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Waldtraum

von

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„Lou, du bist sicher du kommst klar? Ich kann heute auch zu Hause bleiben…“

Leicht verdrehte ich meine Augen und stöhnte auf, doch Melissa fasste dies nicht als Zeichen des Nervens auf, sondern so, dass ich vor Schmerzen solche Laute von mir gab.

„Geh. Bitte. Du hast mir alles besorgt, wahrscheinlicher bin ich hier besser ausgerüstet mit Medikamenten als im Krankenhaus, Melissa. Es ist nur eine Erkältung“, sagte ich und nahm kurz ihre Hand, die auf meiner Bettdecke ruhte, während sie mich mit scharfen Blicken durchlöcherte.

„Okay.. okay. Ich hole heute Abend dann was zu essen. Ich beeile mich. Und wenn du irgendwas hast, zöger nicht mich anzurufen, ja Kleines?“, sagte sie immer wieder und entschloss sich dann doch zur Arbeit zu fahren und ihre Nichte zu Hause zu lassen. Mal ganz ehrlich, ich war alt genug um auf mich aufzupassen und nur weil ich etwas Fieber hatte, war ich nicht gleich behindert.

Melissa fuhr nun also dahin und ich ging ins Land der Träume bis zum Nachmittag, als mich ein Klingeln aufweckte. Und eine Stimme.

„Lou…schöner Spitzname.“

Ich rieb mir nur verschlafen meine Augen und sah mich um, doch dann bemerkte ich, dass es das offene Fenster war, was mich geweckt hatte. Und die Hausklingel, die jede halbe Minute anfing herum zu plärren, so kam es mir zumindest vor.

Langsam wickelte ich meinen Schal neu um meinen Hals, während ich herunterging und die Haustür zu öffnen.

„Hey, Lou.“

Mein Blick war anscheinend nicht schlecht, als ich Jason sah, denn dieser fing an zu grinsen. Er lehnte am Türrahmen, hatte diesmal eine Lederjacke drüber geworfen und sein Blick war einfach so herzergreifend, dass ich ihm gar nicht böse sein konnte, dass er mich gestern rausgeworfen hatte. Und seine Augen? Hell und strahlend wie vorher auch.

Ob das eine optische Täuschung gestern war?

Ich zog nur die Augenbrauen hoch und rieb meine Arme, mir war kalt, draußen wehte es heftig und ich hatte nur ein Shirt und eine kurze Hose an.

„Oh.. du frierst…darf ich reinkommen?“, fragte Jason mich und ich schürfte nur meine Lippe, doch nickte und ließ ihn eintreten, deutete nach oben, ich wollte schließlich in mein Bett wieder, drehte mich auf der Ferse einfach um und stolzierte den Weg zurück und kuschelte mich in mein Bett, ohne Jason vorher etwas zu Trinken oder einen Platz anzubieten. Er hatte das einfach nicht verdient, sauer war ich dennoch, trotz seiner Hundeaugen.

„Was hatte nun Blexy gestern?“, fragte ich nach und zog die Decke wieder bis zur Nasenspitze hoch, sah ihn genau an. Wie er einfach in mein Zimmer hineinspazierte, ohne sich auch nur einmal umzuschauen. Er setzte sich einfach auf den Schreibtischstuhl und sah mich genau an. Wieder zog ich meine Decke höher. Wenn ich in fremden Wohnungen drin bin, schau ich mich doch wenigstens einmal um…oder etwa nicht? Genauso würde vermutlich jeder Junge einmal an mir herunterschauen, nicht weil ich besonders hübsch bin, sondern weil kurze Sachen immer dazu animieren. War Jason schwul?

Ich bekam es nicht auf die Reihe.

„Anscheinend hat es nicht geholfen, dass du gleich trockene Sachen bekommen hast. Das tut mir leid“, fing er nach einer kurzen Stille an zu erzählen und musterte mich. Kurz lehnte ich mich zur Seite und nieste einmal, schnaubte meine Nase und sah ihn wieder an. „Es hätte geholfen, wäre ich nicht vor die Tür gesetzt worden, als es angefangen hatte zu stürmen.“, sagte ich monoton und sah Jason akribisch an.

Ich nahm einen Schluck Tee und wich seinen Blick nicht aus, bis er auf einmal aufsprang und zum Bett kam. „Auch das tut mir leid“, sagte er leise und setzte sich auf die Bettkante, meiner Meinung nach viel zu nah. Was hatte der immer mit diesen Nah-kommen, verdammt noch einmal, wir kannten uns nicht, da hat er auf diesen dummen hässlichen Stuhl meiner Tante sitzen zu bleiben, wetterte ich innerlich, doch äußerlich war ich die Ruhe selbst.

Er nahm mir die Tasse aus der Hand und stellte sie auf meinen vollgestopften Nachtschrank, sah mich danach sehr genau an.

Los, hau ab, hau ihn mit der Gemüsekelle, schlag ihm die Tasse um die Ohren, alles in meinen Körper schrie förmlich danach, dass ich mich wehrte, doch ich ließ es zu, wie er meine Hand nahm.

„Es tut mir wirklich leid, dass ich dich gestern anscheinend so verschreckt habe, Lou.“, sprach Jason leise aber mit einer sehr angenehmen Tonlage. Doch warum klopfte mein Herz so heftig?

Ich nickte nur und befreite meine Hand wieder.

„Was willst du, Jason?“, fragte ich nach. Ich hatte nach dem gestrigen Erlebnis eigentlich kein Verlangen nach, mich weiter mit diesen monströsen Menschen aufzuhalten, Freundschaften hatte ich ja eh nicht im Sinn. Wäre ich erst einmal wieder zu Hause, würde ich meinen Alltag wieder nachgehen, stundenlang mich am PC aufhalten und einfach stupide zur Schule zu gehen. Wieso auch nicht? Wenn es mich glücklich machte, dann sollte ich einfach so weitermachen. Hätte ich meinen Abschluss, würde ich eh von zu Hause wegziehen und ein neues Leben anfangen. Auf Familie und angebliche Freunde war eh kein Verlass mehr, wie ich herausstellen durfte. Und auf diesen hier vor mir auch nicht, der weder zum einen noch zum anderen zählte.

„Was ich will…?“, fragte mich Jason und ich nickte nur zur Bestätigung.

„Hm… ich denke ich sollte nach Hause gehen“, sagte er dann leise und stand wieder auf und wollte zur Tür gehen, doch ich stand auf. Besser gesagt, das wollte ich, aber ich verhedderte mich in der Bettdecke und flog geradewegs vom Bette herunter, wenn Jason mich nicht auf einmal halten würde. Scheiße, hatte er gute Konditionen.

Einen mehr oder weniger langen oder kurzen Atemzug hing ich halb auf dem Bett, halb in seinen Armen und spürte, wie mein Herz einen schnellen Takt annahm. „Uh..“, murmelte ich nur leise und blickte dann hoch und zuckte kurz zusammen, wieder waren Jasons Augen merkwürdig verzerrt, doch mit dem nächsten Wimpernschlag war alles wie vorher, seine Augen waren zwar groß, doch wohl eher vor Schrecken. Er zog mich vom Bett und hielt mich so lang fest, bis ich wieder stand, was einfacher gesagt war als getan.

„D-danke“, stotterte ich aufgeregt und setzte mich erst einmal wieder auf das Bett. Er blieb vor mir stehen und hockte sich vor mir hin, legte eine Hand an meine Stirn und fühlte.

„Du hast Fieber… du solltest nicht aufstehen. Genauso das Fenster auf…also wirklich…“, sagte er vorwurfsvoll und drückte mich wieder ins Bette hinein und wischte auf einmal die Decke über mich, während ich das Klappen des Fensters hörte.

Wieder hockte er sich vor meinem Bett hin und untersuchte die vielen Medikamente die da standen. „Hey… das ist nur eine leichte Erkältung, mir geht es gut, warum macht ihr euch alle solche Sorgen immer?“, fragte ich leicht genervt, die Aktion von Melissa heute hatte mir schon gereicht.

„Ich würde dich gerne wieder mitnehmen zum Angeln, und dafür brauche ich dich gesund“, antwortete er karg und suchte dann die passenden Pillen raus und drückte mir diese in meine Hand, während er nebenbei mir ein Glas Wasser eingoss.

Ich schluckte notgedrungen die Medikamente herunter und sah ihn muckend an. „Und was ist, wenn ich nicht will?“

Auf einmal verzog er sein Gesicht zu einer enttäuschten und ein wenig wütenden Miene, aber die Enttäuschung siegte.

Erst sagte Jason gar nichts. Lange Zeit saß er einfach auf den Fußboden und blickte zum Bett, dann zu den Medikamenten, bis er sich unwirsch über das Gesicht strich und leise seufzte.

Diesen Prozess wiederholte er einige Male, bis er dann endlich sprach.

„Hör zu, Louise. Wir haben uns immer und immer wieder getroffen aber jedes Mal auf den falschen Fuß. Ich denke ich bin dir einiges schuldig, was Erklärungen angeht. Du hast mich total überrascht. Ich meine… wer ist so dumm und geht allein als Neuling in den Wald? Du hättest dich viel schlimmer verlaufen können. Und dann auch noch in den See gefallen..ich bitte dich, so komisch kannst auch nur du sein.“, sagte er grinsend und sah mich einen Moment kurz an, doch dann wurde er wieder ernst.

„Ich würde dich liebend gerne noch einmal kennenlernen, und diesmal achte ich auf das was ich sage und mache, versprochen. Ich schmeiße dich nicht einfach wieder raus, wenn es mir zu schwierig wird“, sagte Jason und biss sich dann auf die Lippe.

Ich lehnte mich nach hinten und dachte einen Augenblick nach.

Ach… warum vertraute ich diesen räudigen Hund hier nur? Es lag an Blexy, ganz eindeutig!

„Nagut. Nagut. Machen wir einen Neustart. Ich komm zu dir, wenn es mir besser geht. Du darfst mich gerne besuchen, aber nun möchte ich alleine sein.“, sagte ich dann und ruschelte mich ins Bettchen, in der kurzen Zeit war es immer noch schön warm. Herrlich. „Lou… du musst es aber verstehen…“

Ich sah auf und blickte verwirrt zu Jason, doch dieser freute sich und war aufgesprungen. „Alles klar. Alles klar. Ich lasse dir meine Telefonnummer da, Handy habe ich nicht… also wenn du mich besuchen willst, ruf vorher durch, ich bin für dich da, ich bin dein Mann“, sagte er munter und ging an den Schreibtisch und zog einen Zettel hervor unter dem Haufen von Wäsche.

Woher wusste er das…? Und was sollte das: Ich bin dein Mann? Wollte ich denn einen? Sah ich so aus?

Interessiert blickte ich ihn weiter an und streckte mich kurz, doch war schon etwas munter. Wenigstens gab er zu, dass es unhöflich war. Und er versprach Besserung, was wollte man mehr von einem Mann?!

Vorsichtig strich er über seine Jacke und richtete sich dann. „Ich geh dann… ich geh auch alleine runter, den Weg kenne ich ja und du kurierst dich. Ich schau mal, ob ich morgen oder übermorgen oder so vorbeikomme… sterbe in der Zeit nur nicht“, versuchte er zu scherzen, doch anhand meines Gesichtes konnte er wohl sehen, dass der Witz nicht gerade gelungen war.

„Oh...sorry… das muss ich noch üben…“, sagte er leise und rieb sich den Nacken, was total niedlich aussah.

Einen Moment in der Ungewissheit, was er nun tun sollte, stand Jason da, bis er sich einfach drehte und ging.

Ich lag auf meinen Bett und starrte anschließend an die Wand, die ach so geliebte Wand. Ich dachte über die Welt nach, was wirklich zählt und ich weiß genau, was mich so quält.

Vorher war ich genervt und frustriert, weil in meinen Leben einfach nichts passieren wollte und schon hatte ich das Gefühl, dass gerade etwas Besonderes von Statten ging und ich war wieder nicht glücklich. Ich schaute wieder auf die Uhr. Sie wollte einfach nicht vergehen. Wann kam Melissa mit dem Essen?

Manche Menschen wissen einfach nicht zu schätzen was sie haben. Auch wenn sie vorher ihren tristen Alltag so verhasst haben, sind sie immer noch unzufrieden, wenn sich etwas ändert. Vorher saß ich nur herum, habe die Zeit umzubringen versucht mit Langeweile. Und nun?

Sollte es nicht befriedigend sein, einmal herauszugehen und der Welten Farbenglanz mitzubekommen, der anscheinend hinter meinen Laptop nicht zu finden war? Hatte mich irgendjemand gefragt, ob ich das wollte?

Nein. Niemand fragt einen, wenn du jung bist.

Dann denken immer alle, dass man mir die Entscheidungen abnehmen kann.

Und bisher ist der Weltenfarbenglanz ziemlich stumpf und rostig.



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