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Turbulente Treibjagd

von

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Einziges Kapitel

Die Sonne versinkt am westlichen Horizont. Dunkelheit legt sich über das Land, doch umso heller erstrahlt der Abendstern. Es ist die Zeit, um die sich Menschen für gewöhnlich schlafen legen. Doch um diese Zeit fängt mein Tag erst an.

Ha!

Habt ihr das jetzt wirklich geglaubt? Klar. Weil jede Vampirgeschichte so anfängt, oder? Und weil im nächsten Augenblick ein gut aussehender Kerl, dem man seine paar Jahrhunderte kein bisschen ansieht, aus einer verfallenen, aber natürlich noch eindrucksvollen Gruft steigt, seine langen, rabenschwarzen Haare zurück streicht, die Nacht anlächelt, als wäre sie sein größter Fan und mit einer Sicherheit über den Friedhof läuft, die beweist, dass er sich genau der Kameras bewusst ist, die auf ihn gerichtet sind. Die Gestecke, die auf den Gräbern liegen, sind so eindrucksvoll, als sei jeder der hier Begrabenen Erbe eines erfolgreichen Blumenunternehmens gewesen. Währenddessen hält er natürlich einen schmalzigen Monolog, der ungefähr so tiefgreifend ist wie eine Pfütze auf der Autobahn nach einem kurzen Nieselregen. In diesem Monolog geht es um die Dunkelheit in seinem Herzen, die Dunkelheit in seiner Vergangenheit, die Dunkelheit in seiner – natürlich verflossenen oder unerreichbaren – Liebe und natürlich die Dunkelheit seines ganzen Lebens allgemein. Dass auch sein Hirn ziemlich verdunkelt zu sein scheint ignorieren die schmachtenden Frauenherzen im Allgemeinen. Und kaum hat er das Friedhofstor verlassen verfallen die Damen ihm seufzend reihenweise und lassen sich ihren Lebenssaft begeistert aus den Hälsen – oder woraus auch immer – saugen. Natürlich fällt niemandem auf, dass dieses wandelnde Klischee mit dem Faschingscape irre oder gar gefährlich sein könnte, bis man seine spitzen Beißerchen sieht. Die angeklebt sind.

Warum ich das alles weiß? Nein, ich bin nicht dieser Typ. Schön wär’s… Was ich bin ist viel, viel schlimmer. Ich bin die bittere Realität.

Die Hände tief in den Hosentaschen vergraben schlendere ich durch die nächtlichen Gassen und, mal wieder, ist meine Laune auf dem Nullpunkt. Wenn nicht sogar darunter. Ich habe mal wieder meinen Schlafplatz verloren und das, kaum dass die Sonne untergegangen ist. Was sucht dieser Idiot auch ausgerechnet heute einen jahrelang verschollenen Grill in seinem Keller, wenn ich es mir dort gerade so richtig gemütlich gemacht habe. Hat der überhaupt eine Ahnung, wie lange man heutzutage nach Kellern suchen muss, die keine Fenster haben und in denen man nicht nur vor den Sonnenstrahlen sicher ist, sondern die auch noch groß genug sind, um sich gemütlich ausstrecken zu können? Aber nein, ich bin entdeckt und unsanft vertrieben worden. Gut, kann man nichts machen, ist ja nicht das erste Mal, dass mir so etwas passiert. Seufzend und ratlos laufe ich an den Schaufenstern der bereits geschlossenen Läden vorbei, die nur noch spärlich beleuchtet sind, und sehe mich um. Nach was, das weiß ich selbst nicht so genau, in erster Linie suche ich etwas, um zumindest die Zeit bis Mitternacht zu vertreiben. Danach kann ich mich immer noch auf die Suche nach einer Unterkunft begeben. Meinen Erfahrungen nach gestaltet es sich nämlich als recht schwierig bei fremden Leuten unterzutauchen, während sie noch wach sind. Und das ist meistens bis so etwa elf oder zwölf Uhr nachts heutzutage der Fall. Ein scharfer Windzug ergreift mein dunkelblondes, schulterlanges Haar und ich ziehe automatisch den Kopf zwischen die Schultern, ehe ich mich wieder ein wenig entspanne. Es ist jetzt bereits fast zehn Jahre her, dass ich verwandelt worden bin, und trotzdem habe ich solche Gewohnheiten wie das Schützen vor Kälte immer noch nicht abgelegt. Es ist fast, als fröstele mein Körper bei einem Windzug automatisch, bis ich ihn daran erinnere, dass er gar nicht mehr frieren kann. Er ist nämlich tot.

Dass ich auch ein bisschen so aussehe ist allerdings nicht die Schuld meines Zustandes, sondern meine eigene. Ich habe mein Haar kurz vor meiner Verwandlung aus einer Protestaktion – und purer Faulheit – heraus selbst geschnitten, doch ehe ich dieses sehr zweifelhafte Ergebnis wieder zurecht biegen konnte war es auch schon geschehen: Aus, bumm, zack, und tot. Im Gegensatz zu den meisten Menschen war ich nur in diesem Zustand wieder zu Bewusstsein gekommen. Und ohne Spiegelbild fällt es doch recht schwer, sowohl zum Frisör zu gehen als auch sich selbst einen richtigen Haarschnitt zu verpassen. Zudem, um ganz ehrlich zu sein, bin ich nicht sonderlich begeistert davon, etwas abschneiden zu lassen, was nicht mehr nach wächst.

Nein, nicht das! Was denkt ihr denn?

Mein Haar. Ich bin tot, schon vergessen? Und obwohl Haare nach dem Tod weiterwachsen, ist das doch nur für ein oder zwei Wochen der Fall. Gruselig, aber nicht ganz so gruselig wie ein Toter, der sich bewegt wie ich, oder? Und sich beschwert. Aber das ist mein gutes Recht, denn wenn man mich fragt habe ich nie darum gebeten, so zu werden.

Naja, man macht das Beste daraus. Ihr fragt euch jetzt vielleicht, warum ich meiner Existenz, wenn sie mir nicht passt, nicht einfach ein Ende setze. Falls ihr das tut seid ihr ziemlich unsensible und außerdem bösartige Zeitgenossen. Sagt ihr das allen Leuten? „Wie, dir passt dein Leben nicht? Ach, weißt du was? Ich hab die Lösung – beende es doch einfach!“

Ich mag ab und zu – oder auch ziemlich oft – meckern, aber das heißt noch lange nicht, dass ich das Ende meiner Existenz einem nervigen Unleben vorziehe. Bisher habe ich weder den Drang verspürt, mich von der Sonne brutzeln zu lassen noch mich in einen spitzen Stab zu werfen, der mein nicht mehr schlagendes Herz durchbohrt. Auch Weihwasser und Knoblauch sind Tabu. Natürlich bin ich mir nicht sicher, ob diese Praktiken gegen Vampire wirken, aber ich bin auch nicht besonders scharf darauf, es auszuprobieren und diese Methoden damit zu verifizieren. Das überlasse ich den Abenteuerlustigen oder Lebensmüden meiner Art.

Eine flimmernde Straßenlaterne reißt mich aus meinen Gedanken und ich sehe auf. Als ein Schatten auf mich zuspringt stolpere ich zurück und lande nicht sonderlich elegant auf meinem Hinterteil.

Habe ich schon erwähnt, dass auch die übermenschliche Stärke und Schnelligkeit nur zum Teil der Wahrheit entspricht? Ich bin tatsächlich ein bisschen stärker und wenn ich mich anstrenge um einiges schneller als ein Mensch. Natürlich, ich kann nachts gut sehen, und mein Geruchssinn ist sehr gut ausgeprägt. Aber das ist der eines Hundes auch.

Und es mag durchaus Vampire da draußen geben, deren Macht unvergleichbar ist. Mein Prinzip ist, mich von eben jenen so fern wie möglich zu halten, weil man nie weiß, wann es sie danach verlangt, eben diese Macht an irgendwelchen unfreiwilligen Freiwilligen auszuprobieren. Jedenfalls hat die Verwandlung meine Reaktionsfähigkeit sowie meine überirdische Eleganz und Gewandtheit kein bisschen beeindruckt, geschweige denn verändert. Verglichen mit anderen meiner Art bin ich immer noch genau der gleiche Langweiler, der ich verglichen mit Menschen war, als ich noch am Leben gewesen bin.

Während ich also mit den Gedanken noch bei meinem lädierten Hinterteil bin tritt eine Gestalt aus den Schatten, die sich für ihren Auftritt offenbar mit Absicht diese Laterne mit Kurzschluss ausgesucht hat, denn derjenige schafft es, genau so heranzutreten, dass er von einem Lichtblitz zum nächsten vor mir steht. Es ist ein Mann, über einen halben Kopf kleiner als ich, der etwa 1,80 groß und dazu unpassend sehr schlaksig ist.

Dieser Mann trägt nicht nur einen schwarzen Ledermantel, der ihm bis zu den Fersen reicht und ab der Taille nach unten vorn offen ist, während er den muskulösen Oberkörper durch enges Anliegen betont, sondern auch eine schwarze Hose, schwarze Stiefel und einen Nietengürtel. Auch seine Armbänder sind mit diesen Schmucknägeln verziert, seine kurzen, offensichtlich schwarz gefärbten Haare lassen die ganze Erscheinung noch düsterer wirken. Das düstere Auftreten oder, wenn man so will, die Seriosität wird allerdings empfindlich von der Sonnenbrille gestört, die er trotz der Tatsache trägt, dass die Sonne sich schon vor längerem verabschiedet hat. Als er mich angrinst tut er dies so, dass seine spitzen Eckzähne offensichtlich hervor blitzen. Ich rapple mich auf und schüttle seufzend den Kopf.

„Und was sollte das, bitteschön?“ frage ich mit einem eindeutig verärgerten Unterton, als er mir auf die Schulter klopft.

„Was? Freust du dich nicht, den lieben Blacky hier zu sehen?“

Er schiebt die Sonnenbrille ein Stück seinen Nasenrücken nach unten und blickt mich über die Gläser aus seinen blutroten Augen an. Wenn ich ihn nicht kannte wären sie mir unheimlich gewesen. So war mir nur ein wenig unwohl. Ich schiebe mich von ihm weg.

„Nein. Tue ich nicht. Also, was willst du von mir?“

Blacky grinst weiterhin und legt dann den Kopf ein wenig schief.

„Sag mal, wenn du mich nicht kennen würdest… Kämst du auf die Idee, ich sei ein Vampir?“

Mit einer Mischung aus Misstrauen und Verwunderung sehe ich Blacky an. Was genau will er von mir? Will er mich fragen, ob seine Erscheinung, die einem praktisch Vampir ins Gesicht schreit, einem Blutsauger erfolgreich nachempfunden ist? Selbst wenn, warum sollte er ausgerechnet mich fragen? Ich, der mit den verstrubbelten Haaren, dem schmalen Gesicht, der ausgewaschenen Blue Jeans und dem langärmligen Oberteil eher aussieht wie ein mittelloser Student auf Abwegen als wie ein „Kind der Nacht“. Wobei selbst diese beiden mehr gemeinsam haben als ich mit einem typischen Vorzeigevampir. Blacky legt mir einen Arm um die Schulter, wozu er sich ziemlich strecken muss, und zieht mich weiter die Straße entlang.

„Ich meine nur – nehmen wir einen kurzen Augenblick an, du glaubst nicht an Vampire.“

Sein unterdrücktes Lachen macht mir deutlich, wie sehr er dieses Szenario genießt, weiß er doch ganz genau, was es mit mir auf sich hat.

„Und du siehst mich.“

Er bleibt stehen und baut sich vor mir auf. Das Leder bauscht sich, als er sich mir schwungvoll zuwendet und das Grinsen lässt seine gesunden Beißerchen entblößt.

„Was denkst du?“

Ich ziehe die Augenbrauen hoch. Was erwartet er? Glaubt er wirklich, ich würde nicht ehrlich antworten?

„Ich würde denken, du bist ein Irrer, der meint, er sei cool, weil er irgendwelchen Monstern nacheifert.“ sage ich frei heraus und er lacht nun tatsächlich.

„Aber du würdest auch denken, dass ich gut dabei aussehe, oder?“ fügt er feixend hinzu und ich schüttele hoffnungslos den Kopf.

„Ohja, gib dem Affen Zucker, hm?“ murmele ich und will mich an ihm vorbei drücken. „Wenn du so weitermachst kriegt er bald Karies…“ füge ich dann noch gehässig hinzu, als Blacky mich an der Schulter packt.

„Wir sind heute aber schlecht drauf.“ Kurz sieht er mich an, dann nickt er wissend. „Ah, lass mich raten – du bist raus geworfen worden.“

Als er sieht, dass ich nicht widerspreche, wird sein Grinsen breiter. „Schon wieder.“ sagt er noch und meine Miene verfinstert sich weiter.

„Ja. Schon wieder. Und schon wieder frage ich: Was geht es dich an?“

Er schüttelt lächelnd den Kopf.

„Aaach, komm schon, vertrau mir. Ich finde eine Lösung. Sicher genug, dass du nicht einen Gedanken mehr an Morgen verschwenden musst.“

Ich zögere kurz, doch nach einem langen Seufzer nicke ich schließlich. Blacky kennt eine Menge Leute, vielleicht habe ich ja Glück und er findet etwas für mich. Schweigend gehen wir eine Weile nebeneinander her, während Blacky immer wieder Nachrichten über sein Handy versendet, welche erhält, antwortet und es dann weg steckt, ehe es wieder leise piept.

„Hast du eigentlich schon zu Abend gegessen?“ fragt er mich plötzlich und ich schrecke auf. Was soll die Frage denn? Ich blicke auf die Straße, als suche ich angestrengt nach etwas, und murmele eine Antwort. Blacky sieht mich an.

„Wie bitte?“ fragt er, als sei es seine Schuld, dass er nichts verstanden hat.

„Ich hab gestern gegessen.“ antworte ich ein wenig lauter und will weitergehen, als er mich ungewohnt sanft am Arm berührt.

„Whitey, hör mal…“ meint er ruhig und ich wende den Kopf ab.

„Du sollst mich nicht so nennen.“ grummle ich, doch er lächelt nur, es sieht nett aus. Wie ein guter, besorgter Freund.

„Du magst deinen Namen doch nicht, oder?“ fragt er und ich nicke. Er hat Recht, ich kann meinen Namen nicht leiden. Ist das der Grund, warum er mir diesen Spitznamen gegeben hat, der klingt, als sei es der Partner zu seinem? Ich bin sogleich ein wenig milder gestimmt.

„Whitey.“ beginnt er erneut etwas leiser und legt eine Hand auf meine Schulter. „Auch wenn du nicht so viele Nährstoffe brauchst wie ein Mensch bist du noch lange kein Perpetuum Mobile. Du musst ab und zu etwas zu dir nehmen.“

Ich seufze tief. Blacky weiß genau, wie unangenehm es mir ist mich vom Blut der Lebenden zu ernähren. Ich habe bis jetzt noch nicht begriffen, wie das funktioniert. Eigentlich müsste jeder Vampir an Unterversorgung sterben wenn man bedenkt, dass nicht einmal der Bruchteil aller notwendigen Nährstoffe im Blut enthalten ist. Andererseits ist es auch wissenschaftlich völlig unmöglich, dass sich ein Körper, der weder atmet noch einen Herzschlag hat, aufrecht steht, sich bewegt und zudem noch vor dem Verfall bewahrt ist. Also sollte ich lieber still sein, ehe irgendjemand diesen Fehler bemerkt und versucht, ihn aus der Welt zu schaffen…

Trotzdem ist es nicht sonderlich förderlich für das eigene Gewissen in dem Bewusstsein zu leben, dass andere Menschen als Schlachtvieh für einen herhalten müssen. Wobei ich jetzt zugegeben etwas übertreibe. Tierblut funktioniert leidlich, auch wenn es wirklich bitter schmeckt – in etwa wie wenn man auf einer Zitrusschale herum kaut, wenn ich einen Vergleich anbringen müsste. Nicht sonderlich schmackhaft also. Und auch mit kaltem Blut kann ich meinen Durst stillen, auch wenn ich das mit üblen Magenkrämpfen bezahlen muss. Aber es ist immer noch besser, als den Rest der Nacht in einer dunklen Ecke zu verbringen und sich selbst gedanklich immer wieder und wieder für das, was man getan hat, zu verurteilen. Zudem halten diese Methoden nicht so lange an wie frisches Blut, ähnlich dem Effekt von getrocknetem und frischem Gemüse oder Obst. Blackys Worte erinnern mich empfindlich genau daran. Für gewöhnlich versuche ich, so erbärmlich es klingt, in Krankenhäusern abgelaufene Blutbeutel möglichst unbemerkt zu entwenden. Vielleicht liegen die Magenschmerzen ja daran. Wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist wird schließlich auch das Verzehren von normalen Speisen nicht mehr empfohlen… Egal.

Das funktioniert meistens einige Zeit. Einmal habe ich sogar einen Zivildienstleistenden in der chirurgischen Abteilung dazu bringen können, mir ab und zu ein paar Beutel abzudrücken. Er hat wohl geglaubt, dass ich es für irgendwelche privaten Perversitäten brauche. Oder, was wahrscheinlicher ist, dass ich ein etwas zu enthusiastischer Biologiestudent bin. Jedenfalls war ihm egal, was damit passierte, solange ich ihm eine kleine Entschädigung dafür bot. Was passiert ist? Er ist natürlich aufgeflogen und entlassen worden! Und da er weder meinen vollständigen Namen noch meinen Aufenthaltsort kannte war seine Entschuldigung mehr als fadenscheinig. Ihm hat man wohl die Variante mit dem Studenten weniger gut abgekauft als mir, so dass nur noch die zweite blieb. Und die hat ihn nicht besonders beliebt gemacht. Selber schuld. Hätte er mir eben nichts gegeben!

Jedenfalls bin ich seitdem zu meiner ursprünglichen Alternative zurückgekehrt: abgelaufene Blutbeutel entwenden, bevor sie zu den dafür vorgesehenen Entsorgungsanlagen gebracht werden. Nicht besonders rühmlich, sich seine Nahrung aus dem Abfall zu klauben, aber immer noch besser, als Menschen dafür umzubringen. Finde ich zumindest.

„Ich will einfach nicht, okay?“ gebe ich zurück und er grinst wieder. Manchmal glaube ich, dass Blacky mit nichts so viel Zeit verbringt wie damit, seine Lippen zu diesem Schmunzeln zu verziehen, das einen eigentlich vor den gleich eintreffenden Worten warnen sollte.

„Was ist denn los? Zahnschmerzen, Whitey? Vielleicht solltest du mal zu einem Arzt. Der kann dir bestimmt auch bei deinem kleinen Nahrungsengpass helfen!“

Er lacht und ich funkle ihn wütend an.

„Das ist nicht witzig, Blacky.“ knurre ich, doch er schüttelt immer noch grinsend den Kopf.

„Ach, komm schon. Dafür sind die Beißerchen doch da. Oder denkst du etwa, dass du sie hast, um durch das Plastik der Beutel beißen zu können, hm?“

Ich stoße ihn zur Seite, als er mir kameradschaftlich auf die Schulter schlagen will.

„Lass mich bloß in Ruhe.“ sage ich nur und will mich abwenden. Er hält mich zurück.

„Whitey, so habe ich das doch gar nicht gemeint. Komm schon. Du brauchst immer noch eine Unterkunft, oder?“

Ich zögere kurz, doch schließlich nicke ich. Wo er Recht hat…

„So ist’s brav.“ meint er und tätschelt meinen Kopf. Dann zwinkert er.

„Vielleicht finden wir dir ja ein schönes Plätzchen an einem warmen Hals, wo du…“

„Lass das endlich!“ rufe ich aus und stoße ihn nun etwas kräftiger vor mir. Er stolpert nach hinten, knallt gegen eine Mauerwand und ächzt leise auf. Ein leises Geräusch, es klingt ein bisschen wie ein Platzen, erschreckt mich bis ins Mark. Ist Blacky etwas passiert? Sofort eile ich zu ihm und er hebt stöhnend den Kopf. Gerade, als ich den Mund aufmachen will, um ihn zu fragen, ob alles in Ordnung ist, atme ich automatisch ein – bekanntlich braucht man Atem, um die Stimmbänder zum Vibrieren zu bringen, selbst wenn er nicht mehr lebensnotwendig ist. Doch was mir da in Mund und Nase dringt veranlasst mich gleichzeitig dazu, näher zu kommen und zurück zu weichen, was am Ende dazu führt, dass ich stocksteif an Ort und Stelle verharre. Als Blacky mich ansieht ist er augenscheinlich kein bisschen verletzt. Stattdessen schmunzelt er.

„Jetzt hast du die ganze Überraschung verdorben.“ meint er gespielt beleidigt, doch ich kann nichts weiter tun als ihn an zu starren. Oder vielmehr seinen Mantel, unter dem langsam eine Flüssigkeit heraus sickert. Und leider kann ich mir nicht einreden, um was es sich dabei handeln könnte, weil ich es sehr genau weiß, indem ich einfach nur schnuppere.

„Das ist…“ raune ich heiser und er rappelt sich auf, als sei nichts gewesen und klopft sich seine Kleidung ab, was dort, wo der Blutbeutel unter dem Mantel geplatzt ist, ein platschendes Geräusch macht.

„Ja. Ich wollte dich zum Abendessen einladen.“ meint er, als sei es nichts Besonderes. Ich spüre, wie meine Eckzähne länger werden und ich muss den Mund öffnen, wenn ich mich nicht selbst damit verletzen will.

„Du… du Mistkerl…“ knurre ich und versuche, dem Drang zu widerstehen, dem herunter tropfenden Blut hinterher zu hechten. Er zuckt mit den Schultern.

„Was denn? Ich wollte nur nett sein.“ Er grinst wieder und kniet sich vor mir hin, während ich noch mit mir kämpfe, die Beherrschung nicht zu verlieren.

„Aber dachtest du wirklich, so ein kleiner Schubs könnte mir etwas anhaben?“ fragt er dann ungläubig und beugt sich so nah zu mir herunter, dass der Geruch des Blutes mich fast durchdrehen lässt. Dass er mir etwas ins Ohr raunt nehme ich nur nebenbei wahr.

„Schließlich weißt du genau, dass ich der Ältere von uns beiden Blutsaugern bin, nicht wahr?“

Er zwinkert mir noch einmal zu, erhebt sich und seufzt dann, als er an sich herab sieht.

„Das wird echt schwierig, das wieder raus zu bringen. Am besten mache ich mich gleich auf den Weg, ehe das Leder Schaden nimmt.“

Und damit wendet er sich ab und gibt die Mauer hinter ihm frei, an die ich mich kraftlos lehne. Ich drehe mich so, dass ich mit dem Rücken zur Wand sitze und stemme meine Füße so sehr in den Boden, dass meine Beinmuskeln zum Zerreißen gespannt sind. Was um alles in der Welt wollte Blacky mit diesem Schauspiel bezwecken? So ein Mist! Ich versuche, mich zu beruhigen, doch die Bluttropfen, die neben mir auf den Boden gefallen sind machen diesen Versuch zunichte. Ich traue mich aber auch nicht aufzustehen, aus Angst, sofort dem nächsten Duft zu folgen, der mich womöglich zu einem lebenden Menschen bringt, den ich in einem Anfall von Gier angreifen könnte. Dann doch lieber den Geruch des auf dem Boden trocknenden Blutes. Wie von selbst fährt meine Hand über die kleine Pfütze, die vom Platzen des Beutels auf dem Boden entstanden ist, und meine Finger nähern sich wie in Zeitlupe meinen Lippen. Blut, ein wenig Staub und Schmutz kleben daran, trotzdem strecke ich meine Zunge heraus und spüre, wie ich am ganzen Leib zittere. Ich weiß, dass ich nicht mehr zurück kann, wenn ich es erst gekostet habe, wie ein Hungernder, der den ersten Bissen zu sich nimmt in dem Wissen, dass es irgendwo da draußen noch mehr gibt, und er es sich nur nehmen muss. Eben so wenig jedoch schaffe ich es, mich zu beherrschen und die Hand sinken zu lassen. Dazu riecht es einfach so gut. Und so muss ich tatenlos dabei zusehen, wie meine Finger immer näher kommen. Fast kann ich es schon schmecken, das metallische, leicht Kupfer ähnliche Aroma, das es auf meiner Zunge hinterlassen wird, das weiche Herabgleiten in meiner Kehle, das…

PFLUMP!

Ich erstarre und blicke neben mich. Dann kneife ich die Augen zu und öffne sie wieder. Nein, kein Irrtum. Da steckt immer noch ein etwa 20 Zentimeter langes Holzstück mit dem Durchmesser der Länge eines Fingerglieds in der Wand, das vorn mit Metall beschlagen ist. Und ich halluziniere wohl kaum, denn der Einschlag war deutlich genug, dass er mir durch Mark und Bein ging. Ein leises Schnalzen ertönt und ich werfe mich geistesgegenwärtig zu Boden. Als ich einen erneuten Einschlag spüre blicke ich verwirrt auf und erkenne dort, wo gerade noch mein Kopf gewesen ist ein ebenso gearbeitetes Holzstück. Was zum…

„Bleib gefälligst da sitzen!“ knurrt eine Stimme. Leise genug, dass ein Mensch die Worte kaum verstehen würde. Laut genug, dass selbst ein Mensch vernommen hätte, dass jemand in der Nähe ist. Ich spare mir die Frage, welcher Wahnsinnige der Meinung ist, diese Dinger auf mich abzufeuern, und springe stattdessen auf und nehme die Beine in die Hand. Wenn der, der mir rät, sitzen zu bleiben der Gleiche ist, der diese Trümmer auf mich schießt habe ich nicht vor, seinem Rat Folge zu leisten. Ich höre noch ein unterdrücktes „Verdammt!“, ein leises Klappern und dann die schnelle Abfolge von Schritten, die mir folgt. Da ich mittlerweile ziemlich sicher bin, dieses Attentat und die Stimme ein und derselben Person zuschreiben zu können lege ich einen Zahn zu und flüchte schließlich in Richtung des Stadtparks. Vielleicht habe ich da ja eine Möglichkeit, ihn abzuhängen. Zu meinem Glück ist der Park nur von einem etwa hüfthohen Gitter umgeben, an dem ein Schild angebracht ist, das ganz deutlich sagt, dass der Park gerade geschlossen hat. Tja, schade aber auch. Ich springe über das Gitter und renne weiter. Erschreckend kurze Zeit später höre ich das Klappern des Metalls, als jemand meine Aktion wiederholt.

„Stehen bleiben!“ ruft die Stimme von zuvor, doch ich mache mir nicht einmal die Mühe zu antworten. Ja, klar. Hätte er halt besser gelernt, auf sich bewegende Ziele zu schießen, wenn er schon durch die Nacht rennen und auf unschuldige Leute ballern muss. Okay, nein – es ist gut, dass er das nicht hat, denn sonst würden meine Karten bedeutend schlechter stehen. Und ganz so unschuldig bin ich wohl auch nicht, aber wer ist das schon? Die einzelnen, weit auseinander stehenden Lampen, die im Park stehen, werfen meinen Schatten wie einen schnell von vorn nach hinten wandernden Scherenschnitt auf den Kiesweg, und jedes Mal, wenn der Schatten erneut vor mir erscheint fürchte ich, einen zweiten direkt hinter ihm zu erkennen.

„Flucht ist zwecklos!“ versucht mein Verfolger mich zu überzeugen, aber ich bin der Meinung, dass ich es zumindest einmal versuchen sollte.

„Ich jage dich die ganze Nacht durch, und wenn ich warten muss, bis die Sonne mir die Aufgabe abnimmt!“ schreit die Stimme und ich schaue verwundert über die Schulter. Hat er das gerade wirklich gesagt? Als ich die Person erblicke, die mir da an den Fersen klebt stolpere ich fast, so überrascht bin ich. Es ist ein Mann mittleren Alters, soviel kann ich erkennen, doch er trägt so skurrile Kleidung, dass es wohl eine Art Uniform sein muss – oder die wohl schlimmste Form der Geschmacksverirrung, die ich jemals gesehen habe. Der lange, braune Trenchcoat ist vergilbt und schlackert um seine Beine, die sich für einen Menschen erschreckend schnell bewegen. Seine offenbar sehr stabile Tarnfarbenhose steckt in braunen Wanderstiefeln, unter dem Mantel trägt er einen dunklen, moosgrünen, dicken Pullover, wie es ihn beim Militär gibt. In der rechten Hand hat er eine Art Armbrust mit einer sehr breiten Munitionsauflage, die er während des Rennens so heftig hin- und her schwenkt, dass ich mir ernstliche Sorgen um meine Gesundheit und die jedes anderen in seiner Nähe machen würde, wenn sie noch geladen wäre. Was mich aber am meisten irritiert ist, dass er einen breiten Gürtel mit vielen Taschen und Fächern trägt, die voll mit seltsamen Werkzeugen sind. Und um den Oberkörper hat er eine Art Waffengurt geschwungen, der umgearbeitet wurde, so dass er mehrere der mit Metall verstärkten Hölzern hält, die man einfach aus den dafür vorgesehenen Schlaufen ziehen kann. Jetzt sehe ich auch, dass sie vorne spitz zulaufen, was sie zu Pflöcken macht. Holzpflöcke. Die er auf mich abgefeuert hat. Um mich zu… pfählen? Ich reiße die Augen entsetzt auf und alles, was mir entfährt ist ein keuchendes „Scheiße!“, als mir klar wird, was da hinter mir her jagt. Das erklärt einiges. Diese Aufmachung zum Beispiel, und nicht zu vergessen den Kommentar mit der Sonne. Oh, ja, und natürlich diese sehr penetrante Verfolgungsjagd.

Manche mögen jetzt glauben, dass ich schwer von Begriff bin. Zu meiner Verteidigung muss ich allerdings anmerken, dass ich bis zum heutigen Tage felsenfest der Überzeugung war, dass Vampirjäger nur eine Erfindung sind, um diese ganze Blutsaugergeschichte ein wenig aufzufrischen. Aber ich bin auch immer noch der Überzeugung, dass diese Vampire der Art „perfekter, dunkler Graf der Nacht“ nur eine Übertreibung ist, um besonders den Frauen, die sich bevorzugt schwarz kleiden und weiß schminken nicht die Illusion zu nehmen, dass Vampire eigentlich ganz anders sind. Nämlich so wie ich. Enttäuschend, was? Wobei ich die Enttäuschung der Nichtexistenz von Vampirjägern in diesem Augenblick auf jeden Fall vorgezogen hätte!

Plötzlich höre ich ein leises Surren und ich springe gerade noch zur Seite, als ein kleines Fläschchen neben mir zerplatzt und ich im Laufen ein leises Zischen vernehme. Erschrocken blicke ich zurück und sehe den Fleck auf dem Weg genau dort rauchen, wo das gelandet ist, was offenbar auf mich gezielt worden ist. Weihwasser ist das aber nicht, denn ich bezweifle, dass der Kiesweg besonders viele Sünden auf seiner armen Seele liegen hat! Da wollte wohl jemand auf Nummer Sicher gehen und hat sich für etwas Aggressiveres entschieden. Schlecht für mich!

Während ich mich bereits zu fragen beginne, wie genau ich diesen hartnäckigen Menschen abschütteln kann renne ich um eine Kurve und bleibe stehen wie gegen eine Wand geprallt. Vor mir auf einer Parkbank befinden sich eine junge Frau und ein Mann – beide nackt. Ich gehe nicht näher auf diese Situation ein, denn ich denke, dass jederman(n)s Phantasie ausreicht um sich den Rest selbst zu denken, doch es lohnt sich wohl noch zu erwähnen, dass die beiden genauso schockiert sind wie ich, als ich vor ihnen zum Stehen komme. Die Schritte hinter mir bringen mich mit einem Schlag in die Realität zurück und ich entschließe mich, die Situation einfach anzunehmen als das, was sie ist: ein verrückter, aber nichtsdestotrotz sicherlich nützlicher Zufall.

„Helfen Sie mir!“ rufe ich aus und es fällt mir nicht schwer, wie ein verfolgtes Opfer zu klingen, weil ich schließlich genau das bin! Die Frau springt auf und versucht nervös, sich zu bedecken, auch der Mann legt die Hände über seine Mitte, als plötzlich der Vampirjäger um die Ecke hetzt. Er hebt seine Armbrust und schreit:

„Hab ich dich!“, woraufhin der Mann erst bleich wird und sich dann einfach umwendet und los rennt. Die Frau blickt ihm mit einer Mischung aus Ärger und Verblüffung hinterher und ruft:

„Hey, warte…“

Und versucht angestrengt, sich an seinen Namen zu erinnern, was ihr jedoch nicht gelingt, und nach einem heftigen Fluch wendet sie sich dem Jäger zu. Offenbar wird ihr erst jetzt gerade klar, dass eine gespannte Armbrust in ihre Richtung zeigt, weil ich zufällig in dieser stehe, und auch ihr Gesicht verliert jede Farbe.

„Gnädige, fliehen Sie, schnell.“ meint der Jäger und mir kommt ein Gedanke, während er näher kommt, um besser zielen zu können.

Ich packe die Frau bei den Schultern und schiebe sie vor mich. Nicht nett, aber wirksam.

Der Vampirjäger bleibt ruckartig stehen und ich sehe ihn mir genau an. Sein Alter ist schwer zu schätzen, er sieht ein wenig abgehärmt aus, wie jemand, der seit längerer Zeit nicht mehr genug Schlaf und Ruhe bekommen hat. Er kann alles zwischen zwanzig und vierzig sein. Sein braunes Haar war ursprünglich wohl eine Kurzhaarfrisur, ehe die Haare gewachsen sind und sich mangels Bändigung selbstständig gemacht haben, was ihm einen recht verwirrten Eindruck verleiht. Um den Hals, über dem Rollkragen des Pullovers, trägt er ein Halsband mit spitzen Stacheln. Es ist leicht zu erraten, dass er es trägt, um Vampire davon abzuhalten, sich an ihm gütlich zu tun. Als ob sie so lebensmüde wären, das zu tun!

„Rufen Sie die Polizei!“ rufe ich aus und drücke die Schultern der Frau. Sie sieht verwirrt und verängstigt zwischen mir und meinem Verfolger hin und her. Ganz davon abgesehen, dass es mich sehr gewundert hätte, wenn sie jetzt ein Handy bei der Hand gehabt hätte ist sie augenscheinlich nicht in der Lage, ein solches Telefonat zu führen. Aber es bringt mir ein wenig Zeit.

„Gnädige Frau!“ beginnt der Jäger und ich runzele die Stirn. Was ist denn das für eine Ausdrucksweise?

„Sie müssen das verstehen. Ich jage diese Kreatur da hinter Ihnen,“

Nun ist es an mir, verärgert zu blicken.

„Hey, ich verbitte mir diese Beleidigungen!“ unterbreche ich ihn, doch er ignoriert mich.

„um Leuten wie Ihnen das Leben zu retten.“

Er bringt das mit einer Überzeugung hervor, die für normale Menschen, die nicht das Geringste von Vampirgeschichten halten nur eine mögliche Schlussfolgerung bereithält: Dass er absolut durchgedreht ist. Ich ziehe die Augenbrauen nach oben.

„Alles klar. Und dafür bringst du Leute wie mich um.“

Er sieht mich empört an.

„Du… du bist nicht „Leute“! Du stellst eine Gefahr für die Allgemeinheit dar! Du bist ein auszulöschendes Übel! Ein Geschwür am Leibe der Menschheit! Ein…“

Ich hebe die Hand. „Ja, genug des Lobs, bitte, sonst wird mir noch schlecht.“ knurre ich und will mich hinter der Frau hervor schieben, als er an seinen Gürtel greift und ich es mir noch einmal anders überlege und hinter ihr stehen bleibe.

„Lass die unschuldige Dame aus dem Spiel!“ ruft er und ich sehe ihn empört an.

„Wenn du mich unschuldigen Kerl aus dem Spiel lässt gern!“

„Du bist nicht unschuldig!“ wiederholt er, langsam etwas erschöpft klingend, als müsste ich es langsam verstanden haben. „Ich habe genau gesehen, wie du deinen Kumpanen gegen die Wand geschleudert hast, um dich an ihm zu vergreifen. Wenn ich bedenke, dass ich zuerst ihn im Blick hatte – aber auf meinen Riecher ist Verlass! Er hat mich genau zu der Wurzel allen Übels geführt!“

Ich schüttele den Kopf. Ja, klar, ich bin sozusagen das Abbild Graf Draculas höchst persönlich! Plötzlich wird mir klar, was dieser Möchtegern Van Helsing gerade gesagt hat. Er hatte meinen Kumpan im Blick? Soll das etwa heißen, dass er zuerst Blacky verfolgt hat? Blacky, der mich erst geärgert und am Ende dafür gesorgt hat, dass ich mich so offenbar wie ein Vampir verhielt, dass selbst der dämlichste Lehrling im Gewerbe der Vampirjäger ein dankbares Opfer in mir gefunden hätte? Dieser…

Ich stoße einen lauten, ziemlich unschönen Fluch aus, der dafür sorgt, dass erst die Frau mich überrascht ansieht und dann der Vampirjäger tadelnd.

„So etwas sagt man nicht in Gegenwart einer Dame.“

Ich räuspere mich. Einer Dame, die soeben dabei gewesen ist, in einem Stadtpark ein Stelldichein zu haben mit einem Kerl, dessen Namen sie nicht einmal kennt. Na gut, ich will die Weltanschauung meines Verfolgers nicht ins Rütteln bringen, abgesehen natürlich von der ganzen Jagdszenerie. Diesbezüglich wäre ich ihm dankbar, wenn er sie noch einmal überdenken könnte. Der Vampirjäger seufzt tief, als er plötzlich seine Armbrust hebt, einen Bolzen darauf schiebt und sie spannt. Meine Augen werden immer größer, während ich seinen Handlungen folge. Schließlich blickt er die Frau freundlich an.

„Es tut mir sehr Leid, dass dieses Übel Sie an sich reißen musste. Bitte verstehen Sie, dass sie zum Zwecke des Wohles der Menschheit sterben.“

Doch offenbar hat die Frau nichts mit dem Wohl der Menschheit am Hut, denn sie wehrt sich ganz eindeutig dagegen, mir weiterhin als Schild zu dienen. Erst denke ich, dass der Vampirjäger irgendeine Reaktion erwartet, die sich mir verschließt, doch entsetzt sehe ich, wie sich sein Finger über dem Abzug krümmt. Im letzten Augenblick stoße ich die Frau nach rechts ins Gebüsch und hechte nach links auf die Wiese. Etwa einen Meter über mir zischt der Bolzen vorbei.

„Bist du wahnsinnig?“ schreie ich los, als ich mich aufrapple und über die Wiese stolpere. „Du hättest fast diese Frau durchbohrt. Und mich wahrscheinlich kein bisschen angekratzt dabei. Du Irrer!“

Der Jäger sieht mich verärgert an. „Du bist das fehlgeleitete Wesen, nicht ich!“

„Ja, aber ich bin es nicht, der mit spitzen Holzstücken herumballert, die Türen einschlagen könnten!“

„Das sind Pfähle, nur dafür gemacht, Kreaturen wie dich zurück in die Hölle zu schicken, aus der sie gekrochen kamen!“ hebt der Vampirjäger an und ich werde langsam wirklich wütend. Oder ich habe Angst. Oder beides.

„Erstens: Ein Pfahl ist gleich spitzes Holzstück. Zweitens: Meine Eltern waren nicht die besten der Welt, aber sie als Hölle zu bezeichnen finde ich schon ein wenig übertrieben.“

Dorthin zurück würde ich allerdings wirklich nicht wollen… Meine Eltern waren leider in ihrer Jugend hängengeblieben und immer noch so angetan von ihrer Hippiezeit, dass man sich bei diesem ganzen „mit Liebe lässt sich alles lösen“ und „nur das Gras schreit nicht, wenn wir es zu uns nehmen“ Gerede ja nicht zu wundern brauchte, warum ich so geworden war, wie ich nun mal bin.

Ich werfe mich zur Seite, als ein weiteres Fläschchen auf mich zufliegt. Es zerplatzt klirrend neben mir und ein paar der Spritzer landen auf meiner Haut, was unangenehm zischt und kurz danach wirklich wehtut. Ich sehe, wie die Haut sich an den Stellen rötet und was-auch-immer-das-ist sich in meinen Arm frisst. Schmerzerfüllt versuche ich, es am Gras ab zu wischen, was leidlich funktioniert, als bereits der nächste Holzpflock auf mich zu jagt und dort einschlägt, wo ich eben noch lag. Langsam habe ich die Schnauze wirklich voll von diesem wandelnden Waffenarsenal! Da war ja ein Raucher in einer Pulverkammer sicherer als der hier!

Doch ich schaffe es nicht, mich auf zu rappeln, ehe er mit einem Mal vor mir steht und ein weiteres Fläschchen in der Hand hält. Ich rege mich nicht, aus Angst, er könne auf die Idee kommen, mich mit dem Inhalt aufzuhalten, indem er mir irgendetwas weg ätzt, das ich noch gebrauchen kann. Und damit ist so ziemlich alles gemeint!

„Bevor ich dich vernichte, wie es mein Auftrag ist, will ich, dass du dir einen Namen gut merkst.“

Kurz bin ich versucht, ihm zu sagen, dass es mir schwer fallen wird, mir etwas zu merken, wenn ich ohnehin das Zeitliche segne, aber ich sage lieber nichts und lasse ihn weiter reden.

„Denn du bist drauf und dran, von dem Vampirjäger Richard Dinkelmann für immer der Ewigkeit beraubt zu werden!“

Schweigen breitet sich aus und etwas verwirrt blicke ich Richard an. Ja, und jetzt? Erwartungsvoll trifft mich sein Blick und nach einer Weile, in der ich mich einfach nicht dazu durchringen kann, mit meinem Leben abzuschließen, selbst wenn es nur ein Unleben ist, meint er:

„Willst du mir deinen Namen nicht auch sagen?“

Ich ächze leise und lege den Kopf nach hinten. „Willst du mir nicht einfach den Gar aus machen?“ frage ich stattdessen und er stemmt die Hände in die Hüften.

„Das… das geht doch nicht! Du musst mir deinen Namen auch sagen, so dass ich weiß, welcher armen Seele ich die Freiheit geschenkt habe!“

Ich murmle etwas. Warum auch immer ich auf die idiotische Idee komme, ihm wirklich meinen Namen zu sagen. Ich hoffe, er hat es nicht gehört, doch wie das so mit der Hoffnung ist – es macht ihr offenbar Spaß, immer genau dann fehl zu schlagen, wenn man wirklich viel Vertrauen in sie gesetzt hat. Er sieht auf und hebt die Stimme, offenbar wird das etwas Längeres.

„Felix! Das ist also dein Name. Felix, bereits bekannt im alten Rom, überliefert durch das Lateinische, in der Bedeutung von…“

Entschlossen, ihn seinen Satz nicht beenden zu lassen strecke ich plötzlich das rechte Bein weit nach rechts, hole Schwung und ziehe es mit einem Ruck nach links durch, so dass ich Richard schwungvoll von den Füßen hole. Alles, nur nicht diesen Satz! Ich springe auf und glücklicherweise ist das Fläschchen aus seiner Hand gerutscht und raucht nun im Gras vor sich hin, offenbar hat es einen Sprung bekommen. Auch die Armbrust hat er verloren und er liegt nun mit ausgestreckten Armen vor mir. Er funkelt mich wütend an.

„Welch unfaire Methode, mich in meiner Ansprache zu unterbrechen. Ich sehe schon. Du willst deine Rache, nicht wahr, Kreatur der Nacht? Gut, aber denke nicht, dass ich um Gnade winseln werde! Ich werde tapfer sterben!“

Ich stehe vor ihm und sehe auf ihn herunter. Er hat einen leichten Bartschatten, was ihn noch abgehärmter aussehen lässt als der etwas zu große, alte Mantel. Schließlich seufze ich und schüttele den Kopf.

„Spiel hier nicht den sterbenden Schwan und steh endlich auf!“

Verwirrt sieht er mich an und zögert kurz. Ich schiebe die Armbrust mit dem Fuß ein wenig zur Seite. Vorsichtig, ich will ihn nicht wütend machen, indem ich sein Spielzeug beschädige.

„Aber nur, wenn du versprichst, davon abzusehen, mich zu verbrennen, durchlöchern oder sonst etwas zu tun, das meiner Gesundheit abträglich ist, abgesehen von der Tatsache, dass ich bereits tot bin.“

Nach kurzer Zeit des Überlegens nickt er und ich gehe einen Schritt zurück, immer noch bereit, die Beine in die Hand zu nehmen, sobald er Anstalten macht, nach irgendeiner seiner Waffen zu greifen. Doch stattdessen zieht er die Beine an, legt die Arme darauf ab und seufzt tief. Wie gut, dass er das mit der Ehre ernst gemeint hat! Ich lasse die Schultern hängen. Wenn wir sowieso schon so weit sind kann ich auch gleich eine Unterhaltung anfangen, denke ich mir und meine dann verständnisvoll:

„Lange Nacht gehabt?“

Ein schmales Grinsen legt sich auf sein Gesicht, als er nickt.

„Aber ich wage nicht, diese Frage zurückzugeben.“

Ich kann nicht anders als ebenfalls zu schmunzeln. „Besser ist das…“ sage ich nur und überlege einen Augenblick, ob ich Richard bitten soll auf der Parkbank Platz zu nehmen, bis mir einfällt, wozu sie bis vorhin gedient hat, und so beschließe ich, mich einfach neben ihn auf den Rasen zu setzen, wobei ich darauf acht gebe mich von dem zerbrochenen Fläschchen fernzuhalten.

Ich blicke sein Waffenarsenal an und frage schließlich:

„Wie lange machst du das schon? Ich meine… diese ganzen Sachen. Das sieht ziemlich professionell aus.“

Er strahlt mich an als hätte ich ihm soeben die Existenz eines Kindheitshelden bewiesen, an der er bang gezweifelt hat, und meint:

„Wirklich? Es freut mich, das zu hören! Immerhin bist du der erste richtige Vampir, den ich gejagt habe.“

Ich starre ihn einen Augenblick an, ehe ich meine Sprache wiederfinde. Dann huste ich. Räuspere mich.

„Ich… bin der Erste?“

Er nickt freudig, dann runzelt er die Stirn.

„Auch wenn es wohl nicht ganz so erfolgreich war. Aber immerhin besser als nichts. Und ich bin noch am Leben.“

Ich schluckte. „Ja. Und ich bin tot. Also… warst du so gesehen doch erfolgreich.“

Er runzelt die Stirn. „Ich glaube nicht, dass man das so betrachten kann.“ meint er schließlich und ich unterdrücke den Drang, meine Hand gegen die Stirn zu schlagen.

„Wie kamst du überhaupt darauf, Vampirjäger zu werden?“ frage ich mit einer Spur Ungläubigkeit in der Stimme. Er sieht mich an, als habe er nur darauf gewartet, und holt tief Luft, was mich vermuten lässt, dass das hier eine längere Angelegenheit wird…

„Also – alles begann eigentlich ganz harmlos.“ sagt er und ich huste leise. Es fällt mir schwer mir vorzustellen, dass ein Holzpflöcke schießender Möchtegernjäger harmlos angefangen hat. Aber auch Caligula mochte bestimmt einmal ein ganz niedliches Kind gewesen sein, ehe er im Verfolgungswahn seine Berater wegen Hochverrats reihenweise über die Klinge springen ließ. Also kann ich mir Richards Geschichte auch gleich anhören.

„Mein Vater hatte einen kleinen Laden für Jagdbedarf. Ganz normale Jagd!“ betont er, als er meinen entsetzten Gesichtsausdruck sieht.

„Der Sohn eines guten Freundes von ihm war ein aufstrebender Geschäftsmann in einer anderen Sparte, und mein Vater schlug vor, dass ich doch in dessen Firma einsteigen sollte, um ein wenig Erfahrung zu sammeln. Und dann, stell dir vor!“

Richards Wangen haben einen rötlichen Schimmer, es ist ihm anzusehen, dass er aufgeregt ist, als durchlebe er das, was er gerade erzählt, im gleichen Augenblick noch einmal.

„Eines Nachts kam Maximilian, so hieß mein Chef, mitten in der Nacht zurück ins Büro gestürmt. Ich hatte an dem Tag etwas dort vergessen und so kam es, dass er mich dort antraf. Im ersten Augenblick war er sehr überrascht, dann aber verrammelte er die Tür und rief mir zu, ich solle mich ducken. Natürlich habe ich das gleich getan. Seine seltsame Aufmachung ist mir erst gar nicht aufgefallen, und plötzlich, bam!“

Richard lässt eine Hand nach unten sausen und ich zucke zurück.

„Da stand er! Einfach durch die verschlossene Tür gebrochen! Eckzähne, glühende Augen, alles war da!“

Unwillkürlich frage ich mich, was „alles“ bedeutet, aber ich wage es nicht zu fragen.

„Und Max, mein Chef, zieht in aller Ruhe eine Waffe, einen Revolver, zielt auf ihn und drückt ab. Er hat ihn genau ins Herz getroffen.“

Richard macht durch das Tippen auf meine Brust deutlich, wo genau. Es behagt mir genauso wenig wie das begeisterte Funkeln in seinen Augen.

„Und der Vampir grinst noch, als es plötzlich zischt, und er schreiend nach hinten stolpert. Und Max lächelt und sagt nur ein Wort: Quecksilber. Und der Vampir flüchtet aus dem Fenster, dass es nur so klirrt. Und seitdem,“ schließt Richard, „bin ich Vampirjäger.“

Er schlägt mir auf die Schulter.

„Du musst Max unbedingt mal kennen lernen! Er ist einer der Besten.“

Ich zwinge mich zu einem zaghaften Lächeln und kann mir in etwa vorstellen, wie sich ein Ganter fühlen muss, der zu hören bekommt: Komm doch mal vorbei! Meine Frau macht einen herrlichen Gänsebraten, du bist herzlich eingeladen!

„Und… du bist dann bei diesem Max sozusagen in die Lehre gegangen?“ frage ich, um nicht ganz uninteressiert zu scheinen. Richard wiegt den Kopf.

„Hm, erst habe ich ihm nur mit seiner Ausrüstung geholfen. Ich fand seine Arbeit einfach unglaublich faszinierend!“

Er zieht eines seiner Munitionshölzer aus den Schlaufen und meint stolz:

„Max meinte einmal, meine Pflöcke seien die Besten. Wegen der Silberlegierung im Metall. Die kriegt jeden Blutsauger klein!“

Er bietet mir den Pflock freundlich an, wie ein Handwerksstück, das es zu bewundern gilt. Höflich lehne ich ab. Richard zuckt mit den Schultern, als sei er es gewohnt, dass andere seine Arbeit nicht zu schätzen wissen und steckt ihn wieder weg, was ich mit einem erleichterten Aufatmen quittiere.

„Max hat irgendwann einen richtig großen Auftrag bekommen und ist dem nachgegangen. Da habe ich mich selbstständig gemacht.“ endet er schließlich.

Ich runzle die Stirn. Ob Max nun einen Auftrag bezüglich seiner Firma oder seines zweifelhaften und offenbar erschreckend erfolgreichen Hobbys bekommen hat wird mir nicht klar. Und ich glaube, es ist auch besser so. Freundlich lächelt Richard mich an.

„Allerdings hätte ich nie erwartet, so schnell einen Vampir zu treffen.“ Er unterdrückt ein Lachen, ehe er mich um Verzeihung heischend anblickt.

„Und… dich hätte ich auch nicht für einen Vampir gehalten.“ meint er dann. Es soll wohl wie ein Kompliment klingen, doch aus dem Munde eines Vampirjägers, der selbst aussieht wie ein übermüdeter Buchhalter auf einem Abenteuerselbstfindungstrip ist es ein eher zweifelhaftes. Finde zumindest ich.

„Dabei wollte ich so gern wissen, ob diese Theorie vom Zerfallen zu Asche nach der Vernichtung wahr ist oder nicht.“ lamentiert er, es klingt ein wenig enttäuscht. Wie ein Kind, dem man verboten hat, etwas anzufassen, das es doch so gern kaputt gemacht hätte, um zu sehen, was darin ist. Ich schlucke trocken und hoffe, dass Richards Freundlichkeit größer ist als seine Neugierde, da ich kein bisschen den Drang verspüre, den Wahrheitsgehalt dieser Theorie herauszufinden. Schon gar nicht an mir.

„Eigentlich hatte ich ja deinen Kumpel verdächtigt, weißt du?“ sagt er plötzlich und ich blicke auf.

„Ja, das passiert oft. Wegen seiner…“

Ich stocke. Meinen Kumpel? Stimmt ja! Blacky, das hatten wir doch schon einmal. Dieser Mistkerl! Ich runzle die Stirn. Blacky, der sich selbst für seine Verhältnisse heute ein wenig seltsam aufgeführt hat. Und der dafür gesorgt hat, dass ich auf offener Straße die Beherrschung verliere und meine Beißerchen zeige.

„Keine Sorgen mehr um Morgen machen, hm?“ knurre ich und lasse das Gesicht in meine Hände sinken. Manchmal bin ich doch tatsächlich noch dämlicher als sonst!

„Felix? Was ist denn los? Alles okay?“

Ich blicke auf und sehe Richard an.

„Weißt du, es fällt mir erst jetzt auf,“ sage ich und grinse. „Aber du kannst auch normal reden, oder?“

Er räuspert sich und kratzt sich verlegen am Kopf.

„Da-das gehört zum Image, weißt du?“ meint er schließlich und lässt den Arm sinken, während er peinlich berührt lächelt. „Es wäre einfach nicht richtig ohne das ganze… Trara.“

Ich nicke und denke an die ominöse Familiengruft, die offenbar jedem halbwegs gut aussehenden und erfolgreichen Vampir zugeschrieben wird. Dann denke ich an einen ganz besonderen Jemand, der es mit dem Erfüllen der Erwartungen ähnlich hält. Einfach nicht richtig, was? Da kommt mir ein Gedanke. Einer, der mein nicht mehr schlagendes Herz in regelrechte Begeisterungsstürme der Schadenfreude ausbrechen lässt.

Kurz betrachte ich das zerbrochene Fläschchen, ehe ich darauf zeige und frage:

„Sag mal, Richard… du hast doch bestimmt noch mehr davon, oder?“

Etwas verwundert, aber nicht ohne Stolz nickt er. „Natürlich. Ich habe einen ganzen Geräteschuppen voll mit Werkzeug und Instrumenten zur Vampirjagd.“

Ein breites Grinsen legt sich auf mein Gesicht und ich sehe Richard an, ehe ich ihm freundschaftlich eine Hand auf die Schulter lege.

„Sag mal, was würdest du für die Gelegenheit geben, heute doch noch eine Möglichkeit zu bekommen, diese ganze Staub-Theorie zu überprüfen?“
 

Etwas später klopfe ich an der Tür eines mir wohl bekannten Clubs. Er ist fast ebenso klischeehaft wie Richard gern wäre. Die vergilbte Überschrift über der Tür lädt alle, die die Worte „Dark Temptation“ nicht für zu kitschig halten und gleichzeitig von der düsteren Aufmachung des Eingangs angesprochen werden ein, diesen Club zu betreten. Jetzt allerdings, in den frühen Morgenstunden, hat er geschlossen. Trotzdem weiß ich sehr gut, dass noch jemand hier ist. Bekanntlich gehen die, die hier arbeiten immer zuletzt.

Ich vernehme leise Schritte, als die Tür geöffnet wird und Blacky mich mit milder Überraschung anblickt. Er will erst etwas sagen, doch dann schüttelt er kaum merklich den Kopf und lächelt mich freundlich an.

„Whitey, was machst du denn hier?“

Ich lächle ebenfalls und zucke mit den Schultern.

„Ich wollte dir Bescheid geben, dass ich einen Schlafplatz gefunden habe. Zumindest für heute. Nur, dass du es weißt.“

Blacky lächelt ebenfalls. „Ah – okay? Freut mich für dich. Es ist ja auch schon ziemlich spät.“

Unwillkürlich schweift sein Blick zum Horizont um festzustellen, ob sein Zeitgefühl immer noch genau ist. Ich kenne dieses Gefühl – lieber einmal zuviel prüfen, als als Rostbrathähnchen zu ende.

„Möchtest du reinkommen?“ fragt er schließlich und macht mir Platz, dass ich vorbei kann.

Ich zucke mit den Schultern. „Warum nicht. Ach, übrigens, Blacky – darf ich dir einen neuen Freund von mir vorstellen? Er würde auch gern die Zeit bis Sonnenaufgang mit dir verbringen.“

Ich grinse breit und trete einen Schritt zur Seite. Als Richard mit gespannter Armbrust, komplett ausgebesserter Ausrüstung und breitem Grinsen in den Türrahmen tritt verschwindet jede überlegene Regung aus Blackys Gesicht und an dessen Stelle tritt pures Entsetzen. Dies ist einer der Momente, in denen ich es wirklich genieße, dass mein Grinsen, wenn es breit genug ist, meine Eckzähne entblößt und meinem sonst so normal wirkenden Gesicht einen geradezu dämonischen Anschein gibt. Ich widerstehe dem Drang zu lachen und füge nur noch amüsiert hinzu:

„Um dafür zu sorgen, dass du keinen Gedanken mehr an Morgen verschwenden musst…“



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Terrorfetzen
2015-04-16T02:28:34+00:00 16.04.2015 04:28
Ein sehr erfrischender Schreibstil! Gefiel mir sehr gut!
Mal ein etwas anderes Bild von einem Vampir, aber dennoch nicht weniger sympathisch :) Ein bisschen hat mich Felix an die Zeit der Bartimäus-Bücher erinnert. Herrlich! Hab grad sogar noch spontan die Bedeutung des Namens Felix gegooglet, aber ich denk, das haben viele, die diese One-Shot gelesen haben, ebenfalls getan! Wirklich niedlich, der Knabe, muss ich schon sagen xD Was mir noch etwas gefehlt hat, war der Grund für Blakys Verrat :( Schade um die -wenn auch deutlich spürbar- oberflächliche Freundschaft. Vllt heuert Richard Felix nun als seine rechte Hand an, für nen Schlafplatz und ein paar Blutkonserven xD Ein Hund macht nicht viel mehr mühe xDD
Von:  mini_MoMo
2011-12-26T15:43:12+00:00 26.12.2011 16:43
Hi.
Mir gefällt deine Art zu schreiben und dich auszudrücken wirklich sehr, sehr gut^^
Von: abgemeldet
2011-12-03T09:11:05+00:00 03.12.2011 10:11
Ehrlich, das war ein wirklich unterhaltsamer Ausflug in die untote Welt, den du sehr pfiffig und wortgewandt verfasst hast. Allein der Einstieg, sozusagen der erste Absatz mit dem "Ha! Das habt ihr nicht wirklich geglaubt?", ist es wert die Geschichte bis zum Ende zu verfolgen!
Inmitten der herrschenden Klischees und vielfältigen Darstellungen/Verfremdungen der Vampire in der heutigen Literatur hast du doch tatsächlich einen Hauptcharakter erschaffen, der mit (unfreiwillig viel) Witz, Geschick und einer großen Portion Pech durch die Nacht schreitet. Die Rolle ist für mich schon deshalb realistisch, weil du des Öfteren auf die Aspekte eines Lebenden anspielst - und darauf, was Menschen fälschlicherweise davon halten, da sie diese spezielle Seite der Medaille gar nicht kennen, hehe.
Herrlich auch, wie "sterblich" die Probleme der Nahrungsbeschaffung und der Unterkunft so ausfallen können: was ich mit viel Begeisterung las, war die Rolle Richards, der mit seinem Wesen und Auftreten sehr viel Dynamik in die Geschichte bringt. ;-)
Kurzum, ich fand das Werk sehr erfrischend und gelungen. Vom Stil her bist du ungemein abwechslungsreich, daher kann ich dir nur mit auf den Weg geben nochmal die Komma-setzung zu überprüfen, z.B. bei der Phrase "[...]lädierten Hinterteil bin tritt eine Gestalt aus den Schatten[...]" gehört zwischen die zwei Verben eines. Das hast du gerade in der ersten Hälfte des Werkes des öfteren vergessen.

Glückwunsch zur Yual!
abgemeldet


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