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Lumiél

Königreich der Monde
von

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Mäuse und Katzen

„Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist grün...!“

Als würde ihr über die Maßen gereizter Tonfall nicht längst ausreichen, ihm zu verdeutlichen, wie unwohl sie sich fühlte und wie unzufrieden sie mit der gegenwärtigen Situation war, stampfte Ashes mit den schweren Schuppenstiefeln gezielt ein paar hübsche kleine Blümchen platt und rieb die Sohle derb genug über den Boden, um auch die letzte Hoffnung auf mögliche Regeneration der Pflanze zu zerstören. Alistair hingegen störte sich wenig an ihrem kleinlichen Vernichtungsfeldzug. Die Sonne schien in einzelnen, dicken Bündeln durch die seltenen Löcher im dichten Kronendach, ein warmer, aber nicht zu heißer Sommertag und sie hatten keine Sorgen. Weder mussten sie sich um eine Unterkunft scheren, noch sich Gedanken darüber machen, wovon sie den nächsten Aufenthalt in einer Taverne bezahlen sollten. Es stand schon lange nicht mehr so gut um sie, wie es aktuell der Fall war – für den Langfinger ein Grund, sein euphorisches Gemüt von der Leine zu lassen. Den ganzen Tag schon erzählte er Witze, machte kleinere Scherze, warf mit gelegentlichen, aber wohlplatzierten Komplimenten um sich und strahlte eine Lebensfreude aus, die eigentlich hätte ansteckend sein müssen.

Eigentlich. Da lag wohl auch das Problem. Ashes war umgeben von... einer guten Portion zu viel Lebensfreude – oder zumindest Leben. Blümchen und Gräser und Büsche und Bäume, alles hier gedieh prächtig, Eichhörnchen hüpften mit kaum spürbarer Scheu herum, weder flohen die Rehe vor ihnen, noch nahmen die Füchse größere Notiz von ihrer Gegenwart. Einfach nur zwei Tiere unter vielen, die durch den Wald streiften.

Oh ja, man spürte nur allzu deutlich, dass die Elben dieses Territorium seit Generationen und Jahrhunderten verteidigten. Es war Ewigkeiten her, seit ein Mensch diesen Hain betreten hatte. Vielleicht zeigten deshalb auch diverse Tiere, von Frettchen über Vögel bis zum Rotwild, solch eine Neugier in Bezug auf Alistair. Anfangs war es für den Dieb geradezu verstörend gewesen, zuzusehen, wie sich ein kleiner, bunter Vogel, dessen Rasse er gar nicht kannte, auf seine Schulter setzte und neugierig an seinem Haar herum zupfte. Aus der Befürchtung heraus, der Vogel könne ihm mit einem Entleeren seines Darmes hässliche Flecken auf die schöne neue Lederrüstung bringen, hatte er seine Begleitung um eine Lösung des Problemes gebeten – ohne zu wissen, was er damit anrichtete. Wahrlich, er hatte etwas anderes erwartet, als er hätte erwarten müssen. Zumindest war es beeindruckend, wie weit der Vogel flog, nachdem Ashes erst einmal ausgeholt und ihn von seiner Schulter geklatscht hatte.

Die Flugbahn war dabei mindestens so beeindruckend wie die Genugtuung in ihrem Gesicht.

Doch egal, wie unwohl sich Ashes fühlte, an Alistairs Freude und Frohsinn änderte das nichts. Sie mochte sich nicht anstecken lassen, mochte seine Laune nicht teilen, doch zumindest schmälerte es scheinbar ihren Zorn ein wenig.

„Du wirst sehen, wenn wir erstmal angekommen sind, wird es besser. Weniger Tiere und so.“ versuchte Alistair einmal mehr mit sanftem Ton und breitem Lächeln Ashes‘ Miene etwas aufzuhellen. Doch die Elbe blieb hart. Sie murmelte etwas von Wein, Tanz und Gesang, ein bitterer Ekel schwang in ihrer Stimme mit, während sie weiterhin so ungraziös wie möglich neben ihm her schritt. Eigentlich hatte sie keinen Grund, sich zu beschweren. Lange würden sie nicht in den Wäldern des Elbenstammes bleiben. Wie üblich, hatte ein Auftrag sie hierher geführt. Ein vorwitziger Elb mit dem Betragen eines Adelsmannes, der es tatsächlich für nötig gehalten hatte, seine halbe Ahnenreihe aufzuzählen, um zu beweisen, dass er das Recht besaß, sie anzusprechen, hatte sie auf die Siedlung aufmerksam gemacht. Kostenlose Unterbringung und Verpflegung hatten Ashes nicht hierher locken können – die angebotenen Münzen hingegen konnten es schon.

Allerdings bezweifelte Alistair, dass sie sich abermals so entscheiden würde, wenn man ihr nun die Chance gäbe, ihre Wahl zu überdenken und zu revidieren. Ihre Geldbeutel waren eigentlich prall genug, sie waren auf diese Münzen keineswegs angewiesen. Normalerweise war es Ashes, die immer sagte, dass man nie genug haben konnte – und Alistair, der ihr eifrig nickend zustimmte. Immerhin konnte er von den wenigsten wertvoll aussehenden Gegenständen die Finger lassen.

Doch dieses Mal hatte er alle Geschütze auffahren müssen, um sie hiervon zu überzeugen.

Sie mussten das Dorf verlassen und diese ‚Mission‘ war dafür ideal. Danach würde Ashes so schnell wie möglich so weit wie möglich weg wollen. Die Aufträge in letzter Zeit hatten Alistair... besorgt. Seit er ihr fast unter den Händen weggestorben wäre, schien es fast, als würde das Schicksal ihnen einen Wink geben. Die letzten Monate hatten sie nicht damit zugebracht, Abenteurer aus den Miseren zu retten, in die sie sich gebracht hatten, Monster zu töten oder bewachte Schätze zu bergen. Viel trivialer war alles zugegangen. Ein paar Schuldner aufspüren. Einen Kopfgeldjäger abwimmeln. Alistairs Befürchtung war, dass sie demnächst Katzen aus Bäumen retten würden. Oder noch schlimmer... immerhin hatte Ashes mit einem der alten Häuser am Rande des Dorfes geliebäugelt. Es war alt, baufällig, verlassen und besaß doch unbestreitbar seinen ganz eigenen Charme. Alistair hatte das natürlich auch gespürt, doch sein Interesse erlosch, als er rasch erkannte, dass man diese Atmosphäre weder wegtragen noch verkaufen konnte. Er hätte es vermutlich vergessen, hätte Ashes das Haus später nicht wieder angesprochen.

Sie hatte versucht, es trivial erscheinen zu lassen, doch das war es nicht. Ein Meisterdieb wie er musste einfach noch so beiläufig scheinende Hinweise verstehen können, das konnte einem oft und gern Kopf und Kragen retten. Er glaubte nicht wirklich, dass sie mit dem Gedanken an Sesshaftigkeit spielte – jedenfalls nicht um ihrerselbst willen. Schon viel zu oft hatten sie diese Debatte geführt, sogar ein, zwei Mal den Versuch gewagt und waren ein paar Wochen in der gleichen Siedlung geblieben. Das Ergebnis war immer das Gleiche: Die Langeweile brachte sie fast um. Ashes langweilte sich, begann mehr zu trinken und sich zu prügeln, was für Probleme sorgte. Alistair langweilte sich, begann mehr zu stehlen und riskantere Manöver zu wagen – was genauso zu Problemen führte. Einmal wurden sie rausgeworfen, regelrecht verjagt, einmal zogen sie rechtzeitig die Notbremse.

Es klappte eben einfach nicht.

Sie waren Abenteurer, Söldner. Die Reisen, das Adrenalin einer tödlichen Bedrohung durch übermächtige oder unbekannte Feinde, wenn ihnen die Gefahr im Nacken saß und man nie wusste, was der nächste Tag brachte – das lag ihnen einfach im Blut.

Jetzt waren sie wieder unterwegs. Gut, es hätte bessere Optionen gegeben als direkt in einen Elbenwald zu marschieren – aber es hätte auch weitaus schlimmer kommen können, oder nicht?

„Jetzt zieh nicht so ein Gesicht!“ lachte der Langfinger auf und stieß die Elbe mit dem Ellbogen in die Flanke. Sie wich aus, geschickt wie eh und je. Bei der schweren Panzerung mochte man soetwas erstmal schaffen! Ihre Herkunft war eben einfach nicht zu verbergen. Ashes holte aus und verpasste ihm einen rügenden Klaps auf den Hinterkopf, sah ihn missmutig an und ließ sich nicht beirren, als Alistair weitere Versuche startete, sie zu necken. Irgendwann bröckelte ihre Fassade dahin. Sie wies ihn scharfen Tones an, es sein zu lassen, aber Alistair hörte natürlich nicht zu – also sah sie sich genötigt, ihn rasch einige Meter durch den Wald zu jagen, um ihm seine Abreibung zu verpassen. Der Dieb wich im Unterholz geschickt aus, nahm ein paar Bäume, um sich dahinter zu verbergen oder Ashes zu einem Umweg zu zwingen. Letztlich holte sie ihn natürlich ein, denn Gewicht der Rüstung hin oder her, waren Wälder immer das Territorium der Spitzohren. Alistair aber entkam geschickt ihrem Versuch, ihn zu packen, wirbelte schwungvoll herum und griff unter ihren Armen hindurch. Unter ihrer Brust verschränkte er die Hände ineinander, zog sich an sie und legte das Kinn auf ihrer Schulter ab.

„Lächel mal.“ flüsterte er leise. Ashes hob schwungvoll den Arm, titschte ihn mit der flachen Hand auf die Stirn. „Deine gute Laune ist manchmal unausstehlich...“ merkte sie an und musste dennoch auflachen, als Alistair sich über die ‚brutale Gewalt‘ beschwerte, mit der sie ihn in die Schranken wies.

Immerhin schien er damit zufrieden zu sein. Wenigstens für eine Weile.

Sie setzten ihren Weg fort. Für einen Menschen wie den Dieb war dieser Pfad schwer zu erkennen – alles war grün und soetwas wie Wegweiser oder gepflasterte Straßen gab es hier sowieso nicht. Doch Ashes‘ Auge erkannte, wo sie entlang mussten.

Als sie die Siedlung nach einigen weiteren Stunden erreichten, gingen Alistair die Augen über. Es war nicht die erste Ansammlung elbischer Bauten, die er gesehen hatte, doch jede Stadt der Spitzohren war ein Augenschmaus – befand zumindest er selbst. Ashes hingegen schien gelangweilt, wenn nicht gar von all der Protzerei angewidert.

Gewaltige Bäume rankten sich dem Himmel entgegen, mit Stämmen, so breit wie ganze Gasthäuser maßen. Brücken und Treppen gab es durchaus. Mal waren sie aus Schlingpflanzen, Moosen, Baumpilzen gewachsen, mal waren sie Teil der Baumrinde, die sich offenbar nach Wünschen der Elben ‚herausgestülpt‘ hatte. Auf gleiche Weise waren die Behausungen miteinander verbunden. Die Kronen der Bäume trugen die gesamte Stadt, jedes Haus, jede Halle, Bibliotheken, Altäre, einfach alles. Hier am Boden war der Platz frei gelassen worden für die Botanik und den Lebensraum der Tiere des Waldes.

Als sie die Stufen herauf schritten, fuhr Alistair mit der Hand an der Baumrinde entlang. Noch immer war er sprachlos vor Bewunderung. Es mussten Jahrtausende vergangen sein, damit ein Baum solche Maße erreichte! Und wie die Elben es wohl anstellten, dass das Holz nach ihren Wünschen und Bedürfnissen wuchs? Er wusste inzwischen, dass das nichts mit Magie zutun hatte. Aber er konnte sich das nicht vorstellen. Wann immer er es versuchte, entstand das Bild, wie ein alter, zottelig-tattriger Elb vor einem Baum stand und auf ihn einredete – ein Bild, das ihn ständig zum lachen brachte. Aber irgendwie musste all das ja erschaffen worden sein...?!

Als sie endlich die Krone und damit das Zentrum der Siedlung erreichten, eröffnete sich ihnen eine ganz neue Welt, deren Vielfalt und Lebhaftigkeit vom Boden aus nicht einmal ansatzweise erahnbar gewesen war. Eine Gruppe kleiner Kinder tollte an ihnen vorbei, ihre weißen Roben flatterten herum, während ihnen ein sichtlich älterer Elb maßregelnd nacheilte und im Vorbeigehen sogar eine Entschuldigung in ihre Richtung warf. Von der übertriebenen Höflichkeit der Elben hatte Alistair ja bereits gehört und sie auch schon oft genug erlebt – aber sie überraschte ihn stets aufs Neue.

Zahllose Häuser hoben sich in leichter Bauweise von den Ästen ab, es gab sogar auf einem fast tellerartig in die Breite gewachsenen Bereich eine Art von Marktplatz. „Beeindruckend...“ nuschelte der Dieb eher zu sich selbst. „Jaja.“ Murrte Ashes dagegen und stieß ihn rauh in die Schulter, um ihn vorwärts zu treiben. Sie wussten nicht, wo sie sich mit ihrer Kontaktperson treffen sollten. Genau genommen, wussten sie nicht einmal, was sie überhaupt erwartete. Es sah jedenfalls nicht danach aus, als würden diese Leute in Angst vor irgendwelchen Bestien leben oder einen Mangel an Sicherheit, Nahrung oder Geld beklagen. Was für Arbeit wartete an einem Ort wie diesem auf sie?

Eine Weile liefen sie über die Stege der Stadt, von Krone zu Krone, an den Häusern, Sälen, Hallen vorbei. Alistair bekam auf dem Markt mehrfach Probleme – er konnte tatsächlich die Finger nicht von ein paar Artefakten lassen, die dort angeboten wurden, doch die elbischen Sinne waren für ihn eine echte Herausforderung. Letztlich zog Ashes ihn von dort weg, ehe man sie beide hinauswerfen oder lynchen würde. Die Blicke der Hochgeborenen folgten dem Menschen, arrogant, überheblich, aburteilend – wie er es von Elben eigentlich gewohnt war. Dennoch kam er nicht umhin, sie um ihre Eleganz zu beneiden. Alles hier wirkte so... rein und sauber, alt, erhaben, schön.

Allerdings glaubte er Ashes auch ohne Zweifel, dass es auf Dauer ermüdend und langweilig wurde, das jeden Tag um sich zu haben. „Vielleicht sollten wir ein Feuer legen, um auf uns aufmerksam zu machen?“ scherzte Alistair. „Okay, bin dabei.“ erwiderte Ashes lediglich mit den Schultern zuckend. Alistair legte den Kopf schief, grinste sie an und schüttelte sich abwendend schließlich den Kopf.

Tatsächlich wurden sie wenige Augenblicke später von einem Elb angehalten. Langes, schneeweißes Haar, eine himmelblaue Robe und ein Leuchten in den Augen, das von Jugend und Elan zeugte. Es war der gleiche Bursche, der sie im Gasthaus des Dorfes überhaupt erst angesprochen hatte. Er war voraus geeilt, angeblich, um Vorbereitungen zu treffen. Wofür auch immer.

Zumindest war damit das Problem der Unterbringung geklärt. Ashes und Alistair folgten ihm über mehrere Stege bis zu einem deutlich ruhigeren Teil der Siedlung, in dem offenbar die Älteren und Lehrstätten untergebracht waren. Zumindest, so befand Alistair gut gelaunt, garantierte ihnen das, das Ashes wenig Kontakt zu ihresgleichen haben würde. Damit müsste zumindest ein weiteres, rapides Abfallen ihrer Laune verhindert werden können.

Dachte er.

„Ist dir aufgefallen, wie diese Schmalzlocke mich angegrinst hat? Ich sag dir, wenn der mich nochmal so ansieht, poliere ich ihm die Zähne mit meiner Faust!“ knurrte Ashes, als sie am späten Abend das schloss, was wohl eine Tür ersetzen sollte. Sie zog ihr Schwert aus der Scheide und verkeilte es mit dem Boden – denn Türschlösser oder dergleichen gab es hier nicht. Alistair hingegen grinste in sich hinein. Aufgefallen? Wie hätte einem das nicht auffallen können! Es war mehr als offensichtlich, dass Ashes einen Verehrer gefunden hatte, der sich zu aller Peinlichkeit für sämtliche Beteiligten auch noch streng an die Sitten und Traditionen ihres Volkes hielt, als er um sie zu werben begann. Vielleicht hätte ihm schon Ashes Aufenthalt in einem Gasthaus, angetrunken und im Begriff, eine Schlägerei anzuzetteln, etwas darüber sagen sollen, wie ‚elbisch‘ sie tatsächlich war. Doch entweder war diese Information zum Zeitpunkt ihres Treffens für ihn bedeutungslos gewesen und war es noch, oder er fehlinterpretierte da irgendwas...

„Reg‘ dich wegen dem nicht auf. Morgen bekommen wir schon heraus, was er nun von uns will.“ versuchte Alistair sie zu beruhigen.

„Sicher, und wenn ich es aus ihm heraus prügeln muss! Was der von uns will? Das kann ich dir jetzt schon sagen...!“ murrte sie jedoch weiter. Alistair hingegen verzichtete auf weitere Widerworte. Er würde Ashes nicht besänftigen können, völlig ausgeschlossen.

Lautlos ließ er sich auf dem Bett nieder. Ihre Räumlichkeiten waren mit zwei Betten ausgestattet, was zweifellos der Höflichkeit galt – oder der Annahme, dass sie kein Paar wären, war er ja schließlich ein Mensch und sie eine Elbe. Alistair strich sich durch das Haar, dachte eine Weile darüber nach, ob sich die Bewohner der Stadt wohl überhaupt darum scherten, wer sie waren und was sie verband, ehe er die Gedanken als nichtig verwarf und sich stattdessen der Stiefel entledigte.

Barfuß schlich er sich langsam zu seiner Begleiterin herüber, die an der fensterartigen Ausbuchtung der Wand stand, die Hände aufgestützt und in die nächtliche Dunkelheit hinaus funkelte. Einen Moment nahm sich der Dieb die Zeit, beugte sich unauffällig vor, lauschte, spähte hinaus. Es brauchte keine elbischen Sinne, um die Lichter zu sehen. Manche waren feste Teile der Stadt, kleine, magische Glühwürmchen, eingefangen in durchsichtigen Kokons. Andere waren offenbar Teil einer Festlichkeit, tanzten in einiger Entfernung auf und ab, wirbelten herum – alles im Takt einer leise erschallenden Musik. Elbischer Gesang war ruhig, durchdringend und klang für den Langfinger irgendwie immer ein wenig nach Trauermusik. Ihn faszinierte diese Lebensweise, er mochte die Künste der Elben, ihre grazile Ästhetik – für einen Kurzurlaub immer wieder schön. Doch für Ashes war das alles zweifellos etwas anderes. Ganz abgesehen davon, dass sie vermutlich verstand, wovon da gesungen wurde.

Es war nicht nur das Streben, sie abzulenken, sondern auch die Tatsache, dass mit dem Stillstand im Dorf schon viel zu lange etwas ausgeblieben war, der Alistair dazu brachte, sich wieder von tanzenden Lichtern und Musik loszureißen. Seine Hände legten sich auf ihre Hüfte, zogen Ashes mit sanfter Gewalt vom Fenster zurück. „Was soll das werden?“ nuschelte sie offenkundig unzufrieden, hielt noch einen Moment den Blick zu den Lichtern, ehe sie sich zu ihm umwandte.

„Ich dachte mir, ich schlage dich nieder, schleife dich zum Bett und vergehe mich an dir... wie klingt das?“

Ashes trat einen halben Schritt zurück, musterte die schmächtige Gestalt Alistairs. Seine neue Lederrüstung verschaffte ihm ein fast schon respektables Aussehen, immerhin besser als die Lumpen, die er vorher getragen hatte. Die waren zwar unauffälliger, boten aber auch keinerlei Schutz vor Pfeilen und Klingen. Dennoch – weder war er groß gewachsen, noch kräftig, muskulös oder sonst irgendwie in einem Maße beeindruckend, dass man ihn für eine ernstzunehmende Gefahr halten könnte. Ashes wusste das, sie musste ihn dazu nicht erst auf diese Weise anstarren. Es war eher ein Ausdruck ihrer Skepsis, die unausgesprochene Frage, was er damit bezweckte, solchen Unsinn von sich zu geben. „Ich weiß nicht... lächerlich?“ gab sie schließlich zurück und grinste sogar ein wenig schadenfroh, als Alistair in theatralischer Manier einen Schmollmund zog. Sie versuchte, sich zurück zu halten, ihn nicht allzu offensichtlich spüren zu lassen, dass seine kleine Theateraufführung sie durchaus abzulenken und zu erheitern wusste.

„Autsch, das tat weh, jetzt bin ich zutiefst deprimiert...“ erwiderte Alistair, grinste sie breit an und zog sie ein paar Schritte rückwärts tretend mit sich.

„Nein, lass mich...“ murrte Ashes und wollte sich befreien, doch der Dieb war geschickt genug, sie nicht entkommen zu lassen. Es entbrannte binnen weniger Augenblicke eine regelrechte Rangelei, nicht mit Stärke und Gewalt, sondern eher mit Geschwindigkeit und Reflexen ausgespielt. Würde sie es schaffen, sich loszureißen, ohne dass er sie zu fassen bekam, ehe sie sich umgedreht hätte? Dumme kleine Spiele wie diese hatten es von Zeit zu Zeit geschafft, ihnen die Langeweile zu vertreiben – ganz abgesehen davon, dass sie eine gute Übung ihrer Fingerfertigkeiten waren und den Zusammenhalt bestärkt hatten. Es war eine Sache, das Bett miteinander zu teilen, sich nahe zu sein, aber doch eine andere, es in so trivial scheinenden Momenten zu spüren, einander zu beweisen.

Letztlich war Alistair es, der das Spiel abbrach. Er packte Ashes beim Handgelenk, zog sie ruckartig zu sich, wich aus und stellte ihr in der gleichen, fließenden Bewegung ein Bein. Sichtlich überrascht, konnte Ashes nicht mehr auf den Beinen bleiben, griff Halt suchend zu – und zerrte Alistair am Kragen mit sich, als sie rückwärts auf dem Bett landete. Erst der weiche Aufprall ließ sie Gewahr werden, wo sie sich nun befand. Alistair hingegen grinste sie sichtlich zufrieden an, gretschte über ihr und erweckte den Eindruck, als habe ein Raubtier gerade Beute geschlagen – eine Analogie, die auf den Dieb so gar nicht passen wollte.

„Lass mich!“ forderte die Elbe.

„Zwing mich doch...!“ provozierte Alistair prompt.

Sie versuchte sich aufzurichten, ihn abzuwerfen und er tat das Nötige, ihr eben dies nicht zu leicht zu machen. Tatsächlich brauchte es nur zwei, drei gescheiterte Versuche, ehe Ashes regelrecht erbost zu ihm auffunkelte. „Lass – mich – los!“ befahl sie ihm. Als er immer noch nicht tat, wie ihm geheißen, riss sie sich mit einem Ruck empor. Die Wende kam rasch und wenig zimperlich. Hatte eben noch Alistair ihre Handgelenke auf den weichen Untergrund gedrückt gehalten, verkehrte die Elbe mit Mühelosigkeit das Bild ins Gegenteil.

Ehe sie aber nur ein Wort der Rüge los werden konnte, reckte der Dieb das Haupt empor, stahl ihr einen Kuss von den Lippen, ehe er sich wieder sinken ließ und sie frech angrinste. Einen Moment schien Ashes regelrecht perplex – als würde sie versuchen, sich zu erinnern, worüber sie ihn gerade noch hatte belehren wollen. Doch statt den Faden wieder aufzunehmen, ließ sie ihren Groll fallen. Alistair hatte damit Erfolg auf ganzer Linie gehabt. Nicht nur, dass er ihren Zorn auf ihre Umgebung auf sich gezogen hatte, hatte er ihr nun zudem ein gutes Ventil verschafft – und sich selbst eine vergnügliche Nacht. Ein Gewinn für alle sozusagen, immerhin bedeutete das auch, dass die Elben noch ein paar Tage länger friedlich leben durften. Eine angespannte, schlecht gelaunte Ashes in einer Elbensiedlung war immer eine kleine Katastrophe.

Ein Umstand, der Alistair seit jeher fasziniert hatte. Die Elbe, an die er schon vor so langer Zeit sein Herz verloren hatte, war gleichermaßen ungestüm und temperamentvoll auf dem Schlachtfeld, wie sie es auch im Nachtlager sein konnte – konnte, aber längst nicht musste. Seine Hände strichen ihre Flanke herab. Es gelang ihm zusehens schwerer, sich zu konzentrieren, sein Blick wanderte rastlos über den Anblick, der sich ihm bot, die Rundungen ihres Körpers, der sich im eigenen Rhythmus bewegte. Ein leises Keuchen drang aus seiner Kehle, als sie ihre Hüfte herab presste. Diese Frau brachte ihn um den Verstand, wieder und wieder und er wurde ihrer nie überdrüssig, der Nächte nie müde. Alistair zeugte selbst nach allem, was sie er-, durch- und überlebt hatten, noch immer von einer gewissen Naivität und vielleicht war es dieser zu verdanken, dass er so dachte – doch in Momenten wie diesen war er sich sicher, in seinem Leben keiner anderen Frauen zu bedürfen. Er zählte sich zu den wenigen Glücklichen, die mit dem ersten Weib eine fast schon schicksalhafte Begegnung erleben durften.

Seine Hand vergriff sich in ihrem Nacken, er zog sie herab, drängte ihr einen Kuss auf, genoss ihre Leidenschaft, als sie ihn erwiderte. Er trieb Ashes an ihre Grenzen, darüber hinaus, spielte in jenen kurzen, verletzlichen Momenten mit ihr. Als sie sich sinken ließ, kehrte eine friedvolle Stille ein. Nur ihr Keuchen durchzog es in regelmäßigen Abständen, bis ihr Atem sich normalisierte, ihr Herz wieder seinen alten Takt fand. Ihre Haut glühte noch, ein leichter Film lag darauf. Ihm erging es nicht besser. Er neigte den Schopf zur Seite, blies ihr eine Strähne aus dem Gesicht, grinste frech. „... ich glaube, die haben dich gehört...“ flüsterte er leise, lachte einen Moment auf, ehe er die Nase an ihrer Halsbeuge vergrub. Er sog ihren Duft ein, genoss das Gefühl ihres Gewichtes auf seinem Körper, die Wärme ihrer Haut, ihre Gegenwart. Ein betörendes Gefühl. Ein jedes Mal wünschte er sich, diese Momente würden kein Ende finden, doch letztlich taten sie das immer. Zeit hielt nicht an, nur weil man sie darum bat. Einmal mehr erlaubte sich Alistair einen kleinen Spaß, fuhr mit den Fingerspitzen ihr Rückgrat herab. Noch zu empfindlich, zuckte Ashes zurück, drängte sich in dem Versuch, seiner Geste zu entgehen, enger an ihn. „Lass...“ bat sie noch immer sichtlich außer Atem. Diesmal waren keine Belehrungen nötig, kein Betteln und keine Abreibungen. Er hielt inne, nahm sich das Recht, kleine Küsse auf ihren Hals zu hauchen.

„Das-“ setzte Alistair an, als ihm Ashes prompt ins Wort fiel. „Ist das ein Scherz?“

Überrascht über ihren erbosten, zornigen Tonfall, blickte Alistair zu ihr auf und bemerkte, dass sie in Richtung des Fensters sah. Er erkannte nur noch eine verschwindende Gestalt – Sekunden später befand sich Ashes bereits in halber Rüstung, riss das Schwert aus dem Boden und eilte nach draußen. Es dauerte nicht lange, da kehrte sie sichtlich frustriert zurück. Sie hatte den Beobachter nicht erwischen können und war auch nicht gewillt, darüber ein einziges Wort zu verlieren. Alistair konnte gut damit leben – hätte er schnell genug reagieren können, hätte er sie davon abhalten wollen, überhaupt das Bett zu verlassen. Vielleicht hätte man auch einfach... einen Stiefel werfen können?

Trotz der unangemessenen Unterbrechung fand die Elbe einen tiefen, ruhigen Schlaf – was Alistair gleichermaßen beruhigte wie zufrieden stellte. Es dauerte eine Weile, ehe er selbst Schlaf fand, also beobachtete er Ashes. Ihre Züge, wie sich ihre Brust von sanften Atemzügen hob, den Puls, der sich an ihrem Hals unter der Haut abzeichnete, all die Feinheiten, die er kennen und lieben gelernt hatte. Er kannte sie, hatte sie mit seinen Fingern und Lippen erspürt, schätzen gelernt. Alistair erinnerte sich eines jungen Diebes, der einst er selbst war. Eifrig, ehrgeizig und eine Spur arrogant. Er hatte immer behauptet, dass er sich niemals auf ein Weib einlassen würde. Sie waren die größte Schwäche, die ein guter Dieb sich leisten konnte – und die Letzte, denn sie würden jeden guten Langfinger früher oder später an den Galgen bringen! Vielleicht stimmte das ja. Er hatte in ihrer gemeinsamen Zeit so manche Wunde davon getragen, viele Situationen schienen keinen Ausweg mehr zu lassen. Aber wer konnte schon sagen, ob es auf anderen Pfaden tatsächlich besser geworden wäre? Immerhin hatte er mit Ashes etwas gewonnen, dass ihm der andere Weg nicht bieten konnte – das Gefühl, geschätzt zu werden. Auf mehreren Ebenen zudem.

Der Tag brach erschreckend früh an und begann mit einem gequälten Aufschrei und Nasenbluten.

Ashes hatte sich im Schlaf quer über die ganze Fläche ausgebreitet und scheinbar im Traum das Geschehen des vergangenen Abends passieren lassen, denn als jemand am Fenster erschien, um sie zu wecken, war es selbst für eine Elbe unvorstellbar, wie schnell sie den Stiefel gepackt und geworfen hatte. Tatsächlich stand dort draußen nur ein Bote, der sie wecken und zu ihrem vermeindlichen Auftraggeber hatte bringen sollen. So jedoch versuchte er erst einmal den Heiler aufzusuchen, damit das Bluten gestillt werden konnte. Ashes hingegen grinste sogar selig, weil der geworfene Stiefel nicht einfach verloren ging oder – schlimmstenfalls – hinab auf den Waldboden stürzte, sondern am Gesicht des Elben ‚abprallte‘ und wieder im Zimmer landete. Kaum, dass sie das Verschwinden des Unglückseligen bemerkt hatte, ließ sie den Kopf wieder auf den weichen Untergrund fallen und schlief weiter. Alistair, der nunmehr zumindest halbwegs wach war, bemerkte das mit einem gewissen Amüsement, ohne tiefere Mitleid für den Getroffenen zu hegen oder sich irgendwie um dessen Belange und Interessen zu kümmern. „Was, wenn es wichtig war?“ merkte er lediglich halbherzig an. Ashes winkte ab, ohne auch nur die Augen zu öffnen, gschweige denn, sich in seine Richtung zu drehen, weshalb er es mit einem Lächeln dabei beließ, sich ebenfalls wieder lang machte und die Zeit, die ihnen auf diese rüpelhafte Weise verschafft worden war, genoss. Er döste vor sich hin, wartete, bis Ashes von allein erwachte und machte sich seine Gedanken darüber, was sie hier wohl erwarten würde.

Erst in den frühen Mittagsstunden schafften es schließlich beide aus eigener Kraft, sich zu erheben – der Bote indes hatte schlicht den Dienst verweigert und war ihrer Behausung fern geblieben. Sie streiften umher und fanden durch einen Zufall ihren Auftraggeber wieder, von dem sie nunmehr zu erfahren verlangten, weshalb sie hier waren – und was mit der versprochenen Bezahlung war.

„Ah, äh, ja, genau, also... würdet ihr mir wohl bitte hinein folgen?“ lud der Elb sie freundlich ein und trat höflich bei Seite. Ashes schob sich ins Innere dessen, was sich als die Wohnung des Spitzohres entpuppte, doch als ihr Begleiter ihr folgen wollte, stellte sich ihr Auftraggeber in den Weg. „Verzeiht, junger Freund, ich... also... würde gerne eure Begleiterin unter vier Augen sprechen, wenn ihr gestattet.“

Alistair stutzte und musterte den Elb, dem dieser Blick sichtlich zu missfallen schien. Doch er war immerhin klug genug, nichts dagegen zu sagen. Schließlich warf der Dieb einen Blick an ihm vorbei in den Innenraum – zu Ashes, die lediglich mit den Schultern zuckte. Wenn dieses Spitzohr Probleme machen wollte, würde sie schon allein mit ihm fertig werden und Alistair konnte getrost ein paar Minuten vor der Tür warten, das stellte für ihn kein größeres Problem dar. Entsprechend willigte er ein, lehnte sich gegen die Rinde des alten Baumes und sah zu, wie die Tür sich schloss. Natürlich entkam Alistair seiner Natur nicht. Es war ihm während diverser Beutezüge immer wieder zum Verhängnis geworden, dass er unbedingt hatte wissen müssen, was sich in einer verschlossenen Truhe, hinter einem verriegelten Tor oder auf einem mit Wachssiegel gesicherten Pergament befand. So versuchte er dieses Mal ganz dezent nahe an die Tür zu rutschen, um eventuell ein paar ausreichend aufschlussreiche Gesprächsfetzen aus dem Inneren zu vernehmen, doch offenbar redeten sie deutlich zu leise – nur eines war ein schlechtes Zeichen, nämlich dass Ashes‘ Stimme zunehmend hörbarer wurde und auch sonst wenig erfreut klang.

Alistair schreckte mit dem elenden Gefühl, ertappt worden zu sein, prompt zurück, als die Tür aufgerissen wurde und seine Liebste mit sichtlichem Zornesfunkeln davon stampfe. Ein Blick ins Innere des Hauses verriet dem Dieb, das irgendetwas sich nicht nach ihren Erwartungen entwickelt hatte – der vermeindliche Auftraggeber lag am Boden, gekrümmt und die Hände vor den vom Fausthieb noch immer schmerzenden Bauch gepresst. Eine erste Ahnung beschlich den Langfinger, doch auf Ahnungen allein wollte er kein Urteil begründen. Immerhin würde es ja wohl nicht weiter schwer sein, Ashes zu fragen, was vorgefallen war – doch genau in diesem Punkt irrte er sich. Sie war nicht dort, wo man sie untergebracht hatte. Weder fand er sie auf dem Markt, noch sah er sie unterwegs und von einer Elbe ihren Ausmaßes in schwerer Rüstung konnte man wahrlich nicht behaupten, dass sie leicht zu übersehen wäre. Schon gar nicht an einem Ort wie diesem. Dennoch fehlte jede Spur.

Alistair nahm daher schlicht an, dass sie sich einen abgelegenen Ort gesucht hätte, entweder, um durch das Kleinhäxeln von Pflanzen ein wenig Dampf abzulassen, oder, um ihre Wut herauszuschreien. In letzterem Fall würde er sie ihrem Gesicht beim Verlassen des Hauses nach zumindest hören, solange sie im Umkreis von zwei Meilen wäre.

Über den Gedanken grinsend, beschloss er, sich am berühmten elbischen Wein zu versuchen. Soetwas wie eine Taverne hatten die Elben nicht, kannten auch keinerlei Äquivalent dazu, allerdings waren Festivitäten offenbar tatsächlich gern gesehen. Was eigentlich gefeiert wurde, wusste Alistair nicht. Die Gesänge und Reden wurden in einem ihm völlig fremden Dialekt abgehalten, den er nie gelernt, ja wohl noch nicht einmal gehört hatte. Doch man schickte ihn nicht fort, als er sich einfach an die Tafel setzte und von der Karaffe etwas in einen tönernen Krug goss.

Die Stunden zogen dahin und Alistair, der Zeit seines Lebens Alkohol nie vertragen hatte, wurde immer ausgelassener. Der Wein stieg ihm rasch zu Kopf, schmeckte süß und lieblich und diesmal war Ashes nicht zur Stelle, um ihn rechtzeitig auszubremsen. Er unterhielt sich hier und da sporadisch mit ein paar der Feiernden, trank mit ihnen, stieß auf Namen und Jahrestage an, von denen er nie etwas gehört hatte und schindete mit seinem scheinheiligen Wissen dennoch genug Eindruck, dass man ihm fast schon herzlich begegnete. Es wurde Abend, im ersten Dämmerlicht glühten auch die ersten Lichter wieder auf und Alistair erkannte den Platz, auf dem die Tafeln standen, als eben jenen, den sie gestern noch beobachtet hatten. Hier hatten die Lichter umher getanzt. Vielleicht eine Art Lampenfest? Kannten Elben so etwas?

„Sagt, junger Herr, ihr scheint der Dame sehr zugetan, oder irre ich? Wage ich zu viel?“ schwenkte einer seiner Trinkgefährten schließlich auf ein neues Thema. „Dame? Welche Da-... oh... Ashes? Hihi, Dame...“ erwiderte der Dieb lediglich, grinste selig und kicherte abermals in sich hinein. Dem Elb aber schien das Antwort genug. „Besorgt es euch denn nicht, dass Halotheil um sie wirbt?“ hakte der Fremde erneut nach. In seinem Ton lag die gleiche aufrichtige Sorge und Verwunderung, die ihm auch im Blick stand, doch selbst wenn Alistair nicht betrunken gewesen wäre, hätte dies an seiner Antwort kaum etwas geändert.

Er lachte.

Aus tiefster Kehle und so herzlich, dass sich ein paar Blicke kurz auf ihn richteten. „Das verstehst du nisch...“ nuschelte er breit grinsend. Der sichtlich verwirrte Ausdruck des Elben verärgerte ihn einen Moment. Konnte der es denn nicht einfach dabei belassen und endlich die leere Karaffe auffüllen? So hingegen musste er weiter ausholen und sich erklären, so viel reden zu einer Zeit, in der ihm das doch zunehmend schwer fiel...

„Dieser Hali-... Hal-... der Typ!... Der hat bei Ashes so viel Chancen wie ein Goblin, der einen Zwerg umwirbt...“ führte Alistair ein seiner Meinung nach sehr einleuchtendes und alles erklärendes Bildnis an, kicherte über die Vorstellung dieses Versuches und leerte damit auch seinen Becher – was ihm glatt einen besorgten, kummervollen Blick entlockte. Immerhin saß er damit jetzt auf dem Trockenen, und das, wo es doch gerade lustig wurde.

„Aber Halotheil ist sehr angesehen, er hat eine wohlhabende, weise Familie, die seit Generationen-“ setzte der Elb erneut ab und verstummte, als Alistair die Hand hob. Er schüttelte lediglich den Kopf und versuchte genug Konzentration zusammen zu kratzen, um diesem Narren zu erklären, was sich so klar in seinem Kopf als Wahrheit präsentierte.

„Hal-... der Typ. Der kann sonstwas für eine Familie haben, verstehst du? Er glaubt, er ist eine Katze, kann Krallen ausfahren und auf Jagd gehen, kann’er aber nich...! Er will es vielleicht nich wahrhaben, aber für jemand wie Ash... is‘ er nur ‘ne Maus. Ein leckeres Häppchen für zwischendurch... bestenfalls... oder so... sie’s die Katze, er die Maus... verstehst du? Sie spielt ein bisschen mit ihm und dann, ZACK!, bricht sie ihm das Genick oder so... hehe...“

Von Alistairs ausladender Gestik offenbar ebenso schockiert wie von seinen Andeutungen, wich der Elb gar ein Stück vor ihm zurück, ehe ihn offensichtlich die Neugier überwältigte und er das eben noch zwischen sie gebrachte Maß an Distanz rasch wieder überbrückte, um allzu eifrig sogleich die nächste Frage nachzuschieben. „Und ihr? Seid ihr... denn eine Katze?“

Alistair bekam nicht mit, dass er im Grunde nach allen Regeln der Kunst ausgehorcht wurde. Wobei sich in seinem desolaten Zutand ohnehin zeigte, dass wenig kunstvolles Vorgehen gefragt war, um Antworten zu erhalten. Vielmehr musste man dafür sorgen, dass er nicht mit dem Kopf auf die Tischplatte schlug und an Ort und Stelle einschlief, oder einfach den Faden verlor und wirr daher brabbelte. Für die Elben war ein betrunkener Mensch ein merkwürdiger und seltener Anblick – zumindest hier in dieser abgeschiedenen Siedlung. Deshalb versuchten die meisten Elben Alistairs Betragen auch mit höflicher Ignoranz zu vergelten. Sie versuchten geradezu verstört zu übersehen und zu überhören, was da am Ende der einen Festtafel vor sich ging, weil sie dafür keine gescheite Erklärung hatten – denn niemandem kam es in den Sinn, dass Menschen ihr Maß vielleicht nicht kannten oder, schlimmer noch, es kannten und absichtlich ignorierten. Elben tranken stets verantwortungsvoll. Genug, um sich zu erheitern, aber nie mehr.

„Ich?“ echote Alistair und lachte. Er schlug mit der Handfläche prustend auf den Tisch, zog damit erneut ein paar verstörte Blicke auf sich, ehe er heftig den Kopf schüttelte – was spontane Übelkeit nach sich zog. „Ich bin auch nur ‘ne Maus, aber... ich bin geschickter. Ich... ich habe sie... äh... neugierig gemacht?“

Die Frage, was genau Ashes eigentlich dazu bewog, sich für ihn zu entscheiden, beschäftigte Alistair mit einem mal weit mehr als man es ihm in seinem Zustand noch zugetraut hätte. Darüber vergaß er kurzum auch jegliche Höflichkeit, ließ seinen auch weiterhin recht neugierigen Gesprächspartner schlichtweg an Ort und Stelle sitzen, erhob sich und taumelte langsam in die Richtung, in der er ihre Unterkunft vermutete. Nach knapp einer Stunde und drei verschiedenen Kreisläufen im ganzen Stadtgebiet kam er tatsächlich am Ziel an, zwar weit davon entfernt, ausgenüchtert zu sein, aber doch immerhin von Übelkeit und Verwirrung erlöst. Tatsächlich grübelte er noch immer über die Frage des Fremden nach.

Ashes hatte ihm nie so genau gesagt, was sie eigentlich dazu gebracht hatte, ihm ihre Aufmerksamkeit zu schenken, ihr Lager mit ihm zu teilen, sich ihm zu offenbaren. Nun, man konnte sagen, dass es Telete war, die bestimmte, welche Herzen zueinander fanden. Aber Alistair konnte genau benennen, was er an ihr bewunderte, was beneidete, was liebte, was ihm zuerst aufgefallen war – wie es sich aber umgekehrt verhielt, das wusste er nicht. Ashes war nicht der Typ Frau, die lange Gespräche über ihr Gefühlsleben führte. Das hatte er schon vor langer Zeit begriffen und sich damit auch bestens zu arrangieren gewusst.

Warum ihn diese Fragen nun nicht mehr los ließ, das verstand er selbst nicht so ganz.

Immerhin, kaum die Tür geöffnet, wurde er ‚begrüßt‘. Ashes kam gerade noch rechtzeitig, bevor er über die Schwertscheide hatte stolpern und sich mangelnder Reflexe wegen der Länge nach auf dem Boden ausbreiten können. Sie fing ihn ab, schleppte ihn zum Bett und warf ihm prompt vor, dass eine abgebrannte Destille nicht so riechen könne wie er. Sein Argument, dass Wein süß sei, entlockte ihr dabei eher ein belustigtes Grinsen und den vorab schon schadenfrohen Kommentar, dass er die Süße des Weines morgen früh zutiefst verfluchen werde.

Die Nacht war unruhig und nach Alistairs Auffassung deutlich zu kurz. Es brauchte lang, ehe er überhaupt genug Ruhe fand, um zu schlafen, und schon viel zu früh brach die Sonne ins Zimmer. Er verfluchte zuerst die elbische ‚Bauweise‘ und ihren Hang zur Naturverbundenheit, ehe er sich aufzurichten versuchte, es angesichts des rasch aufkommenden Schwindelgefühls sein ließ und daraufhin – wie prophezeit – den Wein verfluchte. Über seine nörgeligen, quängeligen Tiraden konnte Ashes nur lachen. Nun schienen sich die Dinge verkehrt zu haben – während sie bester Laune einen bissigen Kommentar nach dem Anderen vom Stapel ließ und sich über sein Missgeschick köstlich amüsierte, wollte Alistair so schnell wie möglich aus dem Wald ‚entkommen‘, um nicht wieder von süßem Duft verlockt in Versuchung zu geraten.

„Was wollte dieser Elb gestern nun eigentlich?“ nuschelte Alistair und entlockte Ashes damit ein Grinsen.

„Das wird für dich die beste Nachricht sein: Wir können tatsächlich sofort aufbrechen und verschwinden.“

Auf seine Nachfrage hin erfuhr er schließlich die unliebsamen Details. Ashes war lange Zeit tot geglaubt, nicht nur von ihrer Familie, sondern auch ihrem gesamten Clan. Man hatte viel Zeit und Mühe investiert, sie aufzuspüren – und in der Gegend, in der sie sich befand, einen geeigneten Mann für sie zu finden. Offenbar war ihr einstiger Clan der Meinung, dass sie nun wahrhaftig alt genug sei, dem luderhaften Leben als Abenteurer unter Menschen, Zwergen und den anderen niederen Rassen zu entsagen und sich einer redlichen Gemeinde anzuschließen. Dass derlei Ambitionen von Anfang an zum Scheitern verdammt waren, ja regelrecht lächerlich schienen, hätte man sich denken können, war man Ashes auch nur ein mal begegnet. Doch woher sollten die Geister ihrer Vergangenheit das auch wissen? Sie wussten einen Namen, kannten aber die Person nicht mehr, die dahinter stand. Alistair hingegen traute seinen Ohren nicht, als er nach und nach die Geschichte vernahm, doch als sie schließlich endete, prustete er aus vollster Kehle – was ihm sein dröhnender Schädel sofort mit stechendem Schmerz vergolt. Ashes hingegen schien ihm sein Amüsement nicht übel zu nehmen, im Gegenteil. Sie waren sich völlig einig.

Der vermeindliche Auftraggeber war letztlich ein junger, ambitionierter Elb, ein Junggeselle und offenbar recht angesehen – zumindest innerhalb seines Volkes. Allerdings hatte er den Fehler gemacht, Ashes wie das kleine Mädchen zu behandeln, dem das Wort ihrer Eltern der Götter Gesetz gleich zu sein hatte. Ihre freie Meinung übergehen? Ganz schlechte Idee.

Sie packten die wenigen Habseligkeiten, die sie hatten und machten sich langsam auf den Weg. Die Stadt zu verlassen, war kein Problem. Ashes rechnete zwar damit, dass ihr Möchtegernbräutigam sich blicken lassen würde, doch zumindest anfangs schien dem nicht so. Während der ersten paar Stunden des Marsches lernte Alistair mit seinem Kater umzugehen. Er hatte schon seit vielen Monaten nicht mehr so über die Stränge geschlagen, weshalb ihm die Kopfschmerzen tatsächlich zusetzten. Er verlor auch keinerlei stichelnde Kommentare, sondern lediglich warme Dankesworte, als Ashes kurz abseitig im Unterholz verschwand und ihm bei ihrer Rückkehr ein paar Kräuter in die Hand drückte, mit dem Hinweis, dass er sie kauen sollte. Sie wirkten dem dumpfen Schmerz etwas entgegen und machten die Nachwirkungen des Rausches erträglicher.

„Wann hast du ihn eigentlich geschlagen? Als er dich zu seinem Weib erklärte, oder als er von seinen Ideen der Hochzeitsdekoration sprach?“ hakte Alistair witzelnd nach. In fast regelmäßigen Abständen scherzten sie über das, was sie nunmehr zurückließen. Ihre Vergangenheit hatte sich vorgedrängelt, die Arme geöffnet und allen Ernstes geglaubt, sie würde freudig daher springen und zurücknehmen, was ihr damals verloren ging. Nur... dass Ashes diesen Weg selbst gewählt hatte.

„Ich bin dafür, wir nehmen keine Aufträge mehr von Elben an.“

„Ach komm schon, das wäre unfair. Niemand gerät so leicht in Schwierigkeiten, wir würden viele lustige Aufträge verpassen – wie du siehst. Ich bin nur dafür, dass wir in Zukunft darauf bestehen, vorher zu erfahren, worum es geht. Ach und bitte: Sollte sich irgendwann mal meine Familie melden, erinnere mich daran, dass ich dich ihnen vorstelle... wenn sie sich im Ton vergreifen, musst du dich nicht mal zurückhalten...“ erwiderte Alistair und grinste breit vor sich hin, „Vielleicht sollten wir auch einfach deine alte Heimat besuchen und dort den Bund eingehen?“

Allein ihr Blick sprach Bände und brachte ihn erneut zum lachen.

Nein, Ashes war ganz sicher nicht der Typ für sittsame Sesshaftigkeit, Hausbau, Familie und ein stetiges Leben.

„Naja, eines muss man denen lassen – sie haben schöne, weiche Betten...“ resümierte Alistair mit frivolem Grinsen. Eine Weile wanderten sie wieder ruhiger einher, die Bäume wurden kleiner, wirkten jünger. Der Waldrand, so schien es, war nicht mehr allzu weit entfernt. „Du, sag mal... gestern auf der Feier hat mich ein Elb angesprochen. Ich habe mit ihm getrunken und geredet und da kam irgendwie eine Frage auf. Was findest du... eigentlich an mir?“

Einen Moment herrschte gespannte Stille. Alistair wusste nicht, in wiefern er nun zu viel gewagt hatte, überlegte bereits einen Schritt zurück zu gehen, abzulenken, das Thema zu begraben. Es war ihm fast schon peinlich, Gedanken anzusprechen, die ihren Beginn im Zustand der Trunkenheit gefunden hatten. Dennoch antwortete ihm Ashes – und das auf mehr als überraschende Art.

„Weil du mich neugierig gemacht hast.“

Waren das nicht genau seine Worte gewesen?

Er blickte sie von der Seite an, musterte sie, versuchte zu begreifen. Das gelang ihm erst, als das Grinsen auf ihren Lippen langsam durchbrach und sie die Fassade nicht mehr aufrecht zu halten fähig war. „Du hast mich belauscht?!“ fragte Alistair fast schon empört, in erster Linie jedoch ungläubig und überrascht.

„Ich saß hinter dir.“

„Und du hast kein Wort gesagt?... Warum warst du überhaupt da?“

„Hey, da gab’s Wein!“

Beide lachten einen Moment auf, ehe Alistair eine weitere Möglichkeit bewusst wurde. „Dass ich dich neugierig gemacht hätte... hast du das jetzt nur gesagt, weil ich das sagte, oder weil es so ist...?“

Ashes aber erlaubte sich ihren Spaß – einmal mehr auf seine Kosten. Sie zwinkerte ihm fast schon verschwörerisch zu, ehe sie ihren Schritt ein wenig beschleunigte. Einen Moment lang hing Alistair hinterher, versuchte ihre Geste irgendwie brauchbar zu deuten, aber dafür war sie viel zu unklar und überhaupt wollte er eine Antwort...! Hastig holte er auf, begann sie mit Fragen zu löchern und plapperte in einem fort.

Sie ließen eine Episode zurück. Eine Szenerie von Unzähligen, die sie erlebt hatten, die sie geteilt hatten in einem Leben, das sie gemeinsam führten. Sie würden die Geschehnisse vergessen. Wenn sie die nächsten Aufträge bestritten, im nächsten Gasthaus einkehrten. Irgendwann kämen sie zurück, bei einem guten Krug Schnaps oder Wein, vielleicht in einem Monat, vielleicht erst in Jahren, dann würden sie lachen und sich über diese Begebenheiten lustig machen.

Damit war immerhin alles wieder beim Alten.



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