Sakuras Bericht
Lord Yamagishi ging schweigend neben seinem Gast. Dieser unüberlegte Toshi Makamoto hatte seine wohl einstudierte Empfangsrede gestört und überdies offenbar Lord Sesshoumaru verärgert. Der war sofort bei der Heilerin gewesen. Natürlich würde der jemanden selbst zur Rechenschaft ziehen wollen, der anscheinend einen Fehler gemacht hatte, und zum Haushalt seines Vaters gehörte. Einen anderen Grund konnte er ausschließen. Die Furcht, ja Todesangst der jungen Heilerin war unverkennbar gewesen. Jetzt sollte er sich wieder auf seine Pflichten als Gastgeber besinnen:
„Ich bin erfreut, dass Ihr mich besuchen kommt. Ich habe mir erlaubt, ein kleines Programm für Euch ausarbeiten zu lassen, da Ihr gewiss die Gegend kennen lernen wollt. Leider ist die Wirtschaftslage hier ein wenig angespannt, aber das werdet Ihr wissen.“ Es wäre gedankenlos gewesen, dem Sohn des Herrn der Hunde Unkenntnis auch nur anzudeuten, gleich, ob er es wusste oder nicht. „Diese Pest hat vor zwei Jahren vielen Menschen das Leben gekostet und das merkt man nach wie vor an den Steuereinnahmen.“
„Sie zahlen Euch Steuern.“ Sesshoumaru bemühte sich seinen Groll zu unterdrücken. Die Sache mit Sakura war verdrießlich genug, aber so, wie dieser Idiot von Yamagishi mit ihm sprach, konnte kein Zweifel daran bestehen, dass der sich für ranggleich hielt.
„Mir und den menschlichen Fürsten, ja. Wenn ich Euch hier entlang in mein Arbeitszimmer bitten darf. - Ja, sie zahlen Abgaben. Aber natürlich leider nicht mehr in der Höhe wie vor der großen Epidemie. Trotz aller Bemühungen der Heiler und der Tatsache, dass das Tal der Tausend Kräuter hier in der Nähe liegt…Nun gut. Ich habe Menschen aus dem Süden kommen lassen und ihnen finanzielle Hilfen angeboten.“
„Ihr zahlt für Menschen?“
Yamagishi hatte die Spur Verächtlichkeit in der Stimme des Hundeprinzen gehört: „Selbstverständlich gegen Zinsen. Auch, wenn im Augenblick leider nicht mehr als drei Prozent möglich sind. Wie schon erwähnt, ist die Gegend verarmt.“ Selbst dieser Junge sollte wissen, wie man die Wirtschaft ankurbeln konnte. Immerhin war er der Erbprinz. Wenn er dies nicht wusste, nur in kriegerischen Dingen Talent hatte, oder nicht einmal da…Hm. Aber er ließ sich nichts von seinen Gedanken anmerken: „Bitte, nehmt Platz. Wie ich zuvor bereits erwähnte, habe ich ein kleines Programm für Euch ausgearbeitet. Wie wäre es mit einem kleinen Übungskampf zum Auflockern morgen früh, ehe wir einen Ausflug durch die Gegend machen? Das Tal der Tausend Kräuter sollten wir allerdings auslassen. Für Hundedämonen sind die Gerüche dort zu intensiv, als dass man es betreten könnte. Für heute Abend hätte ich einen Empfang für meinen Ehrengast vorbereiten lassen.“
„Einen Übungskampf.“ Yamagishi schien es wirklich ernst zu meinen und ihn herausfordern zu wollen. Hatte Vater doch Recht und dieser Rafu hatte etwas über seinen Herrn herausgefunden? In jedem Fall wäre es gut, diesem Idioten endlich zu zeigen, wo sein Platz war. Und diesmal war er der Gast: „Dies würde mich freuen.“ Diese Aussage war nicht der Höflichkeit geschuldet.
„Gut. Dann morgen gleich bei Sonnenaufgang. – Oh, Aiko. Komm nur. Lord Sesshoumaru, ich darf Euch meine einzige Tochter Aiko vorstellen.“
Die Prinzessin verneigte sich höflich vor dem Gast, der sie ein wenig irritiert betrachtete. Was war das denn für eine Hundedämonin? Er hatte noch nie eine gesehen, die die Ohren oben auf dem Kopf trug. Dann jedoch begriff er, dass Aiko ein Halbblut war. Yamagishi sank noch mehr in seiner Achtung. Ein Dämon, noch dazu ein Hundedämon, der sich mit Menschen gemein machte und auch noch Nachwuchs zeugte! Das war einfach schändlich. Aber nun gut, das war nicht sein Problem und würde es auch sicher nie werden: „Prinzessin Aiko…“ sagte er daher nur formell, dabei missachtend, dass die schwarzen Augen des Mädchens ihn bewundernd ansahen.
Aiko zog sich, wie es üblich war, auch rasch wieder dezent zurück. Ihr blieb die Hoffnung, abends beim Empfang den gut aussehenden Gast erneut zu treffen.
Sakura wartete alles andere als ruhig in dem zugewiesenen Zimmer. Sie wusste, dass der Burgvogt einen Dämonenkrieger vor der Tür postiert hatte, mehr aus Höflichkeit gegenüber dem hohen Gast als aus Sorge sie könnte vor ihrer Bestrafung fliehen. Jedem Menschen war klar, dass es vor einem Hundedämon, zumal dem Prinzen, kein Entkommen gab.
Sie überlegte verzweifelt und versuchte sich an alle Gespräche zu erinnern. Er würde gewiss einen Bericht wollen und alles, was sie aufgeschrieben hatte, lag in Akinas Zimmer. Es war unmöglich, dass sie daran kam. Sie könnte höchstens Lord Sesshoumaru bitten die Notizen holen zu dürfen, aber da er sowieso kaum gut auf sie zu sprechen war, wäre ein Eingeständnis der eigenen Unfähigkeit sicher nicht gerade lebensverlängernd.
Ihr war nur zu klar, dass geleistete Dienste bei ihm keinerlei Garantie boten ungestraft Fehler zu begehen.
Wer von all den hoffnungsvollen Kandidaten mochte Rafu geholfen haben vom Balkon zu stürzen?
Herr Tsuka, um als Sekretär seines Freundes Nishikawa wieder mit dem zusammen sein zu können?
Shige, aus Eifersucht wegen Akina?
Herr Makamoto, weil er herausgefunden hatte, dass Rafu seiner Tochter irgendwie schaden wollte?
Daigoku-sama, weil er sich an Akina herangemacht hatte und ihn Rafu zur Rede gestellt hatte?
Der Burgvogt, weil Rafu etwas gegen Lord Yamagishi in der Hand hatte?
Gar der Lord selbst?
Ein tragischer Unfall?
Oder war es doch Selbstmord gewesen?
Nein. Wie sagte Seine Lordschaft immer: das Wie sei wichtig, nicht das Motiv. Nur – wieso stürzte Rafu aus dem ersten Stock und das auch noch so unglücklich, dass er starb? Die Brüstung sah doch so hoch aus…
„Bitte, das ist wichtig…“ sagte in diesem Moment jemand vor der Tür: „Ich muss das Sakura bringen…“
„Akina!“ Sakura fuhr förmlich empor und öffnete die Tür.
Der Krieger davor zog sofort sein Schwert halb aus der Scheide und sie hob beide Hände: „Ich bitte um Verzeihung! - Akina! Ich dachte, du schläfst…“
„Habe ich auch. Aber dann kam Vater und sagte mir, dass dein...dein Prinz gekommen ist und dich bestrafen will…“ Das Mädchen war aufgeregt, geradezu hektisch: „Hier, deine Blätter. Du sollst sie doch dem Prinzen geben, nicht wahr? Ich habe sie gesucht…“ Sie hatte doch den einzigen Menschen nicht im Stich lassen wollen, der ihr helfen konnte. Und natürlich auch nicht den Sohn des Inu no Taishou, der den Tod ihres Verlobten überprüfen sollte.
„Ja, danke.“ Sakura atmete derart auf, als sie die Aufzeichnungen nahm, dass es selbst dem Dämonenkrieger nicht entging.
So meinte er: „Ich habe nichts gesehen, Menschen. Aber nun gehe.“ Dafür hatte er bei Akina etwas gut – und würde vielleicht eine zufällige Begegnung mit Prinzessin Aiko erhalten können. Aiko war zwar ein Halbdämon, aber die einzige Tochter des Lords. Und mochte auch der Inu no Taishou das Recht haben, über dessen Nachfolger zu entscheiden, so wäre der Ehemann der Tochter gewiss ein Kandidat. Überdies war Aiko einfach entzückend anzusehen und sehr charmant.
„Danke“, beteuerten beide Menschenmädchen wie aus einem Mund.
Sakura ergänzte: „Ich danke dir, Akina. Du hast mir wahrscheinlich das Leben gerettet.“
Sowohl dem Krieger als auch der jungen Dienerin war klar, dass es sich bei dieser Danksagung um keine Floskel handelte.
„Es ist ja meine Schuld“, erklärte Akina wieder fast schüchtern, ehe sie sich beeilte, zurück in ihr Zimmer zu gelangen. Ihr Vater würde sie womöglich schon suchen. Zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage hatte sie gegen seine strenge Erziehung verstoßen und war impulsiv losgerannt.
Sakura ließ sich wieder auf ihrem Platz nieder. Ihre Hand zitterte, als sie die Papiere neben sich legte. Sie konnte nur allen Göttern dafür danken, Akina diese Idee eingegeben zu haben.
Sie hörte die Bewegung des Kriegers draußen und neigte sich vor um die Stirn auf die Bretter zu legen, noch ehe dieser die Tür für den hohen Gast öffnete.
„Du kannst gehen“, sagte Sesshoumaru kühl zu dem Dämon.
Dieser verneigte sich nur und schloss die Tür. Umso besser. Er legte keinen Wert darauf zuzuhören wie ein Mensch bestraft wurde. Das tat immer so in seinen Ohren weh.
Der Hundeprinz trat an das Fenster und blickte durch das Gitter hinaus, ohne dass es Sakura wagte sich zu bewegen oder gar aufzurichten. Sie hatte ihn schon verärgert.
„Bist du aufgefallen?“ kam prompt als erste, eisige Frage
Sie wäre am liebsten im Boden vor sich versunken. Das klang alles andere als freundlich, selbst für seine Verhältnisse: „Nein, Lord Sesshoumaru.“
„Diese Szene im Hof?“ Das wurde schon etwas sachlicher gefragt.
„Akinas Vater, Herr Toshi Makamoto, ist sehr…gefühlsbetont. Er drohte mir seit unserer ersten Begegnung.“ Mit dem Mut der Verzweiflung ergänzte sie höflich: „Darf ich Euch Bericht erstatten?“
Er ignorierte dies: „Wer war der andere?“
„Herr Tsuka, der Grundherr des Tales der Tausend Kräuter.“
„Du hast die Unterhaltungen aufgeschrieben.“ Er hatte die Papiere liegen sehen.
„Ja, Lord Sesshoumaru.“ Sie schluckte in jäher Todesangst. Was sollte die Frage? Wollte er sie umbringen, da sie ja alles aufgeschrieben hatte?
Tatsächlich ein wenig irritiert nahm er ihre Panik wahr, ehe er begriff, dass sie mit einer harten Strafe wegen des Auftritts im Hof rechnete. Wie schon eh und je schätzte er das an ihr: sachliche Arbeit und Anerkennung eines Fehlers ohne dieses jämmerliche Flehen um Gnade: „Richte dich auf und erstatte Bericht.“ Danach würde er weitersehen, ob und welche Bestrafung sie verdient hatte.
„Danke, Lord Sesshoumaru.“ Sie gehorchte erleichtert. Er tötete immer unverzüglich. Sicher mochte noch eine Strafe kommen, aber sie würde am Leben bleiben, da er nie eine Entscheidung änderte. So nahm sie die Papiere zur Hand: „Wünscht Ihr alles von Anfang an? Auch den Empfang durch Lord Yamagishi?“
„Ja.“ Vielleicht hatte der einen Fehler gemacht, wenn er nur mit einem Menschen geredet hatte. Er konnte den Kerl nicht ausstehen und würde mit Wonne dafür sorgen, dass dieser den Weg ins Jenseits fand. Allein die Aussicht auf diesen schieren Übungskampf war schon mehr als willkommen.
Sakura begann zu lesen, um am Ende ihren Bericht noch um das Gespräch mit Shige und dem etwas schwatzhaften Herrn Tsuka aus dem Gedächnis zu ergänzen.
Sesshoumaru hörte ihr schweigend zu, noch immer zum Fenster hinausblickend. Als sie geendet hatte, ließ sie die Papiere zu Boden gleiten und wagte es, seinen Hinterkopf anzusehen. Da keine Reaktion kam, wartete sie. Seltsamerweise bemerkte sie in diesem Moment wieder einmal, wie seidig schimmernd sein Haar war, wie lang. Wie weich es fiel….Ob es sich auch so anfühlen würde, wenn man es bürstete oder gar flocht? Sie schüttelte sich selbst den Kopf. Das wäre mit Sicherheit eine der schnellstmöglichen Selbstmordvarianten.
„Asthma?“
„Eine Krankheit des Atems, Lord Sesshoumaru, die Kinder betrifft. Sie bekommen wenig Luft und müssen schon bei kleinen Anstrengungen nach ihr ringen. Im Frühling ist es meist besonders schlimm. Asthma verwächst sich oft, aber bleibt manchen auch erhalten, wenn sie erwachsen werden.“
„Kann sie vererbt werden?“
„Soweit ich weiß, nein, Lord Sesshoumaru.“
„Gibt es eine andere Erkrankung als die Pest, die diese hellen Blasen auf roter Haut hervorrufen kann?“
„Ich kenne keine Krankheit, die eine solche Epidemie hervorrufen könnte, Lord Sesshoumaru. Aber ich bin noch in der Ausbildung. Das Einzige…“ Sie brach ab. Er schätzte es in der Regel nicht Vermutungen zu hören.
„Nun?“
„Ein solches Bild kommt manchmal bei Menschen vor, die an bestimmte, giftige Pflanzen gerieten. Aber dies sind dann Einzelfälle, keine Epidemie.“
„Sind diese Pflanzen für Menschen tödlich?“
„In der Regel nein. Allerdings gibt es einige, deren Gift tödlich wirkt, wenn es durch eine Verletzung in die Haut gelangt oder die betreffende Person geschwächt ist, sei es durch Kindheit oder Alter oder Vorerkrankungen.“
Einige Minuten herrschte Schweigen, in denen sie überlegte an was er dachte. Die Frage mit dem Asthma schien ihr klar: würde sich Asthma vererben, wären wohl auch Akinas Kinder davon betroffen worden. Ein Mordgrund für Herrn Makamoto? Diese Pest…ja, das klang in der Tat eigen. Doch wie und warum?
Der Dämonenprinz blickte noch immer aus dem Fenster: „Hast du Lord Yamagishi Bericht erstattet?“
„Nein, Lord Sesshoumaru.“ Ihr Erstaunen lag in ihrer Stimme. Wie hätte sie es wagen können ihm vorzugreifen?
„Du hast in Tsukas Zimmer gesehen.“
„Ja…“
„War etwas an der Einrichtung ungewöhnlich?“
Sie überlegte eilig: „Er saß auf seiner Matte und schien zu meditieren, als ich ihn störte. Rechts hinter ihm befand sich eine gewöhnliche Truhe, die geöffnet war. Stoffe lagen darin, also wohl seine Kleidung. Ansonsten konnte ich nur den Holzklotz erkennen, auf dem er beim Schlafen den Kopf bettet und eben die Tatamimatte.“
„Kein Koffer, wie ihn Heiler verwenden?“
„Nein, Lord Sesshoumaru.“ Worauf wollte er nur hinaus?
„Geh und sieh dir im Hinblick darauf das private Zimmer von Mondo Nishikawa, Kanzleileiter Tashima und Burgvogt Masaki an, sowie die Räume von diesem Makamoto. Und die Räume und den Garten des Heilers.“
„Ich…ich bitte um Vergebung, Lord Sesshoumaru…“ Sie brachte den Widerspruch kaum heraus, sicher, gleich an der nächsten Wand zu landen.
Aber der Hundeprinz hielt sich an seinen Vorsatz kein Menschenmädchen zu schlagen, auch, wenn er sich umdrehte: „Was ist?“
Immerhin gab er ihr eine Chance zur Erklärung, auch, wenn das natürlich bedeutete, dass sie ihn auf einen Fehler aufmerksam machte. So formulierte sie äußerst behutsam: „Ich stehe unter Arrest, Lord Sesshoumaru. Jeder Krieger im Schloss würde mich aufhalten.“
Das entsprach den Tatsachen. Natürlich. Diese Idioten würden annehmen, sie sei ihm davongelaufen. Als ob ihm jemand entkommen könnte. Es war zwar verdrießlich, aber er würde das wohl diesmal selbst machen müssen. Hoffentlich würde Yamagishi den Übungskampf länger als einige Minuten durchhalten, damit dieser Besuch wenigstens ein wenig Vergnügen bereitete: „Komm.“
Sakura atmete auf. Sie schien nützlich genug gewesen zu sein.
Und dann schluckte sie, als sie eine weitere Anweisung erhielt.
***
Seine Lordschaft darf sich einmal selbst auf die hochwohlgeborenen Pfoten machen. Im nächsten Kapitel haben Burgvogt Masaki und Daigoku-sama das zweifelhafte Vergnügen dieser Bekanntschaft.
bye
hotep