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Vertrauen und Verrat

von

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Chaos der Gefühle

„Ich-“, eine Träne lief meinem besten Freund über das Gesicht, „Ich habe versucht, dich umzubringen!“

Ich erstarrte. Geschockt sah ich Kian an, unfähig auch nur ein Wort zu sprechen.

„Mehrfach!“, setzte er fort, „Ich wollte wieder zurück zum Rudel und zu meinen anderen Freunden. Ich habe sie vermisst und du hast mich daran gehindert, sie zu sehen. Als ich vor meinem Großvater weggelaufen bin, schrie er mir hinterher, ich dürfe erst wieder zurück, wenn ich dich umgebracht habe.“ Er stoppte kurz und entfernte sich einige Schritte von mir. „Ich kann das nicht mehr länger. Ich halte das nicht länger aus. Du vertraust mir endlich wieder und was tue ich? Bei jeder nächstbesten Gelegenheit versuchen, dich umzubringen! Du weißt nicht, wie oft ich nachts schon meine Hand an deiner Kehle hatte und dir die Luft abdrücken wollte! Aber ich hatte nie die Kraft, zuzudrücken. Oft habe ich auch mit den Gedanken gespielt, einfach in der Nacht abzuhauen, aber ich hatte Angst, dass die anderen dir dann etwas antun würden. Immerhin hassen sie dich, wenn nicht noch schlimmer. Ich konnte mich einfach nicht entscheiden, zwischen dir und dem Rudel. Ihr wart mir beide gleich wichtig.“ Er stoppte und ließ mir kurz Zeit, alles zu verarbeiten.

Meine Hände zitterten und ich traute meinen Ohren nicht mehr. Das durfte nicht wahr sein. Ich wollte es nicht glauben Kian musste mich belügen, er musste einfach!

„Als wir bei Maria White waren, dachte ich, das sei die Gelegenheit. Ich- Ich hatte vor, nicht einzugreifen. Aber dann hast du meinen Namen gerufen. Ich konnte nicht anders als dir zu helfen. Aber in dem Augenblick als du mich riefst, habe ich mich entschieden, für dich und gegen das Rudel. Als du verletzt auf dem Boden lagst und Scar kurz davor war, dich umzubringen, ich- Erst da habe ich begriffen, wie viel du mir wirklich bedeutest. Ich wollte dich nicht verlieren. Und dann kam auch noch die Sache mit dem Brief. Ich musste mich plötzlich nicht mehr entscheiden. Ich konnte beides haben. Besser gesagt, ich hätte es gekonnt, wenn ich dich nicht so hintergangen hätte.“

Meine Knie begannen zu zittern und wenig später gaben sie nach, wie der Rest meines Körpers. Ich sackte zusammen. Hätte Kian mich nicht aufgefangen, wäre ich hart auf dem gefliesten Fußboden aufgeschlagen. Doch so schnell wie er neben mir gewesen war, hatte Kian mich auch schon auf einen Stuhl gesetzt und war an das andere Ende der Küche geflüchtet. Ich wusste, er hatte Angst. Angst, dass ich ihn hasste.

„Warum sagst du mir das alles?“, fragte ich leise. Meine Stimme war so schwach, dass ich meine Worte selbst kaum verstehen konnte.

Doch Kian hatte es. Er senkte seinen Blick und starrte auf den Boden. „Ich kann- Nein, ich will dich nicht länger anlügen. Es ist schmerzhaft, dich jeden Tag zu sehen, wie du mir immer noch vertraust und nicht weißt, wie oft ich dein Vertrauen bereits ausgenutzt habe. Ich konnte das nicht länger. Deshalb habe ich es gesagt...“

Ich schüttelte meinen Kopf. Zu mehr war ich nicht mehr fähig. Mein Gehirn hatte begonnen, die eben aufgenommenen Informationen zu verarbeiten. Kian hatte mich angelogen und hintergangen, die ganze Zeit! Ich wusste nicht, wie ich mich jetzt verhalten sollte. War es richtig, wütend zu sein? Oder sollte ich ihm einfach so verzeihen. Unter normalen Umständen hätte ich mich auf meine Gefühle verlassen, doch die hatten sich vor einigen Minuten verabschiedet und meinen Verstand allein zurück gelassen. Ich verspürte keine Angst, keine Enttäuschung und auch keinen Hass. In mir war alles wie leergefegt. „Wirst du mich wieder hintergehen?“, fragte ich Kian sachlich.

Er zuckte zusammen, bevor er seinen Kopf schüttelte. Ich sah, dass ihm Tränen über das Gesicht liefen. Er weinte. „Alec, bitte- Bitte hasse mich nicht dafür. Es tut mir Leid, wirklich. Ich wünschte, ich hätte es nicht getan. Bitte... Ich will dich nicht verlieren!“

Immer noch fühlte ich nicht das Geringste. Aber nicht nur das. Jetzt war auch noch mein Kopf wie leer gefegt. Mein Verstand war meinen Gefühlen gefolgt und schien nicht vor zu haben, in absehbarer Zeit zu mir zurückzukommen. Langsam erhob ich mich von meinem Stuhl, bevor ich Kian einen entschuldigenden Blick zuwarf. „Gib mir etwas Zeit, bitte.“ Dann griff ich, wahrscheinlich instinktiv, nach meiner Jacke und dem Haustürschlüssel uns floh aus der Wohnung, ließ Kian einfach zurück, zum zweiten Mal.

Erst als ich ein ganzes Stück gerannt war und das Haus, in dem sich meine Wohnung befand, schon lange nicht mehr sehen konnte, verlangsamte ich meinen Schritt und sah mich etwas um. Es war schon dunkel und ich konnte wegen defekter Straßenlampen nicht besonders viel sehen. In diesem Teil der Stadt war ich noch nie gewesen. Überall gab es dunkle Seitengassen und die Häuser sahen sehr heruntergekommen aus. Besser ich ging schnell wieder. Ein kalter Windstoß blies mir in das Gesicht, doch ich ignorierte ihn. Für Anfang November war es eh noch etwas zu warf. Nicht mehr lange und es würde schneien...

Mit diesem Gedanken setzte ich meinen Weg fort, an den baufälligen Häusern und dunklen Winkeln vorbei. Auf einer Brücke über einem reißenden Fluss blieb ich stehen und sah in die Tiefe. Was wohl passieren würde, wenn ich jetzt sprang? Ich verwarf diesen Gedanken wieder. Das wäre feige. Ich würde nur vor meinen Problemen davonlaufen.

Plötzlich spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. Erschrocken und auch etwas verwundert schaute ich ihren Eigentümer an. „Was tust du hier?“

„Das könnte ich dich auch fragen!“, rief Olivia und schaute mich leicht gereizt an, „Es ist gefährlich hier! Warum bist du allein unterwegs, ohne Kian?“

Ich zuckte zusammen. Kians Worte schallten in meinem Kopf wieder. 'Ich habe versucht, dich umzubringen!' Auch sein Gesicht hatte sich in mein Gehirn gebrannt, wie er mich mit Tränen in den Augen und verheultem Gesicht fast schon anflehte, ihn nicht zu hassen. Bevor ich überhaupt wusste, was ich tat, hatte ich die völlig überrumpelte Olivia an mich herangezogen und fiel ihr um den Hals.

Kians Cousine gab einen überraschten Laut von sich, unternahm aber nichts, um mich wieder los zu werden. Statt dessen spürte ich nach einigen Sekunden ihre Hände auf meinem Rücken.

Meine Knie gaben nach und ich brach vor ihr zusammen. Tränen strömten über mein Gesicht. Es war, als würde ich erst jetzt auf Kians Geständnis reagieren, als hätte sich meine Reaktion herausgezögert oder ich würde es erst jetzt vollständig begreifen. Verzweifelt krallte ich mich an Olivia fest, sie hatte sich neben mich gekniet. „Ich- Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll!“, wimmerte ich.

„Was ist passiert?“, fragte Olivia. Ihre Stimme klang ruhig, als versuche sie, mich zu trösten.

„Kian- Ich... Er-“ Ich erzählte ihr stockend, was zwischen mir und ihrem Cousin vorgefallen war. Angefangen bei den Akten meines Vaters bis zu meinem fliehen aus der Wohnung. „Ich weiß einfach nicht mehr, was ich jetzt tun soll!“

„Kian meint es ernst.“, sagte Olivia mit freundlicher Stimme, „Wie es anfangs gewesen ist, kann ich nicht sagen, aber jetzt ist es ihm ernst. Du bedeutest ihm eine Menge und er will dich nicht verlieren. Ich weiß, was er getan hat ist unverzeihlich, aber trotzdem. Du bist alles, was er noch hat. Er vertraut dir, bedingungslos. Kein anderer hat so einen großen Einfluss auf ihn. Er hat dir das Familienerbe gegeben. Weißt du, was das bedeutet? Es gibt dir den gleichen Rang wie ihm. Würde er dir nicht blind vertrauen, hätte er das nie getan. Hätte Großvater ihn nicht gezwungen, ihm wäre nicht einmal im Traum eingefallen, dir etwas anzutun. Er hätte es sich nie wieder verzeihen können, genauso wenig wie es es sich verzeiht, was er dir angetan hat. Er wird es den Rest des Lebens mit sich herumtragen und nie wieder der alte werden. Deshalb bitte, verzeih ihm, denn er kann es nicht. Bitte, du bist der einzige, der ihn noch aus seinem Selbsthass retten kann...“

Ich was sprachlos. Bedeutete ich Kian wirklich so viel? Klar, wir waren beste Freunde, aber... Vorsichtig löste ich mich von Olivia und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht, bevor ich sie dankbar ansah und schwach lächelte. „Du wusstest es schon die ganze Zeit, richtig?“

Das Mädchen nickte. „Großvater hat sich mit meinen Eltern darüber unterhalten und ich habe Kian daraufhin gefragt. Er meinte, dass er sich nicht entscheiden wolle und es nicht fertig brächte, seinen besten Freund zu töten, nur um wieder nach Hause zu dürfen. Er war so verzweifelt, dass er ernsthaft darüber nachgedacht hat, dich umzubringen und dann im Rudel Amok zu laufen und Großvater auch umzubringen.“

„Kian...“, murmelte ich, „Das war also der Grund. Dass er mit irgendetwas gekämpft hat, wusste ich, aber nicht womit. Den ganzen Tag lag er im Bett, hat nur das Nötigste gesprochen und meine Wohnung nicht verlassen. Und als ich ihn einmal gegen seinen Willen mit zu meinen Freunden geschleppt habe, hat er sich ausgerechnet in Alice verliebt...“

Olivia lächelte mich an. „Ich finde, die beiden würden ein gutes Paar abgeben. Außerdem hat Kian keinen Grund mehr, nicht mit ihn zusammen sein zu dürfen.“ Dann starrte sie auf den Boden. „Ich muss dir etwas sagen... Eigentlich muss ich das schon lange, aber ich habe mich nie getraut.“

Verwundert sah ich das Mädchen an. Ich verstand nicht ganz, was sie jetzt wollte, schwieg aber und hörte ihr bis zum Ende zu.

„Du weißt doch noch, als wir bei der Familie waren und ich gefragt habe, wie der Vater es schafft, sich so gut zu beherrschen. Er fragte mich doch nach dem Grund. Ich habe ihn angelogen. Der wahre Grund ist, ich habe Angst. Jedes Mal wenn ich mit dir zusammen bin habe ich Angst davor, dir etwas anzutun. Eine Sekunde die Kontrolle über meinen Körper zu verlieren, würde genügen um dich schwer zu verletzen oder gar zu töten. Ich weiß, Kian würde mir das nie verzeihen und mich hart bestrafen, aber das ist nicht der Hauptgrund. Das würde er so und so...“ Olivia hob ihren Blick und sah direkt in meine leicht geweiteten Augen. „Ich möchte mit dir zusammen sein, so oft wie möglich, ohne Angst haben zu müssen, dich verletzen zu können. Ich weiß, das ist nicht der richtige Zeitpunkt, aber ich muss es einfach sagen. Ich kann nicht anders. Ich... Ich glaube, ich liebe dich.“

Ein seltsames Kribbeln ging durch meinen Körper und ich starrte Kians Cousine ungläubig an. „Livi, du-“

Zu mehr kam ich nicht. Olivia hatte sich nach vorn gebeugt und mich auf den Mund geküsst.

Zuerst riss ich meine Augen geschockt auf. Ich wusste weder, was ich tun sollte, noch war ich mir meiner Gefühle im Klaren. Eine Weile überlegte ich, ob ich sie nicht besser zurückstoßen sollte, doch ich konnte nicht die nötige Kraft aufbringen. Mein Körper gehorchte mir nicht mehr. Und als ich spürte, wie die Schmetterlinge in meinem Bauch Loopings flogen, schob ich alle Bedenken beiseite. Ich hatte meine Antwort, wahrscheinlich schon eine Weile, nur bis jetzt erfolgreich verdrängt. Mit einem schwachen Lächeln schloss ich meine Augen und erwiderte den Kuss. Wir lösten uns wieder voneinander und ich sah Olivia in ihre tiefen braunen Augen. „Ich glaube, ich liebe dich auch.“

Ein glückliches Lächeln breitete sich in ihrem Gesicht aus und sie küsste mich ein weiteres Mal stürmisch auf den Mund. Diesmal erwiderte ich den Kuss sofort, schloss meine Augen und genoss den Augenblick. Doch dieser war leider viel zu schnell zu Ende.

Olivia unterbrach plötzlich den Kuss und wich erschrocken einige Schritte zurück, den Blick erneut auf den Boden gerichtet.

„Livi?“, fragte ich unsicher.

„Kian bringt mich um.“, murmelte sie und ich hörte die Angst aus ihrer Stimme heraus, „Ich darf das nicht. Mehr wie Freundschaft hat er mir nicht erlaubt.“

Ich hielt ihr meine Hand hin. „Komm, wir reden mit Kian. Ich bin sicher, er wird es verstehen.“ Ohne eine Antwort abzuwarten griff ich nach Olivias Arm und zog sie vorsichtig in eine Umarmung, bevor wir und Händchen haltend auf den Weg zu meiner Wohnung machten. Ich hatte mich entschieden. Ich würde Kian verzeihen. Vielleicht nicht sofort, aber sicher in ein paar Tagen oder Wochen. Immerhin war er noch immer mein bester Freund. Und außerdem wusste ich, wie sehr er darunter gelitten hatte, mich die ganze Zeit belügen zu müssen. Wäre ich an seiner Stelle, hätte ich bestimmt nicht anders gehandelt.

Vor meiner Wohnungstür stoppten wir. Gerade wollte ich nach meinem Schlüssel suchen, als sie von innen geöffnet wurde. Kian sah mich kurz an, bevor er wieder auf den Boden starrte. Trotz dass wir nur wenige Sekunden Blickkontakt hatten, fiel mir sofort sein verheultes Gesicht auf. Er musste die ganze Zeit geweint haben, während ich durch die Stadt geirrt war, Olivia getroffen hatte und...

Wir traten ein, immer noch die Hand des jeweils anderen haltend. Kian schien das aufzufallen. Abwartend mit einem leicht wütenden Gesichtsausdruck sah er seine Cousine an. Als Olivia vor ihm zurückwich, funkelten seine Augen plötzlich vor Zorn. „Ich habe es dir verboten!“, schrie er und verpasste ihr eine Ohrfeige.

Olivia wich noch weiter zurück. Tränen bildeten sich in ihren Augen. „Kian, ich...“

Er holte erneut zum Schlag aus. Sofort packte ich Olivia und zog sie hinter mich, bevor ich Kian wütend ansah. „Kian, hör auf! Was soll das? Wieso bist du auf einmal so wütend? Was hat Livi dir getan?“

Mein bester Freund, jedenfalls betrachtete ich Kian noch als diesen, starrte mich einen Augenblick leicht erschrocken an, bevor er sich mit immer noch erhobener Hand wieder an seine Cousine wandte. „Du weißt, ich will nicht, dass du mit Alec-“

Ich holte aus, instinktiv, und schlug Kian mitten in das Gesicht, woraufhin er einige Schritte zurückstolperte. „Jetzt reiß dich endlich zusammen!“, schrie ich wütend über sein kindisches und egoistisches Verhalten, „Weder Olivia noch ich sind nicht dein Eigentum! Es geht nicht immer alles nur nach deinem Kopf. Wir haben auch Gefühle! Kapier das endlich! Wenn es nicht in deinen Kopf hinein geht, dann verschwinde und komm so lange nicht zurück, bis du es verstanden hast!“

Stille. Kian sah mich ausdruckslos an, bevor er sich die inzwischen aufgekommenen Tränen aus dem Gesicht wischte, mich und Olivia zur Seite stieß und aus der Wohnung stürmte. Hinter ihm fiel die Tür ins Schloss.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  chrono87
2010-07-13T21:02:29+00:00 13.07.2010 23:02
okay, jetzt verstehe ich, was kian gemeint hat.
es muss ihm unwahrscheinlich schwer gefallen sein seinem freund das alles zu erzählen. und obwohl er damit gerechnet hat, dass alec ihn hassen könnte, hat er es ihm erzählt.
ich kann sowohl ihn als auch alec verstehen. es muss nicht leicht sein die wahrheit zu erfahren und dann auch noch zu entscheiden, ob er ihm verzeihen kann oder nicht. das beste in dieser situation war einfach zu gehen und darüber nachzudenken.

eigentlich habe ich ja vermutet, dass es alec ist, der livi erzählt, dass er sie liebt und nicht anders rum, aber ich finde es gut, dass er ihr nicht das herz bringt und ihr ebenfalls sagt, dass er sie liebt, auch wenn er etwas länger gebraucght hat, um festzustellen, dass es liebe ist.
kians reaktion ist unglaublich. ich hab eigentlich gedacht, dass er sehr an seine cousine hängt und dann schlägt er sie einfach. allerdings finde ich auch, dass alec zu hart reagiert hat..
ich bin gespannt, ob sie sich wieder vertragen.
lg chrono87


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