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Spiegelverkehrt

Liebes Tagebuch, ...
von

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Liebes Tagebuch

Diese Geschichte basiert auf einer ehemaligen J-Rock Geschichte von mir und wurde komplett umgeschrieben. Ich freue mich wie immer über Feedback :)

Viel Spaß beim Lesen!

Ur

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Liebes Tagebuch,

Heute habe ich den neuen Gitarristen unserer Band kennen gelernt. Ich habe ihn anfangs für ein Mädchen gehalten. Er sieht wirklich kein Stück aus wie ein Mann. Ich fand ihn – oder besser gesagt sie – ziemlich scharf, also hab ich mich neben sie gestellt und gefragt, ob sie am Abend etwas vorhätte. Als sie anfing zu lachen, hab ich gestutzt.

»Nein, habe ich nicht«, hat sie gesagt und nach meiner Hand gegriffen. Ich war ziemlich verwirrt und wusste nicht, was genau das nun werden sollte. Bis sie – oder besser er – meine Hand vollkommen ungeniert in seinen Schritt gedrückt hat. Einen winzigen Moment lang dachte ich, dass SIE es wohl ziemlich nötig haben muss. Bis mir aufgefallen ist, dass sie definitiv kein Mädchen ist.

»Immer noch interessiert?«, hat er geschnurrt und sich über meinen hochroten Kopf halb totgelacht.

Aber das schlimmste daran war, dass ich SEINE Frage eigentlich mit ‚Ja’ hätte beantworten können.
 

Leon las den Eintrag durch und schüttelte den Kopf. Damals. Das fühlte sich an, als wäre es schon so lang her … Der blonde Bassist von Limelight saß in seinem Zimmer, hatte die Füße auf den Schreibtisch gelegt und las sich alte Tagebucheinträge durch. Hin und wieder verzog er dabei das Gesicht, als könnte er nicht ganz glauben, dies wirklich geschrieben zu haben.
 

…eigentlich könnte er sich das Wort ‚Homo’ auf die Stirn tätowieren lassen. Er geht damit so offen hausieren, dass ich mich ab und an frage, ob er das nur macht, um andere zu provozieren. Wir sind nun seit einigen Monaten gemeinsam am Proben. Der Vollidiot scheint es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, mir auf den Sack zu gehen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich Nicci verzeihen kann, dass sie ihn mitgebracht hat. Aber sie hat mir erzählt, dass sie ihn über ihren großen Bruder kennt und die beiden manchmal zusammen spielen. Sie war so begeistert von Felix, dass sie ihn gleich gefragt hat und wie es der Zufall so wollte – und der Zufall scheint mich nicht sonderlich zu mögen – hat er schon länger nach einer Band gesucht. Da Kevin ja jetzt bald nach München geht…
 

Das waren noch Zeiten gewesen. Allerdings war sein wahres Unglück erst mit dem Studium gekommen. Und mit Christian.

Christian war wie Felix. Offenkundig schwul, nahm niemals ein Blatt vor den Mund und machte auch keinen Hehl daraus, wenn ihm Jemand gefiel. Und Christian und Felix gefielen sich offensichtlich außerordentlich. Vom ersten Moment an, da Leon gesehen hatte, wie Felix und Christian sich angeschaut hatten, hatte er Chris gehasst. Wie die Pest. Und noch ein wenig mehr. Er war sich nicht einmal genau sicher, wieso es ihn so wurmte, dass die beiden sich öffentlich besabberten. Immerhin war Felix ein freier Mensch und konnte begaffen wen immer er wollte, wenn er in seinen Chemie- Vorlesungen saß.
 

Ich hasse es, wie er dich ansieht. Ich hasse es, wenn er Späße über dich macht, als würdest du mit jedem in die Kiste springen. Und am allermeisten hasse ich es, dass du darauf anspringst, mit ihm flirtest, dir sogar manchmal begehrlich über die Lippen leckst, wenn er dir zu nahe kommt. Warum hast du mich noch nie so angesehen? Ich…
 

Leon knallte das Tagebuch zu und pfefferte es auf den nächstbesten Sessel. Allein die Tatsache, dass er so etwas schrieb, war peinlich genug. Man merkte deutlich, wie die Einträge sich gewandelt hatten. Am Anfang war es eher ein nüchterner Tatsachenbericht gewesen. Er konnte sich nicht einmal mehr erinnern, wieso er überhaupt in der zehnten Klasse angefangen hatte, Tagebuch zu schreiben… Und dann, ganz langsam, hatte er nach und nach nur noch über Felix geschrieben, nachdem dieser ihrer Band am Ende der zwölften Klasse beigetreten war. Die Einträge waren schon länger nicht mehr an irgendjemanden adressiert. Es hieß nicht mehr ‚Liebes Tagebuch’. Es war alles nur an Felix gerichtet. Als würde der Gitarrist es jemals lesen, was Leon sich da zusammen geschrieben hatte.

Leon war überzeugt heterosexuell. Doch seit er Felix kannte, war er nicht mehr derselbe. Zwar interessierte er sich immer noch nicht für andere Männer. Doch immerhin war Felix auch ein Mann und für den Brünetten interessierte er sich mehr als deutlich. Auch wenn er es sich nur ungern eingestand.
 

Leon fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. Er kannte sich nicht mehr. Er wusste nicht, seit wann in ihm all diese lächerlichen Emotionen steckten, die er absolut unpassend und unnötig fand. Was war das? Was sollte das? Zuneigung? Eifersucht? Besitzansprüche? Seit wann fühlte er so etwas?

In der Oberstufe war er berüchtigt gewesen, dass ihm die Mädchen nachliefen und sich um ein Grinsen oder ein Zwinkern von ihm rissen. Er hatte mit den meisten, die ihm gefallen hatten, schon etwas gehabt, auf Parties, oder auch einfach zwischendurch. Doch jetzt starrte er nur noch auf den dunkelhaarigen Chemiestudenten, der mit ihm zu allem Übel auch noch in einer Band spielte.
 

All diese Gefühlsduselei wäre ja auch nur halb so schlimm gewesen, wenn sie sich auf eine Frau gerichtet hätten. Aber nein. Egal, wie man es drehte und wendete, egal wie weiblich Felix aussehen mochte: Felix war ein Mann. Der erste Mann, den Leon begehrte. Und es würde wohl auch der letzte sein.

Langsam stand er auf und ging hinüber zu dem Sessel, in dem das Tagebuch lag. Langsam hob er es auf, blätterte zurück und ließ sich erneut auf die Couch sinken.
 

Du bist anders. Ich habe versucht, dir so gut es ging aus dem Weg zu gehen, dich zu meiden, seit wir uns in der Zwölften kennen gelernt haben. Das ist nun fast 2 Jahre her. Aber jetzt, wo wir auch noch zusammen auf einer Uni gelandet sind, kann ich dir kaum noch ausweichen. Ich habe das Gefühl, du suchst meine Nähe. Aber ich kann deine Nähe nicht ertragen. Ich will mich zu keinem Mann der Welt hingezogen fühlen, egal wie weiblich er aussieht…
 

Leon schnaubte bei dem Gedanken an die Zeit, in der er Felix mit größter Ablehnung behandelt hatte. Es war von vornherein klar gewesen, dass dies nicht lange funktionieren würde, wenn sie in einer Band spielten. Aber er hatte es einfach nicht wahr haben wollen. Und natürlich war das Unvermeidliche passiert… Es hatte diesen Krach gegeben. Nachdem…

Er blätterte einige Seiten weiter vor.
 

Heute war ich das erste Mal mit dir allein. Nicht, dass ich es gewollt hätte. Aber die Anderen haben uns nun einmal dazu verdonnert, im Proberaum aufzuräumen. Es sah auch schon ganz schön beschissen aus und Nicci hasst Unordnung.

Eine halbe Stunde lang hab ich es geschafft, eisern zu schweigen. Und dann… musste ich mir ja auch den Gott verdammten Kopf stoßen.

»Alles ok?«, hast du gefragt und bist zu mir gekommen. Ich wollte nicht, dass du mich anfasst, ich wollte nicht, dass du in meine Nähe kommst. Aber du hast dich neben mich gehockt und mit den Fingerspitzen meine Stirn berührt.

Nichts auf der Welt hätte mich darauf vorbereiten können, wie es sich anfühlt, von deinen Fingerspitzen auf nackter Haut berührt zu werden. Der sentimentale Scheiß, den ich mir hier zusammen schreibe, zeigt jawohl mehr als deutlich, dass mein Gehirn immer noch vernebelt ist. Und das nur, weil du meine Stirn berührt hast. Dabei bin ich ganz Anderes gewohnt!
 

Das war der Anfang vom Ende gewesen. Stundenlang hatten sie im Proberaum gesessen und sich unterhalten. Felix’ Lachen war angenehm gewesen, genau wie seine Stimme und seine natürliche und offene Art. Diese Art hatte ihn vollkommen entwaffnet. Es hatte alles für ihn noch schwerer gemacht, denn eigentlich hatte er Felix nicht mögen wollen. Das hatte der Gitarrist auch bemerkt… denn zwei Tage später… Er blätterte eine Seite weiter und las:
 

Scheiße. SCHEIßE! Verpiss dich endlich aus meinem Leben, hörst du? Ich will nichts mit dir zu tun haben, du Gott verdammte Schwuchtel! Ich bin nicht schwul! Ich stehe auf Weiber und nicht auf Schwänze. Scheiße! Wieso musst du mich trotzdem so aus der Fassung bringen? Warum kannst du mich nicht in Ruhe lassen? Und warum um alles in der Welt musst du mich durchschauen, als wär mein Hirn aus Glas?

»Was hast du eigentlich für ein Problem mit mir?«, hast du mich angeschnauzt, als die Anderen schon weg waren. Deine Augen haben so wütend gefunkelt, ich dachte, du würdest mich gleich schlagen. Jeder Schlag wäre besser gewesen, als das, was du mir dann gesagt hast.

»Ich dachte echt, du wärst ok! Aber du bist einfach nur ein Feigling, der es nötig hat, vor Anderen den großen Macker raushängen zu lassen, oder? Kannst du dein Scheiß- Ego nicht mal für zwei Sekunden abstellen? Kannst du nicht mal der sein, der du wirklich bist?«
 

Und auf unerklärliche Weise hatten ihn diese Worte so sehr umgehauen, dass er beinahe fluchtartig den Raum verlassen hatte. Er erinnerte sich noch daran, dass es draußen geregnet hatte. Seine Gedanken waren in etwa so geordnet gewesen, wie sein Kleiderschrank. Und Nicci sagte immer, dass man in seinem Kleiderschrank schwerer etwas fand, als auf einer Müllkippe.

Wieso musste Felix ihm so deutlich unter die Nase reiben, dass er überhaupt nicht so selbstsicher war, wie er immer tat? Dass er verdammt viel Bestätigung brauchte und sich vor Anderen nicht so geben konnte und wollte, wie er nun einmal war? Eher unsicher. Im Umgang mit Menschen war er ein vollkommener Loser. Er war in etwa so sensibel wie ein riesiger Holzhammer und es war einfach nicht seine Art, vor anderen Leuten Schwäche zu zeigen. Aber im Gegensatz zu anderen Menschen, – vielleicht einmal abgesehen von Nicci, die ihn als beste Freundin einfach am besten kannte – die ihn einfach als aufgeblasenen Obermacker hinnahmen, musste Felix ihm ein rotes Leuchtschild auf die Stirn drücken, auf dem ‚Unterentwickeltes Ego’ stand.
 

Der einzige Kerl, bei dem ich so sein kann, wie ich bin, bist du, Scheiß-Schwuchtel!
 

Leon klappte das Tagebuch erneut zu, legte es auf seinen Schreibtisch und erhob sich ein weiteres Mal. Draußen war es windig und bewölkt. Es war Herbst. Sein erstes Tagebuch war voll. Lange Zeit hatte er mit niemandem über Felix geredet, nicht einmal mit seiner besten Freundin. Er hatte sich ja nicht einmal vor sich selbst eingestehen können, dass er Felix gegenüber nicht abgeneigt war. Er öffnete eine Schreibtischschublade und zog ein neues, eingebundenes Buch daraus hervor, griff nach einem Stift und ließ sich auf sein Bett sinken.
 

Es ist November. Ich kenne dich jetzt schon ziemlich lange und du bist mir immer noch ein Rätsel. Ich hab das Gefühl, bald zu platzen, wenn ich nicht mit jemandem über dich rede. Normalerweise bin ich mit meinen Problemen immer selbst fertig geworden, manchmal vielleicht mit Niccis Hilfe. Aber dieses Problem ist jetzt schon so lang anhaltend, dass ich mich frage, ob es wirklich noch irgendwann verschwindet.

ANMERKUNG: Ich werde gleich Nicci anrufen und fragen, ob ich vorbei fahren kann. Sie hat gesagt, dass ich immer zu ihr kommen kann, wenn irgendwas ist. Es ist zwar schon sau spät, aber das stört sie sicher nicht. Nicci ist nicht der Typ Mädchen, der dümmlich kichern würde… hoffe ich jedenfalls.
 

Er verstaute das Buch wieder im Schreibtisch, warf den Kugelschreiber unachtsam auf die Tischplatte und stapfte in den Flur des Hauses, das er mit seinen Eltern allein bewohnte. Beim Telefontisch angekommen, wählte er Niccis Handynummer und verschwand mit dem schnurlosen Telefon hastig in seinem Zimmer. Seine Eltern schliefen schon und wären sicherlich nicht begeistert, wenn sie wüssten, dass ihr Sohn nachts um halb drei noch durch die Straßen irrte, um seiner besten Freundin davon zu erzählen, dass er sich zu einem Mann hingezogen fühlte.

Er würde ja sehen, ob es ihm weiterhalf, über all den Mist zu reden. Wenn er das überhaupt konnte.
 

»Ja?«

»Hey Nicci, hier ist Leon, kann ich vorbei kommen?«

Nicci klang ziemlich verschlafen und gleichzeitig alarmiert, so als würde sie eine Offenbarung erwarten, die sich um den Tod eines nahen Verwandten drehte.

»Ja sicher. Wann?«, nuschelte sie und gähnte herzhaft.

»Jetzt gleich…bitte«, sagte er und schob seine freie Hand in die Hosentasche.

»Ok. Bis gleich«, kam es gemurmelt vom anderen Ende und Leon hoffte, dass sie nicht wieder einschlief und ihn von selbst hereinließ. Die Vorstellung, dass ihr Vater die Tür öffnete, weil er nachts um halb drei geklingelt hatte, erschien ihm nicht sonderlich verlockend zu sein.

»Bis gleich!«
 

Ich werd dich schon aus meinem Kopf bekommen… Da kannst du Gift drauf nehmen, Arschloch!

Herzschmerz

So, da habe ich das nächste Kapitel umgeschrieben. Überarbeiten geht abends irgendwie ganz gut. Diesmal ist eine ganze Menge dazu gekommen, die Szene am Ende dürfte dann wieder einigen bekannt vorkommen ;)

Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen!

Danke für die lieben Kommentare, auch wenn ich im Moment keine Zeit habe, auf jedes persönlich zu antworten!

Liebe Grüße,

Ur

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»Das schleppst du seit zwei Jahren mit dir rum und erzählst es mir jetzt erst?«
 

Nicci trug einen übergroßen Pyjama, von dem Leon hätte schwören können, dass er irgendwann einmal ihrem großen Bruder Dennis gehört hatte. Vermutlich hatte der ihn ausgemistet, weil ein ziemlich peinliches Formel- 1 Muster darauf zu sehen war.

Leon grummelte leise, fuhr sich durch die Haare und verschränkte die Arme vor der Brust. Gerade hatte er seiner besten Freundin alles erzählt. Das meiste. Das Wichtigste, um genau zu sein. Sie sah wirklich sehr verschlafen aus, wie ein geplatztes Kissen. Ihre Haare standen in alle Richtungen und ihr Gesicht war ein wenig blass.

»Ich musste das erstmal… mit mir selber ausmachen, ok?«, knurrte er ein wenig ungehalten. Das letzte, was er jetzt noch gebrauchen konnte, waren Vorhaltungen. Nicci lächelte verschlafen und gähnte.
 

»Und wer ist jetzt noch mal dieser Christian… den du eigentlich ständig nur als Arschloch betitelst? Hab ich den schon mal gesehen?«, wollte sie wissen und rollte sich auf ihrem kleinen Bett ein. Leon saß auf einem blauen Gymnastikball. Nicci hatte kein besonders gutes Namensgedächtnis.

Niccis Zimmer war sehr klein und sehr vollgestopft. Fast jeder Zentimeter ihrer Tapete war tapeziert mit Bildern und Fotos von Musikinstrumenten, Alanis Morrisette, Hunden, Limelight und ihrer Familie. Leon fühlte sich immer ein wenig beobachtet unter all diesen Postern, Fotos und Bildern.

»Der geht in dieses eine Chemie- Seminar mit ihm. Du hast ihn sicher schon mal gesehen. Es ist dieser Gorilla mit den dunklen Haaren«, schnaubte Leon und beim Gedanken an Christian hätte er am liebsten gekotzt. Nicci schien nachzudenken. Ihre grün- braunen Augen blickten nachdenklich auf Leons Füße, die in schwarzen Socken steckten.
 

»Der, mit dem Felix letztens in der Mensa an uns vorbei-«, begann sie, doch Leon schnitt ihr hastig das Wort ab.

»Ja, genau der. Ich sag ja, ein elender Gorilla. Und diese Schramme am Kinn. Fühlt sich wohl cool damit…«, sagte er verächtlich, löste seine Arme aus der Verschränkung und wedelte verächtlich damit herum. Niccis Mundwinkel zuckten leicht.

»Wenn ich jetzt sage, dass er gar nicht schlecht aussah und dass ich von Felix weiß, dass er Kickboxen macht, dann kündigst du mir vermutlich die Freundschaft, was?«, fragte sie und gähnte erneut.

Leon überging das.

»Und wie der schon redet. Wie ein Elefant mit verstopftem Rüssel…«

Nicci begann zu kichern und zog die Knie noch ein wenig enger an ihren Oberkörper. Sie sah aus wie eine kleine, menschliche Kugel.
 

»Also fassen wir zusammen. Du stehst auf Felix und bist eifersüchtig-«
 

»Wer hat was von Eifersucht gesagt?«, motzte Leon ungehalten und Nicci legte hastig den Zeigefinger auf ihre Lippen, die von einem Piercing geziert wurden.

»Ich denke nur, dass dieser Christian ein arroganter Lackaffe ist, mit dem Felix sich nicht abgeben sollte«, fügte er ungehalten hinzu und hüpfte auf dem blauen Gymnastikball etwas ungeduldig auf und ab, leicht empört darüber, dass Nicci die Gründe für seine Christian- Abneigung nicht verstand.

Schließlich rutschte sie auf ihrem Bett ein Stück zur Seite und klopfte neben sich.

»Du kannst bei mir übernachten, wenn du willst«, sagte sie müde und lächelnd. Leon brummte, stand aber auf und begann sich aus seinen Klamotten zu pellen, ehe er schließlich das Licht ausschaltete und beinahe über sein eigenes Paar Schuhe stolperte. Nicci kicherte in der Dunkelheit. Dann fand er das Bett, legte sich neben sie und schnaubte noch leise, um seine Abneigung gegen Christian zu unterstreichen.

»Schlaf gut, oller Brummbär«, murmelte Nicci leise und legte ihren Kopf an seine Schulter. Einen Moment später war sie bereits wieder eingeschlafen.
 

Ich habe mir in etwa 20 Methoden ausgedacht, um Christian bestmöglich umzubringen. Ich kann mich noch nicht ganz entscheiden, welche ich am Ende nehmen sollte. Irgendetwas Qualvolles. Oder am besten alles auf einmal. Ich hasse ihn. Dich hasse ich übrigens auch, weil du immer auf seine Flirt- Versuche anspringst. Und mich hasse ich am allermeisten, weil es mich stört.
 

Er klappte sein Tagebuch zu und streckte sich kurz. Es war Mittag, er war wieder zu Hause und hatte erfolgreich ein morgendliches – und völlig unnötiges – Tutorium geschwänzt. Während das Tutorium statt gefunden hatte, hatte er in Niccis Bett gelegen und geschlafen. Gegen halb elf war er nach Hause gegangen. Er warf einen Blick auf die Uhr und machte sich wenig motiviert daran, seine Sachen zu packen. Heute Nachmittag war Bandprobe. Und sie wollten danach alle zusammen etwas trinken, vermutlich einfach im Proberaum. Leon blieb lieber nicht länger als nötig in dem uralten Jugendzentrum, dessen Kellerraum sie als Proberaum nutzen durften. Denn dort war auch Felix immer und Felix bedeutete nervige Gefühle. Und Leon konnte Gefühlsduseleien nun einmal nicht ausstehen.
 

Während Leon seinen Bass in der dafür vorgesehen Tasche verstaute und sich die Tasche über die Schulter warf, dachte er darüber nach, wie wenig erfolgreich seine bisherigen Versuche gewesen waren, sich von Felix abzulenken. Es war genauso, wie er gedacht hatte: Er war Frauen ganz und gar nicht abgeneigt. Er war stock hetero. Bei den vielen Partnerinnen, die er auf jeder Party wechselte, konnte es einfach nicht anders sein. Und trotzdem…
 

Da war immer noch Felix. Felix, der nicht verschwinden wollte. Leon musste zugeben, dass es ihm irgendwie geholfen hatte, mit Nicci darüber zu reden. Es war schwer gewesen. Und absolut nicht seine Art. Aber Nicci war genau die richtige Ansprechpartnerin für so etwas. Nicci war ziemlich besonnen, ehrlich, aufmerksam… und einfühlsam. Etwas, das Leon überhaupt nicht war. Er hatte es auch nicht über sich gebracht, Nicci dafür zu danken, dass sie für ihn da war und seine Launen immer wieder ertrug und dass sie ihm nachts um halb drei die Tür öffnete, um sich seine beknackten Sorgen anzuhören, ehe sie ihm schließlich sogar für die Nacht Asyl gewährte, damit er nicht zu Fuß wieder nach Hause laufen musste. Nicci erwartete glücklicherweise keinen Dank von ihm. Dafür kannte sie Leon viel zu gut.
 

Es dauerte zwanzig Minuten, bis er das Jugendzentrum endlich zu Fuß erreicht hatte. Als armer Student – und er kannte keinen Student, der nicht über finanzielle Mängel klagte – konnte er sich kein Auto leisten obwohl er einen Führerschein hatte. Er hatte es nicht so gut wie Nicci oder Lara, die beide nur wenige Minuten vom Jugendzentrum entfernt wohnten und sein Vater brauchte das Familienauto meistens, um zur Arbeit zu fahren.

Er ging nach unten in ihren Proberaum. Als er die Tür öffnete, fiel sein Blick auf etwas, was seine Laune nicht wirklich heben konnte. Lara und ihr Freund – Timo, den Lara manchmal zu den Proben mitbrachte – eng umschlungen und knutschend, während Nicci und Felix auf dem Sofa hockten und sich diskret über ihr neues Lied unterhielten.
 

Das war auch so etwas, was Leon nicht verknusen konnte. Dass diese beiden vor ihm herum knutschten, während Felix anwesend war. Das brachte ihn nämlich jedes Mal auf die Palme und gleichzeitig in Verlegenheit, weil er automatisch daran denken musste, wie sich ein Kuss von Felix wohl anfühlen mochte. Und genau so war es nun auch wieder.

Felix demonstrierte ihm seine Sexualität wenigstens nicht so… praktisch! Und das war auch gut so. Denn sonst würde Leon sicher Amok laufen und mindestens Christian und dann sich selbst erdrosseln.

»Sucht euch ’n Zimmer«, schnauzte er zur Begrüßung und die beiden lösten sich schmunzelnd voneinander.

»Hey, Leo«, sagte Lara feixend, löste sich aber tatsächlich von Timo und fuhr sich kurz durch die hüftlangen, platinblonden Haare.

Nicci schenkte ihm ein Lächeln, das er nicht wirklich erwidern konnte. Er ruckte nur kurz mit dem Kopf, was gleichbedeutend mit ‚Hallo’ sein sollte und nahm die Basstasche von seinem Rücken.
 

»Fangen wir an oder was?«, murrte er.

»Bist du mit dem Arsch zuerst aufgestanden?«, entgegnete Felix, erhob sich geschmeidig wie eine Katze und sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. Leon brummte nur etwas Unverständliches und wandte sich ab.

Er konnte es nicht leiden, wenn Felix ihn anmotzte. Am besten sollte Felix überhaupt nicht mehr mit ihm sprechen, das würde vielleicht Vieles leichter machen. Dann konnte er damit fortfahren, den anderen – mehr oder eher minder erfolgreich – zu ignorieren.

Sie probten. Und Leon hatte wenigstens während der Probe die Gelegenheit, Felix aus seinen Gedanken zu verbannen, denn wenn er Musik machte, war er meist hochkonzentriert und hatte in seinem Kopf keinen Platz für hübsche brünette Gitarristen.

Sie probten ganze zwei Stunden. Zwei wunderbare Stunden, in denen die Musik um ihn herum so laut dröhnte, dass er seine eigenen Gedanken über Felix ohnehin kaum hören konnte. Es gab nichts Besseres, als eine ausgiebige Probe… Abgesehen natürlich von der Zeit ganz ohne Felix.
 

»Timo und ich gehen Alkohol einkaufen«, meinte Lara gut gelaunt, nachdem sie alle ihre Instrumente weggepackt und Ordnung gemacht hatten. Leon hob eine Braue.

»Und wie lange sollen wir warten, bis ihr wieder kommt?«, fragte er. Lara lachte spitzbübisch, als ihr bewusst wurde, worauf Leon anspielte. Felix boxte Leon gegen die Schulter.

»Lass deine sexuellen Frustrationen nicht an Anderen aus«, tadelte er ihn. Leon blinzelte.

»Me…meine…meine was? Hör mal, ich bin nicht sexuell frustriert! Erst vorgestern…«

»Ich glaube nicht, dass wir irgendetwas über dein ausschweifendes Sexleben wissen wollen, danke«, unterbrach Felix ihn kühl und wandte sich ab. Nicci zuckte mit den Schultern, als wolle sie sagen ‚Mach dir nichts daraus’. Aber Leon machte sich etwas daraus. Meistens machte er sich aus allem etwas, das Felix zu ihm sagte. Ein freundliches ‚Hallo’ konnte seinen Tag retten, ein entnervtes Augenverdrehen konnte seine Laune ruinieren. Es war zum Kotzen.

Leon grummelte vor sich hin, während Felix bei Lara und Timo seine Extrawünsche angab, die er bezüglich des Alkohols hatte.

Tatsächlich dauerte es gar nicht so lange, bis die beiden Turteltäubchen aus dem Supermarkt wiederkamen. Leon sagte nichts zu dem neuen Knutschfleck an Timos Hals, da er nicht unbedingt noch einen Rüffel von Felix ernten wollte.
 

Sie setzten sich auf den Boden, Lara verteilte Pappbecher und sie nahmen sich den Alkohol, den sie wollten. Dass es erst fünf Uhr war, störte sie dabei herzlich wenig. Als Student durfte man den ganzen Tag trinken, ohne dass es irgendwie als unmöglich rüberkam. Das war einer der Aspekte, die Leon besonders am Studentensein schätzte. Wenn er wirklich sehr mies drauf war, – wegen Felix natürlich – dann konnte er sich die Birne wegschießen und niemand würde das seltsam finden, weil ständig irgendwo ein betrunkener Student herumrannte. Leon saß neben Felix und jedes Mal, wenn sich ihre Schultern oder ihre Knie berührten – sie saßen beide im Schneidersitz – dann hatte er das dringende Bedürfnis nach einem Vollrausch und ließ sich von Nicci Bier nachreichen.
 

Anderthalb Stunden später waren sie alle gut angetrunken und es hätte ein wirklich lustiger Abend werden können. Wenn da nicht… ja…wenn nicht die Tür aufgesprungen wäre und das unmögliche passierte. Das schrecklichste.

Da stand er, die Ausgeburt von Leons Abneigung, der dämliche Gorilla mit der Schramme am Kinn und einem Kumpel, den Leon gepflegt ausblendete, während er Christian so entgeistert anstarrte, dass er vermutlich ziemlich beknackt aussah.

»Ah, hast du doch noch hergefunden?«, sagte Felix feixend und erhob sich – wiederum geschmeidig wie eine Katze und Leon fragte sich dunkel, wie genau er das machte – und ging auf Christian zu, »Ich dachte schon, ihr findet nicht mehr her.«
 

Felix hatte ihn wirklich eingeladen. Hierher, in ihren Proberaum, ins Jugendzentrum, in diesen Keller. Das ganze Bier, das Leon getrunken hatte, schien plötzlich zu rebellieren und sich dringend vor Christians Füßen ausbreiten zu wollen. Gespickt mit seinem Mittagessen.

»Hi, ich bin Christian«, sagte der Lackaffe und reichte allen ringsum die Hand. Dann kam er zu Leon. Die beiden starrten sich an, dann streckte Christian grinsend die Hand aus.

Doch Leon machte keine Anstalten, ihm die seine zu reichen. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Felix eine Augenbraue in die Höhe hob, doch es war ihm egal.

»Was wollt ihr denn hier?«, knurrte er ungehalten und wandte sich vom Objekt seiner Verachtung ab.
 

»Wollt ihr euch nicht setzen? Wir haben noch Bier und Wodka übrig«, übertönte Felix Leon hochgradig freundlich, ohne den Blick von Christian zu nehmen. Christians Grinsen wurde breiter, während er und sein namenloser Kumpel eintraten und sich umsahen.

»Ich hab die beiden eingeladen, mal bei uns vorbei zu schauen. Wir haben das gleiche Seminar«, erklärte Felix mit Unschuldsmiene an Lara und Timo gewandt, die Christian beide nicht kannten.

»Bier?«, schnurrte Felix – Leon hätte nie gedacht, dass das kurze Wort ‚Bier’ irgendwann einmal von einem Menschen so erotisch ausgesprochen werden konnte – und war Christian so nahe, dass Leon ganz schlecht wurde. Christian grinste anzüglich und brachte sein Gesicht so dicht an das von Felix, dass ihre Nasenspitzen sich beinahe berührten. Leons Hände ballten sich zu Fäusten. Nicht… ausflippen… nicht…die Beherrschung verlieren…

»Ich hätte nichts gegen ein Bier«, meinte Christian. Lara und Timo hatten sich verhalten grinsend abgewandt und aneinander gekuschelt, Nicci stand am niedrigen Fenster und tat so, als würde sie von alledem nichts mitbekommen…
 

Und Felix stand auf, machte zwei Schritte zur Ecke hinüber, in der sie ihren Alkohol abgestellt hatten und bückte sich nach dem Bier. Als Christians Augen hinunter zu Felix’ Hintern wanderten und sich ein schmutziges Schmunzeln auf seinen Lippen breit machte, hätte Leon ihn am liebsten angeschrieen, doch dann streckte Christian die Hand nach Felix’ Hintern aus… und Leon verlor endgültig die Beherrschung.

»FINGER WEG VON SEINEM ARSCH!«, schrie er Christian an und schlug dem Brünetten gegen die Hand. Er wollte gerade seinen Kragen packen und ihn aus dem Proberaum werfen, als Felix ihn an der Schulter packte und unwirsch zurückzog. Christians Kumpel gab ein unterdrücktes Glucksen von sich.
 

»Das ist immer noch mein Arsch und du hast keine Besitzansprüche auf ihn«, giftete Felix, wandte sich an Christian, packte ihn an den Armen und zog ihn zu sich, ehe er seinen Schmollmund auf den des Älteren presste und ihn stürmisch und fordernd in Grund und Boden knutschte. Felix’ Hände verkrallten sich dabei in Christians Haaren und brachten diese völlig durcheinander.

Leon wurde schlecht. Er wollte nicht hinsehen, aber er konnte den Blick nicht abwenden. So sah es aus, wenn Felix jemanden küsste. Christians Hände hatten sich nun demonstrativ auf Felix’ Hintern gelegt und er erwiderte den Kuss so gierig, als wolle er jeden Augenblick über Felix herfallen.
 

Wieso musste das passieren, vor ihm? Konnte Felix nicht still und heimlich mit Christian rummachen? Konnte Christian nicht einfach krepieren?

Er spürte Niccis Blick auf sich, aber er wollte sie nicht ansehen. Felix demütigte ihn vor versammelter Mannschaft, weil er sich nicht unter Kontrolle hatte. Natürlich hatte er keine Besitzansprüche… Aber wie konnte er Felix mitteilen, dass er es nicht ertragen konnte, wenn andere Kerle ihn anfassten? Er konnte das nicht sagen. Nie im Leben.

Endlich lösten sich die Beiden voneinander. Christian sah mächtig zerzaust aus, grinste aber zufrieden und leckte sich über die Lippen. Christian wusste jetzt im Gegensatz zu Leon, wie Felix schmeckte… wie es war, ihn zu küssen… wie es war, ihn im Arm zu halten.
 

Leon wandte sich ab und trank seinen Rest Bier in einem Zug.

»Ich geh aufs Klo«, raunzte er und schritt an Christian vorbei, nicht ohne ihn mit der Schulter im Vorbeigehen anzustoßen.

Er wollte nach Hause. Er musste irgendetwas schlagen. Es traf die Backsteinmauer im Gang vor der Toilette. Seine Fingerknöchel färbten sich rot und seine ganze Hand tat weh. Der Abend dauerte nicht mehr lang.

Als er wieder im Proberaum angekommen war, packte er seine Sachen und sagte, er würde nach Hause gehen. Er verabschiedete sich nicht von Felix. Er sah ihn nicht an und Christian, der nun neben dem Gitarristen saß, sowieso nicht. Er wollte nur noch weg.
 

Wieso kann es mir nicht egal sein? Das Bild klebt in meinem Kopf wie eines von Niccis verdammten Postern. Ich hasse das. Ich hasse ihn. Ich hasse dich, weil ich dich nicht hassen kann. Verfluchte Scheiße. Ich will ihn zusammen schlagen. Ich werde einfach alle 20 Methoden nacheinander anwenden. Wieso küsst du ihn und mich nicht? Und wieso will ich, dass du mich küsst?

Er soll dir nicht an den Arsch packen. Er soll dich auch nicht ansehen. Mein Gott, was ist nur los mit mir… Wie komm ich weg von diesem ganzen Gefühlsscheiß? Sag’s mir…wie kann ich mein Herz dazu zwingen, damit aufzuhören? Es soll aufhören… es tut weh…

Spontanaktionen

Und weiter geht's :) Die Überarbeitung und Umschreibung des Ganzen macht mir ziemlich Spaß, daher geht es auch recht schnell. Ich hoffe, es gefällt!

Wünsche euch viel Spaß beim Lesen und einen schönen Abend,

liebe Grüße,

Ur

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Das Wetter ließ zu wünschen übrig. Alles, was man bei diesem beständigen Nieselregen und den Sturmböen draußen tun konnte, war, heiß zu duschen, sich aufs Sofa zu werfen und irgendeinen Porno anzuschauen.

Leon war im Inbegriff, den ersten dieser Programmpunkte zu absolvieren, allerdings musste er die Dusche nach fünf Minuten abbrechen, da das Telefon klingelte.

Tropfend nass wie er war hastete er durch das Haus, schnappte sich das Telefon und hatte keine Zeit mehr, aufs Display zu schauen, um zu sehen, wer dran war.

»Ja?«

»Hi, hier ist Felix!«
 

Leon blinzelte. Vielleicht hätte er die Wassertemperatur nach unten drehen sollen, ihm war vom Duschen plötzlich ziemlich warm.

»Hi«, meinte er und bemühte sich, seine Stimme so neutral und lässig wie möglich klingen zu lassen.

»Du hast dein Portemonnaie im Proberaum vergessen. Soll ich’s dir vorbeibringen?«

Er war nicht sicher, ob er wirklich wollte, dass Felix zu ihm nach Hause kam. Der andere war noch nie hier gewesen und hatte seine Eltern noch nie gesehen, geschweige denn sein Zimmer.

»Ähm… was machst du im Proberaum?«, erkundigte er sich beiläufig, um die Antwort auf die Frage hinauszuzögern.
 

»Ich räume auf. Nachdem du gestern abgehauen bist, hatten wir alle keine Muße mehr dazu«, erklärte Felix leicht unterkühlt und Leon fuhr sich durch die nassen Haare. Er hatte keine große Lust, sich daran zu erinnern. Felix war offenbar immer noch sauer deswegen.

»Wenn du möchtest, kannst du es mir vorbeibringen«, sagte er dann einfach und biss sich auf die Unterlippe. Die Vorstellung, dass er mit Felix allein hier in seinem Zimmer war, war einfach so merkwürdig und unwirklich, dass sein Gehirn es kaum verarbeiten konnte.

»Ich nehm’ auch kein Geld raus«, sagte Felix und Leon konnte das verschmitzte Grinsen förmlich hören, dass sich auf Felix’ vollen Lippen ausgebreitet hatte. Wieso musste Felix ihn immer besticheln? Und überhaupt… War Felix überhaupt nicht mehr sauer auf ihn wegen gestern? Irgendwie war alles merkwürdig. Und da er jemand war, der die Gefühlsschwankungen von Anderen ohnehin nie nachvollziehen konnte, da er in etwa so einfühlsam und sensibel war wie sein Kühlschrank, hatte er mittlerweile den Versuch aufgegeben.

»Hatte ich auch nicht erwartet… Dann bis gleich«, brummte Leon und er verfluchte sich innerlich für das aufgeregte Wuseln in seiner Magengegend. Das war nur Felix. Ein Bandkollege. Sie sahen sich mehrmals die Woche. Wenn auch nicht wirklich allein… Dass sie sich allein sahen, war sehr selten. Aber vermutlich würde Felix ohnehin nur das Portemonnaie heraufbringen, ihm noch mal versichern, dass er kein Geld heraus genommen hatte und dann wieder gehen.
 

Leon legte das Telefon zurück auf die Station im Flur und ging zurück ins Bad. Drei Minuten später hatte er fertig geduscht, trocknete sich ab und warf einen Blick auf die Uhr. Wenn Felix nicht raste wie ein Henker, dann wäre er frühestens in einer Viertelstunde da. Leon rubbelte sich die Haare eher halbherzig trocken, stapfte nur in ein Handtuch gewickelt in sein Zimmer und kramte nach neuen Klamotten.

Manchmal, vor Auftritten, hatte er so ein hibbeliges Kribbeln irgendwo in der Magengegend. Das war auch verständlich, wenn man vor vielen Menschen auf einer Bühne im Rampenlicht spielte. Nicht verständlich war dieses Kribbeln allerdings, wenn ein Bandkollege einem gesagt hatte, er würde das Portemonnaie vorbeibringen. Leon fluchte, während er sich ein schwarzes Shirt überzog. Dann kramte er nach seinem Tagebuch.
 

Ich finde das überhaupt nicht witzig. Du sagst, du kommst vorbei und ich hab irgendwie so was wie Lampenfieber, wieso auch immer. Vielleicht sollte ich mal zum Arzt gehen und mich durchchecken lassen, sicher ist mit mir irgendwas nicht in Ordnung. Eigentlich hatte ich vor, nachher irgendeinen Porno anzuschauen und danach was zu essen zu bestellen, oder so. Meine Ma kocht ja nur noch Körnerfutter, seit sie auf Diät ist. Aber… na ja, ich hätte auch nichts dagegen, wenn du noch ein bisschen bleibst. Oder so… Ja, ich sollte tatsächlich zum Arzt gehen, gleich nachher werde ich bei meinem Hausarzt anrufen!
 

Er klappte das Buch zu, stopfte es zurück in seine Schreibtischschublade und sah sich einmal in seinem Zimmer um. Natürlich würde Felix nicht bleiben… Aber es konnte ja nicht schaden, ein wenig Ordnung zu machen.

Sein Zimmer sah aus wie ein Schlachtfeld. Seine Eltern kamen nie nach oben. Leon bewohnte den ausgebauten Dachboden ihres Hauses, hatte sein eigenes kleines Bad und putzte es ausgesprochen selten. Sein Schreibtisch war klein und vollgemüllt mit Notenblättern, Zeitschriften und altem Geschirr. Auf seinem Fußboden verstreut lag sein halber, getragener Kleiderschrank und sein Bett sowie sein Sofa diente als Ablage für seinen Bass, seine Basstasche und einen Großteil seiner DVD- Sammlung.

An der schrägen Decke hingen vereinzelte Bandposter, sowie ein Poster mit vielen verschiedenen Biersorten darauf.
 

Leon stapelte das benutzte Geschirr auf seinem Schreibtisch, nahm alles auf einmal hoch und balancierte beides hinunter in die Küche. Den Berg Geschirr stellte er in die Spüle, den in der Hoffnung, dass seine Mutter sich nicht über den Teller beklagen würde, in dem er vor einer Woche Nudeln mit Käsesoße nach oben balanciert hatte. Er öffnete seine beiden Dachfenster, sammelte zerknüllte Notenblätter vom Boden auf, stopfte die DVDs, die auf dem Bett und dem Sofa lagen, in seinen TV- Unterschrank und überlegte gerade, ob er vielleicht noch schnell den Staubsauger rausholen sollte, den er seit gefühlten drei Jahren nicht mehr mit dem Hintern angesehen hatte… als es an der Tür klingelte.
 

Er zuckte zusammen und verfluchte sich im selben Moment dafür. Wütend auf sich selbst rannte er aus seinem Zimmer, nahm immer zwei Stufen auf einmal und schrie auf halbem Wege »Ist für mich!« in Richtung Wohnzimmer, damit seine Eltern auch ja dort blieben, wo sie waren. Dann riss er die Tür auf und starrte einem grinsenden Felix entgegen, der sein Portemonnaie in die Höhe hielt.

»Hi«, sagte er. Leon riss sich mit aller Macht aus seiner Erstarrung und registrierte Missmutig den Umstand, dass Felix ein paar Zentimeter größer war als er. Leon hatte das immer schon gehasst.

»Hi«, brummte er, nahm das Portemonnaie und sah Felix einen Augenblick lang unschlüssig an.

»Danke fürs Herbringen«, sagte er schließlich. Felix’ Schmunzeln wurde breiter.

»Darf ich reinkommen, oder hast du heute Nachtmittag irgendwas Tiefgründiges vor?«, wollte er wissen.

Leon blinzelte ein wenig verwirrt, trat dann aber zur Seite und schüttelte den Kopf. Felix wollte bleiben…? Einen Nachmittag mit Felix?

Er sollte wirklich bei seinem Hausarzt anrufen. Sein Magen löste sich sicherlich gerade in irgendetwas Wuseliges auf. Und sein Herz fühlte sich an, als hätte es ihm bereits sechs Rippen gebrochen – mindestens!
 

Felix sah sich interessiert im Eingangsbereich um, zog seine Jacke aus und hängte sie an einen der freien Garderobenhaken neben der Tür. Leon schloss die Tür und befand, dass Felix in ihrem Flur irgendwie komisch aussah. Schließlich wedelte er mit seinem Portemonnaie hinüber zur Treppe und Felix folgte ihm zwei Treppen hinauf auf seinen Dachboden, ehe er schließlich das erste Mal in Leons Zimmer stand und sich umblickte.

»Du hast aufgeräumt«, stellte Felix grinsend fest. Leon hätte schwören können, dass er bei diesen Worten rot anlief.

»Unsinn. Du warst doch noch nie hier! Das sieht schon die ganze Zeit so aus«, schwindelte er abwehrend. Felix lachte und Leon lief ein heißer Schauer über den Rücken.

Memo an Leon: Dringend einen Arzttermin ausmachen! Akute Lebensgefahr!
 

Felix wandte sich zu ihm um und lächelte.

»Und wenn ich in die Küche gehe, dann steht da nicht das ganze Geschirr der letzten Woche im Spülbecken, weil du es kurzfristig von deinem Schreibtisch dahin geräumt hast?«

Er hasste Felix. Wirklich. Abgrundtief und für immer.

»Pf… ich bin halt manchmal zu faul zum Treppensteigen«, sagte er und zuckte mit den Schultern, ehe er die Hände in die Hosentaschen schob und zusah, wie Felix seine Schuhe achtlos in eine Ecke kickte.

Dann sah er sich erneut um und betrachtete interessiert Leons Poster, das Papierchaos auf dem Schreibtisch und den DVD- und CD- Sammlung in seinem Fernsehschrank.

»Wir könnten mal richtig aufräumen hier drin. Sieht aus, als hättest du seit Jahren nicht mehr staubgesaugt«, meinte Felix amüsiert.
 

Leon starrte ihn an.

»Was?«

»Aufräumen. Sonst fangen deine Dreckwäsche und dein Fußboden bald an zu leben und ich kann es nicht verantworten, dass du einen tragischen Tod durch irgendwelche ekligen Parasiten erleidest«, sagte er, wandte sich breit grinsend zu Leon um und Leon sah ein enthusiastisches Funkeln in den dunklen Augen seines Gegenübers, das er nur zu gut von den Bandproben kannte. Felix konnte doch unmöglich aufräumen wollen…

»Eigentlich hatte ich mir meinen Nachmittag etwas anders vorgestellt«, brummte er, verschränkte die Arme vor der Brust und hob seine Augenbrauen.
 

Felix tätschelte ihm die Schulter und es fühlte sich an, als ob man ihn plötzlich in heißes Wasser getaucht hätte.

»Aufräumen zu zweit macht Spaß. Und ich kann Unordnung nicht ertragen, also komm schon«, sagte er, rieb sich kurz die Hände und ging dann hinüber zu Leons Bett, um das Bettzeug sorgfältig zusammen zu legen. Leon schüttelte resigniert den Kopf. Er hatte seltsamerweise keine Kraft, um sich großartig gegen Felix zu wehren. Also stapfte er hinüber zu seinem Schreibtisch und fing an, die Notenblätter zu stapeln.

»Felix…wieso willst du aufräumen?«, fragte er. Für so ein komisches Verhalten musste es doch eine anständige Erklärung geben. Felix lachte und boxte ihm sachte gegen die Schulter. Leon mochte diese Geste. Irgendwie. Das Bett schien fertig zu sein.
 

»Na ja, freu dich doch einfach. Ich tu dir gleich zwei Gefallen hintereinander, dafür musst du mich im Gegenzug auch den ganzen Nachmittag ertragen! Und wie ich eben schon sagte, kann ich Unordnung nicht so gut ertragen.«

Leon hob die Brauen und brummte kurz, suchte in einer seiner Schreibtischschubladen nach einer Sammelmappe und begann, alles an Notenblättern hinein zu stopfen.

»Du könntest auch den Nachmittag über bleiben, ohne vorher mein Zimmer mit mir aufzuräumen«, knurrte er und wandte den Blick ab.

Einen Augenblick lang herrschte Stille.

Dann fühlte er, wie Felix’ Hand durch seine noch feuchten Haare wuschelte.

»Das ist nett…«, meinte er leise.

Leon hatte das Gefühl, sein Blut würde jeden Moment überkochen. Scheiße, wieso war es plötzlich so heiß in hier drin? Er hatte doch extra die Fenster geöffnet!
 

Jede Berührung von Felix schien ihn kirre zu machen und allein dieser Umstand brachte Leon schon wieder dazu, an seinem Verstand zu zweifeln. Es konnte doch nicht sein, dass er gegenüber einem Mann so empfindlich war und bei jeder Winzigkeit überreagierte.

»Weißt du, worüber ich mir Gedanken gemacht habe?«, sagte Felix, während er Leons Wäsche vom Boden aufsammelte und einen großen Haufen auf dem Sofa errichtete, »Ich habe darüber nachgedacht, wie ich dich nennen könnte. Leon ist kein Name, aus dem man coole Spitznamen machen kann. Spitznamen sind eine nette Sache.«

Leon hob misstrauisch die Augenbrauen und sah von seiner Papier- Sortier- Arbeit zu seinem Bandkollegen auf, der jetzt noch einige verstreute CDs vom Sessel aufsammelte und sie ins Regal stellte.
 

»Ach ja? Und auf was für ein Ergebnis bist du gekommen?«, fragte er und war sich gleichzeitig nicht sicher, ob er es überhaupt wissen wollte.

Felix grinste noch breiter als vorher.

»Ich mag die Dinge gern auf den Kopf gestellt. Dein Name rückwärts ist so schön, ist dir das schon mal aufgefallen? Noel. Klingt ziemlich gut, finde ich. Ich hab beschlossen, das für dich zu adoptieren«, erklärte er bestens gelaunt. Leon fiel die Kinnlade herunter.

»Entschuldige mal, hat Noel im Französischen nicht irgendwas mit Weihnachten zu tun?«, beklagte er sich. Er wollte nicht so einen schwul klingenden Spitznamen haben! Mit Leon oder Leo war er immer vollends zufrieden gewesen!
 

»Das ist doch egal«, winkte Felix ab und stellte Leons Schuhe alle in Reih und Glied hinter die Tür, »ich mag Noel. Und ich mag den Gedanken, deinen Namen auf den Kopf zu stellen.«

Leon starrte ihn einen Moment lang an, der Versuchung erlegen, Felix zu sagen, dass er bei ihm noch ganz andere Dinge auf den Kopf stellte – sein Leben zum Beispiel – doch dann schluckte er es hinunter und wandte sich brummend ab. Noel. Was für ein Unfug! Den Rest der Zeit, die sie fürs Aufräumen benötigten, verbrachten sie schweigend. Nach zwanzig Minuten erkannte er sein Zimmer nicht mehr wieder. Er hatte die Dreckwäsche in den Wäschekorb gebracht, der ihm Bad seiner Eltern stand und Felix hatte staubgesaugt. Zugegeben, wenn man einen zu eingehenden Blick in die Schubladen und Schränke warf, dann sprang einem das Chaos immer noch entgegen, aber oberflächlich gesehen war es nun wirklich aufgeräumt. Wie seit ungefähr 20 Jahren nicht mehr.

»Danke«, sagte Leon schließlich und Felix sah überrascht auf, lächelte und Leon wurde ganz flau im Magen. Er schob die Hände in die Hosentaschen und blickte auf den Boden.

»Ich nehme an«, sagte Felix und Leon hob den Blick wieder. Felix schmunzelte verschmitzt, »du hattest diesen Nachmittag in etwa so geplant: Draußen ist Scheiß- Wetter, also packe ich meine Porno-Sammlung aus!«
 

Leon starrte ihn entgeistert an. Wann genau hatte Felix so gut kennen gelernt? Zugegeben, wahrscheinlich hatte der andere seine Sammlung gesehen, als er CDs in den Fernsehschrank gestellt hatte, aber gleich daraus zu schließen, dass er eben diese Sammlung bei schlechtem Wetter meistens auspackte…?

»Wa…wie…Nein!«

Felix lachte, kam zu ihm herüber und legte Leon einen Arm um die Schultern. Sein Herz sprang ihm aus der Brust und entfloh durchs geöffnete Fenster.

»Mir kannst du’s doch sagen. Ich meine… Nicci wäre darüber vielleicht schockiert und würde vor Verlegenheit den Kopf schütteln… aber ich bin auch nur ein Mann.«

Er piekte Leon in die Wange.
 

Wie konnte einem von so einer absolut unerotischen Geste heiß werden? Scheiße… Er brauchte so was wie einen Nottransport ins Krankenhaus… Abgesehen davon wurde er gerade wieder daran erinnert, dass Felix tatsächlich ein Mann war. Umso schlimmer, dass ihm ständig in seiner Nähe so heiß und mulmig wurde.

Ja, Felix kannte ihn. Und das war grausig. Felix kannte Dinge an ihm, die er selbst nicht mal kennen wollte und jetzt piekte er ihm in die Wange und ihm wurde davon tatsächlich heiß.

»Ich hab nichts gegen Pornos«, meinte Felix grinsend und sah ihn erneut spitzbübisch an, »lass uns einen zusammen anschauen!«

Leon starrte ihn an. Einen Porno… mit Felix. Der schwul war. Mit Felix, der ihn magisch anzog wie ein Magnet… das konnte nicht…das…
 

»Aber du stehst doch gar nicht auf Weiber«, platzte es aus ihm heraus.

»Naja… und seit wenn gibt es in einem Porno nur Weiber? Soweit ich weiß, kommen da auch genug nackte Schwänze vor. Außerdem finde ich es lustig, mit dir so einen Scheiß zu machen… Also sei nicht so!«

Leon fuhr sich übers Gesicht. Felix strahlte.

»Na dann… such einen aus…«

Er warf sich aufs Sofa, während Felix zu seinem Fernsehschrank ging und die DVD- Sammlung untersuchte. Leon hatte das deutliche Gefühl, er würde vor lauter Verlegenheit krepieren. Seit wann war er wegen seiner Sexualität verlegen? Pornos anschauen gehörte bei einem gesunden Mann zum Leben dazu! Scheiße… Pornos mit Felix…

Pornoanalyse

Es war eindeutig das Befremdlichste, was er je getan hatte. Normalerweise schaute er Pornos, um sich dabei einen runterzuholen. Nicht, dass er Pornos dazu nötig hätte… aber ein wenig visuelle Anregung konnte ja bekanntlich nicht schaden.

Allerdings war dieser Porno offenbar lediglich zu Erheiterung und Unterhaltung gedacht, als würden sie eine stinknormale Komödie schauen. Hin und wieder lachte Felix leise, legte den Kopf schief, um die teilweise verkorksten Stellungen besser sehen zu können und grinste unablässig vor sich hin.

Sie saßen nebeneinander auf dem Sofa, so dicht, dass ihre Oberarme sich aneinander schmiegten. Leon hatte das Sofa ausgezogen, ihre Beine lagen ausgestreckt vor ihnen und irgendwo hatte er eine halbe Tüte Weingummi ausgegraben, die sie mittlerweile beinahe ganz geleert hatten.
 

»Noel?«

»Nenn mich nicht so…«, brummte er. Felix knuffte ihn in die Seite.

»Ich darf das«, meinte er schlicht. Ja, du darfst das, dachte Leon resigniert. Felix war vermutlich der Einzige, der ihn so nennen durfte. Niemand vorher war mit einem dermaßen blöden Spitznamen für ihn aufgewatet, normalerweise nannten die Leute ihn Leo. Aber dass er scheinbar Privilegien bei Leon hatte, das musste Felix ja nicht wissen.

»Sag mal… stöhnen die Frauen, mit denen du schläfst auch immer so hoch und laut? Bekommt man davon keine Kopfschmerzen?«
 

Leon wandte den Kopf und starrte Felix an. Der Gitarrist hatte sich ihm zugewandt, seine Miene zeigte deutliches Interesse. Er machte also keine Witze…

»Wie haben denn die Frauen gestöhnt, mit denen du im Bett gewesen bist?«, fragte er brummig. Felix sah ihn erstaunt an.

»Ich war noch nie mit einer Frau im Bett. Ich hab mich noch nie für Mädchen interessiert. Also sag schon, stöhnen die so wie die da?«

Er ruckte mit dem Kopf in Richtung Fernseher, wo gerade ein besonders lautes Stöhnen zu hören war.

»Ähm… ja, tun sie und nein…eigentlich… bekomme ich davon nie Kopfschmerzen«, gab er bereitwillig zurück. Felix wiegte den Kopf hin und her.

»Sondern…du findest das heiß?«

Leon murrte leise und wortlos vor sich hin. Wieso musste Felix ihm diese Fragen stellen? Für gewöhnlich hatte er keine Probleme damit, über Sex zu sprechen, aber mit Felix war das irgendwie etwas anderes.

»Ja, sicher. Wie jeder normale Mann!«
 

Felix lachte laut auf.

»Ich bin also nicht normal, ja?«, erkundigte er sich amüsiert und schnappte sich noch ein Stück Weingummi.

»Nein, du bist ein Alien«, gab er zurück. Felix war wirklich ein Alien. Oder zumindest etwas in der Art. Er war der merkwürdigste Mensch unter der Sonne und Leon verstand seine Stimmungsschwankungen nie.

»Findest du? Sind alle schwulen Männer Aliens oder nur ich?«, wollte Felix weiter wissen. Leon warf ihm einen Seitenblick zu. Felix hatte den Blick wieder interessiert auf den Bildschirm gerichtet, als würde er eine sehr informative Tierdokumentation verfolgen.
 

»Eigentlich schon. Aber du bist ein besonders… na ja… außerirdisches Alien«, meinte Leon und zuckte mit den Schultern. Felix stutzte, sah ihn an und ihre Blicke trafen sich.

Leon hatte ein wenig das Gefühl, als hätte ihn ein elektrischer Schlag getroffen. Wenn er in dieses Gesicht rein schlagen könnte, dann wäre es nicht mehr so hübsch und dann müsste er nicht jedes Mal Herzrasen bekommen, wenn er Felix ansah… aber andererseits würde Felix ihm das sicherlich nie verzeihen und Leon konnte ihm schlecht erklären, dass er für einen Jungen zu hübsch und deswegen Schuld an Leons dauerhaftem Lampenfieber war.

»Noel…«
 

»Nenn mich nicht so…«
 

»Du bist niedlich!«
 

»Was

Felix lachte erneut, streckte die Hand aus und wuschelte ihm ein weiteres Mal durch die mittlerweile trockenen Haare.

»Stört’s dich wirklich, dass ich schwul bin?«, wollte der Brünette dann plötzlich wissen und seine Miene war so rasch von einem Lachen auf einen ernsten Blick umgeschwungen, dass Leon sich fragte, wie er das anstellte. Fast wurde ihm schwindelig von diesen Gemütswechseln.

»Was hat das damit zu tun?«, raunzte er und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. Niedlich… also ehrlich. Felix nahm ihn überhaupt nicht ernst! Es war zum Verrückt werden. Eines Tages…

»Sag’s mir doch einfach. Also…?«

Leon richtete den Blick auf die Mattscheibe, ließ die Arme verschränkt und kaute nachdenklich auf seiner Unterlippe herum.

»Nein«, sagte er schließlich.
 

»Es stört dich nicht?«
 

»Nein, es stört mich nicht!«
 

Es störte Leon lediglich, dass er selbst plötzlich auch an einem Mann interessiert war. Als wäre Felix irgendwie ansteckend.

Felix schien einen Moment lang nachzudenken.

»Aber es stört dich, wenn andere schwule Männer mir an den Arsch fassen?«

Leon schloss einen Moment die Augen und atmete tief ein und aus. Aha. Da waren sie also bei dem Thema, über das er nur ungern reden wollte. Seine überzogene Reaktion auf Christians Baggerei.

»Nein, eigentlich nicht«, meinte er. Er war immer schon ein mieser Lügner gewesen.

»Warum hast du Christian dann angeschrieen?«, wollte Felix wissen. Wieso mussten sie das nun durch kauen?

»Ach, was weiß ich«, schnauzte er ungehalten. Was für eine unsagbar schlagfertige Antwort. Aber er wollte einfach nicht darüber reden… Und schon gar nicht mit Felix.

»Du bist eifersüchtig«, stellte Felix sachlich fest. Leon wandte ihm den Kopf zu.

»Nein, bin ich nicht! Es ist mir schnuppe, mit wem du dich wie oft durch die Weltgeschichte vögelst. Ich kann Christian einfach nicht leiden, klar?«
 

Felix legte den Kopf schief. Seine brünetten, seidig glänzenden Haare fielen ihm ins Gesicht und Leon unterdrückte den Drang, sie ihm aus der Stirn zu streichen.

Felix’ dunkle Augen musterten ihn eine ganze Weile lang schweigend. Leon wurde nervös unter diesem Blick.

»Noel…«
 

»Ich hab doch gesagt…«
 

»Ja, ich weiß. Aber ich tu doch ohnehin, was mir gefällt. Also… Noel…«
 

Jedes Mal, wenn Felix ihn so nannte, dann machte sein Herz einen Salto. Deswegen hasste er es jetzt schon, wenn Felix ihn so nannte, dabei hatte er diesen beknackten Spitznamen jetzt erst seit ein paar Stunden.

»Wollen wir nachher was zu essen zu bestellen?«

Hä?

Erst fragte er tiefgründige Dinge über Leons Verhalten Christian gegenüber und jetzt sprach er vom Essen? Himmel und Hölle, was war eigentlich los? Gab es einen tieferen Sinn, den er nur nicht erkannte? Felix war schlimmer als jede Frau!

»Können wir machen«, brummte er.
 

Felix lächelte und wandte sich wieder dem Bildschirm zu, wo gerade zwei Männer an einer Frau zu Gange waren.

»Sag mal Noel, findest du ehrlich nicht, dass männliches Stöhnen angenehmer für die Ohren ist?«

Leon verschluckte sich an dem Weingummi, das er sich eben in den Mund geschoben hatte. Felix klopfte ihm fürsorglich auf den Rücken, rutschte dann in eine liegende Position und drehte sich auf die Seite, sodass er Leon beobachten konnte.

Leon hatte das Gefühl, dass Felix ihn absichtlich so aus dem Konzept bringen wollte und abgesehen davon verwendete er diesen Namen garantiert so oft wie möglich, nur um ihn zu ärgern!

»Nein, ich finde männliches Stöhnen absolut abtörnend«, röchelte er.
 

Felix grinste.

»Bist du sicher? Die in den Pornos geben ja immer mehr so urmenschliche Geräusche von sich. Hast du schon mal ’nen Mann richtig stöhnen gehört? Soll ich’s dir mal vormachen?«

Leons Gesicht musste einer Verkehrsampel gleichen.

»Nein!«, sagte er heftig. Nicht….bloß nicht… er würde davon… vermutlich… Nein, er wollte gar nicht daran denken, wie scharf er davon werden würde, Felix stöhnen zu hören. Es war schon ein Wunder, dass er keine Latte hatte, während sie gemeinsam einen Porno ansahen.

Felix lachte und kugelte sich ein wenig auf dem Sofa hin und her. Leon beobachtete ihn mit hämmerndem Herzen. Gut… er hat von seinem Plan abgesehen, dachte er.
 

Felix hielt sich den Bauch vor Lachen.

»Noel«, japste er und wischte sich zwei Tränen aus den Augenwinkeln, »ich liebe es, mit dir allein zu sein…«

Sein Herz hörte augenblicklich auf zu schlagen und verabschiedete sich mit einem hastigen Winken. Leon starrte den immer noch matt glucksenden Felix an. Warum musste er solche Sachen sagen? Warum fühlte sich sein Herz an, als würde es bald einen Herzschrittmachen benötigen?

»Wieso…?«, fragte er perplex.

»Du bist viel angenehmer, wenn man mit dir allein ist«, sagte Felix schlicht und rappelte sich wieder auf, den Blick auf die Mattscheibe gerichtet.
 

Leon beobachtete möglichst unbeteiligt, wie die Hauptdarstellerin von hinten genommen wurde.

Sein Herz hatte sich wieder zurück gemeldet. Mit doppeltem Tempo.

Felix liebte es, mit ihm allein zu sein… Seine Gedanken waren ein einziges Knäuel. Er konnte nicht denken.

»Was ist deine Lieblingsstellung?«, erkundigte sich Felix.

»Wieso willst du das wissen?«

Leon legte sich neben Felix, drehte sich auf die Seite, damit er den Größeren ansehen konnte und ignorierte geflissentlich das heftige Hämmern seines Herzens.

»Vielleicht will ich ja mal mit dir schlafen?«

Seine Rippen brachen sicher gleich und dann würde er innerlich verbluten und dann merkte Felix hoffentlich, was er eigentlich mit ihm anstellte!
 

Leon starrte ihn an. Felix lächelte verschmitzt. Leon schloss kurz die Augen und fragte sich, was um alles in der Welt Felix eigentlich damit bezweckte, ihm solche Dinge zu sagen. Er räusperte sich und beschloss, damit ganz souverän und nüchtern umzugehen. Immerhin hatte er keine Probleme damit, über Sex zu sprechen. Sex machte sein halbes Leben aus. Die andere Hälfte war die Musik. Felix war absolut nicht gewichtig in seinem Leben. Felix war sozusagen total egal…

»Von hinten«, sagte er also möglichst trocken. Felix’ Grinsen wurde breiter.

»So so…«, meinte Felix nur. Leon beschloss, dass er nicht so tun konnte, als würde es ihn nicht interessieren, wie Felix…

»Und du?«
 

Felix streckte ihm die Zunge heraus.

»Ich lege mich nicht fest. Es hat alles seine Vor- und Nachteile«, meinte er und tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die vollen Lippen. Leon fand das Thema eigentlich ziemlich spannend, auch wenn er sich ziemlich sicher war, dass der Inhalt seiner Jeans nicht mehr lange standhalten konnte. Allein die Vorstellung, Felix nackt…

»Sag mal…«, meinte Leon und er war sich ziemlich sicher, dass seine Wangen rot waren, »beim Sex… liegst du oben oder unten?«

Felix’ Grinsen, was sich auf seinem Gesicht ausbreitete, hatte etwas leicht Diabolisches. Leon schluckte.
 

»Das wechselt. Je nachdem, worauf ich Lust habe«, meinte er ganz locker und zuckte mit den Schultern.

Es war beim Sex also nicht anders als im normalen Leben. Felix hatte scheinbar immer und überall Stimmungsschwankungen… Unweigerlich musste er darüber nachdenken, wie es wäre, wenn Felix anstatt von einem Mädchen unter ihm lag… sein Gesicht erhitzte sich noch mehr und in seiner Hose wurde es unangenehm eng. Gott sei Dank trug er keine engen Jeans.

»Aber ich glaube, bei ehrlichem Sex würde ich lieber oben liegen wollen«, sagte Felix nachdenklich und schob sich noch ein Weingummi zwischen die Lippen.
 

»Ehrlichen Sex?«, fragte Leon verständnislos. Felix wandte ihm das Gesicht zu und lächelte. Leons Herz bollerte wie ein Hochofen und ihm war dermaßen heiß, dass er am liebsten aufgesprungen wäre und das Fenster aufgerissen hätte. Dieses Lächeln haute ihn fast von den Socken.

»Na du weißt schon. Sex mit Liebe und so. Wenn’s dazu mal kommt, dann will ich nicht dominant sein und unten liegen, um mich über den Andern zu amüsieren, wie das meistens ist, wenn ich unten liege. Dann will ich oben liegen und so sein, wie ich bin…«

Leon sah Felix an. Wieso musste Felix immer solche Sachen sagen, die seinen ohnehin schon komplizierten Charakter noch komplizierter machten?

»Stöhnst du eigentlich beim Sex oder bist du einer von diesen Machos, die über so etwas erhaben sind?«

Felix grinste wieder und Leon brummte unwillig.
 

»Ich stöhne nicht!«
 

»Hab ich mir gedacht… Dabei stöhnen Männer so toll. Sicher, dass ich’s dir nicht vormachen soll?«
 

»Ganz sicher!«
 

Nachdem der Porno – eher nebenbei – zu Ende gelaufen war, bestellten sie Essen beim Chinesen. Als das Essen kam, setzten sie sich im Schneidersitz gegenüber dem jeweils Anderen auf das ausgezogene Sofa, machten Musik an und aßen. Leon genoss die Zeit. Natürlich war er darüber erhaben, Felix dies mitzuteilen.

Felix hatte es sich scheinbar zur Aufgabe gemacht, Leon heute so viel wie möglich über seine sexuellen Vorlieben auszuquetschen. Leon fiel es nach einiger Zeit leichter, mit Felix darüber zu reden, er führte sogar eine halbwegs wortreiche Diskussion mit dem Anderen darüber, was für Vorlieben sie beim bevorzugten Geschlecht hatten.

»Hände sind wichtig«, sagte Felix nachdenklich zwischen zwei Bissen Hähnchenfleisch, »ich glaube, ich hab einen Handfetisch.«
 

Leon sah ihn amüsiert an.

»Du achtest auf Hände? Gibt es da nicht elementarere Dinge…?«

Felix musste lachen und schnappte mit den Stäbchen nach Leons Nase, doch er schaffte es gerade so, auszuweichen.

»Du achtest sicher eher auf große Brüste und lange Beine, was?«, meinte er grinsend. Leon zuckte die Schultern. Was war denn schon dabei?

»Und du schaust nur auf Hände?«, fragte er und konnte ein gewisses Interesse nicht ganz verheimlichen. Felix schien nachzudenken.

»Ich stehe auf Stimmen und Hände und Augen. Aber alles in allem muss einfach das Gesamtpaket stimmen«, meinte er. Leon ertappte sich bei der Frage, ob er wohl ein Gesamtpaket war.
 

Nach dem Essen lagen sie eine Weile lang bei offenem Fenster nebeneinander.

»Noel?«

»Nenn mich nicht so, sonst denke ich mir für dich auch so einen bescheuerten Spitznamen aus!«

»Das fände ich cool. Nur zu«, gab Felix glucksend zurück. Leon grummelte. Musste Felix ihm immer den Wind aus den Segeln nehmen?

»Was wolltest du fragen?«, erkundigte er sich also, um seinen verpatzten Triumph zu kaschieren.

»Warst du schon mal verliebt?«

Leon hob die Augenbrauen und drehte den Kopf, um Felix anzusehen. Felix drehte ihm das Gesicht zu.

»Sehe ich so aus? So ein Gefühlskram liegt mir nicht«, meinte er. Felix lächelte kaum merklich.

»Ja… was frage ich eigentlich«, murmelte er und blickte wieder hinauf zur Decke.
 

Was war nun los? Hatte er was Falsches gesagt? Aber es war die Wahrheit. Er war nicht verliebt, er würde nie verliebt sein, er hasste alles, was mit Gefühlen zu tun hatte. Aber irgendwie hatte er das Gefühl, gerade irgendetwas vermasselt zu haben. Was auch immer es sein mochte. Felix setzte sich auf, fuhr sich durch die zerzausten Haare und streckte sich ausgiebig.

»Ich denke, ich werd mich dann mal auf den Weg machen«, sagte er, erhob sich in einer einzigen, geschmeidigen Bewegung und sah zu Leon hinunter, der wie angewurzelt dalag und zu ihm aufblickte.

»Hab ich was Falsches gesagt?«, fragte er und hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen, weil er das gesagt hatte. Felix lächelte und Leon setzte sich auf, erhob sich ebenfalls und stand nun direkt vor Felix.
 

»Nein, alles ok. Ich bin nur müde und will dir hier nicht auf dem Sofa einpennen«, meinte er schulternzuckend.

»Es würde mich überhaupt nicht stören, wenn du auf meinem Sofa einpennst. Also… hab ich was Falsches gesagt?«

Er musste das jetzt wissen. Er wollte nicht, dass Felix so komisch lächelte. Was auch immer dieses Lächeln zu bedeuten hatte, er mochte es nicht.

Felix legte den Kopf schief und machte einen Schritt auf ihn zu, sodass sie gerade eine handbreit voneinander entfernt standen. Dann beugte er sich vor und ließ seine Stirn auf Leons Schulter sinken.

»Du hast nichts Falsches gesagt, Noel«, sagte er leise.

Leons Herz begann so heftig zu wummern, dass er sich auf die Unterlippe biss. Was war nun los? Irgendwas war…irgendwie… aber…

»Nenn mich nicht so…sonst…nenn ich dich…-«, brachte er heiser hervor, aber ihm fiel kein peinlicher Spitzname ein. Er konnte nicht denken. Felix lachte leise und hob den Kopf, sah ihn an und fuhr sich erneut durch die Haare.
 

»Sag mir Bescheid, wenn dir was eingefallen ist«, meinte er, schien einen Augenblick nachzudenken und ging schließlich wieder zur Couch. Auf Leons Frage antwortete er trotzdem nicht.

»Spielst du mir was vor?«, fragte er, ließ sich nieder und sah zu Leon auf. Der Blonde hob die Brauen, zuckte mit den Schultern und ging hinüber in eine der Zimmerecken, um seinen Bass zu holen.

Als er sich umwandte, lag Felix ausgestreckt auf dem Sofa, die Augen geschlossen und die Arme im Nacken verschränkt. Leon sah ihn einen Augenblick mit diesem ätzenden Lampenfieber- Gefühl im Bauch an, dann setzte er sich neben ihn.

»E-Bass ist nicht unbedingt das richtige Instrument für Schlaflieder«, brummte er. Felix’ Lippen bogen sich zu einem verschmitzten Grinsen. Innerlich seufzte Leon erleichtert auf. Da war es wieder, das normale Felix- Grinsen.
 

»Macht mir nichts. Spiel einfach«, sagte er, blieb vollkommen regungslos liegen und gab keinen Mucks mehr von sich, als Leon damit begann, ihm wahllos irgendwelche Lieder vorzuspielen, die er aus dem Kopf kannte.

Eine halbe Stunde später standen Felix’ Lippen leicht geöffnet und er atmete so regelmäßig, dass Leon sich ziemlich sicher war, dass er tatsächlich eingeschlafen war. Der Bassist schnaubte leise, stellte seinen Bass beiseite und erhob sich vorsichtig, um Felix nicht zu wecken.

Er ging hinüber zu seinem Bett, schleppte seine Bettdecke hinüber zum ausgezognen Sofa, breitete sie über Felix aus und schloss das Fenster.

»Pf…Noel…so ein Mist…«, brummelte er vor sich hin, während er das Zimmer durchquerte, sich seiner Klamotten entledigte und schließlich ins Bett stieg, nachdem er das Licht ausgeschaltet hatte.
 

Als er im Bett lag, schob sich unweigerlich Felix’ Gesicht vor sein inneres Auge. Felix war schön. Aber er würde einen Teufel tun, jetzt wieder mit dieser beschissenen Gefühlsduselei anzufangen…

Er warf sich mit seinem Tagebuch aufs Bett, das auf seinem Nachtschrank gelegen hatte, schaltete die Nachttischlampe ein, drückte auf den Kugelschreiber und setzte den Stift an.
 

Du bist tatsächlich geblieben. Ich hätte nicht gedacht, dass du überhaupt mit mir redest, nachdem du gestern so sauer gewirkt hast. Jetzt liegst du auf der Couch. Ich will das eigentlich nicht schreiben, aber da es ja ohnehin keiner liest, ist es auch egal. Du siehst verdammt und Scheiße noch mal so schön aus. Wenn du eine Frau wärst, wär’ das alles viel einfacher. Dann würde ich dir vielleicht sagen, dass du schön bist. Aber so… ich bin schließlich keine Schwuchtel.

Der Tag war merkwürdig. Aufräumen… Porno-Schauen. Mit dir über Sex reden. Egal, was du sagst oder tust, ich hab immer das Gefühl, dass da mehr hinter steckt, als hätte jede Handlung ’ne tiefere Bedeutung. Die ich natürlich nicht peile. Aber was soll’s.

Ich könnt mich wirklich dran gewöhnen, öfter mal mit dir allein zu sein. Aber das werd ich dir sicher nicht sagen. Nachher stellst du wieder so komische Fragen… z.B. ob ich eifersüchtig bin. Bin ich natürlich… aber das sollst du als Letzter auf diesem beknackten Planeten wissen. Da bleibt noch die Frage, wieso du so merkwürdig reagiert hast, als ich meinte, dass ich noch nie verliebt war. Ist halt so. Auch in dich nicht. Kein Stück. Das ist lediglich – wenn auch unpassendes – sexuelles Interesse. Und na ja… ich kann dich schon gut leiden. So wie Lara eben. Oder so… auch wenn ich bei der nicht eifersüchtig bin… Wie auch immer, ich hab nicht vor, diese ganze Gefühlsduselei zu vertiefen. Wäre ja noch schöner. Ich sollte einfach ins Bett gehen. Und am besten nicht darüber nachdenken, wie es wohl geklungen hätte, wenn du mir dein Stöhnen demonstriert hättest…
 

Leon schüttelte sein Handgelenk, legte das Tagebuch und den Stift zurück in die Schublade und rollte sich auf seinem breiten Bett ein. Dann heute eben ohne Decke… würde auch gehen, irgendwie… Fünf Minuten später war er eingeschlafen. Diese ganze Gefühlsduselei machte müde.

Morgenschocks

Was Kurzes für zwischendurch :)

Danke für die lieben Kommentare, ich hab nur leider im Moment keine Zeit, mich für jedes einzeln zu bedanken. Hoffentlich seht ihr mir das nach!

Liebe Grüße,

Ur

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Christian steckte in einem riesigen Vogelkäfig und streckte die Hände aus den Gitterstäben, um Felix zu berühren, der belustigt grinsend davor stand und ihm Kinderlieder vorsang. Dann veränderte sich das Bild und Felix stand vor Leon, ließ den Kopf auf seine Schulter sinken und sagte: »Ich liebe dich, Noel!«

Leon öffnete blinzelnd die Augen. Es war hell in seinem Schlafzimmer und irgendwie unerwartet warm. Im nächsten Moment fiel ihm auf, dass er zugedeckt war. Das schien nicht richtig zu sein, da war doch etwas gewesen… Er hatte Felix mit seiner Decke zugedeckt… Also wie genau kam die Decke…

Er wandte den Kopf zur Seite.

»Heilige Scheiße!«

Mit einem Mal saß er senkrecht im Bett. Felix lachte leise und setzte sich ebenfalls auf.

»Dir auch einen guten Morgen!«
 

Leons Herz hämmerte immer noch wie verrückt. Da öffnete man die Augen, drehte den Kopf zur Seite und ein schmunzelnder Felix blickte einem entgegen. Sie hatten in einem Bett geschlafen?

»Wie bist du…wann….wieso…«, stammelte er zusammenhangslos, noch ganz verwirrt von dem Traum- Felix, der ihm gesagt hatte, dass er ihn liebte.

Felix streckte sich und sah ihn amüsiert an.

»Ich bin in der Nacht aufgewacht und hab mich gefragt, worunter du schläfst, wenn du mir schon so heldenhaft deine Decke überlässt. Als ich nachgeschaut hab, hattest du überhaupt keine Decke. Also hab ich mich zu dir gelegt und uns beide zugedeckt«, erklärte Felix, als wäre es das Normalste auf der Welt.
 

Leons Herz beruhigte sich langsam wieder. Er hatte mit Felix in einem Bett geschlafen. Unter derselben Bettdecke…

»Wie lang bist du schon wach?«, wollte er wissen.

Felix grinste.

»Lang genug. Du redest ja im Schlaf«, stellte Felix fest und Leons Eingeweide froren ein. Er redete im Schlaf? Und was genau…

»Du sagtest etwas wie ‚Geschieht dir recht’, aber ich hab keine Ahnung, was du damit gemeint hast«, erklärte Felix, schlug die Decke zurück und erhob sich. Er trug nichts als eine Boxershorts.
 

Leon starrte ihn an. Abgesehen davon, dass er sich sicher war, dass dieses ‚Geschieht dir recht’ auf den Christian im Vogelkäfig bezogen gewesen war, fühlte er sich außer Stande Felix das jetzt zu erklären. Felix hatte halbnackt neben ihm geschlafen. Er selbst hatte auch halbnackt geschlafen.

Felix grinste erneut. Leon hatte plötzlich das dringende Bedürfnis sich auf ihn zu stürzen und ihn heftig zu knutschen, so wie Christian und Felix das letztens im Proberaum getan hatten…

»Du guckst als hättest du noch nie einen nackten Mann gesehen«, meinte er. Leon blinzelte. Er hatte gar nicht bemerkt, dass er Felix anstarrte, als wäre er das achte Weltwunder. Wieso musste er selbst halbnackt noch so gut aussehen? Hätte ihn diese flache Brust nicht komplett abturnen können?

»Wa…wieso…ach so…ähm… Ich hab mich nur einmal mehr gewundert, dass du keine Brüste hast«, brabbelte er vor sich hin.
 

Felix stutzte, legte den Kopf schief, sah ihn einen Augenblick lang an und begann dann leise zu glucksen.

»Noel… ehrlich mal…«, meinte er, stieg zurück aufs Bett und kam auf Leon zugekrabbelt. Oh nein, nicht gut… nicht… zu nah ran… Sein Herz überschlug sich, als Felix immer näher kam und ganz dicht vor ihm halt machte.

Felix packte seine Handgelenke, hob sie hoch und patschte sich Leons Hände schlichtweg auf die nackte Brust.

»Keine Brüste!«, erklärte er überdeutlich und sah Leon verschmitzt an.

Er würde jeden Moment an einem Herzinfarkt sterben. Sein Körper war erstarrt, ebenso wie sein Hirn. Felix’ nackte Haut unter den Fingern zu haben, elektrisierte ihn so dermaßen, dass er einen Moment lang nicht merkte, wie sein Körper darauf reagierte.
 

»Ja…ich…seh’s…«, gab er zwischen den Zähnen hindurch gepresst zurück, ehe er seine Finger rasch zurückzog, als hätte er sich verbrannt. Wie sollte er aufstehen, ohne dass Felix es sah? Er sollte sich einfach erschießen… Jetzt bekam er schon eine Latte nur davon, dass er Felix’ nackte Brust berührte!

»Ich…muss mal schnell ins Bad«, sagte er hastig, sprang auf und ging möglichst so zur Zimmertür, dass Felix das Problem in seiner Shorts nicht sehen konnte. Im Bad angekommen schloss er eilends ab.

Sein Leben war zu Ende. Er hatte Felix’ nackte Haut berührt und davon ein Rohr bekommen. Zur Hölle noch mal, er war nicht schwul! Da, wo er hingefasst hatte, waren keine Brüste gewesen! Und er stand eindeutig auf Brüste!
 

Ein leises Knurren verließ seine Kehle. Er war sauer auf sich selbst und seinen Körper und er war sauer auf Felix… nein… war er nicht. Er wollte sauer auf ihn sein! Jetzt gleich! Dann sollte er ihn rauswerfen und nie wieder mit ihm sprechen! Er würde aus der Band austreten und auswandern und dann würde er sich ein Harem von vielen, vollbusigen Frauen anschaffen!

Er entschloss sich, diese Pläne auf nach dem Duschen zu verlegen, zog sich aus und stieg unter die Dusche. Kaltes Wasser half zwar nie wirklich, aber er wollte wenigstens das Gefühl haben, seinen verräterischen Körper etwas unter Kontrolle zu haben.

Er duschte ziemlich lange, putzte sich die Zähne.

Leon seufzte, fuhr sich übers Gesicht und wickelte sich ein Handtuch um die Hüften, ehe er die Badezimmertür aufschloss und zurück in sein Zimmer ging.
 

Als er zurück ins Zimmer kam, war das Bett gemacht und das Fenster weit geöffnet. Leon fröstelte leicht, suchte schnell nach neuen Klamotten und zog sich an.

»Na? Hast du die Morgenlatte erfolgreich weggeduscht?«, fragte Felix grinsend. Er saß auf dem Sofa und hatte sich eine von Leons zahllosen Musik- Zeitschriften gekrallt.

Er sollte das mit dem Erschießen noch mal überdenken!

»Ja«, sagte er also zerknirscht und ziemlich brummig, ließ sich ebenfalls aufs Sofa fallen und beobachtete Felix dabei, wie er durch die Zeitschrift blätterte. Er hatte ihn schon wieder durchschaut. Leon hasste es, durchschaut zu werden.
 

»Frühstück?«, erkundigte sich Felix hoffnungsvoll und fand es scheinbar nicht einmal annähernd so peinlich wie Leon, dass dieser mit Latte ins Bad geflüchtet war.

»Hmhm«, brummte er, sich fragend, ob seine Eltern zufällig außer Haus waren. Denn sonst würde es eine ‚Das ist Felix, mein Bandkollege’- Begegnung ausarten und darauf war er nicht besonders erpicht.

Da Felix sich in seiner Abwesenheit ebenfalls angezogen hatte, gingen sie nun gemeinsam hinunter in die Küche.

»Ihr habt echt ein schönes Haus«, sagte Felix ziemlich begeistert, als sie in die Küche traten. Es war ein großer, heller Raum mit einer Theke, die das Zimmer in zwei Hälften teilte. Alles war tiptop aufgeräumt und geputzt, seine Mutter hatte einen wahren Ordnungsfimmel, weswegen sie auch nie Leons Zimmer betrat – sie wusste, dass sie dies nicht überleben würde.
 

Zu Leons Erleichterung war die Küche leer, auch wenn er aus dem Wohnzimmer das Rascheln einer Zeitung und das Zischen eines Bügeleisens hören könnte.

»Wenn wir schnell unsere Brötchen schmieren und nach oben gehen…«, überlegte er laut und Felix gluckste leise.

»Hast du Angst, dass ich deine Eltern treffe, oder dass sie mich treffen?«, fragte er verschmitzt und sah zu, wie Leon eilig im Kühlschrank wühlte.

»Ersteres«, sagte er ehrlich, häufte Wurst, Käse und Marmelade auf ein Tablett, warf Besteck, zwei Teller und mehrere Brötchen hinterher und drückte es Felix in die Hand.

»Geh schon mal rauf, ich koche Kaffee«, sagte er und schob Felix in Richtung Ausgang. Felix lachte leise, gab aber keine Widerworte und verschwand die Treppe hinauf.
 

Als der Kaffee schließlich fertig war, ging er nach oben und sah, dass Felix das Tablett leer geräumt und den Tisch gedeckt hatte.

»Sind deine Eltern dir peinlich?«, erkundigte sich Felix schmunzelnd und sah zu, wie Leon zwei Tassen auf dem Tisch abstellte und ihnen Kaffee eingoss.

»Meistens, ja«, sagte Leon schulternzuckend. Sein Vater riss ständig flache Witze, die niemand witzig fand und seine Mutter quatschte dermaßen viel, dass niemand sonst zu Wort kam. Das wollte er ungern irgendjemandem antun.

»Nach dem Frühstück verschwinde ich wieder, dann musst du dir keine Gedanken darüber machen, dass deine Eltern mich sehen«, sagte Felix grinsend, nahm eins der Brötchen und begann gut gelaunt es mit Erdbeermarmelade zu bestreichen.

Leon seufzte, nahm sich zwei Scheiben Wurst, klatschte sie lieblos auf sein eigenes Brötchen und begann zu essen.
 

Abgesehen davon, dass er ein Morgenmuffel war, hatten all die Ereignisse des Morgens seine Laune unter den Nullpunkt katapultiert. Es war doch wirklich nicht auszuhalten. Wieso reagierte er so auf alles, was Felix tat? Und wieso tat Felix solche Sachen überhaupt? Und was sollte das, dass er ihn immer durchschaute? Leon bekam beinahe Kopfschmerzen vom vielen Nachdenken.

Nachdem sie fertig gefrühstückt hatten, verkündete Felix, er würde zu Hause duschen, damit er Leon nicht noch mehr auf den Wecker ging.

»Du gehst mir nicht auf den Wecker«, brummte er und schob wie so oft, wenn er verlegen war oder nicht recht wusste, was er als nächstes tun sollte, die Hände in die Hosentaschen.

Felix stutzte, lächelte dann und wuschelte ihm einmal mehr durch die feuchten Haare.
 

»Schon ok, Morgenmuffel«, sagte er und kramte sein Handy hervor.

»Wen rufst du an?«, fragte Leon verwirrt.

»Meine Schwester… Ich hab keine Lust den ganzen Weg zu Fuß zu gehen«, meinte Felix grinsend und wählte. Leon streckte die Hand aus und klappte Felix’ Handy zu. Der Gitarrist sah ihn verwirrt an.

»Was denn?«, fragte er.

»Ich fahr dich«, raunzte Leon ungehalten, wandte sich um und stapfte in Richtung Flur, um sich seine Schuhe anzuziehen und den Autoschlüssel von seinem Vater zu erbetteln.

»Das muss nicht sein«, meinte Felix, der ihm gefolgt war.

»Ruhe! Ich fahr dich!«, brummte er. Immerhin hatte Felix ihm sein Portemonnaie gebracht und er hatte ihm beim Aufräumen geholfen.

»Das ist nett. Vielen Dank, Noel.«

»Nenn mich nicht so!«
 

Ich hab dich nach Hause gefahren. Den Schock am Morgen hab ich immer noch nicht wirklich verdaut. Verdammt, was legst du dich auf mein Bett? Ich hab dir die Decke doch nicht einfach so gegeben. Ich kann so was aushalten. Bin immerhin nicht so zart besaitet wie manch Anderer. Aber nein… und dann bekomm ich auch noch ein Rohr davon, dass du mir meine Hände auf deine Brust klatschst. Weißt du eigentlich, was du mit solchen Aktionen anstellst? Wohl kaum… Ich kenn dich ja, du stehst auf jedes männliche, gut aussehende Drecks- Wesen auf der Welt, nur nicht auf mich. Nicht, dass mich das stören würde… Wär’ ja noch schöner.

Aber jetzt, wo du weg bist, hör ich dein Lachen immer noch. Ehrlich, ich hasse das. Vielleicht sollte ich in Erwägung ziehen, mir einen Therapeuten zu suchen.

Konkurrenzkampf

So! Abgesehen von ein paar wenigen Absätzen ist das Kapitel komplett neu geschrieben, deswegen hat es auch ein wenig länger gedauert ;)

Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen und bedanke mich an dieser Stelle mal wieder für all die lieben Kommentare und die Favoriteneinträge!

Liebe Grüße,

Ur

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Es wird einfach nicht besser. Ganz im Gegenteil, ich hab das Gefühl, dass es immer schlimmer wird. Das macht mich wahnsinnig… Scheiße, wie krieg ich diese beknackten Gefühle weg? Jedes Mal, wenn ich dich angucke, fängt mein Herz an wie irre zu klopfen. Ich sterb sicher bald an nem Herzinfarkt, wenn das nicht aufhört. Und ständig dieses bekloppte Lampenfieber-Gefühl im Bauch. Wenn du mich mal berührst, dann ist das immer, als würde ich Fahrstuhl fahren oder im Flugzeug sitzen… Ich hasse dieses Gefühl.

Gestern Abend saß ich doch tatsächlich im Wohnzimmer und hab mir gedacht, wie das wäre, wenn du hier wärst. Ich werd sentimental. Das ist zum Kotzen. Bin dann auch besser gleich ins Bett gegangen, diese Gefühlsduselei ist nicht auszuhalten!
 

Leon klappte sein Tagebuch zu und warf es achtlos auf den Boden vor seinem Bett. Ja, es war viel schlimmer geworden. Im letzten Monat hatte sich jeder Moment, den er mit Felix allein verbrachte, als echte Zerreißprobe seiner Nerven entpuppt. Wenn Felix ihm freundschaftlich den Arm um die Schultern legte, musste Leon sich zusammenreißen, um ihn nicht an die nächste Wand zu drücken und verlangend zu küssen. Jeder Blick auf Felix’ Mund war ihm zu viel. Jedes Lachen löste ein derartiges Fallgefühl in seinem Magen aus, dass er sich oftmals hinsetzte, als würde es besser werden… aber es wurde einfach nicht besser.
 

Jedes Gespräch mit Felix, wenn sie allein waren, brachte ihn zum Lächeln, Rotwerden oder gar zum Lachen. Und Felix sagte, er würde sein Lachen mögen… Ein Grund mehr, es nicht mehr in seiner Gegenwart zu tun!

Felix war öfter vorbei gekommen als früher, sie hatten zusammen gegessen, Playstation gespielt, irgendwelchen Schwachsinn gemacht, wie zum Beispiel sich über den Balkon zu lehnen und zu testen, wer weiter spucken konnte. Bei Felix machte es ihm nichts aus, ein wenig lockerer zu sein und nicht ständig sein Macho- Gehabe aufrecht zu erhalten. Aber all diese Tatsachen störten ihn! Es störte ihn, dass es ihn nicht störte, dass Felix ihn besser kannte, als er sich selbst.
 

Aber was er auch probierte, nichts klappte. Nicci hatte ihm das prophezeit. Weil sie sich mit all diesem Gefühlskram viel besser auskannte als er, hatte er sie um Rat gefragt. Aber sie hatte ihm nur gesagt, dass es dagegen kein Rezept gäbe und er schlicht nichts machen konnte. Leon hasste es, nichts zu können.

Er hatte auf einigen Partys mit verschiedenen Mädchen rumgemacht. Ein paar davon hatten es auch in sein Bett geschafft. Alle drei hatten sich am nächsten Morgen durch die Hintertür und den Garten schleichen müssen, weil Leon nicht wollte, dass seine Eltern etwas davon mitbekamen. Zu seinem Entsetzen war er nach allen drei Malen morgens mit Kopfschmerzen aufgewacht. Aber das konnte im Leben nicht an dem Stöhnen der Mädchen gelegen haben! Das wäre ja noch schöner. Immerhin sah sich Leon in seinen Beharrungen bestätigt, dass er eindeutig nicht schwul war. Es war mehr so, als wäre er vollkommen auf Felix fixiert. Als wäre er richtiggehend von ihm besessen.
 

Meine Welt steht Kopf, wenn ich dich anfass. Egal, ob ich nun zufällig deinen Arm streife, oder wenn wir uns zur Begrüßung die Hand geben. Es fühlt sich jedes Mal an wie ein beschissener, elektrischer Schlag! Herrgott noch mal, so was hatte ich noch nie!
 

Felix schienen Berührungen kein bisschen auszumachen. Ganz im Gegenteil. Es wirkte fast so, als wäre er ziemlich erpicht darauf, Leon so oft wie möglich zu berühren und – natürlich – seinen selbst erdachten Spitznamen zu benutzen. Leon ertappte sich dabei, dass er sich beknackterweise schon an Noel gewöhnt hatte. Er vergaß manchmal, sich darüber zu ärgern, wenn Felix ihn so nannte und er reagierte automatisch, wenn Felix ihn so rief. Manchmal war sich Leon sicher, Felix dann kaum merklich aber triumphierend lächeln zu sehen. Am liebsten würde er Felix den Hals umdrehen. Andererseits konnte er nicht garantieren, dass er sich nicht auf seinen Bandkollegen stürzen würde, wenn seine Hände sich auf Felix’ nackten Hals legten. Es war ein Teufelskreis.
 

Mittwochs auf eine Party zu gehen, war keine gute Idee, es sei dann, man war Student. Und Leon und der Rest seiner Band waren von Lara auf eine Party eingeladen worden, die von einer ihrer Freundinnen veranstaltet wurde. Leon ging gern aus, allerdings war er sich nicht so sicher, ob eine Party mit Felix gut für seine Laune war.

Trotzdem stand er abends um halb zehn vor Niccis Haustür und klingelte. Sie hatten sich verabredet, gemeinsam zu Tanja – Laras Freundin – zu gehen und sich dort mit Lara und Felix zu treffen. Leon hatte sich ziemlich in Schale geschmissen und seiner Meinung nach sah er sehr gut aus. Nicci trug einen kurzen Rock mit Strumpfhose und Stiefeln, sie war kaum geschminkt und hatte sich zwei Zöpfe geflochten.

»Siehst gut aus«, sagte Leon grinsend. Nicci grinste zurück.

»Du auch«, erwiderte sie und hakte sich bei ihm unter.

»Ich weiß«, gab er breit feixend zurück und sie lachte, ehe sie sich den Weg die Straße hinunter machten.
 

Das Haus war riesig und es war bereits voll mit lachenden, trinkenden und rauchenden Menschen, die sich in beinahe jedem Raum des Hauses herumdrückten. Es wirkte fast so, als hätte Laras Freundin die halbe Uni eingeladen.

Felix und Lara warteten neben der Haustür auf sie. Sie saßen auf der Treppe, die ins erste Stockwerk führte und unterhielten sich. Leon stockte einen Moment lang der Atem, als er Felix sah. Er trug ein blaues Hemd und eine schwarze Jeans und irgendwie sah er noch besser aus als normalerweise. Wenn das überhaupt möglich war.

Die Begrüßung warf ihn wieder einmal in ein wahres Gefühlschaos, da sein ganzer Körper wie wild zu kribbeln begann, als er Felix die Hand reichte. Lara umarmte ihn grinsend und ging im nächsten Moment schon an ihre klingelndes Handy. Vermutlich war es Timo, der sich mit seinem miserablen Orientierungssinn auf dem Weg zur Party verlaufen hatte.
 

»Bier?«, fragte Felix gut gelaunt an Leon und Nicci gewandt. Die beiden nickten und schoben sich an der telefonierenden Lara vorbei in Richtung Küche, aus der lautes Gelächter drang.

»Das ist Tanja«, flüsterte Nicci ihnen zu und deutete auf ein rothaariges Mädchen mit großem Ausschnitt und spitzer Nase, die – umringt von vier Jungs – gerade eine offenbar besonders witzige Anekdote erzählte.

»Hübscher Vorbau«, sagte Leon grinsend und kassierte einen amüsierten Blick von Nicci.

Felix schwieg zu Leons Bemerkung und steuerte direkt den Kühlschrank an, der, als sie ihn öffneten, von oben bis unten voll mit Alkohol war.

»So mag ich das!«, sagte Leon zufrieden schmunzelnd, zog sich ein Bier aus einem der Fächer und auch Nicci und Felix griffen jeweils nach einer Flasche.
 

Der Abend hatte sehr viel versprechend begonnen. Allerdings endete Leons gute Laune schlagartig, als fünf Leute das Wohnzimmer betraten, in dem er mit Lara, Timo, Nicci und Felix in einer Ecke saß und Erdnüsse futterte.

Leon lachte gerade über einen Witz, den Lara erzählt hatte – er saß neben Felix und ignorierte so gut es ging jeden angenehmen Schauer, der ihn durchfuhr, wenn seine und Felix’ Schulter sich berührten – als er ihn sah. Sein Lachen fror ein und all die gute Laune sickerte durch den Fußboden direkt in den Keller. Auf Felix’ Gesicht breitete sich ein breites Grinsen aus und er winkte.

Christian bemerkte ihn, grinste ebenfalls und kam mit großen Schritten hinüber zu ihnen, wobei er umsichtig nicht auf einen schwarzhaarigen Kerl trat, der offenbar bereits genug getrunken hatte und sich nicht mehr rührte.

»Felix«, sagte er feixend und schlug in Felix’ dargebotene Hand ein.
 

»Wie geht’s dir, ich wusste gar nicht, dass du auch hier bist«, erwiderte Felix immer noch blendend gelaunt, ließ sich wieder neben Leon nieder und klopfte mit der Hand neben sich auf den Fußboden. Leon wollte schon lauthals ‚Nein!’ schreien, aber er zwang sich, die Klappe zu halten und trank sein Bier in einem Schluck.

Wenn es nur dabei geblieben wäre, dass Christian neben Felix saß und sich mit ihm unterhielt, dann wäre vielleicht alles noch in Ordnung. Aber dabei blieb es nicht.

Es entging Leon nicht, dass Christian ständig näher zu Felix hinüber rutschte, bis schließlich seine Hand auf Felix’ Knie landete. Leons Hände ballten sich zu Fäusten. Er wusste noch sehr genau, was das letzte Mal passiert war, als er die Beherrschung verloren hatte. Aber als Christian sich auch noch zu Felix hinüber lehnte – offensichtlich um ihn zu küssen – beugte Leon sich ruckartig vor und schubste Christian ein Stück zurück.

»Kannst du deine Hormone nicht mal unter Kontrolle halten?«, schnauzte er den anderen an, der zunächst verwundert und dann amüsiert aussah. Felix jedoch schien zu brodeln.

»Wollen wir das nicht draußen regeln?«, erkundigte sich Christian beiläufig, bevor Felix etwas sagen konnte und Leon stand auf. Sein Blut kochte.

»Nichts lieber als das«, knurrte er und stapfte Christian voraus zur Tür.
 

Er spürte überdeutlich, dass Felix ihnen nachstarrte, aber er wollte in diesem Moment nichts lieber, als sich mit Christian zu prügeln. Als sie draußen im Garten angekommen waren, erinnerte sich Leon daran, was Nicci gesagt hatte. Dass Christian Kickboxer war. Aber was machte das schon? Und was machte es schon, dass Christian über zehn Zentimeter größer war als er, besser gebaut und … was sollten diese beknackten Gedanken? Man konnte meinen, dass er Minderwertigkeitskomplexe entwickelte!

»Ich hab einen Deal für dich«, sagte Christian und steckte sich eine Zigarette an. Leon war vollkommen perplex. Er hatte bereits die Fäuste geballt und sich bereit gemacht, Christian die Nase zu brechen. Und jetzt steckte sich der Vollidiot eine Zigarette an! Nahm er ihn denn gar nicht ernst?

»Wovon sprichst du?«, knurrte Leon ungehalten. Christian grinste und zog an der Zigarette.

»Du fliegst doch auf Felix, oder? Ich geb dir drei Monate, um das mit ihm zu klären. Wenn du’s bis dahin nicht schaffst, dann leg ich ihn flach«, erklärte er trocken.
 

Leon starrte ihn an. Seine Hände entspannten sich und jeder Muskel schien zu erschlaffen. Woher um alles in der Welt wusste Christian, dass Leon auf Felix stand?

»Was zum-«

Christian fuhr sich durch die Haare und wandte sich schon wieder ab.

»Wenn dir was an ihm liegt und du nicht willst, dass er mit mir in die Kiste steigt, dann halt dich ran.«

Und mit diesen Worten verschwand er wieder zurück ins Haus. Leon blieb zurück und versuchte diese Informationen zu verarbeiten. Drei Monate? Wenn er nicht wollte, dass Felix mit Christian in die Kiste stieg? Gerade wollte er dem anderen nachstürmen, um ihn doch noch zu verprügeln, da öffnete sich die Tür und Felix steckte den Kopf heraus. Einen Moment lang wollte Leons Herz sich vor Freude überschlagen, dass Felix Leons Gegenwart der von Christian vorzog. Aber dann sackte ihm das Herz zwischen die Kniekehlen, als er Felix’ kühle Miene sah.

»Wenn du mir und Christian noch einmal dazwischen funkst, dann kannst du was erleben. Kümmer’ dich um deinen eigenen Scheiß, Leon!«

Und dann war er schon wieder verschwunden und Leon hatte das Gefühl, dass ihm der Boden unter den Füßen wegsackte.
 

Wieso um alles in der Welt fühlt es sich so scheiße an, von dir ‚Leon’ genannt zu werden? VERDAMMT! Es ist, als würde ich darauf warten, dass du vor meiner Tür auftauchst und mich wieder ‚Noel’ nennst. Weil du der einzige verfluchte Mensch bist, der mich so nennen darf… Ich würd am liebsten irgendwas kaputt schlagen. Nach der Szene ist die Party echt gelaufen für mich. Nicci war zwar traurig, aber ich bin trotzdem nach Hause gegangen. Ich bin sauer auf mich selbst. Warum gehen diese Gefühle denn nicht einfach weg, sondern werden immer schlimmer? Und wieso will ich deine Stimme hören, die ‚Noel’ sagt? Und warum zum Teufel wünsche ich mir, du wärst hier und alles wäre in Ordnung? Was soll das für ein beschissenes Gefühl sein? Wenn ich jetzt Nicci anrufen würde und ihr das Gefühl erkläre, was würde sie sagen? Ich kann’s mir fast denken. Ich hör ihr Seufzen in meinem Ohr und dann so was wie ‚Ich weiß, dass du das sicher nicht hören willst, Leo. Aber… ich glaub du vermisst ihn!’

NA TOLL! Scheiße! Ich vermisse dich? Hallo? Was soll der Mist? Ich hab noch nie etwas vermisst… höchstens mal als Kind meine Ma oder so’n Scheiß. Aber du bist nicht meine Ma und ich bin kein Kind mehr. Ich HASSE das alles… Und was will der dämliche Gorilla eigentlich von mir? Drei Monate? Als wäre das ein Wettbewerb! Und was weiß der schon? Nichts weiß er!
 

Er legte den Kopf auf das noch aufgeschlagene Tagebuch und schloss die Augen. Was nun? Selbst wenn er bei Felix anrief, um sich zu entschuldigen… wofür sollte er sich entschuldigen?

‚Hey, tut mir Leid, dass ich Christian zusammen schlagen wollte, weil er fast mit dir rumgemacht hat. Hatte nichts zu bedeuten!’ Sehr witzig… oder…

‚Eigentlich wollte ich das gar nicht…’

So ein Schwachsinn. Er wusste einfach nicht… wieso es Felix überhaupt sauer gemacht hatte. Wieso war Felix sauer, wenn Leon sauer war, weil er fast mit Christian rummachte? Gut, er hatte Christian verprügeln wollen, aber dazu war es nicht gekommen. Wenn er es doch nur verstehen könnte… irgendetwas… argh… wenn er doch nur nicht so ein Holzhammer ohne Einfühlungsvermögen wäre!
 

Zum ersten Mal in seinem Leben wünschte er sich, mehr wie Nicci zu sein. Nicci hätte das sicherlich verstanden. Er könnte Nicci anrufen und sie einfach fragen… aber dann musste er zugeben, dass er eifersüchtig war, weil Felix mit Christian hatte knutschen wollen. Und das wollte er nicht. Leon hob den Kopf wieder, klappte das Tagebuch zu und verstaute es in seinem Schreibtisch. Einen Moment lang stand er unschlüssig in seinem Zimmer, versuchte, nicht allzu sehr an Felix zu denken – was ihm grandios misslang – und ging schließlich in die Küche, um sich etwas Essbares zu suchen.
 

Zwei Tage später war Bandprobe. Er hatte vom vorigen Abend einen ziemlichen Kater, weil er mit einigen Kommilitonen um die Häuser gezogen war, um sich Felix aus den Gedanken zu trinken. Natürlich hatte es nicht funktioniert, wie alles, was er versucht hatte, um Felix nicht mehr so anziehend zu finden.

Sein Kopf brummte wie verrückt und seine Laune war unter den Gefrierpunkt gefallen. Es fing auch alles nicht sonderlich viel versprechend an, da, kaum war er in den Proberaum getreten, ihn Nicci und Lara losgeschickt hatten, um neue Glühbirnen für die Deckenleuchte zu besorgen. Das an sich wäre sicherlich kein Problem gewesen… dass ihm dann in der Abstellkammer oben im Billardzimmer auch noch ein Berg an alten Ordnern, Pinseln und Seidentüchern auf den ohnehin schmerzenden Kopf fiel, das setzte alledem die Krone auf und ihm war klar, dass dies eindeutig nicht sein bester Tag werden würde.
 

Als er dann zurück zum Proberaum kam und schon von draußen Felix’ Stimme hörte, die ihm ein unbeschreibliches Kribbeln im Bauch bescherte, sank seine Laune – sofern das möglich war – noch ein wenig weiter.

»…kann ziemlich gut blasen.«

Leon erstarrte vor der Tür, die Glühbirnen in der einen Hand und ein merkwürdiges Rauschen im Kopf.

Es gab nur einen Menschen, über den Felix da reden konnte. Und das war Christian. Leon spürte, wie sich sein Inneres gleichzeitig taub und unsagbar aufgewühlt anfühlte. Er riss die Tür auf, schmiss die Glühbirnen auf das zerschlissene Sofa und schnappte sich seine Basstasche.

»Hab Kopfschmerzen, ihr müsst ohne mich proben«, raunzte er, ohne Felix anzusehen.

»Leo…?«, fragte Nicci behutsam, aber er hörte nicht auf sie, sondern wandte sich abrupt um und stürmte aus dem Proberaum.
 

Felix und Christian… Felix und Christian… Felix und Christian… Felix und Christian…

Felix und Christian… Felix und Christian…

Felix und…
 

Christian…!
 

Drei Monate? Und bis dahin durfte der Gorilla sich alles leisten? Es war zum Kotzen!
 

Wenn ich ihn das nächste Mal in die Finger bekomme, dann reiße ich ihm jede Gliedmaße einzeln heraus. Ich werd ihn so zurichten, dass nicht mal mehr seine Mutter ihn erkennt. Ich hasse ihn! Wieso lässt er nicht seine Finger von dir? Wieso lässt nicht einfach alle Welt die Finger von dir…
 

An dieser Stelle hielt er inne und blinzelte. Es war so klar und deutlich, dass er kaum noch seine Kopfschmerzen fühlte.
 

Ich will, dass du mir gehörst…
 

Ja… er wollte nicht, dass andere Männer Felix berührten. Er wollte… mit Felix… sein Gehirn schien unmöglich langsam zu denken, als bereitete es ihm Qualen, solche Dinge zu denken…
 

Ich will… mit dir zusammen sein…
 

Seine Finger zitterten. Kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gebracht, schien alles in ihm doppelt so stark wehzutun wie vorher.
 

Scheiße… ich bin…
 

Er konnte nicht weiter schreiben. Die Worte wollten nicht aufs Papier… wenn er sie aufschrieb, dann musste er sie sich eingestehen, vor sich selbst und irgendwie auch vor Felix, denn Felix war es, an den das hier alles adressiert war, auch wenn der Gitarrist es wohl niemals lesen würde.
 

…in dich… verliebt…
 

In einen Mann. In Felix. Das erste Mal in seinem Leben. Sein Herz hämmerte bei diesem Gedanken. Er hatte oft Filme gesehen, Bücher gelesen… in denen die Rede davon war. Kein Lampenfieber… Kribbeln im Bauch. Herzklopfen. Das alles kam ihm so kitschig vor, dass es einfach nicht zu ihm gehören konnte. Aber es war da. Dieses unerträgliche Gefühl der Eifersucht angesichts der Tatsache, dass Felix mit Christian mehr als nur Küsse tauschte. Dass Felix es ihm praktisch auf einem Silbertablett servierte, so als wäre es ihm völlig gleich, was Leon davon hielt.

Er brauchte dringend etwas zu trinken. Eine Menge Alkohol, um all diese Erkenntnisse zu ertränken. Er war verliebt. Er wollte Felix für sich allein. Er wollte mit Felix zusammen sein. Verdammt…
 

Das Tagebuch blieb offen auf dem Bett liegen, als er aufstand, hinüber zu einem seiner Schränke ging und nach dem Rest an Alkohol kramte, der immer irgendwo in seinem Zimmer herumflog. Sein Kopf hämmerte noch aufgrund des Katers von gestern, aber das war ihm egal. Er brauchte eindeutig harten Alkohol. Irgendetwas, von dem er nicht viel trinken musste. Wodka. Wunderbar.

»Scheiße…«, murmelte er ständig leise vor sich hin. Verliebt sein, das war nichts für ihn. Das passte nicht zu ihm. Und schon gar nicht, wenn es um einen anderen Mann ging…

Er war froh, dass seine Eltern nicht zu Hause waren. Sie hatten sich an diesem Wochenende die Zeit für einen Ausflug an die Ostsee genommen und Leon hatte nichts dagegen.
 

Bereits eine halbe Stunde später war er kaum noch in der Lage, selbstständig zu gehen. Er saß auf der Treppe, die von seinem Dachboden hinunter in den Rest des Hauses führte, die Knie angezogen und den Kopf darauf gelegt. Alles um ihn herum drehte sich. Beinahe war es zu erwarten gewesen, dass der Alkohol ihm nicht weiterhelfen würde. Aber trotzdem…

Als es an der Tür klingelte, machte sein Herz einen unangenehm großen Hüpfer. Was wenn… Aber nein… Mit Müh und Not rappelte er sich auf und schaffte es ohne Bruchlandung die Treppe hinunter bis zur Haustür. Dort angekommen drückte er auf den Knopf neben der Freisprechanlage, dann öffnete er die Tür und ließ sich zurück auf den Boden sinken, da auf dem Boden die Gefahr nicht allzu groß war, umzufallen.

»Leo…«, murmelte Niccis Stimme neben ihm und er hörte einen Moment später die Haustür wieder zufallen.

»Hey… wie viel hast du getrunken?«, fragte Nicci. Er sah auf und bemühte sich, Niccis Gesicht klar zu erkennen. Es misslang ihm.

»Halbe Pulle«, nuschelte er und kippte nach vorn, direkt in Niccis Arme.
 

»Leo…du zitterst«, informierte Nicci ihn. Erst nachdem Nicci es ihm gesagt hatte, fiel es ihm auf. Aber ihm war nicht kalt…

»Ist dir kalt?«, fragte Nicci. Er schüttelte den Kopf und Nicci fragte nicht weiter. Im Moment war es Leon egal, dass Nicci ihn so sah, völlig betrunken und fertig mit den Nerven auf dem Fußboden neben der Haustür.

Er blieb noch vorn gekippt sitzen, spürte nur dunkel Niccis Hände auf seinem Rücken.

»Erzähl das keinem…ok…?«, murmelte er undeutlich gegen Niccis Schulter.

»Versprochen«, gab Nicci leise zurück.

»Bistne echte Freundin…«
 

Nicci blieb, bis Leon sich in der Lage sah, aufzustehen und die Treppe hinauf zurück in sein Zimmer zu wanken. Dort angekommen warf er sich aufs Bett und merkte kaum noch, wie Nicci ihn zudeckte.

»Erzähl das keinem, ok?«, nuschelte er noch einmal.

»Nein, keine Sorge«, flüsterte Nicci und legte sich neben ihn ins Bett.

»Und auch nich… Felix…ja?«

Nicci schwieg einen Moment, dann seufzte sie.

»Nein, auch nicht Felix«, versprach sie und strich ihm sachte durch die Haare.

»Danke…«

Das hatte man davon, dass man sich das erste Mal verliebte. Man lag betrunken im Bett und konnte immer noch an nichts anderes denken, als an den einen, der sein Leben so auf den Kopf gestellt hatte.

Ignoranzreaktionen

Leon mutiert bald zum Alkoholiker, wenn er so weiter macht. Immerhin hat diese Geschichte eine Moral: Versuche nicht, deine Gefühle durch Alkohol zu ertränken *hüstel*

Danke für eure Kommentare :) Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen!

Ur

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Die nächsten zwei Bandproben verpasste er absichtlich. Er reagierte nicht auf Laras Anrufe, redete nur kurz mit Nicci, die ihm versprach, ihn bei den Anderen zu entschuldigen. Ansonsten blieb er in seinem Zimmer, schaute sinnlose Sendungen im Fernsehen und komponierte Lieder, die allesamt entweder zu aggressiv oder zu deprimierend waren, als dass sie ihm hätten weiterhelfen können.

Er trank anständigerweise erst einmal keinen Alkohol mehr. Nicci hatte mit unerbittlicher Miene alle Alkoholflaschen aus seinem Schrank entfernt, doch Leon hatte nach seinem letzten Solo- Saufgelagere ohnehin erst einmal genug davon.

Während all der Zeit las er seinen letzten Tagebucheintrag immer und immer wieder durch.
 

Ich bin in dich verliebt.
 

Nur um sicherzugehen, dass er nicht wieder durchdrehte und irgendwelche Mädchen aufriss, deren Gestöhne ihm Kopfschmerzen bereitete, schrieb er diesen Satz immer wieder, seitenweise. Er kam sich relativ peinlich dabei vor, aber niemand außer ihm las diesen Schund und demnach war es völlig egal, welche abstrusen Liebesgeständnisse er in seinem Tagebuch verfasste.

Zwei Tage – und zwei Bandproben – später, griff er zum Telefon und wählte Niccis Nummer.

»Ja?«, meldete sich die Stimme seiner besten Freundin am anderen Ende.

»Hey… hier ist Leon«, gab er zurück.

»Hi Leo. Alles ok bei dir?«, wollte Nicci wissen und ihre Stimme klang besorgt.

»Ja…also…nein, eigentlich nicht…ich meine… kannst du herkommen?«
 

»Ja sicher. Ich fahr gleich los!«
 

»Danke. Bis gleich!«
 

Er schwor sich, auch immer sofort loszufahren, falls Nicci ihm jemals von ihrem Liebeskummer erzählen wollte. Allerdings hatte er bisher noch nie etwas aus dieser Richtung von Nicci gehört. Komisch, dass er als Erster mit so einem Müll anfing. Dabei war Nicci doch viel…gefühlvoller als er.

Er räumte provisorisch sein Zimmer auf, auch wenn er wusste, dass es Nicci nicht störte, wenn es unordentlich war. Als es schließlich klingelte, öffnete er die Tür und begrüßte Nicci mit der üblichen Umarmung
 

»Also, was gibt’s?«, erkundigte sich Nicci und warf sich in den Sessel, in dem sie immer saß, wenn sie Leon besuchte. Leon ließ sich unterdessen aufs Sofa sinken und starrte eine Weile lang sein Knie an. Dann hob er den Blick und wagte es, Nicci anzusehen, die gespannt in seinem Sessel saß und ihn aufmerksam musterte.

»Ähm…«, begann er und hatte das Gefühl, jetzt schon rot anzulaufen, obwohl er noch gar nichts gesagt hatte.

»Es ist…sozusagen…ich…du…Felix…«, stammelte er vor sich hin, ohne die Worte wirklich über die Lippen zu bringen, die er eigentlich hatte sagen wollen, nämlich: Ich bin in Felix verliebt.

Doch zu seiner größten Überraschung lächelte Nicci und wedelte mit der Hand.

»Willst du mir sagen, dass du in Felix verliebt bist und wissen willst, wie du ihm das am besten sagst?«
 

Stille trat ein. Ihm wurde so heiß, dass er sich sicher war, sein Gesicht müsste rot glühen.

»Ähm…also…woher…weißt du das?«, fragte er lahm und verschränkte die Arme vor der Brust. Seit wann war es so schwer, seine beste Freundin anzusehen?

»Seit immer eigentlich. Aber ich dachte mir, du musst es selbst raus finden. Hätte ja keinen Sinn gemacht, wenn ich es dir sage und du mir ohnehin nicht glaubst«, gab Nicci lächelnd zurück.

Seit immer? Leon seufzte und fuhr sich durch sein blondes Haar. Wahrscheinlich hatte Nicci es schon Ewigkeiten gewusst, bevor er, Leon, es selbst gewusst hatte. Plötzlich kam er sich bescheuert vor, weil es ihm nie aufgefallen war.

»Ok…aber sagen kann ich es ihm nicht«, meinte er schließlich kleinlaut und Nicci hob die Augenbrauen. Sie strich sich ihre langen Haare aus dem Gesicht und lehnte sich ein Stück in Leons Sessel nach hinten.

»Wieso?«

Leon starrte sie an.

»Ich bitte dich! Er hasst mich!«
 

Da waren sie, die drei Worte, die ihm immer wieder durch den Kopf gegangen waren. Er hasst mich. Jedes Mal, wenn er sie dachte, hatte er das Gefühl, sein Herz wolle sich selbst in der Mitte durchreißen. Er hasste dieses Gefühl, ebenso wie die Sehnsucht nach Felix. Nicci seufzte, als wäre Leon ein hoffnungsloser Fall und schüttelte den Kopf.

»Red keinen Unsinn. Natürlich hasst er dich nicht«, entgegnete Nicci. Leon wollte ihr glauben, aber die Blicke, die Felix ihm zuwarf und die Art, wie er mit ihm redete… Leon mochte ein Holzhammer sein, was die Gefühle anderer Leute anging, aber er war sich sehr sicher, dass diese Blicke von Felix keine glühende Zuneigung bekundeten.
 

»Woher willst du das wissen?«, fragte er matt und legte sich rücklings auf seine Couch, um an die Decke zu starren.

»Ich weiß es halt. Erst gestern, als du nicht bei der Bandprobe warst, hat er gefragt, wo du bist«, erzählte Nicci und Leons Kopf drehte sich, um sie anzusehen.

»Ach ja?«, gab er ungläubig zurück.

»Ja«, bekräftigte Nicci, »und als ich ihm gesagt habe, dass du dich im Moment nicht so auf dem Damm fühlst, da sah er richtig betreten aus. Als würde er sich Sorgen machen!«

Wenn Nicci solche Analysen stellte, dann waren die doch sicherlich zutreffend… Oder…? Er schluckte und sah wieder zur Decke.

»Wenn du meinst«, gab er zurück, denn er wollte Nicci nicht sagen, dass sein Herz bei diesen Worten wie verrückt zu hämmern begonnen hatte. Es reichte schon, dass Nicci so viel über sein Gefühlsleben wusste.
 

»Du solltest es ihm einfach sagen. Ganz direkt«, erklärte Nicci sachlich, so als wäre dies das einfachste auf der Welt. Leon starrte sie an und schnaubte.

»Hör mal, ich konnte mich ja kaum dazu durchringen, es dir zu sagen. Was glaubst du wohl, was passiert, wenn ich vor ihm stehe und versuche, diese lächerlichen fünf Worte auszusprechen?«

Nicci seufzte.

»Dann gib ihm dein Tagebuch!«

Leons Augen weiteten sich, dann tippte er sich gegen die Stirn.

»Also ehrlich…weißt du, was da drin steht? Das ist total peinlich, das kann ich ihm nicht geben!«
 

Nicci grummelte leise. Sie war selten verstimmt, aber im Moment schien Leon ihre Nerven wirklich zu strapazieren.

»Aber irgendwann musst du doch die Karten mal offen auf den Tisch legen! Einfach mal die Wahrheit sagen! Das würde eurer Beziehung sicherlich nicht schaden!«

»Welche Beziehung?«, fragte Leon und klang dabei so kläglich, dass er sich selbst auf die Zunge beißen wollte.
 

»Leo… ihr mögt euch. Ihr seid Freunde, ihr seid Bandkollegen und du bist verdammt noch mal in ihn verliebt. Hast du nicht den Wunsch, es ihm zu sagen? Glaubst du nicht, dass es dir danach besser gehen würde?«

Einen Moment lang sah Leon seine beste Freundin schweigend an. Ob es ihm dann besser gehen würde? Wohl kaum, denn dann hätte er sich vor Felix völlig bloßgestellt.

»Bevor ich mich erleichtert fühlen kann, hat er mich entweder ausgelacht oder zu Kleinholz verarbeitet«, murmelte er.

Nicci seufzte erneut.

»Du solltest mit ihm darüber reden«, wiederholte sie eindringlich, »ich bin sicher, dass es euch beiden sehr gut tun würde!«

Leon betrachtete immer noch seine Decke, dann drehte er schließlich den Kopf herum und sah Nicci einen Moment lang schweigend an.
 

»Auf der Party wollte ich mich mit Christian prügeln«, sagte er. Nicci brachte ein schwaches Lächeln zustande.

»Das hab ich mir gedacht. Dein Gesichtsausdruck war mörderisch, ich hab eigentlich erwartet, dass du dich an Ort und Stelle auf ihn stürzt…«

Leon lachte matt. Die Vorstellung, wie sauer Felix erst gewesen wäre, wenn er das getan hätte… darüber wollte er gar nicht nachdenken. Vermutlich hätte er Leon allein mit seinen schneidenden Blicken umgebracht und nie wieder ein Wort mit ihm geredet. Ein furchtbarer Gedanke.

»Als ich mit ihm draußen war, hat er sich bloß ’ne Kippe angesteckt und dann meinte er, dass ich doch auf Felix fliege und er mir drei Monate gibt, damit ich es ihm beichten kann. Sonst würde er ihn doch noch flachlegen«, fuhr Leon fort und Niccis Augenbrauen hoben sich ein Stück. Sie wirkte einigermaßen verdattert.
 

»Er weiß es? Und er gibt dir drei Monate? Ich hab grad keine Ahnung, was ich davon halten soll«, meinte sie verdutzt und spielte nachdenklich an ihrem Unterlippenpiercing herum.

»Ich weiß es auch nicht. Vor allem, seit ich weiß, dass er Felix einen geblasen hat«, sagte Leon düster und allein bei dem Gedanken daran wurde ihm schlecht vor Wut. Nicci seufzte schon wieder. Scheinbar war das alles dermaßen kompliziert, dass sie kaum umhin konnte, ihre Resignation mitzuteilen.

»Ehrlich, ich hatte das Gefühl, Felix wollte, dass du es hörst. Wir haben vorher über was ganz anderes geredet, bis du die Treppe runtergepoltert kamst«, sagte sie nachdenklich. Leon hatte keine Ahnung, was er darüber denken oder was er darauf sagen sollte. Niemand wusste, was in Felix’ Hirnwindungen Kompliziertes vor sich ging. Leon war sich sogar ziemlich sicher, dass er es gar nicht wissen wollte.

»Und mit Christian drüber reden, woher er das weiß, willst du wohl nicht, was?«, fragte Nicci. Leon schnaubte und verschränkte die Arme vor der Brust.
 

Eine Weile lang schwiegen sie und Leon hing seinen Gedanken nach.

»Wollen wir was zu essen bestellen und uns vor die Playstation hauen?«, fragte er schließlich. Er hatte keine Lust mehr, sich über Felix zu unterhalten. Sein Körper fühlte sich immer noch taub an, angesichts der Gewissheit, dass Felix stinksauer auf ihn war und ihn nicht mehr Noel nannte. Wie sehr konnte dieser Gefühlsscheiß sein Leben eigentlich noch ruinieren? Wenn all dieses Chaos bis zu den ersten Klausuren nicht vorbei ging, dann würde er durch jede Prüfung fallen. Es sei denn natürlich – und bei diesem Gedanken schnaubte er innerlich und sehr wütend – er konnte Christians Deadline einhalten. Und das war mehr als unwahrscheinlich.

»Gute Idee. Ich will was vom Mexikaner«, sagte Nicci, stand auf und grinste Leon an. Leon brachte ebenfalls ein Grinsen zustande und folgte Nicci hinunter ins Haus, um ihr Essen zu organisieren.
 

Ich hab es Nicci erzählt und sie meint, ich soll mit dir darüber reden. Aber ich kann dir das nicht sagen. Ich… hab Schiss vor der Antwort…
 

Am nächsten Tag konnte er sich nicht mehr vor der Bandprobe drücken. Also ging er am frühen Nachmittag zum Jugendzentrum

Auf halbem Weg die Treppe hinunter hörte er Schritte nach oben kommen und er hob den Kopf, um zu sehen, wer ihm entgegen kam. Sein Herz überschlug sich, als er Felix’ Haarschopf erkannte, doch der Brünette sah ihn nur kurz an, dann wandte er den Blick ab und stapfte an ihm vorbei die Treppe hinauf. Felix hatte nicht sauer ausgesehen. Er hatte ihn nicht angeschnauzt.

Keine Standpauke? Nichts? Nur… eiskalte Ignoranz.

Leon schloss einen Moment lang die Augen, dann setzte er seinen Weg die Treppe hinunter fort, bis er den Proberaum betrat und Nicci und Lara begrüßte.

Felix für sich gewinnen? Das war ein Wunschtraum. Ein Wunschtraum, der ohnehin niemals in Erfüllung gehen würde.
 

In den nächsten zwei Wochen änderte sich nichts.

Felix redete nicht mehr mit ihm. Überhaupt nicht mehr. Er nannte ihn auch nicht mehr Leon, wenn er mit Nicci und Lara über ihn sprach, er sprach dann lediglich über ‚den Bass’.

Felix ignorierte ihn vollkommen und Leon war sich nicht sicher, wie lange er das noch ertragen konnte, ohne vollkommen durchzudrehen. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn Felix ihn angebrüllt hätte. Denn dann hätte er ihn wenigstens angesehen. Aber nein… nichts.
 

Ab und an bin ich der Versuchung erlegen, einfach zu deiner Wohnung zu gehen und dich dazu zu zwingen, mit mir zu reden… aber ich glaube nicht, dass das funktionieren würde. Du würdest mir sicherlich einfach die Tür vor der Nase zuschlagen. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich dann nicht irgendeinen Scheiß anstellen würde. Zum Beispiel deine Tür einzutreten… Und dann bist du wieder nur noch mehr sauer auf mich. Nein danke…
 

Wie immer, wenn Leon mit Dingen überfordert war, tat er das einzige, was er konnte: Alkohol konsumieren und das Problem ertränken. Es kam ihm gerade recht, dass vier seiner Mitstudenten ihn schon früh morgens in ihre WG einluden, um zu frühstücken und dabei ein paar Bier zu trinken.

Dass Lara an Leons Frühschoppen- Tag noch kurzfristig eine Bandprobe ansetzte, störte ihn nicht sonderlich. Er traf sich schon früh mit René und den anderen, ohne gefrühstückt zu haben. Er hatte schon lange genug ohne Alkohol gelebt – ganze drei Wochen – und so konnte er sich heute Morgen guten Gewissens einen hinter die Birne kippen. Bisher hatte er jedes Kampftrinken überstanden, ohne sich danach zu übergeben.
 

Während sie sich über allen möglichen und unmöglichen Nonsens unterhielten, bemerkte Leon schon ziemlich früh, dass er angetrunken war. Kein gutes Zeichen, denn bis zur Bandprobe waren es noch zwei Stunden.

Eine Stunde später war Leon sternhageldicht, René legte ihm nahe, nach Hause zu gehen, doch Leon beschloss benebelt, dass er unbedingt noch zur Bandprobe gehen und Felix ordentlich die Meinung geigen wollte… ein Unterfangen, welches fast schon daran scheiterte, dass er sich auf halber Strecke verlief und mehrere Passanten ungläubig zusahen, wie er leise fluchend – und dabei stark lallend – den Weg zurück torkelte.

Ihm war extrem schlecht, als er eine Viertelstunde später am Jugendzentrum ankam und er wusste auch nicht recht, wie er es überhaupt bis in den Keller schaffte, ohne die Treppe hinunter zu fallen… allerdings machte ihn der Anblick von Lara und Timo, wie sie da knutschend inmitten des Proberaums standen, rasend. Hatte sich eigentlich die ganze Welt gegen ihn verschworen? Ein verdammtes knutschendes Pärchen demonstrierte ihm, wie einfach es wäre, wenn er nur nicht so ein Vollidiot wäre, aber das besserte seine Laune keinesfalls. Mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, donnerte er seine Faust gegen den Einbauschrank neben der Tür, woraufhin dieser merklich knackte und Lara und Timo auseinander stoben.
 

»Was ist denn in dich gefahren?«, japste Timo und sah ihn völlig verwirrt und erschrocken an. Wenn er nur gerade stehen könnte…wäre das alles einfacher… Nicci war nicht da und irgendwie war er froh darüber. Genauso wie über den Umstand, dass auch Felix nicht da war, obwohl er ihm gerade noch eine Standpauke hatte halten wollen. Alles um ihn herum drehte sich.

Sein nächster Tritt traf den Kleiderständer hinter der Tür und Timo kam hastig zu ihm herüber, um ihn festzuhalten, während Lara ihr Handy hervorholte.

»Leo, du bist besoffen«, stellte Timo trocken fest, während er dem Bassisten die Arme auf dem Rücken zusammen hielt. Leon wankte und hatte nicht übel Lust, Timo eine zu verpassen, doch ihm wurde noch schlechter. Wie durch einen Nebel hörte er Laras Stimme.
 

»Hey Nicci, tut mir Leid, dass ich störe… Aber Leon ist total besoffen und er zerlegt uns grad den halben Proberaum!«

Dann wandte sie sich an Leon und drückte ihm das Handy in die Hand.

»Nicci will dich sprechen«, sagte sie. Leon griff nach dem Handy und hielt es sich ans Ohr.

»Hallo…«, lallte er.

»Leo? Hier ist Nicci!«

Beim Klang von Niccis Stimme wurde sein Widerstand gegen Timos Griff schwächer, bis Laras Freund ihn schließlich losließ und Leon zwei Schritte in den Raum hinein wankte.

»Ich kann immer noch stehen«, informierte er Nicci undeutlich.

»Du bist mein Held«, gab Nicci zurück und Leon schnaubte, während er blinzelnd versuchte, den Proberaum davon abzuhalten, sich zu drehen.

»Machst du dich lustig?«, lallte er und war schon drauf und dran, wieder aufzulegen.
 

»Nein, ich mache mich nicht lustig.«

»Ich war Frühschoppen bei René und so…«, erklärte er seiner besten Freundin, die leise seufzte.

»Sitzt du, oder stehst du?«, wollte Nicci wissen.

Leon schüttelte den Kopf und bemühte sich, einen halbwegs geraden Stand zu wahren, allerdings wankte er immer noch bedenklich auf der Stelle, während Timo und Lara ihn mit hochgezogenen Brauen musterten.

»Ich steh…«

»Dann setz dich hin«, wies Nicci ihn an und Leon machte zwei Schritte nach vorne und fasste sich an den Kopf.

»Nicci…es dreht sich alles…«, murmelte er.

»Ja, das kann ich mir vorstellen, aber das hört sicher gleich auf.«

»Mir ist schlecht…«

»Hinsetzen!«
 

Hinter ihm hörte er ein Klappern und als er sich aufs Sofa fallen ließ, stand Lara mit einem Eimer vor ihm. Leon wedelte mit der Hand, um ihr zu bedeuten, dass er sicherlich keinen Eimer brauchte.

»Und jetzt nimm den Eimer, den Lara dir hinhält«, sagte Nicci, als könnte sie genau sehen, was hier vor sich ging. Leon grummelte. Mädchen konnten scheinbar Gedanken lesen und da Lara und Nicci beste Freundinnen waren… sein Kopf fühlte sich an, als wäre er mit Wodka gefüllt.

»Ich muss nicht kotzen«, lallte er entrüstet. Herrgott war ihm schlecht… Wenn dieses Drehen doch nur aufhören würde…

»Natürlich musst du nicht kotzen, nur vorsichtshalber…«, sagte Nicci behutsam und Leon griff nach dem Eimer. Keine Sekunde zu früh. Sein Magen stülpte sich um und er erbrach sich heftig in den quietschgelben Plastikeimer.
 

Lara nahm ihm nach einiger Zeit, während sich sein hauptsächlich flüssiger Mageninhalt in den Eimer entleerte, das Handy aus der Hand.

»Er kotzt sich die Seele aus dem Leib«, erklärte Lara.

»Ja… mach ich, aber wir wollten eigentlich proben!« Stille. Leon hasste es, zu kotzen…

»Gut…dann sehen wir uns später, bis dann«, sagte Lara und drückte dem röchelnden Leon das Handy in die Hand.

Immerhin war ihm jetzt nicht mehr schlecht, dachte Leon verschwommen, während er sich das Handy ans Ohr hielt. Lara drückte ihm ein Glas Leitungswasser in die freie Hand und ging dann mit Timo hinaus.

»Ich mag kein Wasser…«, nuschelte Leon in den Hörer.

»Trink aus«, meinte Nicci sanft und Leon betrachtete das Getränk misstrauisch. Niccis Stimme beruhigte ihn irgendwie.

»Ist da kein Alkohol drin?«, murmelte er. Man konnte ja nie wissen.
 

»Nein, da ist kein Alkohol drin…«
 

»Wartest du kurz?«
 

»Ja…ich warte!«

Leon spülte sich den Mund aus, spuckte in den Eimer und trank den Rest des Glases wie geheißen leer.

»Fertig…«, erklärte er.

»Also…Frühschoppen mit René, ja? Du hast doch noch nie gekotzt, wie kommt es, dass du heute musstest?«

Leon seufzte leise.

»Hatte kein Frühstück. Außerdem redet Felix nicht mehr mit mir und ich wollte mir die Birne zuknallen…«, gab er lallend zu und lehnte sich zurück. Er war müde.
 

»Oh…«, sagte Nicci und dann schwieg sie einen Moment.

»Und du glaubst, dich halb ins Koma zu saufen, hilft dir dabei, Felix zu bekommen? Wohl kaum! Leg dich auf die Couch und mach die Augen zu. Wir reden später weiter…«, sagte Nicci und Leon seufzte erneut. Bei Niccis Worten hatte sich ein Kloß in seinem Hals gebildet und er legte sich auf die Couch mit dem Gesicht zur Lehne und schloss die Augen.

»Nicci…er hasst mich…«, nuschelte er heiser.

»Nein… tut er nicht. Und jetzt mach die Augen zu und schlaf gut.«

Leon drückte auf den roten Hörer, ließ das Handy einfach neben sich aufs Sofa sinken und es dauerte nicht lange, bis er eingeschlafen war.

Handybringdienst

Schmalz für alle!

Viel Spaß beim Lesen und wie immer Danke! für all die lieben Kommentare :)

Ur

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Als er aufwachte und mit ziemlichen Kopfschmerzen auf die Uhr sah, war es bereits sieben Uhr. Na wunderbar. Er hatte einmal mehr einen Kater, ihm war schon wieder schlecht, weil er den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte und er fühlte sich immer noch sternhagelvoll. Neben ihm lag das Handy, das Lara ihm gegeben hatte. Leon runzelte die Stirn und setzte sich auf. Aber das war überhaupt nicht Laras Handy. Laras Handy war grau. Das hier war dunkelblau. Und Leon wusste ziemlich genau, wessen Handy das war. Nämlich Felix’.

Sein Kopf brummte und er nahm das Handy in die Hand. Natürlich war Felix nicht mehr da. Also was machte er jetzt mit seinem Handy? Und was hatte Lara überhaupt mit Felix’ Handy gemacht? Was auch immer es gewesen sein mochte, Leon erhob sich und steckte das Handy in die Hosentasche. Ein Blick nach draußen sagte ihm, dass es aus Strömen goss. Na wunderbar… Er war zu Fuß gekommen und hatte kein Geld für ein Taxi. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als zu laufen. Da er noch ziemlich alkoholisiert war, störte ihn der Regen nicht wirklich und auf die Idee zu Nicci zu gehen, kam er in diesem Moment nicht.
 

Felix war immer noch sauer auf ihn. Aber er konnte ihm trotzdem das Handy vorbei bringen. Und noch war er betrunken genug, um sich auch Hals über Kopf für alles zu entschuldigen, was er jemals in seinem Leben getan oder gesagt hatte. Vergessen waren die Pläne für eine Standpauke, alles, was er wollte, war Felix zu sehen und seine Stimme zu hören.

Der Regen durchnässte seine Kleidung in wenigen Minuten und er hoffte, dass das Handy nicht von der Feuchtigkeit kaputt ging, denn dann wurde Felix ihn wohl erdrosseln… oder noch schlimmer, er würde in eine andere Stadt ziehen und aus der Band aussteigen! Daran wollte er besser nicht denken… dann würde er bis in alle Ewigkeit vor sich hinschmachten und letztendlich an dem Verlust sterben. Ja… er war wirklich ziemlich betrunken… und verzweifelt.
 

Es dauerte ewig, bis er bei Felix’ Wohnung angekommen war. Zu seiner Erleichterung stand die Haustür unten offen und er konnte nach oben gehen, ohne dass Felix ihn schon an der Freisprechanlage abwürgte. Er kramte das Handy heraus, seufzte leise und drückte auf den Klingelknopf. Hoffentlich waren Felix’ Eltern nicht zu Hause, aber Leon hatte ihr Auto nicht vor der Tür stehen sehen.

Eine Weile lang geschah gar nichts und er fragte sich schon, ob Felix bereits umgezogen war, ohne ihm Bescheid zu sagen…

Dann öffnete sich die Tür. Da stand Felix. Er sah müde aus, trug nur ein überlanges, weißes T-Shirt, das ihm bis hinunter zur Hälfte der Oberschenkel ging und blinzelte, als er Leon erkannte.
 

Leon wollte nicht die Gelegenheit aufkommen lassen, ihm die Tür vor der Nase zuzuschlagen, bevor er Felix das Handy gegeben hatte. Also streckte er ihm hastig die Hand mit dem Telefon entgegen.

»Dein Handy«, sagte er schnell.

Felix legte den Kopf schief, starrte einen Moment ungläubig das Handy an und betrachtete dann den triefend nassen Leon.

»Ähm…«, begann er und streckte die Hand nach dem Telefon aus, »danke…?«

Leon sah ihn unsicher an.

»Du bist den ganzen Weg zu Fuß durch den Regen hierher gekommen, um mir mein Handy zu bringen?«, erkundigte sich Felix. Leon räusperte sich und fühlte, wie ihm das Blut in die Wangen schoss.

»Ähm…«, machte er und sah, wie Felix’ Augenbraue in die Höhe wanderte, »ja…?«
 

Felix’ Mundwinkel zuckten.

»Komm schon rein… du siehst aus wie ein begossener Pudel«, sagte Felix, trat beiseite und sah ihn auffordernd an, »meine Eltern sind nicht zu Hause. Drei Straßen weiter ist Pokerabend.«

Leon war sich nicht sicher, ob er richtig gehört hatte, aber er ging zögerlich an Felix vorbei in die Wohnung und zog seine nassen Schuhe aus, wobei er Wasser aus seinen Haaren und seinem Pullover auf den Teppich spritzte. Er war erst einmal hier gewesen und das nur, um Felix zu einer Bandprobe abzuholen. Er hatte Felix’ Zimmer noch nicht gesehen.

»Ich wollte gerade in die Badewanne«, erklärte Felix ihm und Leon erstarrte mitten in der Bewegung, mit der er sich durch die nassen Haare hatte fahren wollen.

»Oh…ich kann wieder gehen«, meinte er hastig. Felix gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf.
 

»Red keinen Scheiß. Du gehst stattdessen in die Badewanne«, informierte ihn Felix, war schon zu ihm getreten und hatte nach dem Saum seines Pullis gegriffen. Leons Kopf musste einer Chilischote gleichen.

Doch dann hob er einfach nur die Arme und ließ Felix den nassen Pullover über seinen Kopf ziehen. Sein Herz hämmerte irgendwo in der Gegend seines Adamsapfels. Er könnte es jetzt sagen. Einfach so. Hey Felix, was ich dir noch sagen wollte… ich bin übrigens in dich verliebt.

Doch gerade als er den Mund öffnete, um eine Verzweiflungstat zu begehen, da kniete Felix sich vor ihn hin und begann völlig gelassen, seine Hose zu öffnen.

»Da…danke, das kann ich selber«, beeilte er sich zu sagen, stolperte einen Schritt rückwärts und pellte sich aus der nassen Jeans und den durchweichten Socken. Felix schmunzelte kaum merklich. Dann streckte er die Hände aus, griff nach Leons Handgelenk und zog ihn quer durch die Wohnung zum Bad hinüber.
 

In der Badewanne schwamm ein dampfendes Schaumbad.

»Wieso wart ihr drei eigentlich weg? Wir wollten doch proben«, fragte Leon. Felix hob eine Augenbraue.

»Ich war drüben im Abstellraum und hab nach neuen Saiten gesucht, da kamen Lara und Timo rüber und meinten, du wärst total dicht, Nicci hat kurzfristig abgesagt und deswegen sind wir dann nach Hause gegangen.«

Felix stieg in die Wanne, setzte sich ans Kopfende auf den Wannenrand und sah ihn auffordernd an, während seine Beine bis zu den Knien in dem heißen Badewasser steckten.
 

Leon konnte es nicht fassen. Vielleicht schlief er eigentlich immer noch seinen Rausch aus und das hier war ein Traum in seinem alkoholischen Delirium.

»Du solltest die Shorts auch ausziehen«, meinte er beiläufig. Leon schloss einen Moment die Augen. Das war nichts Besonderes, dass Felix ihn nackt sah. Sie beide waren Kerle. Das war nichts… er konnte sich nicht einreden, dass es nichts anderes war. Er war in Felix verliebt. Also war das etwas Besonderes.

Leise grummelnd angesichts seiner eigenen Verlegenheit, stieg er aus der Shorts und beeilte sich damit, sich in das dampfende Wasser sinken zu lassen. Felix saß nun hinter ihm, sodass Leons Kopf, wenn er ihn nach hinten legte, an Felix’ Knien lehnen würde. Wenn er nicht so betrunken wäre, dann hätte er das nie im Leben gemacht. Abgesehen davon, dass Schaumbäder Weiberkram waren, wäre er in nüchternem Zustand vor Verlegenheit gestorben.
 

War Felix denn nicht mehr sauer? Was war eigentlich los…?

»Noel, bist du eigentlich immer noch betrunken?«, fragte er, doch Leon konnte den Inhalt der Frage kaum verarbeiten, da seine strapazierten Nerven sich sofort auf dieses eine Wort stürzten: Noel.

Er seufzte laut, rutschte nach vorne und ließ sich mit dem Kopf durch die Schaumdecke und hinunter ins heiße Wasser sinken.

Noel… Himmel Herrgott, Felix musste ihn noch hundert Mal so nennen, um die Strapazen der letzten Wochen wieder wett zu machen!

Zwei Hände legten sich auf seine Schultern und zogen ihn zurück an die Wasseroberfläche.

»Falls das ein Suizidversuch war, solltest du dir so was für eine andere Badewanne aufheben«, erklärte Felix verschmitzt. Leon wandte sich zu ihm um.

»Bist du nicht mehr sauer?«, fragte er und wischte sich Schaum aus Gesicht und Haaren. Felix legte den Kopf leicht schief und sah ihn einen Moment lang nachdenklich an.

»Ein bisschen vielleicht«, gab er zurück. Leon starrte ihn an. Auf Felix’ Lippen zeichnete sich kaum merklich ein Lächeln ab.
 

»Ich hab mit Christian geredet«, sagte er dann und Leon drehte sich wieder um. Felix’ Hände lagen immer noch auf seinen Schultern.

»Er sagte was von wegen, du hättest gemeint, er solle mich nicht immer behandeln, als sei ich ein Sexobjekt oder so«, fuhr er fort. Es musste am Badewasser liegen, dass ihm noch um einige Grad heißer wurde. Trotzdem konnte er nicht umhin, sich zu wundern. Wann hatte er so etwas gesagt? War er so betrunken gewesen, dass er sich nicht mehr daran erinnerte? Christian hatte gelogen, damit Felix nicht mehr sauer auf ihn war? Das konnte doch unmöglich wahr sein.

»Ähm…ja…hab ich…«, stammelte er. Wenn Felix deshalb nicht mehr sauer auf ihn war, dann sollte es ihm mehr als recht sein.

»Er sagte auch, er habe dich absichtlich provoziert«, meinte Felix beiläufig. Leon seufzte.

»Noel…«, murmelte Felix und beugte sich zu Leons Ohr hinunter, sodass er schwer schlucken musste, »irgendwie…war das nett. Wenn auch nicht wirklich die beste Art und Weise, etwas Nettes zu tun.«
 

Leon blinzelte und wandte sich erneut um. Felix lächelte ihn an und sein Herz machte einen derartigen Hüpfer, dass Leon Angst hatte, es würde irgendwo in seiner Kehle stecken bleiben.

»Tut mir Leid«, krächzte er und verfluchte seine Stimme. Felix unterdessen griff nach einer Flasche auf dem Wannenrand und tauchte seine Hände ins Wasser.

»Das mit dem Handy war schon besser, aber auch irgendwie tollpatschig«, fuhr er fort, als hätte Leon nichts gesagt, »du bist eben doch niedlich, Noel…«

Er ließ etwas von dem Shampoo auf seine Handinnenfläche laufen und drehte Leons Kopf wieder nach vorne.

»Ich bemuttere dich jetzt ein bisschen«, meinte er und Leon hörte das breite Grinsen in seiner Stimme.

»Was genau hast du…?«, wollte er fragen, doch da hatte Felix schon damit angefangen, seine pitschnassen Haare mit dem Shampoo einzuschäumen. Er würde nach Felix riechen, wenn er hier wieder raus kam… oder er würde vorher an einem Herzinfarkt sterben, weil sein Herz so heftig hämmerte, dass er kaum atmen konnte. Unweigerlich kroch eine Gänsehaut über seinen Körper, obwohl es kochend heiß in dieser Badewanne war. Felix’ Finger auf seiner Kopfhaut lösten ein Kribbeln in ihm aus, dass er sich am liebsten aus dem nächstbesten Fenster gestürzt hätte.
 

»Felix… ich bin doch nicht dein Baby«, protestierte er halbstark, während Felix sich seine Hände abwusch und nach dem Duschkopf griff.

»Aber so gut wie«, gab der Größere lachend zurück, drehte das Wasser auf und zog Leons Kopf in den Nacken, sodass er ihm in aller Seelenruhe die Haare ausspülen konnte.

»Ich könnte dich als neuen Frisör adoptieren«, meinte Leon. Felix überspülte sein Gesicht zur Strafe mit einem Schwall Wasser aus dem Duschkopf. Leon prustete empört.

»Hey!«

Felix lachte. Sein Lachen klang besser als alle Musik der Welt in Leons Ohren. Felix redete wieder mit ihm. Er machte komische, alberne Dinge mit ihm, die nur Felix mit ihm machen durfte. Er sah ihn wieder an… er nannte ihn wieder Noel… Sicherlich würde er vor lauter körperlicher Hitze gleich das Badewasser zum Kochen bringen.
 

»Wie kam es, dass Lara dein Handy hatte?«, fragte er, um seine Aufregung zu überspielen.

»Ihr Akku war leer und sie wollte jemanden anrufen. Da hab ich ihr meins gegeben und hab’s danach einfach vergessen«, erklärte Felix und wedelte mit seinen Händen, sodass der Schaum daran in alle Richtungen spritzte.

Dann erhob er sich stieg aus der heißen Wanne und trocknete sich die Beine ab.

»Ich mach was zu essen«, informierte er Leon lächelnd, verschwand aus dem Bad und schloss die Tür hinter sich.

War das so, wenn man mit Felix zusammen war? Saß man dann mit ihm in der Badewanne, alberte herum… und saß man dann später in Felix’ Wohnzimmer mit Essen, das Felix gemacht hatte, weil man selbst nicht kochen konnte? Wenn man mit Felix zusammen war, dann konnte man ihn auch küssen, wann immer man wollte…
 

Leon ließ sich nach hinten in die Badewanne sinken. Ja… der Restalkohol machte ihm stark zu schaffen. Natürlich würde er so einen sentimentalen Kack nicht denken, wenn er nüchtern wäre… oder?

Er lieh sich Felix’ Duschgel, zog den Stöpsel aus der Badewanne trocknete sich ab. Da er keine Klamotten hier hatte, wickelte er sich ein Handtuch um die Hüften und verließ das Bad.

»In meinem Zimmer liegen Klamotten«, rief Felix aus der Küche, als er die Badezimmertür hörte. Leon wandte sich nach rechts und links. Er hatte keine Ahnung, welche Tür zu Felix’ Zimmer gehörte.

»Die Tür dem Bad gegenüber«, drang Felix’ Stimme amüsiert aus der Küche, als könnte er Leons Ratlosigkeit durch die Wand hindurch sehen.
 

Leon ging zögerlich hinüber zu der verschlossenen Tür und öffnete sie. Dann stand er in Felix’ Zimmer und knipste das Licht an.

Es war kleiner als sein eigenes, aber sehr viel ordentlicher. Den meisten Platz nahm das breite Bett und die Gitarre mitsamt Halter und Verstärker ein, sowie zwei weitere Gitarren, die an der Wand neben dem Verstärker hingen. Unter dem Fenster stand ein kleiner Schreibtisch mit einem Laptop und ein paar Ordnern darauf, über dem Bett hing ein großes Foto in Postergröße von Limelight. Hier war es viel schlichter, als in seinem eigenen Zimmer und Leon sah sich interessiert um. Felix hatte ein kleines Bücherregal, in dem einige CDs, Filme und Bücher standen, hauptsächlich Krimis und dicke Wälzer, die Felix’ Studiengang betrafen.
 

Leon entdeckte einen kleinen Haufen Klamotten auf dem Bett, ließ das Handtuch fallen und schlüpfte in Felix’ Shorts, seine Socken, eine Jogginghose, die ihm zu lang war und einen großen, dicken Pulli, dessen Ärmel über seine Hände hinaus gingen.

So eingepackt ging er in die Küche und betrachtete Felix eine Weile lang, der Reis und Gemüse und Fleisch in eine Pfanne geworfen hatte und nun gewissenhaft darin rührte.

Er wandte sich zur Tür um und grinste, als er Leon bemerkte.

»Tut mir Leid, dass die Hose zu lang ist… Aber wenn du auch so ein Zwerg bist«, sagte Felix und sein Grinsen wurde breiter. Leon schnaubte und verschränkte die Arme vor der Brust. Er konnte es immer schon schlecht verkraften, dass Felix fünf Zentimeter größer war als er…
 

Felix kippte eine rötliche Flüssigkeit aus einer Glasflasche in die Pfanne und ließ den Kochlöffel in der Pfanne liegen, ehe er zu Leon herüber kam.

Eine Weile lang sahen sie sich nur schweigend an. Dann hielt Leon es nicht mehr aus.

»Es tut mir Leid«, platzte es aus ihm heraus und er senkte den Kopf. Zunächst sagte Felix nichts.

»Was meinst du?«, fragte er leise. Hinten auf dem Herd brutzelte das Essen.

»Alles…«, meinte er ziemlich kleinlaut und hätte sich dafür schlagen können, dass er klang wie ein kleiner Junge. Felix lachte leise und Leon schaute auf zu ihm.

»Noel… weißt du…«, begann er und betrachtete ihn einen Moment lang so zärtlich, dass Leon in dem großen Pulli beinahe umkam vor Hitze. Sein Herz löste sich blubbernd in viele kleine Herzchen auf und entschwebte.

»Ach schon gut«, sagte Felix dann, streckte die Arme aus und zog Leon in eine Umarmung. Einen Moment lang wusste Leon nicht, was er tun sollte, dann hob er zögernd seine Arme, legte sie um Felix und platzierte seine Hände vorsichtig auf Felix’ Rücken. Er war nicht sonderlich gut darin, Andere zu umarmen.
 

Seine Welt kippte aus den Angeln. Felix zu umarmen, seinen Duft einzuatmen, ihm so nah zu sein, dass er Felix’ Atem sachte auf seinem Hals spüren konnte, das war beinahe zu viel für ihn. Leon war kurz davor, Felix seine Gefühle doch noch zu beichten, doch da hatte Felix ihn schon kurz an sich gedrückt und sich dann ein Stück von ihm gelöst. Ihre Gesichter waren nun so nah aneinander, dass es ihm die Sprache verschlug.

Er hielt die Luft an.

Felix stupste Leons Nase mit der seinen an, löste sich dann von ihm und ging zurück zur Pfanne.

»Dein Essen ist fertig«, meinte er leise. Leon räusperte sich verhalten. Sein ganzer Körper kribbelte noch von der Umarmung und sein Herz hämmerte so heftig, dass es fast wehtat.
 

Felix lud das Essen auf einen großen Teller, kramte nach Messer und Gabel und hielt Leon beides hin. Sie gingen zusammen in Felix’ Zimmer, ließen sich nebeneinander auf sein Bett sinken und Leon seufzte zufrieden angesichts des Essens.

Felix schaltete Musik an und schwieg, während Leon seinen Teller bis aufs letzte Reiskorn aufaß.

»Frisör und Koch…«, meinte er schmunzelnd. Felix stutzte, dann lachte er und boxte ihm gegen die Schulter. Leon stellte seinen Teller behutsam auf Felix’ Nachtschrank.

»Vollidiot«, gab Felix zurück und knuffte Leon in die Seite, sobald dieser den Teller losgelassen hatte. Er zuckte zusammen.

»Hey! Lass das!«, protestierte er und rutschte ein Stück von Felix fort. Der Gitarrist lachte erneut.

»Kitzelig, Noel?«, meinte er und wippte mit den Augenbrauen. Leon schnaubte und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Kein Stück«, erwiderte er.
 

Felix krabbelte auf allen Vieren über ihn, streckte eine Hand aus und knuffte ihn erneut in die Seite.

»Hey!«, empörte er sich erneut und wand sich unter Felix, der leise glucksend immer wieder Leons Seiten attackierte. Schließlich musste er doch lachen und Felix sah zufrieden aus. Immer noch kniete er auf allen Vieren über ihm und erst, als Leon das bewusst wurde, erstarb das Lachen langsam. Er sah hoch in Felix’ schmale Augen und atmete zittrig ein. Sag es… Sag es doch einfach… Los…sag’s!
 

Aber es ging nicht. Er konnte diese fünf Worte nicht sagen. Er starrte Felix nur an, das Klopfen in seinem Brustkorb überdeutlich fühlend und so aufgeregt, wie er es vor noch keinem Konzert gewesen war. Felix’ Blick war nachdenklich und ein wenig verträumt. Vielleicht auch ein wenig traurig? Er bräuchte Nicci als Dolmetscherin für diesen Blick, der ihm durch und durch ging.

»Noel… lass uns ins Bett gehen«, meinte Felix dann leise. Leon blinzelte. Dann nickte er nur. Er war viel zu durcheinander, um sich darüber zu wundern, dass Felix ihn gerade dazu einlud, bei ihm zu übernachten. Felix stieg vom Bett, brachte den Teller in die Küche und Leon rappelte sich auf, während sein ganzer Körper immer noch wie verrückt flirrte.
 

Sie zogen sich schweigend bis auf die Boxershorts aus, Felix warf sich auf die Matratze, zog die Decke zu sich und hielt sie schmunzelnd hoch.

»Na komm… nicht, dass du doch noch krank wirst«, sagte er. Leon ging zum Bett, setzte sich zögerlich, legte sich schließlich neben Felix und wurde prompt zugedeckt. Felix drehte sich um, griff nach einem Lichtschalter neben dem Bett und löschte das Licht.

Leon war sich sicher, dass er nicht würde schlafen können. Alles roch nach Felix. Und er spürte ganz leicht den Atem des Anderen, der sich wieder zu ihm gedreht hatte.

»Schlaf gut, Noel«, nuschelte Felix leise.

»Du auch…«, gab er heiser zurück.
 

Dir das Handy zu bringen, war meine beste Idee innerhalb mehrerer Monate… Dieses Mal hab ich nur einen kleinen Herzinfarkt bekommen, als ich aufgewacht bin und du neben mir lagst. Und dieses Mal war ich vor dir wach. Mir ist nur wieder aufgefallen wie verdammt schön du bist. Der Tag war so scheiße und dann komm ich abends zu dir und kaum lächelst du mich an und nennst mich Noel, ist meine verfluchte Welt wieder in Ordnung. Ich bin stimmungsabhängig von dir geworden. Aber irgendwie kotzt es mich nicht mehr so an wie früher. Langsam aber sicher finde ich mich damit ab… dass ich verliebt bin. Aber damit umgehen kann ich immer noch nicht. Wenn du mir so nahe bist, dann krieg ich jedes Mal die Krise. Und wenn du mich so ansiehst, geht mir das durch und durch… Was sollte dieser Blick bedeuten, huh? Wenn ich Nicci wäre, dann wüsste ich das sicher… Der werd ich das mit der Badewanne nicht erzählen. Muss ja keiner wissen… Wieso hab ich’s nicht einfach gesagt? Vielleicht würde es mir danach ja wirklich besser gehen? Ich kenn mich mit diesem ganzen Liebes- Scheiß ja nicht aus. Aber wenn Nicci das sagt, stimmt’s sicherlich…

Nett von dir, dass du mich nach Hause gefahren hast. Es hört gar nicht mehr auf zu regnen und ich hab Halsschmerzen. Schöne Scheiße, jetzt werd ich auch noch krank! Und wenn ich krank werde, dann kann ich nicht zur Bandprobe und dann kann ich dich nicht sehen…

Jetzt sollte ich mich unter der Dusche ertränken gehen, oder mich vom Balkon stürzen, dafür, dass ich das hier alles geschrieben habe… Man… was machst du eigentlich mit mir?

Krankheitsfreuden

Guten Abend!

Uni hat wieder angefangen und ich habe (endlich) einen schönen Stundenplan. Das Manko daran ist, dass ich nicht mehr so viel Zeit zum Tippen/Überarbeiten haben werde. Also nehmt es mir bitte nicht übel, wenn es mit den nächsten Kapiteln nicht ganz so schnell geht und ich leider keine Zeit habe, mich für die Kommentare einzeln zu bedanken. Trotzdem an dieser Stelle: Danke für die lieben Kommentare zum letzten Kapitel!

Liebe Grüße,

Ur

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Ich hasse mein Leben. Ich bin krank. Grippe. Und zwar richtig… Halsschmerzen, Kopfschmerzen, Husten, Schnupfen, Fieber… kann kaum reden, weil ich so heiser bin. Ich ersticke bald in einem Berg von Taschentüchern. Das Fernsehprogramm lässt zu wünschen übrig und essen kann ich auch nicht wirklich, weil mein Hals mich nicht lässt. Manchmal finde ich, dass ich ein ziemlich armes Schwein bin. Ich hab Lara gestern angerufen und ihr gesagt, dass ich nicht zur Bandprobe kommen kann. Sie musste dreimal nachfragen, bis sie mein Gekrächze verstanden hat. Ich hab dich drei Tage nicht gesehen und muss feststellen, dass es scheiße ist, dich drei Tage lang nicht zu sehen. Ich will ja nicht das Wort ‚vermissen’ verwenden, weil es dann klingt, als sei ich ein sentimentales Weichei. Aber na ja… da es keiner liest, kann ich’s ruhig sagen: Ich vermisse dich. Du Vollidiot… Dass unser letztes Treffen so gut gelaufen ist, macht es nicht wirklich besser. Muss immer noch an diesen Blick denken, den du mir zugeworfen hast, nachdem du mich gekitzelt hast. Und an deine Umarmung. Scheißdreck. Und wieso hab ich kein Aspirin im Haus?
 

Er klappte das Tagebuch unter einem heftigen Hustenanfall zu, der seinem ohnehin schon strapazierten Hals nicht sonderlich gut tat, dann stand er auf, ärgerte sich über das Schwindelgefühl und stopfte das Buch in die übliche Schreibtischschublade. Draußen regnete es schon wieder. Er hasste Regen. Nur wegen des Regens lag er den ganzen Tag herum und tat nichts anderes als zu husten und sich die Nase zu putzen. Ständig war ihm schwindelig, weil er nichts essen konnte. Er hasste es, krank zu sein. Und er hasste es, Felix nicht zu sehen. Und natürlich hasste er es, dass er es hasste, Felix nicht zu sehen…

Er hatte nicht einmal Tee für seine Halsschmerzen. Seine Mutter hatte ihm verkündet, dass dies nur eine kleine Erkältung sei und sie keine Zeit hatte, einkaufen zu gehen. Das musste wahre Mutterliebe sein, dachte Leon verbittert. Ja, er war eindeutig der mitleiderregendste Mensch auf der Welt… na ja… fast. Es gab da ja immer noch Entwicklungsländer und all diese Dinge. Aber er kam sicherlich an zweiter Stelle!
 

René hatte er auch schon angerufen, damit dieser ihn bei den Dozenten entschuldigte. Irgendwann demnächst musste er sich ein Attest besorgen, sonst kassierte er unnötige Fehlzeiten.

Er quälte sich aufs Sofa und schaltete den Fernseher an. Aber was wollte man vormittags um halb elf im Fernsehen erwarten? Nichts… es gab nur Müll. Die ganze Welt hatte sich gegen ihn verschworen, da war er sich sicher. Erst der Regen, dann seine Mutter, nun das Fernsehprogramm. Fehlte nur noch, dass ihm das Wasser abgedreht wurde. Oder man ihm die Stromzufuhr verweigerte. Oder, dass eine Bombe unmittelbar in sein Haus einschlug und er von Schutt und Asche begraben den Erstickungstod erleiden würde… Falls jemand auf die Idee kommen sollte, dass seine Gedanken stark übertrieben oder abstrus waren, so konnte er zu seiner Verteidigung nur sagen, dass er schwer krank war und das Recht hatte, sich solche Gedanken zu machen!
 

Nachdem er eine Viertelstunde ununterbrochen alle Programme rauf und runter geschaltet und auch nach dem dritten Mal noch nichts Brauchbares gefunden hatte, gab er die Suche auf und schaltete den Fernseher wieder aus. Er angelte nach einer der tausend Packungen Taschentücher, die in seinem Zimmer verstreut lagen und schnaubte sich die Nase. Mittlerweile musste er aussehen wie Rudolph das Rentier, sooft wie er sich am Tag die Nase putzte. Er hatte sich die letzte Zeit einen Blick in den Badezimmerspiegel erspart. Während er überlegte, ob er sich zu schlapp dafür fühlte, ein wenig Bass zu spielen, huschten seine Gedanken unweigerlich zu Felix. Er könnte ihn anrufen – sofern seine Stimme ihn sprechen ließ – und fragen, ob er nicht Lust hatte, ihm Aspirintabletten zu bringen… aber dann würde Felix sich anstecken und das wäre nicht gut. Wobei es sicherlich nicht schlecht wäre, mit Felix zusammen in einem Haus zu sitzen und sich gegenseitig Taschentücher zu reichen…

Er sollte beizeiten ein Fieberthermometer kaufen. Offensichtlich bescherte ihm sein Fieber beknackte Gedankengänge.
 

Leon rappelte sich von der Couch auf und nieste lautstark.

»Verdammte Scheiß- Grippe«, krächzte er mit brüchiger Stimme, die klang wie ein Reibeisen. Er hasste sein Leben… Während er sich einem ausgiebigen Hustenanfall hingab, klingelte es an der Tür. Er stapfte wütend auf seine Grippe, seinen Kühlschrank und das Fernsehprogramm zurück zum Bett und warf sich darauf. Und jetzt klingelten noch irgendwelche Leute hier und strapazierten seinen Kopf, der ohnehin schmerzte! Wieso musste seine Mutter auch immer neue Sachen aus ihren bescheuerten Katalogen bestellen? Während er in seiner Hosentasche nach einem neuen Taschentuch kramte, klopfte es an der Tür und er schaffte es nicht, ‚Herein’ zu krächzen, doch die Tür öffnete sich trotzdem.
 

Felix erschien schmunzelnd, kam zu ihm herüber und wuschelte ihm zur Begrüßung durch die blonden Haare.

»Hallo, krankes Huhn«, sagte er und hievte eine schwere Plastiktüte neben Leon aufs Bett.

»Was machst du denn hier?«, fragte Leon völlig perplex. Gerade dachte er noch daran, dass er Felix anrufen könnte und schon stand der Andere vor seiner Tür. Sein Herz hatte sich förmlich überschlagen, als er den Brünetten gesehen hatte.

»Krankenbesuch, du Nuss«, entgegnete Felix putzmunter und schlüpfte aus seinen Schuhen, stellte die Tüte ab und pellte sich aus seiner Jacke.

Leon nieste zweimal hintereinander und Felix schenkte ihm einen mitleidigen Blick.

»Du gehörst unter die Bettdecke! Und barfuß solltest du auch nicht rumlaufen«, sagte er streng, packte Leon mit einer Hand an der Schulter und mit der Anderen deckte er Leon entschlossen zu.
 

»Deine Ma war ein wenig überrascht, aber sie fand es sehr nett, dass ich dich besuchen komme«, meinte Felix beiläufig.

»So…«, meinte er lang gezogen, »Ich hab eingekauft.«

Felix begann geschäftig, in der Tüte herum zu wühlen.

»Aspirin, Fieberthermometer… du hast sicher keins, oder? Obst, Tee, Hustenbonbons, Tütensuppen, Honig, Salbe zum Inhalieren, Schokolade, Eis… oh…das Eis muss in die Gefriertruhe! Deine Ma hat sicher nichts dagegen, wenn ich das kurz in die Küche bringe, oder?«

Er schnappte sich die Tüte, ohne auf Leons Antwort zu warten und verschwand aus dem Zimmer. Leon starrte ihm nach. Er war zu perplex, als dass er irgendetwas hätte sagen können. Felix deckte ihn zu und machte Großeinkauf für ihn… Wieso hatte er plötzlich so gute Laune?
 

Als Felix zurückkam, hielt er ein Fieberthermometer in der Hand.

»So… Mund auf«, wies er Leon an, schob dem anderen, der unwillig protestiert hatte, das Thermometer in den Mund und klappte ihm das Kinn hoch.

»Wenn es piept, kannst du es rausnehmen. Ich koch dir einen Tee und schneid dir ’ne Kiwi«, meinte er, wandte sich um und achtete nicht auf Leons nonverbale Proteste. Leon seufzte leise, schielte auf das Ding in seinem Mund und wartete murrend darauf, dass es piepte. Gerade, als er sich fragte, ob das Teil kaputt war, gab es ein durchdringendes Piepen von sich und Felix erschien just im selben Moment in der Tür, in der einen Hand eine dampfende Tasse Tee in der anderen Hand einen kleinen Teller mit zwei aufgeschnittenen Kiwis.

»Deine Ma hat sich scheinbar gefreut, mich wieder zu sehen«, sagte er amüsiert.
 

Leon zog sich das Thermometer aus dem Mund und warf einen Blick darauf. Felix schnappte es ihm weg, nachdem er die Tasse und den Teller abgestellt hatte.

»39.7. Na bitte… Du hast Fieber. Hier, iss eine Kiwi«, sagte er und reichte Leon den Teller.

»Warum?«, krächzte er. Felix grinste.

»Kiwis haben viel Vitamin C. Das hilft gegen Erkältungen!«

Leon starrte ihn an.

»Felix…bist du sicher, dass du keine Frau bist?«, wollte er wissen. Der Brünette schnaubte, boxte gegen seine Schulter und streckte ihm die Zunge aus.

»Sei froh, dass ich mich um dich kümmere. Du bist doch lebensunfähig ohne mich!«

Leon grummelte, beäugte die Kiwi misstrauisch und griff nach dem Löffel.

»Ich mag kein Obst«, beschwerte er sich.

»Iss!«, gab Felix streng zurück und verpasste ihm einen Klaps auf den Hinterkopf, nachdem Leon sich aufgesetzt hatte. Leon seufzte und tat wie ihm geheißen. Es schmeckte nicht allzu schlecht, aber normalerweise aß er solche gesunden Sachen nie.

Felix beobachtete ihn, während er aß.
 

»Hast du keinen Schiss, dass du dich ansteckst?«, fragte Leon, während er die zweite Hälfte der ersten Kiwi auslöffelte. Felix grinste breit.

»Ich bin gegen Grippe geimpft«, sagte er. Leon starrte ihn an.

»Dagegen gibt’s ne Impfung?«

Felix lachte und Leon lief ein angenehmer Schauer über den Rücken. Ihm war noch nie aufgefallen, wie gut Kiwis eigentlich schmeckten.

»Ja sicher. Solltest du vielleicht auch in Erwägung ziehen«, meinte der Gitarrist gut gelaunt und rührte in Leons Tee, ehe er den Teebeutel herauszog und mit Hilfe des Löffelns auswrang. Er patschte den Teebeutel auf den Teller neben die ausgelöffelte Kiwi und fuhr sich durch die Haare.
 

»Ich hab dir auch ein paar DVDs mitgebracht, falls dir langweilig wird«, erklärte Felix und blickte aus dem Fenster. Leon aß die letzte Hälfte der beiden Kiwis und stellte den Teller auf den Nachtschrank. Dann nahm er den Tee und beobachtete Felix eine Weile lang, der den Regen draußen besonders spannend zu finden schien.

Es war schön, dass Felix da war. Leon freute sich ehrlich darüber, er wusste nur nicht recht, wie er Felix das auch sagen sollte. Er beschied sich damit, seinen Tee zu schlürfen und verbrannte sich prompt die Unterlippe.
 

Felix’ Kopf ruckte zu ihm herum und er lachte leise.

»Pusten«, meinte er, streckte die Hand aus und legte zwei Finger sachte auf Leons Lippen. Sein Herz setzte aus. Er starrte Felix an, der ununterbrochen lächelte und seine Finger dann zurückzog.

»Nach dem Tee gibt’s ne Aspirin…«, sagte er, als wäre nichts gewesen. Leons Magen kribbelte wie verrückt. Und seine Lippen schienen nach der Berührung noch mehr zu brennen, als durch den heißen Tee.

»Danke, dass du vorbei gekommen bist«, murmelte er heiser und wandte den Blick peinlich berührt wieder auf seine Teetasse. Er war sich sicher, dass er schon wieder ziemlich rot im Gesicht war.
 

Einen Moment lang herrschte erstaunte Stille. Dann wagte es Leon, zu Felix hinüber zu linsen. Der Andere betrachtete ihn schon wieder auf diese Art und Weise, die ihn halb wahnsinnig machte.

»Kein Problem, Noel«, antwortete er lächelnd. Leon trank noch einen Schluck Tee.

»Wollen wir einen Film zusammen gucken? Du kannst die Bettdecke und den Tee mitnehmen«, sagte Felix unvermittelt und erhob sich. Leon nickte mit klopfendem Herzen, stellte die Tasse ab und erhob sich.

Sie gingen hinüber zum Sofa und Felix zeigte ihm die mitgebrachten Filme. Nachdem sie sich entschieden und den Film eingelegt hatten, zog Felix das Sofa aus und sie setzten sich. Leon erinnerte sich an damals, wo Felix mit ihm auf diesem Sofa einen Porno angeschaut hatte.

»Sag mal«, begann Leon schließlich, denn ihm war bei diesem Gedanken etwas eingefallen, »warst…warst du eigentlich schon mal verliebt?«

Felix angelte nach der Fernbedienung, streckte seine langen Beine aus und drehte seinen Kopf zu Leon. Dann lächelte er.

»Aber ja. Wie verrückt«, sagte er leise.
 

Verliebt also? Aber in wen… Dein Lächeln sah so verträumt aus, als du’s mir gesagt hast und ich muss die ganze Zeit darüber nachdenken. Du bist den ganzen Tag geblieben und mir war keine Sekunde langweilig. Auch wenn mir das Obst nicht in den Kram passt… Aber ich hab dir hoch und heilig versprochen, jeden Tag eins von diesen Dingern zu essen. Das Eis ist gut gegen die Halsschmerzen und immerhin sind Dank der Aspirin- Tabletten die Kopfschmerzen weg. Also werd ich wohl bald wieder gesund sein.

Wie lange halt ich das noch aus? Wann kann ich’s dir sagen? Ich krieg meine Zähne nicht auseinander, jedes Mal, wenn ich denke, jetzt sag’s ihm… aber nein. Es geht einfach nicht. Ich bin ein Vollidiot… und ich will wissen, in wen du verliebt warst… oder vielleicht sogar noch bist?
 

Leon seufzte leise und hustete eine Weile lang vor sich hin. Jetzt war er schon seit vier Tagen krank und Felix rief ihn jeden Tag an, um zu kontrollieren, ob er sein Obst gegessen und seinen Hustensaft genommen hatte. Er kam sich wirklich wie ein Kleinkind vor, aber er konnte nicht behaupten, dass er nicht gern mit Felix telefonierte. Auch wenn es noch besser gewesen wäre, wenn der Andere vorbei gekommen wäre.

Leon zerbrach sich vergeblich den Kopf darüber, in wen Felix verliebt sein mochte. Vielleicht war es Christian? Ein schrecklicher Gedanke! Dann musste er Christian doch beizeiten umbringen.

Jedes Mal, wenn er daran dachte, dass Felix eines Tages zur Bandprobe kommen und strahlend erzählen würde, er sei nun vergeben, zog sich sein Brustkorb zusammen und er sah sich schon eine Fahndung nach demjenigen herausgeben und ihn dann zu Brei schlagen… wobei Felix ihn dann sicherlich ins Jenseits befördern würde. Oder noch schlimmer, er wäre ein Leben lang sauer auf ihn.
 

Aber Leon konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass Felix mit einem anderen zusammen kommen würde. Vielleicht sollte er einfach langsam wirklich damit anfangen, um Felix zu kämpfen… aber wie? Vielleicht konnte er ihn einfach küssen, wenn sie allein waren… In diesen ganzen Kitsch- Filmen hieß es doch immer, dass ein Kuss mehr als tausend Worte sagte. Oder irgendwie so. Vielleicht musste er dann gar nicht mehr die magischen fünf Worte sagen, die ihm einfach nicht von der Zunge hüpfen wollten. Aber bevor er den Mut aufbringen konnte, Felix zu küssen, musste wahrscheinlich ein Weltwunder passieren. Oder aber er müsste sehr betrunken sein. Allerdings schätzte Felix es sicherlich nicht, von ihm geküsst zu werden, wenn er stockbesoffen war. Vermutlich schätzte Felix es auch nicht, wenn Leon ihn vollkommen nüchtern küsste.

Der blonde Bassist raufte sich die Haare.

Gab es überhaupt eine Chance, dass Felix sich je in ihn verlieben konnte? Sie stritten sich so oft und dann hatte Leon immer das Gefühl, dass Felix ihn hasste. Und war Felix mit seinen Gefühlen nicht immer gerade heraus? Normalerweise nahm er sich, was er wollte. Und wenn er ihn wollen würde, dann hätte er sicherlich schon etwas gesagt. Oder getan.
 

Drei Tage später war Leon zwar der Genesung ziemlich nahe gekommen, allerdings hatte er immer noch keine Antwort darauf gefunden, in wen um alles in der Welt Felix verliebt gewesen war. Immerhin waren sie nun schon seit über zwei Jahren zusammen in einer Band und Felix hatte nie etwas in diese Richtung erwähnt… Das machte ihn wahnsinnig.

Bei der nächsten Bandprobe war er immer noch nicht schlauer und sein Herz hüpfte wie ein Flummi, als er Felix sah, der neben Nicci auf dem Sofa saß und sich mit ihr unterhielt. Lara saß hinter ihrem Schlagzeug und schraubte an einem ihrer Becken herum.

»Ah! Unser krankes Huhn«, sagte Felix grinsend und Nicci kam strahlend zu ihm herüber, um ihn zu umarmen.

»Geht’s dir wieder besser?«, erkundigte sie sich und betrachtete ihn prüfend. Leon nickte und unterdrückte ein Husten.

Sie probten zwei Stunden lang und es tat Leon ausgesprochen gut, endlich wieder Musik zu machen. Nicht zuletzt mit Felix zusammen. Nicci schien ebenfalls in Bestform zu sein und als Lara angesichts ihres andauernden Strahlens grinsend die Augen verdrehte, fragte sich Leon, ob er etwas verpasst hatte.
 

Die Antwort darauf lautete ‚Ja’ und hieß Lennard. Leon hatte noch nie von ihm gehört, aber als er Nicci nach der Bandprobe fragte, wieso sie durch die Gegend tänzelte und andauernd nur grinste, da erzählte sie ihm ziemlich verlegen auf dem Weg nach Hause, dass sie jemanden kennen gelernt hatte.

»Er ist ein paar Semester über mir und saß letztens in einem unserer Seminare… und wir sind danach irgendwie ins Gespräch gekommen und haben uns total lang unterhalten und letztens waren wir dann zusammen in der Stadt…«

Nicci erzählte von Lennard und Leon hörte aufmerksam zu. Er hatte sich geschworen, für Nicci genau so ein guter Freund zu sein, wie sie es für ihn war. Vermutlich hatte er nicht so gute Voraussetzungen wie sie, aber der Versuch fiel hoffentlich positiv ins Gewicht.
 

Die Wochen plätscherten dahin, Weihnachten rückte näher und das Wetter wurde mit jedem Tag nasser und kälter. Von Schnee war nicht die geringste Spur zu sehen und auch nicht von der Erkenntnis, in wen Felix verliebt gewesen war. Leon konnte sein Glück kaum fassen. Er und Felix hatten sich nun seit einigen Wochen nicht

mehr gestritten. Oder besser gesagt: Felix war nun schon seit einigen Wochen nicht mehr sauer auf ihn gewesen. Trotzdem waren seine Gefühle für Felix immer noch wie eine Achterbahnfahrt. Wenn sie sich in der Uni oder in der Mensa über den Weg liefen und Felix mit Christian unterwegs war, dann verkrampfte sich alles in ihm bei dem Gedanken, dass Christian wohlmöglich derjenige war, in den Felix sich verliebt hatte. Vielleicht flirtete er deshalb dauernd mit ihm? Es war zum Verrücktwerden.
 

Leon überlegte gerade, ob Christian vielleicht schon wusste, dass Felix in ihn verliebt war und er deswegen erreichen wollte, dass sich Leon bei ihm zum Affen machte, wenn er die drei Monate doch einhalten konnte… da klingelte sein Handy.

»Ja?«

»Hey… hier ist Nicci«, kam es vom anderen Ende. Leon spitzte die Ohren. Nicci klang nicht besonders heiter.

»Was gibt’s?«, fragte er lauernd.

»Kann ich vielleicht… vorbei kommen?«

Leons Alarmglocken schrillten augenblicklich. Nicci klang niedergeschlagen. Er konnte es nicht ausstehen, wenn Nicci niedergeschlagen klang!

»Klar«, gab er also prompt zurück.

»Danke… dann bis gleich.«
 

Leon war sich sicher, dass Nicci noch einige Zeit brauchen würde, bis sie bei ihm angekommen war, doch es klingelte kaum zwei Minuten später. Leon schloss daraus, dass Nicci bereits draußen und auf dem Weg zu ihm gewesen war, als sie ihn angerufen hatte. Das war garantiert ein schlechtes Zeichen.

Er hastete nach unten, rief wie üblich ‚Ist für mich!’ in Richtung Wohnzimmer und riss die Tür auf.

»Ok, was ist los?«, wollte er sofort wissen, zog Nicci in den Eingangsbereich, schloss die Tür und schob sie sofort in Richtung Treppe.

»Darf ich erstmal reinkommen?«, fragte sie mit der Spur eines Lächelns.

»Nein, darfst du nicht. Los, erzähl schon«, sagte Leon brüsk und stapfte hinter Nicci die Treppe hinauf bis zu seinem Zimmer, wo Nicci sich die Schuhe und ihre Jacke auszog und dann auf Leons Sofa Platz nahm. Leon setzte sich neben sie und starrte sie an.
 

»Ich war vorhin mit Lennard im Kino«, sagte sie und malte nachdenklich Muster auf ihre Jeans. Leon hob die Brauen, zog seine Beine in einen Schneidersitz und stützte sein Kinn auf den rechten Handballen.

»Und es war echt toll. Wir haben uns wieder gut verstanden und haben viel gelacht und haben anschließend noch ein Eis gegessen… und dann hat er mich zum Abschied geküsst.«

Leon runzelte verwirrt die Stirn.

»Und das ist… doch gut, oder nicht?«, fragte er ein wenig verwirrt. Nicci schluckte und nickte.

»Aber danach hat er…«

Sie brach ab und schniefte leise.
 

»Dann hat er was?«, fragte Leon nach. Er würde Lennard zusammen schlagen müssen, wenn der seiner besten Freundin wehgetan hatte.

Als Nicci aufblickte, schwammen ihre Augen in Tränen. Oh nein… nicht gut. Nicht das Heulen anfangen, keine gute Idee, schon vergessen, ich bin eine empathische Abrissbirne, absolut schlecht im Trösten, ich hab keine Ahnung, was man bei so was sagt…

Aber all sein innerliches Flehen half nichts. Nicci weinte. Wegen Lennard.

»Ok…egal, was er getan hat, ich breche ihm sämtliche Knochen!«

Er war schon halb vom Sofa aufgestanden, als Nicci hastig den Kopf schüttelte.

»Nicht…«, murmelte Nicci und wischte sich hastig über die Augen. Leon schnaubte.

»Er hat mir erzählt, dass er eine Freundin hat…«
 

»ER HAT WAS? Ich geh ihm alle Knochen brechen!«

Und er marschierte tatsächlich durchs Zimmer, um sich auf die Suche von Lennard zu begeben, den er natürlich überhaupt nicht kannte. Aber er war schrecklich sauer auf diesen Kerl, der seine beste Freundin zum Weinen gebracht hatte.

Doch Nicci war eilig aufgestanden und hielt ihn nun am Pullover fest.

»Er meinte, dass es bei den beiden schon länger nicht mehr so gut läuft und dass es ihm Leid tut, dass er es mir nicht gesagt hat und… er meinte, er würde es schon gern mit mir versuchen, aber er ist ja immer noch mit Kira zusammen und er weiß auch nicht, ob er überhaupt schon wieder bereit wäre für eine neue Beziehung…«

Sie brach ab und fuhr sich erneut mit dem Handrücken über die Augen.

»Und das alles sagt er dir mal eben so, nachdem er dich geknutscht hat?«, knurrte Leon säuerlich. Nicci nickte niedergeschlagen.
 

Leon zögerte einen Moment und zog Nicci dann in einer unbeholfen ruppigen Umarmung an sich.

Was konnte er sagen? Nichts… er war ein miserabler Tröster. Aber Nicci, die zu ihm aufsah und ihn zittrig anlächelte, schien erleichtert zu sein.

»Danke, Leo…«

»Ich hab doch gar nichts gemacht«, sagte er verlegen. Sie lachte kurz und lehnte sich an ihn.

»Doch, hast du…«

»Ich kann ihm auch jeden Knochen zweimal brechen, wenn du möchtest…«, schlug er hoffnungsvoll vor.

»Nein…nein, danke. Das wird nicht nötig sein, denke ich«, meinte Nicci und brachte ein Lächeln zustande, »er hat gesagt, er will jetzt erstmal mit Kira reden und ein wenig nachdenken und dann meldet er sich bei mir…«
 

Nicci schwieg einen Moment lang, dann sah sie Leon nachdenklich an, löste sich aus der Umarmung und lehnte sich gegen die Lehne des Sofas.

»Was ist eigentlich bei dir und Felix los?«, fragte sie schließlich und Leon seufzte.

»Seit ein paar Wochen ist alles bestens. Er war jetzt schon länger nicht mehr sauer auf mich. Das muss ein Rekord sein. Und… er meinte letztens, er war schon mal verliebt. Du weißt nicht zufällig, in wen, oder?«, meinte er beiläufig, doch Niccis Lächeln verriet ihm, dass sie genau wusste, was in Leon vorging.

»Leo…darf ich ganz ehrlich zu dir sein?«, fragte sie dann.

Leon hob die Brauen, nickte aber. Er fragte sich, was nun als Nächstes kam…

»Sieh mal… du bist der Einzige, bei dessen Fehltritten Felix immer hoch geht wie eine Bombe. Wenn zwischen euch alles bestens ist, dann ist er wunderbar gelaunt. Ist dir schon mal der Gedanken gekommen, dass du derjenige bist, in den Felix verliebt war… und immer noch ist?«
 

Leons Herz machten einen übermäßigen Satz, ehe es schließlich begann, wie verrückt in seiner Brust zu hämmern. Felix…verliebt in ihn? Er starrte Nicci an, die ihn anlächelte und Leon wusste, Nicci machte über diese Dinge keine Witze. Sie stellte diese Vermutung ernsthaft an. Sie glaubte wirklich…? Und wenn Nicci so etwas sagte, dann musste es etwas bedeuten, oder?

»Das… meinst du…ich… also… ehrlich…?«

Nicci nickte.

»Ich kann es mir gut vorstellen… Also wird’s langsam wirklich Zeit, dass du ihm mal gestehst, was Sache ist, oder?«
 

Nicci hat die Vermutung geäußert, dass du vielleicht in mich verliebt warst. Oder immer noch bist. Ich will das so gern glauben… ich will’s dir endlich sagen, aber ich kann nicht… wenn du wirklich verliebt bist in mich, was ich kaum zu hoffen wage – Herrgott ich labere schon wieder einen sentimentalen Scheiß – dann… wieso… wieso sagst DU dann nichts? Du weißt doch, dass ich schlecht in solchen Sachen bin… bist du vielleicht wirklich auch ein kleines bisschen verliebt in mich?

Putzunterstützung

Und da haben wir schon das nächste. Ich bin heute ziemlich produktiv... :)

Viel Spaß beim Lesen!

Liebe Grüße,

Ur

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Nach Niccis Vermutung, dass du eventuell in mich verliebt sein könntest, habe ich ein wenig auf dein Verhalten gegenüber mir geachtet. Mittlerweile bin ich mir sicher, dass Nicci sich geirrt hat. Du benimmst dich mir gegenüber ganz normal. Ich weiß nicht, wo Nicci da irgendwelche Zeichen sieht. Ich hasse mein Leben.
 

Leon klappte sein Tagebuch zu. Es war mittlerweile beinahe voll und er fragte sich, ob er wohl ein Neues brauchen würde. Es konnte doch nicht sein, dass er jahrelang in Felix verliebt war und diese Gefühle nie ein Ende nahmen! Irgendwann musste das einfach aufhören.

Sich allein auf Niccis Vermutung und seine eigene Hoffnung zu stützen, wäre dumm. Was, wenn Felix doch nicht in ihn verliebt war und er sich völlig zum Deppen machte, wenn er es ihm sagte? Leon kam sich vor wie der letzte Feigling. Er hatte so eine riesige Angst davor, von Felix abgewiesen zu werden, dass er bei dem Gedanken daran regelmäßig Schlafstörungen bekam.

In seiner Achterbahn jedenfalls ging es im Moment bergauf. Fast hatte er Angst, dass es jeden Moment wieder bergab gehen und Felix erneut sauer auf ihn sein könnte, doch das schien nicht der Fall zu sein.

Felix rief ihn oftmals an, fragte nach Treffen oder wollte sich nur ein wenig mit ihm unterhalten. Mittlerweile brachten sie sich nach fast jeder Bandprobe nach Hause. Wenn Felix mit dem Auto da war, dann fuhr er Leon. Wenn Leon mit dem Wagen seines Vaters da war, dann brachte er Felix heim. Es war, als wären sie sich still darüber einig geworden, nicht mehr allein nach Hause zu fahren.

Leon seufzte bei dem Gedanken daran. Hauptsache, er konnte so oft wie möglich in Felix’ Nähe sein.
 

Allerdings… war es bisher immer Felix gewesen, der angerufen hatte. Leon dachte schon seit einiger Zeit darüber nach, ob er sich nicht auch einmal von sich aus bei Felix melden sollte. Als er einen Blick aus dem Fenster warf, die Sonne scheinen und kaum eine Wolke am azurblauen Himmel kleben sah, befand er, dass es heute genau der richtige Tag für eine Premiere war.

Nachdem er duschen war und sich die blonden Haare getrocknet hatte, ging er nur in einer Boxershorts bekleidet zum Telefon und griff nach dem Hörer, ehe er sich damit in sein Zimmer verzog.

Du hast schon hundert Mal mit Felix telefoniert, schimpfte er sein hämmerndes Herz aus, das ist nichts Neues!
 

Er wählte die Nummer und hielt sich den Hörer ans Ohr. Einige Male tutete es, dann…

»Hallo Noel!«

Er stutzte.

»Ähm…woher weißt du, dass ich es bin?«, fragte er zaghaft. Felix lachte. Herrgott… dieses Lachen machte ihn eines Tages noch einmal wahnsinnig.

»Deine Nummer hat einen eigenen Klingelton bei mir«, informierte ihn Felix gut gelaunt. Leon fühlte, wie Hitze in ihm hochstieg und er hörte es bei Felix im Hintergrund klappern.

»Was machst du grade?«, wollte er wissen.
 

»Ich miste in meinem Zimmer aus, putze und räume auf«, erklärte Felix. Leon sah sich in seinem Zimmer um. Er hatte seit Ewigkeiten nicht mehr staubgesaugt, sein Couchtisch wies Kleberänder von Gläsern und Tassen auf, hier und da lag eine Socke herum, die er immer noch nicht in den Wäschekorb verbannt hatte… Von Ordnung konnte bei ihm also nicht die Rede sein.

»Oh… na, ich wollte nicht stören, ich wollte eigentlich nur fragen, ob ich dich seh- … ähm, ob du Zeit hast… oder so«, meinte er hastig. Erstauntes Schweigen am anderen Ende.

»Noel…«

»Nenn mich nicht so«, murrte er ungehalten.

»Das ist das erste Mal, dass du mich anrufst und von dir aus nach einem Treffen fragst!«

»Kann sein…«, sagte er wegwerfend, obwohl er sehr genau wusste, dass es so war.
 

»Hm… ich möchte dich gerne sehen«, sagte Felix nachdenklich und Leons Gedanken überschlugen sich, »aber ich muss echt eine Menge erledigen.«

»Ich helf dir«, platzte es aus ihm raus. Für Felix würde er auch putzen und aufräumen und... Auch wenn er bezweifelte, dass er das besonders gut konnte. Erneut herrschte erstaunte Stille am anderen Ende.

»Du würdest mit mir mein Zimmer entrümpeln und putzen nur um mich zu sehen?«

Ihm wurde noch viel heißer und er räusperte sich verlegen. Aber es musste voran gehen. Er wollte endlich, dass sich diese Sache mit Felix klärte. Dann konnte er solche Dinge doch ruhig als stummen Liebesbeweis verwenden.

»Ja«, sagte er also krächzend.
 

Felix schwieg heute erstaunlich viel und lange.

»Noel…du bist so niedlich…«, sagte Felix leise. Leon schnaubte ungnädig und bemühte sich, das laute Klopfen seines Herzens geflissentlich zu ignorieren.

»Ich bin nicht niedlich! Und hör auf mich so zu nennen!«, sagte er aufgebracht. Selbst die Socken, die in seinem Wohnzimmer verstreut lagen, waren niedlicher als er! Naja… vielleicht auch nicht.

»Kannst du gleich kommen? Wir haben uns schon so lange nicht mehr gesehen…«, sagte Felix ungewöhnlich ernst und leise. Seit zwei Tagen, um genau zu sein… Wieso sagte er das mit dieser Stimme? Leon hatte das Gefühl, er müsste jeden Augenblick zerfließen vor lauter Verliebtheit! Dass er so etwas Schmalziges überhaupt dachte, war ihm peinlich.

»S…sicher«, krächzte er leicht überfordert mit dem plötzlich so ernsten Felix.

»Das ist schön! Dann bis gleich!«

»Bis gleich…«

Er legte auf und schluckte. Sein Herz bollerte immer noch wie eine ganze Armada Dampflokomotiven.

Er ging eilig zu seinem Schreibtisch hinüber und kramte sein Tagebuch hervor.
 

Ich fahr jetzt zu dir und helfe dir beim Wohnungsputz. Kaum zu fassen, dass ich das freiwillig tue. Aber was macht man nicht alles, um in deiner Nähe zu sein. Herrgott, ich bin ein Idiot. Und rede gefälligst nie wieder mit dieser komischen Stimme mit mir! Die bringt mich durcheinander… außerdem krieg ich bald ’nen Herzstillstand, wenn du so weiter machst. Du wirkst so anhänglich… Ich kann’s kaum ertragen, dich nicht küssen zu dürfen. Und so was von mir, wo ich doch sonst immer nur an Sex interessiert bin.
 

Nachdem er das Buch zurück in den Schreibtisch gestopft hatte, packte er seine Sachen zusammen, zog sich vorsorglich ältere Sachen an und verließ das Haus, um zu Felix zu gehen.

Der empfing ihn mit quietschgelben Gummihandschuhen, die ihm bis zu den Ellenbogen reichten, mit einem weißen Haarband, das seine dunklen Haare aus der Stirn hielt und einer uralten, zerschlissenen Jeans. Auf seinem T-Shirt prangte in großen, grünen Lettern ‚Bad Boy’. Leon blinzelte ein wenig erstaunt.

»Diese Gummihandschuhe stehen dir super«, sagte er schließlich grinsend. Felix schnaubte schmunzelnd, boxte ihm sachte gegen die Schulter und ließ ihn herein.

»Sind deine Eltern schon wieder weg?«, erkundigte er sich, während er seine Schuhe auszog und sich im Flur umsah. Zwei große Müllbeutel standen an die Wand gelegt und vor Felix’ Zimmertür lag ein großer Wäschehaufen, der nach Bettwäsche und Gardinen aussah.

»Ja. Mama ist Arbeiten und Papa trifft sich mit ein paar Freunden«, erklärte er und schloss die Tür hinter Leon. Dann gingen sie gemeinsam zu Felix’ Zimmer.
 

Tatsächlich sah Felix’ sonst immer so sorgfältig aufgeräumtes Zimmer aus, als hätte eine Zwanzig- Zentner- Bombe eingeschlagen.

Alle Schränke und Schubladen standen offen, überall lagen Berge von Papierkram, Klamotten und anderen Dingen herum. Offensichtlich hatte Felix gerade alle seine Schubladen und Schränke ausgewischt und ausgemistet. Das Bett war von der Wand gerückt, daneben stand ein Staubsauger, das Fenster stand weit offen und auf dem Boden standen mehrere Topfpflanzen, die vorher einmal das Fensterbrett geziert hatten.

»Was hast du denn alles ausgemistet?«, fragte Leon ein wenig verwirrt.

»Was sich eben so ansammelt über die Monate. Alte Unterlagen, irgendwelchen Kram, den ich nicht mehr brauche, meine alten Schulsachen, zwei Paar Schuhe… solche Sachen«, erklärte er.

Leon schmunzelte.
 

»Putzt man so gründlich nicht eigentlich im Frühling?«, wollte er wissen. Felix lachte leise.

»Ja. Aber es wird Zeit, dass ich alles ein wenig erneuere. Wir sind jetzt immerhin Studenten, meine Schwestern sind ausgezogen…«, erklärte Felix zufrieden, aber Leon hatte das Gefühl, dass in dieser Aufzählung irgendetwas fehlte. Er ignorierte diesen Gedanken und räusperte sich.

»Und wobei soll ich dir nun genau helfen?«, fragte Leon vorsichtig nach. Er hatte keine Lust, den Boden zu schrubben.

»Ich dachte, du könntest die kleine Kommode da drüben zerlegen. Im Dinge zusammenschlagen bist du immerhin sehr begabt und ich brauch das Ding nicht mehr«, meinte Felix, streckte ihm die Zunge heraus und ging hinüber zu einem mit schaumigem Wasser gefüllten Eimer.

»Das wird meine erste verkloppte Kommode sein«, meinte er amüsiert, wandte sich aber ergeben um und ging hinüber zu dem kleinen Schränkchen, das mitten im Raum stand.
 

Leon hasste Putzen. Aber er stellte fest, dass mit Felix alles nur noch halb so schlimm war. Er zerlegte die Kommode und schleppte alle Einzelstücke hinunter in den Keller, wo Felix die Sachen erst einmal lagern wollte, bevor er sie irgendwann entsorgte. Dann half er Felix beim Fensterputzen. Während Felix die Gardinen, die im Flur lagen, in die Waschmaschine stopfte, holte Leon mit dem Staubsauger Spinnenweben von der Decke. Anschließend durfte er ein CD- Regal entstauben, wozu Felix ihm einen regenbogenfarbenen Staubwedel in die Hand drückte.

Anstatt das Regal mit dem Staubwedel zu säubern, machte Leon sich einen Spaß daraus, Felix mit besagtem Wedel zu kitzeln. Schließlich entriss Felix Leon den Wisch und jagte ihn damit durch die halbe Wohnung, bis sie schließlich im Wohnzimmer landeten und Leon lachend aufgab.

Felix machte ihnen Sandwiches, während Leon pflichtschuldig das ihm zugewiesene Regal entstaubte.
 

Er konnte sich nicht mehr erinnern, wann er das letzte Mal so viel gelacht hatte. Seine Gesichtsmuskeln waren das kaum gewöhnt.

»Du solltest öfter lachen, Noel«, informierte Felix ihn, der die Gummihandschuhe ausgezogen und ins Spülbecken geworfen hatte, damit er in Ruhe essen konnte. Leon schnaubte grinsend.

»Mir tun die Wangen weh«, sagte er bemüht ungnädig, doch das Grinsen ließ sich nicht verhindern. Felix gluckste matt.

»So muss das sein«, sagte er amüsiert und piekte Leon ein paar Mal hinter einander in die Wange. Der grummelte.

»Lass das«, beklagte er sich grinsend. Felix streckte ihm schon wieder die Zunge heraus.

»Dann lieber kitzeln?«, fragte er scheinheilig und begann damit, Leons Seiten zu traktieren.

»Nein! Gnade! Lass das!«, rief er und lachte, während er versuchte, Felix’ Hände weg zu schieben.
 

»Ich kann’s kaum fassen, dass du wirklich zum Putzen hier bist«, sagte Felix leicht schnaufend, nachdem er von Leon abgelassen hatte.

»Ja, ich kann’s auch noch nicht fassen«, sagte Leon murmelnd und betrachtete äußerst interessiert die Wohnzimmerdecke.

»Aber Noel… ich freu mich drüber«, flüsterte Felix’ Stimme ganz nah an seinem Ohr, sodass er heftig zusammenzuckte, eine Gänsehaut bekam und rot anlief.

»Erschreck mich nicht so!«, maulte er verlegen, rieb sich übers Ohr und stand vom Sofa auf. Also wirklich…

Nachdem Felix das Bett neu bezogen hatte, wandte er sich zu Leon um und sah ihn einen Moment lang lächelnd an, dann kam er zu ihm herüber. Leon kam seinem Herzschrittmacher schon wieder ein Stück näher.

Felix umarmte ihn. Oh Gott… Hitze. Hilfe… nicht doch…

»Danke für deine Hilfe, Noel«, sagte Felix leise und ganz nah an seinem Ohr.

»N…nenn mich nicht so…«, krächzte er und bekam von Felix’ Atem an seiner Ohrmuschel prompt eine Gänsehaut.
 

Wie machst du das nur, mich ständig so aus dem Konzept zu bringen? Wie lange soll ich das noch aushalten? Ich hab nur noch einen Monat, um dir meine Gefühle zu gestehen, bevor Christian dich flachlegen will… zumindest, wenn ich ihm Glauben schenken darf. Ich hab keine Ahnung, ob ich das schaffe. Und bald ist Weihnachten. Ich weiß nicht, was ich dir schenken soll. Soll ich dir überhaupt was schenken? Ist das nicht eigentlich total egal? Ach man, meine Gefühle machen mir das Leben zur Hölle. Ich kann an nichts anderes mehr denken, als an dich. Mit dir macht ja selbst putzen Spaß! Ich meine, wie weit soll das denn noch gehen? Du machst mich echt fertig…

Fluchtfolgen

Für das Kapitel gibt's leider keine Info- ENS, weil ich jetzt ins Bett gehe. Ich wünsche euch trotzdem viel Spaß beim Lesen! Und mal wieder Danke für die ganzen lieben Kommentare!

Liebe Grüße und gute Nacht,

Ur

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Wahrscheinlich war er dem Tode schon sehr nahe und er wusste es noch nicht. Wenn Felix wüsste, dass er ihm jedes Mal, wenn er in Leons Nähe kam, einen derartigen Herzinfarkt bescherte, würde er ihm dann noch nahe kommen? Leon beschloss, Felix nichts davon zu sagen. Lieber früh sterben, als nie mehr in Felix’ Nähe.

Nach ihrer Putzfete – Leon hatte es kaum glauben können – schien ihre Beziehung zueinander nicht wie üblich bergab zu schlittern, sondern bloß noch weiter in die Höhe zu schießen. Lara und Timo äußerten die Frage, was mit ihnen beiden los sei, da sie ausnehmend gut gelaunt bei der Bandprobe erschienen, sich überhaupt nicht mehr stritten und vor allem, da Leon immer öfter lachte. Lara hatte bereits verlauten lassen, dass Leon in der ganzen letzten Woche mehr gelacht hätte, als in ihren bisherigen Jahren als Band zusammen.

»Sag mal läuft zwischen euch beiden irgendwas, was wir noch nicht mitbekommen haben?«, erkundigte sich Timo erstaunt, als Felix Leon in einen ‚zärtlichen’ Schwitzkasten genommen und ihm die Frisur ruiniert hatte, weil Leon darüber gelacht hatte, dass eine von Felix’ Saiten gerissen war.
 

Felix hielt in seinem Gewuschel inne und Leon linste von unten aus seinem Schwitzkasten heraus hoch zu Timo, der von Lara wieder einmal mitgebracht worden war.

»Ähm«, sagten sie beiden im Chor und Leon sah, wie Nicci sich ein Lachen verkniff und sich abwandte.

»Nein, wieso«, sagte Leon.

»Nicht die Bohne«, pflichtete Felix ihm bei.

Lara und Timo legten die Köpfe schief.

»Ich könnt schwören, dass irgendwas anders ist«, murmelte Timo. Leon und Felix räusperten sich, Felix ließ ihn los und sie warfen sich einen kurzen Blick zu.

Ja… irgendwie war alles anders. Leon war sich nicht wirklich sicher, was genau der Auslöser gewesen war. Aber all die kleinen Winke mit dem Zaunpfahl, die Felix ihm immer wieder um die Nase haute… Leon wurde sich langsam aber deutlich sicher, dass er sich all das nicht einbildete. Er durfte sich das einfach nicht einbilden. Natürlich war da immer noch seine ab und an brodelnde Eifersucht. Erst kürzlich hatte er zufällig gesehen, dass Felix und Christian sich in der Mensa beim Anstehen unterhalten hatten. Er hatte Nicci danach zugeknurrt, dass Christian Felix endlich aufgeben sollte. Nicci hatte das ziemlich amüsant gefunden und ihm zugeraunt, dass er nur noch ungefähr zwanzig Tage bis zum Ablauf der drei Monate hatte.
 

Nach besagter Bandprobe, bei der Lara und Timo sie gefragt hatten, was mit ihnen los sei, murrte er halbherzig über seine ruinierte Frisur. Felix stand hinter ihm und klopfte ihm glucksend auf die Schulter.

»Langsam solltest du wirklich wissen, dass Gel zwecklos ist. Ich flausche so gern in deinen Haaren rum«, meinte Felix grinsend und Leon schnaubte ungnädig, musste aber trotzdem schmunzeln.

»Und mit welchem Recht zerflauschst du mir die Haare? Niemand darf meine Frisur anfassen«, sagte Leon und verschränkte die Arme vor der Brust.

Felix streckte ihm die Zunge heraus.

»Ich darf das. Ich darf dich ja auch Noel nennen…«, sagte Felix frech und Leon brummte, musste aber lächeln.

»Ich sag dir doch jedes Mal, dass du mich nicht so nennen sollst«, entgegnete er. Felix lachte leise und wandte sich um.

»Als würdest du das wirklich so meinen«, sagte er amüsiert. Es war anstrengend, dass Felix ihn immerzu durchschauen musste.
 

Wir verstehen uns im Moment so gut, dass ich förmlich darauf warte, dass irgendwas passiert. Bisher ging es doch immer abwärts, nachdem wir so eine Hochphase hatten. Aber ich kann nicht sagen, dass ich es nicht total genieße, mich nur gut mit dir zu verstehen.

Nicci hat mir noch ein wenig von Lennard erzählt. Der hat sich wohl immer noch nicht ausgeschissen. Unglaublich. Wie kann man da noch überlegen, ich meine, Nicci ist echt toll! Wenn er so weiter macht, muss ich ihn doch noch zu Brei schlagen. So ein Armleuchter.

Ich hab nur noch ein paar Wochen, bis die drei Monate abgelaufen sind…
 

Eine Woche später kam Felix dann das erste Mal seit Ewigkeiten schlecht gelaunt zur Bandprobe. Er sprach wenig und Leon traute sich kaum, ihn zu fragen, was denn los sei. Was, wenn er wieder etwas verbockt hatte, ohne dass er es wusste? Aber er bekam keine Gelegenheit dazu, Felix allein zu erwischen, der als erster wieder aus dem Proberaum verschwunden war, als sie die Probe beendet hatten. Er zerbrach sich den ganzen Tag den Kopf darüber, warum Felix so schlecht gelaunt war. Schließlich rief er ihn abends an. Aber niemand nahm ab. Langsam aber sicher wurde er unruhig, aber als er nach seinem Handy kramen und Felix’ Handynummer heraussuchen wollte, stellte er fest, dass er sein Handy vergessen hatte. Oder verloren. Allerdings hoffte er, dass er es im Proberaum hatte liegen lassen, so wie sein Portemonnaie damals.

»Dad, ich leih mir das Auto«, rief er in Richtung Wohnzimmer und verließ eilends das Haus. Draußen war es eisig kalt und es war bereits dunkel. Er hasste den Winter.
 

Er fröstelte wie verrückt, als er vom Auto zum Jugendzentrum sprintete und die Treppe hinunter in ihren Kellerraum polterte. Als er die Tür öffnete und hineinstürmte, blieb er wie angewurzelt stehen und stutzte. Auf dem abgewetzten Sofa saß Felix, in einen Schlafsack gehüllt und mit einem Buch in der Hand.

Er sah Leon irritiert an.

»Was machst du denn hier?«, fragten sie gleichzeitig.

Felix musste lachen.

»Ich lese. Und du?«

Leon runzelte die Stirn. Hier im Keller war es verflucht kalt und eine Heizung gab es nicht.

»Ich suche mein Handy. Und du liest? Das kannst du doch auch zu Hause«, sagte er verwirrt und begann sich nach seinem Handy umzusehen.

»Hab keine Lust auf zu Hause«, sagte Felix beiläufig. Leon hob den Kopf und sah ihn an.

»Wieso?«, wollte er wissen.
 

Felix legte den Kopf schief und klappte sein Buch zu.

»Dicke Luft?«, entgegnete er knapp. Leon knurrte.

»Schwachkopf«, motzte er ungehalten, ging zu Felix hinüber und riss ihm das Buch aus der Hand.

»Pack das ein, ich nehm dich mit zu mir. Also ehrlich. Lesen im eiskalten Keller. Was für eine beschissene Idee!«, grollte er ungehalten und entdeckte sein Handy auf Laras Snare- Drum. Er steckte es in die Hosentasche und sah sich zu Felix um, der immer noch dort auf dem Sofa saß und ihn anstarrte.

»Was ist denn? Es ist schweinekalt hier drin, mach hin«, brummte er verlegen, als sich auf Felix’ Gesicht ein zärtliches Lächeln ausbreitete.
 

Felix schälte sich aus dem Schlafsack und knautschte ihn zusammen, um ihn zurück in die Hülle zu stecken.

»Du kannst ja richtig sauer auf mich werden«, sagte Felix schmunzelnd, als er sich mit dem Schlafsack aufrichtete und nach seinem Buch griff, um es in den Rucksack zu stecken, der neben dem Sofa stand. Leon fragte sich dunkel, wie lange Felix hier hatte campieren wollen. Vermutlich wäre er über Nacht erfroren, wenn er nicht vorbei geschaut hätte!

»Wenn du auch so einen Mist baust«, grollte er und verschränkte die Arme vor der Brust, dann folgte er Felix aus dem Kellerraum und ließ sich oben angekommen auf den Fahrersitz fallen.

Nachdem Felix eingestiegen war, startete er den Wagen und fuhr aus der Parklücke.
 

»Mein Dad will ausziehen«, sagte er unvermittelt. Leon wäre fast in seinen Vordermann an einer Ampel gekracht. Verwirrt sah er Felix an.

»Wie kommt’s?«, fragte er. Felix wiegte den Kopf hin und her.

»Es stellte sich raus, dass er sich die letzten Wochen gar nicht mit seinen Freunden getroffen hat, wie er immer sagte, sondern mit einer Arbeitskollegin. Und er scheint sie interessanter zu finden als meine Ma«, erklärte er nüchtern. Aber Leon konnte sich vorstellen, dass es in Felix ganz anders aussah. Er war ja wohl nicht umsonst so schlecht gelaunt gewesen und dann von zu Hause abgehauen.

»Wieso bist du eigentlich nicht gleich zu mir gekommen?«, fragte er abrupt, weil er nicht wusste, was er auf diese Offenbarung hin sagen sollte.

Felix wandte ihm erstaunt das Gesicht zu.

»Ich wusste nicht, ob ich durfte«, sagte er.

»Wieso hast du nicht angerufen?«, blaffte Leon ihn an. Felix musste lachen.

»Hab ich doch. Aber dein Handy hat direkt neben mir geklingelt«, sagte er.
 

Das nahm Leon die Luft aus den Segeln. Er grummelte leise und bog in die Straße ein, in der das Haus seiner Eltern stand.

Sie stiegen aus und Leon hatte Felix rasch nach oben in sein Zimmer geschickt. Dann zögerte er einen Moment lang unten im Flur und ging schließlich in die Küche, um einen Tee zu kochen.

Felix lag eingerollt auf Leons Sofa und sah aus, als wäre ihm ziemlich kalt. Leon schnaubte, ging mit dem Tee zu ihm hinüber und stellte die Tasse auf dem Tisch ab. Auf dem Weg zum Bett versuchte er, hastig ein paar Socken vom Boden aufzusammeln und irgendwo in einer Ecke zu verstecken. Dann schnappte er sich seine Bettdecke und warf sie über Felix, sodass sie den Brünetten komplett bedeckte. Er hörte Felix unter der Decke lachen.

»Du kannst ja fürsorglich sein«, meinte Felix lächelnd und schob die Decke von seinem Kopf. Dann betrachtete er die Tasse mit dem dampfenden Tee darin.
 

»Wenn du halt so unvernünftig bist!«, maulte Leon und spürte, wie er rot wurde. Felix hatte ihm Kiwis gebracht! Das war viel schlimmer, als einen Tee zu kochen! Obwohl für ihn so ein Akt der Fürsorge fast schon wie ein Heiratsantrag war.

Dunkel fragte er sich, ob er jemals wieder in jemanden anderes verliebt sein würde. Wenn er Felix so ansah, wie er da eingewickelt in seine Bettdecke auf dem Sofa saß und glücklich lächelnd seinen Tee schlürfte… nein. Er konnte es sich beim besten Willen nicht vorstellen.

Leon setzte sich neben Felix aufs Sofa und starrte seine Knie an. Sein Herz hämmerte wie ein Hochofen.

»Du bist klasse«, murmelte Felix seiner Teetasse zu und Leon zuckte kaum merklich zusammen. Sein Magen kribbelte wie ein Ameisenhaufen. Er hatte keine Ahnung, was er dazu Sinnvolles sagen sollte. Also brummte er nur verlegen und Felix gluckste leise.
 

Sie verbrachten den Abend schweigend. Felix las in seinem Buch, eingerollt in Leons Bettdecke auf dem Sofa. Leon saß auf dem Boden und spielte Bass, notierte ab und an etwas auf einem Notenblatt und sah immer mal wieder zu Felix hinüber. Es war angenehm Gesellschaft zu haben und nicht unbedingt zu reden oder etwas zusammen zu machen. Der einzige Mensch, mit dem er das noch konnte, war Nicci.

»Darf ich nachher eigentlich bei dir im Bett schlafen?«, fragte Felix, ohne den Blick von seinem Buch abzuwenden. Leon verschluckte sich beinahe an seiner eigenen Spucke und röchelte leise vor sich hin, ehe er antwortete.

»Ok«, krächzte er. Felix grinste den Seiten entgegen. Er sah ausgesprochen zufrieden aus.
 

Sie gingen ziemlich spät ins Bett, da sie beide am nächsten Tag erst spät Uni hatten. Leon fand es immer noch befremdlich, neben Felix zu schlafen. Noch befremdlicher fand er es, als Felix bereits eingeschlafen war und er plötzlich so nah an ihn heran rutschte, dass sie beinahe schon miteinander kuschelten. Bei diesem Gedanken fiel ihm das Einschlafen doch ziemlich schwer, da sein Herz auf Hochtouren pumpte und sein Magen erneut wie verrückt kribbelte.

Als er schließlich einschlief, träumte er von Händchen halten und Küssen und Schlafsäcken für zwei.
 

Es war ein merkwürdiges Gefühl, mit Felix zusammen aufzustehen, mit ihm im Bad zu stehen und Zähne zu putzen, mit ihm zusammen zu frühstücken und dann auch noch zusammen zur Uni zu fahren.

»Danke noch mal, dass du mir Asyl gewährt hast«, sagte Felix lächelnd, kurz bevor sie die Uni erreicht hatten.

»Kein Ding. Du kannst gern nach der Uni wieder mitkommen«, sagte er brummig.

»Danke«, sagte Felix leise. Leons Herz hämmerte wie verrückt. Er bog in eine Seitenstraße hinter dem Hauptcampus und parkte den Wagen umsichtig.

»Ich find’s übrigens toll, dass wir uns so gut verstehen, Noel«, sagte Felix dann plötzlich mit dieser ernsten, leisen Stimme, die Leon schon am Telefon kurz vor der Putzaktion so aus der Fassung gebracht hatte.

Der Zaunpfahl hing direkt vor seinem Gesicht. Leon wandte den Kopf langsam nach rechts und Felix und er sahen sich an. Leons Herz hämmerte nachdrücklich gegen seinen Brustkorb. Er brachte ein unsicheres Lächeln zu Stande.

»Ich…auch…«, nuschelte er heiser. Felix hob die Hand, ohne den Blick von Leon zu lösen. Er streckte die nun freie Hand aus und seine Finger berührten sachte Leons Wange.
 

Gleich würde er sterben. Auf der Stelle… Felix’ Blick wirkte leicht hypnotisiert und Leon war sich sicher, dass er auch nicht besser dreinschaute.

Ganz langsam beugte Felix sich vor, über die Gangschaltung hinweg zu Leon. Seine Hand glitt in Leons Nacken, ganz sachte und beinahe fragend.

Leons Herz schlug in der Nähe seines Adamsapfels und würde jeden Moment herausspringen und Felix anfallen. Er konnte nicht denken. Felix war so nah. Warum war er so…

Die vollen Lippen legten sich ganz behutsam auf seine. Leons Herz explodierte in tausend kleine Einzelteile, die sich allesamt in Ameisen verwandelten und durch seinen Körper kribbelten.
 

Seine Hände zitterten und ihm war furchtbar heiß. Felix’ Lippen waren weich und fühlten sich noch besser an, als er es sich jemals vorgestellt hatte.

Leons Hände hoben sich unsicher, eine legte sich auf Felix’ Schulter, die andere in den Nacken des Größeren. Seine Augen waren zugefallen. Noch war das lediglich eine hauchzarte Berührung ihrer Lippen…aber…

Als Felix’ Lippen sich gegen seine bewegten, rauschte eine Hitzewelle durch Leons Körper und dann, ganz plötzlich, lagen sie sich in den Armen, krallten sich an dem jeweils anderen fest, als wollten sie sich nie wieder loslassen. Felix’ Finger gruben sich in Leons T-Shirt, Leon drückte Felix näher an sich, um den anderen daran zu hindern, den Kuss zu lösen.

Sie küssten sich so heftig, als würde jeden Moment die Welt untergehen. Felix’ Zunge, die sich aufreizend an Leons schmiegte, brachte ihn beinahe vollkommen um den Verstand. Erregung und eine Flutwelle von Gefühlen schossen durch seinen Körper. So war es, Felix zu küssen.
 

Felix küsste ihn.

Felix umarmte ihn.

Felix hielt ihn so fest, als wäre Leon sein Rettungsring im weiten Meer.

Felix seufzte hingerissen in ihren Kuss…

Felix...
 

Leon konnte es nicht fassen. Seine Lippen wollten sich nie wieder von Felix’ lösen. Er war so aufgeregt und hibbelig, als wäre dies sein erster Kuss. Seine Hose wurde allein von diesem Kuss unangenehm eng. Er wollte nicht, dass Felix ausstieg. Sie könnten doch einfach für immer in diesem Wagen sitzen bleiben und sich küssen. Wer brauchte schon Luft zum Atmen oder etwas zu Essen, wenn man Felix hatte, den man küssen konnte?

Als Felix sich von ihm löste, hingen seine Augenlider auf Halbmast und seine vollen Lippen schimmerten feucht von ihrem Kuss. Leon konnte kaum atmen. Einen Moment lang sahen sie sich ungläubig, erstaunt und gleichzeitig nach mehr verlangend an, dann zog Felix sich von ihm zurück und tastete fahrig nach seinem Rucksack.
 

»D…danke…für’s Fahren…«, stammelte Felix, griff nach dem Türgriff, verfehlte ihn beim ersten Tasten und stieg hastig aus.

Leon starrte ihm nach.

Felix stammelte… Das war neu. Er konnte so nicht in die Uni gehen. Sein Kopf war leer, seine Hose zu eng, sein ganzer Körper war wie gelähmt und so kribbelig, als würde er sich jeden Moment auflösen. Er sah Felix nach, der beinahe über den Bordstein stolperte und dann in Richtung Campus verschwand.
 

Sie hatten sich geküsst. Das erste Mal. Felix hatte angefangen. Felix hatte sich genauso an ihm festgekrallt, wie Leon an ihm. Er merkte kaum, was er tat, als er sein Handy hervorholte.

»Nicci? Kann ich vorbei kommen?«, krächzte er heiser.

»Hast du nicht Uni?«, fragte Nicci verwirrt.

»Ich muss schwänzen. Es ist dringend. Kann ich kommen?«, fragte er drängend.

»Sicher, ich bin zu Hause!«

»Danke…«

Dann legte er auf. Aber er konnte noch nicht losfahren. Er musste warten. Warten, bis dieses Gefühl verschwand. Er konnte sich so niemals auf den Verkehr konzentrieren. Gott… er musste mehr von diesen Küssen haben. Mehr von diesem Menschen, der ihn so aus dem Konzept brachte. Er musste es Felix sagen. Egal wie. Er musste mit Felix zusammen sein, oder er würde kläglich verrecken wie ein Fisch auf dem Trockenen. Er war schon nach der ersten Dosis Felix unrettbar süchtig…
 

Es dauerte zwanzig Minuten, bis Leon das Gefühl hatte, sein Kopf wäre wenigstens halbwegs klar. Dann erst fuhr er los, direkt zu Nicci, die ihn gespannt oben an der Tür erwartete.

»Was ist passiert? Wieso musst du schwänzen?“, fragte Nicci verwirrt.

»Felix hat mich geküsst!«, platzte es aus ihm heraus, noch bevor er in Niccis Flur getreten war. Nicci riss die Augen auf.

»Wow! Wann? Wieso?«, fragte sie.

»Im Auto…eben…als ich uns beide zur Uni gefahren hab… und dann ist er ganz schnell ausgestiegen und fast über den Bordstein gestolpert…«

Nicci legte den Kopf schief. Leon raufte sich die Haare. Herrgott, sein Herz hämmerte immer noch.
 

Er hatte das Gefühl, sein Gesicht würde glühen, immer wieder musste er sich über die Lippen lecken, als könnte er Felix’ Kuss noch immer schmecken. Der Kuss war mittlerweile fast eine dreiviertel Stunde her und immer noch bollerte sein Herz wie verrückt.

Er griff nach Niccis Hand, patschte sie sich auf den Brustkorb und starrte seine beste Freundin halb verzweifelt und halb aufgebracht an.

»Was soll das? Huh? Wieso ist das so?«, fragte er matt und fuhr sich mit der anderen Hand über das Gesicht, ehe er Niccis Hand losließ.
 

»So ist das in der Liebe, Leo… Wird Zeit, dass du ihm endlich dein Tagebuch gibst«, meinte Nicci lächelnd und nahm die Hand von Leons Brustkorb. Leon stöhnte.

»Gib ihm dein Tagebuch!«, sagte Nicci erneut.

»Aber dann muss ich noch eine ganze Menge raus streichen…«

Nicci wedelte mit beiden Händen vor seiner Nase herum.

»Nein, nein! Die nackte Wahrheit, ganz und in voller Blüte. Nichts weg streichen. Tu es, Leo… Mach dich und ihn glücklich, tu euch den Gefallen!«, sagte Nicci mit Nachdruck und sah ihn streng an.

Leon nickte und war schon wieder ganz in Gedanken versunken. Felix das Tagebuch geben…

Leon machte sich auf den Weg zum Auto seines Vaters. Zu dem Auto, in dem Felix ihn gerade noch geküsst hatte.
 

Du hast mich geküsst. Ich fühle deine Lippen immer noch. Mein Herz fängt jedes Mal an wie wild zu klopfen, wenn ich die Augen zumach und daran denke. Verliebt… das ist schon gar kein Ausdruck mehr.

Immerhin… Du bekommst mein Tagebuch. Und ich hoffe, dass du mich wegen den ganzen bescheuerten Einträgen nicht hassen wirst. Aber ich krieg meine Zähne nicht auseinander… Ich bin total fertig mit der Welt.

Tagebuchüberraschungen

Das Kapitel ist zwar kurz, aber der Cliffhanger am Ende musste unbedingt sein ;) Nehmt es mir nicht allzu übel, ich werd das nächste dann vermutlich schon morgen hochladen :)

Viel Spap beim Lesen!

Liebe Grüße,

Ur

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Er blätterte durch seine Tagebücher. Konnte er Felix diese Bücher wirklich geben? Einige der Einträge waren wenig nett… aber es war ja immerhin nicht Sinn der Sache, seine Gefühle zu verschleiern, sondern sie so, wie sie nun einmal waren, vor Felix auf den Tisch zu knallen. Oder irgendwie so in der Art.

Er kaute nervös auf seiner Unterlippe herum. Alle waren mit irgendwem zusammen. Nicci zumindest fast, denn scheinbar hatte sich Lennard von seiner Freundin getrennt und sich dafür entschieden, es mit Nicci zu versuchen. Er hätte nie gedacht, dass er das einmal über sich selbst denken würde, aber: Zum Teufel noch mal, er wollte auch endlich eine Beziehung. Und zwar mit Felix! Er wollte Felix für sich haben, ihn küssen dürfen, ihn bei sich haben. Keine Angst mehr haben müssen, wenn Felix mit Christian redete, oder wenn sie zusammen auf eine Party gingen.
 

Leon hatte das Gefühl, seine Unterlippe würde bald arg durchgekaut aussehen, so sehr malträtierte er sie mit seinen Zähnen. Sollte er noch einen letzten Eintrag schreiben? Einen ganz bewussten, so eine Art Liebeserklärung? Er konnte sich doch so schlecht ausdrücken… Aber er wusste, dass Felix es vielleicht direkt ‚hören’ wollte. Bisher hatte Leon diese Dinge nur geschrieben, weil er sicher gewesen war, dass niemand es lesen würde. Aber nun… war er sich dessen sicher.

Nervös kramte er nach einem Kugelschreiber und setzte den Stift auf.
 

Lieber Felix,
 

das ist der erste Eintrag, den ich bewusst an dich schreibe, und von dem ich weiß, dass du ihn bald lesen wirst. Du kennst mich besser als die meisten Menschen und weißt deswegen ja auch, dass ich ein Idiot bin, der mit seinen Gefühlen nicht umgehen kann… und ausdrücken kann ich mich auch nicht wirklich.

Ich hab dich am Anfang wirklich verabscheut. Weil ich dich toll fand, obwohl du ein Kerl bist. Es hat mehrere Jahre gedauert, bis ich das endlich akzeptiert hab. Und als ich endlich kapiert hab, dass ich total verschossen in dich bin, da hatte ich Schiss, es dir zu sagen. Und jetzt wird es langsam Zeit, weil ich mir nicht mehr vorstellen kann, ohne dich zu sein. Ich kann kaum glauben, dass ich diesen ganzen sentimentalen Scheiß hier schreibe… das passt nicht zu mir. Aber du bist der Einzige, der so was aus mir rauskitzeln kann. Deswegen wollte ich dir noch ein letztes Mal schreiben, bevor ich dir das hier in die Hand drücke.

Ganz ehrlich und so wie es eben ist:

Ich bin in dich verliebt.
 

dein Leon
 

Das Ganze war grausam schmalzig. Er strich das ‚dein’ wieder durch und überflog den Murks, den er geschrieben hatte. Herrgott… seit wann konnte er so etwas schreiben? Felix hatte wahrlich ein Wunder an ihm gewirkt.

Er spielte noch eine Weile mit dem Kugelschreiber herum und brach den Klemmer ab, dann warf er ihn auf seinen Couchtisch und schlug das Tagebuch zu.

Er angelte nach dem Telefon und tippte eine SMS an Felix, der ja immer noch in der Uni war, während Leon schwänzte. Er würde es dem Anderen lieber schon mitteilen, dass er etwas von Leon bekommen würde… denn sonst machte er am Ende noch einen Rückzieher.

Sein Herz hämmerte – zur Abwechslung – wie verrückt.

»Kommst du nach der Uni zu mir? Ich will dir mein Tagebuch zu lesen geben.«

Das war sehr direkt. Aber es wurde langsam Zeit, dass er Klartext redete.

Er würde Felix sein Tagebuch geben. Leon war sich nicht sicher, ob er nicht vor Aufregung sterben würde, bevor Felix nach der Uni bei ihm ankam. Dann holte er einmal tief Luft und schickte die SMS ab.

»Ich kann doch nicht deine Tagebücher lesen! Das ist viel zu intim!«

Die Antwort kam dermaßen schnell, dass Leon sich fragte, ob Felix sein Handy im Anschlag gehabt hatte.

»Deswegen sollst du sie ja lesen. Tu mir den Gefallen.«
 

Da auf diese SMS keine Antwort mehr kam, ging er davon aus, dass Felix sich seiner Bitte ergeben würde. Sonst müsste er es ihm halt laut vorlesen. Das war immer noch besser als eine frei gesprochene Liebesbekundung.

Wie ein Irrsinniger tigerte er durch sein Zimmer, räumte sogar auf, weil er so aufgeregt war und sich irgendwie ablenken musste, spielte ein wenig Bass und aß zwei ganze Tafeln Schokolade, wonach ihm ziemlich schlecht war. Dann klingelte es an der Tür.

Seine Eltern waren nicht zu Hause und so rannte er die Treppe hinunter, fluchte innerlich auf sein heftig hämmerndes Herz und öffnete.

Der Brünette erschien mit seinem Rucksack unter dem Arm und lächelte ihm kaum merklich entgegen.

»Hi«, sagte Leon und spürte das altbekannte, aufgeregte Flattern im Magen. Felix war bereits eingetreten und halb aus seinem Schuh geschlüpft, als er seinen Rucksack öffnete, den zweiten Schuh in die Ecke kickte und ein Buch hervor holte.

»Was ist das?«, fragte Leon verwirrt und sah hinunter auf das Buch mit dem roten Einband.

»Naja was wohl«, sagte Felix und zog sich seine Jacke aus, »mein Tagebuch!«
 

Leon riss die Augen auf und starrte abwechselnd das Buch und Felix an.

»Was

Felix lachte.

»Was ist denn daran so merkwürdig?«, fragte er amüsiert und ging vor Leon die Treppe hinauf zu seinem Zimmer.

»Du hast ein Tagebuch?«, fragte Leon völlig verdattert und sein Gehirn fühlte sich komplett überfordert angesichts dieser Tatsache an.

»Ehrlich gesagt finde ich es bei dir überraschender als bei mir«, sagte Felix grinsend und warf sich in Leons Zimmer angekommen aufs Sofa.
 

Er legte sein rotes Tagebuch auf den Tisch und sah Leon gespannt an. Der ging mit hämmerndem Herzen hinüber zum Schreibtisch, holte das schwarze Buch hervor und ging zum Sofa hinüber, ehe er sich neben Felix setzte und ihm sein Tagebuch hinhielt. Felix nahm es zögerlich.

»Ich dachte mir, wenn du mir das gibst… dann muss ich dir was Gleichwertiges geben«, meinte er und strich behutsam über das Tagebuch, als könnte es jeden Moment zu Staub zerfallen. Leon schluckte.

»Und… und willst du es jetzt lesen, während ich dabei bin?«, fragte er heiser. Felix lächelte.

»Wir können tauschen und beide anfangen zu lesen«, schlug er vor.

»Aber nur, wenn du mir versprichst, dass du mich nicht hasst«, sagte er hastig. Felix sah ihn mit schief gelegtem Kopf an, dann beugte er sich vor und gab Leon eine leichte Kopfnuss.

»Idiot. Als könnte ich das… Machen wir einen Deal und sagen einfach, dass wir danach nicht über das reden, was wir gelesen haben, ok?«

Leon nickte. Sein Körper fühlte sich ziemlich taub an. Als hätten sie sich abgesprochen, standen sie auf, gingen hinüber zum Bett und legten sich nebeneinander auf den Bauch, jeder mit dem Tagebuch des jeweils anderen.

Leon atmete einmal tief durch, dann klappte er das Tagebuch auf und begann mit hämmerndem Herzen zu lesen.

Vergangenheitsoffenbarung

Und hier haben wir das vorletzte Kapitel :) Ich wünsche euch viel Spaß damit! Das letzte Kapitel kommt dann wohl morgen, wenn ich es schaffe. Danke mal wieder für die lieben Kommentare zum letzten Kapitel. Dieses hier ist wieder länger geworden ;)

Viel Spaß beim Lesen und ein schönes Wochenende wünsche ich euch!

Ur

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»Heute treffe ich das erste Mal meine neue Band. Ich bin aufgeregt. Mein Bus fährt gleich und ich habe zwischenzeitlich schon überlegt, einfach nicht hinzugehen. Es hat ne halbe Stunde gedauert, bis ich endlich wusste, was ich anziehen soll. Ich komm mir vor wie ein Mädchen…Eben war Ma drin und hat genervt, dass ich doch endlich mal losfahren soll. Ich sollte mir beizeiten wirklich eine eigene Wohnung suchen. Am besten gleich zum Anfang des Studiums. Ich hoffe, die anderen aus der Band sind nett, Nicci kenne ich ja schon.«
 

»Der Bassist ist zum Schießen!«

Leon räusperte sich und warf einen Seitenblick zu Felix hinüber, der vollkommen versunken in Leons krakelige Handschrift zu sein schien. Also las er hastig weiter.

»Er kam als letzter an, mit Nicci zusammen. Nicci ist echt nett, so eine, die man einfach mögen muss. Und na ja… dann war da noch Leon. Er kam zu mir und hat gefragt, ob ich am Abend etwas vorhab. Er sieht aber nicht wirklich so aus, als sei er der Kerl, der auf Männer steht. Ich hab das dann gleich mal getestet. Als er gepeilt hat, dass ich kein Mädchen bin, ist er knallrot geworden. Ich freu mich auf die erste gemeinsame Bandprobe!«
 

Leon erinnerte sich daran. Ja… Felix hatte das alles sehr lustig gefunden. Aber es war sehr merkwürdig, seine Gedanken darüber zu lesen. Er wollte aber unbedingt wissen, was in dem anderen während all der Zeit vorgegangen war und bevor er hinten angekommen war, würde er nicht mit dem Lesen aufhören. Denn er hatte Felix’ Innenleben immerhin nie gekannt und nun hatte er seine Gedankenwelt auf vielen beschrieben Seiten vor sich liegen.

»Irgendwie mag ich ihn. Ich bin mir noch nicht ganz sicher, wieso eigentlich, aber er ist so ein emotionaler Krüppel, vielleicht fasziniert mich das«, Leon blinzelte. Emotionaler Krüppel… Aha, interessant. Er würde Felix darauf ansprechen. Ach nein. Das durfte er ja nicht.

»Ich hab mich heute sehr nett mit Nicci unterhalten. Sie und Leon sind beste Freunde. Lustig, wie solche unterschiedlichen Charaktere zusammen finden. Nicci war echt klasse, als ich ihr erzählt hab, dass ich auf Männer stehe. Sie hat gesagt, dass es doch nicht aufs Geschlecht ankommt, sondern auf den Menschen. Den Spruch merk ich mir und schreib ihn irgendwo hin. Leon hat damit ein Problem, glaub ich. Er guckt immer so komisch, wenn das zur Sprache kommt. Dass er stock hetero ist, riecht man auf 10 Kilometer Entfernung… Ich geh jetzt duschen und dann komponier ich noch ein bisschen!«
 

Ja. Er hatte ein Problem damit gehabt, dass Felix schwul war. Hauptsächlich deswegen, weil er Felix toll gefunden hatte, ohne es sich eingestehen zu wollen. Ein leises Glucksen ertönte rechts von ihm, aber Leon verkniff es sich, nachzusehen, an welcher Stelle Felix gerade war. Er las weiter wie Felix von der Band erzählte, von seinen beiden Schwestern, die ihm auf den Keks gingen, aber die ‚Gott sei Dank’ bald ausziehen würden, von seiner Mutter, die ihn in den Wahnsinn trieb und schließlich von seinen Umzugswünschen, von den Uni- Vorbereitungen.

»Ich glaub, Leon hasst mich. Dabei kann ich ihn echt gut leiden. Er ist wie so ne Art Zwiebel.«

Zwiebel… Wie eine Zwiebel? Was hatte das nun zu bedeuten?

»Bei Zwiebeln muss man auch ewig lang Schicht für Schicht abpellen, bis man an den Kern kommt. Allerdings glaub ich nicht, dass ich bisher an eine unten liegende Schicht rangekommen bin. Vielleicht kommt das ja noch… immerhin sind wir nun schon etwas länger zusammen in der Band und ich und Nicci verstehen uns immer noch super. Nur an Leon komm ich kein Stück weiter. Ich geh jetzt was Essen, hab einen Mords Kohldampf.«
 

Irgendwie passte der Zwiebel- Vergleich. Auch wenn Leon es nicht wirklich gutheißen konnte, mit einer Gemüsesorte verglichen zu werden. Sein Herz hatte sich allmählich etwas beruhigt, auch wenn das Kribbeln in seiner Magengegend immer noch nicht wirklich aufhören wollte. Es folgten mehrere kurze Einträge über allerlei Belanglosigkeiten, wobei ab und an hin und wieder irgendwelche winzigen Anspielungen auf Leon zu finden waren.

»Ab und an hab ich den Wunsch, alle Frauen vor ihm wegzusperren. Allerdings bin ich mir nicht ganz sicher, ob ich das zum Schutz der Frauen machen will, oder um Leon zu ärgern. Da es sowieso nicht klappen würde, ist es auch egal… soll er eben ficken mit wem immer er will.«

Leon fragte sich, ob es Felix nicht gepasst hatte, dass er mit so vielen Frauen Sex gehabt hatte? Sein Herz machte einen neuerlichen Hüpfer. Fragen durfte er ja nicht…

»Christian ist geil wie Toastbrot.«

Na wunderbar. Jetzt kamen die schmachtenden Einträge über Christian…er war sich nicht sicher, ob er das wirklich lesen wollte.
 

»Es macht Spaß, mit ihm zu flirten. Die Leute in dem Seminar, in dem ich ihn kennen gelernt hab, sind eigentlich alle sehr nett. Und Christian ist genauso offenkundig schwul wie ich. Allein deswegen find ich ihn toll. Aber ich frag mich, wieso ich ihn nicht toller finden kann, als eine gewisse Bass spielende, empathische Abrissbirne. Ich weiß nichts über Leon. Nur dass er alles Weibliche fickt, was gut aussieht und ihm zwischen die Beine kommt. Wieso mag ich ihn überhaupt? Er redet fast nie mit mir, ignoriert mich ständig… Ich will ihn ja eigentlich gar nicht mögen!«

Leon war erstarrt. Der Vergleich zwischen ihm und Christian hatte ihn so erstaunt und unvorbereitet getroffen, dass er nicht anders konnte, als inne zu halten. Er hatte erwartet, dass Felix nun Pläne schmieden würde, wie er Christian am besten in die Kiste bekommen konnte. Stattdessen… schwenkte er darauf um, dass er ihn, Leon, toller fand als Christian. Ihm war plötzlich sehr heiß und er wagte einen Blick hinüber zu Felix, der mit einem leichten Schmunzeln immer noch sehr vertieft aussah.
 

»Ich hab so oft versucht, mal mit ihm zu reden. Aber er weicht immer aus. Und dann brummt er immer so missmutig. Wie ein Teddybär. Wobei er eindeutig weniger kuschelig ist als ein Teddybär… Mich juckt’s ab und an, seine Frisur zu ruinieren…«

Leon musste unwillkürlich lächeln. Zwar passte ihm der Vergleich mit dem Teddybären nicht wirklich, aber die Tatsache, dass Felix schon damals Lust gehabt hatte, seine Frisur zu ruinieren…war irgendwie… nett? Das Wort ‚niedlich’ würde er sicherlich nicht denken…

»Lara und Nicci haben mich und Leon dazu verdonnert, den Proberaum aufzuräumen… ich bin immer noch extrem verwirrt. Wir waren das erste Mal allein und dann hat er sich den Kopf gestoßen und ich hab gefragt, ob alles ok ist und irgendwie haben wir dann angefangen, uns zu unterhalten und saßen da vier oder fünf Stunden rum…Ich weiß jetzt, wieso ich ihn mag. Er ist echt wie eine Zwiebel. Und die Schichten da drunter sind toll. Ich hoffe, er ignoriert mich jetzt nicht mehr ständig. Ich bin so hibbelig…«
 

Felix hibbelig. Wegen ihm? Weil sie sich unterhalten hatten. Leon erinnerte sich an diesen Tag im Proberaum. Es war ungewohnt gewesen. Er war nicht unbedingt der Mensch, der sich mit anderen so flüssig unterhalten konnte. Nicci war da natürlich eine Ausnahme, aber Nicci war auch seine beste Freundin. Und mit Felix hatte er vorher nie so geredet. Es war, als würde er die ganze Vergangenheit mit Felix noch mal durchleben, dadurch, dass er sie jetzt aus Felix’ Perspektive las. Jetzt würde gleich der Part kommen, an dem sie sich gestritten hatten, weil Leon sich bei der nächsten Bandprobe wieder genauso verhalten hatte, wie vorher…

»Scheiße… Ich bin ein Vollidiot. Ich dachte, jetzt geht’s bergauf. Aber er hat mich schon wieder ignoriert. Was hab ich denn falsch gemacht? Ich weiß genau, dass er mich gut leiden kann. Und ich weiß, dass er, wenn ich eine Frau wäre, scharf auf mich wäre. Aber warum zur Hölle muss er mich wie den letzten Dreck behandeln? Bloß weil ich schwul bin?«

Er hatte einen wütenden Felix erwartet. Plötzlich fühlte er sich ganz schlecht. Und das hatte nichts mit den zwei Tafeln Schokolade zu tun, die er vorhin verspeist hatte.

»Warum mach ich mir darüber solche Gedanken? Ich ahn’s ja schon. Aber ehrlich, ich hab keine Lust, mich in Leon zu verlieben.«
 

Dieser Eintrag war ungefähr zwei Jahre alt. Vor zwei Jahren hatte Felix das erste Mal daran gedacht, dass er Leon vielleicht mehr mochte? Und… das hieß auch, dass er ihn mehr mochte. Oder? Hieß das dann…dass er bald mit Felix… Er atmete erneut tief ein und aus, ehe er weiterlas.

»Er mag mich, ich weiß es ganz genau.«

Leon verschluckte sich schon wieder fast an seiner eigenen Spucke. Er funktionierte das Röcheln in ein klägliches Husten um.

»Er ist eifersüchtig auf Christian. Ich hab Christian geküsst. Er küsst gut, aber das nur nebenbei. Leon ist eifersüchtig. Aber er hat überhaupt kein Recht dazu. Er bumst sich nämlich immer noch durch die Weltgeschichte wie ein unreifer Teenager und ich darf tun und lassen, was ich will. Er soll mir gefälligst sagen, dass er mich mag und dass er deswegen eifersüchtig ist. Sonst kann er sich mich abschminken… Blöde Abrissbirne. Dabei würde ich ihn viel lieber küssen als Christian!«
 

Damals schon…? Felix hatte Christian absichtlich geküsst? Und Leon hatte es nicht gepeilt… das war wieder typisch. Wenn er nicht so verstockt und blind gewesen wäre, dann hätte er schon vor zwei Jahren mit Felix zusammen sein können!

»Ich fahre jetzt den Proberaum aufräumen. Nachdem Leon gestern so schnell abgezischt ist, hatten wir da keinen Bock mehr drauf. Blöder Idiot. Zwiebel, Teddybär, Abrissbirne… So ne Scheiß Mischung.«

Das war der Tag gewesen, an dem Felix ihm sein Portemonnaie gebracht hatte. Und an dem sie dann einen Porno angeschaut hatten. Er erinnerte sich daran, als wäre es gestern gewesen.
 

»Wir haben abgewaschen… und wir haben zusammen einen Porno geschaut. Und wir haben über Sex geredet. Und ich hab ihn gefragt, ob er schon mal verliebt war. Er hat natürlich nein gesagt. Aber na ja… ich glaub ihm nicht. Ich glaube eigentlich, dass ich mir fast sicher sein kann, dass er in mich verknallt ist. Irgendwie klingt das arrogant. Vielleicht lieg ich ja auch falsch. Aber spätestens seit gestern bin ich mir sicher…«

Leon hielt die Luft an, sein Herz sprengte ihm fast die Rippen.

»Ich bin Hals über Kopf verliebt in die empathische Abrissbirne.«

Da war es. Der Satz. Felix’ Gefühle. Ganz schlicht und einfach und ohne große Leugnerei. Felix hatte es einfach so hingenommen. Er fuhr sich übers Gesicht. Seine Finger zitterten und ihm war so heiß, als säße er in einer Sauna. Felix war in ihn verliebt. Er las die Worte immer und immer wieder.

»Ich bin Hals über Kopf verliebt in die empathische Abrissbirne.«
 

Leon wusste nicht, ob er weiterlesen wollte, oder ob er sich lieber auf Felix stürzen und ihn stundenlang küssen wollte.

»Gott sei Dank bin ich ein geduldiger Mensch. Ich werd nicht den ersten Schritt machen. Wäre ja noch schöner. Er fickt sich durch die Weltgeschichte, nur weil er sich nicht eingestehen will, dass er mich toll findet. Pf… So ein Arsch. Und ein Feigling. Ich hab das Recht darauf, dass er ehrlich zu mir ist. Und vor allem, dass er ehrlich zu sich selbst ist. Das macht mich rasend, dass er es mir nicht sagt. Ich hab Christian erzählt, dass ich mich in ihn verliebt habe. Der fand das ziemlich witzig. Er ist mittlerweile ein ziemlich guter Freund geworden und macht brav alles mit, was ich mit ihm abziehe, um Leon eifersüchtig zu machen. Damit er es endlich mal zugibt! Aber bisher hat es nicht besonders gut geklappt. Christian meint immer, ich soll es ihm sagen. Ich bin aber stur!«

Also hatte Christian es von Anfang an gewusst. Und Felix hatte versucht, Leon absichtlich eifersüchtig zu machen. Er hatte die ganze Zeit darauf gewartet, dass Leon zu ihm kommen und ihm sagen würde, dass er ihn wirklich mochte. Oder besser gesagt, dass er in ihn verliebt war. Felix hatte es die ganze Zeit gewusst und trotzdem hatte er nichts getan, darauf wartend, dass Leon endlich über seinen Schatten sprang. Und er, Leon, hatte die ganze Zeit vergeudet, indem er sich gefragt hatte, in wen Felix verliebt sein könnte. Er konnte seine eigene Dummheit kaum fassen.
 

»Ich kann’s nicht fassen. Ich… ich bin auf 180. Ich hab den Schuhschrank getreten, aber das hat nicht geholfen… Verdammte Scheiße… Wieso muss er jede Party versauen? Also, nicht, dass ich ihn nicht eifersüchtig machen wollte, aber wieso kriegt er es nicht gebacken, endlich mit mir zu reden? Warum kann er nicht einfach offizielle Besitzansprüche stellen? Das macht mich so sauer, ich könnte wirklich kotzen! Der Kerl versteht einfach nicht, dass er mir mit seiner maßlosen Ignoranz echt weh tut! Ich würde ihm echt zu gern den Kopf abreißen… Und dann erzählt er ständig, wie geil er irgendwelche Frauen findet. Ja, zur Hölle noch mal, ich kann nichts dafür, dass ich keine Frau mit überdurchschnittlich großen Brüsten bin. Ich kann doch nichts dafür…«
 

Leon hielt die Luft an. Sein Herz war kurz vorm Zerplatzen. Felix sollte ihn doch bitte weiter beleidigen und auf ihn schimpfen, aber das Geschriebene hier klang so endlos verletzt und traurig. Leon konnte es kaum ertragen. Was hatte er sich dabei gedacht? Er hatte Felix verletzt. Er wollte Felix nicht verletzten. Seine Hand fuhr zu seinem Gesicht und er fuhr sich darüber. Felix lag immer noch lächelnd neben ihm, er hatte Leon vermutlich längst verziehen. Trotzdem hatte er ein extrem schlechtes Gewissen.

»Sein Arschloch- Gehabe bekommt er zurück. Und zwar doppelt und dreifach…«

Leon lag immer noch da wie betäubt. Was war danach gekommen, was war… aber… ja, er erinnerte sich. Doch bevor er es noch großartig in Gedanken fassen konnte, las er lieber weiter.
 

»Ja, ich bin ein Arsch. Aber ich darf auch mal Arsch sein. Er ist es schließlich 24 Stunden am Tag, ich war es heute ganze dreißig Sekunden. Ich hab ihn mitkriegen lassen, dass Christian mir einen geblasen hat. Was natürlich nicht stimmt.«

Leon ballte die Hände zu Fäusten, als er sich daran erinnerte. Aber das hatte er sich wohl selbst zuzuschreiben. Felix hatte das alles nur gemacht, weil Leon so ein Vollidiot war. Letztendlich war also alles wieder Leons Schuld. Wunderbar…

»Er war heute schon das zweite Mal nicht bei der Bandprobe. Was macht er zu Hause? Sich die Birne wegknallen? Ich vermisse ihn. Aber ich bin auch immer noch sauer. Ich weiß nicht, was ich machen soll, ständig führt er sich so arschig auf, aber sobald wir allein sind, halt ich es kaum aus, weil ich ihn am liebsten die ganze Zeit küssen will. Und das obwohl er so ein Arsch ist. Ich leide echt an Geschmacksverirrung, das ist nicht mehr feierlich. Ich werd Nicci mal fragen, wie’s ihm geht… oder so…Dabei weiß ich genau, weswegen er nicht kommt. Ich brauche kein schlechtes Gewissen haben, er hat angefangen! Und ich benehme mich im Moment wie ein kleines Kind. Ach, alles Scheiße…«
 

Leon seufzte leise und sah schon wieder zu Felix hinüber. Diesmal hob Felix den Kopf und sah ihn ebenfalls an. Seine Augen funkelten.

»Müssen wir alles durchlesen, bevor… na ja…«, sagte Leon kläglich. Felix lachte leise.

»Du hast mit der Tagebuchsache angefangen. Dann ziehen wir das jetzt auch durch, bis zum bitteren Ende«, sagte er scheinheilig und wandte sich wieder Leons Sauklaue zu. Leon brummte ungnädig und senkte seinen Blick wieder auf Felix’ Tagebuch.

»Ich bin so verliebt…das gehört sich schon nicht mehr…«

Leon schluckte und spürte, wie sein Magen zu kribbeln begann.

»Er ist doch tatsächlich eine halbe Stunden vom Jugendzentrum bis zu mir zu Fuß gegangen, durch den Regen, nur um mir mein Handy zu bringen. Er war angetrunken. Aber… scheiße, ich bin immer noch ganz kribbelig. Ich hab ihn in die Badewanne gesteckt. Und bei der Gelegenheit hab ich ihn gleich das erste Mal ganz nackt gesehen.«
 

Leon musste bei der Erinnerung daran lächeln.

»Und dann…hab ich ihm gegen seinen Willen die Haare gewaschen. Er war knallrot im Gesicht, als er mich gefragt hat, ob ich noch sauer bin. Aber wie hätte ich noch sauer sein können, wenn er ne halbe Stunde durch den Regen läuft, nur um mir mein Handy zu bringen? Und wenn er dann auch noch so unsicher ist, als würde ich ihm jeden Moment den Kopf abreißen? Ich hätte auch nichts dagegen, dass es immer so ist. Dass ich für ihn koche, weil er das nicht kann. Und dass wir zusammen aufräumen und irgendeinen Mist machen. Oder einfach nur daliegen und schweigen. Mir egal, ich will ihn nur bei mir haben. Als ich für ihn gekocht hab… da kam er in die Küche und hat sich entschuldigt… für ‚Alles’. Und ich glaub ich weiß schon, was er damit meinte. Ich konnte einfach nicht anders, ich musste ihn umarmen. Und ich hätte ewig da stehen können…«
 

Ich auch, dachte Leon und seufzte schon wieder leise, ehe er sich wieder ans Lesen machte. »Und dann hab ich ihn gekitzelt… und er lag unter mir und hat mich so angesehen. Und ich dachte, er würde es jeden Moment sagen. Und ich wollt es auch sagen und ich wollt ihn küssen… und… man, ich hätte beinahe die Beherrschung verloren. Aber dann hab ich nur gesagt, wir sollten ins Bett gehen. Ich gehe jetzt was Essen. Mein Herz hämmert immer noch wie verrückt…«

Leon lächelte mittlerweile ununterbrochen und kam sich dabei ziemlich dümmlich vor. Aber na ja… Felix sah auch nicht besser als, wie er nach einem weiteren Blick nach rechts feststellte.

»Er ist krank. War ja irgendwie klar. Ich war einkaufen und bring ihm das Zeug jetzt vorbei. Er soll gefälligst schnell wieder gesund werden und zur Bandprobe kommen. Sonst platze ich noch vor Sehnsucht!«
 

Wieso fiel es Felix so leicht, über seine Gefühle zu sprechen und sie sich einzugestehen? Und wieso hatte es Leon diese endlos lange Zeit gekostet, bis er das auch konnte? Oh man… was hatte er doch an Zeit vergeudet!

»Er hat mich gefragt, ob ich schon mal verliebt war. War ist vielleicht nicht das richtige Wort. Aber ich bin’s ja schon länger. Ich glaub, er zerbricht sich tatsächlich den Kopf darüber, in wen ich verliebt war. Nicht zu fassen. Dabei schreit mein Verhalten doch geradezu: Ich bin in dich verliebt, Noel! Aber er ist eben die empathische Abrissbirne. Kann man nichts machen.«

Es brachte natürlich nichts, sich jetzt noch darüber zu ärgern, dass er so ewig lange gebraucht hatte. Trotzdem wollte er sich am liebsten selbst in den Hintern treten.
 

»Er hat angerufen…von sich aus. Ganz einfach so. Und er hat gefragt, was ich mache und ich bin grad am Putzen und jetzt bin ich völlig kribbelig, weil er gesagt hat, er würde mich gern sehen. Naja, er wollte das sagen und hat es dann in ein ‚Hast du Zeit’ umgewurschtelt, aber ich durchschau ihn ja sowieso. Meine Güte, ich seh aus wie Kraut und Rüben, aber was soll’s. Er kommt vorbei und dann mistet er mit mir aus. Ich glaube, ich platze gleich vor Verliebtheit, aber ich darf ja nicht. Man muss geduldig sein… Hatte ich schon erwähnt, wie niedlich er ist?«

Leon lächelte stumm dem Tagebuch entgegen, als wäre es das Schönste, was er je gesehen hatte. Je öfter er es las, desto weniger störte es ihn, dass Felix ihn niedlich fand. Solange es nur Felix war…

»Er ist grad gegangen. Wir haben mein Zimmer fertig geputzt und er hat mich mit einem Staubwedel gekitzelt… Er kann so albern sein. Ich liebe das an ihm. Und ich liebe sein Lachen. Und ich liebe es, wie er immer das Stottern anfängt, wenn ich was Zweideutiges sage. Und ich… liebe einfach alles an ihm. Selbst seine ruppige Art, oder dass er mit Gefühlen nicht umgehen kann… Der Kerl macht mich noch wahnsinnig!«
 

Leons Magen kribbelte so heftig, dass er nicht sicher war, wie lange er das noch aushalten konnte. Es war eine echte Willensübung, sich nicht sofort auf Felix zu stürzen.

»Lara und Timo grübeln, was mit mir und Noel los sein könnte. War sehr lustig heute. Ich glaub, die kennen Noel auch nicht so durchweg gut gelaunt. Wir verstehen uns im Moment so gut, ich hoffe, dass das so bleibt. Ich werd immer ungeduldiger… Wieso rückt er nicht endlich damit raus? Ich verschmachte noch…«

Leon musste grinsen. Schön, dass er nicht der Einzige gewesen war, der ständig so kurz vorm Wahnsinn gestanden hatte. Sein Herz hüpfte fröhlich. Draußen war es mittlerweile stockfinster.
 

»Er hat mich im Proberaum gefunden und zu sich genommen. Er war so niedlich fürsorglich, das hat mir beinahe den Rest gegeben. Ich meine… er hat mir Tee gekocht! Und mich zugedeckt. Und dann hab ich nachts so getan, als würde ich schon schlafen, damit ich mich ganz unverfänglich an ihn kuscheln kann… wenigstens ein bisschen Nähe musste ich mir mal gönnen. Sonst drehe ich bald durch!«

Leon schluckte. Also hatte Felix nur so getan, als hätte er geschlafen? Na wunderbar…

»Scheiße, Scheiße, Scheiße!«

Oh nein, was hatte er jetzt wieder angestellt? Was war…

»Ich hab die Beherrschung verloren! Scheiße! Ich hab ihn geküsst, einfach so. Zum Teufel, wieso muss er sich auch immer so menschlich verhalten, wenn wir allein sein? Was sollte dieses verdammte, unsichere Lächeln? Das hat mich völlig kirre gemacht… Ich hatte mir unseren ersten Kuss verdammt noch mal anders vorgestellt…Scheiße!«
 

Leon konnte nicht umhin schon wieder zu lächeln. Irgendwie war es schön zu wissen, dass er nicht der Einzige war, der ständig aus dem Konzept gebracht wurde, sondern dass auch Felix mal seine Beherrschung verlor.

»Scheiße… Wieso küss ich ihn? Er hat das eigentlich gar nicht verdient, er hat es mir immer noch nicht gesagt.

Ich will ihn noch mal küssen. Er küsst so gut… Mein Herz hämmert immer noch wie Hölle, wenn ich daran denke. Ich fühl seine verdammten Lippen immer noch… Scheiße… Und ich sollte mich jetzt wirklich auf die Vorlesung konzentrieren und nicht irgendwelche blöden Tagebucheinträge schreiben!«

Leons Herz hämmerte jetzt auch wieder. Dabei hatte er gerade gedacht, er hätte sich halbwegs beruhigt.

»Ich hab bei Christian angerufen, um ihm zu sagen, dass Leon und ich uns geküsst haben und dass Leon mir jetzt sein Tagebuch geben will. Er hat gelacht und gesagt, ich soll Leon sagen, dass er stolz auf ihn ist. Aber ich befürchte, dass Leon dann doch noch loszieht, um ihm eine rein zu hauen. Er hat mir jedenfalls viel Glück gewünscht…«

Leon verkniff sich jeden biestigen Gedanken in Richtung Christian. Im Endeffekt hatte Christian ihm geholfen. Wenn auch auf höchst unkonventionelle Art und Weise. Und außerdem war Leon froh, dass Christian Felix nichts von dem ‚Deal’ gesagt hatte.
 

»Hey Noel…«, las Leon dann und sein Herz sprang ihm augenblicklich in die Kehle, »ich sitze jetzt hier auf meinem Bett und komm gleich bei dir vorbei. Ich hätte nicht im Traum dran gedacht, dass du so was hast oder dass du es mir geben würdest. Ich will sie nicht lesen, wenn du nicht was Vergleichbares von mir bekommst, deswegen bringe ich dir nachher mein Tagebuch mit. Nachdem du das jetzt alles gelesen hast, stell ich mir vor, dass du genauso hibbelig bist wie ich, wenn ich dein Tagebuch gelesen habe. Zumindest hoffe ich, dass du das bist. Ich werd jetzt hier nichts Schmalziges mehr sagen, denn die Einträge waren ja schon deutlich genug. Wenn du also fertig gelesen hast, dann weißt du jetzt ja auch, worauf ich warte. Und egal, was in deinen Tagebüchern steht, ich warte immer noch auf ein paar Worte aus deinem Mund.«

Nur noch sein eigener Schatten trennte ihn jetzt von Felix, über den er jetzt springen würde. Komme, was wolle.

Schattensprünge

Und hier melde ich mich schon mit dem letzten Kapitel :) Und weil ich jetzt ins Bett gehe, gibt es wohl keine Info- ENS mehr. Ich bedanke mich noch mal bei allen, die das hier gelesen, kommentiert und favorisiert haben. Wer wissen möchte, wann es etwas Neues von mir gibt, der kann einfach meinen Weblog abonnieren, in den ich immer eine Kurzbeschreibung meiner neuen Sachen setze.

Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen und hoffe, dass ihr nicht überzuckert werdet ;)

Liebe Grüße,

Ur

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Er hob den Kopf und klappte das Tagebuch zu. Sein Herz hämmerte wie verrückt. Er musste es jetzt sagen. Seine Augen huschten zu Felix hinüber, der das Tagebuch ebenfalls beinahe durchgelesen hatte. Dann, endlich, nach einer kleinen Ewigkeit, schloss Felix ebenfalls das Tagebuch und sah ihn an.

»Jetzt muss ich dich erstmal umarmen«, nuschelte Felix leise, kam zu ihm herüber gerutscht und schmiegte sich an ihn.

Leon hatte sich noch nie so sehr nach einer Umarmung gesehnt. Aber während sie sich umarmten, fiel ihm auf, dass Umarmungen eigentlich eine schöne Sache waren. Zumindest, wenn sie von der richtigen Person kamen. Und Felix konnte irgendwie ganz besonders gut umarmen.
 

Leons Gesicht glühte wohlmöglich wieder und er drückte Felix ein wenig näher an sich. Er roch so gut… sein Herz hämmerte immer noch wie verrückt und er konnte einfach nichts sagen.

Es hatte so lange gedauert. So lange, bis er es sich eingestanden hatte, bis er endlich darauf gekommen war, dass Felix ihn vielleicht auch mochte und dass er sich anstrengen musste, um ihn zu bekommen. Und nach all der Zeit lagen sie nun hier. Nach fast zweieinhalb Jahren, in denen sie sich kannten, waren sie hier angekommen, in einer schweigenden Umarmung mitten in Leons Bett.

Felix’ Fingerspitzen strichen ganz vorsichtig über seinen Rücken, als wäre der Größere sich nicht ganz sicher, ob er das tun sollte. Aber Leon sog jede Berührung auf wie ein trockener Schwamm das Wasser. Er schluckte schwer und wagte es schließlich den Kopf zu heben und Felix anzusehen.
 

Die katzengleichen Augen funkelten immer noch auf diese übermütige und gleichzeitig zärtliche Art und Weise.

»Hat ja ganz schön lange gedauert mit uns beiden«, murmelte er, ohne Leon loszulassen. Er tastete nach Leons Hand und legte sie sich behutsam auf die Brust. Leon spürte, dass Felix’ Herz genauso heftig hämmerte, wie sein eigenes.

Das Kribbeln in ihm wurde stärker. Er löste sich widerstrebend von Felix.

»Ich kann…das nicht«, sagte er kläglich und Felix seufzte leise, räusperte sich, dann drückte er ihn erneut an sich.

»Wir machen das anders. Sei froh, dass ich so geduldig bin«, meinte er amüsiert.

»Was hast du…«, begann Leon, doch da hatte Felix ihn schon geküsst. Leons Augen kippten sofort zu und sein Denken schaltete sich ab. Felix’ Lippen schienen noch besser zu schmecken, als bei ihrem ersten Kuss und die Heftigkeit, mit der sie sich küssten, ließ ein hingerissenes Schwindelgefühl in ihm aufsteigen. Er drückte Felix an sich, erwiderte den Kuss genau so gierig, wie Felix ihn ihm aufdrückte und er hatte beinahe schon wieder vergessen, warum Felix ihn eigentlich küsste.
 

Sein ganzer Körper sehnte sich nach mehr Berührungen von Felix. Er hatte noch nie in seinem Leben ein Mädchen derart begehrt wie den Mann vor sich, der so gut küsste, dass es Leons Meinung nach verboten gehörte. Sie rollten sich herum, ohne den Kuss zu lösen, Felix lag nun über ihn und schmiegte sich hinreißend eng an ihn.

Die Hitze brachte ihn beinahe um, sein Herz hämmerte wie verrückt und er spürte deutlich, dass sein Körper sehr stark auf die Nähe des Anderen reagierte.

»Noel«, nuschelte Felix gegen seine Lippen und Leons ganzer Körper kribbelte unter ihm,

»Hm«, nuschelte er nur und suchte erneut nach Felix’ Lippen. Er hatte ganz vergessen, dass es da noch diese fünf kleinen magischen Worte gab…

»Ich bin schrecklich verliebt in dich«, sagte Felix plötzlich.
 

Leons Welt kippte aus den Angeln, als er durch die dämmrige Dunkelheit hinauf in Felix’ Augen blickte. Der Gitarrist starrte ihn so durchdringend an, dass Leon sicher war, er würde ihm direkt ins Hirn blicken.

Felix lag immer noch halb auf ihm, zwischen Leons Beinen, hatte sich mit den Armen links und rechts von ihm auf dem Bett abgestützt und seine Haare fielen ihm wirr ins hübsche Gesicht. Er hatte es jetzt ein paar mal gelesen, aber es war etwas anderes, es direkt aus Felix’ Mund zu hören, während der andere ihn direkt anblickte.

»Ich bin auch… in dich…«, nuschelte er leise und brach dann ab. So war es einfach. Wenn er nur ‚Ich auch in dich’ sagen musste. Aber er würde es schon noch hinbekommen.

Felix atmete zittrig ein und sank dann einfach ganz auf ihn hinunter, vergrub sein Gesicht an Leons Halsbeuge und Leon blinzelte ein wenig verwirrt.
 

»Was ist los?«, fragte er besorgt. Felix schüttelte nur den Kopf, sagte aber nichts. Leon war unsicher, überlegte, ob er bei den paar Wörtern vielleicht doch etwas falsch gemacht hatte, doch da hob Felix den Kopf schon wieder und sah ihn an.

»Noel…warum haben wir dafür so lange gebraucht?«, fragte er leise. Leon sah hoch in Felix’ Gesicht und dachte nach.

»Hm… weil ich ein Idiot bin?«, gab er fragend zurück. Felix lachte leise.

»Das kann der Grund sein…ja…und…sind wir jetzt ein bescheuertes, kitschiges Liebespaar?«, fragte er.

Leon musste grinsen.

»Naja, vielleicht nicht ganz so kitschig…aber ansonsten…«

Felix grinste zurück.
 

Leon streckte behutsam die Hand aus, um das erste Mal sachte durch Felix’ Haare zu streicheln. Felix schloss die Augen und lächelte kaum merklich.

»Wer hat gesagt, dass du meine Frisur ruinieren darfst?«, erkundigte er sich leise.

»Ich darf das…«, sagte Leon grinsend. Felix lachte, öffnete die Augen wieder und hob eine Hand, um Leon ebenfalls durch die Haare zu wuscheln.

»Aber nur ausnahmsweise…«, sagte er mit zuckenden Mundwinkeln, setzte sich dann wieder auf und stupste Leons Nase mit seiner eigenen an. Und dann küsste er ihn erneut.

Dieses Mal war der Kuss zurückhaltender. Leons Körper seufzte auf und das nur, weil Felix ihn so zärtlich küsste, dass er es kaum ertragen konnte. Eigentlich war er nicht der Typ für so etwas. Aber er stellte fest, dass Felix’ Küsse, egal ob hungrig oder zärtlich, immer schön waren. Und dieser zärtliche Kuss hatte einen ganz besonderen Reiz. Er machte alles noch kribbeliger.
 

Leon war sich nicht sicher, ob er sonderlich gut darin war, so vorsichtig zu küssen, da er es eigentlich nie mit irgendwelchen Mädchen getan hatte. Da war es ja immer nur… knutschen zum Sex gewesen.

Seine Finger strichen über Felix’ Rücken, er zögerte kurz, dann zog er das Shirt nach oben und huschte mit den Fingern darunter. Felix’ Haut war für einen Mann unerhört weich. Seine Finger erkundeten fahrig den Rücken des Größeren und er spürte, wie Felix in den Kuss lächelte.

Felix’ Finger kraulten ihn unterdessen im Nacken, während seine andere Hand an Leons Wange lag. Dass sie mittlerweile voreinander auf dem Bett knieten, störte Leon nicht weiter. Er hatte kaum bemerkt, wie sie sich aufgerichtet hatten. Er wollte Felix am liebsten immer so nah sein.
 

»Welches Datum haben wir heute?«, fragte Felix murmelnd gegen seine Lippen.

»Keine Ahnung…ist das wichtig…?«, nuschelte Leon, während seine Finger Felix’ Schultern entlang strichen.

»Schon…dann wissen wir, wann wir nächstes Jahr unser Einjähriges feiern müssen«, gab Felix grinsend zurück. Leon blinzelte.

»Meinst du, du hältst es so lange mit mir aus?«, fragte er und löste sich ein wenig von Felix, um ihn anzusehen.

Felix lachte und wuschelte ihm durch die Haare.

»Ach Noel… ich hab’s zweieinhalb Jahre mit dir ausgehalten und darauf gewartet, dass ich dich endlich kriege. Glaubst du, jetzt wo ich dich endlich habe, lass ich dich nach ein paar Monaten wieder gehen?«, erkundigte er sich amüsiert.
 

Leons Herz machte einen erneuten Hüpfer. Er sah Felix einen Moment lang an, während sein ganzer Körper und sein Kopf und überhaupt alles an ihm nur noch Felix im Sinn hatte.

»Es wäre mir auch nicht recht, wenn du mich allzu bald wieder gehen lässt«, nuschelte er und senkte den Blick. Herrgott, was er da schon wieder für einen sentimentalen Scheiß redete. Felix schwieg einen Moment lang. Dann legte er zwei Finger unter Leons Kinn und zwang Leon dazu, ihn anzusehen.

»So was aus deinem Mund, huh?«, flüsterte Felix heiser.

»Hm…kann passieren…«, murrte er krächzend.

»So so… und woran mag das liegen?«
 

Felix war ihm schon wieder so nah. Leon lächelte unsicher und strich Felix’ Rücken wieder hinunter, bis seine Hände auf der Hüfte des Anderen liegen blieben.

»Naja… ich bin halt verliebt in dich…«, murmelte er kaum hörbar. Felix seufzte glücklich gegen Leons Lippen.

»Das musst du mir noch hundert Mal sagen, um die letzten zwei Jahre wieder gut zu machen, Noel«, sagte er leicht heiser. Leon schnaubte.

»Nenn mich nicht so!«

Es war mehr eine Floskel, als ein ernst gemeinter Tadel. Immerhin hatte Felix seinen Namen auf den Kopf gestellt, ihn gespiegelt. Genauso wie er Leons ganzes Leben auf den Kopf gestellt hatte. Und die Spiegelung von dem, was vorher gewesen war, war sehr viel besser als alles, was er bis jetzt gekannt hatte.



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Kommentare zu dieser Fanfic (265)
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Von:  aschenneller
2014-11-15T16:51:33+00:00 15.11.2014 17:51
Diese Geschichte hat mir einen Zuckerschock nach dem anderen beschert!!!! Gott, sind die süß!!! Danke, für Deine tollen Geschichten!!! ;)
Alles Liebe
Christina
Von:  Morphia
2014-05-12T09:23:00+00:00 12.05.2014 11:23
Ich liebe die Charas. *///*
Die Idee ist wieder mal super. *o*
Ich hätte so gern noch ein friede-freude-Eierkuchen-Kapitel gehabt. Oder noch mehr... ^____^
Ich bin süchtig danach. ^^'
Von:  Noveen
2012-08-27T15:35:17+00:00 27.08.2012 17:35
Ich mG dieses Kapitel so sehr! ^^

Leon und Nicci sind süß miteinander. *schmacht*
So einen guten Freund würden sich glaube ich viele wünschen...:O Auch wenn er ein wenig ungeschickt ist...-

Und endlich sind die Beiden sich mal ein wenig näher... und Leon rafft das endlich-...
man hat das gedauert!^^"

Von:  Maldoran
2011-07-05T07:24:56+00:00 05.07.2011 09:24
Hi.

So, ich hab diese Story nun schon zum 2. Mal gelesen- komplett! Kapitel für Kapitel, und wenn ich beim ersten Mal keinen Kommi da gelassen hab, tut mir das ehrlich Leid! *nick*

Denn die zwei... sind einfach umwerfend - süß. Schwierig. Kompliziert. Und süß! Total verkorkst zeitweise (vor allem Leon!), taumeln herum in ihren Gefühlen... und sind dabei sooooo süß! *hüstel*

Du hast das immer so schön beschrieben, am besten natürlich sind die Tagebucheinträge von Leon. Das ist wirklich toll, das zu lesen, wie er sich fühlt, was er denkt, wie aufgewühlt er immer wieder ist und wie sehr er auf Felix abfährt! Wobei er ja sooo süß ist...

Hach. *Äuglein schwärmend verdreh* *Händchen falt* Ich bin sicher, ich werde das hier noch öfter lesen. Immer dann, wenn ich dringend mentalen Süßkram brauch.

GLG
Vala
Von:  Skulblaka
2011-07-03T12:27:49+00:00 03.07.2011 14:27
Hi!
OH MEIN GOTT!!! Ich hab immer noch ein zärtliches Lächeln auf den Lippen. By the way mir tun die Gesichtsmuskeln vom ständigen Lachen/ Schmunzeln/ Grinsen/ Prusten, und was weiß der Teufel noch alles, weh. Also wirklich... X3

Du bist eine grandiose Autorin und deine Story is einfach nur fabelhaft. Eine gut durchdachte Storyline, flüssig zu lesen, viel Witz, interessante Charaktere, dabei aber nich zu viele, damit´s überschaubar bleibt, leicht angehauchtes Drama, damit die Story ein Bisschen Feuer hat und etliche "OMG stellt, DER sich an"-Momente.

Und dabei lese ich normalerweise nichts unter 50.000 Wörtern. Guck nich so komisch, ich les 400 Seiten an einem Tag, wenn ich Zeit hab! Ich liebe nunmal lange dramatische Story´s mit VIEL Phantasy. Schon komisch, dass ich ausgerechnet hierrüber gestolpert bin.
Aba bei deinem wunderbaren Werk hier, hab ich mich so köstlich amüsiert, wie schon lange nich mehr. Einfach unfehlbar!

Zu den Charas:
Leon ist wirklich einzigartig. Wie hast du ihn getauft? Empathische Abrissbirne? Zum Zerkugeln!!!
Felix, tja Felix... ich weiß imma noch nich genau ob er ein Engel oder ein Teufel is. Einerseits war´s richtig `Noel´ warten zu lassen (und selber zu leiden), damit der Kerl über seinen Schatten springt, andererseits is er schon ein Mistkerl. (nichts für ungut)
Christian is echt in Ordnung. Verrückt, aba in Ordnung.
Nicci, du bist Weltklasse Frau! Die beste beste Freundin aller Zeiten, falls das einen Sinn ergibt. Ist für einen da, aber mischt sich nicht ein. Geniales Mädel.

Den Schluss hast du übrigens perfekt hingekriegt. Meistens haben ja gute FF´s ein verkapptes Ende, wo man nur den Kopf schütteln kann. Deine Geschichte beweist, dass es auch anders geht. Glückwunsch zu dieser herzerweichenden, lustigen Lesefreude!

See ya
Kotakelein

P.S.:Ach ja, Leon du BIST niedlich! Zum schießen niedlich! XD
Von:  -alex-
2011-04-20T13:35:26+00:00 20.04.2011 15:35
Okay, nachdem ich 5 minuten Bedenk-Zeit hatte und mich dann doch dazu entschlossen hab, die Fanfiction zu kommentieren... hier xD

Es ist echt super toll *__* , ich kann dir echt nur 10Tausendmal sagen, dass ich deinen Schreibstiel vergöttere und anhimmel.. (hoffentlich ist das jetzt nich zuviel geschleimt <.<)
Und Leon ist echt super süß, wie Reita halt und das mag ich einfach an ihm.. verständlich, da ich ein größer Fan von Reita bin ;D ..
ich hoffe nur das Mickey mir nicht böse ist, ich hab ihn fast während dem Lesen zerquetscht, weil es einfach super schön ist xD
Und zu Kryptonit muss ich Chris auch mal noch ausqueteschen, vielleicht sagt sie mir ja dann wie es weitergeht, ich sterbe nämlich schon vor neugier ;D

Liebe Grüße :3
Von:  Masi-chan
2011-04-15T12:40:43+00:00 15.04.2011 14:40
O mein Gott war das süüüüüüüüüüüüüüüüüüüüüüß >///<
D-das war so niedlich! Ich konnte gar nicht
mehr aufhören zu lesen!!
Enfach Geniale Geschichte!!!
ggglg Masi
Von: abgemeldet
2011-04-10T20:02:37+00:00 10.04.2011 22:02
Ich liebe deine Geschichten einfach.
Sie sind so verzaubernd. Man kann nicht mehr aufhören, bis man nicht alles gelesen hat, was du geschrieben hast. ^^
Von:  Luca191
2011-03-23T18:58:19+00:00 23.03.2011 19:58
Wieder eine wunderschöne und gefühlvolle Geschichte, die es sich gelohnt hat zu lesen. Ich mag deine Ideen und das sich deine Geschichten einfach die Zeit lassen, sich zu entwickeln. Naja, bevor ich mich wiederhole, pflichte ich den vielen Anderen die hier schon geschrieben haben bei. Wieder ein gelungenes Werk.
LG Luca
Von:  Luxara93
2011-03-22T21:28:44+00:00 22.03.2011 22:28
Soo, jetzt hab ich es endlich geschafft, 'Spiegelverkehrt' zu lesen. Hatte nähmlich zuerst 'Kryptonit' durch und dachte dass ich mir ersteres für den Moment aufhebe in denen ich ein bisschen Romantik brauche :)
Hat sich durchaus gelohnt :D

Hab mich an ein paar Stellen der 'Tagebücher' echt voll abgelacht xD
Ist aber trotzdem der gefühlvollste und süßeste Eintrag gewesen den ich bis jetzt gelesen hab :D

Jetzt erst fällt mir auf, das Leon ganz und gar Recht hatte Chris mit Argusaugen zu beobachten xD

Aber genug jetzt mit dem Gelaber :)

LG Leonie93


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