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Freundschaftswille

von

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Die Kreuzung

1.Kapitel: Die Kreuzung

Raida:
 

„Schatz wir haben dich lieb und werden dich ganz doll vermissen! Küsschen Mum und Dad“

'Wer's glaubt wird selig', dachte ich mir und Riss den kleinen lindgrünen Klebezettel vom Badezimmerspiegel ab. 'Wenn es euch wirklich wichtig wäre, wärt ihr hier.' Aber das waren sie nichts. Sie sind heute Morgen um 2:30 Uhr mit dem Taxi zum Flughafen gefahren und von dort direkt nach London geflogen. >Geschäftsreise<, ich glaube ich konnte dieses Wort schon buchstabieren, da kannte ich das Alphabet noch gar nicht.
 

Genervt strich ich mir mein schulterlanges braunes Haar mit einer schnellen Handbewegung aus dem Gesicht. Mehr musste ich nicht tun, denn mein dickes folgsames Haar legte sich zu perfekt geformten Wellen um mein Gesicht. Während ich meine Zähne putzte und mich schminkte, sah ich mir ununterbrochen in die Augen. Große rote Augen, eine kleine Stupsnase und ein voller herzförmiger Mund. Ich war hübsch. Aber, wenn ich mich wie jetzt aufregte, bekam ich jede Menge hektische rote Flecken im Gesicht. Na bravo!

Ich würde das wunderschöne weiße Hängerchentop mit schwarzen Punkten anziehen, das ich mir zu Weihnachten gekauft hatte und dazu eine knallenge Röhrenjeans, die meine sportliche Figur betonte.
 

Ich nahm meinen schon gepackten Reiserucksack und die vier Hartschalenkoffer und brachte sie nacheinander in die Küche. Moe, mein persönlicher Autofahrer wartete schon: „Guten Morgen kleine Miss. Ich werde die Fracht schon mal verstauen“, sagte er und bückte sich gleich nach den Koffern. Ich nickte und lächelte, wenigstens auf einen war Verlass.

Zum Frühstück aß ich nur einen Apfel, mehr bekam ich morgens einfach nicht runter.
 

Der große schwarze BMW war schon startbereit, als ich in meine schwarzen Stilettos schlüpfte. Neun cm waren für mich Pflicht und so hatte ich kein Problem auf“etwas“ höheren zu laufen. Dann stieg ich in den Wagen ein, den ich damals zu meinem dritten Geburtstag bekommen hatte.
 

Moe schwieg, er wusste, dass ich lieber schweigend fuhr. Ich sah aus dem Fenster. 'Was sollte ich davon bloß halten? Klar ich würde ein ganzes Jahr mit meinen besten Freunden verbringen. Ich wäre nicht allein. Aber hier und da würde ich wohl einige Entbehrungen machen müssen. Ausgedehnte Shoppingtouren und Diskobesuche würden wohl eher Einzelfälle werden.'

Nach einer halben Stunde hielt Moe vor dem alten großen Bahnhof. Er stieg aus und brachte mich und mein Gepäck sicher zum richtigen Gleis.
 

„Auf Wiedersehen Moe und passen sie mir schön auf den Wagen auf!“, sagte ich grinsend. Ein Lächeln breitete sich über seinem alten Gesicht aus und zerknitterte es bis in den letzten Winkel. „Auf Wiedersehen kleine Miss. Sie werden mir fehlen.“, erwiderte Moe. Schnell drehte ich mich um und stieg mitsamt der Koffer in den Aufzug.
 

'Sie mir auch Moe', dachte ich und schluckte den Kloß in meinem Hals runter.
 


 


 


 


 

Milrada:
 

Das letzte Mal, dass wir alle zusammen frühstückten. Mama und Papa bemühten sich um gute Laune, aber meine beiden älteren Brüder waren genauso geknickt wie ich. Ich war noch nie so lange von Zuhause weg gewesen und es machte mir Angst, aber letzten Endes hatten sich alle Freundinnen für die Reise entschieden und so wäre nur sie hier geblieben, alleine...
 

Es klopfte an meiner Zimmertür: „Milrada Schätzchen, du musst dich beeilen, du musst gleich los.“, rief meine Mama und öffnete langsam die Tür. „Ja, ich weiß. Es ist nur so schwer allem auf Wiedersehen zu sagen...“, versuchte ich ihr zu erklären. Dann erhob ich mich doch von meinem Bett und warf mir die Umhängetasche über. Mama nahm die beiden Reisetaschen und lief schon die Treppe runter. 'Tschüss Zimmer', dachte ich und schloss die Tür hinter mir.
 

Draußen in der Einfahrt wartete schon die ganze Familie und der Taxifahrer. Mama gab ihm die Taschen und umarmte mich: „Du wirst mir so unendlich fehlen mein Schatz.“, flüsterte sie und gab mir einen Kuss auf die Stirn.

„Es ist noch nicht zu spät, du kannst es dir immer noch anders überlegen.“, sagte mein Vater und drückte mich. „ Kaum zu glauben, meine Kleine geht weg...“, sagte er bedauernd. Ich konnte nicht mehr anders, die Tränen liefen und schüttelten mich.

„Mach's gut Schwesterherz, und streng dich an. Das mir keine Klagen kommen, hörst du!“, sagte mein großer Bruder Van. Ich musste lachen, aber weil ich gleichzeitig weinte, kam nur ein Gluckser hervor.

„Ach du kleiner Schreihals, ich hätte nicht gedacht, dass du mir so fehlen würdest“, sagte mein anderer Bruder Taro und nahm mich in den Arm. „Ich bin doch noch gar nicht weg.“, weinte ich in seine Schulter. „Ich weiß.“, sagte er leicht amüsiert und ließ mich los.
 

Ich versuchte mich zusammenzureißen und sagte: „Tschüss Familie!“. Alle lachten ein wenig und ich nutzte die Gelegenheit, um mich umzudrehen und ins Taxi einzusteigen. Der Taxifahrer verstaute die Taschen im Kofferraum und ließ sich hinter das Lenkrad plumpsen. Er öffnete das Handschuhfach, nahm ein altes Stofftaschentuch heraus und betupfte sich damit die Augen. „Herrje, war das rührend.“, sagte er und fuhr los.

Meine Familie winkte hinter mir her, bis wir um die erste Ecke bogen.
 

'War es wirklich die richtige Entscheidung?', fragte ich mich und wischte mir mit meinem bunt gemusterten T-shirt die Tränen weg.

Den Rest der Fahrt unterhielt ich mich mit dem Taxifahrer. Das lenkte mich ab und vielleicht würden meine Freundinnen nicht bemerken, dass ich geweint hatte. Ich wäre bestimmt wiedermal die Einzige.
 

Als ich aus dem Taxi stieg, atmete ich tief durch, nahm meine Reisetaschen und versuchte mir vorzustellen, was mich erwartete. Je näher ich dem Bahnhof kam, desto deutlicher spürte ich den kleinen Gummiball der Vorfreude in meiner Bauchgegend umher springen.
 

'Es würde bestimmt toll werden!'
 


 


 


 

Antai:
 

„Die kleine hatte wieder Nasenbluten im Schlaf.“, sagte ich zu meiner Mutter, als ich in die völlig verwüstete Küche kam, um zu frühstücken. „Oh nein, Kannst du das Bett bitte neu beziehen?“, fragte sie in ihrer üblichen hektischen verzweifelten Stimme. „Ist schon geschehen:“, sagte ich. Sie kam auf mich zu und schlang ihre dünnen Ärmchen um meinen Hals:„Was würde ich nur ohne dich tun? Ich will dich gar nicht hergeben...“, sagte sie zu mir.

'Ja ne ist klar! Wem willst du das denn erzählen? Du bist doch froh, dass du ein Maul weniger zu stopfen hast...', dachte ich mir und floh aus der Küche, als sie mich endlich losließ. Der Appetit war mir sowieso vergangen.
 

Ich ging in mein Zimmer und schmiss alle meine Sache in meine Reisetasche, bis auf die Sachen, die ich heute anziehen wollte. Es war mein bestes Stück die kurzärmlige weiße Bluse mit der Schleife am Kragen, mit der ich damals das Nähen gelernt hatte. Der Stoff und die Knöpfe waren scheißteuer gewesen, deswegen waren die Nachfolger alle aus alten Vorhängen und Tischdecken entstanden.
 

Ich spürte ein leichtes Zupfen an meiner bequemen Bluejeans, als ich grade dabei war, das Kinderzimmer aufzuräumen. Hinter mir standen meine drei kleinen Schwestern und sahen mich mit großen Augen an.

„Gehst du weg?“, fragte Tenshi, die Jüngste. „Ja.“, antwortete ich ihr und legte meine Hand auf ihren weißen Schopf. „Wegen uns?“, fragte Mata mit Tränen in den Augen.

„Wie kommt ihr denn auf sowas?“, fragte ich sie und kniete mich hin, um sie alle zu umarmen,„Wegen euch wäre ich beinahe hier geblieben.“

Als ich mich aufrichtete, bemerkte ich meine Mutter im Türrahmen stehen, mit Tränen in den Augen und einem Lächeln auf ihren dünnen Lippen.

Ich ging an ihr vorbei und holte die Reisetasche und den Beutel mit Reiseproviant: „Können wir los?“

Ich wollte nicht, dass sie mich so ansah. Ich wollte nicht, dass sie mich liebte. Der Hass auf ihre überforderte und unzuverlässige Art saß zu tief um ihr gegenüber Zuneigung zu empfinden.
 

Wir stiegen in den alten Toyota, der erst beim dritten Versuch ansprang. Die drei kleinen zankten sich auf dem Rücksitz und ihre Mutter machte keine Anstalten sie zu stoppen. Das kam mir aber in diesem Moment gelegen, denn ich wollte sie etwas wichtiges fragen:„Fahren wir noch bei Papa vorbei? Ich möchte mich verabschieden und mich bedanken.“

„Er gehört nicht mehr zu unserer Familie“, sagte Mama mit einer, wie zu erwarten gewesen war, weinerlichen Stimme.

„Das hast DU entschieden.“, gab ich zurück.

„Hör auf! Er hat mich nach 18 Jahren Ehe betrogen. Weißt du wie ich gelitten habe?“, sagte sie nun etwas lauter.

„Werd' jetzt bitte nicht dramatisch! Er bezahlt meinen Aufenthalt mit einer fetten Summe. Ich möchte danke sagen“, murmelte ich.

„Er will dich damit doch bloß kaufen!“, schrie sie. In diesem Moment hielten wir vor dem Bahnhof und es war einen Moment ganz still.

„Indem er mich“kauft“, hat er mehr für mich getan, als du in den letzten neun Jahren.“, sagte ich mit eiskalter Stimme, zerrte die Reisetasche aus dem Fußraum und stieg aus.
 

'Dieses eine Mal in meinem Leben bin ich egoistisch. Dieses eine Mal laufe ich weg!'
 


 

Fina:
 

„Du musst ja sehr früh aufgestanden sein, um noch vorbeizuschauen.“, sagte Mum und griff mit ihrer blassen zittrigen Hand nach meiner Wange. Ich nahm ihre Hand und legte sie an meine linke Wange. Sie war schrecklich kalt. „Keine Sorge Mum, Ich habe genug geschlafen.“, beruhigte ich sie. Sie lächelte: „Jetzt ist es so weit, du gehst weg.“ Sie versuchte sich im Krankenhausbett aufzurichten, gab aber nach einiger Zeit auf.

„Du weißt, dass ich lieber bei dir bleiben würde, aber das ist die beste Lösung für uns alle.“, erklärte ich ihr.

„Ich weiß. Mir ist alles Recht, solange du nicht zu deinem Vater musst...“, erwiderte sie. Mein Vater hatte meine Mutter verlassen, als er wusste, dass sie schwanger war und so hatte ich ihn nie kennengelernt. Ich habe ihn nie auf einem Foto gesehen und wir haben nie wirklich über ihn gesprochen. Doch jetzt da der Krebs meiner Mutter stationär behandelt werden musste, wollte das Jugendamt meinem Vater das Sorgerecht zusprechen. So war mir die Idee mit einem Internat gekommen. Dank Omas großzügiger Spende war es für uns möglich gewesen meine restlichen Schuljahre dort zu bezahlen.

„Mama, ich kann leider nicht mehr bleiben, der Zug fährt gleich. Ich werde mich so oft wie möglich melden und dich total vermissen.“, sagte ich drückte ihre Hand nochmal und legte sie dann neben ihren Körper auf die Decke.

„Du wirst mir auch fehlen.“, sagte sie und lächelte ihr warmes Lächeln.
 

Ich zwinkerte die Tränen weg und verließ auf schnellstem Weg das Krankenhaus. Von dort aus war es nicht mehr weit zur Bushaltestelle. Ich hatte noch fünf Minuten. Genüsslich sog ich die frische Sommerluft ein und hielt mein Gesicht in die Sonne.

'Unglaublich, dass es wirklich geklappt hatte.', dachte ich. Als ich meinen Freundinnen von meiner Situation erzählte, war da diese verrückte Idee gewesen, so eine verrückte Raida-Idee. Sie hatten vorgeschlagen mitzukommen und dort ebenfalls zur Schule zu gehen.

Anfangs war es ein schöner Traum, ein Trost, doch dann war es irgendwie realistisch geworden.

'Einmal in meinem Leben klappte etwas auf mysteriöse Art und Weise...'

Und vor einem Monat stand es fest: Wir würden zu viert die Konoha Highschool besuchen.
 

Der Bus kam und ich brauchte zehn Minuten, um mit den beiden Koffern in den Bus einzusteigen. Danach eckte ich mindestens einmal mit den Koffern an jedem Sitzt an und erntete böse Blicke. Um sicher zu gehen, dass ich mir beim kläglichen Versuch mit dem Gepäck aufzustehen nicht den Hals brach, blieb ich lieber gleich stehen und stieg drei Stationen später am Bahnhof aus.

Prompt viel ich die Eingangsstufen zu Haupthalle hoch und erzielte höhnisches Gelächter. Ich versuchte nicht darauf zu achten und hievte meine Koffer bis zum richtigen Gleis.

'Jetzt nur noch diese Treppe hoch'

Oben angekommen, sah ich sie: Das große elegante Mädchen mit hochhackigen Schuhen, das Mädchen mit den langen aufwendig frisierten Haaren und dem bunten T-shirt und das Mädchen mit der tollen Bluse und dem langen geflochtenen Zopf. Raida, Milrada und Antai. Als sie mich sahen, lächelten sie und winkten und erst jetzt konnte ich alles wirklich begreifen,
 

'Wir waren wie vier verschiedene Straßen aus vier verschiedenen Richtungen, die hier an diesem einen Punkt aufeinander trafen. Unser jetziges Leben war vorbei, es lief über in eine Kreuzung, an der jede von uns Anteil hatte.'



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