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Das Maleficium

von

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Das Bild einer längst vergangenen Welt, das Sariks leise, aber eindringliche Stimme vor ihm erstehen ließ, füllte sein Gesichtsfeld völlig aus. Erst als er verstummte und die Erzählung scheinbar zu Ende war, wurde Dorian sich wieder dem beständigen Rattern der Schienen unter dem Waggon bewusst.

„Das ist… faszinierend. Aber wo will er hin?“

Sariks Blick ging durch Dorian hindurch. Erst einige Augenblicke später reagierte er auf diese Worte, als hätte er ihn damit jener Welt entrissen, von der er erzählt hatte.

„Wen meinst du?“

„Na, der… der Typ, wer immer das war. Der jetzt das Maleficium hat.“

Sarik seufzte langgezogen; dabei glitt seine Hand über das Schwert auf seinem Schoss, wie um sich von dessen Gegenwart zu überzeugen.

„Die Macht des Maleficium hat bereits Kriege beeinflusst, aber sie wurde nie gänzlich entfesselt. Der heilige York selbst hat sie zu fürchten begonnen, nachdem er sich ihrer Tragweite bewusst wurde, so sagen die Chroniken der damaligen Zeit. Deshalb galt seine Mühe nach der Fertigstellung dem Zweck, die darin gebannte Macht zu ‚verschlüsseln‘, wenn man so will.“

„Sie meinen, man kann sie nicht einfach benützen?“ fragte Dorian, dessen Neugierde noch weiter angefacht wurde.

„Das, was wir in der Schatzkammer erlebt haben und mit unseren Escutcheons passiert ist, war nur eine Ahnung seiner eigentlichen Macht. Der Senat von Urakand war im Besitz alter Aufzeichnungen, die angeblich vom heiligen York selbst stammen sollen… Auch wenn die Gelehrten gemeinhin glauben, es wären keine mehr erhalten.“

Dorian beobachtete Sarik genau. Seine Stimme, bis jetzt ruhig, aber eindringlich, sanft, jedoch nicht ohne Festigkeit, wurde bei den letzten Wörtern unsicher, als wären diese nicht an einen Zuhörer gerichtet, sondern würden eine Frage an ihn selbst darstellen.

„Und in diesen Aufzeichnungen stand etwas über das Maleficium?“

„Es wurde etwas gestohlen, vor kurzem erst. Es soll mit dem Maleficium und seiner ‚Erweckung‘ zu tun haben…“, sprach er weiter, ohne auf die Frage zu achten, und seine Stimme wurde dabei immer leiser, als entfernte sie sich mitsamt seinen Gedanken von der Gegenwart.

„Hat dieser Typ sie etwa nun?“ fragte Dorian in einem ungehaltenen Ton. Es missfiel ihm sichtlich, dass Sariks Ausführungen in ein Selbstgespräch abdrifteten.

„Wer? Nun… Das weiß ich selbst nicht genau“, antwortete Sarik. Es wirkte für Dorian, als wüsste Sarik selbst nicht, welcher der beiden Fragen diese Antwort galt. In den Momenten danach blinzelte Sarik auffallend oft, sodass Dorian das Gefühl nicht loswurde, dass ihm die Richtung, die dieses Gespräch nahm, nicht behagte. Als ob sie ihn auf dünnes Eis führen würde…

„Was glauben Sie, was dieser Typ jetzt vorhat? Will er es vielleicht auf dem Schwarzmarkt verkaufen?“ fragte Dorian weiter, aus dem nun wieder der geschäftstüchtige Dieb sprach.

„Das sicher nicht. Ich weiß nicht genau, welche Aufzeichnungen vom heiligen York nun erhalten sind, aber wenn der Dieb sie hat, dann weiß er, oder hat zumindest eine Ahnung, wie er das Maleficium ‚erwecken‘ kann. Meine Vermutung ist, dass er auf dem Weg zu einem Ort ist, der damit zu tun hat.“

„Sie wissen es nicht genau?“ fragte Dorian. Erstaunen machte sich in ihm breit, und ein Gedanke drängte sich in den Vordergrund. Sarik blickte ihn scharf an, und die Finger seiner Hand, die auf seiner Waffe ruhte, zeigten nervöse Bewegungen. „Ich dachte, es wäre Ihr Auftrag, dieses Ding zurückzuholen.“

„Das ist er auch. Ich werde ihn erfüllen, keine Sorge“, erwiderte er eilig. Dann erhob er sich und öffnete die Abteiltür. „Ich brauche frische Luft. Ruh dich besser aus, unsere Reise hat erst begonnen.“

Dann schloss er die Tür hinter sich. Dorian blickte ihm noch eine Weile nach, und der Impuls, ihm zu folgen, wurde wach in ihm. Er tat es aber nicht, denn er spürte deutlich in seinem Auftreten, dass Sarik nichts daran lag, dieses Gespräch weiterzuführen.

Der Gedanke ließ ihn jedoch nicht los. Dorian zog die Beine an den Körper und umklammerte sie. Sein Blick ging wieder aus dem Fenster, an dem eine einförmige Landschaft aus grünen Ebenen und dunklen Wäldern am Horizont vorbeizog. Obwohl Dorian ihm nicht viel Beachtung schenkte, wuchs dieser Gedanke hinter seiner Stirn heran und gewann an Kontur.

„Wenn es sein Auftrag ist, das Maleficium zurückzuholen…“, sagte er sich leise vor, „warum weiß er dann so wenig über so wichtige Sachen… wie diese Aufzeichnungen?“

Der Gedanke wuchs, verdichtete sich, entglitt aber seinen Händen jedes Mal im entscheidenden Moment. Das Vertrauen, das Sarik bis jetzt in ihm hervorgerufen hatte und das Dorian sich selbst gegenüber eigentlich nicht recht begründen konnte, wehrte sich gegen diesen Gedanken. In der verrückten Welt, in der er gelandet war, stellte Sariks ruhige, gefestigte Erscheinung den einzigen Ruhepol dar. In dieser Welt, die aus Leuten bestand, die er entweder kaum kannte oder die verrückt waren, und die wie er auf der Flucht vor einer Macht und auf der Suche nach einer anderen, vielleicht noch größeren, waren.

In diesem Chaos war es Sarik, der mit seiner Besonnenheit, die keinerlei Zweifel an ihrem Weg vermuten ließ, die einzige Konstante. Doch dieser Gedanke, den er so schwerlich loswurde… Er stellte dies alles in Frage. Es gelang Dorian nicht, diese Mosaiksteine zusammenzusetzen. Ein leerer Platz blieb, und diese Leere verunsicherte ihn.

Das viele Nachdenken machte ihn müde, und das gleichmäßige Rattern der Schienen unter dem Zug, zusammen mit dem gleichförmigen Panorama vor dem Fenster, ließen seine Lider schwer werden. Er schloss die Augen; der ungewohnt weiche Sitz unter seinem Hintern tat das Übrige. Dorian schlief ein.

Das gleichmäßige Rattern der Schienen vereinte sich mit dem Rauschen in seinen Ohren zu einer betäubenden Melodie, die die Hintergrundmusik zu dem einsetzenden Traum bildete. Wieder waren es Erinnerungen, die in undeutlichen, vagen Fetzen an ihm vorbeizogen. Bald jedoch klarten sie sich, und von da an zeigten sie nur mehr seine letzten bildhaften Gedanken vor dem Einschlafen, nämlich die Schatzkammer unter dem Kaiserpalast, wo alles begonnen hatte.

Erneut hatte er die Szene vor Augen, wo der Unbekannte das Maleficium öffnete, wo die furchteinflößenden Erscheinungen die Schatzkammer überfluteten wie eine Armee aus der Hölle. Und er stand wieder genauso wie damals da, in geringer Entfernung, unfähig zur Flucht oder einer anderen Bewegung. Die Schemen und Gespenster, die das Maleficium damals ausgespien hatte, sie rollten auf ihn zu wie eine Welle aus greifbar gewordener Angst, wie eine Sturmflut aus schreienden und hämisch grinsenden Dämonen…
 

Durch hohe, schmale Fenster fiel Licht auf Gildensterns gebeugten Kopf, wodurch sein hellblondes Haar weiß wie Asche erschien. Diese Fenster machten deutlich, dass sie nicht um der Aussicht willen angelegt waren, und die Person, die diesen Arbeitsraum nutzte, war auch in diesem Moment alles andere als geneigt, den Blick über die Silhouette der Stadt Galdoria schweifen zu lassen.

Stattdessen war Jan Gildenstern in seine Papiere vertieft, über dessen Zeilen seine schmalen Augen tasteten. Er überprüfte die Dienstpläne der Palastwache, deren Vorstand er innehatte. Für gewöhnlich leiteten erfahrene Offiziere ihren Dienst, und er als Berater des Kaisers hatte diesen Posten mehr aus repräsentativen Gründen. Doch nun studierte er, von einem im Hintergrund seines Verstandes lauernden Zweifel dazu angeregt, die Dienstpläne der letzten Woche.

Dieser Zweifel verfolgte ihn seit jenem Tag, an dem die kaiserlichen Agenten das Maleficium aus dem Regierungsgebäude von Urakand, der Hauptstadt von Mosarria, entwendet hatten. Gildenstern erinnerte sich, dass diese Tat im höchsten Maße riskant gewesen war. Die für diesen Zweck abgestellten Soldaten waren erfahrene, vor allem aber überaus loyale Männer gewesen, die bei einer Ergreifung eher den Tod als einen möglichen Verrat ihrer Sache in Betracht gezogen hätten.

Auch hatten sie bei ihrer Unternehmung die ‚Hilfe‘ auswärtiger Söldner und Diebe in Anspruch genommen, wie Gildenstern wusste. Es sprach für ihr strategisches Geschick, dachte Gildenstern seither öfters, dass sie jene auswärtigen Helfer das Hauptrisiko hatten tragen lassen. Niemand von den Männern des Kaisers war es schwer gefallen, deren Leben für diese Unternehmung ohne Zögern zu opfern.

Aber dieser eine Verdacht ließ Gildenstern nicht los, er verfolgte ihn bis in seinen Schlaf. Alle Gespräche mit dem Kaiser, die diesen Verdacht hätten entkräften sollen, hatten ihn stattdessen nur bestärkt. Jetzt saß er an seinem Schreibtisch, in seinem karg und zweckmäßig möblierten Arbeitsraum, und studierte die Dienstpläne der Palastwache, einschließlich dem jener Nacht, in der das Maleficium entwendet worden war. Ein quälender Selbstvorwurf wurde in ihm wach, dass er neben seinen Pflichten und Aufgaben als kaiserlicher Berater dem Tun der Palastwache nicht mehr Beachtung als bisher geschenkt hatte.

Stück für Stück fügte er das Mosaik zusammen, und das Ergebnis erschütterte ihn. Ihn, der sonst kaum eine Gefühlsregung verriet, der immer beherrscht und kühl agierte, ihn schockierte das, was er herausfand. Es ergab keinen Sinn- strenggenommen ergab es sehr wohl einen Sinn, aber keinen, der in sein bisheriges Weltbild passte. Abermals studierte er mit zusammengekniffenen Augen den Dienstplan und registrierte jene subtile Änderung, die zu einer bestimmten Zeit ein Fenster in der Bewachung des Palastes geöffnet hatte. Und zwar zu jener Zeit, in der die Diebe in das Gebäude eingedrungen waren, um das Maleficium zu entwenden.

Im Geiste legte er sich bereits eine drakonische Strafe für den damals diensthabenden Offizier, Major Bruckstein, zurecht. Einen Moment lang erwägte Gildenstern sogar eine Hinrichtung, änderte seine Gedanken aber in eine Versetzung an die Kriegsfront, wo ein unfähiger, aber tapferer Mann dem Reich nützlich sein konnte. Und doch wunderte es ihn, wie ein langgedienter Offizier eine derartige Änderung im Dienstplan hatte akzeptieren können, die so eindeutig den Schutz des Palastes zu jenem Zeitpunkt vermindert hatte.

Dann wanderte Gildensterns Blick ganz nach unten, an die Stelle, an der das Siegel des Unterzeichnenden prangte. Für gewöhnlich befand sich sein eigenes dort, das ein Beamter in seiner Vertretung auf dieses förmliche und ewig gleiche Dokument setzte- doch es war nicht da. Er sah stattdessen ein anderes Siegel, das die Absegnung des Dienstplanes gültig machte.

Das Siegel des Kaisers, Modestus des Dritten.
 

Gildenstern richtete sich auf, wobei sein Mund offen stehenblieb. Er blinzelte ungläubig und machte ein Gesicht, als hätte das Stück Papier vor ihm begonnen, ihn auszulachen.

„Das ist- “ Die Worte blieben ihm in der Kehle stecken. Ein Klopfen an der Tür riss ihn aus seiner Erstarrung. „Herein“, rief er mit heiserer Stimme und rang um seine Fassung. Ein Mitglied der Palastwache trat durch die nur halbgeöffnete Tür ein. Mit einem Fuß blieb er auf der Schwelle; es war offenkundig, dass dieser Soldat Respekt davor hatte, sie zu überschreiten.

„Ich bedaure zu stören…“, begann die in die kaiserlichen Rüstungsteile gehüllte Gestalt zaghaft, „Sean Hardy ist eingetroffen. Ihr habt ja befohlen, von seiner Ankunft- “

„Ja, ja, das ist in Ordnung, Leutnant“, sagte Gildenstern und klappte die Unterlagen vor sich zu. „Ich komme unverzüglich.“
 

Jan Gildenstern ging mit weiten Schritten durch die Korridore des Palasts. Die kaiserlichen Wachen machten bei seinem Vorübergehen die üblichen Gesten der Ehrerbietung, doch anders als sonst erwiderte er diese Gesten heute nicht.

Seine Gedanken, die er hinter seiner wie immer gefassten, beinahe starren Miene verbarg, tobten. Immer wieder sah er das Siegel des Kaisers vor sich, und nun wunderte ihn so manches nicht mehr. Er selbst hätte als einfacher Soldat der Palastwache eine direkte Order vom Kaiser nicht hinterfragt, und sei sie auch noch so widersinnig. Auch, dass eine ganze Gruppe von Dieben es unerkannt bis in den innersten Bereich der Schatzkammer geschafft hatte, erschien ihm in einem anderen Licht.

Unverständnis und Zorn regten sich in ihm; dazu kam das Bedürfnis, den Kaiser mit diesem Papier zu konfrontieren, das seine Mithilfe an dieser Tat dokumentierte. Diese Entdeckung erzürnte ihn auf eine Weise, wie er es nicht kannte. Es erzürnte ihn so, wie ein einfacher Bauer darüber in Rage geraten muss, dass seine gesamte Ernte vernichtet daliegt, während das Wetter doch die ganze Zeit strahlend schön gewesen war.

Es ärgerte Gildenstern auf eine subtile Weise, wie eine ausgeklügelte Foltermethode. Weil er es nicht verstand und sich alles in ihm gegen die Erkenntnis wehrte, dass sein eigener Kaiser das Land- Gildensterns Land!- in den Abgrund stieß, deshalb schüttelte er nun den Kopf und presste die Augenlider zusammen, während er dem längst bekannten Weg in die Gewölbe des Kaiserpalastes folgte.

Dies waren die einzigen physischen Zeichen seiner Wut, die er sich gestattete. Er rief sich selbst zur Mäßigung, und auch den Plan, den Kaiser zu konfrontieren, verwarf er wieder. Für Jan Gildenstern gab es genau zwei Kategorien von Dingen auf dieser Welt: Zur Ersten zählten jene, die seinen Zielen, also dem Wohl von Galdoria, dienlich waren. Zur Zweiten zählten der Rest, wie das Land Mosarria, das sein Land mit Krieg zu überziehen drohte. Seinen Kaiser, Modestus den Dritten, hatte er bis dahin nicht zu dieser zweiten Kategorie gezählt.

Mit eiligen Schritten lief er die Treppe aus rohen Mauersteinen hinab. Die Luft wurde allmählich feuchter, was die Nähe zum Kanalsystem verriet. Mit der Luft kühlten sich auch seine Gedanken ab, und eine Überzeugung reifte in ihm. Seit damals, als er die Thronfolge eingeleitet hatte, war Gildenstern überzeugt gewesen, dass Modestus ein guter Kaiser sein würde. Mit anderen Worten: Ein beeinflussbarer Kaiser. Und kein Kaiser, der überzeugt war, seine Macht von irgendeinem Gott selbst empfangen zu haben und somit unfehlbar in seinen Entscheidungen zu sein.

Damals hatte Gildenstern dieses Problem gelöst. Aber er hatte nicht damit gerechnet, dass eines Tages dieser sensible und oft sehr nachdenkliche junge Mann zu einem ähnlichen Problem würde werden können. Die gleichförmigen Gemäuer, die in das Innere der Schatzkammer führten, zogen an ihm vorbei, doch Gildenstern achtete ihrer nicht. Er hätte diesen Weg selbst blind gefunden, mit derselben Sicherheit, mit der er auch all seine Entscheidungen traf. Wie auch diese jetzt.
 

Die zwei Palastwachen salutierten, als Gildenstern die Schatzkammer betrat. Von weitem sah er bereits den Mann, dessen Ankunft er erwartet hatte. Sean Hardy war nicht nur ein hervorragender Schmied, sondern auch ein Experte, was jene Energie betraf, die in den Escutcheons wirkte. Er war wegen seiner Kenntnisse auch an der Entwendung des Maleficium beteiligt gewesen.

Gildenstern hätte ihn gern unter den Personen gewusst, die dem Maleficium seine Geheimnisse entlocken hätten sollen, aber der Kaiser hatte andere Gelehrte für diese Untersuchung eingeteilt. Damals hatte Gildenstern zu diesem Detail nur beiläufig genickt, doch jetzt erst wurde er sich diesem ersten Anzeichen des Verrats bewusst. Er schluckte den abermals aufwallenden Ärger hinunter und begrüßte seinen alten Freund.

„Sean… Ich freue mich, dass du so schnell gekommen bist.“

Sean Hardy, ein Mann in etwa demselben Alter wie Gildenstern, drehte sich um. Er trug grobe Kleidung und einen schlichten Brustharnisch unter seiner zerschlissenen Weste. Alles an ihm sah nach einem Schmied aus und weniger dem Experten für Kriegsführung und Nahkampf, der er ebenso war.

„Keine Ursache. Ich habe schon mal angefangen“, sagte Hardy und deutete auf die Gerätschaften, die er hier, im Innersten der Schatzkammer, aufgebaut hatte. Es waren dies diverse Apparaturen mit kleinen Glühdrahtlampen und Skalen, auf denen Nadeln hin und her sprangen.

„Ich bin dir verbunden.“ Gildenstern ließ den Blick über die Apparate schweifen. Er sah sie jedoch nicht wirklich, sondern erinnerte sich in diesem Moment an die Zeitspanne, die er Sean Hardy schon kannte. Gemeinsam hatten sie damals die kaiserliche Heeresakademie absolviert, um für kurze Zeit in der Armee zu dienen.

Doch ihre Wege hatten sich bald getrennt. Gildenstern war sich schnell bewusst geworden, dass ihn sein Weg an den kaiserlichen Hof und in die höchsten Kreise führen würde, während sein Freund, mit dem er damals Seite an Seite als junger Soldat im großen Krieg mit Mosarria gekämpft hatte, weniger hochtrabende Ambitionen gehabt hatte. Die Kunst, die hinter der Herstellung von erlesenen Waffen und den allgegenwärtigen Escutcheons steckte, hatte Sean Hardy schon immer mehr fasziniert als die Macht über andere Menschen.

Es gab nur wenige Menschen, denen Jan Gildenstern vorbehaltlos vertraute. Aber Sean Hardy gehörte zu ihnen. Deshalb hatte er ihn an den Vorbereitungen für die Entwendung des Maleficium beteiligt und auch für dessen Untersuchung vorgeschlagen. Aus demselben Grund hatte er ihn nun rufen lassen, anstatt sich an jemanden aus dem unmittelbaren Kreis um Modestus zu wenden.

„Wie kommst du voran?“ fragte Gildenstern. Bei all den Erinnerungen an ihre Vergangenheit huschte ein Lächeln über sein Gesicht, was nicht oft vorkam.

„Die Signaturen der Energieeinheiten sind zwar schon ziemlich schwach, aber ich denke, ich kann sie zurückverfolgen“, antwortete Hardy, der sein von einem Backenbart und nur leidlich gepflegtem, braunem Haar gesäumtes Gesicht auf ein Gerät in seiner Hand und danach auf Gildenstern richtete.

„Den Weg, den sie genommen haben? Oder auch den, den sie gekommen sind?“

„Beides“, antwortete Hardy und lächelte dabei vergnügt. „Du willst wohl wissen, woher die Diebe stammen?“

„Ja, auch das“, erwiderte Gildenstern und atmete tief durch dabei. Einen Moment lang erwägte er, seinen Freund in seinen Erkenntnisstand einzuweihen, doch dann verschob er dies auf einen späteren Zeitpunkt. „Wichtiger ist allerdings, welchen Weg sie genommen haben.“

„Der Kaiser hat sicher schon die Suche einleiten lassen.“ Hardy drehte an den Rädern des Apparates, den er in der Hand hielt. Nun entwich dem Gerät ein Pfeifton, der anschwoll und wieder verklang.

„Allerdings“, antwortete Gildenstern und verzog das Gesicht. „Ich möchte aber etwas in eigener Sache unternehmen.“ Hardy hob den Kopf und runzelte die Stirn, als warte er auf etwas, das diesen Satz vervollständigen könnte. Gildenstern schwieg aber und vermied es, ihn hier, innerhalb der Palastmauern, in seinen Plan einzuweihen.

„Ah?“ rief Hardy plötzlich aus. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen und studierten die Anzeige auf dem Gerät. Dabei lächelte er über eine ebenso unerwartete wie angenehme Überraschung.

„Gibt es schon ein Ergebnis? Kannst du mir sagen, welches Ziel sie haben?“

Gildenstern fragte mit drängendem Ton in der Stimme, zugleich aber betont leise, als würde er annehmen, dass er innerhalb dieser Mauern nicht mehr frei sprechen konnte.

„Nun, ihr Ziel kann ich nicht sagen. Sehr wohl aber die Richtung und- sollten die Signaturen noch intakt sein- den weiteren Weg.“

„Kannst du auch sagen, von wo sie kamen?“ fragte Gildenstern mit hörbarer Ungeduld. Dabei verzog er das Gesicht, als würde er sich der Gefühlregung schämen, die ihm sonst so selten anzusehen war.

„Ich kann ihre Spuren zurückverfolgen, ein kurzes Stück aber nur. Es ist, wie zu erwarten. Das Maleficium hat ihre Escutcheons verändert. Es wird nicht allzu schwer sein, ihrem weiteren Weg zu folgen. Aber ihre Herkunft zu bestimmen, wird nicht einfach.“

„Versuch dein Bestes“, sprach ihm Gildenstern aufmunternd zu und klopfte ihm dabei auf die Schultern. „Einstweilen stelle ich einen Trupp zusammen.“

Er wollte sich schon abwenden, als ihn Hardy noch einmal ansprach. Seine Stimme hatte dabei einen leicht nervösen, fast schon bedrückten Klang.

„Und der Kaiser? Es wird ihn interessieren, vermute ich.“

Gildenstern drehte sich um. Seine Worte waren gefasst, aber aus seinen Augen sprach eine gefährliche Kälte.

„Modestus wird alles erfahren, was für ihn notwendig ist.“

Die Kälte in seinem Blick legte sich etwas, und er nickte seinem Freund zu. Dann verließ er eiligen Schrittes die Schatzkammer.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  fahnm
2010-05-25T23:16:59+00:00 26.05.2010 01:16
Klasse Kapi!^^
Freue mich schon aufs nächste!^^
Super geschrieben!

mfg
fahnm


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