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Melancholie

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Melancholie

Melancholie.

- Ein Gefühl großer Niedergeschlagenheit, meistens ohne einen bestimmten Anlass, führt oftmals bei anhaltender Dauer zu schweren Depressionen. Melancholie wird selten als Krankheit ernst genommen und daher nicht behandelt. Ihre indirekten Folgen sind weit reichend und führen bis hin zum Tode.

- „Die Melancholie ist seelisch ausgezeichnet durch eine tief schmerzliche Verstimmung, eine Aufhebung des Interesses für die Außenwelt, durch den Verlust der Liebesfähigkeit, durch die Hemmung jeder Leistung und die Herabsetzung des Selbstgefühls, die sich in Selbstvorwürfen und Selbstbeschimpfungen äußert und bis zur wahnhaften Erwartung der Strafe steigert.“ – Sigmund Freud
 

Es war still hier oben.

Nur sehr schwerfällig drangen die Geräusche der Stadt bis hier hinauf, mehr wie das Rauschen eines schlecht eingestellten Radios, das zwischen zwei Sendern fest hing. Für jemanden, der den alltäglichen Lärm gewohnt war, so gut wie unhörbar. Ebenso wie all ihre Lichter so fern schiene, das Leben so unendlich weit weg. Als würde das alles hier seine Bedeutung verlieren. Als würde es hier gar nicht existieren und nur der Widerhall einer fremden Welt auf dieser sein, ähnlich einem verzerrten Spiegelbild im Wasser.

Er war gern hier. Weit oben über allem konnte er sich beinah wie ein Gott fühlen, der seine Anhänger, seine Herde beobachtete. Ein mattes Lächeln. Ob sich ein Gott wohl ebenso einsam fühlen mochte, sich auf niemanden verlassen könnend, sich von allen derartig gehasst vorkommen? Vielleicht standen solche Wesen, sollte es sie wirklich geben, auch über derartig banalen Dingen wie Gefühle, die einen schließlich nur wieder und wieder ablenkten. Doch, es war zweifelsfrei eine interessante Frage. Er nahm sich vor, sollte er jemals einem gottgleichen Wesen begegnen, sie ihm zu stellen.

Der Schwarzhaarige lehnte sich vor. Kinn auf die Handflächen, Ellbogen auf die Knie gestützt. Seine Position war ohnehin schon unsicher und dadurch geriet sie noch ein wenig mehr ins Schwanken. Auf der Kante eines Hochhauses zu sitzen, die Beine über dem Rand hängend, war vielleicht auch nicht grade die beste Idee. Nicht, dass ihn das auch nur annährend störte. Er hatte ja schließlich nicht vor zu springen. Allerdings musste er wohl eingestehen, dass die Tiefe einen gewissen Reiz besaß, eine sachte Anziehung wie eine leise, lockende Stimme. Und nicht zum ersten Mal ertappte er sich beim Gedanken, wie wohl das Gefühl beim Springen und danach Fallen sein musste. Freiheit? Vielleicht. Aber ahhh… dann würde ihm ja diese wundervolle, fassettenreiche Welt mit all ihren faszinierenden Menschen entgehen, nicht? Von hier oben waren sie so weit entfernt. Man konnte so viele von ihnen sehen und doch keinen einzigen. Bedauerlich.

Für einen Moment schloss er die Augen und lauschte auf die Stadt. Es waren nur leise, unverständliche Bruchstücke, die hoch zu ihm klangen, wild durcheinander und so einen gänzlich anderen, viel größeren Sinn erschließend, als der, in dem sie ursprünglich erscheinen mochten. Dort das Lachen einiger junger – und zu dieser Uhrzeit wahrscheinlich reichlich angeheiterter – Leute, da das Weinen eines Kindes, das vielleicht einen Alptraum gehabt hatte, ein ausgewachsener Ehestreit, weit entfernt eine Polizeisirene und irgendwo das Kläffen eines Hundes. War der Begriff Melodie des Lebens da zu weit gefasst? Kaum, war dies doch die ideale Musik.

Zumindest, bis sich ein Missklang bemerkbar machte.

Der junge Mann öffnete weder die Augen, noch drehte er sich herum, noch zeigte er mit sonst einer Regung, dass er seinen… nun, Besuch bemerkt hatte. Erst, als dieser keine zwei Meter mehr hinter ihm sein konnte, erhob er die Stimme.

„Erstaunlich still heute, Shizu-Chan. Hat Namie dir gesagt, wo ich bin?“

„Sie hat mir sogar die Tür zum Dach aufgeschlossen.“ Die Stimme des Blonden war ein tiefes Grollen, aber irgendetwas daran war anders als sonst. Was genau, wusste er allerdings nicht zu sagen.

„Ach, sie hat mich ausgeschlossen? Wie reizend. Aber ich hab nichts anderes erwartet.“

Schweigen.

Schließlich drehte Izaya doch den Kopf und sah hoch. Der Blonde stand fast genau hinter ihm, eine Zigarette zwischen den Fingern und den Blick ins Leere gerichtet und wirkte danei erstaunlich ruhig. Niemand, der die beiden auch nur einmal tagsüber auf der Straße erlebt hatte, würde denken, dass dies dieselben Personen waren. Eigentlich war er sich da selbst gerade nicht so sicher. „Was tust du hier, Shizu-Chan?“

„Vielleicht will ich mich endlich aller meiner Probleme entledigen.“

Ein Lachen stieg in seiner Kehle auf, ohne dass er es zurück halten konnte. „Wenn du das wolltest, hättest du das getan. Es hätte nur einer Bewegung gebraucht und ich wäre da unten.“ Bei den letzten Worten machte er eine schnippische Handbewegung gen den weit entfernten Boden und sprang auf, vielleicht ein wenig schneller, als sicher gewesen wäre, um dann über den schmalen, etwas erhöhten Rand zu balancieren. Nicht einmal breit genug, um beide Füße nebeneinander zu setzen, die Arme von sich gestreckt, um das Gleichgewicht zu wahren. Wenn er fallen würde, wäre das tief, sehr tief. Zu tief jedenfalls, um es zu überleben. Außer für Celty, vielleicht. „Nein, das wäre dir wohl zu langweilig. Wenn ich dir nur eins auswischen wollte, würde ich selbst runter springen. Neh, das würde dir nicht passen, hab ich Recht? Wusstest du übrigens, die alten Römer Selbstmord für etwas sehr rühmliches und ehrenhaftes hielten?“

Wozu er das sagte, wusste er eigentlich selbst nicht genau. Im Grunde plapperte er nur allen Unsinn aus, der ihm grade durch den Kopf schoss. Und hatte er sogar Recht? War da nicht ein verdächtiges, wenn auch nur sachtes Zusammenzucken gewesen, das er aus den Augenwinkeln beobachtet hatte?

Dennoch, eine Antwort erhielt er zunächst nicht. Dann ein trockenes „Bevor ich kam… da hast du dran gedacht, zu springen, oder?“

Was auch immer er erwartet hatte, das jedenfalls war es nicht gewesen. Die vorher so leichte Bewegung geriet ins Schwanken und er für einen Moment auch, sodass er sich entschied, wieder auf festen Boden zurück zu springen, die Hände beiläufig in die Jackentaschen zu vergraben, als wäre nichts, und langsam wieder ein paar Schritte auf Shizuo zuzugehen, bis er fast direkt vor ihm stand und hochschauen musste. „Du klingst so besorgt darüber?“

„Halt die Klappe. Hast du, oder nicht?“

Ein zuckersüßes, etwas künstliches Lächeln. „Soll ich nun ruhig sein oder antworten?“

„I-Za-Ya!“

Ah, da war er ja wieder. „Mach dich nicht lächerlich, Shizu-Chan.“ Als hätte es sich damit erledigt, drehte er sich wieder um und machte ein paar langsame Schritte, bis er am Rand stand und sich drüber lehnte.

„Das ist keine Antwort.“

„Ich weiß.“

Erneutes Schweigen.

„Aber weißt du was, Shizu-Chan?“

Ein misswilliges Murren. Ein Lachen.

„Außer dir hätte mich jeder in dieser Stadt herunter gestoßen.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Aniko
2010-12-02T21:35:54+00:00 02.12.2010 22:35
Ich liebe es!
Die Atmosphäre und die Dialoge sind herrlich! Der Satz zum Schluß ist brilliant.
I want more!

ANIKO∙∙•
Von: Verge
2010-10-11T15:08:00+00:00 11.10.2010 17:08
Sehr schön geschrieben ^-^
Würde mich interessieren was passiert wäre, wenn es kein One Shot gewesen wäre~


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