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Blind date

Wenn es keinen ersten Blick gibt...
von

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Musik und andere Probleme

Der Nachmittag ging nur schleppend voran. Akai und Shinosuke wechselten kaum mehr als ein paar wenige Worte miteinander und saßen eigentlich die meiste Zeit nur schweigend in Shinosukes Zimmer. Der kleine CD-Spieler lief die ganze Zeit über im Hintergrund, aber jedes Mal, wenn Akai ihn abstellen wollte, hielt Shinosuke sie zurück.

„Ach komm, das nervt so langsam echt! Wie kann man so einen Mist überhaupt hören?!“, beschwerte sie sich leise.

„Hast du nicht auch ein ‚Helfer-Zimmer‘?“, fragte Shinosuke und betonte das Wort ‚Helfer‘ mehr als nötig. „Geh doch da hin!“, schlug er dann jedes Mal missgelaunt vor. Akai stöhnte entnervt auf.

„Hast du das immer noch nicht kapiert?“, fragte sie wieder. „Ich soll dir helfen und das kann ich nicht, wenn ich in einem anderen Zimmer bin!“ Sie hätte absolut kein Problem damit, einfach in ihr Zimmer zu gehen, aber Mizumi hatte ein Auge auf sie und wenn sie nicht bei Shinosuke blieb, gab es Ärger!

„Rumsitzen und Musik hören werd‘ ich wohl grade so schaffen!“, entgegnete er sarkastisch.

„Wieso ist dir diese Musik denn so wichtig?!“, fragte sie angenervt. Die Musik war nichts besonderes, aber Shinosuke bestand immer wieder darauf, die CD erneut abzuspielen.

„Das kapierst du eh nicht!“, sagte er nach einer kurzen Pause. Es ging ihm nicht speziell um diese Musik, er wollte nur nicht, dass es still war. Schlimm genug, dass er außer tiefer Schwärze nichts sah… Er konnte es einfach nicht ertragen, wenn es dazu auch noch vollkommen still war. Aber das konnte Akai ja nicht verstehen.

„Wenn du meinst…“, meinte sie darauf nur leichthin. Es war ihr im Grunde auch egal.

Akai sah sich nun, vor Langeweile sterbend, schon zum x-ten Mal das Zimmer genau an. Die Einrichtung war spärlich und einfach: Ein Schrank, ein Tisch mit einem Schreibtischstuhl, ein kleines Sofa und ein Bett. Alles stand an den Wänden und das Zimmer war ihr viel zu ordentlich. Auf dem Weg hierher hatte sie in einige andere Zimmer blicken können, die ihr weit besser gefallen hatten. Wenn denn wenigstens ein paar Klamotten herumliegen würden, aber nein: Wahrscheinlich war sie an den größten Ordnungsfanatiker im ganzen Wohnheim geraten. Gerade sie! Shinosuke lag auf dem Bett und hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt, während Akai auf dem kleinen Sofa saß und sich langweilte.
 

Sie wollte sich gerade wieder über die Musik beschweren, als man im ganzen Haus eine laute Glocke hörte und über der Tür eine Lampe aufleuchtete. Akai war verwirrt.

„Es gibt Essen.“ sagte Shinosuke tonlos und stand auf. Er griff nach dem Blindenstock, den er neben der Tür an die Wand gelehnt hatte und ging Akai voran in Richtung Speisesaal. Hier herrschte ein merkwürdiges Gewusel aus Helfern, Rollstuhlfahrern und verschiedenen anderen Leuten. Akai sah sich um und suchte noch nach freien Plätzen, aber Shinosuke ging schon recht zielstrebig auf einen kleinen Tisch ganz hinten im Raum zu. Woher wusste er, dass der Tisch frei war? Scheinbar hatte hier jeder einen festen Platz und Akai nahm an, dass sie wohl mit ihm an einem Tisch sitzen durfte. Welch eine Ehre…

An den Plätzen standen bereits Tabletts mit je zwei Scheiben Brot, sowie Wurst, Käse und Butter und einem Glas mit etwas, das wie Apfelsaft aussah. Akai sah sich noch einmal um und bemerkte, dass jeder so ein Tablett vor sich hatte. Sie grinste ein wenig. Neben der kostenlosen Unterkunft gab es also auch Verpflegung für sie. Es hatte also doch etwas Positives, hier zu sein. Sie fing an zu essen und sah dabei immer wieder zu Shinosuke, der sich mit dem Schmieren seines Brotes ein wenig schwer tat.

„Soll ich?“, fragte sie seufzend.

„Nein.“, knurrte er daraufhin leise. „Ich hab dir doch gesagt, dass ich keine Hilfe brauche!“ Akai verdrehte die Augen und war ganz froh, dass er das nicht sah. Es war doch irgendwo recht praktisch, dass er blind war.
 

Im Endeffekt schaffte er es dann doch irgendwie, sich beide Brote mehr schlecht als recht zu schmieren und zu belegen. Akai beobachtete aufmerksam, wie er nach dem Essen zögerlich eine Hand ausstreckte. Sie sah ihn fragend an, während er die Hand immer weiter nach vorne schob, die Finger leicht ausgestreckt. Er schien das Glas mit dem Apfelsaft zu suchen, ohne es umschmeißen zu wollen. Sie erkannte das Problem, dass sich ihm dabei stellte und, ob er nun wollte oder nicht, jetzt half sie ihm doch.

„Nicht bewegen.“, wies sie ihn kurz an und er hielt auch sofort in der Bewegung inne. Sie schob das Glas leicht in seine Hand, sodass er nur noch die Finger darum schließen musste. Shinosukes Augen zuckten kurz hin und her und er schien zu überlegen, ob er sich bedanken sollte oder nicht. Dann hob er wortlos das Glas und trank es gleich aus.

„Bist du fertig?“, fragte er, während er das Glas wieder auf den Tisch stellte.

„Ja.“, sagte sie schlicht und stand auf.
 

Wieder saßen sie beide in dem Zimmer und wieder hatte Shinosuke seine Musik angemacht. Lange herrschte wieder Funkstille, bis Shinosuke sich plötzlich aufsetzte und die Lautstärke der Musik etwas reduzierte.

„Wo kommst du eigentlich her?“, fragte er und klang dabei tatsächlich ein wenig interessiert. Akai sah ihn etwas verwundert an. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er so etwas wie ein Gespräch anfangen würde.

„Außenbezirk.“, sagte sie knapp und sah, wie Shinosuke daraufhin kaum merklich das Gesicht verzog. Wahrscheinlich war er wirklich aus einem dieser Nobel-Viertel und hatte immer auf Leute wie sie herabgesehen.

„Und deine Familie hat nichts dagegen, dass du jetzt hier bist?“ Interessierte er sich jetzt wirklich dafür oder suchte er nur nach einer Möglichkeit, Akai schnell wieder loszuwerden?

„Das geht dich nichts an.“, sagte sie schroff. Ihre Familie hatte ihn nicht zu interessieren.

„Ach so.“ Er drehte die Musik wieder etwas lauter und legte sich wieder hin.

Als die CD das nächste Mal zu Ende war, machte Shinosuke sie nicht wieder an, sondern blieb einfach regungslos liegen. Akai sah ihn verwundert an. Das war das erste Mal, dass er sich nicht sofort aufsetzte und wieder Musik anmachte.

„Bist du eingepennt?“, fragte sie nach einiger Zeit in die Stille.

„Nein.“, flüsterte Shinosuke. Als Akai sich ein wenig aufrichtete, sah sie auch, dass er die Augen nicht geschlossen hatte. Sie waren an die Decke gerichtet. Wieder fielen ihr die hellen Punkte auf. Was war denn das?!

„Du kannst jetzt echt gehen.“, sagte er unvermittelt und ohne sich zu bewegen. Akai sah ihn noch kurz an. Sie war ziemlich müde, da sie ja letzte Nacht so gut wie gar nicht geschlafen hatte.

„Okay. Bis Morgen.“, sagte sie und verließ das Zimmer. Mizumi hatte ihr gesagt, wo sie übernachten konnte und Takakura hatte ihre Sachen aus dem verkommenen Haus geholt. War nicht schwer, sie hatte ja nicht viel.
 

Als sie in ihrem Zimmer, das im Grunde nicht anders eingerichtet war als die anderen, auf dem Bett lag, ließ sie sich nochmal durch den Kopf gehen, was heute alles so passiert war. Sie fragte sich, ob hier jeder Tag so ablief und wie lange es wohl dauerte, bis sie an die Decke ging. Außerdem überlegte sie, wie lange sie jetzt wohl hierbleiben müsste. Sie stand auf und ging ans Fenster. Es war bereits dunkel draußen und ausnahmsweise konnte man tatsächlich mal die Sterne sehen. Eigentlich war Akai keine Träumerin. Sie war es nie gewesen, aber heute Nacht sah sie eine ganze Weile einfach nur schweigend aus dem Fenster. Plötzlich kam in ihr die Frage auf, ob es wirklich das Schlimmste war, was ihr hätte passieren können, dass die Polizei sie tatsächlich geschnappt hatte, oder ob sich ihr dadurch jetzt eine echte Chance bot. Sie hatte eine Unterkunft, die nicht jeden Moment zusammenzubrechen drohte und bekam freie Verpflegung. Wenn sie das recht bedachte, war das für sie tatsächlich ein Debüt. All das half, ihre Laune ein wenig zu heben. Sie legte sich wieder aufs Bett und schlief recht schnell ein.
 

Auch Shinosuke lag noch wach. Es war still in seinem Zimmer. Vollkommen still. Der CD-Spieler war aus und aus den Nachbarzimmern kamen auch keine Geräusche. Das einzige, was er hörte, war sein eigenes Ein- und Ausatmen. Das war das erste Mal seit er hier war, dass er abends keine Musik hörte. Er schluckte und bemühte sich, das Zittern zu unterdrücken, das sich langsam auf seinen ganzen Körper ausbreitete, aber es gelang ihm nicht. Nach einer Weile schloss er die Augen. Er stellte sich vor, all das wäre nicht passiert, aber er konnte sich nichts vormachen, denn sobald er die Augen öffnete, empfing ihn das tiefe Schwarz, das er schon die letzten Wochen über gesehen hatte. Natürlich machte es keinen Unterschied, ob er die Augen offen oder geschlossen hatte, aber das Schwarz, das alles überschattete, was er hätte sehen sollen, kam ihm um ein vielfaches dunkler vor. Er fühlte sich so alleine wie schon lange nicht mehr und schaltete nun doch wieder den CD-Spieler ein.
 

Am nächsten Morgen wurde Akai sehr früh wach. Sie hatte um Längen besser geschlafen als in der Zelle und war dementsprechend gut gelaunt. Natürlich hatte sie immer noch keine Lust auf dieses Programm, aber sie schien es zu akzeptieren. Es klopfte.

„Ja?“, fragte sie. Sie hatte sich bereits fertig gemacht und wunderte sich, wer das wohl sein konnte. Mizumi kam herein.

„Guten Morgen, Akai!“, sagte sie strahlend. Sie hatte schon wieder dieses selige Drogen-Lächeln im Gesicht.

„Morgen, Mizumi.“, grüßte Akai vorsichtig zurück. Sie traute aus Prinzip niemandem mit guter Laune. „Ich wollte dich ein wenig über den Tagesablauf aufklären.“, begann sie. „Also: Nachher gibt’s natürlich erst mal Frühstück und danach beginnt der Unterricht. Takakura-san sagte, du seist 16. Das trifft sich gut. Wir haben eine Klasse aus 16- und 17-Jährigen, da könntest du noch rein. Danach gibt’s Mittagessen und am Nachmittag hab ihr wieder frei. Ihr könntet euch ja zu den anderen gesellen.“, schlug Mizumi begeistert vor. Ja klar!, schoss es Akai durch den Kopf. Schlimm genug, dass sie Shinosuke am Hals hatte.
 

„Ähh, ja, danke.“, sagte Akai und nickte langsam. „Moment mal:“ Sie stockte. „Unterricht? Was denn für Unterricht?“ Die Zwillinge hatten ihr Grundkenntnisse gegeben, was Lesen, Schreiben und Mathe anging. Sie selbst hatte nie eine Schule betreten, aber sie hatte immer wieder etwas aufgeschnappt und von den Leuten, mit denen sie zusammen gelebt hatte, so einiges gelernt. Ihr restliches Wissen war eigene Erfahrung.

„Nunja, allgemein schulischer Unterricht eben. Natürlich angepasst an die jeweiligen Behinderungen der Schüler, aber sonst bemühen wir uns um ganz normalen Unterricht. Wir wollen, dass die Jugendlichen sich nicht anders fühlen.“, erklärte Mizumi eifrig. Akai war sich ziemlich sicher, diesen unglaublichen Enthusiasmus niemals teilen zu können.

„Achso.“, sagte sie mit möglichst viel Begeisterung, allerdings waren ihre Bemühungen eher weniger von Erfolg gekrönt, was Mizumi aber nicht zu stören schien. „Und wie funktioniert das bei Shinosuke?“ Irgendwie konnte sie sich das noch nicht so wirklich vorstellen. „Ich meine, mit Lesen und Schreiben hat er’s ja bestimmt nicht so.“

Mizumi lachte. Ein glockenhelles, viel zu heiteres Lachen, dachte Akai. „Du würdest dich wundern, was er für Fortschritte macht, was das Lesen angeht!“, sagte sie stolz. „Zum Glück lernt er sehr schnell, auch wenn er sich so gar nicht dafür begeistern lässt. Er ist einfach so in sich zurückgezogen, dass wir gar nicht richtig an ihn heran kommen.“ Ihre Stimmung schlug um und Akai konnte es förmlich klicken hören, als sie von überschwänglich fröhlich auf beinahe deprimiert wechselte. Irgendwie war ihr diese Frau nicht ganz geheuer.

„Wie kann er denn überhaupt lesen? Ich dachte, das wäre mehr so was für Leute, die sehen können.“ Im Nachhinein betrachtet, klang das fast ein wenig rassistisch.

„Hast du noch nie etwas von Blindenschrift gehört?“, fragte Mizumi verwundert und sah Akai ein wenig verstört an. Wieder war ihre Laune von einem Moment auf den anderen komplett umgesprungen.

„Nein, sollte ich?“, fragte Akai vorsichtig.

Mizumi seufzte kurz. „Nun, es gibt eine Möglichkeit für Blinde, zu lesen. Es ist ein wenig aufwendiger als wenn du dir einfach ein Buch schnappst, aber es funktioniert. Und zwar werden dafür Buchstaben, bestehend aus verschiedenen Punktkombinationen ins Papier gestanzt, die man dann ertasten kann. Die geläufigste Schrift nennt sich Brailleschrift und die lernt Shinosuke gerade. Es gibt ganze Bücher in dieser Schrift. Natürlich sind sie um einiges dicker als gewöhnliche Bücher, denn das Papier muss viel dicker sein und wenn die Punkte zu nah beieinander liegen, kann die doch kein Mensch mehr auseinander halten.“

Akai nickte nur und versuchte, Mizumis plötzlich wieder glänzende Laune nicht allzu gruselig zu finden. Von dieser Schrift hatte sie in ihrem Leben noch nichts gehört und jetzt fand sie, dass das eigentlich logisch war. Wer nicht hören will, muss fühlen und wer nichts sieht, ebenfalls. Das machte Sinn.

„Und ich soll die auch lernen?“, fragte sie vorsichtshalber. Man konnte ja nie wissen.

„Nein, nein. Natürlich wäre es schön, wenn du ihm beim Lernen etwas unter die Arme greifen könntest, aber wir verlangen nicht von dir, dass du dir diese Schrift merkst.“ Sie schien das als höchst schwierig und kompliziert zu empfinden.

„Okay.“, sagte Akai nickend. „Und, danke für die Info.“, fügte sie zögerlich hinzu.

„Kein Ding! Viel Spaß!“, trällerte Mizumi und tanzte förmlich wieder aus Akais Zimmer. Hoffentlich war sie nicht jeden Tag so schrecklich gut drauf!
 

Kurze Zeit später stand Akai vor Shinosukes Tür und klopfte.

„Bist du schon wach? Es gibt gleich Frühstück.“, sagte sie durch die Tür. Es dauerte eine Weile, bis Shinosuke sich zur Tür getastet hatte.

„Ich weiß.“, war seine trockene Antwort, während er die Tür öffnete. Er ging wieder zu seinem Bett und setzte sich. Er wirkte genauso motiviert wie am Vortag und auch der CD-Spieler lief schon wieder, aber mit einer anderen CD. Na immerhin…

„Wie … hast du geschlafen?“, fragte sie zögernd. Sie war keine Meisterin der Konversation, aber nachdem sie gestern so unfreundlich gewesen war, würde er wahrscheinlich so schnell kein Gespräch mehr anfangen. Shinosuke dreht den Kopf in die Richtung, aus der ihre Stimme kam. Seine Augen wurden zwar größtenteils von seinen Haaren verdeckt, aber einige schmale Streifen blitzten trotzdem hervor.

„Großartig.“, sagte er sarkastisch. Es hatte lange gedauert, bis das Zittern und die Angst vor der Stille sich soweit gelegt hatten, dass er einschlafen konnte. Und auch danach hatte er nicht besonders gut geschlafen. „Und du?“, fragte er schließlich, um nicht weiter daran zu denken.

„Scheinbar deutlich besser als du.“, sagte sie.

Sie war immer noch fasziniert von den hellen Punkten in seinen Augen.

„Sag mal, hattest du diese weißen Punkte in den Augen schon immer?“, fragte sie dann. Das Risiko, mit seinen Augen ein unbequemes Thema angesprochen zu haben, nahm sie einfach mal auf sich. Das interessierte sie nun wirklich.

Shinosuke senkte den Kopf ein wenig, sodass seine Augen jetzt vollends hinter den Haaren verschwanden. Eine ganze Zeit lang sagte er nichts und Akai dachte schon, dass er gar nicht antworten würde.

„Nein.“, sagte er dann schlicht. „Da … sind mir bei dem Unfall Glassplitter von meiner Fensterscheibe reingeflogen.“ Er schauderte bei der Erinnerung leicht. „Das sind gewissermaßen Narben.“, erklärte er und deutete dabei mit einer Hand auf seine Augen. Er setzte sich aufrecht hin und wandte das Gesicht von ihr ab. Darüber wollte er noch nicht mehr als nötig reden und schon gar nicht mit jemandem wie Akai. Das schien sie zu merken und ging nicht weiter auf das Thema ein und glücklicherweise ertönte auch gerade wieder die Glocke, die das Essen ankündigte. So waren sie einem peinlichen Schweigen wenigstens vorerst entkommen. Shinosuke stellte den CD-Spieler ab und ging in den Speisesaal, dicht gefolgt von Akai.
 

Das Frühstück gestaltete sich ähnlich wie das Abendessen, nur dass Akai diesmal gar nicht erst anbot, seine Brote zu schmieren. Es ging auch soweit alles ganz gut, bis Shinosuke nach seinem Saft griff. Akai hatte ihm das Glas wieder in die Hand geschoben, aber es war heute wirklich ziemlich voll und als Shinosuke es anhob, schwappte es über.

„Mist!“, fluchte er leise, als die Flüssigkeit über seine Hand lief und stellte das Glas wieder ab. Missmutig tastete er nach einer Serviette und Akai verdrehte die Augen.

„Komm her.“, sagte sie genervt und griff nach seiner Hand. Während sie ihn festhielt, begann sie, mit ihrer Serviette seine Hand abzuwischen.

„Lass mich los!“, rief er laut. Sofort zog er die Hand weg und stand auf. Im ganzen Speisesaal entging der Streit keinem. Das geschäftige Durcheinander, der heitere Lärm, jedes Geräusch erstarb und alle Augen waren auf Akai und Shinosuke gerichtet. Wütend verließ er den Speisesaal und stürmte den Gang entlang. Nun sahen alle erwartungsvoll zu Akai, die fassungslos auf ihrem Platz saß.
 

In seinem Zimmer drehte er die Musik so laut, dass er ihr Klopfen gar nicht hörte. Da sie keine Antwort erhielt, trat sie einfach ein und sah Shinosuke mit einem schwer deutbaren Gesichtsausdruck auf dem Bett sitzen. Sie schaltete die Musik aus und baute sich vor dem Bett auf. Sie konnten ihn so zwar nicht einschüchtern, fühlte sich aber dadurch deutlich sicherer.

„Was war das denn für ‘ne Aktion, hä?!“, schimpfte sie aufgebracht. „Ich versuche nur, dir zu helfen, klar? Was ist denn bitte dein Problem?!“, wetterte sie und sie war richtig wütend. Sie vertrat hier gerade Interessen, die ihr selber gegen den Strich gingen und es war ihr verdammt noch mal zu anstrengend, sich mit diesem naiven, ahnungslosen, arroganten… Ihr fehlten die Worte. Sich mit diesem blinden Volltrottel darüber zu streiten.
 

Shinosuke lachte freudlos, was Akai gewissermaßen noch mehr aufregte. „Mein Problem?“, wiederholte er fragend. „Mein Problem ist, dass hier scheinbar jeder denkt, dass er mich betüddeln und mir helfen muss!“, sagte er kalt und drehte den Kopf in ihre Richtung. „Ich hab es satt, mir von jedem anzuhören, wie schlecht ich klarkomme und dass mir jeder bei allem helfen will! Ich komme hervorragend alleine zurecht! Warum kapiert das hier keiner?!“

„Ach?! Du kommst alleine zurecht?!“, fragte sie, kochend vor Wut. „Ja, das sieht man!“ Sarkastisch betonte sie jedes einzelne Wort. „Wie kann man nur so-“ Beinahe hätte sie ‚blind‘ gesagt. Hysterisch mit den Armen rudernd suchte sie nach den richtigen Worten. „So dämlich sein?!“, beendete sie ihre Frage schließlich und gerade, als Shinosuke zu einer ebenso wutgeladenen Antwort ansetzte, fuhr sie energisch fort.

„Bist du wirklich so blöd oder tust du nur so?! Ich hab dir doch gesagt, dass ich nicht freiwillig hier bin! Ich habe keine Wahl und ich lass mich doch nicht hier zum Buh-Mann machen, nur weil dein verdammtes Ego angekratzt ist!“ Sie war auf 180 und ihr war egal, dass man sie über den ganzen Flur brüllen hören konnte. All diese Möchtegern-Helfer mit ihrem gutmütigen Dauergrinsen gingen ihr auf die Nerven, seit sie hier angekommen war.

„Mein Ego?!“, wiederholte Shinosuke und er war keinen Deut leiser als Akai. „Mein Ego?! Du müsstest dich mal hören! Hast du überhaupt eine Ahnung, wie es ist, wenn dich absolut jeder für unfähig hält, zwei Schritte ohne Aufsicht zu machen?! Wenn niemand dir zutraut, dass du alleine auch nur zu irgendeiner kleinsten Handlung fähig bist?! Hast du nicht!“, sagte er knapp. „Würde ich mich jedes Mal über einen Kratzer in meinem Ego aufregen, hätte ich mich längst aufgehängt!“

„Dann mach das doch, verdammt!“, sagte sie entnervt und hielt ihre Arme in einer unterstreichenden Geste weit ausgestreckt. „Wenn’s dir so scheiße geht, dann tu uns allen den Gefallen und hör endgültig auf, dich selber so zu bemitleiden!“

Shinosuke sprang vom Bett auf und drängte Akai ein gutes Stück nach hinten. „Du musst grad reden! Wer jammert denn die ganze Zeit darüber, keine Wahl zu haben?! Glaubst du, ich hör mir das gerne an?!“, rief er hasserfüllt. „Denkst du, mir macht es Spaß, zu hören, dass du dazu gezwungen wirst, hier Zeit mit mir zu verbringen und dass du da genauso wenig Lust drauf hast wie ich?! Hau doch ab, wenn’s dich so annervt! Nur weil du Scheiße gebaut hast, lass ich mir doch nicht das Leben vermiesen!“

Darauf wusste Akai nun keine Antwort. „Ach, mach doch, was du willst!“, entgegnete sie nach einiger Zeit und stürmte aus dem Zimmer.

©Kathrin Schönhoff



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Inan
2010-01-11T17:43:06+00:00 11.01.2010 18:43
...warum hat das hier eigentlich noch keiner komentiert?
naja, wie auch immer, ist ne coole story^^


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