Zum Inhalt der Seite

Das Maleficium

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Sean Hardy bediente seine Apparate mit Feuereifer; hier war er in seinem Element.

Das Gemetzel, in das sein Freund Jan Gildenstern mit den stärksten Soldaten der Palastwache gezogen war, spielte sich in geringer Entfernung ihres Flugschiffes ab, welches der Pilot in Bereitschaft hielt. Doch in seinem Geist war das weit entfernt.

Viele Jahre war es her, dass er eine Waffe angefasst hatte mit einer anderen Absicht, als sie fertig zu stellen oder in Stand zu setzen. Das Kämpfen und Zerstören waren nicht seine Sache. Viel mehr bedeutete ihm das Herstellen und Zusammenfügen von edlen Werkstücken. Dass sie anschließend Werkzeuge des Krieges wurden war eine bedauerliche Nebensache, die zu akzeptieren er schon vor Langem gelernt hatte.

Hardy überprüfte die Messdaten des Apparats, den Gildenstern mit sich führte. Er machte sich keine Sorgen um ihn oder seine Männer, denn er wusste, dass die Revolutionären über keine starken Krieger verfügten.

Aus den Berichten, die es gab, hatte er ersehen, dass ihre Taktik schnelle, plötzliche Angriffe waren, gefolgt von einem ebenso schnellen Rückzug. Gegen eine formierte Streitmacht, und mochte sie auch nur so klein sein wie Gildenstern mit seinen Elitewachen, hatten sie kaum eine Chance, und beinahe taten sie ihm leid.

„Wie sieht es aus, Sean?“ hörte er den Apparat krächzen. Die Messdaten waren so unklar wie schon zuvor, und so schüttelte Sean Hardy den Kopf, bevor er antwortete.

„Die Messungen sind noch zu ungenau. Ihr müsst näher ran“, sprach er in das Funkgerät hinein. Zugleich wunderte er sich wieder über die Daten, die er an den verschiedenartigen Skalen ablas und in seinem Kopf zusammenfügte. Die Spur, die die Escutcheons und auch das Maleficium hinterlassen hatten, wurde immer stärker, je näher sie sich der Quelle näherten. Und genau das war das Problem.

Hier überlagerten sie sich gegenseitig, was alle Messungen stark beeinträchtige. Die Luft glühte förmlich von der Energie aus dem Maleficium, wie seine Apparate bewiesen, und doch kam er sich vor wie ein Fischer, der im Trüben angelt. Versuchsweise erhöhte er die Empfangsleistung, indem er an Rädern und Knöpfen drehte, und richtete die Antenne auf bestimmte Gebiete aus. Er tat dies mehr um sich die Zeit des Wartens zu verkürzen, wenngleich ihm bewusst war, dass es purer Zufall sein musste-

„He!“ rief Hardy überrascht aus. Der Pilot blickte ihn fragend an, doch Hardy konzentrierte sich nun völlig auf die Skalen des Apparats. Behutsam justierte er die Antenne auf jene Richtung, in der der Ausschlag von eben gekommen war, und er befürchtete, die Richtung vielleicht nicht mehr zu finden-

Doch es geschah wieder.
 

„Jan? Hörst du mich?“ rief er ins Funkgerät. Dann wandte er sich an den Piloten. „Wir sammeln sie auf, jetzt gleich!“
 

Sarik stützte sich schwer atmend auf sein Schwert. Dies musste der zweitschwerste Kampf in seinem Leben sein, dachte er.

Brynja hatte ihre letzten Wurfklingen verbraucht, aber auch das hatte Gildenstern nicht beeindrucken können. Von ihrem Kampf geschwächt, der mehr eine ständige Flucht vor seiner Waffe als ein echter Schlagabtausch war, ging sie in einiger Entfernung in die Knie, um nach Luft zu ringen.
 

Dicke Schweißtropfen standen auf Gildensterns Stirn.

Seine Augen leuchteten wie im Fieber, und das grimmige Lächeln der Kampfeswut war zu einer Grimasse auf seinem Gesicht erstarrt. Auch er stützte sich nun auf seine Waffe, doch noch stand er aufrecht. Er begann, diesen Kampf zu genießen, der doch schwieriger war als erwartet. Doch schon konnte er spüren, wie die Kräfte seiner Widersacher erlahmten, und das Ziel, diesen Leuten das Maleficium zu entreißen, schien zum Greifen nah-

„Jan? Hörst du mich?“ erklang es plötzlich aus seinem Funkgerät. In seiner Raserei hätte er es fast nicht registriert, und es dauerte einen Moment, bis er seinen Verstand wieder soweit im Griff hatte, antworten zu können.

„Was gibt es, Sean“, antwortete er zwischen zwei schweren Atemzügen.

„Das Maleficium, es ist nicht hier!“

„WAS!?“ bellte er ins Funkgerät. Der Rausch, in den ihn dieser Kampf versetzt hatte, wurde schlagartig mit einem Aroma des Zorns versehen.

„Ich habe eine Peilung, etliche Meilen von hier. Sie kommt aus der Stadt Zanardis. Ich konnte sie vorher nicht extrahieren, weil- “

„Schon gut“, antwortete er mit ruhigerer, aber immer noch nach Luft ringender Stimme. „Wir ziehen uns zurück. Hole uns- “

„Wir sind gleich da!“

Schon hörte Gildenstern das Brausen des Flugapparats nähern.
 

Dorian hatte Seite an Seite mit den Rebellenkriegern gekämpft, und die Leichtigkeit, mit welcher die Angreifer sie niederstreckten, erschütterte ihn.

In dem Gedränge hatte er nicht oft Gelegenheit gehabt, direkt gegen einen der Soldaten aus des Kaisers Armee anzutreten, doch die wenigen Male hatten ihn die Hiebe schnell in die Defensive getrieben, ohne dass er eine Chance zum Gegenangriff bekommen hätte.

Doch mit einem Mal breitete sich eine Ruhe über das Schlachtfeld aus, die geradezu gespenstisch war.
 

Helle Erleichterung kam über die Rebellenkämpfer, als sie feststellten, dass die Angreifer sich langsam zurückzogen. Man vermied es, nachzusetzen, und sogar einige Rufe von „Sieg!“ wurden hörbar.

Dorian lief die Linie ab, um Brynja oder Sarik zu finden, die er bis jetzt in dem Getümmel noch nicht erblickt hatte. Endlich fand er sie.

„Wer sind diese Leute?“ rief er ihnen entgegen, dann fiel sein Blick auf Gildenstern. Dieser schien in den Kragen seines Harnischs zu sprechen. Seine Erscheinung fiel Dorian sofort auf. Sarik und Brynja standen Schulter an Schulter, wenngleich Dorian an ihren gelösten Haltungen erkannte, dass der Kampf fürs Erste vorbei war.

„Wer sind Sie, verflucht!“ schrie er dem Mann entgegen. Dieser bedachte ihn mit einem fast schon mitleidigen Blick.

„Ich bin Jan Gildenstern“, antwortete er mit einer Stimme, kalt wie ein Fluss im Januar. Das Brausen hinter ihm wurde stärker, und die Rebellen, eben noch euphorisch über den vermeintlichen Sieg, wichen verängstigt zurück. „Und ihr seid das Gesindel, das es gewagt hat, in den Kaiserpalast einzudringen.“
 

Dorian erstarrte.

Eine Kälte legte sich um seine Knochen, die nicht nur daher kam, dass er sich ertappt und schuldig fühlte angesichts dieses Mannes: Er dachte nun auch an seine Freunde, an Ludowig, Nikodemus und Gaubert.

„Sie- Sie wissen- “, stammelte er hilflos und schüttelte den Kopf.

„Allerdings. Wir haben eure Spur verfolgt“, rief Gildenstern über den Lärm des Flugschiffs, das sich aus der Dunkelheit hinter ihnen schälte. Seine Männer standen nun dicht beieinander und bereiteten sich darauf vor, an Bord zu gehen. „Eure Bande am Bucket-Weg habe ich schon auslöschen lassen. Und wenn wir das Maleficium zurück in Sicherheit gebracht haben, dann seid ihr dran!“ brüllte er gegen den Lärm der Rotoren an. Noch im gleichen Herzschlag sprang er gleich den anderen in die Luke des Apparats, der sich im selben Moment unter Getöse wieder erhob und im Nachthimmel verschwand.

Dorian fühlte, wie eine eiskalte Klinge sein Herz durchbohrte, und brach zusammen.
 

Die Sonne stand noch unterhalb des Horizonts; doch ihr dunkelroter Schein färbte bereits die erwachende Morgendämmerung ein. Und so erwachte auch die Farbe des Bluts auf den vielen Körpern, das bisher farblos wie die Nacht gewesen war.

Eine rege Geschäftigkeit herrschte jetzt. Ganze Kolonnen trugen die Gefallenen vom Schlachtfeld und reihten sie auf. Man hörte Kinder schreien, und einige Frauen brachen weinend zusammen. Ernste und angewiderte Gesichter verbargen ihre Tränen und taten das Notwendige. Largo Cotter hatte bereits eine Abteilung abkommandiert, um eine lange Reihe Gräber zu schaufeln.

Irias Blick ging unscharf in die Ferne. Nur verschwommen sah sie die vielen Menschen, die Tragen beförderten oder lautstark Anweisungen erteilten. Eilige Schritte entfernten sich vom Lager oder näherten sich. Überall war die Hektik zu spüren, wie die eines unregelmäßig schlagenden Herzens, und dazu eine Furcht, als könnte dieses Herz jeden Moment stehen bleiben.

Neben ihr saß Dorian und merkte nichts von alledem. In dem Durcheinander aus Verletzten und noch wesentlich mehr Toten hatte ihm niemand Aufmerksamkeit geschenkt, außer Iria und Nadim, die ihn aus seiner Schockstarre befreit und an einen Ort gebracht hatten, wo sie Niemandem im Weg standen.

Iria blinzelte und merkte nun erst, dass es sie fröstelte. Die Luft des bevorstehenden Morgens war kalt, und der Geruch des Todes, der in der Luft hing, machte diese Kälte noch eindringlicher. Ihr Blick traf Dorian, der auf einer kleinen Kiste saß und wie ein Fremdkörper in dieser von Rastlosigkeit bestimmten Welt wirkte.

Er saß vornüber gebeugt da, als würde er Übelkeit verspüren. Seine Unterarme lehnten auf den Knien, und seine Schultern hoben sich in dem stockenden Rhythmus seiner Atemzüge. Nadim stand etwas abseits, mit halbgeschlossenen Augen. Seine Lippen bewegten sich kaum merklich, als würde er ein lautloses Selbstgespräch führen.

Nur hin und wieder öffnete er die Augen, um sich zu vergewissern, dass er sich immer noch am selben Ort befand.
 

„Wo bleiben die Rottenführer? Ich will Lageberichte, und zwar unverzüglich! Macht die Transporter klar, vor allem den Kanonenwagen! Die Mannschaft darauf bleibt rund um die Uhr im Dienst, verstanden?“

Inmitten seines engsten Kreises aus Hilfsoffizieren und Stellvertretern, die beständig an ihn herantraten, um dann Momente später mit empfangener Order wieder weiterzueilen, stand Largo Cotter und versuchte, dem Chaos Herr zu werden.

Seine aufgebrachte Miene und der herrische Befehlston bildeten den Damm, gegen den die Flut seiner Empfindungen brandete, die aufkamen, wenn er den Befehl geben musste, die sterblichen Reste seiner Männer und Untergebenen- seiner Freunde- eilig zu verscharren. Eine Spannung lag auf seinem Gesicht, die deutlich zeigte, wie viel Kraft ihm dies kostete, und wie viel davon abhing, dass es ihm gelang.

Sarik, Brynja und auch Hargfried hatten die Rebellen bei der Sicherung des Lagers und dann bei der Obsorge für die wenigen Verletzten und ungleich mehr Toten unterstützt. Nun, wo das Dringlichste erledigt war und eine kleine Gruppe den schweren Dienst antrat, ihre Kameraden und Freunde auf ihrem letzten Weg zu begleiten, standen sie bei Cotter und warteten wortlos.

Als endlich die nähere Umgebung von seinen Leuten abgesucht und erwartungsgemäß keine Spur von Gildenstern und seinen Männern gefunden wurde, wandte sich Cotter an die drei. Bevor Sarik noch etwas sagen konnte, deutete Cotter ihnen mit einer harschen Geste, ihm zu folgen.
 

Sarik und Brynja folgten ihm, während Hargfried zurückblieb. Forschen Schrittes betrat Cotter sein Zelt, und die beiden taten es ihm gleich. Sie standen mitten im Zelt, während Largo Cotter sich eilig eine Zigarette anzündete. Er vollführte einen tiefen Lungenzug, der ihn hörbar entspannte. Die Hand, mit der er die Zigarette hielt, zitterte leicht, wie sie sahen.

„In Anbetracht der Geschehnisse möchte ich Ihnen unser Bedauern ausdrücken. Das macht keinen ihrer Männer wieder lebendig, und zweifellos ist unsere Anwesenheit der Grund für diesen Angriff gewesen“, begann Sarik mit seiner sanften, ruhigen Stimme, die für Brynja wie ein friedlich tönender Glockenschlag bei einem Begräbnis klang. Cotter reagierte aber nicht, sondern stand immer noch mit dem Rücken zu ihnen. Abermals tat er einen tiefen Zug von seiner Zigarette. Sarik warf Brynja einen vielsagenden Blick zu, und sie schüttelte den Kopf. „Wir haben auf jeden Fall Verständnis, dass unter diesen Umständen unser Anliegen keine Priorität mehr- “

„Heute haben wir 58 Männer verloren“, sagte Cotter leise, woraufhin Sarik verstummte. Cotters Stimme war weder zornig noch hasserfüllt, sondern klang einfach nur müde. „Seit es unsere Organisation gibt, versuchen die kaiserlichen Truppen, uns auszulöschen. Heute wäre es ihnen fast gelungen.“

Brynja und Sarik schwiegen, nicht nur aus Pietät, sondern auch, weil es nichts zu erwidern gab außer dem Eingeständnis ihres Verschuldens. Largo Cotter drehte sich zu ihnen um: Sein Gesicht war eine Maske der Hilflosigkeit, die er draußen, unter seinen Leuten, nicht aufzusetzen gewagt hatte. Doch diese Hilflosigkeit wurde schnell von heißem Zorn überschattet, so wie das strohfarbene Gras dieser Ebene von dem Blut seiner Männer verdunkelt worden war.

„Es mag sein, dass sie uns gefunden haben, weil sie das Maleficium stehlen wollten. Dass wir gerade noch davongekommen sind, liegt aber wohl daran, dass keiner von ihnen es bei sich hatte.“

Nun ging er auf sie zu und blieb knapp vor ihnen stehen. Sein Gesicht, auf dem rote Flecken sichtbar wurden, zitterte wie ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch.

„Soll ich ihnen sagen, was für mich Priorität hat?“ sagte er mit leiser, zischender Stimme. Die Worte kämpften sich praktisch zwischen seinen Zähnen hindurch. „Ich habe den Kaiser und seinen Lakaien Gildenstern bisher nur als Egomanen gesehen, die das Land zu Grunde richten, aber jetzt- “ Er holte tief Luft, bevor er weitersprach.

„Aber jetzt hat dieses Maleficium die höchste Priorität für mich, verstehen sie? Dieser Gildenstern sucht es, und sie wissen, wie man es findet. Ich gehe mit ihnen mit, und dann- “

Abermals versagte ihm die Stimme, und er rang nach Luft. Brynja und auch Sarik überkam tiefes Bedauern für diesen Mann, der an seiner Ohnmacht fast zu Grunde ging.

„Sie werden mich zu ihm führen, verstanden? Vorher…“ Die Zornesröte wich aus seinem Gesicht, und die Müdigkeit kehrte mit bleierner Schwere in seine Züge zurück. „…vorher war es ein Krieg. Nun ist es etwas Persönliches, verstehen sie das? Wir brechen sobald wie möglich auf.“

Nun senkte er den Blick, als zerrte ihn ein Gewicht herab, dem er nicht länger hatte widerstehen können. Sarik und Brynja verstanden seinen unausgesprochenen Wunsch, allein zu sein, und verließen das Zelt.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  fahnm
2011-01-22T00:48:47+00:00 22.01.2011 01:48
Super Kapi^^
Freue mich schon aufs nächste.^^


Zurück