Raufaser- oder Blümchentapete?
Im Nachhinein ist es immer zum Lachen, auch wenn dieses Lachen ab und an schon sehr stark im Rachen kratzt. Es ist zu oft gelacht worden. Egal, nach einem Anfall tut das Lachen gut. Es erleichtert. Denn, wenn du mitten drin hockst und dir sagst: „Gleich biste dran. Gleich bestätigt dir der Arzt, dass ...“, wirst du beinahe wahnsinnig vor Angst. Ständig springst du auf, weil du mal musst. Nur immer in Bewegung bleiben. Aufs Klo und zurück. Dann wieder hinsetzen. Ablenken. Mit einem Buch? Ja, vielleicht auch mit einem Buch. Dich auf die Buchstaben konzentrieren! Und dabei könntest du die Tapete von den Wänden des Warteraums fressen ...
So ging's mir heute. Ganz genauso. Und dabei war's letztendlich ein ganz harmloser Arztbesuch, der sich – wie immer – über zwei Stunden hinzog. Zu 16 Uhr 30 bestellt, saß ich im Wartezimmer ganz artig meine zwei Pflichtstunden ab. Manchmal sind's auch drei. Kein Vorwurf an meinen Arzt, denn er ist gut, soll heißen: nett, aufmerksam, beflissen und gründlich. Er nimmt seine Patienten ernst, bagatellisiert nichts, ist aber auch nicht überängstlich und schlägt bei jedem Verdacht gleich die Hände überm Kopf zusammen.
„Ball flach halten“, so sein Motto.
Warum ich das hier auswalze? Nun, es gibt eben auch andere Ärzte. Aus deren Praxen kommen die Patienten wie psychisch gerupfte Hühner heraus, kränker als zuvor – zumindest in ihrer Vorstellung – bis ihnen ein Facharzt die Flausen wieder austreibt. Manchmal kann das sogar einige Stunden beim Psychologen dauern, der – oh Wunder – gleich nebenan praktiziert. Und muss ich extra erwähnen, dass es eines solchen Metzgers manchmal gar nicht bedarf. Manchmal nämlich denkst du dir dieses gemeine Spielchen mit dir selbst auch ohne ärztliche Hilfe aus, springst dann wie eine junge Katze im Kreise und versuchst deinen eigenen Schwanz zu fangen. Im Unterschied zur Katze weißt du aber genau, dass dein Schwanz keine Maus ist. Dir ist vollkommen bewusst, dass du gesund bist und trotzdem bist du davon überzeugt, sterbenskrank zu sein und bald zu verrecken. Und das immer öfter. Und wenn dir dann vom vielen im Kreise kreisen der Kopf auf dem Hals kreiselt und du schneller bist als deine eigene Kotze, dann rennst du eben zum Arzt. Du hast Glück, wenn du dann auf einen triffst, der schmunzelnd vor seinem Computer sitzt und seine Signalfragen so geschickt in ein plaudernd dahin schlenderndes Gespräch einflicht, dass du dich dem gerne ergibst.
Die Konsultation – das Aug in Aug mit dem Arzt – ist nicht das Schlimmste, abgesehen von den Augenblicken, in denen er dir seinen Finger in den Hintern steckt und dich abtastet. „Alles egal“, versuchst du dich zu beruhigen. „Alles egal. Wenn er's dir jetzt bestätigt, musste mit der Diagnose leben. Du kannst es ja nicht ändern. Augen zu und durch! Gleich, ganz gleich bestätigt er's dir und dann hast du Ruhe. Dann ist es amtlich.“
Das artige Rumsitzen im Wartezimmer zermürbt indes, weil dem Wanstrammeln (zu deutsch: Bauchschmerz) und dem knotig harten Gefühl im Hintern die Ungewissheit folgt (oder schon vorausgegangen ist), eventuell in vier Monaten jämmerlich verrecken zu müssen. Und wenn du dir dann auch noch (oder gerade deswegen) dein Philosophie-Buch schnappst und aus der Ontologie, der Lehre vom Sein, die Onkologie, die Lehre von den Krebsgeschwulsten machst, ist deine Selbstdiagnose perfekt. Es reicht dir dann auch nicht mehr aus, dass dich der Arzt davon überzeugt, dein roter Schiss rühre nicht von einem Krebsgeschwür im Enddarm her, sondern von den am Vortag verzehrten roten Beeren.
Nein, es kann dir nicht mehr ausreichen. Denn, was, fragst du dich, wäre die Alternative? Raufaser- oder Blümchentapete?