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Das Maleficium

von

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Sie alle standen auf der Plattform vor der leicht schwankenden Gondel. Helmbert Gustafson, dem die Inbetriebnahme seiner ‚Greta‘ sichtlich weit mehr Freude gemacht hatte als das Geld, das Sarik ihm zugesteckt hatte, trat unruhig von einem Bein auf das andere.

„Es geht alles automatisch, jawohl!“ erklärte er. „Oben angekommen, müssen sie nur aussteigen. Die Station sieht ähnlich aus wie hier, oh ja! Zulange, ach ja, zulange ist schon niemand mehr gefahren mit der guten Greta!“

„Herr, äh… Gustafson, wenn ich fragen darf“, begann Nadim in einem schüchternen Tonfall. „Wenn keine Minenarbeiter zu transportieren waren… Warum sind sie dann nicht selbst damit gefahren?“

Auf diese zurückhaltend angebrachte Frage hin erschauderte der alte Mann, schüttelte seine nervösen Arme und blickte betreten zu Boden.

„Ich bin noch nie mit Greta gefahren…“, flüsterte er kleinlaut. Es klang, als hätte er in diesem Moment seine schlimmste Sünde gebeichtet.

„Aber ich dachte, Sie sind der technische Bewacher oder sowas?“ fragte Dorian mit verwirrter Miene.

„Das bin ich auch, und zwar schon in der dritten Generation!“ rief er aus, und seine Haltung straffte sich wieder. Bei diesen Worten befiel ihn das stolze Strahlen von zuvor, bevor es erneut einem Ausdruck leiser Scham wich. „Aber, ich- ich habe Höhenangst. Ich kann mit ihr nicht fahren“, gestand er mit zittriger Stimme. Dabei blickte er sich verstohlen nach der Anlage um, als befürchtete er eine Geste der Schmähung von ihr.
 

Dorian drückte sich die Nase am Glas platt. Die Stadt Kurrel wurde immer kleiner und glich bald einer Ansammlung von Bauklötzen, bevor sie endgültig im alles verhüllenden Dunst entschwand.

Das leichte Schwanken der Gondel gab ihm das Gefühl, in ein weißes Nichts hinein zugleiten. Unter ihnen sah er hin und wieder rauen Fels mit Flecken aus Eis vorbeigleiten, und von Zeit zu Zeit schälten sich die Stützpfeiler der Gondelführe aus den Wolken, die wie eiserne Riesen die Gondel weiterreichten und dem Berg entgegentrugen.

Die Wolken, die alles in Watte einhüllten und mit ihren klammen Fingern bei den Fenstern der Gondel herein tasteten, schienen immer dichter zu werden. Bald konnte Dorian kaum noch die Felsflanken erkennen, die unter ihnen vorbeiglitten. So drehte er sich um und ließ seinen Blick durch den Innenraum schweifen.

Hargfried streckte seinen Kopf durch ein heruntergezogenes Fenster und lachte über die Tautropfen, die sich in seinem langen Haar bildeten. Brynja stand ein Stück daneben und betrachtete ihn misstrauisch. Die Überlegung, ob er wohl zur Gänze durch dieses schmale Fenster passen würde, war ihrem Gesicht deutlich ablesen.

Iria und Nadim saßen auf einer der Bänke der Gondel, die locker zwei Dutzend Männern Platz geboten hätte. Iria machte ein geduldiges, fast schon erwartungsvolles Gesicht. Daran las Dorian ihre Gewissheit ab, dem Ziel nahe zu sein. Nadim neben ihr hingegen fixierte den Boden aus geriffeltem Metall und vermied auch nur den Versuch, aus dem Fenster zu blicken. Sein Mund bewegte sich tonlos, als spräche er sich selbst Mut zu.

Sarik stand nicht weit von Dorian, und sein Blick war gefasst und kontrolliert wie immer. Nur ein leises Schimmern um seine Mundwinkel und in seinem gesunden Auge ließ die bevorstehende Möglichkeit des Endes ihrer Reise erahnen.

„Glauben Sie, dass wir es dort oben finden?“ fragte Dorian, den das Bedürfnis überkam, diesen Punkt anzusprechen. Sarik senkte seinen Blick ganz leicht, und Dorian merkte, dass er nach seinem Escutcheon blickte. An die rätselhafte Verbindung zu ihren Armschienen erinnert, richtete er sein Augenmerk auf seinen eigenen. Er schwenkte ihn probeweise, und wieder zeigten die Glasscheiben ihr mysteriöses Farbenspiel in der besagten Richtung.

„Mit großer Sicherheit“, antwortete Sarik. Die unterschwellige Bemühung, diese Aussage fest und überzeugt klingen zu lassen, entging Dorian jedoch nicht. Er verschob die Grübelei, ob und was ihnen Sarik noch verschwieg, auf einen späteren Zeitpunkt, da ihn im Moment andere Dinge beschäftigten.

„Ein seltsamer Kauz, dieser technische Bewacher, nicht wahr?“ sprach Dorian lächelnd und blickte zurück in Richtung der Anlage in Kurrel, die hinter den Wolken verborgen unter ihnen lag.

„Ich bin mir sicher, wir hätten schon gestern losfahren können. Dem Wirt ging es wohl eher darum, dass wir für die Nacht seine Gaststube in Anspruch nehmen.“

„Ja, wahrscheinlich.“ Dorian lächelte erheitert, doch das, was er eigentlich aussprechen wollte, ließ sich nicht länger zurückdrängen, und sein Lächeln erlosch. „Wenn wir dann das Maleficium finden, und den, der es jetzt trägt… Er wird es uns nicht freiwillig geben, nicht wahr?“

Sarik erwiderte seinen Blick ernst. Dorian wurde den beschämenden Eindruck nicht los, er könnte in seinen Augen seine Verunsicherung ablesen.

„Allerdings. Er wird es uns sicher nicht einfach aushändigen. Es wurde viel Blut vergossen für das Maleficium, selbst zu Friedenszeiten.“

Dorian nickte ihm zu. Diese Worte trugen mehr Bestätigung in sich, als er erhofft und zugleich auch befürchtet hatte.
 

Er rief sich all die Gründe in Erinnerung, warum er hier war, was ihn auf diesen Weg geführt hatte und weshalb er nicht aufgeben konnte. Er dachte an seine Freunde in der Hauptstadt und ihr ungewisses Schicksal, und er dachte an den Krieg.

Dorian rief sich die früheren Momente zurück, in denen er um sein Leben hatte kämpfen müssen. Sein Kampf mit der Palastwache auf ihrer Flucht aus den Kanalgewölben, der Überfall auf den Zug, bei dem er ebenso keine andere Wahl gehabt hatte, als zu töten… Doch der Unterschied zu der bevorstehenden Situation ließ sich nicht verdrängen. All diese Menschen hatten ihn bedrängt und ihm sein Leben nehmen wollen. In diesem Fall wollte aber er jemand Anderem etwas nehmen. Und zwar das Maleficium.

Dorian wusste nicht, wer der Dieb war. Er hatte nicht mehr von ihm gesehen als die diffusen Umrisse, die seine Erscheinung auf rätselhafte Weise verborgen hatten. Dorian kannte ihn nicht, und er fragte sich, ob ihm dies es erleichtern würde, ihn zu töten. Er ist ein Dieb wie ich, dachte er mit einem bitteren Lächeln, er will womöglich dasselbe wie ich. Und ich werde ihn vielleicht töten müssen.

Dichte Schwaden hüllten die Gondel ein und hinterließen schwere Tropfen am Fensterglas. Dorian beobachtete, wie sie langsam die Scheibe herabliefen. Die Tropfen wurden mehr, vereinten sich zu größeren und gewannen so an Gewicht; wie auch die Hindernisse, die sich vor ihm abzeichneten. Wenn er bereit war, für das Maleficium zu töten, mussten es seine Wegbegleiter nicht ebenso sein?

Beinahe verschämt glitt sein Blick über die anderen in der Gondel, und die Idee, sie könnten seine Gedanken erahnen, nahm lächerlich viel Platz in seinem Kopf ein. Ihre vom Maleficium beeinflussten Escutcheons verhinderten eine Auseinandersetzung unter ihnen. Dorian fragte sich, wie lange dieser Effekt aber noch anhalten würde. Wenn es ihnen tatsächlich gelingen würde, es zu erringen, würde ihr fragiler Pakt dann zerfallen?

All diese Gedanken machten ihm das Herz schwer, und Dorian strengte seine Augen noch mehr an, die Wolken zu durchdringen, nur um sich von ihnen abzulenken. Dies fruchtete nur wenig; die weiße Wand hinter der Scheibe der Gondel schien an Festigkeit eher zu gewinnen. Bis die Gondel aus dem Wolkenmeer auftauchte.
 

Wie ein Wal, dessen massige Formen die Oberfläche eines trüben Ozeans durchbrechen, so bahnte sich die Gondel den Weg durch die Wolkenschicht, die auf dem Land lastete.

Dorians Mund wurde weit, ebenso wie seine Augen. Mit einem Schlag waren alle Bedenken und Sorgen aus seinem Verstand gewischt, als er das Wolkenmeer sah, das sich bis an die Ausläufer der Wüste vor Kurrel erstreckte. Dann presste er die Augenlider wieder zusammen, als die ungefilterte Kraft der Sonne sie traf. Ein stahlblauer Himmel lag nun über ihnen, gleißend und klar. Die Sonne stand an ihm wie ein blendender Stern, und sofort spürte er, wie es wärmer in der Gondel wurde.

Dann drehte er sich um, sah seinen Schatten, der scharf und konturiert auf das geriffelte Metall des Bodens fiel, und lief los. Dabei beachtete er Sarik gar nicht, der ihm auswich. Bei der gegenüberliegenden Fensterfront angekommen, drückte er auch dort seine Nase gegen das Glas. So etwas hatte er noch nie gesehen.

Sie hatten mittlerweile schon eine beträchtliche Höhe erreicht, und die Gondel schwebte oberhalb der Wolkendecke als glitzerndes Stück Metall von Stützpfeiler zu Stützpfeiler. Vor ihnen lag das Barantir-Gebirge, das sich ausbreitete wie ein Meer aus schroffen Zacken und Spitzen, aus eisbedeckten Gipfeln und schneeumhüllten Kämmen. Und inmitten dieser Welt aus Fels und Eis stand ihr Ziel, erhaben und mächtig: Der Berg Galgasot.

Schon bemerkten sie die Bergstation, zu der sie das Seil der Gondelführe hinbrachte. Ein Gebäude, ähnlich dem in der Stadt, wurde in ihrem Blickfeld immer größer. Bald erkannten sie Details und die Spuren, die Wind und Wetter an der Metallkonstruktion hinterlassen hatten. Schließlich schwebte die Gondel in das Gebilde hinein; plötzlich einsetzender Schatten verdunkelte das Gondelinnere.

Die Tür glitt ratternd zur Seite, und sie verließen die Gondel. Sofort spürten sie die kalte Luft in dieser Höhe. Stetiger Wind zerrte hier an allem und drang auch in das nach mehreren Seiten offene Gebäude ein. Ebenso wie Schnee, der in das Innere dieser Anlage kroch und unter ihren Schritten knirschte.

„Willkommen auf dem Galgasot“, hörten sie die Stimme des alten Helmbert aus einem Lautsprecher krächzen. „Ihr seid nun oben, und jetzt tut, was immer ihr vorhabt. Wollt ihr wieder runter, dann betretet die Gondel und zieht den roten Hebel. Aber lasst euch nicht zu lange Zeit, denn ich brauche meinen Mittagsschlaf.“

„Wie lange dauert sein Mittagsschlaf wohl“, hörten sie Nadim sagen, der einen Blick in die Gondel und auf den besagten Hebel warf.

„Dieser Pfad führt zu den Schächten“, sagte Sarik und verließ das Gebäude. Brynja folgte ihm, ebenso Hargfried. Iria sah sich nach Nadim um, der etwas zu überlegen schien.

„Iria, ich…“, begann er nervös, „vielleicht ist es besser, wenn jemand hier bleibt und auf die Gondel aufpasst.“ Sein Blick fiel durch die Öffnung, in der das Seil der Gondelführe im Wolkenmeer unter ihnen verschwand; es lag eine Mischung aus Furcht und der Sehnsucht nach dem Ort ihrer Abfahrt darin. Iria ging auf ihn zu, ballte die Fäuste und redete leise, aber eindringlich zu ihm. Dorian, der schon beim Ausgang stand, konnte nicht anders als mitzuhören.

„Du kannst mich doch nicht mit denen allein lassen“, zischte sie ihm zu. Nadim wich ihrem Blick aus und schien sich für seine schlecht verborgene Angst zu schämen. Dann nickte er mit halbgeschlossenen Augen und folgte ihr. Die beiden gingen an Dorian vorbei, Iria mit energischen Schritten, aber unübersehbarem Argwohn auf dem Gesicht. Nadim mühte sich, mit ihr Schritt zu halten; sein Gesicht hatte den Ausdruck der Resignation, der sich wenig von jenem unterschied, den Delinquenten auf dem Weg zur Hinrichtung tragen.

Dorian würdigten sie dabei keines Blickes. Es schmerzte ihn etwas, dass Iria ihn zu ‚denen‘ dazugerechnet hatte. Er rieb sich seine unbedeckten Oberarme, auf denen die kalte Luft wie winzige Messer schnitt, und folgte ihnen.
 

Der Wind kam in steifen, jähen Böen, und die Temperatur schien in diesen Momenten noch mehr zu sinken.

Sie verebbten wieder, und dann fühlten sie die Wärme der Sonne, die über dem Gebirgsmassiv leuchtete. Dorian beschirmte seine Augen gegen ihre grellen Strahlen, und blickte immer wieder die steilen Felsflanken hinab, an denen sie der Pfad vorbeiführte.

Der Pfad war breit genug, dass drei Männer problemlos nebeneinander gehen konnten. Auch war an seinem Rand ein metallenes Geländer in den Fels geschraubt, der ein Abstürzen unwahrscheinlich machte. Aber trotzdem, oder vielleicht genau deshalb, übte dieser Abgrund eine magische Anziehungskraft auf Dorian aus. Er ging dicht neben dem Geländer, und manchmal blieb er stehen. Dann verlor sich sein Blick in den Felsschründen, den Schuttkaren und den Eiszungen, die wie Tiere wirkten, die während ihres Versuchs, diese Hänge zu erklimmen, eingefroren waren.

Nur mit Mühe riss er sich von den Tiefblicken los und lief seinen Wegbegleitern hinterher, die schon ein Stück voraus waren auf diesem sich die Bergflanke entlang schlängelnden Pfad. Er beschleunigte seine Schritte, woraufhin die dünne, kalte Luft ihm bald in den Lungen brannte. Durch seine zusammengepressten Augenlider erkannte er dann die anderen, die gesenkten Haupts gegen den Wind kämpften.

Von weitem erkannte Dorian Metallröhren, die aus der Öffnung im Berg ragten. Wie der Schlund eines erstarrten Ungeheuers zeichnete sich der Mineneingang vor ihnen ab. Die Röhren, von dünnem wie auch dickem Durchmesser und oft rostiger Farbe, wirkten wie Finger, die den Schlund von Innen auseinanderspreizten.

Er folgte ihnen mit den Augen, doch sie verloren sich in den wolkenverhangenen Tiefen unter ihnen.
 

Dorian legte den Kopf in den Nacken und blickte an die Minendecke empor. Der roh behauene Fels glitzerte im Sonnenlicht, das hier, beim Eingang, noch hinreichte. Bald ließen sie die wärmenden Strahlen hinter sich und drangen in das Innere des Berges vor.

Der Wind, der zuvor durch ihre Kleider geschnitten und auf der Haut geschmerzt hatte, blieb draußen. Aber ebenso die Sonne, die es zuvor noch vermocht hatte, ihnen in windstillen Momenten etwas ihrer Wärme zu schenken. So umhüllte sie nun eine sich kaum bewegende, gleichmäßig kalte wie auch feuchte Luft.

Neben ihnen verliefen die Röhren an den Minenwänden in das Innere des Berges. Mal in dicken Bündeln, dann wieder einzeln und von Zeit zu Zeit rätselhafte Maschinen erreichend, führten sie an den Wänden entlang gleich Wurzeln eines Baumes, der den Fels ausgehöhlt hatte. Dorian bemühte sich, sein Bibern zu unterdrücken, doch es gelang ihm ebenso wenig wie Nadim und auch Iria, die mit vorsichtigen Schritten Sarik in das Minensystem folgten. Brynja wie auch Hargfried schien in ihrer Kleidung nicht zu frieren. Beim Ausatmen bildeten sich bei allen kleine Wölkchen vor dem Mund.

„Wo müssen wir überhaupt hin?“ rief Dorian Sarik hinterher. Das darauf dutzendfach widerhallende Echo der Minenwände ließ ihn erschrecken.

„Einfach den Escutcheons nach“, antwortete dieser, der den Blick immer wieder auf seine Armschiene senkte. Dorian lief ihm im Licht der blauen Glasröhren, die alle zehn Schritte an den Wänden hingen und über dicke Kabel mit den Metallrohren verbunden waren, hinterher und schüttelte ärgerlich den Kopf. Sein Unmut kam weniger von der unklaren Antwort, sondern eher von der Ahnung, noch eine Weile an diesem feuchten Ort verbringen zu müssen. Die Minendecke, obwohl etliche Mannslängen über ihnen, schien sich mit jedem Schritt, den sie taten, weiter auf sie herabzusenken.

Das Gewicht des Felsens über ihm bekam spürbare Dimension für Dorian, und er wünschte sich nichts mehr, als möglichst schnell zu finden, weshalb sie hier waren und dann wieder umzukehren. Seine Bedenken, einem Dieb wie Ihresgleichen das Maleficium mit Gewalt aus den Händen zu nehmen, wurden von dem drückenden Gefühl, hier lebendig begraben zu sein, völlig verdrängt. Fast spürte er eine Angriffslust in sich, einen animalischen Instinkt, der jegliche Skrupel vertrieb und nur Flucht oder Kampf als Alternative gelten ließ.

Ohne das Maleficium würden sie nicht fliehen; so blieb nur eine einzige Möglichkeit.

„Was sind das für Apparate?“ hörte er Nadim fragen. Der Bursche hielt sich dicht an Iria und deutete auf eine Apparatur, zu der einige der Rohrstränge hinführten. Sie war zur Gänze mit einer dünnen Rostschicht überzogen und wirkte wie ein überdimensionierter Ofen zur Wärmegewinnung.

„Mit diesen Vorrichtungen wird das Erz gleich an Ort und Stelle raffiniert und über die Röhren ins Tal gebracht, wenn ich mich richtig erinnere“, erklärte Sarik. Nadim, dem es wohl mehr um den zuversichtlichen Klang seiner Stimme gegangen war als um die Auskunft, drückte sich noch dichter an Iria. Beinahe schien es, als wollte er durch diese Nähe seinen zuvor geäußerten Mangel an Mut wiedergutmachen.

Ihr Weg führte sie immer tiefer in den Berg. Das Mahlen des Felsriesen, in dessen Eingeweide sie eingedrungen waren, wurde zu einem drückenden Hintergrundgeräusch, das der Schwere, die auf ihnen lastete, eine hörbare Dimension verlieh. Die Luft wurde immer feuchter, und zeitweise zerriss ein Tropfen die Stille des Berges, die von dem andauernden Mahlen wie ein langgezogenes Atmen untermalt wurde.

„Und hier wurde das Maleficium geschaffen?“ fragte Brynja, deren skeptischer Blick über vor Feuchtigkeit glitzernde Minenwände tastete. Im Licht der blauen Glasröhren glänzten sie wie massiver Kristall.

„Der heilige York hat einige Zeit an diesem Ort verbracht“, antwortete Sarik. Dorian horchte auf und beobachtete ihn genau. „Die Kräfte der Erde und der Wesen, die in ihr wohnen, sind hier angeblich besonders gut zu spüren.“

„Ich spüre nur, dass es kalt ist“, warf Nadim ein, der sich kopfschüttelnd umblickte. Er wirkte auf Dorian, als habe er gerade festgestellt, in genau die falsche Richtung zu laufen. Dann ging sein Blick wieder zu Sarik und Brynja. Entweder ließ sie sich nichts anmerken, oder sie hatte den feinen Unterton in Sariks ausweichender Antwort nicht registriert. Dorian fröstelte es, aber sein alarmierter Zustand verdrängte diesen Gedanken gleich wieder.

Die Schächte wurden schmäler, und die Decke senkte sich im Laufe des Weges nun wirklich auf sie herab. Was vorher nur klaustrophobische Einbildung gewesen war, wurde beklemmende Wirklichkeit. Der natürliche Reflex, angesichts einer unsichtbaren, aber spürbar lauernden Gefahr die Bewegungen zu beschleunigen, ergriff sie alle, und bald hetzten sie im Laufschritt durch fahl beleuchtete, glitzernde Schächte, immer wieder auf ihre Escutcheons blickend.

Die Gewissheit, bald an das Ziel ihrer Reise zu gelangen, drang in ihre Gedanken ein, genauso wie sie selbst in diesen Berg eingedrungen waren und seinem Kern zustrebten.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  fahnm
2010-09-30T22:03:31+00:00 01.10.2010 00:03
Der Packt hält also nmicht mehr lange.
Bin mal gespannt was passieren wird.^^

mfg
fahnm


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