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Unforgivable Sinner

Remake
von

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Zwischen Traum und Realität

Nach der Siegerehrung kehrte Haruka betrübt ins örtliche Pokémon Center zurück. Während sie die Straßen entlang wanderte, war bereits der Abend hereingebrochen. Die Sonne, die glühend im Meer versank, tauchte Olivania City in ein flammendes Abendrot. Zu einer leuchtenden Einheit verschmolzen Himmel und Meer und waren bloß durch ein dünnes, kaum sichtbares Band voneinander getrennt. Friedlich trieben Fischerboote in weiter, ungreifbarer Ferne des Horizonts auf dem tief blauen, beinahe schwarzen, Gewässer. Bloß ein schmaler Streifen wurde in die Farben des Feuers getaucht.

Dem Sonnenuntergang, der sich ihr bot, schenkte Haruka keine Aufmerksamkeit. Zu jeder Zeit hätte wohl jener Anblick ihr den Atem geraubt und ihr Herz gewärmt, doch an diesem Abend blieb es kalt, das schöne Panorama erregte ihr Interesse nicht.

Während die Brünette auf Ampharos und Eneco zu schritt, die in der nahezu leeren Eingangshalle auf sie warteten, trug sie zwei gut gefüllte Futterschalen. Sie hockte sich auf die Knie, sodass ihre Beine den kühlen Fliesenboden berührten, und stellte die Schüsseln nieder. Bevor sie sich erhob, streichelte sie ihren Pokémon über den Kopf. „Hier ist euer Lieblingsfutter“, wisperte Haruka mit kaum vernehmlicher Stimme. „Esst.“

Ampharos beugte den langen Hals auf das Futter herab, schnupperte. Dann jedoch zog der Elektrodrache die Schnauze kraus und verschmähte, wie Eneco, sein Futter.

„Lasst den Kopf nicht hängen“, versuchte Haruka ihre Pokémon sanft aufzumunternd, doch jene senkten niedergeschlagen die Köpfe und starrten enttäuscht auf den gefliesten Boden des Pokémon Centers.

Seufzend lehnte sich das Mädchen zurück, wirkte ruhig und gleichgültig, obwohl sie sich abgespannt und enttäuscht fühlte. Ihr war nicht nach Lächeln zumute, trotzdem tat sie es; trug der Öffentlichkeit wegen an ihrer Niederlage Würde. Warum?

Die Öffentlichkeit verlangte es. Deswegen durfte sie keine Schwäche zeigen. Vor allem nicht ihren Rivalen gegenüber. Welche Worte würde Shuu an sie richten, wenn er von ihrem Versagen wüsste? Würde er sie in den Arm nehmen und sie trösten? Oder würde jedes seiner höhnischen Worte ihr Herz zum Erstarren bringen?

Unmerklich schlossen sich ihre Hände zur Faust und die Fingernägel bohrten sich unsanft in ihre Haut. Rasch verdrängte sie den Gedanken, dass Shuu ihr als Freund zur Seite stand, nicht als Rivale. Gewiss würde er sie verspotten! Jede seiner Bemerkungen sollte einen Pfeil des Schmerzes in ihr Herz rammen.

Ein Schluchzen entkam ihrer Kehle und warme Tränen suchten ihren Weg über ihre geröteten Wangen. Sie wollte nicht mehr stark sein. Sie wollte schwach sein, sich nicht in einer eisernen Maske kleiden und sich verstellen müssen.

„Haruka?“

Beim Klang ihres Namens zuckte die Angesprochene zusammen und wischte sich in wilder Hast mit dem Handrücken die Tränen fort, dann hob sie den Kopf und blickte in gütige, weinrote Augen, die das Mädchen besorgt musterten. Sogleich spürte sie, dass eine Hand sanft auf ihrer Schulter ruhte. Mit gemischten Gefühlen, dem Trost und der Abscheu, betrachtete sie jene Hand. Schließlich hob sie ihren Blick und betrachtete den Koordinator, der in Jeans und einer für die äußerlichen Temperaturen eher unpassende Jacke gekleidet war. Silberweiße Haare fielen ihm in das blasse Gesicht, aus dem bloß die roten Augen lebendig heraus stachen.

„Kouki.“ Ungewohnt kühl sprach die Koordinatorin den Namen ihres Freundes aus, der für ihre bittere Situation verantwortlich war. Dank ihm blieb ihr das Privileg am großen Festival teilzunehmen verwehrt.

Kouki, der ihre Ablehnung zu spüren vermochte, nahm die Hand von ihrer Schulter, während er zurück trat. Wortlos blickte der Weißhaarige sie an, bloß mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen.

Und wieder tat sie es; ein Lächeln umspielte ihre erschöpften Gesichtszüge, obwohl sie in ihrem Inneren protestierende Worte vernahm. Es war eine Fassade, eine Lüge, ihm keine Schwäche zu zeigen, und trotzdem tat Haruka dies.

Sie betrachtete Kouki, der sie mit angehaltenem Atem anstarrte, öffnete dann aber seinen Mund und atmete erleichtert aus. Seine angespannte Körperhaltung löste sich und lachte kurz auf. „Ich… Ich habe für einen Moment geglaubt, dass du auf mich wütend bist.“

Entrüstet quittierte Haruka seine Aussage mit einem verärgert Schnauben, blieb aber dort, wo sie war, noch immer Kouki anstarrend. Warum sollte sie nicht wütend sein? War es nicht er, der ihren Traum binnen weniger Minuten zerstörte? Sie hatte gar das Recht Zorn auf ihn zu verspüren!

„Du warst eben besser“, erwiderte Haruka abweisend. Monate hatte sie sich in Johto aufgehalten, war von Stadt zur Stadt gereist, um die nötigen Bänder zu sammeln. Gewiss gab es Höhen und Tiefen, Siege und Niederlagen, aber die Koordinatorin hatte stets einen Ausweg gefunden. Und nun endete ihre Reise in Olivania City einen Monat vor dem großen Festival.

„Das stimmt nicht!“ Vehement schüttelte Kouki den Kopf und sah sie anklagend an. Sie war besser als er gewesen, von Anfang an. „Und du weißt, dass es nicht stimmt.“

Die saphirblauen Iriden waren starr auf das Antlitz des Jungen gelegt. „Warum sollte es nicht stimmen?“

„Nun ja…“ Dem Blick, der ihn beinahe zu zerschneiden drohte, wich Kouki beschämt aus und sah zu Boden. Er verstummte und wusste nicht, welche Worte er an sie richten sollte.

Ungeduld packte die Koordinatorin und ließ ein kurzes, kaum merkliches, Zittern durch den Körper gleiten. Sie erhob die Hand, ballte sie zur Faust, ehe sie sich sogleich wieder entspannte. „Du weichst mir aus!“

Schatten des Kummers bedeckten Koukis Augen, als er seine einstige Reisegefährtin ansah. „Du bist doch wütend“, formten seine Lippen fragend, auch wenn es nicht nach einer solchen klang. Vielmehr war es eine Feststellung, einer Erkenntnis, so sollte man meinen.

„Beantworte meine Frage!“ Noch war sie ruhig. Ob dies aber so bleibt, wenn er nicht antwortete, war ungewiss. Kouki war sich bewusst, dass seine Weggefährtin kein Mensch vieler Worte war, wenn sie zornig war. Und noch besser wusste er, dass jedes falsche Wort sie mehr erzürnen würden.

So senkte er seine Blicke und bedachte seine Worte mit Sorgfalt, die er an Haruka richten wollte. Bis zu einem gewissen Moment war sie ihm tatsächlich überlegen gewesen, doch jene Tatsache änderte sich binnen einer Minute. Obwohl das Mädchen die Dominantere gewesen war und daher beinahe das Finale für sich entschieden hatte, hatte sie mehr und mehr die Kontrolle über den Kampfverlauf verloren.

Hätte er Rücksicht auf sie nehmen sollen? Schwäche zeigen und sie mit Absicht gewinnen lassen? Nein! Emotionen innerhalb eines Wettstreits waren hinderlich. Freundschaften wurden zu bitteren Rivalitäten. Dies war das Gesetz, die harten Regeln dieses Business. Ihm einen Vorwurf machen, konnte sie nicht, hatte nicht das Recht dazu.

„War es wieder der Traum?“, vernahm Haruka schließlich seine wispernden, vorsichtigen Worte des Jungen.

Einige Herzschläge lang sah die Brünette Kouki an, dann wich sie dieses Mal seinen Blicken aus und starrte auf einen entfernten Punkt, der nur für sie sichtbar war. Das Mädchen fühlte, dass es ihr unangenehm war über die wahren Gründe ihrer Niederlage zu sprechen. Ihr Herz sagte ihr, dass sie sich ihm anvertrauen sollte, aber ihr Verstand verbot es ihr.

Seit Monaten quälten Träume den Schlaf der Koordinatorin und schienen ihr beinahe den Verstand zu rauben. Wenn sie erwachte, war sie aufgebracht und ihr Körper von Schweiß bedeckt. Zurück blieb stets nur ein bedrückendes Gefühl.

War es absurd, wenn sie Nacht für Nacht dieselben Träume durchlebte? Verhöhnten die Menschen nicht diejenigen, die ungeahnte Kräfte besaßen?

Konnte sie ihm die Wahrheit sagen oder würde er sie verhöhnen – so wie Shuu es täte?

Abermals legte der Weißhaarige seine Hand ihr auf die Schulter, verstärkte den Griff, als sich ihr Blick nicht hob. „Haruka, ich bin dein Freund“, sprach Kouki eindringlich. „Oder vertraust du mir nicht?“

Wie tausende Stimmen hallten seine Worte in ihren Gedanken wider. Mal waren sie ein leises Wispern, die binnen weniger Sekunden in anklagenden Protest umschlugen.

Vertraue ich ihm?, fragte sich das Mädchen. Sie wusste es nicht, warum sie zögerte. Waren sie keine Freunde, die sich einander vertrauen und sich zuhörten, wenn der Andere Probleme hatte?

„Ja.“ Gut fühlte es sich an ihm die Wahrheit nicht zu verschweigen. Sie war erleichtert, auch wenn noch immer ein Funke der Zweifel blieb. „Ich vertraue dir.“

Als sie dem Freund das erste Mal von den Träumen erzählt hatte, war sie – wie die vielen anderen Male auch – mit einem Schrei erwacht.

Oft durchlebte Haruka diese Nachtmahre und jeder dieser Träume zehrte mehr und mehr an ihren Kräften. Die oftmals schlaflosen Nächte hatten ihre Spuren hinterlassen; sie litt an ständiger Müdigkeit, Antriebslosigkeit und am Verlust der Konzentration und der Leistungsfähigkeit.

Die Tatsache, dass die Nachtmahre stets zwei Varianten innehatten, bedrückte das Mädchen, ließen es nachdenklich, gar abwesend, wirken. Welche Bedeutung hatten diese Träume bloß?

Jedoch hatten jene stets den gleichen, leicht erkennbaren Ablauf:

Immer und immer wieder fand sich Haruka beim ersten Traum auf einer Klippe wieder und jener endete mit dem Brüllen einer in dunkle Schatten gehüllte Kreatur, die sie aus tief schwarzen Iriden anstarrte.

Der zweite Albtraum, der vielmehr eine Momentaufnahme des Ereignisses, als eine Abfolge von Geschehnissen war, beunruhigte Haruka mehr. Sie wusste nicht, was es genau war, doch nachdem sie aus diesem erwachte, ließ das zurückbleibende Gefühl sie den ganzen Tag nicht aus den Klauen.

Die Koordinatorin hielt sich in einer Höhle auf, war aber von einem grellen Licht geblendet, welches sich auf eine Stelle fixierte. Regungslos lag der leblose Leib eines Geschöpfes am Boden, blutverschmiert und bizarr verrenkt, während der Kopf des Geschöpfes auf dem Schoss eines Mädchens ruhte, dessen Gesicht nicht zu erkennen war.

Die Vision brach, mit dem klagenden Heulen eines Pokémon und dem Verlangen jemanden zu retten, ab. Wen sollte bloß sie retten?

„Es war wieder der Traum“, hauchte Haruka wispernd. Wieder spürte sie, dass sich die Tränen ihren Weg über die Wangen bahnten. „Was haben die Träume zu bedeuten?“

Unerwartet regte sich in dem Weißhaarigen das schlechte Gewissen, obwohl er wusste, dass er keine Schuld trug. Doch er bedauerte, dass er keinen Rat wusste. Daher zog es Kouki vor zu schweigen. Was hätte er auch tun sollen? Sie trösten? Sie umarmen?

Nein. Er konnte sie nicht beschwichtigen. So flüsterte er ein leises „Es tut mir Leid“, was die junge Koordinatorin mit einem sanften Lächeln erwiderte.

„Warum entschuldigst du dich? Du hast mich fair geschlagen.“

„Aber…!“

Ein kurzes, heiteres Lachen entrang sich Harukas Kehle. Sie schaute ihren Gefährten lächelnd an. „Kouki, kümmere dich nicht um mich. Du solltest dich auf das Festival konzentrieren“, sagte das Mädchen fürsorglich. Dies war kein Ratschlag, welcher Freunde den Anderen rieten, sondern dies war eine Forderung, die die geschlagene Koordinatorin forderte. Sollte er dies nicht beherzigen, beschwor er wohl den Unmut des Mädchens spüren zu wollen.

Betrübt sah er Haruka an, nickte kaum merklich, nachdem er die wahre Botschaft ihrer Aussage begriffen hatte. „Wirst du denn kommen?“

„Natürlich.“ Sie nickte. „Ich lasse mir doch nicht entgehen, wenn du Top-Koordinator wirst!“

Ein leichtes Lächeln schlich sich auf Koukis Lippen. Ja, der Gedanke bald zum Top-Koordinator aufzusteigen, hatte tatsächlich seine Reize, war jedoch bedeutungslos, weil Haruka nicht teilnehmen durfte. Doch diese Tatsache vertraute er der engen Freundin nicht an.

„Es… Es wird dann Zeit für mich.“ Um sie nicht ansehen zu müssen, wich er ihren Blicken aus, wandte sich ihr aber wieder zu, als sie sich wortlos erhob.

Einige Augenblicke sahen sie sich schweigend an, dann umarmte Kouki das Mädchen, welches es willig geschehen ließ, zum Abschied.

„Bis bald“, sagte Haruka knapp. Sie war nicht gut darin Abschiedsworte zu finden.

„Bevor ich gehe, möchte ich dir noch etwas geben.“

Neugierige Blicke, die seinen Kummer hinfort spülten, fühlte Kouki nun auf sich ruhen. Insgeheim musste er lächeln. Ihm war bewusst, dass Haruka Geschenke vergötterte, obwohl er sie erst seit einem knappen halben Jahr kannte. In diesem Zeitraum hatte er aber gelernt all ihre Makel zu verstehen und… Ja, sie, Haruka, lieben gelernt.

Doch dass seine Gefühle mehr als nur auf freundschaftlich waren, wusste das Mädchen nicht.

„Mach die Augen zu“, forderte Kouki sie auf. „Und halt mir deine Hand hin.“

„Was soll-“

„Tu’s einfach und meckere nicht rum.“

Erst sah Haruka ihn irritiert und unsicher an, dann folgte sie seinem Geheiß mit einem zustimmenden Nicken. Das Mädchen schloss die Lider über den saphirblauen Augen und streckte, wenn auch zögerlich, den linken Arm aus. Sogleich fühlte sie, dass Koukis Hand die ihre umschloss und etwas Raues auf ihrer Handfläche ruhte. Vorsichtig schloss sie ihre Finger um den kratzigen Stoff und versuchte zu erahnen, was es wohl sein mochte.

„Kouki, darf ich die Augen wieder aufmachen?“, fragte die Brünette vorsichtig, aber der Koordinator erkannte, mit einem Grinsen auf den Lippen, die Neugier in ihrer Stimme.

„Ja“, willigte der Angesprochene ein. „Aber schau das Geschenk erst an, wenn ich gegangen bin, ja?“

Erneut entgegnete das Mädchen ein zaghaftes Nicken und trat anschließend rasch heran, um ihn wieder die Arme um seinen Hals zu legen und ihn an sich zu ziehen.

Dann lösten sich die Freunde voneinander und verabschiedeten sich. „Wir sehen uns beim Festival“, sagte Haruka lächelnd.

Wortlos lächelte Kouki, streichelte Ampharos und Eneco kurz über die Köpfe, bevor der Koordinator der einstigen Gefährtin den Rücken zuwandte, die ihm noch lange hinterher schaute.

Sich ihrem Schicksal ergebend, seufzte das Mädchen. Die Niederlage rückte immer mehr in den Hintergrund. Stattdessen machte sich nach Koukis Gehen ein Gefühl der Einsamkeit in Haruka breit. Monate war sie mit ihm durch Johto gereist, hatte gemeinsam Höhen und Tiefen erlebt, und doch war ihr Abschied so gefühlsarm vorgekommen.

Oder täuschte sie sich? Vielleicht bedeutete sie Kouki nicht so viel, wie sie stets gedacht hatte? Und nun da sie gegen ihn verloren hatte und am großen Festival nicht teilnehmen konnte, würde Haruka bloß nur noch eine Erinnerung für ihn sein. Nichts weiter.

„Das war ja eine billige Vorstellung“, sprach eine arrogante Stimme, die Haruka unwillkürlich zusammen zucken ließ. Den Kopf jener Person zu wenden, brauchte sie nicht. Sie kannte diese Stimme, und schlagartig fühlte Haruka, wie sich ihr Körper anspannte.

„Möglich“, erwiderte sie beinahe kühl. Dann drehte sich die braunhaarige Koordinatorin um. „Dich hätte ich nicht erwartet… Shuu.“

Ein abfälliges Lächeln zierte Shuus Lippen, als er Schritt für Schritt auf sie zukam.

„Was tust du hier?“

„Ich habe mein Training für das große Festival unterbrochen, um diesen Wettbewerb beizuwohnen“, antwortete der Junge ruhig, sprach hochgestochen und arrogant. Seine smaragdgrünen Augen ruhten auf dem Antlitz des Mädchens. „Schließlich möchte ich erfahren, ob ich ernsthafte Konkurrenz im großen Festival habe.“

Aufgebracht begannen ihre Hände an zuzittern. War er wirklich wegen ihr gekommen? Oder hatte Shuu geahnt, dass sie in Olivania City verloren würde? „Dann muss ich dich enttäuschen“, sprach Haruka mit belegter Stimme. „Ich habe verloren.“

„Ich wusste es.“ In gewohnter Geste strich sich Shuu eine Strähne aus dem Gesicht. „Bei deiner Leistung war eine Niederlage nur gerecht gewesen.“

Scharf sog das Mädchen die Luft zwischen ihren Zähnen ein. Sie schalt sich für den Gedanken, dass er sie eventuell trösten könnte. Wie kam sie auf diese absurde Idee?

„Idiot!“, fauchte Haruka.

Shuu lachte kurz auf und ließ sich auf die Sitzbank nieder. „Deine Leistung entsprachen eben nicht dem hohen Standard der anderen Koordinatoren. Es war fair. Wie willst du also beim großen Festival erfolgreich sein?“

Aufgewühlt starrte die Koordinatorin ihn an. In ihrem Kopf erklang ein flehendes „Hör auf“, doch keines dieser Worte kam über ihre Lippen. Mit tränenverschleierten Blick wandte sich das Mädchen ab und eilte wortlos aus dem Gebäude hinaus. Einfach nur weg von ihm!

Kaum war sie hinaus getreten, begrüßte ein kühler Windhauch die enttäuschte Koordinatorin. Hastig schritt sie weiter. Asphalt wich dem Sand des Strandes, der sich südlich an Olivania Citys Küste schmiegte.

Besinnlich schloss Haruka die Augen und atmete die frische Abendluft ein. Einen Herzschlag lang, gab sie ihrer Wut und Enttäuschung hin und Tränen rannen ihre Wangen herab.

Wohin sollte ihr Weg sie nun führen? Es war bloß ein knapper Monat, bis das große Festival begann. Sollte sie Koukis Versprechen brechen und nach Hoenn zurückkehren?

Sand knirschte unter den Füßen einer Person, die sich ihr näherte. Haruka schrak durch dieses nächtliche Geräusch furchtsam zusammen und neigte ihren Kopf.

Erneut erblickte sie den jungen Koordinator, dessen Gesicht von kurzem Haar umrahmt wurde, welches in einem Smaragdgrün daher kam, wie seine Augen.

„Läufst du davon?“, fragte jener unvermittelt.

Rasch wich Haruka seinen durchdringenden Blicken aus und wischte sich das Mädchen die Tränen, die ihre Wangen benetzten, mit dem Handrücken fort. „Idiot“, gab sie erneut mit erstickter Stimme von sich.

„Warum? Weil ich die Wahrheit sage?“

Konnte er sie nicht einfach in Ruhe lassen oder wollte er sie etwa demütigen?

„Wenn du erfolgreich sein willst, dann arbeite an dir.“

Tief sog Haruka die kühle Luft ein. Sie wusste, dass Shuu nicht nachgäbe, doch diese Erniedrigung wortlos über sich ergehen lassen, würde sie auch nicht!

„Ach ja? Wer hat denn beim Kanto Festival im Halbfinale gegen mich verloren?“, rief sie spöttisch.

Shuu strich sich arrogant eine Strähne aus dem Gesicht und lachte höhnisch auf. „Im Gegensatz zu dir habe ich seit diesem Zeitpunkt hart an mir gearbeitet und heule nicht vor mich hin!“

Üble Beschimpfungen gingen Haruka durch den Kopf, die sie jedoch aus Vernunft nicht aussprach. Sie hatte auch hart an sich gearbeitet. Diese Niederlage war ein Missgeschick gewesen. Nichts weiter!

„Fakt ist, dass ich damals gewonnen habe!“

„Typisch. Amateure müssen immer in der Vergangenheit wühlen“, erwiderte Shuu kühl. Sein Blick streifte Harukas zitternde Hände, was von der Annahme seiner Worte zeugte.

„Warum bist du hier?“, durchbrach sie schließlich das Schweigen.

Schwach umspielte ein Lächeln Shuus Lippen. „Irgendjemand muss ja dafür sorgen, dass du beim großen Festival mitmachst, nicht wahr?“

Wie aus dem Nichts zückte der Koordinator eine Rose hinter seinem Rücken hervor und reichte sie Haruka, die ihn irritiert anstarrte.

„Was soll das heißen?“

„Du hast mal wieder verdammtes Anfängerglück“, erwiderte Shuu und machte eine kurze, theatralische Pause, in der Haruka schon protestierende Widerworte geben wollte, aber ihr Rivale beschrieb eine wegwerfende Handbewegung, die das Mädchen wieder zum Schweigen brachte.

„In Anemonia City findet in drei Tagen ein Wettbewerb statt.“

Die Koordinatorin glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. Sie wusste nicht, wie ihr geschah, sondern fühlte nur noch Freunde. „Was?!“, rief sie ausgelassen und hatte wahrlich das Verlangen Shuu um den Hals zu fallen. Dieses Gefühl unterdrückte das Mädchen aber rasch.

„Du hast mich verstanden.“ Amüsiert grinste der Koordinator Haruka an. „In Anemonia City findet der letzte Wettbewerb vor dem großen Festival statt.“

Kaum waren diese Worte ausgesprochen, umfassten seine Finger einen Pokéball, den er galant in die Höhe warf. Aus dem ausströmenden Licht formte sich ein grüner Drache, der seinen drahtigen Körper dehnte und streckte. „Libell~dra!“, stieß das Pokémon hervor und hockte sich nieder, um seinem Trainer den Aufstieg zu erleichtern.

„Ich werde dort sein und erwarte dich. Enttäusche mich nicht.“

Bevor sich der Erddrache kraftvoll vom Boden abstieß, unterzog er Haruka einer langen Betrachtung. Dann klappte das Pokémon die Flügel aus und der Sand wurde durch die Krallen, die sich hernach in den Boden gruben, aufgewühlt.

Mit ein, zwei Flügelschlägen stieg Libelldra mit einem klangvollen Gesang in den schwarzen Himmel empor.

Zurück blieb bloß ein aufgewühltes Mädchen, das nicht wusste, was es fühlen oder denken sollte. Sie blickte einige Zeit dem Koordinator hinterher, dann aber senkte sie den Blick, um liebevoll die Rose zu betrachten. Sanft strich sie über die Blütenblätter und drückte die Rose an ihre Nase. Sie strömte einen herrlichen Duft aus.

Schließlich zog der Wind ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Hier und Jetzt und ihr wurde bewusst, wie kalt es doch war. Sie entschied sich wieder ins Pokémon Center zurück zukehren, da fiel ihr Blick auf den kleinen Stoffbeutel im Sand, den Kouki ihr gegeben hatte.

Sie beugte sich herab und lockerte die Bänder. Ihre Finger umschlossen einen kühlen Stein, dessen Oberfläche glatt und von feinen Äderchen durchzogen war. Neben dem mysteriösen Stein lag ein kleines Stück Papier.

Neugierig wie Haruka war, zögerte sie nicht und faltete es auseinander. Leise las sie den Inhalt, der in einer ordentlichen Schrift geschrieben war, die sie von einem Jungen nicht gewohnt war:
 

Benutze diesen kostbaren Mondstein weise. Ich hoffe doch, dass er dir nützlich sein wird. Und ich hoffe noch immer, dass du deinen Weg ins Festival findest. Ich glaube an dich!

Kouki
 

Harukas Hand schloss sich um den Mondstein und richtete ihre Augen gen Himmel. „Idioten“, wisperte Haruka tonlos. Ihre Jungs…

Insgeheim lächelte das Mädchen über diesen Gedanken, während es zum Pokémon Center zurückkehrte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  _Risa_
2012-07-30T21:25:42+00:00 30.07.2012 23:25
So... zuerst fang ich mit der Kritik an, damit ich dannach loben kann, ohne dass ich das Lob mit Kritik unterbrechen muss. Manchmal finde ich, dass deine Charaktere, dafür, dass sie ganz normale, jugendliche Koordinatoren sind, ein wenig...hm, zu gestelzt reden, wenn man das so sagen kann. Natürlich sollst du das nicht ändern, wenn du es so schreiben willst, und vielleicht benützt du es auch, um so zu zeigen, dass Kouki reiche Eltern hat. Allerdings höre ich Jugendliche von Angesicht zu Angesicht, in einem mündlichen Dialog, seeehr selten so reden. Für mich wirkt er jedenfalls nicht mehr wie ein Jugendlicher. ^^"
Haruka und Shuu "gefallen" mir da schon besser. ^^
Nimm dir das nicht wirklich zu Herzen. Das ist Geschmackssache und an Geschmäckern scheiden sich die Geister. ^^
Es stört mich aber trotzdem manchmal. Ich zeig dir mal, was ich meine:
Ein paar Beispiele: >>„Ich habe mein Training für das große Festival unterbrochen, um diesen Wettbewerb beizuwohnen“, antwortete der Junge ruhig.
„Tu’s einfach und hinterfrag es nicht.“
Benutze diesen kostbaren Mondstein weise. Er wird dir, so hoffe ich doch, nützlich sein. Und ich hoffe noch immer, dass du deinen Weg ins Festival findest. Ich glaube an dich!
Kouki<<

Ansonsten hab ich, wie immer, weil du eine sehr talentierte Autorin bist, nichts zu kritisieren.
Mir gefällt die Freundschaft zwischen Haruka und Kouki besonders und - nicht schlagen XD-, mir gefällt der Süße besser als Shuu =D Obwohl Shuu natürlich auch toll ist.

Auch wie immer, hast du die Charas, die man aus dem Anime kennt, in-character dargestellt, es aber trotzdem gut hinbekommen, dass sie nicht so *hust* flach */hust* wie im Anime wirken.

Du wirfst auch Fragen auf, die neugierig machen.
Beispielsweise der Traum. ^^


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