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Feuertänzer

von

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Von lebenden Handtüchern

Mrs. Smiths Kaffeemanöver konnte mich nur kurz ablenken. Auf dem Weg zur Villa – ich nahm zumindest an, dass sich an der mir genannten Adresse ein pompöses Anwesen befand – flatterten meine Nerven wieder mal wie Kolibriflügel. Langsam müsste ich mich daran gewöhnt haben, dass ich dermaßen durch den Wind war, aber da ich bis dato noch nie den Unmut eines Oberen auf mich gezogen hatte, konnte ich die Situation nicht objektiv einschätzen. Und Dinge, die wir nicht begreifen können, machen uns zwangsweise wuschig – jedenfalls war das bei mir so.
 

Ich zweifelte mit jedem weiteren Schritt an meiner Entscheidung, zu Fuß zu gehen. Ungefähr eine Stunde lief ich schon durch die nächtlichen Straßen. Es hatte zu regnen angefangen und auf dem nassen Trottoir spiegelte sich das warme Orange der Straßenlaternen. Meine Kleider klebten unangenehm an meinem Körper, sowie die Haare an meinem Hals und Nacken hafteten. Wenigstens sorgte dies dafür, dass ich mich mittlerweile fast freute, bald mein Ziel erreicht zu haben.
 

Als ich angekommen war, überlegte ich eine Weile, ob ich richtig war und überprüfte mehrmals die Adresse, die ich mir extra in mein Handy gespeichert hatte, obwohl ich sie wohl ohnehin nicht vergessen hätte.
 

Das Grundstück, vor dem ich mich befand, war ziemlich klein und verwildert. Pflaumen- und Birnenbäume wucherten mit Mandelsträuchern, Hortensien und Wunderblumen um die Wette. Eine Einfahrt, die von dem teilweise verbogenen, gusseisernen Tor aus zu einem Anbau führte, der wahrscheinlich die Garage darstellte, wurde von dem Gestrüpp verdeckt, was nur vorteilhaft war, denn die Pflastersteine unter dem Grün waren wacklig und uneben, was von der Wildnis wenigstens verschleiert wurde. Dafür war das Ganze eine perfekte Stolperfalle. Das Tor war bestimmt nur offen gewesen, weil jeder potenzielle Eindringling Stunden bis zur Haustür brauchen und somit rechtzeitig von den Bewohnern entdeckt werden würde, bevor er Böses anstellen konnte.
 

Das Haus selbst war – vorsichtig formuliert – desaströs. Es besaß eine Holzfassade, die wohl einmal weiß gewesen war, nun aber im schönsten Gelbgrau erstrahlte und hier und da splitterte die Farbe von den Brettern ab. Die Fenster waren klein, dreckig und von schwarzen Vorhängen vollständig verdeckt, sodass kein Blick ins Innere möglich war, genauso wenig wie Licht nach außen dringen konnte.
 

Endlich vor der braunen Tür angekommen, zögerte ich nur kurz und klopfte an. Vielleicht hätte ich länger gewartet, hätte das Gebäude ein Vordach gehabt, aber so war das Bedürfnis, ins Trockene zu kommen, ein größerer Antrieb als die Furcht zu lähmen vermochte.
 

Es dauerte nicht lange, dann wurde mir die Tür geöffnet. Zu meiner großen Überraschung von der Krähe selbst. Gewöhnlich ließen Renfields Gäste hinein. Renfield war eine Figur aus dem Dracula-Roman und die Bezeichnung passte sehr gut zu den Menschen, die Vampiren hörig geworden waren. Nachdem man ihr Blut getrunken hatte, waren sie für Meinesgleichen manipulierbar. Trank man ständig den Lebenssaft eines immer gleichen Menschen, dann war es ein Leichtes, diesen dauerhaft gefügig und damit zu einem der sogenannten Renfields zu machen. Gerade Ältere schufen sich solche Menschen als Diener an und es galt die ungeschriebene Regel, dass je privilegierter ein Vampir war, er desto mehr Renfields hatte.
 

Umso verblüffter war ich, als der Hausherr selbst vor mir stand und ich weit und breit keines der dienstbereiten Wesen sah. „Hast du mich so vermisst, dass du mich schon so zeitig aufsuchst, armes, eingeweichtes Karottchen?“ fragte er gespielt mitleidig und fuhr mir mit der Hand durch das feuchte Haar. Die Berührung ließ mich vor Schreck zurückweichen. Er folgte mir nicht. Wollte wohl nicht nass werden.
 

„Komm rein!“ forderte er und jegliche geheuchelte Freundlichkeit war aus seiner samtenen Stimme gewichen. Sie hätte so weich und warm sein können... Ich stand im Regen und schüttelte den Kopf. Ein bösartiges Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus, die so schön hätten sein können, wenn es ein echtes Lächeln gewesen wäre. „Wie alt bist du?“ Er wartete gar nicht auf eine Antwort, meinte es rhetorisch. „Doch sicher nicht so jung, dass man dein kindisches Verhalten verstehen könnte.“ meinte er kühl und seine Lippen kräuselten sich noch ein bisschen mehr in Richtung diabolisches Lächeln. „Du willst es doch nicht noch schlimmer machen, oder?“ Mittlerweile war seine Stimme wie pures Eis und ich schlang fröstelnd die Arme um meine Hüften.
 

Aber eigentlich hatte er ja Recht, ich stellte mich an wie ein Baby. Ich würde dem Ganzen jetzt würdig gegenübertreten und meine Strafe gefasst akzeptieren. Wenigstens war ich bemüht, mir das einzureden. Ich schloss die Augen, holte tief Luft, öffnete sie wieder und trat dann so energisch, wie es mir meine Puddingbeine erlaubten, in das Haus hinein.
 

Auf die gleiche Art, wie es von draußen verwunderte, erstaunte es einen von innen. Hinter der verwahrlosten Fassade lag ein mit hellem Zedernholz ausgelegter Parkettfußboden. Mit den gleichfalls hellen Wänden sorgte das Interieur dafür, dass es nicht allzu dunkel in dem fensterlosen Flur war, von dem mehrere Türen in andere Zimmer abgingen. An den Wänden hingen Gemälde von weißen Lilien und unberührten Schneelandschaften.
 

„Da gibt sich jemand offensichtlich viel Mühe, einen unschuldigen und harmlosen Eindruck zu erwecken.“ murmelte ich vor mich hin. Diese Spitze hatte ich nicht lassen können, auch wenn das meine Strafe noch verschärfen würde.
 

„Zieh dich aus.“ verlangte die Krähe emotionslos. „Hä?“ In meinem Gesicht musste das blanke Entsetzen geschrieben stehen, denn ganz kurz glänzten die grünen Augen amüsiert. „Du tropfst das Parkett voll. Du solltest also die nassen Sachen ausziehen, wenn du später nicht hier durchwischen willst.“ erklärte er gelassen. Okay, soweit verstand ich das jetzt, doch da gab es allerdings noch ein Problem.
 

„Und was soll ich dann tragen?“ fragte ich. Die Krähe warf einen undefinierbaren Blick auf mich und zog sich den engen, braunen Pullover aus. Die Muskeln, die sich unter ihm abgezeichnet hatten, nun völlig unbedeckt zu sehen, machte mich verlegen. Seltsam, weil ich sowas oft genug zu Gesicht bekommen hatte und mich deswegen eigentlich nicht zu genieren brauchte. Ich versuchte, die Verschämtheit zu überspielen, indem ich mich wie gefordert aus dem feucht an meiner Haut klebenden Tanktop schälte.
 

Gegenüber der männlichen und kräftigen Brust der Krähe kam ich mir was das Äußere betraf im direkten Vergleich wirklich sehr kindisch vor. Außerdem stachen meine Rippen unter meiner hellen Haut viel deutlicher hervor, was mich sehr zerbrechlich wirken ließ. Als könne ein Windhauch mich umstoßen. Die Haut des anderen war ein wenig dunkler und obwohl er ebenfalls schlank war, machte er nicht einen dermaßen fragilen Eindruck wie ich. Im Gegenteil, war er, wenn ich das Blatt im Wind war, der tief verwurzelte Baum, den kein Sturm umwerfen konnte.
 

Bei seinem Anblick fragte ich mich, wie ich mich selbst jemals schön hatte finden können. Plötzlich hatte ich es sehr eilig, den Pullover meines Artgenossens zu fassen zu bekommen, um ihn mir überziehen zu können, doch er entwand das Kleidungsstück meiner Reichweite.
 

Verunsichert schaute ich ihn an. Fast hätte ich angefangen, an Damis Theorie zu glauben, von wegen die Krähe wäre rücksichtsvoll. Just in diesem Moment war ich anderer Meinung. „Ich dachte, ich sollte den anziehen?“ grummelte ich und wies auf den langen Pullover, der mir sicher zu groß sein würde, aber dennoch besser als nichts war – viel besser sogar.
 

„Sollst du auch.“ meinte die Krähe nüchtern. „Aber nicht, solange du noch nass bist. Das würde keinen Sinn machen.“ Apropos... Hier machte einiges keinen Sinn. Zum Beispiel, dass der andere scheinbar allein an diesem Ort war und dass er mich nicht schleunigst zu einer Strafe verurteilt hatte. Doch eventuell gehörte das Zappeln-Lassen zur Bestrafung dazu?
 

„Wie wär’s dann mit einem Handtuch?“ warf ich ein, weil mir weder das aufkommende Schweigen noch der Blick der dunkelgrünen Augen behagten. In dem gesamten Haus schien es verglichen mit der schwülen Wärme draußen kalt zu sein und langsam wurde mir unangenehm kühl, wozu die auf meiner Haut verdunstende Feuchtigkeit nur noch mehr beitrug. Ich presste meine Lippen aufeinander, um nicht schlottern zu müssen.
 

Auf einmal war mir nicht mehr kalt, weil ein warmer Körper mich umschloss. Es war einer der dummen Mythen, dass Vampire keine Körperwärme hätten. Fakt war, dass sämtliche Körperfunktionen bei uns dieselben wie bei einem normalen Menschen waren, mit zwei Ausnahmen. Wir konnten nur Blut verdauen und Nährstoffe daraus entziehen und wir hatten ein besseres Regenerationsverhalten bei Verletzungen, wurden schneller gesund bei Krankheiten. Denn ja, auch Vampire konnten sich eine Sommergrippe holen. Vor allem, wenn sie halbnackt und nass in einem eisigen Flur standen.
 

Dass ich gerade zitterte, war trotzdem nicht der Kälte zuzuschreiben. In den starken Armen der Krähe war es angenehm warm. Fast zu warm. Meine Haut prickelte. Manchmal tat sie das, wenn mir zu heiß war. „Ähm...“ Das war keine besonders qualifizierte Aussage und eigentlich wollte ich damit auch gar nichts Wichtiges zum Ausdruck bringen, nur wollte ich irgendetwas sagen...
 

Meine Brust an seinen förmlich glühenden Körper gedrückt, strichen die feingliedrigen Hände des anderen über jeden Zentimeter meines Rückens, jagten mir einen Schauer nach dem nächsten durch Mark und Bein. Nach einer gefühlten Ewigkeit löste sich die Krähe von mir und die Kälte kehrte zurück. Sie war mir willkommen, kühlte sie doch meine erhitze Haut und die bebenden Nerven.
 

Irritiert starrte ich auf den Pullover, den mein Artgenosse mir vor die Nase hielt. „Jetzt bist du obenrum wenigstens trocken, also zieh ihn an.“ raunte er leicht heiser. „Das willst du untenrum doch nicht genauso machen?“ piepste ich aufgeregt und verfluchte meine Stimme dafür, dass sie so schrecklich hoch wurde, wenn ich nervös war. Er lachte auf meine Frage hin einfach nur und ich blinzelte immer noch verunsichert.
 

„Nicht, wenn du es nicht willst.“ scherzte er und zwinkerte mir verschwörerisch zu. Ich plusterte die Backen und schüttelte vehement den Kopf, sodass mir das Wasser in allen Richtungen aus den Haaren spritzte. „Jetzt musst du doch wischen.“ seufzte er immer noch erheitert. „Witzig.“ gab ich motzend zurück. Meckern war mir lieber, als weiterhin beschämt zu sein.
 

„Du kennst echt keinen Respekt, oder?“ Die Krähe schien an der Antwort tatsächlich interessiert zu sein. „Zumindest nicht vor halbnackten Männern.“ meinte ich und hoffte, er würde sich nach diesem Wink bekleiden. Ich würde dies nun tun und fuhr mit den Armen in den Pullover des anderen, den ich inzwischen seinen Armen entnommen hatte, was sich als unklug herausstellte, denn dummerweise nutzte dieser die wiedergewonnene Freiheit seiner Hände dazu, mir meine Hose zu öffnen.
 

Das war zu viel. Ich kreischte entsetzt auf und drückte ihn von mir. Wollte er zur Strafe etwa... mit mir ‚spielen‘? Zwar störten sich die meisten Vampire nicht an gleichgeschlechtlicher Liebe, denn wenn man jahrzehntelang lebte, wurde es schlicht interessant, auf diese Weise Neues auszuprobieren, aber der Gedanke, ohne Liebe mit jemanden zu schlafen, passte mir ganz und gar nicht. Da war ich naiv, das war mir klar, aber ohne gewisse Moralvorstellungen würde ich zu einem der mörderischen Blutsauger verkommen, die ihnen Unterlegene vergewaltigten, Leute quälten und die nur durch pure Böshaftigkeit leben zu können schienen.
 

Blitzschnell hatte sich eine Hand um meinen Hals gelegt und ich rang beinah automatisch nach Luft, doch mehr aus Angst und dem plötzlichen Schrecken heraus, als dass ich ernsthaft gewürgt wurde. „Du bist hier, weil du Mist gebaut hast und was tust du? Du machst nur noch mehr Unsinn.“ zischte die Krähe wütend und schien dann zu resignieren. „Es war wohl doch eine blöde Idee...“ raunte er vor sich hin und sprach offensichtlich mit sich selbst.
 

Mit den Fingern, die immer noch an seiner Brust lagen, übte ich leichten Druck aus. Ich wollte ihn diesmal nicht wegdrücken wie zuvor, denn mit seinen Händen um meinen Hals gewann ich doch an Zurückhaltung, aber er sollte dadurch davon abgebracht werden, in Gedanken zu versinken. Ich konnte mir nämlich schöneres vorstellen, als halbnackt und mit offener Hose neben jemanden zu stehen, der mir die Luft zu nehmen drohte.
 

Er warf mir einen finsteren Blick aus zornesdunklen Augen zu und ließ von meinem Hals ab. Als hätte ich eben gegen das Ertrinken gekämpft, schnappte ich nach Luft und berührte vorsichtig meinen Kehlkopf. Alles okay, alles noch an Ort und Stelle...
 

„Zieh die Hose aus, sie ist nass. Der Pullover ist lang genug, also mach dir keine Gedanken. Gibt sowieso nichts, dass ich dir abgucken könnte.“ forderte er so beherrscht, wie es ihm möglich war. „Ich warte im Speisesaal auf dich.“ fügte er dann hinzu und deutete auf die einzige Flügeltür, die vom Flur abging. Ohne ein weiteres Wort setzte er sich zu ebendieser Türe in Bewegung, öffnete und durchschritt sie. Als die Holztür hinter ihm mit einem dumpfen Klackern ins Schloss gefallen war, gaben meine Beine nach und ich sackte auf dem Parkett zusammen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2010-08-22T19:20:49+00:00 22.08.2010 21:20
Gefällt mir, eine gewisse Hitze besitzt ja dieses Kapitel schon! ;)
Vermisse nur die Ratte! xD

Nein ,sehr schön geschriebe, wie alle deine Kapitel bestimmt^^


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