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Das Maleficium

von

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Sarik hielt sein Schwert in der Rechten, mit der Klinge nach hinten. Gefasst und abwartend wie ein Scharfrichter schritt er durch das Chaos. Sein gesundes Auge schwenkte über das Schlachtfeld, über das er sich mit vorsichtigen Schritten, wie über einen mit dünnem Eis überzogenen See, bewegte.

Er sah die Soldaten des Kaisers, die gegen die Übermacht ankämpften, und ihre Angreifer, vermummte Gestalten in sandfarbenen, abgerissenen Gewändern. Und er sah die Reisenden aus dem Zug, die mit von Todesangst erfüllten Gesichtern über dieses Schlachtfeld stolperten. Hinter sich spürte er bereits die zweite Hälfte ihrer Angreifer, die von der anderen Seite in den Zug eingedrungen waren und nun ihre Opfer vor sich hertrieben. Sie alle befanden sich unter dem kollabierten Kampfdom, der sie wie ein blau glühendes Gefängnis einschloss.

Sarik beobachtete, wie die Angreifer die verzweifelt sich wehrenden Soldaten niederrangen. Ebenso, wie Reisende aus dem Zug zwischen die Kämpfer gerieten und von schlecht gezielten Hieben getroffen wurden. Weder die mysteriösen Angreifer noch die Soldaten des Kaisers kümmerten sich um die Unbewaffneten in dieser Auseinandersetzung. Ein jeder von ihnen kämpfte nur für sich, für seine Haut, wie Tiere, für die es keine Flucht, sondern nur den Tod des Gegners oder den eigenen gab.

Aus dem Gewimmel um ihn herum löste sich eine Gestalt in sandfarbenen Fetzen, die sie völlig unkenntlich machten. Schreiend rannte sie auf Sarik zu und schwang ihr bereits dunkel beflecktes Schwert. Sarik stoppte abrupt. In seiner Brille spiegelte sich das erhobene Schwert seines Angreifers, das auf ihn niedersauste - und ebenso die Gestalt, die, von seinem Aufwärtshieb erfasst, zu Boden stürzte.

Sarik senkte die Klinge und spähte nach weiteren Angreifern. Aus dem Getümmel löste sich ein kaiserlicher Soldat, der ihn angesichts der Tatsache, dass Sarik keine Rüstung aus Galdoria trug, für einen Feind hielt.
 

Der Mann, auf dessen Rüstung Blutspritzer waren, schwang sein Schwert mit beiden Händen gegen Sarik. Dieser wich zurück, parierte die von blinder Wut geleiteten Hiebe und rief ihn an. Doch der Blutrausch im Verstand des Soldaten und der Lärm um sie herum schluckten alle Worte. Sarik fluchte lautlos und ging in die Offensive vor.

Mit wenigen Angriffen durchdrang er die Deckung des blindwütig kämpfenden Soldaten, um ihm dann die Waffe zwischen die Lamellen zu rammen, die seinen Unterleib schützen sollten. Sarik zog die Klinge aus seinem zu Boden gestürzten Gegner und ging sofort wieder in eine Verteidigungsposition.
 

Dorian sah, wie Brynja sich in das Gewühl stürzte. Der gesamte Platz vor dem Zug war eine einzige Arena, von blauleuchtenden Linien begrenzt. Von seiner Position aus konnte er kaum zwischen den Parteien unterscheiden. Schließlich hielt er es nicht mehr aus.

Indem er Brynjas Bewegungen imitierte, sprang er in derselben Weise vom Waggondach. Er fuchtelte mit den Armen, doch anstatt mit dieser Bewegung den Fall zu verlangsamen, so wie es bei Brynja geschehen war, kam der Boden immer schneller auf ihn zu. Dorian schrie und strampelte mit den Beinen. Letztendlich schlug er hart auf dem Boden auf.

Dorian rang nach Luft und blickte hoch. Sein Schwert lag einige Schritte entfernt, mitten zwischen den Beinen der Kämpfenden. Er schmeckte Blut im Mund und kroch auf allen Vieren los. Einmal stolperte jemand über ihn, und er hörte einen Schrei. Er wollte nur noch die Arme über dem Kopf verschränken, die Augen schließen und warten, bis alles vorbei war.

Doch er zwang sich, weiter zu kriechen. Sein Schwert, das wenige Schritte und gleichzeitig unendlich weit entfernt war, bot ihm einen Fixpunkt in dieser Hölle aus Schreien, Waffengeklirr und dem Röcheln Sterbender. In seiner Wahrnehmung kam er nur langsam voran, bis er endlich die Hand um den Schwertgriff schließen konnte. Erleichtert atmete er auf, als ob nun alles ausgestanden wäre. Dann trat ein Fuß auf die Klinge, die er anheben wollte.

Erschrocken blickte er hoch. Eine der Gestalten, die ihre Konturen mit weiten, sandfarbenen Gewändern verschleierten, blickte auf ihn herab. Das Gesicht hinter der Vermummung war nicht erkennbar. Mehr aus Reflex denn aus Überlegung wälzte Dorian sich herum und trat der Gestalt mit dem ausgestreckten Fuß zwischen die Beine. Ein gequältes Stöhnen erklang, die Gestalt sank zu Boden.

Dorian kroch weiter, das Schwert in der Hand. Sein Blick war zu einem Tunnel aus hektisch zurückweichenden Beinen und zu Boden stürzenden Kämpfern geworden, und so kroch er immer weiter, um so einen Ausweg aus dieser Hölle zu finden.
 

Hargfried stand am Geländer des letzten Waggons und überblickte das Chaos. Keiner der Angreifer schenkte diesem hintersten Waggon Beachtung. Hargfrieds Hände schlossen sich knirschend um das Geländer. Sein Gesicht wurde tiefrot bei diesem Anblick. Die Schreie, das Waffengeklirr, das Sterben- all das fachte seinen fiebernden Verstand an und ließ ihn die Kontrolle verlieren. In jedem der Kämpfenden sah er dasselbe Gesicht, dieselbe Fratze. Die Fratze eines Mörders; des Mörders seines Vaters.

Mit einer fließenden Bewegung schwang er sich über das Geländer und nahm sein Schwert vom Rücken. Seine Lippen zuckten, und seine Hand öffnete und schloss sich mechanisch. Das Bedürfnis nach Vergeltung wurde übermächtig und spülte den letzten Rest von Vernunft in ihm weg. Das kriegerische Chaos wirkte wie Funkenflug, der das ausgetrocknete Stroh seines Irrsinns in Brand setzte.
 

Dorian kam mit weichen Knien auf die Beine und drehte sich um. Er war bis an die Grenze des riesenhaften Kampfdoms gekrochen. Hinter ihm tobte die Schlacht.

Sein Blick glitt über die vielen Zweikämpfe und über die Körper, die am Boden lagen, hinweg. Unter ihnen erkannte er nicht nur die Soldaten des Kaisers und die vermummten Angreifer, sondern auch Menschen, die zu keiner der beiden Parteien gehörten. Er sah Menschen, die zwischen den Zweikämpfen umherirrten und immer wieder zurückwichen vor dem Unheil, das sie umzingelte. Er sah Kinder, die sich an ihre Eltern klammerten, und Familien, die aus Angst vor den Wänden des Kampfdoms zurückwichen, um daraufhin Opfer der Gewalt zu werden.

Dorian sah rasende Kämpfer auf beiden Seiten, die auf alles einhieben, das ihnen vor die Klinge kam. Kämpfer, die nur noch von ihrem Instinkt, der sagte ‚töten oder getötet werden‘, geleitet wurden, und keinen Unterschied mehr zwischen bewaffnetem Feind oder unbewaffnetem Opfer machten.

Unbändige Empörung machte sich in Dorian breit. Schließlich gelang es ihr, seine Angst zu verdrängen. Die Furcht um sein eigenes Leben wich in demselben Maße, wie er die Auslöschung fremden Lebens mit ansehen musste. Sein Griff um die Waffe festigte sich, und so ging er los.
 

Er näherte sich einer Stelle, an der sich besonders viele Unbewaffnete zusammendrängten. Ringsum sie tobte der Kampf. Dorian konnte ihre angsterfüllten Gesichter klar erkennen. Es kam ihm vor, als schreite er durch eine Hölle, deren Hitze ihn jeden Moment in Brand setzen könnte. Immer wieder zuckte er zusammen, wenn dicht neben ihm der Verzweiflungsschrei eines tödlich Getroffenen erklang. Jedes Mal duckte er sich dann unter dem Hieb, der einen anderen getroffen hatte.

Bei der Gruppe angekommen, sah er neue Bestürzung auf den Mienen dieser Menschen. Kinder vergruben ihre Gesichter in den Röcken ihrer bleich gewordenen Mütter. Unbewaffnete Männer hielten ihre Frauen an sich gedrückt; die Ohnmacht, die sie peinigte, sprach aus ihren Mienen. Dorians unsicherer Blick traf sie und danach seinen Escutcheon, dessen Scheiben grün flackerten.

„Ich tue euch nichts!“ sagte Dorian und verbarg sein Schwert, als könnte er sie damit beruhigen. „Glaubt mir, ich will nur- “

Er kam nicht weiter. Ein zurücktaumelnder Kämpfer stieß mit ihm zusammen und warf ihn zu Boden. Dorian wälzte den Körper von sich und sah das Blut, das nun alles bedeckte. Ungläubig starrte er auf seine Hand, die voll mit der dunklen Flüssigkeit aus dem Leib des Vermummten war, der ihn umgestoßen hatte. Dieser rührte sich nicht mehr.

Dorians Blick hob sich und traf den Soldaten, der mit seiner dunkel und nass glänzenden Klinge auf ihn zuschritt. Aus dessen Augen leuchtete die Lust am Töten, und der Blick dieser Augen tastete nun über Dorian und die Menschen hinter ihm.

„Ihr Hunde…!“ zischte der Mann und zitterte dabei. „Ich werde euch auslöschen, euch alle!“

Dann stürzte er sich auf sie.
 

Dorian, der immer noch zur Hälfte unter dem toten Körper lag, spürte einen kalten Schweißausbruch auf der Haut. Er starrte auf seinen Escutcheon, dessen Scheiben immer noch angingen und wieder verloschen. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf den Soldaten, der mit erhobenem Schwert auf ihn zustürzte.

In einer übermenschlichen Anstrengung wuchtete er den toten Körper wie einen Schutzschild hoch und hörte, wie die Klinge seines Angreifers diesen traf. Das Schmatzen dicht neben seinem Ohr erfüllte ihn mit Ekel. Eilig stieß er den Körper von sich. Der Soldat zog seine Klinge aus der Leiche, dann wandte er sich Dorian zu.

„Du verfluchter Hund, du erbärmlicher, ich werde dich töten!“ schrie er und setzte sofort nach. Dorian hob sein Schwert und kämpfte im selben Moment gegen den Impuls an, die Augen zu schließen. Die Wucht des Hiebes schmerzte ihn bis in das Schultergelenk, doch es war ihm keine Pause vergönnt. Mit vom Fieber des Kampfes beschleunigten Bewegungen drang der Soldat gegen ihn vor. Ein besonders starker Angriff schleuderte Dorian zu Boden. Der Soldat, der nun wenige Schritte entfernt stand, wandte sich den unbewaffneten Menschen zu, die sich inmitten dieses Unheils aneinander drängten.

Rasende Wut sprach aus seinen Augen, ebenso wie der außer Kontrolle geratene Wille, zu zerstören. Dorian sah ihn sein Schwert gegen die wehrlosen Menschen erheben, und genau in diesem Moment spürte er Hitze in sich hochwallen.

„Nein!“ schrie Dorian aus tiefster Kehle. Mit der Linken fasste er in den Sand und schleuderte eine Handvoll dem Soldaten entgegen. Etwas davon traf diesen in die Augen, was ihn ins Straucheln brauchte. Dorian sprang auf und rannte auf ihn zu. Mit der Schulter rammte er ihn nieder, und schon wälzten sie sich über den Boden.

Unfähig, die eigene Waffe gegen den Widersacher einzusetzen, rollten sie inmitten dieses Durcheinanders aus Schreien und Waffengeklirr durch den Sand. Der wesentlich schwerere Soldat errang die Oberhand und drückte ihn zu Boden. Dorian wehrte sich verzweifelt, und der Soldat versuchte, sein Schwert gegen ihn einzusetzen. Endlich bekam Dorian eine Hand frei und fasste dem Mann in seinen offenen Helm.

Seine Finger fanden die Augen und drückten zu. Der Mann schrie jämmerlich auf und wälzte sich von Dorian herunter. Atemlos kroch Dorian von ihm weg, doch der Soldat fing sich schnell wieder. Er hörte schon die Schritte hinter sich und das Klappern seiner Rüstung. Verzweifelt suchte Dorian sein Schwert, das er in dem Handgemenge verloren hatte. Er sah es- und rollte sich zur Seite, als er das Schwert des Soldaten auf sich nieder sausen hörte.

Sand stob empor. Dorian lag auf dem Rücken. Er sah zu dem Soldaten auf, dessen Klinge fußtief im Sand steckte, sowie den Escutcheon an dessen Schwertarm, auf dem ein und eine halbe Scheibe grün leuchteten. Der Soldat zog die Klinge heraus, woraufhin Dorian sich zurückrollte. Er landete auf den Knien, kurz nachdem sich das Schwert des Soldaten in den Sand bohrte, dort, wo er eben noch gelegen hatte.

Dorian bemerkte seine eigene Waffe, die genau neben ihm lag; er ergriff sie und stand auf.
 

Wieder standen sie sich gegenüber, diesmal mit gleichen Kräften. Beider Gesichter waren schweißüberströmt und glühten von der Hitze des Gefechts. Ringsum legte sich der Schlachtlärm, nur noch wenige leisteten gegen die Angreifer Widerstand. Dorian erkannte aus dem Augenwinkel seine Begleiter, die sich soweit wie möglich aus den Kämpfen heraushielten. Dann traf sein Blick wieder den Soldaten ihm gegenüber.

Dieser rannte schreiend los. Sein Gesicht war mit Blut besudelt, fremdem wie auch eigenem. Seine Schritte waren aber noch voller Kraft. Er schwang seine Waffe mit der Wut und der Verzweiflung, wie sie nur jemand aufbringen kann, der nichts mehr zu verlieren hat.

Dorian sah ihn auf sich zustürmen wie ein wildes Tier. Der Soldat hatte endgültig nichts Menschliches mehr an sich, und Dorian ahnte, dass er ihn jetzt zerschmettern würde. Auf seinem Escutcheon flackerten die Lichter immer noch unentschlossen. Die Schritte des zu einem Berserker gewordenen Soldaten näherten sich schnell. Endlich stoppte das Flackern der grünleuchtenden Scheiben auf Dorians Escutcheon.

Zwei blieben voll.
 

Aus Dorians Mund kam ein Schrei. Nun rannte er ebenfalls los, wobei jeder seiner Schritte Sand aufwirbelte.

Wie zwei kollidierende Züge rasten sie aufeinander zu. Der Soldat holte im Laufen aus. Dorian erkannte die Bewegung rechtzeitig und machte eine entgegengesetzte. Die Waffe des Soldaten traf seine; doch sein Schwung war zielgerichteter und lenkte sie ab. Dorian schlug die Waffe zur Seite, drehte sich um seine eigene Achse herum, wendete währenddessen die Klinge in seinen Händen, und stieß sie mit aller Kraft nach hinten.

Der Soldat hing in seinem Rücken. Dorian spürte, wie sein Leib erschlaffte. In einer schwungvollen Bewegung zog er die Klinge aus seiner Brust, woraufhin der Soldat zu Boden sank. Dunkle Flüssigkeit tränkte den sandigen Boden. Der Kampf war zu Ende.
 

Dorian starrte noch einen Moment auf den Soldaten, dem er die Klinge in die Brust gerammt hatte, dann lief er zu den anderen.

Atemlos gelangte er zu Sarik und Brynja, die Rücken an Rücken inmitten dieses nun zur Ruhe gekommenen Schlachtfeldes standen. Dorian wechselte einen Blick mit den beiden; doch sie erwiderten seinen Blick, aus dem ein gewisses Triumphgefühl leuchtete, mit unübersehbarem Argwohn. Dorian schüttelte den Kopf, und in seinem Überschwang wollte er schon fragen ‚Wir haben doch gewonnen?‘ Sarik deutete mit dem Kinn in eine Richtung. Da sah er es.

Der Kampf war vorüber, ohne Zweifel. Der sandige Boden war bedeckt mit toten Körpern. Es waren hauptsächlich Soldaten des Kaisers, deren einst glänzende Rüstungen nun mit ihrem eigenen Blut besudelt waren. Auch waren einige der vermummten Angreifer unter den Leichen, und Dorian erkannte ebenso unbewaffnete Reisende, die zwischen die Fronten geraten waren und nun tot im Sand lagen.

Er sah auch, wie sich die blauen Linien, die den gesamten Platz vor dem Zug überspannten, auflösten. Das Licht des Sonnenaufgangs traf den Schauplatz nun wieder ungefiltert. Die Überlebenden aus dem Zug liefen den Geleisen entlang weg und flohen so. Schließlich bemerkte er die Übermacht, die sie umzingelte.

Auch wenn einige aus ihren Reihen gefallen waren, so waren es immer noch mehrere Dutzende der vermummten Kämpfer, die sie in einem dichten Kreis umschlossen hielten. Es waren Reihen gleichartig aussehender Kämpfer, die alle dieselben sandfarbenen Tücher vor dem Gesicht trugen. Dann hörte er einen Schrei, auf den hin sie sich alle gleichzeitig umdrehten.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  fahnm
2010-06-14T23:04:07+00:00 15.06.2010 01:04
Oh weh wer da wohl Schreit?
Bin schon sehr gespannt!^^


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