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Unforgivable Sinner

Remake
von

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Absturz

Haruka hätte es ahnen müssen. Aika war im Laufe des Abends einfach so verschwunden, ohne Bescheid zu geben. Vielleicht erinnerte sich Haruka aber auch nicht mehr daran, dass Aika sie noch in Kenntnis gesetzt hatte, wohin sie gegangen war. Durch den einnehmenden Lärm und den Alkohol hatte Haruka kaum etwas verstanden oder wahrgenommen. Vielleicht konnte sie sich deswegen nicht mehr daran erinnern?

Jedenfalls hielt sich Aika stets an Orten auf, die Ärger versprachen. Denn wie ein Magnet zog sie Ärger an. Unzählige Male zuvor hatte Haruka dies schon erlebt. Hoffentlich war nichts allzu Schlimmes geschehen.

In drängender Sorge hatte die Koordinatorin die Disko verlassen, nachdem sie das eine oder andere Gespräch von fremden Jugendlichen belauscht und ein paar Hinweise erhalten hatte. Célian war ihr gefolgt, obwohl er Haruka wenig entlocken konnte, aus welchem Grund sie der Annahme war, dass sich Aika Probleme eingehandelt habe. Zunächst war er irritiert gewesen, hatte dann aber rasch eingewilligt, sie zu suchen. Wie Haruka war er ebenso besorgt. Célian schien Aika lange genug zu kennen, um zu wissen, dass sie einer Prügelei nicht sonderlich abgeneigt war.

Die kalte Nachtluft belebte Haruka und ließ sie frösteln, gleichzeitig aber erfrischte die angenehme Kühle ihren Geist, der vom Alkohol leicht benebelt war. Sie war es nicht gewohnt, so viel zu trinken – für ihre Verhältnisse zumindest. Überraschend leicht war es ihr gefallen, in Célians Gesellschaft ihre Abneigung zu überwinden. Sie mochte den Jungen, er…

„Wo willst du Kyra suchen?“

Haruka zuckte zusammen. Célians Stimme. Sie war derartig in Gedanken versunken gewesen, dass Haruka orientierungslos fortgerannt war. Mit einer fahrigen Handbewegung fuhr sie sich durch das drapierte Haar und ließ sich eine gefühlte Ewigkeit mit der Antwort Zeit, während sie sich umsah.

Das ‚Empire‘ befand sich auf einem alten Hafengelände. Eine ausgediente Lagerhalle war modern umgebaut worden und war mit der Zeit zu einer beliebten Location geworden. Nicht weit entfernt hatten die Besucher Zugang zum Strand, an dem an warmen Sommertagen ausgelassen gefeiert wurde. Jetzt war die Promenade verlassen. Zumindest teilweise. Die rauchige Luft im Club hatte reichlich Jugendliche nach draußen gelockt.

„Ich… weiß nicht.“

„Hör zu, du holst erst mal tief Luft und dann…“

Die Koordinatorin sah ihn an, als er stockte und nicht mehr weitersprach. „Und dann was?“

„Ich glaube, unser Problem hat sich gerade in Luft aufgelöst.“ Célian deutete mit einem knappen Kopfnicken in eine Richtung, aus der gedämpft Schreie und Jubelrufe erklangen. Haruka folgte seinem Blick und erstarrte.

Unzählige Menschen standen dicht an dicht in einem Kreis beisammen, während sie gafften und begeistert grölten. Und mitten in dieser Masse tobte Tera, deren Flammen hell flackerten und das Fell kampfeslustig gesträubt war. Im Schein des lichten Feuerkragens erhaschte Haruka den Blick auf Aika. Sie hätte die junge Frau überall wiedererkannt.

Insgeheim beneidete Haruka ja die Blonde um ihre gute Figur. Sie war groß gewachsen und hatte eine schmale Taille. Generell war Aika schlank und sportlich. Und sie konnte vieles tragen und sah darin gut aus. Selbst ausgediente oder lässige Klamotten, die sie mehr als ihren Stil bezeichnete als schicke Businesskleidung, standen ihr und erweckten nicht den Eindruck, dass sie aus ärmlichen Verhältnissen kam. Ihre sonst zerschlissene Jeans hatte Aika für den heutigen Abend gegen ein schlichtes schwarzes Cocktailkleid mit leichtem Stoff getauscht. Aika wusste wie sie ihre weiblichen Reize geschickt auszuspielen vermochte. Trotz der winterlichen Temperaturen zeigte Aika viel Haut. Freizügig offenbarte sie ihr Dekolleté, gerade so viel, dass der Brustansatz zu sehen war. Sie gab sich aber nicht die Mühe, die Tattoos zu verbergen. Ihre Schultern waren unbekleidet und zeigten am rechten Oberarm ein wirres Knäuel, das aus Strichen ein ineinander verschlungenes Muster ergab, während auf dem linken Schulterblatt ein eher verstörendes Tattoo, ein Totenkopf, umrahmt von Rosen und dem Untertitel „For the Fallen“, zu sehen war.

Der Kontrast zwischen den auffallenden Tattoos und dem eleganten Kleid passte gar nicht zueinander, und doch verlieh es der jungen Frau etwas Einzigartiges.

Welche Bedeutung aber die Tattoos für die junge Frau haben mochten, wusste Haruka nicht. Sie hatte in ihrem Beisein zu keiner Zeit über ihren Körperschmuck gesprochen. Zumindest hatte sie jede Gelegenheit abgewehrt, in der Haruka sie auf die Bedeutung angesprochen hatte. Scheinbar verband sie zu viel Schmerz mit ihnen. Möglicherweise weckte es die Erinnerung an ihre verstorbene Mutter. Allerdings hatte Haruka es irgendwann aufgegeben.

Erschreckend wenig wusste sie über Aika Bescheid, obwohl sie seit ihrer gemeinsamen Reise durch Johto zu besten Freundinnen geworden waren. Natürlich wusste sie, woher Aika stammte und aus welchen Verhältnissen sie kam, die sie dazu bewogen hatten, von zu Hause abzuhauen.

Während Haruka noch auf das Geschehen mit wachsendem Entsetzen blickte, fasste Célian sie vorsichtig an der Hand, um sie mit sanftem Druck mit sich zu ziehen. „Komm, sie steckt wirklich in Schwierigkeiten“, drängte der Junge und ließ das Handgelenk los, als sie ihm kaum merklich zunickte und ihm nachlief.

Ob Panik Haruka ergriffen hatte, konnte sie sich im Nachhinein selbst nicht mehr erinnern. Als sie gemeinsam auf die Menschentraube zu rannten, schwoll der Lärm zu einem vielstimmigen Grölen zahlreicher Jugendlicher an - erschreckenderweise auch von Erwachsenen. Haruka empfand die hetzerischen Rufe als abstoßend und verstörend. Dabei wurde ihr kalt ums Herz. Sie fröstelte abermals, doch nicht aus Kälte.

Bereits der Gedanke, sich zwischen betrunkenen und pöbelnden Menschen durchzudrängen, widerte Haruka an und ließ sie zögern. Denn unter dem aufpeitschenden Gebrüll mischten sich Beschimpfungen übelster Art und vulgäre Begriffe, jedes einzelne Wort verletzend und unter aller Würde.

Sie hasste es, über die bösen Bemerkungen hinwegzusehen und gar entschuldigend um Durchlass zu bitten.

Das enge Gefühl wich, nachdem Célian und Haruka unter genervten Blicken und pöbelnden Jugendlichen die vorderste Reihe erreicht hatten. Erleichtert vermochte Haruka etwas freier zu atmen, doch die Anspannung blieb, als die Koordinatorin ihre Freundin entdeckt hatte. Einen Herzschlag lang blieb ihr Blick an der jungen Frau haften, dann ließ ein furchtbares Geschrei Haruka zusammenzucken. Teras wütendes Fauchen erklang, als sich die stolze Tornuptodame aufbäumte und sich, kratzend und beißend, gegen ein Luxtra warf.

„Aika!“

Aika fuhr herum. Ihre blauen Augen leuchteten vor Schreck. Haruka wusste nicht so recht, wie sie ihren Blick zu deuten hatte.

„Was macht ihr hier?“ Fahrig strich sie sich eine Strähne aus dem Gesicht, während sie Célian und Haruka angespannt musterte. Mit Schrecken erkannte die Koordinatorin, dass Aikas Lippe aufgeplatzt war. Um Arceus Willen, was war hier geschehen?

Célian stieß einen ungläubigen Pfiff aus. „Na, was denn wohl? Nachdem du zwei Stunden verschwunden warst, haben wir dich gesucht.“

„Donnerblitz.“ Ein schlichter Befehl einer rauchigen, von Alkohol belegten Stimme. Aika wirbelte herum.

Noch immer prügelten sich Tornupto und Luxtra verbissen am Boden, hieben mit den Krallen aufeinander ein und schnappten nach dem jeweils anderen. Dann floss eine elektrisierende Aura um Luxtras Leib; ein hörbares Knistern ertönte, als sich Starkstrom an einem einzigen Punkt sammelte. Selbst Teras Fell sträubte sich während es sich statisch auflud. Die Tornuptodame fauchte und versuchte sich aus dem Griff des Löwen zu begreifen.

Alles geschah so rasch. Mit schreckensgeweiteten Augen sah Haruka Aika an, die nicht mehr die Zeit hatte, um ihrem Tornupto ein Kommando zu geben. Doch Tera brauchte nicht die geliebte Gefährtin, um zu handeln. Sie war nicht eines jener verzärtelten Pokémon, die auf die Gegenwart des Trainers angewiesen waren. Sie stieß ein grollendes Knurren aus.

Binnen weniger Sekunden, als grelle Blitze die Nacht für einen kurzen Moment taghell erleuchteten, hatte sich ein schützender Kokon aus Flammen um Teras Körper gebildet. Die freigewordene Elektrizität traf auf glühende Hitze. Die ungleichen Elemente fochten ein unerbittliches Duell, welches weder zu gewinnen noch zu verlieren war. Es zischte und knackte, brodelte und fauchte.

Alsbald versiegte der Stromfluss. Luxtra jaulte schmerzerfüllt auf, als die gierigen Flammen nach seinem Leib lechzten, während Tera in ihrem lodernden Kokon dem Starkstrom entschlossen trotzte.

Irgendwann stauten sich aber die Energien so sehr, dass sie sich in einem ohrenbetäubenden Knall lösten. Die dabei entstandene Druckwelle riss die Konkurrenten von den Beinen und schleuderte sie mehrere Meter auseinander.

Beachtlich schnell kam Luxtra wieder auf die Pfoten, wenngleich sich sein Brustkorb in rascher Abfolge hob und senkte. Tornupto schien das Glück nicht hold zu sein. Tera blieb mehrere Herzschläge lang reglos liegen. Dann hob sich das stolze Weibchen unter zischenden Atemzügen. Ihr Gesicht sah unter offenkundigen Schmerzen verhärmt aus.

Entsetzt vermochte Haruka ihren Blick nicht von Tornupto zu nehmen. Teras gesamte Haltung verhieß einen quälenden Schmerz.

„Aika, hör auf mit dem Scheiß! Tera kann kaum mehr stehen, sie ist krankgeschrieben!“, flehte die Koordinatorin ihre Freundin an, wartete einen kurzen Moment, dann fügte sie bittend hinzu: „Lass dich nicht auf deren Niveau herab!“

Unbewusst hatte Haruka dabei in ihre Handtasche gegriffen, mit den Fingern einen Pokéball umfasst und holte ihn hervor. Beim Wissen, stets ihre Pokémon bei sich zu haben, ergriff sie ein Gefühl der Sicherheit. Denn irgendetwas flüsterte ihr zu, dass dieser Abend nicht mehr ganz so friedlich zur Neige gehen wird.

Und doch spürte sie unerwartet, wie Célian die Hand auf die ihre legte und wortlos mit dem Kopf schüttelte. Fragend sah sie den Jungen an, der ihr ein aufmunterndes Lächeln schenkte.

Dann wandte er sich ab und trat ein paar Schritte vorwärts. „Hey Leute“, sprach Célian lässig, „die Party ist vorbei. Geht nach Hause.“ Ernst blickte er anschließend Aika an, fügte leiser sprechend hinzu: „Haruka hat recht“, pflichtete Célian bei, „lass den Scheiß.“

Als Aika die Freunde kurz ansah, glaubte Haruka für einen Augenblick, dass sie begriff, auf welches Niveau sie sich gerade herabließ – und wie sehr sie mit ihrer Unvernunft Teras Genesung gefährdete. Ihre Hoffnung wurde jedoch jäh zerstört.

„Verpisst euch“, giftete einer der betrunkenen Jugendlichen und baute sich neben seinem Kumpel drohend auf. „Nicht wahr, Adrian?“

„Ihr habt euch nicht einzumischen. Oder sucht ihr Ärger?“ Der Kerl, welcher Luxtras Trainer war, hieb mit seinen Fäusten in die offene Handfläche. Grinsend unterstrich er die drohende Gebärde.

Haruka zuckte zusammen, als sie den Namen des jungen Mannes hörte; eine unangenehme Erinnerung stieg in ihr auf. Während sie wohl darauf bedacht war, Ruhe zu bewahren, musterte sie die Typen abschätzig. Sie hasste solche Typen einfach, ganz egal, was auch zuvor vorgefallen sein musste. Dabei erregte das Aussehen der Männer keine besondere Aufmerksamkeit; sie waren nicht sonderlich attraktiv, sondern machten vielmehr einen schmutzigen und ungepflegten Eindruck.

Der Luxtra-Kerl hatte lange dunkle Haare, zu einem Zopf gefunden, ebenso dunkle harte Augen und einen leichten Bartwuchs. Er war groß und muskulös, aber trotzdem hatte er eine recht gute Figur. Seine Mundwinkel hatten sich zu einem höhnischen Grinsen verzerrt. Haruka wusste aus eigener Erfahrung, dass er ein unangenehmer Geselle war. Sein Name war Adrian. Zumindest wurde er von seinen Freunden so genannt. Sie konnte echt nicht fassen, dass er noch auf freiem Fuß war.

Der andere hatte etwas längere Haare im gewöhnlichen straßenköterblond, blau-graue Augen und hochgewachsen. Seinen Klamotten zu urteilen schien er aus besseren Kreisen zu stammen. Genauso unauffällig erschien ihr der Dritte mit brünetten Haaren, der sich bisher im Hintergrund gehalten und die Angelegenheit abwartend beobachtet hatte. Für Haruka spielte es jedoch keine Rolle, solange die beiden Jungen mit dem unsympathischen Kerl herumlungerten, der scheinbar der Anführer des Trios war.

„Ich glaube, ihr sucht Ärger“, stellte Célian hochmütig klar. „Immerhin habe ich euch freundlich darum gebeten, nach Hause zu gehen oder etwa nicht?“

„Was willst du, Blondchen? Eine aufs Maul?“

„Ich weiß nicht? Kommt drauf an, ob ihr eine aufs Maul wollt?“ Mit diesen Worten griff Célian in die Innenseite seines Jacketts und entließ mit einem hörbaren Klicken eine dunkle Silhouette aus dem Inneren eines Pokéballs. Ein finsterer Schatten schwebte über den Anwesenden und streckte wie feingliedrige Finger seine ausgefransten Schwingen aus. Auf langen Hälsen ragten bedrohlich drei Köpfe auf. Das federartige Fell am mittleren Kopf wirkte auf groteske Weise wie eine aufgegangene Blüte, die anderen Köpfe wie verschlossene Knospen, welche nicht genügend Licht erhalten hatten, so als hätten sie zu viel der Schattenhaftigkeit eingesogen und wären daran elendig vertrocknet. Doch alles an dem Wesen war pure Finsternis, die Haruka unwillkürlich frösteln ließ.

Mit Furcht und Erstaunen besah sie sich dieser gruseligen Erscheinung. Haruka fühlte unweigerlich wie sie der schleichenden Angst anheimfiel. In Wirklichkeit sah der Drache noch bedrohlicher aus als auf einem bloßen Foto.

Ein mehrtöniges, dunkles Knurren drang aus der Kehle der Hydra hervor, während die gespaltene Zunge zischelnd den Geruch ihrer Feinde wahrnahm. Kalte Augen blickten anmaßend auf den Löwen herab, der sich dem Drachen widerwillig entgegenstellte. Die Pupillen waren angstvoll geweitet, die Haltung geduckt und das Fell des Luxtras gesträubt. Selbst sein Trainer wich einige Schritte zurück.

Hellgrauer Rauch stieg aus den Nüstern, als die Hydra scheinbar belustigt die Feindseligkeit hinnahm. Aufgerissene, geifernde Mäuler warteten darauf, die Beute zur Strecke zu bringen und zu reißen.

„Mein Mädchen hier hat Hunger, sie hat heute noch nicht zu Abend gegessen“, bemerkte Célian mit einem Grinsen. Dabei brüllte jeder Kopf der Hydra und schnappten mit stählernen Kiefern ins Nichts.

Unsichere Blicke warfen sich die Jungen zu und tuschelten so leise miteinander, dass Haruka nicht zu verstehen mochte, was sie sprachen. Angespannt beobachtete sie die Situation. Es war nicht einzuschätzen, ob sie so sehr eingeschüchtert wirkten, dass sie letzten Endes doch den Streit beilegten und abhauten. Oder Célians Drohung als Beleidigung ansahen.

„Was hast du vor?“ Unerwartet stand Aika neben Célian. Ihre Stimme war ein leises Wispern.

Célian zuckte ratlos mit den Schultern. „Keine Ahnung. Mich auf dein Niveau herabbegeben?“ Der Blonde seufzte theatralisch, fügte hernach mit leicht höhnischem Unterton hinzu: „Wobei ich mich ernsthaft frage, ob du so was überhaupt kennst.“

Aika zog eine Grimasse und knuffte ihm in die Seite. „Sehr witzig.“ Ironie schwang ihrer Stimme bei, doch dann wurde sie wieder ernst. „Sie werden sich nicht auf deine Warnung einlassen.“

„Woher weißt du das?“ Fragend schaute er sie an.

„Ich weiß das einfach“, erwiderte die junge Frau schlicht und mied seinen Blick. „Hab‘ ich so im Gefühl. Du kennst mich doch.“

Und Aika irrte selten. Seit sie mit dreizehn von zu Hause weggelaufen und auf eigene Faust nach Isshu gereist war, war sie auf der Straße zu Hause und hatte schon vieles erlebt haben. Bestimmt hatte sie bereits Kerle des gleichen Schlages getroffen und nahm daher ihre Entschiedenheit her.

„Glaubt ihr wirklich, dass wir uns in die Hose scheißen? Verpisst euch oder ihr müsst es auf die harte Tour lernen.“ Lautes Gelächter schallte durch die Nacht, als Adrian seine Freunde ansah und nach Zustimmung suchte. „Was wollt ihr zwei Hübschen schon gegen uns ausrichten? Wir sind zu dritt.“

Célian hob den Zeigefinger. „Falsch. Ihr vergesst, dass mein Mädchen hier immer noch Hunger hat“, warnte Célian eindringlich, „und wenn sie Hunger hat, ist Morana immer besonders schlecht gelaunt.“

„Vor allem würden wir uns liebend gerne den Gestank ersparen“, antwortete Aika belustigt und erfreute sich an den hochroten Köpfen der Typen.

Es machte Haruka Spaß, zuzusehen, wie Célian und Aika die Kerle aufstachelten und wie hernach die jungen Männer darauf reagierten. Wenngleich es ihrer Natur nicht entsprach und sie sich in ihrer Haut nicht gerade wohlfühlte, kam ihr der Gedanke, sich auf einen Straßenkampf einzuladen, besonders reizvoll vor. Erstaunt spürte sie ein sachtes Prickeln, welches ihr fremd, aber auch irgendwie vertraut war. Gleichzeitig ärgerte sie sich über die Tatsache, übersehen worden zu sein. War sie so unscheinbar?

„Außerdem“, merkte schließlich Haruka zögernd an, „solltet ihr zählen lernen.“ Gerade als sich die Koordinatorin anschickte, in ihre Tasche zu greifen und sich dieses Mal nicht von ihrem Tun abhalten zu lassen, öffnete sich wie von Geisterhand geführt ein Pokéball.

Geschmeidig sprang Psiana aus dem engen Inneren der Kapsel und landete anmutig auf ihren Pfoten. Eines kurzen Blickes würdigte sie die bedrohliche Erscheinung der Hydra, die den mittleren Kopf leicht beugte und die Katze aus aufmerksamen Augen betrachtete. Savitas geteilter Schwanz zuckte nervös, sie murrte leise. Unsicherheit strahlte ihre Körperhaltung aus.

„Ein Freund, keine Angst“, beschwichtigte Haruka sanft und lächelte erleichtert, als sich Psianas gesträubtes Nackenfell glättete, und sich die Lichtkatze allmählich entspannte.

Grinsend wandte sich Célian an Haruka. „Freundin“, verbesserte er. „Sonst nimmt dir Morana das noch übel.“

Aika stieß einen unwilligen Laut aus und sagte: „Mag euch ja nicht unterbrechen, aber wenn ihr weiter quatscht, dann kriegen wir echt ein Problem.“

Haruka blickte den jungen Männern entgegen. Sie hatte nicht gemerkt, dass sie sich von ihrer Pöbelei nicht abbringen ließen und dass es nun offensichtlich zu einer ernsthaften Auseinandersetzung kam.

Mit einem schwachen Kopfnicken deutete Aika auf den blonden Kerl. „Der da ist der Trainer von Sleimok. Tera konnte ihm etwas seinen Körper anzünden, dürfte wohl also etwas mitgenommen sein“, klärte sie Célian und Haruka hastig auf. „Der andere hat ein Kicklee, hielt sich aber die gesamte Zeit im Hintergrund. Keine Ahnung, wie stark der Kerl ist. Und ob der eine ernsthafte Bedrohung ist.“

„Wer hat uns denn in diese Lage gebracht?“, konterte Haruka so rasch, dass, Célian auflachte.

Belustigt bebten Psianas Schnurrhaare, als die Lichtkatze den Löwen beobachtete, der furchtsam das Trikephalo anstarrte. Während sie seine Angst deutlich roch, packte eine sengende Wut nach ihr. Sie merkte wie sich ihre Krallen in den Boden unter ihr gruben und ignorierte den Schmerz, als der Asphalt nicht nachgab. Um sich wieder zu besinnen und Herrin ihrer Gefühle zu werden, schloss Psiana die Augen, sah doch aber bloß vergangene Erinnerungen, wie dieses Luxtra sie einst demütigte. Und sie vermochte damals nichts dagegen zu tun. Jetzt würde es ihr großes Vergnügen bereiten, wenn sie diesem aufgeblasenen Luxtra ihre Kraft beweisen könnte. Ein zahmes Kätzchen, das sich einfach so herumschubsen ließ, war sie nicht mehr!

Besorgt merkte Haruka wie Psiana auf den Löwen reagierte. Ihr pulsierender Hass pochte in Harukas Geist wie ein Geschwür, das jeden Moment zu platzen drohte. Natürlich erinnerte sie sich an den Tag, an dem Psiana gegen ein Luxtra verlor. Doch es war eine Niederlage wie jede andere gewesen, dachte Haruka zumindest. Trotzdem aber wusste sie nun, dass sich hinter dieser Aggression pure Rivalität verbarg. Und Stolz. Ob es demnach richtig wäre, dass Psiana gegen Luxtra kämpfte?

Als Psiana mit ausgefahrenen Krallen einen Schritt auf Luxtra vortrat und jederzeit zum Sprung bereit war, pustete Tornupto grell tanzende Flammen vor ihre Pfoten. Anklagend fauchte Psiana die vertraute Freundin an, die sie mit zurückgezogenen Lefzen anknurrte.

„Ich glaube, das wird nichts“, sprach Aika entschuldigend zu Psiana. „Tera hat 'ne Rechnung mit dem Vieh noch offen.“

Psiana murrte. Als hätte sie es nicht drauf oder was?! Mit einem grimmigen Blick wandte sie sich an Haruka und knurrte missgelaunt. Ein kühler Stoß geistiger Energie durchfuhr Haruka, der sie überrascht aufkeuchen ließ. Schon lange hatte sie Savitas Präsenz nicht mehr in ihrem Bewusstsein wahrgenommen. Genauer gesagt seit sie in Oliviana verloren hatte. Du weißt, was mir diese Missgeburt angetan hat!, fauchte Psiana hasserfüllt. Und du hinderst mich daran, ihm das Fell über die Ohren zu ziehen!

Entsetzen erfüllte sie, als Psianas Hass nach ihr griff und sie in eiserner Hand hielt. Noch nie hatte sie die Lichtkatze dermaßen von Rache getrieben erlebt. „Es ist besser so“, versuchte die Koordinatorin die Gefährtin zu beschwichtigen, wohl wissend, dass Savita ihr dies noch lange vorhalten würde. „Wir schnappen uns Kicklee, einverstanden?“

Ob ich damit einverstanden bin, spielt hier keine Rolle. Du triffst die Entscheidungen, nicht ich. Pikiert drehte sich Psiana weg, während ihre Schweife wütend peitschten. Was fragte Haruka auch noch so blöd! Sah es so aus, als wäre sie einverstanden? Jetzt dachte dieser arrogante, missratene Löwe sicherlich, dass sie einen Kampf fürchtete! Es juckte ihr in den Pfoten, diesem eingebildeten Luxtra ihre Krallen in den Hintern zu bohren, nicht diesem… diesem Gummiaffen! Das war zum Aus-dem-Fell-springen!

Célian schwieg für einen Moment. „Gut“, meinte er bloß. „Morana wird das Sleimok mal etwas aufmischen. Auf geht’s?“

Die Mädchen sahen sich an; Haruka nickte zustimmend. Aika grinste schadenfroh. „Auf geht’s!“

Die Worte klangen wie Musik in Psianas Ohren. Sie waren pure Erlösung. Denn kaum waren sie ausgesprochen, preschte die Lichtkatze vor. Sie dachte nicht daran, sich an Teras Warnung zu halten. Zu wütend war sie, um zu merken wie sich ein Feuerball zwischen Tornuptos Fängen zusammenbraute. Erst als Tera die lodernde Kugel auf sie abschoss, spürte Psiana das Zischen und Knacken der Flammen. In letzter Sekunde federte sich die Lichtkatze vom Boden ab und sprang über die Kugel hinweg. Als sie wieder auf dem Boden aufsetzte, sahen sich Tornupto und Psiana mit blitzenden Augen an. Tera kräuselte die Lefzen und knurrte dumpf.

„Savi, Schluss! Oder soll ich dich auswechseln?“

Widerwillig gab Psiana nach. Sie hasste es, klein bei zugeben. Sie waren zwar Freundinnen, doch Savita war klug genug, um sich nicht mit Tera anzulegen. Manchmal konnte das Tornuptoweibchen zu einer wahren Furie mutieren. Die flammende Kugel war nur eine weitere Drohung gewesen. Eine nächste Warnung war nicht mehr so schlecht gezielt, das wusste Psiana.

„Ihr macht Witze, oder?“ Es war die rauchige Stimme des Luxtra-Trainers. Spott und Hohn schwang seinem Ton bei. Haruka vermutete, dass er sich bereits siegreich wähnte, und sie hoffte, dass sich Savita endlich zusammenriss. Es wäre wieder eine Demütigung, wenn ihr Stolz eine Niederlage herbeiführen sollte. Ärgerlich ballte die Koordinatorin die Faust. Warum musste Psiana immer so stur sein?

„Reiß dich jetzt zusammen! Du konzentrierst dich auf Kicklee – und auf nichts anderes, verstanden?“

Überrascht blinzelte Psiana. Strenge vernahm sie in Harukas Stimme. Ihr gefiel es nicht, den Unmut des Mädchens so deutlich zu spüren. Wann hatte sie Haruka so wütend erlebt? Sie erinnerte sich nicht. Es bedurfte ziemlich viel, das sonst so gelassene Mädchen zu verärgern.

Célian schaute zu ihnen rüber. „Die Kleine hat echt Probleme mit ihrem Temperament, kann das sein?“

Belustigt zuckten Psianas Ohren. Sie drehte ihren Kopf und sah Célian mit durchdringendem Blick an. Ein Problem damit, Blondchen?, grollte Savita.

Die Belustigung aus Célians Gesicht schwand und machte Erstaunen Platz, als er die Stimme in seinem Kopf hörte. Haruka konnte sich kein Grinsen verkneifen. So hatte sie auch geschaut, als Psiana das erste Mal zu ihr gesprochen hatte. Dennoch war ihr der Konflikt mit Psiana unangenehm. Was er wohl denken mochte! Dass sie ihr Pokémon nicht unter Kontrolle hatte? Sie wollte fliehen, weglaufen oder im Boden versinken. Es fiel ihr schwer, ihren Ärger beiseite zu schieben und sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren.

„Ich erklär's dir später.“

Und du sagst mir, dass ich mich zusammenreißen soll. Is‘ klar.

Sie wandte sich ab, denn kaum hatte sie dies ausgesprochen, stürmte bereits Kicklee auf Psiana ein.

Jaja, du hast ja Recht, zufrieden?, erwiderte Haruka. Sie musste sich auch zusammenreißen, wenn sie es von Savita verlangte. „Sternschauer!“

Ein wohlwollendes Schnurren entrann Psianas Kehle. Zufrieden drehte sie sich weg. Psiana legte die Ohren an und fauchte angriffslustig. Mit festem Blick taxierte sie Kicklee, das sich mit einem gewagten Sprung über die Lichtkatze hinweggesetzt hatte. Schnell, aber zu langsam. Zumindest aus der Sicht einer Katze. Hunderte Sterne bildeten sich aus umherschwirrenden Funken und stachen von allen Seiten auf Kicklee ein.

Verzweifelt versuchte es dem sirrenden Sternenschauer zu entkommen, doch vergebens. Kicklee kollidierte mit Psianas Angriff und wurde rücklings zu Boden geworfen. Triumphierend peitschte Psianas Schweif durch die Luft.

Am Rande nahm Haruka wahr wie Célians Drachin einer übelriechenden Schlammbombe anmutig auswich und wie sich hernach eine Böe aus dunklen Nebelfetzen ausbreitete. Obwohl Sleimok versuchte, den finsteren Wind abzuschütteln, gelang es ihm jedoch nicht.

„Ausweichen, Tera!“, hörte Haruka Aika rufen.

Tera atmete schwer, erschuf dennoch binnen weniger Sekunden exakte Ebenbilder ihrer selbst. Im selben Moment schlug ein Blitz krachend in eine der Illusionen ein, die sich daraufhin zischend auflöste. Am Boden hinterließ der Blitzeinschlag einen tiefen, rauchenden Krater.

Wütend, dass ihm die Beute entkommen war, fauchte Luxtra. „Mach sie alle platt!“, befahl sein Trainer trocken, während der Löwe bereits erneut Energie generierte und die Blitze auf jedes Ebenbild entlud, dass qualmend verschwand. Tera stöhnte, als sie Luxtra im letzten Augenblick zum eigenen Schutz einen Flammenwurf entgegenspie und durch die Druckwelle von den Füßen gerissen wurde. Wieder blieb Tera für wenige Augenblicke liegen, zu erschöpft, um die Kraft aufzubringen, sich rasch auf die Füße zu begeben.

„Stromstoß, Luxtra!“

„Kicklee, Sprungkick!“

Sie kämpften gemeinsam, doch kämpfte jeder auf seine eigene Weise für sich. Haruka konnte nicht zusehen, wie Tornupto Luxtra wehrlos aufgeliefert war. Sie nahm zur Kenntnis, dass Kicklee wieder auf den Beinen war, sich mit einem Sprung vom Boden abfederte und einen Satz auf Psiana zumachte. Ebenso nahm Haruka am Rande wahr, wie Elektrizität um Luxtras Leib floss und es Tera attackierte. Ein Angriff, der schwere Folgen haben würde.

Du musst ihr helfen!, durchfuhr es Haruka.

Überrascht blinzelte Psiana. Jetzt auf einmal? Sie wandte sich dem Löwen zu, die Krallen bereits ausgefahren.

Ja, tu‘ endlich was! Diese Finte würde Tera Zeit geben; Zeit geben um wieder auf die Beine zu kommen. Hoffentlich.

Gereizt fauchte Psiana. Verdammt nochmal! Ich weiß, jetzt lenk‘ mich nicht dauernd ab! Ihr lag der Schalk in den Augen, als sie miauend das Juwel auf ihrer Stirn zum Strahlen brachte und die darin gefangene Energie freisetzte, die den Löwen augenblicklich in seinem Lauf lähmte. Als hätte man die Zeit angehalten, blieb die gelbe Aura um Luxtras Leib. Gegen die unsichtbare Kraft ankämpfend versuchte es sich zu befreien, doch genoss es Psiana, in seine geweiteten Augen zu blicken. Einen Freiflug gefällig?

Haruka nickte. „Schleuder es anschließend auf Kicklee!“

Mühelos schleuderte Psiana Luxtra herum, direkt gegen Kicklee. Ein Schrei kam aus dem Mund des Kampf-Pokémons, als Starkstrom seinen Körper schüttelte und ihm die Kraft entzog.

Wie erhofft erhob sich Tera unter Anstrengung. Sie schnappte nach Luft, keuchte schwer und verzog schmerzverzerrt die Lefzen, doch sie stand. Ihre Augen lagen auf Savita, die dem Blick tapfer standhielt. In dankbarer Geste neigte Tera den Kopf. Psiana maunzte zur Erwiderung.

Erleichtert atmete Haruka aus.

„Danke“, sagte Aika neben ihr, „du hast Tera etwas Zeit verschafft.“

Danke mir, nicht ihr!, verlangte Savita entrüstet. Ich stehe hier und kämpfe, nicht die da!

Ein Lächeln zupfte an ihren Mundwinkel. „Danke, Savi.“

Psianas Ohren zuckten und sie gurrte zufrieden. Schon besser.

Aika sah Haruka flüchtig an. „Sie redet wieder mit dir“, bemerkte sie.

„Ja, hab‘ ich auch gemerkt“, erwiderte sie. „Wir halten dir den Rücken frei, okay?“

Zustimmend nickte Aika. „Okay.“

Derweil zischte eine dunkle Schattenkugel aus dem Schutze der Nacht hervor, welche im Kern lilafarben leuchtete, und sauste auf die Hydra zu.

„Mit Flammenwurf abwehren!“, befahl Célian.

Im Maul des dritten Kopfes brodelte und kochte es. Dann erhellte eine dunkelrote Flammenzunge die Nacht und brachte den Spukball zum Glühen. Als eine unsichtbare Grenze überschritten war und sich zu viele Energien aufgestaut hatten, explodierte die Kugel.

„Matschbombe!“

Irgendwo im Rauch würgte Sleimok eine übelriechende Flüssigkeit hervor und spie trotz schlechter Sehverhältnisse die triefende Masse durch den Qualm auf den Drachen. Platschend traf der Matsch den Drachen an der Brust, welcher sich nun unwillig knurrend schüttelte, um den Dreck loszuwerden.

Ich seh‘ dich nicht mehr, stellte Haruka fest, wo bist du?

Nun aber verharrten die Pokémon. Psiana vermied es, unnötige Geräusche von sich zu geben, daher blieb sie wie angewurzelt stehen und lauschte – soweit es ihr möglich war.

Sei still! Wenn du die ganze Zeit jammerst, hör ich nichts! Diese lärmenden Menschen waren echt widerwärtig! Immer mussten sie quengeln oder so laut grölen wie eine Herde Damhirplex in der Brunft. Wirklich nervtötend.

„Wirbel‘ den Rauch weg, Morana.“

Es war unnötig, denn ihre feinen Nasen konnten immer noch den strengen Geruch des Sleimoks wahrnehmen, der den ungefähren Standort der Gegner verriet. Dennoch war es für die Menschen eine ungemeine Erleichterung, als die Sicht langsam aufklarte. Das Jammern und das empörte Geschrei der zu unterhaltenden Zuschauer hatten ein Ende!

„Tera, Fokusstoß!“

Der dichte Rauch hatte sich allmählich aufgelöst, als Luxtra erschrocken aufjaulte. Eine rotierende Energiekugel, welche wie ein Herz rhythmisch pulsierte, hatte die Nebelfetzen durchbrochen und ihn unerwartet am Kopf getroffen. Benommen taumelte der Löwe und schüttelte heftig den Kopf.

„Du bist lästig, Miststück“, fluchte Adrian verbissen. „Sternschauer!“

„Gleiches gilt für dich. Ruckzuckhieb!“

Zwischen den Konkurrenten entstand ein Tanz aus Jäger und Gejagtem. Glaubte Luxtra Tera erwischt zu haben, so verschwamm ihre Silhouette und sie tauchte an einem anderen Ort wieder auf. Geradezu leichtfüßig wich Tornupto den sirrenden Sternen aus, während sie knapp an Luxtra vorbeischlitterte. Zu spät bemerkte der Löwe die Finte, da spürte er bereits schon den Schmerz seines eigenen Sternschauers.

„Gut gemacht“, lobte Aika, „mit Flammensturm weitermachen!“

Ein Flammeninferno brandete über die nahe Umgebung; eine schwüle Hitze ließ die Luft flirren und den Schnee zischend verdampfen.

Haruka vermochte die unangenehme Hitze auf ihrer Haut spüren, die sie in dieser bitterkalten Winternacht erwärmte. Sie hatte ihren schützenden Trenchcoat an der Garderobe in der Disko vergessen.

„Kraftreserve!“ Hörte Haruka aus seiner Stimme den Klang der Verzweiflung etwa heraus? Als Luxtra nicht spurte, fügte er hinzu: „Na mach schon!“

Panisch versuchte der Löwe die nötige Kraft zu konzentrieren und aus ihr die unerlässliche Energie zu gewinnen, doch die Furcht setzte ihm zu, als die Feuersbrunst herbeiwütete. Silbernes Licht löste sich von seinem Leib und begann als eine gebündelte Kugel in die Höhe zu schweben. Dann spaltete sich die unscheinbare Energie in Dutzende Splitter, welche schützend um Luxtra rotierten. Auf ein stummes Geheiß ihres Gebieters boten sie dem Inferno Einhalt, explodierten doch schon bald. Luxtra schien dies bereits vorhergesehen zu haben. Rasch hatte es sich zurückgezogen.

„Schütz Psiana!“ Célians Befehl ließ sie aufmerken.

Savita fauchte anklagend. Ihre Pfoten waren mit Krallen bewehrt, in ihrem Maul waren spitze Zähne. Pff, als müsste sie geschützt werden! Schützen? Ich muss nicht geschützt werden, du…

Doch erst jetzt roch sie den verfaulten Gestank, als Psiana den tiefen Atemzug des Sleimoks spürte und hernach ausatmete. Der Geruch war so widerwärtig, dass Savita in Versuchung geriet, ihre letzte Mahlzeit hervor zu würgen.

Verdammt! Panisch wollte sie nur noch weg, weg von diesem faulenden Matschhaufen! Der Gedanke ließ Psiana hektisch werden, sie stolperte über ihre eigenen Pfoten. Eine dunkle Faust ragte plötzlich drohend über der Lichtkatze auf.

Doch da fiel jäh ein Schatten über Psiana und Sleimok; die Silhouette des Trikephalo tauchte auf, das wütend die Zähne fletschte und fürchterlich knurrte. Die Hydra spie einen nie enden wollenden Feuerodem auf Sleimok. Als der Matschhaufen kreischend Flucht ergriffen hatte, klappte die Drachin zufrieden das Maul zu, die blaue Flammenzunge erlosch.

Psiana japste entsetzt, während sie Trikephalo wie erstarrt anblickte. Der rechte Kopf stieß sie auffordernd an, entfernte sich blitzschnell und zischte bedrohlich, als die Lichtkatze versteifte, mit der Pfote schlug und erschrocken fauchte. Himmel! Warum musste das Vieh ihr auch so nahe kommen? Erst jetzt bemerkte Savita, dass sie wie ein verängstigtes Evoli noch immer am Boden kauerte. Zitterte sie etwa? Sie zitterte! Wie erbärmlich – und peinlich!

Rasch erhob sich Savita und wandte sich der Hydra zu. Blöd nur, dass sie zugeben musste, dass Morana – wie ihr Trainer die Drachin nannte – ihr aus der Patsche geholfen hatte. So neigte Savita in stummer Dankbarkeit den Kopf, auch wenn ihr stets solche Gesten sehr schwer fielen. Wieder stupste einer der Köpfe die Lichtkatze an, dieses Mal der Linke, und erneut sträubte sich Psianas Fell. Schwarze Augen sahen sie einfach nur an. Schaudernd wandte sich Psiana ab. Anfreunden könnte sie sich nicht mit der Drachin… Sie war unheimlich!

„Megakick!“ Kicklee hob sein rechtes Bein, welches sich um ein vielfaches dehnte und streckte. Dann ließ das Pokémon es auf Psiana hinabsausen.

„Duck dich!“ Savita kräuselte die Lippen. Ach was? Ich bin keine Idiotin, Haruka! Hätte sie jetzt nicht gedacht. Manchmal waren die Menschen so einfallsreich… Pff. Als hätte sie nicht gewusst, dass sie sich ducken musste!

Psiana tat wie ihr befohlen wurde – auch wenn sie sich geduckt hätte, wenn Haruka nicht auf diese grandiose Idee gekommen wäre. Sie presste sich an den Boden, spürte den Luftzug, den der Tritt mit sich brachte, und sprang im gleichen Moment wieder auf die Pfoten, als sie Kicklees dumpfen Aufprall wahrnahm.

„Jetzt Psystrahl!“

In den sieben Farben des Regenbogens erstrahlte das Stirnjuwel, als Psiana es zum Glühen brachte. Dann brach ein schillernder Strahl hervor und traf Kicklee am Rücken. Ein gellender Schrei entwich ihm, bevor es auf die Knie sank. Kicklee keuchte schwer, während Haruka verunsichert war, ob sie abermals einen Befehl geben sollte. Denn jeder sah, dass Kicklee zu erschöpft war, um noch siegreich aus dem Kampf zu treten.

Doch das war Psiana nicht genug. Die Lichtkatze spürte den Zwiespalt ihrer Trainerin, der sie kostbare Sekunden einbüßen ließ. Sekunden, ja vielleicht sogar Minuten, in denen sich Kicklee erholte. Sie war erst milde gestimmt, wenn Kicklee alle Viere von sich streckte und sich nicht mehr rühren konnte.

Ihr Schweif verwandelte sich zu einer grauen Klinge, die im fahlen Licht der Straßenbeleuchtung matt glänzte. Kicklee japste erschrocken, als Psiana sich vom Boden abgefedert hatte und über ihn hinweg zu springen schien. Dann mochte das Pokémon wohl einen stechenden Schmerz im Nacken gefühlt haben, als der stählerne Hieb ihm endgültig die Lichter ausknipste. Psiana genoss die Jubelrufe der pöbelnden Zuschauer, nachdem Kicklee zu Boden gegangen war.

„Gute Arbeit, Savita.“

Stolz maunzte Psiana. Ich weiß, sagte sie selbstverliebt. Natürlich hatte sie gute Arbeit geleistet. Wann machte sie keine gute Arbeit?

„Du Vollidiot“, schimpfte der Blondschopf, „lässt dich so einfach fertigmachen!“

„Chill, Mann“, versuchte er zu beschwichtigen. „Ich hab mein Bestes geben.“

„Idiot, davon können wir uns auch nichts kaufen. Sogar zu blöd, um zu kämpfen!“

Der Kritisierte verschränkte trotzig die Arme vor der Brust und hob sein Kinn. „Ist ja nicht so, dass du auch so eine gute Figur machst, Darius. Der Blondschopf mischt dich auch ziemlich auf.“

Mit wutverzerrtem Gesicht trat Darius an seinen Kumpel heran und packte ihm am Kragen. Bevor üble Beschimpfungen seine Lippen verließen, räusperte sich Célian.

„Es steht eins zu null für uns“, bemerkte er trocken. „Wie ich mir gedacht habe, große Klappe aber nichts dahinter.“ Dabei hatten sich seine Mundwinkel zu einem spöttischen Grinsen verzogen.

Darius ließ von seinem Freund ab und blickte in Célians Richtung. „Junge, willst du eine aufs Maul?“

„Komm‘ doch. Weiß nur nicht, ob du in der Position für Drohungen bist.“ Célian sprach mit einer Gelassenheit, die Haruka erstaunte. Trotzdem klang seine Stimme kühl und schroff.

Wütend ballte Darius die Faust. „Jetzt reicht’s, Spukball!“

„Darius“, mahnte Adrian, als ob der bloße Klang seiner Stimme seinen Freund zurechtweisen und zur Vernunft bringen könnte. Als dem nicht so war, fluchte er leise. „Luxtra, du Donnerzahn!“

Ein dunkler Energieball formte sich in Sleimoks Maul und wuchs binnen weniger Sekunden zu einem fußballgroßen Gebilde heran, während sich in Luxtras Fängen Elektrizität konzentrierte und Funken verströmten. Knurrend hetzte es auf Tornupto.

Die drei Köpfe der Drachin reckten ihre langen Hälse und stießen ein mehrtöniges Brüllen aus. „Drachenpuls!“

„Tera, es kommt. Dunkelklaue!“ Eine pechschwarze Klauenhand hatte sich rasch um Teras rechte Pfote gebildet. Entschlossen sprang sie Luxtra entgegen.

Haruka zögerte. Sollte sie Célian und Aika helfen? Unter normalen Umständen hätte sie es als unfair empfunden, jetzt aber hinderte sie nichts daran. Warum auch? „Psiana, Psycho-“

Plötzlich heulten in der Nacht irgendwo Sirenen auf; blitzende, blaue Lichter aus der Ferne, die die Kampfhandlungen zum Stillstand brachten. Fragend wandten sich Tera, Morana und Savita an ihre Trainer, die selbst scheinbar auch keinen Rat wussten. Das einzige Geräusch war der Knall, als die Drachenenergie und Spukball miteinander kollidierten.

Die jungen Männer tauschten miteinander unsichere Blicke, während Unruhe die gaffenden Zuschauer erfasste.

„Verdammt, die Bullen!“, zischte der Blondschopf hysterisch.

Darius stieß seinen Kumpel mit dem Ellenbogen an. „Bleib‘ locker, Mann“, sagte er bloß und sah Adrian an. „Was machen wir jetzt?“

„Abhauen“, erwiderte dieser knurrend. Als er die ungläubigen Blicke seiner Freunde bemerkte, fügte er hinzu: „Was sonst?“

„Abhauen? Aber…“ Der Blonde sah zu ihnen herüber.

Adrian starrte den Jüngeren drohend von oben herab an. „Willst du lieber eine Nacht im Knast verbringen, Lewis?“

„Spinnst du? Doch nicht wegen dieser Bitch.“ Seine Freunde stimmten in Lewis‘ schallendes Gelächter ein.

Adrian klopfte Lewis anerkennend auf die Schulter, ging schließlich lässigen Schrittes zu Aika herüber und ignorierte Teras warnendes Fauchen. Hochmütig sah er die junge Frau von oben herab an. „Man sieht sich immer zweimal im Leben, Püppchen. In unserem Fall wohl mehrmals.“

Mit dieser Warnung – die unverkennbar eine Drohung war – rannten die Kerle Richtung Hafengelände davon. Voll wie sie waren hatten sie Schwierigkeiten, geradeaus zu laufen. Ihr Geschrei und Gejohle war noch lange zu hören.

Haruka stieß einen unwirschen Laut aus, während sie die Arme vor der Brust verschränkte. Feiglinge! Diese miesen Feiglinge versuchten sich tatsächlich aus dem Staub zu machen! Alles in Haruka schrie, ihnen eine Lektion zu erteilen.

So kenne ich dich gar nicht. Psiana war an sie herangetreten. Ihre intelligenten Augen sahen zu ihr auf.

„Manchmal kommen unsere lieben Ordnungshüter doch immer zum falschen Zeitpunkt“, sagte Célian, der seinen Drachen in seinen Pokéball zurückgerufen hatte. „Wir sollten hier verschwinden.“

„Zum Pokémon Center?“

Haruka zögerte und schaute wortlos Psiana an. Es fühlte sich gut an, Savitas Stimme wieder zu hören, auch wenn sie Psiana oftmals zum Teufel schicken könnte. Ihr Geist fühlte sich vertraut an, und mit jeder Berührung ihres Bewusstseins spürte sie eine tiefe Zuneigung, obwohl Savita oftmals sehr schroff sein konnte.

Psiana blinzelte. Wir reden später, erwiderte die Lichtkatze, bevor sie sich im Licht auflöste und im Inneren des Pokéballs verschwand.

Dann spürte sie Aikas Blick auf sich ruhen. „Klar, zum Center.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  mandarinenbluete
2014-05-21T23:19:38+00:00 22.05.2014 01:19
Sieht so aus als müssten sie der Polizei jetzt so einiges erklären. ^^
Also mir wäre das eindeutig zu viel stress...
Mich würd aber interessieren was davor alles passiert ist? Warum die zwei überhaupt mit dem kämpfen angefangen haben und woher Haruka diesen Trottel kannte?

In diesem Kapitel gefällt mir Psiana am besten! Dieses Psychopokemon ist eindeutig viiiieel zu dickköpfig und scheint einen zu großen stolz zu besitzen, ist aber eine echte Kämpferin. ^^
Ich muss aber auch sagen, dass ich ein paar mal wegen ihr kurz lachen musste.
So wie sie über die Menschen redet und denkt war manchmal einfach zu komisch. ;D

Einen kleinen Makel hätte ich.
Du beschreibst sehr detailliert. Vielleicht zu detailliert.
Nicht falsch verstehen! In anderen Situationen ist das super aber im Kampf fänd ich es schöner wenn es nicht ganz so ausführlich beschrieben wäre. Durch diese ausführliche Beschreibung verliert der Kampf ein bisschen was von seiner Bewegung ("zackigkeit").
Ich verlang jetzt nicht, dass du auf mich hörst aber ein bisschen weniger detailreich während einen Kampfes wäre glaub ich gar nicht so schlecht.
Wie gesagt, musst nicht auf mich hören. Ist bloß eine Anmerkung.

Gut, das wars dann auch.
Ich freu mich schon auf das nächste Kapitel! XD


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