martin nickte nachdenklich.

„Vielleicht war das der Seher!“, fuhr Emil aufgeregt fort.

„Der Seher? Ein Mann?“

„Nein, eine Frau. Sie schien mich warnen zu wollen. Ganz sicher, das muss die Seherin gewesen sein.“

„Kann sein“, räumte Martin schulterzuckend ein. „Wir wissen also, dass du von einer Frau beschützt wirst, die hier irgendwo auf der Schule ist. Das beruhigt mich doch.“

„Mich auch“, atmete Emil auf.

„Das heißt nicht, dass du außer Gefahr bist! Ein Seher kann dich auch nicht retten, wenn du wieder wie bei Lilian ins offene Messer rennst.“

„Wieso?“

„Du wolltest sie schon wieder küssen“, erwiderte Martin eindringlich.

„Neidisch?“

„Du hättest daran sterben können!“

„Du glaubst doch nicht, was Ina erzählt hat? Dass Lilian mein Leben aussaugen würde?“

„Das letzte Mal bist du im Krankenhaus gelandet.“

„Schon ...“, räumte Emil ein.

„Mach's deinem Beschützer einfach nicht so schwer.“

Darauf gab Emil auf und nickte. „Hast Recht, der hat sicher noch mehr zu tun, als sich um mich zu kümmern.“ Bis ihm dann doch etwas auffiel: „Was macht so ein Buch eigentlich in unserer Schulbibliothek?“

Martin zuckte die Schultern. „Keine Ahnung. Ich hab es hier vor einigen Monaten gefunden.“

„Vielleicht gehört es dem Seher.“

„Möglich ... Wenn wir von Sehern sprechen. Hast du die neue Marvel Comicverfilmung schon gesehen?“

Emil schüttelte den Kopf. „Noch nicht.“

„Heute Abend Kino?“

„Warum nicht.“
 

~*~*~*~*~
 

„Ich wusste, dass es ein Fehler war, meinen grobschlächtigen Cousin zu bitten mir zu helfen!“ Marie lief aufgebracht in ihrem Zimmer herum, während ihr Cousin, etwas verdruckst dabei stand. „Es ist doch klar, dass sie keine Wächterin ist! Sie ist viel zu jung und außerdem in meiner Stufe!“

„Du hast auch einen Seher in deiner Stufe“, verteidigte sich der junge Mann.

„Richard, du bist nicht blöd, wie die Gehilfen in schlechten Filmen, aber das hättest du doch merken müssen!“ Marie piekste mit den Fingern in seinen muskulösen Oberkörper.

„Sie hat mich auf der Straße überrascht“, verteidigte Richard sich.

„Wie viel hast du ihr verraten?“

„Nichts.“

„Na, ein Glück. Dann habe ich weniger zu löschen.“ Marie ließ sich seufzend auf die Kante ihres Bettes sinken, auf dem die bewusstlose Ina lag. „Damit verschwende ich eine Menge Zauberkraft.“ Geschickt ließ sie die Hand über Inas Kopf kreisen. „Wenigstens hat sie eine schwache Quelle, dann wird es einfacher gehen.“

Mit den Fingern zog sie das Symbol auf Inas Stirn, dann ließ sie die Hand auf ihr Gesicht sinken. Marie begann unverständliche Worte zu murmeln und ein unwirkliches farbloses Licht erfüllte die Stelle an der sie das Zeichen gemacht hatte. Richard hatte noch nie gesehen, wie Marie einen schwierigen Zauber ausführte. Für gewöhnlich zauberte sie überhaupt nicht und umso erstaunter war er.

Marie wiederholte die Formel immer und immer wieder. Erst Minuten später verstumme sie und löste die Hand, sichtlich erschöpft.

„Du kannst sie wieder irgendwo aussetzen.“ Maries Stimme war schwach und es fiel ihr deutlich schwer aufrecht zu sitzen.

„Jetzt weiß ich, warum Seher nicht andauernd Gedächtnisse löschen“, stellte Richard fest.

„Und pass auf, dass sie nicht vorher aufwacht“, fügte Marie gequält hinzu, ohne auf ihn einzugehen. „Sonst wäre die ganze Arbeit umsonst gewesen.“

„Natürlich.“ Er kam zu ihrem Bett hinüber und hob Ina hoch. „Alles in Ordnung?“

„Ja, ja. Geh schon!“ Sie deutete Richtung Tür und Richard trug Ina ohne Wiederworte hinaus. Erst als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, ließ sich Marie kraftlos nach hinten auf das Bett fallen.

Geliebter Feind

Richard brachte das Mädchen dahin zurück, wo er sie überwältigt hatte. Maries Zauber beschützte ihn vor neugierigen Blicken und so schaffte er es unbemerkt bis in diese kleine Gasse. Er wusste, dass sobald er sie hier ablegen würde, der Zauber schnell verschwand. Also musste er sich beeilen.

Ihr lebloser Körper glitt auf den Boden. Sie sah so friedlich aus, als würde sie schlafen. Aber noch stand sie unter Maries Magie. Sie schlief ruhig und würde sich, wenn sie aufwachte, an nichts mehr erinnern können.

Er warf einen letzten Blick auf das bewusstlose Mädchen, bevor er sich aufrichten wollte. Doch dann regte sich zu ihrem Entsetzen etwas in ihrem Gesicht. Ohne Vorwarnung riss sie die Augen auf und starrte ihn mit ihren großen braunen Augen an.

Richard war wie erstarrt. Er hoffte irgendwie, wenn er sich jetzt nicht bewegte, würde sie ihn nicht einmal bemerken. Doch anstatt, dass ihre Augen sofort wieder zu fielen, wanderten sie an ihm hinauf und hinunter und blieben dann schließlich an seinem Gesicht hängen.

„Ein hübscher Unbekannter“, murmelte das Mädchen schlaftrunken und strahlte mit einem Mal über beide Ohren.

Er starrte sie weiterhin an. Sie starrte zurück. Langsam bekam er es mit der Angst zu tun. Wer war sie? Hatte sie wirklich keine magischen Fähigkeiten? Sie hielt ihn mit ihrem Blick gefangen. Richard kannte das von Marie, wenn sie ihn zu etwas überreden wollte. Doch dieser Blick hier war anders. Unschuld lag darin, mehr als Marie ihm jemals vorspielen konnte. Der Blick war pure Ehrlichkeit und das war das Beängstigenste, was Richard sich vorstellen konnte.

„Ich wurde von ...“ Die Stimme des Mädchens wurde immer schwächer, bis schließlich auch ihre Lider der Müdigkeit nachgaben. Richard erfuhr nie, was sie hatte sagen wollen, denn sie war bereits wieder in ihren traumlosen Schlaf gesunken, als er das Geschehene abschüttelte, aufstand und sie dort liegen ließ.

Das Ganze ging ihn nichts an. Sie war niemand. Das versuchte er sich zumindest einzureden.
 

~*~*~*~*~*~
 

Es war bereits früher Abend, als Ina erwachte. Zunächst wusste sie nicht, wo sie war und fuhr dementsprechend alarmiert hoch, bis sie dann doch feststellte, dass sie alleine war. Die Gasse, in der sie lag, war menschenleer.

Als sie auf sah, bemerkte sie zunächst, das Licht in einigen Fenstern. Ein Blick weiter nach oben verriet ihr, dass die Dämmerung angebrochen war.

Sie wusste weder wie sie hierher gekommen war, noch wo sie war. Ja, was hatte sie überhaupt davor getan?

So saß sie grübelnd da. Doch sie kam zu keinem Ergebnis. Ihr Kopf war so leer, wie sonst nur in Mathematikklausuren. Nur dunkel erinnerte sie sich daran, heute morgen in der Schule gewesen zu sein. Oder war das gestern gewesen? Wie spät war es eigentlich?

Ina kramte nach ihrem Handy und fand es schließlich in ihrer Umhängetasche zwischen dem Block und den einzelnen Stiften. Der Inhalt der Tasche ließ darauf schließen, dass sie in der Schule gewesen war.

Aber wie spät war es? Das Handydisplay verkündete in pink 17:53 Uhr. Wenigstens keine entgangenen Anrufe. Nicht einmal eine SMS. Das war aber auch nicht anders zu erwarten gewesen.

Träge rappelte sich Ina auf. Sie sollte noch Hause gehen, dachte sie sich. Schließlich gab es bald Abendessen.

Erst später, als sie schon längst zu Hause war, erinnerte sie sich wieder daran, nach der Schule durch die Stadt gegangen zu sein, doch was wirklich passiert war, war vollständig aus ihren Erinnerungen gelöscht worden.
 

~*~*~*~*~*~
 

„Ich habe nur noch zwei Wochen und bin keinen Schritt weiter gekommen.“ Marie stocherte genervt in ihrem Salat herum und massakrierte dabei eine Tomate aus der die blassrote Flüssigkeit spritzte. „Hörst du? Zwei Wochen! Ich hätte bereits letzte anfangen müssen.“

„Warum hast du es dann nicht?“, schlug Richard ihr daraufhin vor, worunter dann aber die Tomate zu leiden hatte.

„Du weißt, ich brauche diese Quelle. Ohne Sie wird es nicht möglich sein es herzustellen. Alles was du anschleppst ist ein Mädchen aus meiner Stufe.“ Marie schob sich die halb zerdrückte Tomate in den Mund und machte sich daran den Salat fein säuberlich mit der Gabel zu zerhacken.

„Wer ist dieses Mädchen überhaupt?“, fragte Richard mit einem Mal, doch Marie ignorierte ihn:

„Wenn dieser Seher nicht wäre ...“

„Sie geht also in deine Stufe?“

„... und dieser lästige Bund. Es ist als würde Lilian hier am Tisch sitzen und mir zuhören.“

„Wie heißt sie?“

„Dieses Biest.“

„Du solltest sie einfach töten.“ Richard zuckte mit den Schultern und Marie starrte ihn unverständlich an:

„Wen?“

„Lilian.“

„Hallo? Wir sind nicht mehr im Mittelalter. Weißt du wie schwer es ist eine Dämonenklinge aufzutreiben?“

„Ich dachte ja nur, wenn dich dieser Bund stört, dann bring es zu Ende. Du kannst gar nicht verlieren. Die Dämonenjäger gewinnen immer.“

„Wir reden von Zeiten, wo Dämonenjagen noch ein Hobby war. Aber mittlerweile sind wir in der Neuzeit angekommen. Heutzutage köpft man keine Dämonen mehr.“

„Aber du dürftest es.“

„Ich warte einfach ab. Sobald ich meinen Plan durchgeführt habe, wird sie ohnehin früher oder später auftauchen.“

„Du hast einen Plan?“, fragte Richard verdutzt. „Kommt das Mädchen auch darin vor?“

„Kannst du bitte aufhören dauernd von Ina zu reden? Das Mädel geht mir ja sonst schon auf den Keks.“

Richard ließ sich nichts anmerken, aber ein kurzes Grinsen konnte er nicht unterdrücken. „Also, dein Plan.“

„Was interessiert dich das? Du hilfst mir einfach, wenn ich dich darum bitte und den Rest kannst du mir überlassen. Es wird schwer werden, aber ich glaube mit einer Sache bin ich Lilian und dem Seher meilenweit voraus.“

„Womit?“

Marie stand auf, ohne ihren zerstörten Salat noch einmal anzurühren. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. „Dass Emil hoffnungslos in mich verknallt ist.“

Nur eine Bedingung

Emil nahm auf der Treppe direkt zwei Stufen auf einmal und warf oben angekommen einen Blick auf seine Armbanduhr. Fünf nach acht. Ein flüchtiger Blick in den gegenüberliegenden Gang verriet ihm, dass seine Lehrerin Frau Merchen am anderen Ende des Ganges gerade auf dem Weg zum Unterrichtsraum war. Vor sich schob sie einen Rolltisch, auf dem ein Stapel mit Büchern und Ordnern lag. Emil hatte also einen deutlichen Vorsprung und noch genug Zeit, um vor ihr am Raum zu sein.

Er verlangsamte sofort seinen Schritt, es gab ja keinen Grund mehr sich zu beeilen und schlug seelenruhig den Weg zum Raum ein.

Hinter sich hörte er das Klappern des Rollwagens, erst gedämpft, dann lauter werdend. Zunächst dachte er sich nichts dabei, bis das Rollen dicht hinter ihm war.

„Ich bin vor Ihnen da!“, hörte er seine Lehrerin neben ihm sagen, dann zog sie mit dem Rollwagen an ihm vorbei.

Nur einen kurzen Moment starrte Emil ihr noch ungläubig nach, dann begann er zu rennen. Er überholte sie spielend, doch sie blieb dicht hinter ihm. Die gläserne Feuerschutztür kam immer näher. Emil beschleunigte nochmal, als ein lautes Klatschen hinter ihm durch den Flur hallte.

Ein kurzer Blick zurück verriet ihm, dass ein Buch und einige Blätter von Frau Merchens Rollwagen herunter gesegelt waren und sie gezwungen hatten anzuhalten und diese einzusammeln.

Siegessicher trabte Emil zum Klassenraum, schloss die Tür hinter sich und realisierte jetzt erst wie absurd die Szene gerade gewesen war. Er musste sich das Lachen verkneifen und grinste nur über beide Ohren, als er sich zu Martin an den Tisch setzte. Kurz darauf kam auch Frau Merchen in den Raum.

„Da warst du ja nochmal pünktlich“, raunte Martin ihm zu.

Emil brummte nur, um nicht mit kichern anzufangen. Einmal tief ein- und ausatmen, dann beruhigte er sich wieder. „Du glaubst nicht, was mir gerade passiert ist ...“
 

Der Gang war voll mit Schülern, die aus dem Gebäude und zum Bus stürmten. Emil und Martin folgten den kleinen Giftzwergen in gemäßigtem Tempo.

„Ich glaub immer noch nicht, dass die Merchen, das getan hat“, meinte Emil fassungslos.

„Dich auf dem Gang fast abgezogen hat?“

„Nein, die hatte keine Chance mit dem Rollwagen, aber dass sie überhaupt auf diese Idee kommt... ich mein ich bin ihr Schüler und sie ist eine Lehrerin. Sollte ich da nicht ein wenig Restrespekt vor ihr haben?“

„Vielleicht ist sie deine Seherin.“

Emil blieb abrupt stehen. „Ja, ... vielleicht ist sie meine Seherin.“

„Sag ich doch.“

„Sagst du doch ...“, murmelte Emil immer noch geistesabwesend. „Ja ...“

Martin überging einfach Emils Aufmerksamkeitsverzögerung. „Da fällt mir ein: Ich hab was im Raum vergessen. Wir sehen uns morgen?“

Erst jetzt wachte Emil aus seinen Gedanken auf. „Ja, bis morgen!“ Er sah Martin noch kurz nach, wie dieser im Gang verschwand, dann fing er an, darüber zu grübeln, was er gerade herausgefunden hatte: Frau Merchen war seine Seherin. Und was bedeutete das jetzt?
 

~*~*~*~*~*~
 

Martin ging die Treppe zu den oberen Räumen hinauf und nicht zurück in den Raum in dem sie zuvor Unterricht gehabt hatten. Zielstrebig schritt er auf eine der Türen zu, es war die Biologiesammlung. Die Tür war nicht wie sonst verschlossen und er trat ein. Hinter ihm fiel die Tür ins Schloss.

Er schritt unbeirrt durch den Raum auf das Mädchen zu, das dort am Fenster auf dem Tisch saß und ihn erwartete.

„Ich wusste, dass du kommst.“ Marie hatte mal wieder ihr Unschuldslächeln aufgesetzt.

„Wie sollte ich auch anders, wenn ich weiß, dass du wartest?“ Martin blieb vor ihr stehen.

„Gut, also ich ...“, fing Marie an, doch Martin unterbrach sie sofort:

„Ich weiß, was du vorhast.“

„Gott, immer die gleiche Leier mit euch Sehern! Kannst du nicht wenigstens so tun, als wüsstest du nicht, was ich sagen werde?“

Martin zuckte die Schultern. „Ich kann's versuchen.“

„Also“, fing Marie an und schlug die Beine übereinander, doch Martin fuhr ihr schon wieder ins Wort:

„Du hast vor, Emils Quelle endgültig zu verbrauchen.“

„Hör zu, ich brauche sie und bis jetzt hatten wir beide auch kein Problem damit. Ich mein, du hast mir sogar den Weg geebnet. Das ist mir nicht entgangen.“

„Weil du das bist, was Emil will. Das dachte ich zumindest. Er war wirklich in dich verknallt.“

„Was heißt hier war?“

„Ich bin mir nicht mehr sicher, ob er dich immer noch liebt. Lilian ist ungewollt eine starke Konkurrenz für dich geworden.“

„Was hat diese Lilian schon, das ich nicht habe?“, entgegnete Marie patzig.

„Sie hat zum Beispiel nicht versucht ihn zu verhexen.“

„Was hätte ich denn auch anderes tun sollen?“

„Das, was du auch sonst mit allen anderen tust, wickele ihn um den kleinen Finger.“

Marie rollte mit den Augen.

„Das ist meine einzige Bedingung.“ Martin erhob unmerklich seine Stimme. „Keine Hexereien mehr! Er muss einwilligen, sonst bekommst du's mit mir zu tun!“

„Ja, ja. Schon kapiert.“ Marie versuchte sich nichts anmerken zu lassen, doch als sie weiter sprach, hatte ihre Stimme an Selbstsicherheit verloren: „Und du bist nur hier, um mir das zu sagen?“

Martin verschränkte nachdenklich die Arme. „Und dass ich es vorziehen würde, wenn du Emil diese Lilian ausreden würdest.“

„Warum willst du das?“

„Das fragst du noch? Eine Beziehung mit einer Succubus? Ein Ding der Unmöglichkeit. Es würde ihn umbringen, aber ich kann es ihm nicht sagen. Noch glaubt er, ich wüsste von dem Ganzen nichts. Ich wollte eigentlich eine neutrale Rolle in dem Ganzen spielen, bis sich das zwischen dir und Lilian geklärt hat. Aber da die Dinge sich geändert haben, bin ich hier.“

„Geklärt?“ Maries Stimme war schwach. Es beunruhigte sie an den Bund mit ihr zu denken.

„Na eine von euch beiden wird den Kampf sicher nicht überleben und ich versuche zu beeinflussen, wer gewinnt.“

Maries Augen wurden mit einem Mal größer und in ihrer Stimme hörte man die Aufregung. „Du weißt also, wie der Kampf ausgehen wird?“

Eine kurze Stille trat ein in der Martin glaubte, Marie würde die Luft anhalten, nur darauf wartend, dass er ihr antwortete:

„Natürlich. Ich weiß, wie es ausgehen wird und ich hoffe, dass ich es hiermit ändern kann.“

„Dann sag es mir!“

„Nein.“ Martins Antwort hatte etwas endgültiges. „Aber du solltest aufpassen. Lilian hat nichts zu verlieren.“

Marie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte, doch auch Martin sagte darauf nichts mehr. Einige Zeit sahen sie sich schweigend an, bis Marie die Augenbrauen hochzog und fragte:

„War es das jetzt?“

„Ja, ich glaube das war es soweit. Ich hab noch was zu erledigen.“ Martin machte auf dem Absatz kehrt, bevor er sich noch einmal umwandte: „Vergiss nicht, Emil wird kein Haar gekrümmt!“

„Wie sollte ich auch? Du weißt es ja schon vorher, wenn ich es vorhaben sollte.“

Liebe macht blind

Emil war gerade auf dem Weg zu seinem Fahrrad, als er eine vertraute Stimme hinter sich seinen Namen rufen hörte. Er drehte sich um und war erstaunt, Lilian vor sich zu haben.

„Emil!“ Sie hielt schnaufend bei ihm an. „Bist du okay?“

„Eh ... ja.“ Emil sah sie fragend an.

„Ich hatte nur dieses Gefühl, als hätte Marie wieder etwas vor und ...“ Lilian schnappte nach Luft. „Es ist also nichts passiert?“

Verneinend schüttelte Emil den Kopf.

„Oh. Dann tut das mir unglaublich Leid, hier aufgekreuzt zu sein.“

„Wieso?“

Einen Augenblick sah Lilian ihn entgeistert an, doch dann begann sie zu lächeln und meinte mit betont sarkastischer Stimme:

„Ja, warum eigentlich?“

„Das weiß ich auch nicht“, gab Emil zu.

Es war Lilians Lachen, das die angespannte Stimmung zwischen den Beiden auflöste. „Nun gut. Dann bin ich den ganzen Weg umsonst gerannt. Ich dachte, du würdest wieder etwas dummes anstellen.“

„Was sollte ich denn dummes anstellen?“

„Mhm... lass mich kurz überlegen.“ Sie überlegte gespielt. „Dich von einer bösen Hexe in einen Frosch verwandeln lassen zum Beispiel.“

„Du hast das mit der Kostümparty immer noch nicht vergessen?“

„Warum? Oh, entschuldige. Ich vergaß.“

„Ist schon in Ordnung“, winkte Emil ab. „Das meine ich nicht. Ich meine dieses peinliche Kostüm.“

„Ich fand es stand dir sehr gut.“

„Meinst du?“

„Du solltest öfter grün tragen. Auch wenn dir schwarz auch sehr gut steht“, bemerkte Lilian, während sie seine Kleidung inspizierte.

„Du trägst aber auch fast immer schwarz.“

„Da hast du Recht. Es hält einfach die Gerüchte, die über mich existieren, aufrecht.“

„Dass du eine Lesbe bist?“

„Und dass ich Männer zum Frühstück verputze. Dabei benutze ich nicht einmal schwarze Schminke“, beschwerte sich Lilian und deutete auf ihre Augen, bei denen Emil nicht genau erkannte, ob sie nun geschminkt waren oder nicht, doch eine ganz andere Frage brannte ihm auf der Seele:

„Bist du eigentlich lesbisch?“

Lilian verstummte plötzlich und ihre Gesichtszüge versteiften sich. Nachdenklich fuhr sie mit ihrer Zunge über ihre Lippen, bevor sie ihm mit belegter Stimme antwortete:

„Ganz ehrlich? Keine Ahnung. Aber da ich keine Beziehung mit Männern haben kann, du weißt schon wegen dem Succubusding ... bleibt mir nicht viel anderes übrig.“

Mit der Antwort hatte Emil nicht gerechnet und er überlegte verzweifelt, wie er darauf antworten sollte, doch etwas besseres als „Verstehe“ fiel ihm nicht ein.

„Tja, da kann man nichts machen. Das Leben als Succubus ist hart.“ Lilians Lächeln ließ Emils Anspannung dann doch wieder schwinden. „Was machst du in den Osterferien?“

„Keine Ahnung. Die fangen doch erst Freitag an.“

„Ja, stimmt. Ich habe ja keine Schule mehr, also kriege ich das nicht mehr so mit.“

„Du bist fertig mit der Schule?“, stieß Emil ungläubig hervor.

„Ja, ich mache jetzt mein Abi.“

Emils Augen verengten sich misstrauisch: „Wie alt bist du?“

„19.“

„Dann bist du älter als ich!“

„Scheint so.“

Emils nächster Gedanke enthielt irgendetwas von älteres Mädchen geküsst, bis er Lilians Blick bemerkte, der abgeschweift war und auf etwas starrte, das hinter ihm war. Er erkannte Martin, der auf die Beiden zukam. Lilian wirkte nervös.

„Ich sollte lieber gehen“, murmelte sie. „Pass auf dich auf, Emil.“ Ein Lächeln zog über ihre Lippen, dann war sie auch schon schnellen Schrittes Richtung Hoftor unterwegs.

„Was wollte sie denn?“, fragte Martin, als er bei Emil angekommen war.

„Weiß ich ehrlich gesagt nicht so genau.“

„Übrigens Marie sucht dich.“

„Warum sucht sie mich?“

„Weiß ich nicht genau. Sie meinte nur, sie wollte dir was sagen. Und weißt du was das heißt?“

Emil sah ihn verständnislos an.

„Du magst sie doch schon so lange. Ich wette, das wird heute noch was.“

„Ach Unsinn. Warum sollte sie etwas von mir wollen?“

„Mehr Selbstvertrauen, Emil!“, versuchte Martin ihm Mut zuzusprechen.

„Selbstvertrauen kann mich mal.“ Emil wurde zunehmend unruhiger. „Was soll ich denn sagen?“

„Du hast doch schon mit ihr zusammen gelernt.“

„Da haben wir aber auch nicht viel geredet.“

„Ich hab ihr gesagt, ich würde dich holen. Sie wartet sicher schon.“

„Okay, okay. Gib mir fünf Minuten!“

„Die hast du nicht. Jetzt geh schon!“ Martin gab ihm einen leichten Schubs in den Rücken. „Wird schon alles gut gehen.“

Emil holte tief Luft. „Ich mach's jetzt einfach“, sagte er mehr zu sich selbst, als zu Martin und ging schnurstracks zurück ins Gebäude.
 

Marie wartete auf der Treppe auf ihn. Sie sah einfach umwerfend aus, in dem schmalgeschnittenen, langen Top und der engen Jeans.

Emil nahm allen Mut zusammen und versuchte sich nicht zu verhaspeln, als er sprach: „Hi, Martin sagte, du hattest mich gesucht. Du suchtest mich. Ach wie auch immer.“ Wie immer in solchen Situationen mit Marie, spürte er wie er rot anlief und seine Knie weich wurden.

„Ja.“ Marie lächelte ihn an. „Können wir uns kurz setzen?“

Emil nickte nur steif und setzte sich neben Marie, die sich auf der Treppe niederließ. Sie faltete ihre Hände, bevor sie anfing zu sprechen:

„Nun, Steffi und Lisa sind beide die Osterferien über auf Mallorca.“ Warum erzählte sie ihm das eigentlich? „Ich kann leider nicht mit, weil ich ein Fotoshooting in Bremen habe. Das wäre eine gute Gelegenheit Urlaub im Ferienhaus meiner Eltern an der Nordsee zu machen.“

Sie sah plötzlich zu Emil auf. „Hättest du Lust mich zu begleiten?“

Emils Herz fing schmerzlich an zu rasen, doch so leicht fiel Emil diesmal nicht darauf herein:

„Und warum gerade ich?“

„Du hast mir sehr beim Lernen geholfen. Ich habe sogar eine Zwei geschafft. Ich denke, dass wir sicher auch in anderen Fächern für die Schule lernen könnten.“

Eigentlich brauchte Emil normalerweise nicht zu lernen, es klappte auch so ganz gut mit den Noten. Nur in Physik und Mathe war er eine Niete, aber das wollte er ihr jetzt bestimmt nicht sagen.

Plötzlich spürte er, wie sie seine Hand berührte und zuckte sofort zusammen. Sie umfasste sie mit beiden Händen. Ihre blauen Augen blinzelten ihn erwartungsvoll an. „Bitte. Du hast mir schon so oft geholfen! Ich möchte einfach nicht alleine fahren.“

Wann hatte er ihr denn geholfen? Beim Lernen und genau: Das eine Mal mit diesem Typen in der Eisdiele.

„Was war das eigentlich damals für ein Typ?“, fragte Emil. So leicht würde er sich nicht überreden lassen.

„Welcher?“, fragte Marie aus dem Konzept gebracht.

„Der in der Eisdiele.“

„Ach, der ...“ Marie senkte theatralisch die Stimme. „Der hat mich betrogen mit irgendeiner Anderen. Deshalb war ich so fertig danach. Aber zum Glück warst du ja da.“

Ihre Finger begannen leicht Emils Hand zu streicheln und jetzt glaubte er, sein Herz würde in seiner Brust zerbersten. Er saß also auf der Treppe, händchenhaltend mit dem Mädchen, das er liebte, die ihn in ihr Ferienhaus einlud und er glaubte immer noch, sie wolle ihm etwas Böses? Genau genommen, hatte sie ihm noch nie etwas Böses getan. Lilian hatte ihn ins Krankenhaus befördert, nicht Marie. Sie war immer nett zu ihm gewesen und sie war wunderschön, besonders wenn sie lächelte.

„Ich würde mich wirklich freuen, wenn du mitkämst.“

„Okay.“

„Okay?“, fragte Marie verwirrt.

„Ich komme mit.“

„Achso. Ja, natürlich. Schön.“ Marie schien total aus ihrem Konzept gebracht. „Ich wollte Freitag direkt los. Sollen wir uns nach der Schule direkt treffen?“

Emil nickte. Ein weiteres Wort brachte er nicht hervor.

„Hast du ein Auto?“

Ein Kopfschütteln.

„Gut, ich habe eins. Dann treffen wir uns nach Physik am Parkplatz?“

Ein Nicken.

„Also.“ Marie löste ihre Hand von Emils. „Wir sehen uns dann.“ Sie machte Anstalten aufzustehen, besann sich dann aber anders, beugte sich noch einmal hinunter und gab Emil einen Kuss auf die Wange. „Ciao.“ Und mit einem Lächeln auf den Lippen verschwand sie.

Weitere fünf Minuten konnte Emil weder etwas sagen, noch sich bewegen. Ein Urlaub. Im Ferienhaus. Mit Marie. Er war der glücklichste Mensch auf Erden.

Ich seh schon, das wird ein Spaß

Die Tür von Maries Wagen schloss sich hinter Emil. Er war immer noch total unruhig. Zur Begrüßung hatte er nur einige Worte gestammelt, seitdem versuchte er in dieser ihm fremden Situation klar zu kommen, was sich als schwerer erwies als vermutet. Erschrocken merkte er, wie seine Hände schwitzten und versuchte sie unauffällig an seinem Pulli trocken zu reiben.

Marie startete den Motor und fuhr schweigend los. Emil zählte währenddessen die Sekunden. Er wusste, er musste irgendetwas sagen, um ein Gespräch zu beginnen. In seinem Kopf malte er sich unterschiedlichste Szenarien aus, doch keines schien ihm passend.

Sie hatten noch nicht den Parkplatz verlassen, da bemerkte Emil mit einem Mal:

„Darfst du überhaupt schon Auto fahren?“ Die Wörter gingen ihm besser über die Lippen als er gedacht hatte.

„Wieso?“, fragte Marie und bog in die Straße ein.

„Habe ich deinen Geburtstag verpasst?“ Emil war sich nicht sicher, wann sie noch mal Geburtstag hatte. Das letzte Mal war sie noch 17 gewesen.

„Ach, ich hab meinen Führerschein früher gemacht.“ Marie lächelte leicht und fing an mit den Fingern auf dem Lenkrand herum zu tippen.

„Brauchst du dann nicht eine Aufsichtsperson?“

Marie schwieg kurz und Emil blieb währenddessen das Herz stehen. Er stellte sich schon darauf ein, direkt an der nächsten Straßenecke wieder herausgelassen zu werden. Das war es dann mit einem Date mit Marie.

„Ich habe doch dich dabei“, sagte Marie schließlich und Emil ließ es erleichtert dabei bewenden.

Er hatte vollkommen vergessen, dass Marie eine Hexe war. Wahrscheinlich verzauberte sie den Polizisten einfach, wenn sie angehalten werden sollte. Dann kurbelte sie einfach total gelassen das Fenster herunter, lächelte ihr magisches Lächeln und der Polizist würde sie nur weiter winken.

Unwohl war ihm bei den Gedanken dennoch. Besonders der Teil mit dem Polizisten anlächeln, ließ Emils Eifersucht aufkochen.

Aber jetzt musste er erstmal das Gespräch weiterführen, bevor sie ihn vergaß.

Das Auto bog um die nächste Ecke, kaum 500m vom Parkplatz entfernt.

Er hatte gerade schon den Mund geöffnet, um etwas zu sagen, auch wenn er noch nicht wusste was, da fiel Marie ihm leicht gereizt ins Wort: „Könntest du kurz ruhig sein?“ Dann hielt sie inne und fügte entschuldigend hinzu: „Zumindest bis ich auf der Autobahn bin? Okay?“

Emil war daraufhin augenblicklich still. Soviel redete er doch überhaupt nicht. Er redete nie viel. Genau genommen hatte er es noch nie geschafft, jemanden damit zu nerven, dass er redete. Das war also das erste Mal, dass ihn jemand zur Ruhe bat und dann war es auch noch Marie. Aber wenn sie sich konzentrieren musste, war das in Ordnung. Schließlich war sie Fahranfängerin. Da brauchte man Ruhe im Auto.

Emil versank in seinem Sitz und lauschte dem leisen gestellten Radio. Dieses spielte eigentlich ganz gute Musik. Doch dann drehte Marie das Radio bei einem komischen Songs lauter, den Emil am liebsten überhaupt nicht gekannt hätte.

Sein Blick wanderte, ohne dass er es merkte, aus dem Fenster auf die Felder und Hügel, die jenseits der Autobahn an ihnen vorbei zogen. Seine Aufregung und Verunsicherung fielen von ihm ab, als seine Gedanken an einen anderen Ort wanderten, an dem es Drachen, Schwerter und Prinzessinnen gab.
 

~*~*~*~*~*~
 

Es war schon früher Abend, als Martin die Haustür öffnete und verwundert war, Sonia zu erblicken.

„Sie ist weg!“, platzte es aus ihr heraus, bevor er überhaupt fragen konnte, was sie hier machte.

„Wer?“, fragte Martin aus Reflex.

„Lilian!“

„Und?“

„Das Schwert ist auch weg!“, sagte sie während sie aufgelöst mit den Händen in der Luft herum wedelte.

„Welches Schwert?“

Sonia sah ihn strafend an, als würde er sich über sie lustig machen. „Das Schwert!“

„Was meinst du?“, setzte Martin noch einmal an.

„Das ist nicht der richtige Zeitpunkt, um Witze zu machen.“

Martin schluckte. Er hatte zu seiner eigenen Verwunderung wirklich keine Ahnung wovon sie sprach und das passierte so gut wie nie. Wenn er darüber nachdachte, eigentlich nie.

Etwas verlief nicht, wie er es vorhergesehen hatte. Wie Lilian das angestellt hatte, wusste er nicht. Aber sie musste ihn ausgetrickst haben und damit stand Emils Zukunft auf der Kippe. Er musste etwas unternehmen.

„Also, das Dämonenschwert ist weg?“, fragte er und überlegte direkt, was er als nächstes sagen sollte.

„Lilian hat es genommen und ist sicher damit auf dem Weg zu Marie, aber die ist auch weg!“

„Jetzt beruhig dich, Cousinchen.“

„Ich beruhig dich gleich!“ Sonia schlug mit der flachen Hand gegen den Türrahmen, woraufhin Martin nervöse Blicke in die Wohnung hinein warf.

„Schon gut. Schon gut.“

Sonias Miene erhellte sich sofort. „Ich wusste, du würdest mir helfen.“

„Natürlich“, murmelte Martin gequält. „Helfen ...“

„Und da ich wusste, wie sehr du Lilian doch magst ...“

„Das ist nicht dein Ernst!“, keuchte Martin, der in diesem Moment plötzlich wusste, was Sonia als nächstes sagen würde. Sonia hatte bereits Ina auf den Plan gerufen, die sie hierher gefahren hatte und im Auto wartete.

„Und weißt du was“, fuhr Sonia fort. „Sie erinnert sich merkwürdigerweise an überhaupt nichts mehr, was mit Lilian oder Marie zu tun hat. Ihre Erinnerungen wurden scheinbar nicht von einem Wächter gelöscht, sondern nur versiegelt. Es könnte also passieren, dass irgendwer ein falsches Wort fallen lässt und das Siegel wieder aufbricht. Das wäre sicher nicht in deinem Interesse. Besonders da du Ina von Anfang an aus der Sache hättest heraushalten sollen.“

Martin, der sie die ganze Zeit nur mit offenem Mund angestarrt hatte, schloss diesen nun langsam wieder. „Ich seh schon, dass wird ein Spaß.“

Und während Sonia ihn zum Auto zerrte, dachte er daran, dass ihm diese Version des Endes eigentlich ganz gut gefiel.

Kompromisse

„Wohin fahren wir eigentlich?“, fragte Ina mit verschränkten Armen vom Rücksitz aus, als Martin auf die Autobahn auffuhr.

„An die Nordsee“, war die einzige Auskunft, die sie von ihm bekam. Genug Grund also nachzuhaken:

„Was hat das denn mit Emil zu tun? Und warum fahren wir dahin?“ Ina sah abwechselnd von Sonia zu Martin. Diesmal antwortete Sonia ihr und Ina merkte, dass sie kurz überlegen musste: „Weißt du, das ist wirklich eine sehr ernste Angelegenheit und es ist besser, wenn du nicht zu viel weißt.“

„Und warum nehmt ihr mich dann bitte mit?“, fragte Ina ungläubig.

„Weil Martin darauf bestanden hat und gesagt hat: ohne Ina fahren wir nicht Emil retten“, erwiderte Sonia ohne mit der Wimper zu zucken und Martin ließ es deshalb einfach so stehen. Ina reichte diese Erklärung allerdings nicht, fragte aber lieber in einer anderen Richtung weiter:

„Woher wisst ihr überhaupt, dass Emil in Gefahr ist?“

„Er hat ne Email geschrieben“, hüstelte Martin.

„Warum sollte er eine Email ...?“, warf Ina ein, bis sie sich des Wortspiels bewusst wurde und nur trocken lachte. „So gleich klingt das jetzt auch nicht!“

„Eigentlich wirklich nicht“, pflichtete auch Sonia ihr bei.

„Kam aber schon häufiger zu Verwechslungen, bei denen jemand einen Emil im Postgang hatte“, ergänzte Martin, was Sonia nun überhaupt nicht lustig fand und ihn stattdessen ein „Fahr lieber!“ an den Kopf warf.

„Warum sind wir also unterwegs?“, griff Ina das Thema wieder auf. Doch von Sonia und Martin kam keine Antwort. „Was ist passiert? Geht es Emil gut?“

Die Beiden schwiegen weiterhin.

„Könntet ihr wenigstens das Radio anmachen?“, fragte Ina genervt. „Es ist so still hier hinten.“ Sie zog eine Grimasse und ließ es darauf beruhen. Sie würde es noch früh genug herausfinden.

Martin schaltete kommentarlos das Radio an.

„Das Spritgeld teilen wir aber, oder?“ Keine Antwort. „Ooooooder?“
 

Erst an der nächsten Raststätte, als Ina auf Toilette musste, sprach Martin wieder mit Sonia: „Woher wusstest du, dass Emil in Gefahr ist?“

„Das wusste ich nicht.“ Sonia zuckte die Schultern. „Ich habe Ina erzählt was sie hören ... Oh mein Gott! Emil ist auch in Gefahr!“, brach es aus ihr heraus.

„Was meinst du wohl, wo Marie ist?“

„Sie hat Emil entführt und ...“ Sonia schlug sich die Hände vor den Mund, als wagte sie es nicht ihren eigenen Satz zu vollenden.

„Ach Unsinn, Emil geht’s gut“, winkte Martin unbeeindruckt ab. „Solange er Lilian nicht zu nahe kommt.“

Nur langsam ließ Sonia daraufhin die Hände sinken. „Was hast du eigentlich gegen Lilian? Ist es immer noch wegen der Sache?“

Martin verschränkte die Arme. „Als ob mich das noch interessieren würde.“

„Aber du hast immer noch etwas gegen sie.“

„Ja, weil Emil Gefahr läuft all seine Lebensenergie an sie zu verlieren.“ Martins Stimme war zum Zerreißen gespannt.

„Aber Lilian kann das kontrollieren.“

„Kann sie eben nicht.“

„Du kannst ihr das doch nicht ewig nachtragen!“

„Sie kann es eben nicht kontrollieren!“

Sonia verstummte für einen Moment. Dann fragte sie zögernd: „Warum nicht?“

„Emils Quelle ist zu stark.“

„Das heißt es gibt keine Chance? Keine klitzekleine Chance?“

Martin schüttelte den Kopf. „Es gibt keine Möglichkeit.“

„Aber das ist doch nicht fair. Seit dem Friedensabkommen mit den Dämonen sollte man doch meinen, alle wären gleichberechtigt.“

„Das hat doch damit nichts zu tun. Es liegt in der Natur eines Dämons zu zerstören. Deshalb müssen wir auch auf sie aufpassen, weil sie es selbst nicht können.“

„Lilian ist anders!“, warf Sonia ein.

„Ich geb's auf. Wir drehen uns im Kreis“, seufzte Martin. „Vertrau mir einfach. Ich regel das schon.“

„Du hast einen Plan?“, fragte Sonia verwundert, als hätte sie ihm das überhaupt nicht zugetraut.

„Du passt auf Lilian auf, dass sie keinen Unsinn anstellt, den ich später wieder ausbügeln müsste und ich kümmere mich um den Rest.“

„Den Rest?“ Sie sah ihn ungläubig an.

„Na aufpassen, dass sonst niemand zu schaden kommt. Übrigens, wenn man vom Teufel spricht. Ina kommt wieder.“

Sonia sah auf und erkannte, dass Ina sich noch ein ganzes Stück von ihnen entfernt auf dem Rückweg befand. Sie schwieg, bis Ina die beiden erreicht hatte.

„Was habe ich verpasst?“, fragte Ina neugierig.

„Nichts“, antwortete Martin kurz angebunden und Ina verdrehte die Augen:

„Natürlich...“

„Lass uns weiter fahren“, lächelte Sonia. „Wir wollen doch nicht zu spät kommen.“
 

~*~*~*~*~*~
 

Emil folgte Marie durch den ausladenden Flur ins Wohnzimmer. Dort angekommen staunte er nicht schlecht, als er das offene Wohnzimmer sah in dessen Mitte ein gemütlicher Couchbereich mit einem riesigen Fernseher thronte. Spontan hätte Emil den Fernseher auf mindestens 60 Zoll geschätzt, auch wenn er keinen Vergleich hatte. Unweigerlich stellte er sich vor, wie es wohl wäre, auf so einem großen Fernseher an einer Konsole zu zocken. Auch wenn er PC-Spieler war, für so einen Fernseher würde er eine Ausnahme machen.

Während er noch wohl einige Momente fasziniert in die Gegend gestarrt hatte, war ihm entgangen, dass Marie in die angrenzene Küche verschwunden war. Umso mehr irritierte es ihn, als ihn die Küchentheke plötzlich fragte, ob er etwas trinken wolle.

Er wandte seinen Blick zur Küche und sah Marie, wie sie auf die Platte abgestützt, auf seine Antwort wartete. Ihre hellblauen Augen fixierten ihn. Dummerweise fiel ihm jetzt partou die Frage nicht mehr ein, die sie gestellt hatte. Was hatte sie noch einmal gefragt? Sie sah einfach so hübsch aus, wenn sie ihn so ansah.

„Wasser? Saft? Wein?“, hakte Marie noch einmal mit bereits leicht genervtem Unterton nach.

„Gibt es auch Cola?“, fragte Emil.

„Nein. Hat zu viel Zucker“, sagte Marie und lächelte dabei als wäre es eine Selbstverständlichkeit und Emil fühlte sich, als hätte er wieder etwas falsches gesagt.

„Gut, dann Wasser“, erwiderte er deutlich eingeschüchtert.

„Mit oder ohne Kohlensäure?“

„Mit.“

Marie kam also mit einem Glas mit noch frisch sprudelndem Wasser zurück und drückte es Emil in die Hand. „Also, wie findest du das Haus?“, fragte sie, während sie sich setzte.

Emil wusste nicht recht, was er ihr darauf antworten sollte. „Schön. Wirklich schön“, war das Einzige, das ihm einfiel.

„Ich dachte wir könnten uns einen schönen Abend machen“, fuhr Marie fort, als hätte sie Emils Antwort überhaupt nicht interessiert. „Vielleicht eine DVD schauen.“

Emil rieb sich die juckenden Augen. Die Kontaktlinsen, die Marie ihm gegeben hatte, störten ihn immer noch ein wenig.

„Hast du eine Idee für einen Film?“ Sie sah ihn mit großen Augen fragend an.

Halt. Das konnte nur eine Fangfrage sein. Wenn er jetzt einen Film vorschlug, der ihm gefiel, aber ihr nicht, wäre das der größte Fehler seines Lebens. Er musste erst überlegen:

Ein Film, der einer Frau gefällt. Irgendeinen musste es doch geben. Wieso hatte er nicht wie Martin eine Schwester?

„Wir könnten Titanic schauen“, schlug Marie vor und Emil war im ersten Moment nur erleichtert, dass es nicht High School Muscial war.

Bis ihm auffiel, dass das eine recht dramatische Inszenierung werden konnte, wie das Schiff auf dem 60 Zoll-Fernseher unterging.

„Meinetwegen“, entgegnete er nur, das Bild vor seinen Augen nicht mehr loswerdend und in sich hineingrinsend.

„Ich hole eben die DVD.“ Marie erhob sich von ihrem Platz und warf ihm im Gehen noch ein Lächeln zu, das Emil schmelzen ließ. Der Abend konnte doch nur gut werden. Er, Marie und die Titanic in HD und Großformat.

Es ist zu spät

Noch überlegte Emil, wie er hierher gekommen war. Seine Arme waren um Maries zarten Oberkörper gelegt und ihre Füße wippten zur Melodie des Liedes.

Das Letzte an das er sich erinnerte, war, dass Marie an seiner Schulter gelegen hatte. Ihre zierlichen Finger umschlossen seine Hand. Sie waren etwas kalt, aber dass störte Emil nicht. Denn ihr Oberkörper war warm und er spürte ihren Atem.

Aber wie wieso war dies so? Warum stand er plötzlich und saß nicht mehr auf dem Sofa? Er hatte doch nur ein Glas Wein getrunken. Oder waren es mehr gewesen? Er erinnerte sich an nichts mehr.

Nun, war das nicht eigentlich egal? Marie lag in seinen Armen und sein Herz pochte ihm bis zum Hals.

Dann sah Marie auf und ihr Blick ließ Emil direkt alle Zweifel vergessen. Sie legte die Hände auf seine Schultern und ging auf die Zehenspitzen. Ihr Gesicht war seinem so nahe, dass ihre Nasenspitze seine Wange berührte, als sich ihre Lippen auf seine legten.

Emil glaubte seine Brust würde zerspringen, so sehr raste sein Herz. Seine Beine wurden weich wie Butter.

Der Kuss dauerte nur einige Sekunden, doch für Emil war es unendlich lang. Nur langsam öffnete er wieder die Augen und sah in ihre.

„Emil?“, hauchte sie mit dünner Stimme. „Ich habe eine Bitte.“

Emil wusste nicht, was er darauf entgegnen sollte und sah sie einfach nur an.

„Ich brauche etwas von dir.“ Ihre Hand fuhr sanft über seine Schulter. „Ich brauche deine Quelle.“

So schön ihre Augen immer noch funkelten, das Wort Quelle ließ Emil aufhorchen.

„Quelle?“, fragte er verwundert. Was meinte sie? Der Nebel um ihm herum war schlagartig verschwunden. Sie war immer noch wunderschön, doch etwas stimmte nicht.

„Nur ein kleines bisschen“, säuselte Marie weiter und fuhr mit der Hand über seine Wange, doch Emil war von ihrem Zauber befreit.Er hielt ihre Hand fest. Es passte alles nicht zusammen. Maries Worte ergaben keinen Sinn. Auch wenn Emil sich wünschte, dass das hier wahr war. Dass Marie ihm wirklich so nahe war. Er wusste, dass es nicht sein konnte. Für einen Moment überlegte er, ob es ihm nicht egal sein sollte. Denn es gefiel ihm. Marie so nah bei sich zu wissen, war mehr als er sich je erträumt hatte. Doch dann durchschnitt eine Stimme die Luft:

„Halt!“

Emil ließ Maries Hand los und sah verwirrt auf. In der gegenüberliegenden Tür erkannte er ein Mädchen in einem durchnässten schwarzen Kleid. In ihrer Hand trug sie einen langen Gegenstand, den Emil auf die Entfernung trotz Kontaktlinsen nicht erkennen konnte. Ihr Haar war dunkel und ihre Augen leuchteten grün. Emil wusste sofort, wer es war. „Lilian?“

„Du kommst zu spät“, rief Marie und drehte sich zu Lilian um. „Emil hat bereits den Packt besiegelt.“

„Aber ich habe doch gar nicht ...“, wollte Emil ihr sofort widersprechen, doch sie brachte ihn mit einem Finger auf seinen Lippen zum Schweigen.

„Ich kenne die Spielregeln“, sagte Lilian. „Und das sind meine.“ Sie legte den Gegenstand auf den Boden vor sich und stieß ihn mit dem Fuß an, sodass er zu Emil und Marie hinüber schlitterte.

Erst als es vor ihm an Schwung verlor und reglos auf dem Boden liegen blieb, erkannte Emil, dass es ein Schwert war. Der Griff war mit schwarzem Leder überzogen und von dem Schaft glitzerten ihm Runen entgegen.

Marie zog misstrauisch die Augenbrauen hoch. „Du bringst dein Todesurteil direkt mit?“

Emil erkannte Lilians Gesicht nicht, aber ihre Stimme war herausfordernd: „Nur du und ich, Violetta.“

„Ich hasse diese Regel mit den Namen!“, stieß Marie entnervt aus, als sie das Schwert mühelos vom Boden fischte.

„Dann lass es beginnen“, rief Lilian und brachte sich in Angriffsposition.

Bevor Emil sich versah, war Marie vorgestürmt und Lilian ihrem Angriff ausgewichen. Er hatte nie gedacht, dass Marie sich so bewegen konnte, geschweige denn mit einem langen Schwert umgehen konnte. Es hätte viel zu schwer für sie sein müssen, doch sie führte es, als wäre es federleicht.

Trotz der schnellen Schläge konnte Lilian blitzschnell ausweichen. Es war das erste Mal, dass Emil Lilians Dämonenkräfte sah.
 

~*~*~*~*~*~
 

„Das gibt’s doch gar nicht!“, meckerte Sonia, als sie im strömenden Regen vor dem Fährenschild standen, das alle Fahrten über den Tag darstellte. Die letzte Fähre war um 19 Uhr gefahren, vor über einer Stunde. „Öffentlicher Fährverkehr ist auch nicht deren Stärke hier!“

„Das hättest du aber auch ahnen können“, warf Martin ein, als ihn Sonia unterbrach:

„Wie dringend ist es eigentlich?“

Martin warf daraufhin einen Blick auf die Uhr. „Es ist 20:31.“ Er dachte kurz darüber nach. „Wir sind zu spät.“

„Das kann doch nicht dein Ernst sein! Konntest du das nicht vorher sagen?!“, blaffte Sonia ihn an und Martin hielt unschuldig die Hände vor sich:

„Dann wären wir immer noch zu spät gewesen.“

Entnervt stieß Sonia die Luft aus und langte nach ihrer Jacke, um sie von ihren Schultern zu streifen, dann begann sie die Knöpfe ihrer Bluse zu öffnen.

„Was tust du?“, fragte Ina verwirrt.

„Ich schwimme!“, entgegnete Sonia.

„Aber siehst du die hohen Wellen nicht. Das ist sicher eine Sturmflut!“ Ina warf einen besorgten Blick auf das unruhige Wasser, das im heftigen Wind Wellen schlug. Sie spürte die Nervosität, die in Sonia aufstieg und das beunruhigte sie.

„Ach, das ist keine Sturmflut. Da hätte der Wetterbericht vor gewarnt“, sagte Sonia noch, bevor sie ihren Rock abstreifte und bereits mit Anlauf ins Wasser sprang.

Während Ina noch versuchte ihren Arm zu packen, machte Martin keinerlei Anstalten sie in ihrem Vorhaben aufzuhalten. Sonias Körper verschwand binnen Sekunden vollständig in den Fluten und tauchte dann auch nicht mehr auf.

Immer noch starrte Ina entgeistert auf die Fluten und blickte dann entsetzt zu Martin auf.

„Keine Sorge. Sie hat ein Rettungsschwimmerabzeichen“, meinte Martin, doch das beruhigte Ina nur ein wenig.

„Wirklich!“, fügte Martin deshalb hinzu.

„Und was ist mit Emil?“, fragte sie zögernd.

„Komm, wir suchen uns erst einmal ein Boot, um Sonia zu folgen.“

„Okay.“ Ina nickte zustimmend und schien ihre volle Begeisterung wieder gefunden zu haben.

„Wir gehen einfach die Küste entlang. Irgendwo finden wir schon eins.“ Martin wies mit dem Kopf in die Richtung und Ina folgte ihm trottend. Sie wusste nicht, wohin das führen sollte, doch Martin wusste es.

Erkenntnis

Es war erstaunlich, wie schnell Lilian Maries Schwerthieben ausweichen konnte. So etwas hatte Emil bis jetzt nur in Filmen gesehen.

Er hatte es aufgegeben, die beiden Mädchen davon abzuhalten sich zu bekämpfen, denn keine von ihnen hatte auf seine Rufe gehört. So verfolgte er ihren Kampf einfach nur gebannt, während die Beiden sich quer durch das Wohnzimmer schlängelten. Lilian, die rückwärts lief, schaffte es immer wieder Maries Hieben auszuweichen, was Marie dazu brachte sie nur noch hartnäckiger zu verfolgen. Nur ab und an sprintete Lilian nach vorne, um Abstand zu gewinnen.

Auch wenn Lilian keine Waffe trug, so schien sie die Klinge mit bloßen Händen abwehren zu können. Hielt sie die Hand direkt in den Schlag, stoppte die Klinge einige Zentimeter von ihrer Hand entfernt. Marie musste sie daraufhin zurück ziehen, um erneut zum Hieb ansetzen zu können.

Ihre Angriffe wurden immer stärker und gezielter, sodass Lilian die Klinge bereits mit beiden Händen stoppen musste. Ein besonders harter Schlag zwang Lilian in die Knie, doch anstatt zum erneuten Schlag auszuholen, drückte Marie stärker in Lilians Abwehr hinein.

„Ich habe keine Lust mehr auf deine Spielchen, Lilian.“ Maries Stimme war eiskalt und hatte nichts mehr von dem zuckersüßen Tonfall, den sie sonst anschlug. Ihr Gesicht war verzerrt von der Anspannung. Lilans Gesicht konnte Emil nicht erkennen, da sie mit dem Rücken zu ihm kniete. Doch an ihrer Stimme erkannte er, dass sie mit aller Kraft dagegen halten musste.

„Was für Spielchen?“, fragte Lilian durch Zähne knirschend. Nur mit Mühe konnte sie das Schwert einige Zentimeter über ihren Händen halten.

„Das alles ist nur ein Spiel. Für dich wie für mich.“ Marie kämpfte mit der Anspannung. „Nur, dass du verlieren wirst.“

„Es ist kein Spiel! Es ist mein Ernst!“, rief Lilian und richtete sich schlagartig auf. Damit stieß sie Marie zurück, die einige Schritte rückwärts stolperte und das Schwert sinken ließ.

Ein merkwürdiges Grinsen breitete sich auf Maries Gesicht aus, das Emil so von ihr nicht kannte. „Meine Güte, Lilian, hör auf das Unschuldslamm zu spielen. Alles was du hier tust, machst du doch aus reiner Selbstgefälligkeit. Dir geht es nicht um Emil oder mich. Es geht dir nur um dich. Nur weil du dich in Emil verknallt hast, willst du nicht, dass er mir hilft. Nur weil du ihn nicht haben kannst, willst du, dass ihn keine kriegt. Du bist die egoistischste Person die mir je unter gekommen ist. Wie du dich selbst verherrlichst mit deinen ach so guten Absichten. Du bist der erbärmlichste Dämon, den ich je gesehen habe.“

Lilian ballte die Fäuste. „Ich habe gerade erst angefangen“, zischte sie ohne überhaupt auf Maries Worte einzugehen und zum ersten Mal in diesem Kampf griff sie selbst an und schlug mit ihren Fäusten nach Marie, die zur Seite auswich und erneut zum Schwert griff. Der Schlag sauste auf Lilian nieder. Sie stolperte rückwärts und das Schwert verfehlte sie nur um Haaresbreite.

Für einen Moment sahen die beiden Mädchen sich an, bevor das Spiel von vorne los ging.

Emil war wir erstarrt. Sein Körper wollte ihm nicht mehr gehorchen. Immer noch hallten Maries Worte in seinem Kopf wieder. Warum sollte Lilian in ihn verliebt sein? Sie war doch lesbisch. Oder etwa nicht?

Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen. Er war immer davon ausgegangen, dass sie das alles nur tat, um sich bei ihm für den Zwischenfall auf der Party zu entschuldigen. Nie hätte er gedacht, dass sie ernsthaft an ihm interessiert hätte sein können. Nicht nur, weil er glaubt hatte, dass sie nur auf Frauen stand. Lilian strahlte diese Stärke aus, als bräuchte sie niemanden.

Das hätte übel enden können. Wenn sie es ihm gesagt hätte, dann hätte er nicht sicher sagen können, ob er die Warnungen ernst genommen hätte. Ihm wäre es egal gewesen, dass sie eine Succubus war. Beim ersten Kuss war es noch gut gegangen, aber als sie das zweite Mal versucht hatte zu küssen, hätte Lilian es vielleicht nicht verhindern können. Wäre Ina nicht dazwischen gegangen, würde er vielleicht nicht mehr hier stehen. Sie hätte ihm die Lebenskraft vollständig aussaugen können. Sie hätte ihn töten können.

Seine Knie wurden weich. Die ganze Sache war ernster, als er gedacht hatte und jetzt war es auch noch soweit bekommen, dass Marie und Lilian in einen Kampf verwickelt waren. Jede von Beiden war fest entschlossen diesen Kampf auszutragen, dabei verstand er überhaupt nicht warum sie kämpften.

Warum hatte Lilian sie zum Kampf heraus gefordert? Warum hatte Marie angenommen? Wobei sollte er Marie helfen?

Sie verhielt sich überhaupt nicht so wie Emil sie kannte. Wer das Mädchen, das das Schwert gegen Lilian führte, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes getan? Vor allem: Wie sollte er diesem Kampf nur beenden ohne, das jemand zu Schaden kommen würde.

Krachend fiel das Sofa um, und ließ Emils Kopf herumfahren. Lilian stolperte rückwärts vom Sofa weg, während Marie geschickt darüber stieg.

„Kannst du nicht einfach aufgeben, Lilian?“, rief sie nach Atem ringend. „Ich weiß überhaupt nicht, wie du dir das vorstellst. Am Ende werde ich gewinnen und du hast nichts getan, außer das Unvermeidliche hinaus zu zögern. Ist dir dein Leben so wenig wert?“

Lilian ließ keine Regung in ihrem Gesicht erkennen. Sie verfolgte mit den Augen jeden Schritt, mit dem Marie auf sie zuging.

„Jetzt bist du also stumm geworden?“ Marie rang immer noch nach Luft, legte aber all ihre Überzeugung in diese Worte. Sie wollte keine Schwäche zeigen „Hast du eingesehen, dass du keine Chance hast?“

„Du wirst müde.“ Lilians Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Ihre Stimme war ruhig, sie schien überhaupt keine Erschöpfungserscheinungen zu zeigen. „Du hättest vielleicht mal öfter joggen gehen sollen.“

Maries Miene verzog sich säuerlich. „Du hast es nicht anders gewollt.“

Marie stieß mit dem Schwert vor, und Lilian wich rückwärts zurück. Marie erhob daraufhin nicht mehr das Schwert und verkürzte nur den Abstand zu Lilian, indem sie weiter auf diese zuging. Mit jede Schritt, den sie vorwärts trat, ging Lilian zurück.

Emil wusste, dass er etwas tun musste. Doch sein Kopf war wie leer gefegt. Je verzweifelter er versuchte zu denken, desto weniger Gedanken bekam er zu fassen. Was tat man, wenn ein Mädchen mit einem Schwert durchs Wohnzimmer streifte? Er musste etwas sagen. Irgendetwas.

Emil hatte bereits den Mund geöffnet, als er das Geräusch feuchter Schritte aus dem Flur vernahm. Er hielt inne. Die Schritte wurden lauter.

Für einen Moment wagte er es den Blick von den beiden Mädchen abzuwenden und sah Sonia, die in eine Gardine gewickelt, in der Tür stand. Sie war am ganzen Körper durchnässt und Emil fragte sich noch warum sie eine Gardine trug, als ihre Augen sich vor Schreck weiteten.

„Lilian“, stieß sie entsetzt aus und ihre Stimme war nicht mehr, als ein Flüstern.

In dem Moment fuhr die Klinge krachend auf die Küchentheke. Emil wirbelte herum. Lilian stand mit dem Rücken zur Theke und war in der Bewegung erstarrt. Das Schwert hatte sie gerade noch verfehlt, aber der Hieb hatte dicke Stücke aus der Marmorplatte heraus gebrochen.

Marie zog das Schwert zurück und Lilian brauchte einige Sekunden, um zu reagieren. Dann sprintete sie in die gegenüberliegende Richtung.

Emil folgte ihr mit seinem Blick und erstarrte. Denn am anderen Ende des Raums stand der Mann, den er in der Eisdiele gesehen hatte und der hinter Lilian in sein Zimmer gestürmt war.

Lilian erstarrte in ihrer Bewegung, doch der Mann stürmte vor. Den ersten Schlag blockte Lilian mit ihrem Armrücken. Dem zweiten wich sie seitlich aus. Beim dritten Mal war sie nicht schnell genug. Die Faust des Mannes traf sie in den Magen und ließ sie in sich zusammen sacken. Keinen Moment später, hatte er sie gepackt und hielt sie in seinem Griff fest.

Zwar wand sie sich noch, doch sie schien mehr Kraft in dem Kampf mit Marie eingebüßt zu haben, als sie sich anmerken ließ. Emil wicht zurück. Sein Gefühl zeigte ihm deutlich, dass das keine glückliche Wendung war. Was machte er hier? Hatte Marie nicht gesagt, dass es nur irgendein Typ gewesen war?

Emil hatte ihn vollkommen vergessen gehabt. Doch jetzt stand er hier und nicht einmal Lilian konnte etwas gegen ihn ausrichten.

„Da bist du ja endlich“, rief Marie und ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Sie kannte ihn. Emil wurde mit einmal alles so klar.

Marie hatte ihn eiskalt angelogen und er war so geblendet gewesen, dass er es nicht bemerkt hatte. Die Szene im Eiscafé. Das war alles nur gespielt gewesen. Was sollte er ihr überhaupt noch glauben? Warum war er hier? Wieso hatte er sich von ihr überreden lassen, hierher zu kommen?

Ein Lächeln und eine Bitte hatten gereicht, dass Emil sofort zugestimmt hatte mitzukommen. Wie hatte er nur so verblendet sein können? Marie wollte etwas von ihm, aber das war nicht er selbst, sondern das, was sie Quelle nannte. Was zum Teufel war das, dass es sich lohnte dafür zu kämpfen?

Erst jetzt stellte Emil fest, dass er aus seiner passiven Beobachterhaltung in Angriffsposition gewechselt war. Er konnte nicht ausrichten, aber er konnte es zumindest versuchen. Doch dann spürte er, wie jemand ihn am Arm festhielt.

Verwundert wandte Emil sich um und erkannte Martin, der Emil zulächelte.

„Was geht hier vor?“, fragte Emil und merkte wie seine Stimme zitterte.

„Keine Sorge, Emil.“ Martin legte ihm die Hand auf die Schulter und schob ihn merklich ein Stück zurück. Emil sah ihn nur unverständlich an. Dann trat Martin vor und ließ Emil wie einen Schluck Wasser in der Kurve stehen.

„Was war mit unserer Abmachung, Marie?“, rief er.

Abmachung? Emil sah zu Sonia hinüber, die wie erstarrt einige Meter neben ihm stand und sich an die Gardine klammerte, weil sie nicht wusste, was hier los war. Ihr Blick war starr auf Lilian gerichtet, erst jetzt sah sie zu Martin auf und in ihren Augen konnte Emil ablesen, dass sie nicht fassen konnte, was Martin da gerade tat.

Marie, die über das Auftauchen des Mannes scheinbar genauso überrascht, wandte sich an Martin und zuckte sanft lächelnd die Schulter:

„Welche Abmachung?“

Das konnte nicht wahr sein. Nicht auch noch Martin. Emil hatte das Gefühl sein Kopf würde platzen. Warum Martin? Der, der ihn immer unterstützt hatte. Sein bester Freund. Was hatte er damit zu tun? Was für eine Abmachung hatten die beiden? Hatte er von Anfang an davon gewusst?

„Ich hatte gesagt keine Hexereien“, fuhr Martin Marie an. „Aber du konntest es mal wieder nicht lassen.“

„Ich musste sicher gehen, dass es auch wirklich funktioniert!“ Marie verzog die Lippen zu einem Schmollmund. „Du hast dich ja so undeutlich ausgedrückt.“

Das Gespräch wurde augenblicklich durch einen spitzen Schrei unterbrochen.

Emil fuhr herum. Es dauerte etwas, bis er verstand, was gerade passiert war.

Lilian hatte sich irgendwie aus dem Griff des Mannes befreit und versuchte ihm nun den Arm zu verdrehen. Dies gelang ihr mäßig, da er viel stärker war, als sie und so hatte er innerhalb kürzester Zeit wieder den Spieß umgedreht.

Sonia lag wimmernd auf dem Boden und versuchte sich aufzurappeln. Sie musste versucht haben den Mann anzugreifen, wodurch sich Lilian befreien konnte.

Jetzt entwand sich Lilian geschickt des Griffs des Mannes und stolperte rückwärts, um Abstand zu gewinnen. Ihre Hände hielt sie verteidigend vor sich, bereit den nächsten Schlag abzuwehren. Der Mann griff sie erneut an.

Lilian blockte seinen Schlag mit dem dem rechten Unterarm. Dem nächsten Schlag musste sie seitlich ausweichen.

Noch bevor Emil sich bewegen konnte, um ihr zu helfen, war Martin schon in Richtung der beiden kämpfenden losgestürmt. Im Laufen drehte er sich nur kurz um und rief Emil zu: „Du musst hier weg!“

War Martin doch auf seiner Seite? Emil sah, wie er bei Sonia stoppte und sich zu ihr hinunter beugte.

Wie aus dem Nichts stand Ina plötzlich neben Emil und packte seinen Arm. Sie trug eine knallpinke Regenjacke, was der Situation eine ungewollte Komik verlieh. „Er hat Recht. Du bist in Gefahr. Wir müssen hier weg“, war alles, was sie sagen konnte, bevor sie ihn, für Ina-Verhältnisse bemerkenswert unrabiat, in Richtung Tür zog.

Emil versuchte sich zu wehren, doch seine Glieder waren von der Aufregung weich wie Gummi. Er konnte noch ein letzter Blick auf Martin, der Sonia auf die Beine half und auf Lilian, die immer noch mit dem Mann kämpfte, bevor er bereits im Flur war und die Wand ihm den Blick versperrte. Sein Kopf war wie leer gefegt. Nicht einmal die Fragen hallten mehr darin wieder.

Wie aus Reflex folgte er ihr weiter durch die Haustür in den Vorgarten. Der Boden war vom Regen durchweicht und klebte an seinen Schuhen fest. Regen prasselte auf ihre Köpfe nieder.

Ein kalter Schauer durchfuhr Emil und ließ seinen Kopf schlagartig klar werden.

„Warte mal“, sagte er, doch Ina hörte ihn überhaupt nicht.

„Warte!“, wiederholte Emil eindringlich und riss sich von ihrer Hand los. „Was geht hier vor? Warum ziehst du mich weg?“

Ina drehte sich endlich um und sah ihn mit großen Augen an, dann sagte sie in einem Ton, als wäre dies selbstverständlich: „Du bist in Gefahr, Emil! Marie ist eine landesweit gesuchte Serienkillerin. Sonia und Martin wollten dich vor ihr retten.“

„Und das hast du ihnen geglaubt?!“, brach es aus Emil hervor und er packte sie bei den Schultern. Er wollte sie schütteln. Das war nicht die Ina, die er kannte.

„Ehrlich gesagt? Nein“, entgegnete sie kleinlaut. „Ich glaube, dass es viel eher etwas mit Vampiren zu tun hat. Vielleicht ist Marie ein Vampir.“

„Sie ist eine Hexe!“

Ina sah ihn kurz verständnislos an. Erst nach einigen Sekunden erhellte sich Inas Miene zu einem freudigen Strahlen. „Ich wusste, dass es Übersinnliches gibt. Ich wusste es.“

„Aber, das weiß ich doch sogar von dir!“

„Was weißt du von mir?“ Ina legte den Kopf schief.

Emil stockte. Sie erinnerte sich nicht mehr. An den Sonntag an dem sie ihm und Martin erzählt hatte, dass Marie eine Hexe und Lilian eine Succubus war. Was hatte sie sonst noch alles vergessen?

„Und Lilian? Was ist mit Lilian? Erinnerst du dich daran, dass sie ein Dämon ist? Du hast es in einem Buch nachgeschlagen. Du hast gesehen, was sie anrichten kann. Du warst bei mir im Schlafzimmer.“

„In einem Buch?“, wiederholte Ina leise. Sie dachte offensichtlich nach. „Ja, ... ich war in der Bibliothek gewesen. Es war über ... über ...“

Emil wollte ihr auf die Sprünge helfen, doch biss sich im letzten Moment selbst auf die Lippe. Sie musste sicher selbst darauf kommen.

Einige Sekunden herrschte Denkpause.

„Sie ist eine Succubus!“, rief Ina. „Wie konnte ich das vergessen?“

„Hast du sonst noch etwas vergessen?“

„Woher soll ich wissen, was ich vergessen habe, wenn ich nicht weiß, was du weißt?“

Da hatte sie Recht. „Irgendwas, was du mir sicher erzählen wolltest, aber noch nicht dazu gekommen bist.“

„Warte.“ Man konnte Ina praktisch dabei zu sehen, wie sich die Zahnräder in ihrem Kopf langsam drehten. „Dieser Mann! Ich habe ihn gesehen, dann ist er vor mit weggelaufen und dann ... dann weiß ich nichts mehr.“

„Nichts?“

„Nein, aber er steckt ganz sicher mit Marie unter einer Decke!“

„Das habe ich gerade selbst gesehen.“

„Oh. Stimmt“, gab Ina kleinlaut zu.

Das erinnerte Emil wieder an die Situation. Lilian war in Gefahr. Martin. Sonia. Nicht er!

Marie wollte nur seine Quelle. Egal, was es war: Wie schlimm konnte das schon sein? Alles war besser, als das Leben seiner Freunde zu riskieren. Dieser unsinnige Kampf musste ein Ende haben. „Ich geh da jetzt wieder rein!“

„Neeeeiiiin!“, schrie Ina sofort und hielt ihn so fest am Arm zurück, dass Emil meinte, sie versuche ihn auszureißen. „Wenn du da rein gehst, stirbst du!“

„Haben Martin und Sonia dir das gesagt? Ina, die Serienkillergeschichte ist vorbei!“ Aufsteigender Ärger schwang in Emils Stimme mit. „Jetzt lass mich los!“

„Aber ...“ Ina rang nach Worten, während ihre Hand keine Anstalten machte ihn loszulassen.

„Was?“, blaffte Emil sie an.

Ina war trotz des Regens knallrot angelaufen. „Ich ...“, begann sie zögernd. „Ich liebe dich.“

„Das ist ein Scherz, oder?“

„Nein“, protestierte Ina sofort und war zu ihrem sonstigen Tonfall zurückgekehrt. „Ich weiß, wie blöd das jetzt klingt. Die beste Freundin des Protagonisten ist in ihn verliebt und gesteht es ihm in der dramatischsten Szene.“

Dass Ina nicht seine beste Freundin war, verkniff Emil sich lieber. So nervig sie manchmal war. Ihre Gefühle wollte er nicht verletzen und so wusste er noch weniger, was er darauf antworten sollte. Er hatte immer gedacht, sie wollte ihn ärgern, damit dass sie ihm dauernd auf den Geist ging. Hatte sie im Endeffekt dadurch nur seine Nähe gesucht? Vielleicht war das ihre Art zu zeigen, dass sie ihn mochte.

„Ina“, begann Emil ohne zu wissen, wie der Satz weiter gehen sollte. „Das ist sehr lieb von dir, aber ich bin hier nicht der Protagonist, denn das hier ist keine Geschichte und ...“ Jetzt musste er nur noch geschickt das Thema wechseln. Aber wie?

„Du liebst sie, oder?“, fragte Ina im Ton einer betrogenen Ehefrau.

„Wen?“

„Du weißt, wen ich meine.“

„Nein, ich weiß es wirklich nicht.“

„Du bist bescheuert!“ Inas Faust traf Emil schmerzhaft in die Schulter. Sie hatte nicht gezielt, sondern nur einen Ort gesucht, um ihre Wut abzulassen. „Wenn du unbedingt da rein gehen willst, dann geh! Geh und werd glücklich!“ Ihre Hand war immer noch geballt, aber sie machte daraufhin keine Anstalten, noch einmal nach Emil auszuholen. Ihr Gesicht war verzerrt, als sie gegen die Tränen ankämpfte. „Geh!“

Emil starrte sie entgeistert an. Seine Schulter schmerzte noch, doch das Stechen ließ ihn alles andere in ihm vergessen.

„Danke, Ina.“ Er merkte, wie er lächeln musste. So Leid ihm Ina tat, er konnte im Moment nichts für sie tun. Es gab Wichtigeres und das wartete drinnen auf ihn. Er wandte sich um.

„Viel Erfolg“, hörte er Ina hinter sich noch sagen, bevor er losstürmte.

Naja vielleicht nicht ganz

Am liebsten wäre Emil sofort zur Tür zurück ins Haus spaziert, doch diese war zugefallen. Doch es musste einen Weg hinein geben. Sonia, Martin und sogar Ina waren hinein gekommen. Emil fand des Rätsels Lösung bei einem Fenster, das offen stand. Er kletterte auf das Sims und glitt dann in das dunkel Zimmer auf der anderen Seite. Durch das spärliche Licht, das nur durch das Fenster fiel, konnte er nur Umrisse von einem Schrank auf der linken Seite und eines Schreibtisches auf der rechten erkennen. Ein Arbeitszimmer. Nur dumpf hörte er Geräusche, die aus dem Wohnzimmer bis hierher drangen.

Als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatte, erkannte er am anderen Ende des Zimmers einen Spalt Licht unter der Tür. Er eilte hinüber, und öffnete diese. Sie war unverschlossen. Ein kurzer Blick in den Flur verriet ihm, wo er war. Doch schon die Geräusche die nun klar zu hören waren, verrieten ihm, in welcher Richtung das Wohnzimmer sich befand. Es waren Stimmen. Er glaubte Martins darunter erkennen zu können. Doch es war ein unglaubliches Durcheinander, gefolgt von Gepolter. Das konnte nichts Gutes verheißen.

Emil eilte in die Richtung. Er glaubte die Anspannung würde ihn zerreißen, so sehr fürchtete er das, was ihn dort erwartete. Immer wieder versuchte er dagegen anzukämpfen. Das würde ihn nicht stoppen können. Er würde nicht umkehren.

Als Emil im Türrahmen stand, erstarrte er. Lilian hatte den Kampf gegen den man verloren. Sie lag flach auf dem Boden, während er sie mit dem Knie dort festhielt. Keuchend schnappte sie nach Luft und hatte es aufgegeben sich zu wehren.

Sonia hatte hingegen noch genug Luft. Sie schrie Marie wüste Beschimpfungen entgegen und beleidigte Martin aufs Übelste. Dieser versuchte sie währenddessen festzuhalten, damit sie nicht auf Marie los ging, die immer noch das Schwert in der Hand hielt. Aber auch Marie stand Sonia in Beleidigungen um nichts nach.

Emils Muskeln verkrampften sich, doch er beschloss nichts zu unternehmen, bevor er nicht verstanden hatte, was hier gerade vor seinen Augen passierte.

„Ihr steckt doch alle unter einer Decke!“, schrie Sonia und riss ihre Hand aus Martins griff.

„Das sagtest du bereits“, erwiderte Martin mit sanfter Stimme. Er fing ihre Hand wieder ein, während diese sich weiterhin aus vollen Kräften zu wehren versuchte.

Emil wollte das nicht glauben. Martin hatte ihn wirklich verraten und die ganze Zeit belogen? Das konnte nicht sein. Warum war er dann hier? Was machte Sonia hier?

Emil merkte, wie sich seine Hände den Türrahmen umschlossen. Was sollte er nur tun? Er konnte nichts ausrichten.

In dem Moment sah Martin auf und direkt zu Emil hinüber. Ihre Blicke trafen sich.

Emil spürte, dass er instinktiv weglaufen wollte. Doch er wollte nicht weglaufen. Nicht jetzt.

„Warum?“, schrie Sonia Martin an. „Ich verstehe es einfach nicht. Warum änderst du die Zukunft? Warum hilfst du dieser Schlampe?!“ Ihre Stimme erschöpfte langsam. „Und warum, warum verdammt, Violetta, nimmst du Lilians Herausforderung an? Warum unterschreibst du ihr Todesurteil?“

Die Worte drangen nur langsam in Emils Kopf. Hatte Sonia mit Violetta Marie gemeint? Warum wusste Sonia von all dem hier? Wieso machte sie sich solche Sorgen um Lilian? Kannten sich die beiden?

Aber was viel wichtiger war, was zum Teufel hatte Martin damit zu tun. Wenn das stimmte, was Sonia sagte. Hatte er von Anfang an davon gewusst?

Emil wollte das nicht glauben. Seine Hände verkrampften sich nur noch stärker.

Da stand sein bester Freund einige Meter von ihm entfernt und starrte ihn nur zurück an, während Sonias Anschuldigungen fielen.

Emil konnte nichts aus Martins Blick lesen. Doch er wollte es. Er wollte lesen können, dass das alles nicht stimmte.

„Emil“, sagte er gerade so laut, dass Emil ihn klar verstehen konnte. Sonia verstummte augenblicklich und wandte den Kopf in Emils Richtung.

Marie sah auf und ihre Finger schlossen sich fester um den Schwertgriff.

Emil hatte das Gefühl, dass alle ihn anstarrten und verfluchte sich, dass er vollkommen unvorbereitet gekommen war. Ihm wurde schlecht. Er war schutzlos gegen ein Schwert.

Er mischte sich hier in Angelegenheiten ein, die zu groß für ihn waren. Er verstand sie nicht einmal. Doch jetzt war es vorbei. Sie hatten ihn entdeckt. Er musste durchziehen, wofür er gekommen war.

„Ich will die Wahrheit“, rief er und seine Stimme zitterte. „Und im Austausch bekommt Marie meine Quelle. Das ist es doch, was ihr wollt?“

Eine bedrückte Stille trat ein.

„Emil, das ist keine gute Idee“, begann Martin, doch Emil unterbrach ihn. Er hatte keine Lust mehr auf Ausflüchte. Er war lange genug belogen worden.

„Ich will keine Lügen mehr. Keiner soll wegen mir verletzt werden.“

„Gut, Emil“, mischte sich Marie ein und ließ das Schwert sinken. Sie streckte lächelnd die Hand in Emils Richtung aus. Das war wieder die Marie, die Emil kannte. Ihrem Lächeln konnte man nichts ausschlagen. „Ich sage dir alles.“

Emil hatte die Hand bereits ausgestreckt und einige Schritte vor gemacht, als er sie ruckartig zurück zog. Dazu war nicht einmal Sonias lautstarker Einspruch nötig gewesen. Marie hatte ihn schon einmal verhext. Sie tat es wieder. Was war diese Quelle? Warum wollte sie diese unbedingt haben? Er würde ihr nicht noch einmal blind trauen.

Emil sah zu Martin hinüber. Er wollte es von Martin selbst hören. Wenn Martin davon gewusst hatte, warum hatte er ihn nicht einfach davor gewarnt?

„Was hast du damit zu tun?“, fragte Emil und merkte wie belegt seine Stimme war.

Während er noch die Worte aussprach, wollte etwas in ihm schon überhaupt nicht mehr die Antwort wissen. Der Martin, den er kannte hatte nichts mit Übernatürlichem am Hut. Alles was er jetzt sagen würde, wäre für Emil ein Schlag ins Gesicht.

„Ich bin der Seher“, antwortete er und ließ Sonia los. „Ich bin darauf angesetzt dich zu beschützen und dafür zu sorgen, dass keiner von uns auffliegt. Ich wusste, dass das hier geschehen könnte und habe versucht es so glimpflich ausgehen zu lassen wie möglich.“

„Glimpflich?!“, bellte Sonia dazwischen. Genau das hätte Emil in dem Moment auch gerne gerufen. Doch seine Zunge gehorchte ihm nicht. Er schluckte trocken. Martin hatte es die ganze Zeit gewusst. Nein, er hatte sogar jedes Detail gekannt und trotzdem hatte er Emil noch direkt hier hinein laufen lassen. Er hätte es verhindern können. Dann wäre das hier nie passiert.

„Ich habe dich nicht davon abgehalten“, begann Martin die weitere Erklärung, als würde er an Emils Gedanken anknüpfen. „da ich wusste, dass du in Marie verliebt warst. Wahrscheinlich dachte ich, es würde dir gut tun, Zeit mit ihr zu verbringen.“

Emil drehte es den Magen um.

„Dass es so eskaliert, hatte ich nicht gedacht. Lilian hat es irgendwie geschafft an das Schwert zu kommen, ohne, dass ich es bemerkt habe.“

War Lilian also der Auslöser hierfür? Ein Blick zur Seite verriet Emil, dass der Mann Lilian nun nicht mehr zu Boden drückte, da diese sich nicht mehr wehrte.

„Emils Quelle gehört ihm“, rief sie, ohne aufzusehen. „Nur er entscheidet, was damit passieren soll. Es wäre nicht nötig gewesen, wenn Marie nicht -“ Sie schrie vor Schmerz auf. Der Mann drückte das Knie gegen ihren Ellbogen.

„Lass das, Richard!“, rief Martin sofort und der Mann hörte auf. „Du krümmst ihr kein Haar mehr!“

Martin hatte als Seher scheinbar eine Position, in der ihm keiner zu widersprechen wagte. Emil fielen Martins Worte ein, die er gerufen hatte, als er angekommen war:

„Was für eine Abmachung hast du mit Marie?“

„Ich habe Marie gesagt, dass sie keine Magie verwenden soll. Dann wäre Lilian auf jeden Fall zu spät gekommen und das hier wäre nie passiert.“

„Du hättest das hier auch einfach verhindern können, indem du mir einfach früher die Wahrheit gesagt hättest“, brach es aus Emil heraus. „Du hast mich praktisch ins offene Messer rennen lassen! Meintest du, das wäre wirklich das richtige? Ich weiß nicht einmal was diese Quelle ist!“

„Es ist ein Magiekatalysator. Einige Menschen ohne magische Fähigkeiten haben das. Mit Hilfe der Quelle kann man seine eigene Magiefähigkeiten kurzzeitig steigern. Die Quelle wird dabei nicht verbraucht. Deine ist stärker, als die meisten Quellen. Deshalb solltest du vorsichtig sein, wer die Quelle benutzt.“

„Du hast doch bereits für mich entschieden“, entgegnete Emil mit bitterem Unterton.

„Das tut mir Leid. Ich war mir sicher, du würdest sie Marie gerne geben wollen. Es ist deine Entscheidung.“

„Wenn du sie nicht gerade eingetauscht hättest“, murmelte Sonia.

Emil sah sie verständnislos an.

„Du wolltest die Wahrheit“, lächelte Marie. „Du hast mir gerade deine Quelle angeboten.“

„Das muss ich noch einmal überdenken“ Emil fiel ein, dass sie immer noch ein Schwert in der Hand hatte, mit der sie ihm sehr gefährlich werden konnte, als fügte er schnell hinzu: „Ich habe noch einige Fragen!“

„Dann schieß los“, sagte Martin.

„Was ist mit Ina? Ihre Erinnerungen wurden scheinbar gelöscht. Warum ist sie hier?“

„Die hat Sonia mitgebracht.“ Martin deutete mit dem Finger auf Selbige.

„Was hast du mit der Sache zu tun, Sonia?“, fragte Emil mittlerweile erschöpft vom Fragen. Er wusste, dass keine Antwort ihn jetzt noch überraschen konnte.

„Ich bin eine Nixe und Martins Cousine.“

„Deine Cousine?!“ Das schien Emil in dieser Situation wichtiger, als die Tatsache, dass sie eine Nixe war. Magische Wesen überraschten ihn jetzt nicht mehr. Noch eine Lüge, die Martin ihm aufgetischt hatte.

„Ja“, räumte Martin ein. „Ich habe nicht die ganze Wahrheit gesagt.“ Im Gegenteil. Er hatte glatt gelogen. „Sie hat keine Schwester, die mit Nicole befreundet ist. Sie hat genau genommen überhaupt keine Schwester, aber sie ist mit Nicole befreundet. Ich habe dir nichts davon erzählt, damit meine Tarnung nicht auffliegt. Wenn du herausgefunden hättest, dass Sonia eine Nixe ist, hättest du mich mit ihr in Verbindung gebracht.“

„Und wie hätte ich das herausfinden sollen?“

„Lilian ist meine beste Freundin“, murmelte Sonia. „Sie hat sich nur wegen dir in Gefahr gebracht. Sie wird sterben, weil sie einen Bund mit Marie geschlossen hat.“

„Was für einen Bund?“ Emil wusste, dass es mit dem Kampf hier zu tun haben musste.

„Ein Dämon, der einen Bund mit einer Hexe eingeht, kann dann nur von dieser Hexe getötet werden. Doch die Hexe kennt jeden Schritt des Dämons und der Dämon den der Hexe. Bis zur rechten Zeit die Hexe ihn mit einer magischen Waffe niederstreckt. Ein einmal begonnener Kampf muss von der Hexe zu Ende geführt werden.“

„Bekomme ich jetzt endlich die Quelle?“, fragte Marie ungeduldig.

„Wie?“, fragte Emil aus Reflex, auch wenn er wusste, dass er in der schwächeren Position war. Er hatte ihr indirekt die Quelle angeboten und nun würde sie diese Einfordern.

„Du hast gesagt, du tauschst gegen die Wahrheit.“ Sie verschränkte die Arme „Das war eine Abmachung.“

Emil überlegte fieberhaft, wie er da wieder heraus kommen sollte, als Martin sich einmischte:

„War es nicht. Emil hat nicht eingeschlagen.“

„Du wendest dich gegen mich?“, protestierte Marie.

Das erstaunte Emil genauso. Schlug Martin sich gerade wieder auf seine Seite?

„Emil“, sagte Martin, „du musst ihr deine Quelle nicht geben. Es war keine gültige Abmachung.“

Auch wenn Emil nicht verstand, wieso Martin so schnell seine Meinung geändert hatte, aber er vertraute darauf, dass es auch so bleiben würde. Mit Martin auf seiner Seite, hatte er vor Marie nichts zu befürchten.

„Magische Abmachungen gelten auch ohne Handschlag und haben eine übergeordnete Erfüllungspflicht“, konterte diese.

„Es war ein Angebot.“

„Und ich habe es angenommen!“ Marie verzog die Miene zu einem Schmollmund.

Dann wurde es Emil mit einem mal klar. Marie wollte die Quelle unbedingt. Sie würde alles dafür tun. Das war ihre Schwachstelle. Er konnte das alles beenden. Er konnte verhindern, dass Marie Lilian töten musste.

„Wenn ich dir meine Quelle gebe, Marie, wirst du dann Lilian verschonen?“

Marie sah ihn verwundert an, als hätte er etwas vollkommen abwegiges gesagt.

„Ich meine es Ernst“, sagte Emil mit Nachdruck. „Wenn du sie in diesem Kampf nicht tötest, dann bekommst du meine Quelle.“

„Aber das ist gegen die Regeln, dass ich sie nicht töte. Es gibt richtig Ärger von da oben.“

„Dann hast du aber meine Quelle.“

„Emil, das wird nicht funktionieren“, knurrte Martin von der Seite. „Die da oben spaßen nicht. Gib ihr deine Quelle nicht.“

„Euer Kampf könnte ewig weiter gehen. Praktisch bis zu eurem Ende. Und keiner muss sterben.“ Je länger Emil darüber nachdachte, desto besser klang der Plan. Er war vollkommen eingenommen von der Idee, dass er auch nicht auf Martins Warnungen achtete.

„Ach, weißt du was“, rief Marie schließlich aus, „ist mir jetzt egal, was da oben passiert. Ich verschone Lilian. Gib mir deine Hand Emil.“

Noch bevor Martin es irgendwie verhindern konnte, hatte Emil Maries linke Hand ergriffen und spürte sofort wie seine Glieder weich wurden. Er hatte das Gefühl all seine Eingeweide würden aus ihm hinaus gepumpt. Hustend ging er in die Knie.

Im Augenwinkel konnte Emil Lilian sehen, die auf ihn zu gerannt kam.

„Tu das nicht!“, rief sie.

„Lilian, keinen Schritt weiter!“, rief Marie und erhob mit der Rechten das Schwert.

„Das Schwert ist...“

Metall blitzte in dem schwachen Licht auf und Lilian schaffte es nicht mehr, ihren Satz zu beenden. Anstatt Maries unpräzisem Hieb auszuweichen, hatte Lilian Maries linke Hand gepackt und wollte diese von Emils lösen. Dadurch hatte Maries Schlag sie zwar verfehlt, doch stattdessen war Lilian direkt in die Klinge hineingerannt. Das Schwert hatte sich durch Lilians Oberkörper gebohrt und diese schnappte nur noch nach Luft.

Es durchzuckte Emil schmerzhaft. Warum? Seine Sicht verschwamm. Er versuchte noch dagegen anzukämpfen. Doch dann verlor er vollständig das Gefühl in seinen Gliedmaßen. Marie hielt weiter seine Hand fest. Ihm wurde schwarz vor Augen und er brach in sich zusammen.

Abmachungskausalität

Für einen Moment wusste Emil nicht, wo er war. Das Stimmenwirrwarr in seinem Kopf schwoll an. Es war ihm, als würden mehrere Personen auf ihn einschreien.

Als er den Kopf wandte, wusste er, dass sie nicht wegen ihm so aufgebracht waren. Ein eiskalter Schauer durchzuckte ihn. Er sah direkt in Lilians schmerzverzerrtes Gesicht, die neben ihm auf dem Boden lag. Emil wollte die Hand ausstrecken, doch sie gehorchte ihm noch nicht.

Es konnten keine zehn Sekunden vergangen sein, seit er zusammengeklappt war, denn Sonia eilte erst jetzt zu Lilian und fiel vor ihr auf die Knie.

„Nicht“, hörte Emil Martin rufen, als Sonia Anstalten machte das Schwert hinauszuziehen. „Sie wird verbluten, wenn du das tust.“ Sonias Finger wichen sofort zurück.

Lilian stöhnte leise. Jeder Atemzug musste ihr schmerzen. Es war ein abscheulicher, unwirklicher Anblick. Das Schwert steckte tief in ihrer Brust. Sie musste mit voller Kraft hineingelaufen sein. Emil verstand nicht warum. Hatte sie dies nur gemacht, um ihn zu schützen? Das war doch total bescheuert gewesen! Damit hatte sie es nur schlimmer gemacht.

Mühsam richtete sich Emil ein Stück auf und sah auf Lilians Körper hinunter.

Langsam aber sicher, färbte sich Lilians schwarzes Kleid an den Rändern dunkel. Das leuchtende Grün ihrer Augen war verschwunden und dem üblichen Blau gewichen. Emil Körper war taub. Seine Brust zog sich schmerzhaft zusammen. Bedeutete das, dass sie sterben würde? Sie war ein Dämon. Konnte sie einfach so sterben? Ihm wurde heiß und kalt. Er wusste nicht, was man in so einer Situation tun sollte. Wie half man jemanden der von einem Schwert aufgespießt worden war?

Ihre Atmung wurde schwerer, als Emil bemerkte, dass ihre Hände zu dem Schwert langten.

„Lilian, was tust du da?“, rief Sonia erschrocken aus und versuchte Lilian davon abzuhalten. Aber Lilian schlug Sonias Hände beiseite und packte das Schwert nun selbst. Unter großen Anstrengungen versuchte sie, es selbst herauszuziehen. Dabei schnitt sie ihre Finger an der scharfen Klinge und tiefrotes Blut lief die blanke Klinge hinab.

Ohne darüber nachzudenken, fassten Emils Hände den Griff des Schwerts. Er wusste nicht warum, aber es schien die einzige Möglichkeit zu sein Lilian zu helfen. Einen kurzen Moment wartete er und sah Lilian dabei in die Augen. Er wusste nicht, ob er das Richtige tat, doch ihre Augen bestärkten ihn in seinem Vorhaben. Als Lilian die Hände von der Klinge nahm, zog Emil sie vorsichtig hinaus, um nicht noch mehr Schaden anzurichten.

Lilian schrie vor Schmerz auf, doch kaum war das Schwert aus ihrem Körper hinaus und fiel klirrend auf den Boden, beruhigte sich ihr Atem. Lilian schloss erschöpft die Augen und rollte sich auf den Rücken. Sonia wich erschrocken zurück.

Es war wie die letzten Atemzüge einer Sterbenden. Doch Lilian starb nicht.

Anstatt, dass noch mehr Blut aus der Wunde kam, hörte diese auf zu bluten.

Alle Anspannung fiel mit einem Mal von Emil ab und wich einer überschwänglichen Freude. Sein Herz raste in seiner Brust, doch den Schmerz spürte er überhaupt nicht. Lilian zog einige tiefe Atemzüge ein, dann wandte sie ihren Kopf Emil zu. Sie lächelte erleichtert. „Danke“, flüsterte sie, sodass nur Emil es hören konnte. Emil erwiderte ihr Lächeln.

Geschickt fischte Martin das Schwert vom Boden auf und betrachtete es genauer unter dem Licht. „Ein Replik“, murmelte er. „Das hätte ich wissen müssen.“

Emil sah zu Marie hinüber, die immer noch gelähmt vor Schreck dastand und nicht begriff, was gerade geschehen war.

„Wissen müssen?!“, durchbrach Sonia die Stille mit schriller Stimme. „Du wusstest es!“

„Erst seit gerade eben“, rechtfertigte Martin sich und ließ das Schwert wieder fallen. „Hätte ich das von Anfang an gewusst, hätte ich mich bestimmt anders verhalten.“

„Das ist überhaupt kein Dämonenschwert?“, mischte sich nun auch Marie ein. Sie war aus ihrer Starre erwacht und hatte die Fassung wiedergewonnen. „Das ganze Theater nur, um die Sache hinauszuzögern?“

Emil fürchtete, dass die drei sich weiter anschreien würden, bis einer zum Schwert greifen würde, als Lilians schwache Stimme, alle drei zum Schweigen brachte: „Hört auf, ihr Streithähne. Das bringt doch nichts mehr.“

Lilian hatte sich aufgerichtet und lächelte immer noch. Ihre Arme hatte sie über die frisch verheilte Wunde geschlungen. Scheinbar war sie genauso froh, wie er, dass es sie nicht umgebracht hatte.

Bei dem Gedanken daran wurde ihm ganz anders. Sie hätte sterben können. Was hätte er dann nur getan?

Seine Hände zitterten, als sich instinktiv zu ihr hinüberbeugte und die Arme um sie legte. „Ich bin so froh, dass du nicht gestorben bist“, murmelte er. Ihr Körper war warm und er spürte ihren Atem an seinem Ohr. Sie roch unglaublich gut, auch wenn sie verschwitzt war und Blut an ihr klebte.

„Danke“, sagte sie erneut und Emil spürte einen warmen Kuss auf seiner Wange. Sie legte die Arme um ihn und drückte ihn fest an sich.

So nah war sie ihm noch nie gewesen und diesmal war es auch anders. Emil fühlte nicht dieses heiße Verlangen, das er sonst in ihrer Nähe gespürt hatte. Er fühlte sich zu ihr hingezogen, aber auf eine friedliche Art und Weise. Er wollte, dass sie ewig in seinen Armen blieb. In einem Anflug von Leichtsinn kam ihm der Gedanke, dass er sie küssen sollte. Es war anders, als die vorherigen Male, in denen er sie geküsst oder fast geküsst hatte. Vielleicht war es diesmal anders. Und wenn schon? Er wollte sie küssen.

Langsam löste er die Umarmung und schloss dann die Lücke zwischen ihren Köpfen.

Kaum berührten seine Lippen ihre, versuchte Lilian ihn sofort zurück zu stoßen, erst sanfter, dann rabiater. Doch nichts passierte. Emil fühlte sich nicht schwindelig. Schließlich waren Lilians Kräfte stärker, sodass sie Emil zurückschubste und ihn entgeistert ansah. „Bist du bescheuert?! Du weißt doch was passiert, wenn ...“ Ihre Stimme versagte ihr und sie sah ihn mit großen Augen an. „Du bist nicht zusammengebrochen?“

Emil sah an sich hinunter. „Sieht nicht danach aus.“ Bevor er aufsehen konnte, war Lilian zu ihm rüber gerutscht und hatte sanft ihre Lippen auf seine gelegt. Er spürte ihre Zunge an seiner. Es war ein merkwürdiges Gefühl, das Küssen. Er glaubte ihr so nah zu sein, als ihre Zungen sich berührten. Ihre Hände lagen locker auf seinen Armen und hielten ihn vorsichtig fest.

Nur langsam lösten sich ihre Lippen von seinen und sie sah ihn mit einem fragenden Ausdruck an. „Ich versteh das nicht“, sagte sie entgeistert. „Wie kann es sein, dass du davon keinen Schaden nimmst?“

„Abmachungskausalität“, antwortete Martin ihr und seufzte merklich. „Marie hat ihre Abmachung gebrochen. Deswegen wurde anscheinend Emils Quelle versiegelt, sodass Marie sie nicht bekommen konnte. Allerdings wirkt sie deshalb auch nicht mehr auf Lilian. Glückwunsch.“ Das letzte Wort klang merkwürdig gequält.

Emil richtete sich daraufhin auf und ging auf Martin zu. „Was ist los?“

„Ich bin einfach unzufrieden mit dem Ausgang des Ganzen“, antwortete dieser und verschränkte die Arme. „Ich habe alles versucht, damit du dich nicht für Lilian entscheidest. Ich wollte nicht, dass du unglücklich wirst, wenn du nicht mit ihr zusammen sein kannst und dann nimmt das Ganze so ein glückliches Ende.“

„Kannst du dich denn nicht für mich freuen?“, fragte Emil.

„Das ist was Persönliches, Emil.“

„Dann erklär es mir.“

Martin atmete tief ein. „Ich finde, du solltest nicht mit Lilian zusammen sein, weil ich denke, dass sie nicht zu dir passt.“

„Aber das muss ich doch wissen, ob sie zu mir passt!“ Martins Erklärung war kein bisschen zurfriedenstellend.

Jetzt mischte sich Sonia ein: „Lass, Emil. Martin kann Lilian einfach nur nicht leiden, seit die Beiden vor Jahren aneinander geraten sind und Lilian ihn dabei ebenfalls fast ins Krankenhaus befördert hatte.“

„Das Alles also, weil du verhindern wolltest, dass ich merke, dass ich mich zu Lilian hingezogen fühle?“, fragte Emil. Er konnte nicht glauben, dass der Grund hierfür war, dass Martin etwas gegen Lilian hatte.

„Ein normales Entschuldigung reicht da wohl nicht aus, oder?“ Emil bemerkte die Reue in Martins Stimme. „Ich mag Lilian nicht. Das gebe ich zu. Aber ich werde es akzeptieren und ich bin froh, dass du mit dem Ausgang zufrieden bist. Ich hatte nur gehofft, dass es auch anders geht.“

„Ich schlage dir einen Handel vor“, sagte Emil und lächelte dabei aufmunternd. „Die ganze Wahrheit, dagegen, dass ich dir verzeihe. Ich will alles verstehen. Von Anfang bis Ende. Ich will dich verstehen.“

Die Wahrheit

„Die Wahrheit also...“, begann Martin, als er und Emil sich auf dem Boden gegenüber saßen. „Ich denke, ich fange ganz vorne an.

Ich bin ein Seher, das heißt ich sehe die Zukunft und das dauernd. Ich weiß immer, was jemand sagen wird, ich weiß was im nächsten Moment geschieht. Aber ich bin damit aufgewachsen und habe mir antrainiert, so zu reagieren, als wüsste ich es nicht. Ich bin aufs Gymnasium gewechselt, als meine Ausbildung so weit war, dass ich mich nicht mehr verplapperte. Das war in der Sechsten. Du weißt ja noch, dass wir uns damals kennengelernt und angefreundet haben. Erst vor zwei Jahren habe ich dann den Auftrag erhalten, dass die Schule mein Aufgabengebiet sein soll.“

„Deshalb hast du bei Magic dauernd gewonnen!“, unterbrach ihn Emil. „Weil du wusstest, was ich spielen würde!“

„Sorry.“

„Ist schon okay. Da kannst du ja nichts für.“

„Dann hast du dich in Marie verguckt. Ich habe als Freund natürlich versucht, dich darin zu unterstützen, auch wenn ich wusste, dass Marie kein Interesse an dir hatte. Aber Gefühle entziehen sich meistens meiner Sehkraft, da sie sich zu schnell ändern können.

Dann dieser Zwischenfall mit Lilian. Ich hab es zu spät gesehen und war nicht rechtzeitig dort. Glücklicherweise sah es aus, als hättest du einfach zu tief ins Glas geschaut. Das wollte ich dich auch glauben lassen. Das hat ja zunächst auch geklappt.

Doch dann hat Marie angefangen sich für dich zu interessieren. Sie hat versucht, sich an deiner Quelle zu bedienen. Deswegen bist du auch krank geworden, weil sie dir Lebenskraft entzogen hatte.

Dann habe ich dir nicht die ganze Wahrheit über Sonia gesagt, aber das weißt du ja schon.

Am gleichen Abend hat Ina das dann mit Lilian und Marie herausgefunden. Ich konnte es nicht verhindern, weil ich nicht von dir wegkonnte, ohne dass es auffällig war. Außerdem wollte ich dir den Abend nicht noch mehr ruinieren. Also habe ich darauf vertraut, dass Sonia das selbst richtet.

Leider war Ina zu sturköpfig und überzeugt von der Sache, sodass eine richtige Gedächtnisanpassung erforderlich gewesen wäre, um sie das Geschehene vergessen zu lassen.

Dir war es ja auch erstmal egal, da es dir so unwahrscheinlich erschien, dass es Übernatürliches geben sollte. Also ließ ich es darauf beruhen.“

„Aber Inas Gedächtnis wurde trotzdem gelöscht?“, hakte Emil nach. „Warum?“

„Nicht von mir. Marie hier hat versucht, ihr Gedächtnis zu manipulieren. Richard hat sie aus Versehen niedergeschlagen, weil er glaubte, sie hätte etwas herausgefunden.“

„Richard?“ Fragte Emil, dem erst jetzt wieder einfiel, dass Martin den Mann so geannt hatte.

„Na, Richard, der ... wo ist er eigentlich?“ Martin sah sich in dem Raum um, in dem nur noch sie beide, Lilian, Sonia und gegen ihren Willen Marie saßen. Von Richard war keine Spur zu erkennen. Marie zuckte auch die Schultern.

„Na egal“, fuhr Martin fort. „Sie wusste wirklich zu viel nachdem sie bei dir zu Hause aufgekreuzt war und das mit Lilian sicher herausgefunden hatte. Nun aber zu deinem Glück würde ich sagen, weil sie verhindert hat, dass Lilian deine Lebenskraft erneut gestohlen hätte.“

„Das wäre nicht nötig gewesen, wenn Emil von Anfang an auf mich gehört hätte“, unterbrach Lilian ihn. Als sie Emils fragenden Blick auffing, fügte sie hinzu: „Ich hab dich doch angerufen, weil ich ahnte, dass Marie etwas plante.“

„Ach du warst das!“, rief Emil aus. „Du hast dich dann aber arg kurz gefasst.“

„Ja, Richard war hinter mir her, weil auch Marie wusste, dass ich vorhatte, ihr Vorhaben zu unterbinden.“

„Du hättest einfach sagen können, dass du es warst“, schlug Emil vor.

„Hab ich vergessen“, murmelte Lilian.

„Es hätte ohnehin nichts gebracht“, sagte Martin schulterzuckend. „Emil war an dem Tag mit Marie verabredet gewesen.“

„Wofür?“, fragte Lilian sofort.

„Nachhilfe“, brummte Emil.

Lilian nickte bedächtig und sah dann zu Marie hinüber, die sie schief anlächelte.

„Nun“, fuhr Martin fort, „ein kaputtes Fenster und ein verwirrter Emil. Ich wusste, dass Marie nun ihre Trumpfkkarte ausspielen wollte, bevor du ihr durch die Lappen gingst. Anstatt es zu verhindern, versuchte ich es so zu lenken, dass es gut ausging. Ich konnte Marie nicht sagen, dass sie nicht hexen darf, da ich wusste, dass Lilian versuchen würde dazwischen zu gehen, aber auch, dass sie zu spät kommen würde, wenn Marie sich beeilte.“ Er warf Marie einen kurzen Blick zu. „Okay, und danach wird’s kompliziert. Das war für mich auch total stressig, weil sich die Zukunft alle paar Minuten dauernd geändert hat.“

„Wie kann sich die Zukunft ändern?“, fragte Emil.

„Indem Dinge nicht so geschehen, wie sie geschehen sollten, durch Entscheidungen, Dinge, die ich nicht sehen kann. So habe ich nicht gesehen, dass Lilian ein Dämonenschwert mitbringen würde, denn es war keines. Sie hat es nicht gestohlen. Ein guter Freund muss es weggeräumt haben, aber das erfahren wir erst viel später. Folglich glaubte ich auch, alles würde glatt laufen. Du würdest einen schönen Abend mit Marie verbringen, du würdest ihr die Quelle freiwillig geben und danach zufrieden wieder nach Hause fahren.“

„Meinst du ich wäre danach einfach nach Hause gefahren?“

„Die Zukunft sah so aus, aber du bist unberechenbarer, als ich dachte.“ Martin lächelte leicht. „Nachdem ich von Sonia erfuhr, dass Lilian das Schwert hatte, offenbarte sich für mich eine andere Zukunft. Sie brachte Ina mit, als Druckmittel für mich, so dachte sie. Aber ich sah es als Gelegenheit zu versuchen, dass du möglicherweise doch etwas an Ina findest.“

„An Ina?“, fragte Emil sarkastisch.

„Nun, wäre ja möglich gewesen. Ina sollte dich wegbringen und wenn du ihr gefolgt wärst, wäre es auch gut ausgegangen.

Aber du entschiedst dich ja völlig gegen deinen Charakter, dafür zurück zu kehren und zu allem Übel dazu deine Quelle einzutauschen. Damit wusste ich, dass du dich für Lilian entschieden hattest. Trotzdem wollte ich dich davon abhalten, deine Quelle abzugeben. Lilian würde nur einen Moment bildlich ins offene Messer laufen und das hätte dir sicher nicht gefallen.

Erst als es passiert war, wusste ich, dass es kein echtes war und Lilian nicht sterben würde.“

„Und du wolltest mich nochmal schön leiden lassen, indem du Sonia davon abgehalten hast, es rauszuziehen“, knurrte Lilian.

Martin setzte eine Unschuldsmiene auf. „Da wusste ich das noch nicht.“

„Na klar.“

„Du bist ja auch mit voller Absicht hineingerannt.“

„Also ist es doch gut ausgegangen“, sagte Emil schnell und sah von Lilian zu Martin. „Oder?“

„Naja“, murmelte Martin.

Lilian hingegen lächelte. „Schon, oder? Keiner ist umgekommmen. Marie hat fast ihre Quelle bekommen, aber eigentlich doch nicht.“ Sie zählte es an den Fingern ab. „Emil hat was fürs Leben dazugelernt und ich habe Emil geküsst.“

„Ich hab's doch die ganze Zeit gesagt!“, feixte Sonia. „Und du hast es dauernd geleugnet, dass du in Emil verschossen bist.“

Lilians Wangen färbten sich rosa. „Ach, war ich das?“, blaffte sie Sonia an. „Und wenn schon? Das ist nicht der richtige Zeitpunkt, um das jetzt zu verkünden!“

Sonia kicherte daraufhin nur. „So innig wie ihr euch geküsst habt. Denke ich, ja das könnte schon sein.“

Daraufhin verpasste Lilian ihr einen Knuff in die Seite und Sonia war ruhig.

„Sonia, warum trägst du eigentlich eine Gardine?“, fragte Emil und musterte diese von oben bis unten.

„Ich bin her geschwommen.“

„Geschwommen?“

„Ich bin eine Nixe. Schon vergessen?“

Emil nickte verständnisvoll. „Ah.“

„Haben wir damit alles geklärt?“, fragte Marie schnippisch.

„Wo sind Richard und Ina eigentlich hin?“

Du bist anders

„Warte doch mal!“, rief Richard Ina nach, die trotz seinen Rufen einfach nicht stehen bleiben wollte und weiter schnurstracks durch den Regen marschierte und ihm nicht antworten wollte. „Bleib doch endlich mal stehen!“

Mit einem kleinen Sprint holte er sich schließlich ein und packte ihren Arm.

„Was?!“, blaffte Ina ihn an, als sie sich umdrehte. Ihre Augen funkelten böse.

„Wo willst du hin?“, fragte Richard.

„Nach Hause!“

„Kann ich dich dahin bringen?“

„Nein. Ich lauf selbst.“

„Ich bin übrigens Richard.“ Er hielt ihr seine Hand hin und Ina begutachtete sie misstrauisch. „Und wie heißt du?“

„Ina“, murmelte diese und nahm die Hand verwirrt an.

„Wusstest du, dass du wunderschön aussiehst, wenn du so guckst?“

Ina lief sofort rot an, doch sie fing sich danach ziemlich schnell wieder. „Warst du nicht derjenige, der mich niedergeschlagen hat in dieser Gasse?“

„Du erinnerst dich also?“, fragte Richard erstaunt. „Das tut mir Leid.“

„Dass ich mich erinnere?“, fauchte Ina ihn an.

„Dass ich dich niedergeschlagen habe. Ich wusste nicht, dass du harmlos bist.“

„Na schönen Dank auch.“ Ina wandte sich wieder zum Gehen. „Das hat mir gerade noch gefehlt.“

„Warte doch!“, rief Richard erneut und Ina blieb stehen.

„Weißt du eigentlich was für einen beschissenen Tag ich heute hatte? Ich bin quer durch Deutschland gefahren für einen Volltrottel, der Spaß daran hat sich selbst in Gefahr zu bringen und auch wirklich nichts und überhaupt nichts für mich übrig hat und ich alles für ihn getan hätte.“ Ihre Stimme zitterte und Tränen traten ihr in die Augen. „Nein, du weißt nicht wie das ist!“

Doch kaum, dass Ina sich versah, hatte Richard sie in seine Arme geschlossen. Diese schluchzte nun unaufhaltsam und vergrub ihr Gesicht in seinem Hemd.

Erst als sie sich beruhigt hatte, sah sie zu ihm auf. „Warum bist du so ein Gentleman? Ich dachte, du wärst grobschlächtig und brutal.“

„Weil ich dich beeindrucken möchte“, rutschte es Richard heraus.

Doch anstatt, dass Ina sauer wurde, lächelte sie. „Das ist sehr lieb von dir, Richard. Kannst du mich nach Hause bringen?“
 

Martin wusste natürlich, wo Ina und Richard abgeblieben waren. Er erklärte es ihnen, bevor Marie sie alle dezent mit einem „Es war nett mit euch“ herauswarf. Nun stampften die Vier im Regen über die Insel und suchten nach einem Boot. Das, mit dem sie gekommen waren, hatten Richard und Ina sich bereits geschnappt.

„Wer kommt eigentlich für den Sachschaden auf?“, fragte Emil, der an das demolierte Wohnzimmer dachte.

„Maries Eltern“, erwiderte Martin, als wüsste er nicht, was die Frage sollte.

„Ich fragte mich, obs für so etwas nicht eine Abteilung, wie die Men in Black gibt oder so.“

„Nö. Das zahlt die Versicherung. Voraussichtlich sie sind gegen magische Unfälle versichert.“

„Magische Unfälle?“ Emil musste auflachen. „Passieren die öfter?“

„Ab und an mal.“

Emil wusste nicht ganz, ob Martin ihn veräppelte oder es ernst meinte, aber trotzdem lachte er. Martin war immer noch er selbst, auch wenn er ein Seher war und er scheinbar mehr Ahnung von all dem hatte, als Emil sich vorstellen konnte.

„Ich hoffe du stellst dich in nächster Zeit häufiger auf dumme Fragen ein.“

„Habe ich schon längst“, erwiderte Martin und tippte sich an die Schläfe.

„Ach ja, du wusstest ja, dass ich das sagen würde. Ob ich jemals damit klar kommen werde?“

„Ich denke schon.“ Martin zuckte die Schultern.

„Nein, du weißt es.“

„Ja, hast Recht. Ich weiß es“, räumte Martin ein.

Emil grinste überlegen und wandte sich dann Lilian zu, die schweigend neben ihm herlief:

„Bist du eigentlich unsterblich, wenn du nicht von einem Dämonenschwert gekillt wirst?“

Sie sah ihn daraufhin verständnislos an, bis ihr scheinbar einfiel, dass er keine Ahnung hatte.

„Nein“, erwiderte sie grinsend. „Mein Körper regeneriert sich nur sehr schnell. Verletzungen heilen in kürzester Zeit. Auch gegen Krankheiten bin ich weniger anfällig. Ansonsten bin ich genauso sterblich wie du und alle anderen.“

„Gibt es überhaupt magische Wesen die unsterblich sind?“

Lilian überlegte kurz. „Man munkelt, dass 'Die-da-oben' unsterblich sind, aber das ist nicht bewiesen. Wieso? Wärst du gerne unsterblich?“

„Weiß ich nicht genau. Aber Superkräfte hätte ich manchmal schon gerne. Ich würde sie wenigstens richtig benutzen“, sagte Emil, der an die Helden aus den Filmen dachte.

„Denkst du, dass ich meine nicht richtig nutze?“

„Nein! Ich dachte nur an die ganzen Idioten aus den Filmen und Büchern“, sagte Emil hastig, als ihm bewusst wurde, wie sie es aufgefasst hatte, doch anstatt sich aufzuregen grinste Lilian:

„Entschuldige. Ich muss geklungen haben, wie ein eingeschnapptes Mädchen.“

„Du bist doch auch ein Mädchen.“

„Schon, aber keines, das leicht eingeschnappt ist.“

Daraufhin gab Lilian Emil lachend einen leichten Schubs, der ihn aus dem Gleichgewicht brachte.

Emil konnte nicht anders als ihr Lachen zu erwidern, doch er verstand nicht ganz. Er wusste nicht, wie er es zu deuten hatte, dass sie andauernd lachte, wenn er etwas Falsches sagte. Doch ihr Lachen war ehrlich, das spürte Emil.

„Du bist anders“, sprach er das Erste aus, das ihm durch den Kopf schoss.

„Ja, ich bin eine Succubus. Schon vergessen?“

„Beinahe“, gab Emil zu. „Seit ich dich küssen konnte, vergesse ich das schon ab und an mal.“

„Stimmt! Du bist ja jetzt immun!“, rief Lilian aus.

„Ironie?“

„Nein“, sagte sie mit vollem Ernst. „Das hatte ich jetzt vergessen.“

Es entstand eine plötzliche, peinliche Stille in der Emils Herz schneller zu schlagen begann. Sie sprachen vom Küssen und doch hatte er keine Ahnung davon. Er wusste nicht, was sie darüber dachte, noch wie er sich in so einer Situation verhalten sollte. Es war alles viel einfacher gewesen, als er noch nicht darüber nachgedacht hatte.

Während Emil noch in Gedanken versunken war, war Lilian einen Schritt auf ihn zu gegangen und stand nun direkt vor ihm. Sie beugte sich zu ihm vor und küsste flüchtig seine Lippen.

„Spürst du was?“, fragte sie vorsichtig.

„Was denn?“

„Übelkeit? Schwindel? Kopfschmerzen?“, ratterte Lilian die Liste hinunter.

Emil schüttelte nur den Kopf, zu überfordert mit der Situation und unwissend, wo er seine Hände hin tun sollte.

„Nur ein kurzer Test, um sicher zu gehen“, erklärte sie, bevor sie ihn erneut küsste. Emil hätte schwören können, dass ihre Küsse mit jedem Mal besser wurden. Langsam hörten sogar seine Hände auf zu zittern und er genoss es sich ihr für einen Moment hinzugeben.

Nur langsam zog sie ihren Kopf zurück und sah ihm direkt in die Augen.

„Du bist anders“, flüsterte sie und dann verzog sich ihre Miene zu einem Grinsen. „Du bist kein Mädchen.“

Noch bevor Emil irgendetwas erwidern konnte, worüber er eigentlich ganz froh war, tönte Sonias Rufen zu ihnen hinüber: „Ausgeturtelt! Wir haben ein Boot gefunden!“
 

Manche Dinge im Leben sind fair. Andere eher nicht. Unfair fand Emil es irgendwie, dass Sonia und Marie für die Sache drei Wochen vom Unterricht suspendiert wurden, während Lilian zu drei Wochen Unterricht verdonnert wurde.

Noch ungerechter empfand er es, dass Martin, obwohl dieser ihn in doch recht große Gefahr gebracht hatte, seiner Stellung als Seher enthoben wurde und nunmehr wieder ein Seher-Schüler war. Zwar hatten sie ihm seine seherischen Fähigkeiten nicht wegnehmen können, sondern nur seine Aufgaben gestrichen. Aber er sagte, dass er dadurch nur mindestens zwei Jahre auf der Karriereleiter verloren hatte.

Doch genauso wie Martin sich um Emils Physiknote bemühte, fühlte Emil sich ihm in dieser Sache dafür verantwortlich.

„Ist doch halb so wild“, sagte Martin schulterzuckend. „So habe ich wenigstens weniger Arbeit und mehr Zeit für andere Dinge.“

„Wie zocken?“, fragte Emil.

„Auch. Oder Bier trinken. Filme und Serien schauen, Bücher lesen, auch wenn ich bei letzteren leider immer schon das Ende kenne und“, er holte Luft, „Pizza bestellen.“

„Pizza klingt gut.“ Emil warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Es war 13:30 Uhr an einem Freitag in den Osterferien. „Ist es noch zu früh für Frühstück?“

„Ach was, es ist nie zu früh oder zu spät zum Pizza essen. Hast du einen Zettel von einem Bestelldienst?“ Martin sah sich suchend im Zimmer um.

„Bist du des Wahnsinns? Dann müsste jemand da anrufen!“

„Und ich sehe...“ Martin hielt dramatisch seine Hand vor sich gestreckt. „Ich sehe, dass du das machen wirst.“

Emil lachte trocken auf. „Genau und morgen rette ich die Welt.“ Er stand auf und ging hinüber zum Rechner.

„Warum nicht?“, fragte Martin und folgte ihm mit seinem Blick.

„Komm lieber rüber und such dir eine Pizza aus.“

Martin stand wiederwillig auf und kam zu Emil hinüber. Während er gedankenverloren die Liste durchblätterte, fragte er Emil plötzlich: „Hast du eigentlich mit ihr geschlafen?“

„Was?“

„Möchtest du Pilze auf deine Pizza?“

„Was?“

„Pilze? Diese braunen wabbeligen Dinger.“

„Ich weiß, was Pilze sind“, rechtfertigte Emil sich.

„Dann ist ja gut.“

Emil musste sich sicher verhört haben. Wo war er wieder mit seinen Gedanken?

„Ich dachte nur gerade“, fuhr Martin fort, als hätte ihre Unterhaltung dazwischen überhaupt nicht stattgefunden, „dass die Versiegelung der Quelle möglicherweise nicht so permanent ist, wie wir dachten. Genauso, wie Gedächtnisanpassungen es nicht sind.“ Er sah zu Emil auf.

„Wie meinst du das?“, fragte dieser.

„Dass du auf dich aufpassen sollst, wenn du mit Lilian zusammen bist.“

„Bin ich.“

„Lilian ist ein Dämon und sie ist eine Gefahr für dich.“

„Sagst du das nur, weil es Lilian ist?“

Martin seufzte. „Vielleicht... ich werds ja früh genug wissen, sollte es wirklich kritisch werden.“

„Ganz andere Frage: Weißt du jetzt auch was du bestellst?“


Nachwort zu diesem Kapitel:
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Kommentare zu dieser Fanfic (85)
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Von:  Minzou_Sshi
2018-02-02T22:30:44+00:00 02.02.2018 23:30
Oi! Diestory is super! Nach den ganzen Kapis muss ich sagen das mir Email, oh sorry XD Emil sehr ans herz gewachsen is. :D Haha. Irgendwie hatte ich auch anfangs schon das gefül das mit MArtin etwas nicht simmt. Hahaha, hätte aber nicht gedacht das er n seher is. Dachte schon: joa. Es gibt ne nixe, hexen und nen succubus. Bestimmt is Martin dann ein Werwolf! XD Haha. Das hab ich anfangs wirklich gedacht, umso erstaunter war ich als sich herausstellte das Martin ein seher war. >< XD Neija... auf jeden fall, SUPER Story! :D
Von:  utasama16
2017-04-02T15:45:02+00:00 02.04.2017 17:45
Ah, sorry wenn ich jetz auch noch meinen senf dazugebe: es ist die *lorentzkraft* , hatte das erst, daher weiss ich das.

Alles in allem gute arbeit
Antwort von:  Schneeregen
02.04.2017 20:51
Ah danke! Jahrelang und drei Physikern, die drüber gelesen haben, nicht aufgefallen. Danke :D
Von:  Fairytale_x3
2015-05-28T11:15:07+00:00 28.05.2015 13:15
Huhu :)

ich bins noch mal :D

Also, ich muss sagen ich mag das Kapitel wirklich was den Schreibstil anbgelangt, er ist sehr flüssig und man stolpert nicht oder muss Sätze doppelt lesen, was bei einem so langen Kapitel wirklich einen Segen darstellt ^^
Die Umsetzung der Beschreibung der Protagonisten finde ich gut gewählt, man weis direkt mit wem man es zu tun hat und wie derjenige so tickt. Allerdings finde ich auch, dass tendenziell zu 'wenig' passiert im ersten Kapitel. Nichts, was den Leser wirklich dazu bringt weiterzulesen, wenn er sich davor nicht sicher war und nur mal reingucken wollte.
Es muss ja im ersten Kapitel nicht zwangsläuftig spannend werden, ein bisschen Humor tut es oft auch :D
Ich hätte an deiner Stelle entweder einen kurzen interessanten Prolog verfasst um die Interesse zu wecken oder dieses Kapitel mit ein paar lustigen Szenen aufgepeppt. Z.b. im Physikunterricht oder so.

Nichts desto trotz vom Stil her gelungen und weil der mich überzeugt hat, werde ich mal weiterlesen :)

liebe Grüße

Fairy :)

♪♫

p.s. vllt noch eine Kleinigkeit zum Titel. Den würde ich eventuell noch mal überdenken, oder ist das ein Arbeitstitel? Ich persönlich finde einfach, dass ein kurzer prägnanter Titel mit eventuell etwas längerem Untertitel eher die Leute anspricht und son bisschen als eye catcher wirkt :)
Antwort von:  Schneeregen
29.05.2015 13:44
Heyhey,

schön dass du (wieder) vorbeischaust :)

Du findest das Kapitel schon lang? Für Onlineverhältnisse stimmt das wohl. Aber sonst isses ja nicht sooo lang.
Wegen der Unspektakulärität. Ich habe vor einiger Zeit, mal rumgefragt, ob man das Kapitel aufpeppen sollte, da ich es ohnehin vollständig umgeschrieben habe. Jeder hat mir gesagt, ich sollte es so lassen und auch keinen künstlichen Prolog davor bauen. Klar ist das Geschmackssache. Und ich sehe auch, dass es gerade online, wenn niemand mehr viel Zeit hat, schwierig ist, dann Leser zu finden, wenn es mal nicht Schlag auf Schlag geht. Habe ich ja selbst oft. Aber da ich auch einen vorgesetzten Prolog, der nichts damit zu tun hat, blöd finde, akzeptiere ich, dass ich Leser verliere. Humor findet sich hier auch eher unterschwellig. Das passt aber zur Szene.
Das Kapitel muss dann halt nur mit Kurzbeschreibung und Charakteren punkten. :) Da hat ja auch wieder jeder andere Vorlieben.

Den Titel werde ich nicht mehr ändern. Ja, man kann ihn sich nicht merken. Er ist sogar zu lang um ihn andauernd zu erwähnen. Aber wir sind ja hier online und Titel lesen geht ja auch schneller als ihn auszusprechen. Er fällt komplett aus dem Rahmen und kann natürlich auch wieder Leser vergraulen, aber gleichzeitig auch Aufmerksamkeit erzeugen. Wenn ich darüber rede, nenne ich die Geschichte "Emil", wie man auf dem Cover ja auch sehen kann. Da Emil aber ziemlich langweilig ist, würde ich ihn jetzt nicht in der Überschrift angeben.

Dass du trotzdem noch Lust hast weiterzulesen freut mich sehr. Tut mir Leid, dass ich hier viele deiner Punkte zurück weise, doch du hast einige Angesprochen, was ich mir schon durch den Kopf habe gehen lassen. Nichts desto trotz, danke, dass du sie noch einmal angesprochen hast. So weiß ich, dass sie einen Teil wohl doch stören.

Liebe Grüße
Schneeregen
Von:  Vickie
2014-12-08T19:18:50+00:00 08.12.2014 20:18
Hier hat mich nur der lange Schlagabtausch gestört, weil man beim schnellen Lesen nicht gut mitverfolgen kann, wer was sagt.
Dafür, dass es sein erstes Mal war, ging er ganz schön schnell ran. Das hat mich überrascht. Ich frage mich, was er zu sich genommen hat bzw. was Lilian angerichtet hat.
Antwort von:  Schneeregen
09.12.2014 23:34
Der Schlagabtausch ist wirklich lang. Ich hatte versucht, immer wieder kurz aufzugreifen wer redet. Wenn man ein schneller Leser ist, kann das natürlich untergehen. Die Idee, warum der Dialog so unausgeschmückt ist, war, zu sehen, wie weit ich in einem Gespräch komme, ohne viel dazuzutun. Ich habe bei der Geschichte viel herumexperimentiert. Wahrscheinlich wirst du noch das ein oder andere gescheiterete Experiment finden.
Jetzt wo dus sagst, stelle ich mir natürlich vor, wie der Text mit zusätzlichen Beschreibungen wäre und finde, dass etwas mehr Wörter dem ganzen keinen Abbruch tun würde.
Ich werde mir das auf jeden Fall durch den Kopf gehen lassen, ob ich das noch ändere oder die Irrationalität gewinnt, weil ich mich einfach schon zu sehr daran gewönt habe, wie es jetzt ist.

Dass Emil soetwas tut, auch wenn er Alkohol getrunken hat, passt natürlich zu seinem Charakter. Die nächsten Kapitel bringen hoffentlich Klarheit.
Von:  Vickie
2014-12-08T19:11:30+00:00 08.12.2014 20:11
Im ersten Satz sind zwei Punkte nacheinander, man schreibt nicht in Majuskeln und im drittletzten Satz fehlt ein Komma. Asonsten brauche ich zum Schreibstil und zur Rechtschreibung nichts zu sagen.
Ich habe gerade beim unteren Kommentar geschmult: Beim Ich-Erzähler und beim personellen Erzähler und bei bestimmten Genre wie Jugendroman, Liebesroman, Chick Lit, moderne Fantasy (urban und sowas) darf es gerne umgangssprachlich sein! Nicht gerade mit abgedroschenen Floskeln oder Chatsprache, aber so wie du es machst, ist es super. In epischen (episch ≠ cool) oder historischen Romanen passt es natürlich nicht so gut.
Vom Inhalt her lässt es sich wieder gut runterlesen. Der Dyonisos-Spruch fand ich cool, bei mir wäre er gelandet XD
Ich bin mir fast sicher, dass es dir Marie nicht wird, weil sie intellektuell nicht auf seinem Niveau schwimmt, sondern die Ina, die schon im ersten Kapitel so ausführlich beschrieben wurde.


Antwort von:  Schneeregen
09.12.2014 19:39
Wenn ich drüber nachdenke, hätte man die Großbuchstaben wirklich umgehen können. Es ist auch das einzige mal, dass soetwas in der Geschichte vorkommt. Ist demnach wirklich unnötig und wird deshalb rauskorrigiert.

Etwas Umgangssprache passte einfach zum Ziel der Geschichte: Ungezwungen und witzig. Gerade damit es witzig wird, wäre eine trockene Sprache auch unglaublich ungeeignet. Bin beruhigt, dass ichs dabei nicht übertreibe und dass es dabei amüsant ist, so wie auch die Intention war.
Mir macht es selbst auch mehr Spaß so zu schreiben, da es mehr Freiraum zum Austoben gibt.

Marie ist wirklich nicht sein intelletuelles Niveau, aber erzähl das mal einem pubertierenden Jungen...
Von:  Vickie
2014-12-08T19:02:08+00:00 08.12.2014 20:02
Hallo Schneeregen!
Ich dachte, ich schau mal bei den ganzen Zirkelmitgliedern rein.
Bei deiner Geschichte kann ich mich gut zurücklehnen und die Handlung wirken lassen. Schreibstil ist top. Nichts, worüber ich stolpere (außer das eine überflüssige Komma). Flüssige Sprache, großer Wortschatz, keine störenden Wortwiederholungen oder Füllwörter.
Die Geschichte fängt mit einer Situation an, die wir wahrscheinlich alle kennen. Scheißschule und übernächtigt, weil zocken. XD Es geht um einen Nerd, der Physik hasst und zu einer Party soll. Für meinen Geschmack passiert im ersten Kapitel zu wenig, was den Leser mitreißt und ihn zwingt, weiterzulesen. Darüber hinaus habe ich persönlich ein Problem mit vielen Namen und Beschreibungen. Ich brauch immer eine Weile, bis ich mich an Personen gewöhne.
Mit der (mir zu) ausführlichen Beschreibung von Ina ahne ich etwas.
Antwort von:  Schneeregen
09.12.2014 19:29
Huhu,
dankeschön. Hatte ja schon gesagt, ich hatet einfach schonmal das schlimmste befürchtest, wenn du kommentieren kommst . Also im positiven Sinne und mich deshalb umso mehr freue, dass es wenig anzumerken gibt. Außerdem danke, dass der Stil gut ist. Ich achte immer sehr akribisch darauf, Sätze so lange umzubauen, bis es sich flüssig lesen lässt. Ist schön, wenn man das dann auch erreicht.
Das mit dem Kommas ist leider ein elendiger Kampf. Ich glaube ich werde nie alle Kommafehler finden.

Ich hatte auch lange überlegt, ob ich vor das erste Kapitel einen Prolog setzte, weil es leider wirklich sehr wenig hergibt, was gerade für eine Geschichte, die online verfügbar ist, eigentlich sehr schlecht ist. Besonders da es erst ab Kapitel 3 irgendwie klar wid, worum es geht, konkreter erst im 5. Kapitel. Würde ich das gleiche heute nochmal schreiben, würde ich es anders struktieren. Klar. Aber so bleibt zu hoffen, das Leser sich von diesen alltäglichen trögen Einstieg hoffnetlich nicht abschrecken lassen.
Viele Namen sind es natürlich, allerdings tauchen die wirklich wichtigen Personen ja noch häufiger auf. Auch wenn man sich nicht alles merken kann, finde ich es irgendwie schön, ein bisschen Hintergrundinfos zu haben, egal wie unwichtig sie eigentlich sind.

Dann bin ich mal gespannt, ob sich deine Vermutung bestätigt.
Antwort von:  Vickie
09.12.2014 20:37
Wenn du einen Prolog davor setzt, ändert es auch nichts am Inhalt des ersten Kapitels. Schlimmstenfalls enttäuschst du damit den Leser, weil es so rasant anfängt und dann der Spannungsbogen abfällt.

Sind Kapitel 1 und 2 notwendig um die Situation und die Personen einzuführen? Reicht es bei der Party anzufangen? Kriegst du trotzdem deine Infos drunter, ohne auf Rückblenden zurückgreifen zu müssen?

Ich finde gerade Statements am Anfang gut. Vergleich mal folgende Anfänge:

Eine schläfrige Stille lag über dem Klassenzimmer. Emil hatte den Kopf auf seine Hände gestützt und war hauptsächlich damit beschäftigt, vor Müdigkeit nicht einzuschlalfen.

Es gab drei Dinge, deren Emil sich absolut sicher war: Erstens: Die Musik war seit Anfang der Party scheiße. Zweitens: der Barkeeper schenkte der Emil reichlich Bier aus. Und drittens: Emil wartete sehnsüchtig auf Marie.

;)
Antwort von:  Schneeregen
09.12.2014 23:37
Im Prinzip gibt es nur zwei Gründe, warum ich nicht bei der Party anfangen würde: Ich habe mich so daran gewöhnt, dass die Geschichte diesen Weg nimmt, dass es sich falsch anfühlt, das Kapitel rauszunehmen und im Verlauf der Geschichte wird immer mal wieder Referenz auf die erste Szene genommen, da fast alle Szenen, die in der Schule spielen, im Physikunterricht statt finden.
Antwort von:  Vickie
10.12.2014 08:09
Es ist deine Geschichte. Wenn du es so haben willst, willst du es eben so haben. Aber "ich habe mich dran gewöhnt" oder "alle Geschichten fangen so an" ist für mich kein Argument.
Du schreibst für den Leser, nicht für dich. 😉
Von:  fahnm
2014-10-29T20:50:56+00:00 29.10.2014 21:50
Spitzen Kapitel
Von:  fahnm
2014-10-29T20:50:26+00:00 29.10.2014 21:50
Klasse Kapitel.
Mach weiter so
Von:  fahnm
2014-10-29T20:49:37+00:00 29.10.2014 21:49
Super kapi^^
Von:  fahnm
2014-10-29T20:45:45+00:00 29.10.2014 21:45
Klasse Kapi^^


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