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Erlösung

von

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Alles nur Einbildung

My lovin´ daddy left his baby again, said he´d come back but he forgot to say when. Night after night I´m cryin´daddy won´t you please come home?
 

Das Autoradio war die einzige Begleitung für Jack, als er seinen klapprigen Cadillac über die löchrige Landstraße jagte. Die Bäume am Wegrand warfen seltsame Schatten, als das helle Paar Scheinwerfer auf sie traf.

War diese spontane Entscheidung, die Entschlossenheit zu überstürzt? Niemand wollte gerne mit einer schlechten Vergangenheit konfrontiert werden, denn man wusste nie, wie so etwas ausgehen könnte. Einige mochten gut mit der Situation klar kommen: Sie würden ihr restliches Leben mit Erleichterung und einem reinen Gewissen fortführen. Andere wiederum zerbrachen unter der seelischen Last aus Trauer, Schmerz und Schuld. Jacks Verstand war in etlichen Widersprüchen geteilt. „Es wird mir helfen, über den Berg zu kommen. Vielleicht... vielleicht kann ich dann bald wieder ein normales Leben führen“, sagte die Entschlossene Seite. „In wiefern wird mir die Vergangenheit weiterhelfen? Diese elende Stadt ist für alles verantwortlich und wird mich schlimmstenfalls in den Tod stürzen“, sagte die verunsicherte, instabile Seite.
 

„Gleich im Studio von Blue FM: Anne Mc Kenzie fühlt Familien auf den Zahn: Sind Sie gute Eltern? Erica Dawson, Hausfrau und Mutter einer sechsköpfigen Rasselbande erzählt über den Alltag einer Großfamilie, die Verantwortung der Eltern und gibt natürlich wertvolle Erziehungstips für alle Lebenslagen! Verpass...“.
 

Ein Schwall von Statik unterbrach die Radioübertragung. Jack drehte an dem Frequenzrädchen, bis das große, hölzerne Schild auftauchte, dass er so verachtete: „Willkommen in Silent Hill“. Die symbolische Grenze zur Vergangenheit war damit überschritten. Doch ein nervöser Fuße trat auf das Bremspedal und hinderte den Cadillac daran, die Reise fortzuführen. Jack öffnete hastig das Handschuhfach. Er schüttelte aus dem selben weißem Röhrchen, das auch im Apartment daheim lag drei runde Tabletten in seine schwitzende Handfläche. „Nicht schon wieder... nein nicht schon wieder...“ Qualvolle Minuten lang klammerte sich Jack an das Lenkrad und hoffte auf das erlösende Gefühl der Unterdrückung. Die sich im Wind wiegenden Bäume gaben den Rhythmus seiner Herzschlags an. Regen klatschte auf das Autoblechdach.

Durch die ausgeschalteten Scheibenwischer wurde die Sicht nach draußen dunkel - verschwommen. Die Wirkung der lebenswichtigen Medikamente setzte endlich ein, wohlige Taubheit überkam den Körper. Ein markerschütternder Schrei trieb Jacks Puls allerdings erneut ans Limit. So ein Geräusch konnte nur von jemandem stammen, der sich furchtbar verletzt haben musste. Er drückte den Knopf für die Scheibenwischer, bekam aber nur einen begrenzt freien Ausblick. Stürmender Regen fegte über den Asphalt, machte das sehen über wenige Meter hinaus unmöglich. Die Windschutzscheibe zersplitterte in Tausend Stücke. Erschrocken rutschte Jack vom Sitz und kauerte sich im Fußraum zusammen. Erneutes kreischen, dieses mal viel bösartiger, kündigte großes Unheil an. Ruppige Kräfte zogen den verwirrten Mann wieder auf den Fahrersitz. Die Silhouette einer scheinbar nackten Person hockte auf dem Armaturenbrett. Jack konnte zu seiner rechten, knorrige, ungewöhnlich Lange Finger erkennen, die sich eisern um seine Schulter schlossen.

Stechender Schmerz schoss durch sein Nervensystem. Messerscharfe Krallen durchdrangen das Futter der Lederjacke mit Leichtigkeit und bohren sich unaufhaltsam ins Fleisch. Mit Gewalt stieß er die Fahrertür auf und knallte mit dem Kopf zuerst auf den nassen Zement. Warmes Blut platzte aus seiner Stirn und wurde sofort vom Regenwasser weggespült. Orientierung war zweitrangig, Jack stolperte so weit wie möglich vom Cadillac weg. Der Motor lief nach wie vor, der Angreifer könnte ihn einfach überfahren. Ein Blick nach hinten - der Cadillac stand weiterhin auf der Stelle, vom Angreifer keine Spur. Jacks Lungen wurden ausgepresst, als er auf den Asphalt prallte. Der Versuch, sich mit dem Ellenbogen abzustützen endete mit dem eindeutigem Geräusch gebrochener Knochen. Er schrie, fuchtelte wild mit den Armen umher. Das, was sich bedrohlich über ihn beugte, konnte bestenfalls mit einem gehäutetem Tier verglichen werden. Das innere war nach außen gekehrt: Bunte Äderchen durchzogen die Gliedmaßen. Das Gesicht konnte keinesfalls als solches bezeichnet werden - die angeschwollene Masse überdeckte sämtliche menschlichen Züge. Schiere Gewalt traf auf Jacks wehrlosen Körper. Tritte, Schläge, Kratzer - er gab sein bestes, der wilden Raserei zu entgehen. Eine plötzliche Reaktion gab ihm die rettende Idee. Wie in einer Fitnessübung winkelte Jack seine Knie an. Er atmete tief ein, bevor seine Füße gegen den weichen Bauch der entstellten Kreatur schossen. Entsetzlich kreischend strauchelte das Biest zurück und verlor das Gleichgewicht.

Jack rannte um sein Leben, nach Silent Hill, den einzigen Ort an dem er eventuell Sicherheit finden konnte. Ängstliche Augen wanderten von links nach rechts. Das ovale Werbeschild von

„Neely´s Bar“ war wie eine Einladung - eine Oase der Sicherheit. Er betete zu Gott, das die Türen nicht verschlossen waren und tatsächlich leistete der gläserne Eingang keinen Widerstand. Die schicken 50er Jahre Bänke dienten als spontanes Versteck. Mit angehaltenem Atem spitzte Jack die Ohren nach jedem einzelnen Geräusch. Regen klatschte gegen die Fensterscheibe. Die erste Minute verging... nichts. Die zweite... nichts. Mit sämtlichen Mut, den man in solch einer Situation aufbringen konnte, verließ Jack den sicheren Hafen und lugte mit größter Obacht über den Fensterrand... nichts.

Erleichtert sank der Mann auf die komfortable Ledersitzbank. Sein Kopf pochte ähnlich stark wie der Schmerz des gebrochenen Armes, der nun reglos auf dem Tisch ausgebreitet war. Was war das? Wie konnte so etwas existieren? Vielleicht existierte es gar nicht... nein, es war einfach zu Verrückt! Ein simples Produkt der eigenen, kaputten Fantasie, die Wahnvorstellung eines labilen Verstandes. Jack wurde schwindelig. Nelly´s Bar verschwamm in einen Strudel bunter Farben - dann wurde alles schwarz.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  RyuKusanagi
2010-06-16T03:55:54+00:00 16.06.2010 05:55
Also bis jetzt gefällt mir dieses Kapitel eindeutig am besten.
Es hat eine gute Mischung aus Action/Horror/Spannung, dein Schreibstil hat sich verbessert, die Atmosphäre passt wunderbar, das Monster wurde gut beschrieben... Es ist definitiv das beste Kapitel bisher.
Hat mir wirklich sehr gut gefallen.
Das einzige was mich ein wenig irritiert wäre, das Jack gerade erst in Silent Hill ankommt, aber bereits mehrere Verletzungen davongetragen hat. Eine Platzwunde am Kopf, mehrere Kratzer und vermutlich ein paar Prellungen, eine Schnittwunde und ein gebrochener Arm.
Ich frage mich jetzt schon, wie er damit in zukünftigen Kapiteln wohl zurechtkommen wird.
Jedenfalls freue ich mich schon auf das nächste Kapitel.


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