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Das Maleficium

von

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Der Boden löste sich von Dorians Füßen, die Schwerelosigkeit ergriff seinen Körper. Sie zog ihn mit sich, tauchte ihn ein in einen Vorhang aus glänzendem Wasser, und die ganze Welt stellte sich auf den Kopf. Er verlor seine Freunde und den fremden Mann aus dem Blickfeld, das ausgefüllt wurde von Licht und Schatten, immer abwechselnd; feuchte Finger tasteten dabei über sein Gesicht und in seine Kleidung.

Er konnte aber das Schreien seiner Freunde hören, und auch er wollte schreien, doch die feuchten Finger tasteten in seine Kehle, und so blieb sein Schrei stecken. Das Entsetzen des Fallens wurde ersetzt von der Furcht, zu ertrinken, zu ersticken an den feuchten, kalten Fingern, deren Griff sich nur langsam lockerte- bis er einen harten Schlag spürte.

Der Schlag traf seinen gesamten Körper zugleich und schmerzte ihn besonders in der Schulter des rechten Arms, dessen Hand sich immer noch um den Griff des Schwertes verkrampfte. Und auch jetzt konnte sie es nicht loslassen, als läge in diesem leblosen Gegenstand die Rettung aus dieser Lage. Er strampelte mit den Beinen dem trüben Licht entgegen, das durch die Wasseroberfläche brach, doch die Strömung zerrte an seinem Körper und seiner Kleidung, und trieb ihn fort.

Unter ihm war alles dunkel, über ihm aber war das trübe Licht, das nicht näher zu kommen schien. Er sah niemanden um sich herum, und die Luft in seinen Lungen wurde schal und säuerlich. Seine Beine schlugen noch heftiger aus. Er wünschte sich, er könnte das Schwert loslassen, dessen Gewicht ihn mit sich zog, doch er konnte das nicht, er konnte genauso wenig verhindern, dass sich ein dunkler Schleier um seine Gedanken legte, bis er letztendlich den Druck und die Enge in seinen Lungen nicht mehr spürte-
 

Hargfried kämpfte tapfer, geradezu entfesselt, und legte all seine Energie in die Hiebe. Weitere Soldaten fielen unter seinen Angriffen, doch noch mehr strömten nach; die Kraft rann aus seinen Armen wie Sand aus einer Sanduhr.

Die ihm entgegentretenden Palastwachen bildeten eine Phalanx, die ihn immer näher an die Öffnung drängte. Schon stand er nur noch drei Schritte vor dem Abgrund, in welchem das Wasser des Kanals in die Tiefe fiel.

Mit einem gellenden Schrei führte er einen Halbkreishieb aus, der die Soldaten zurückweichen ließ und ihm einen Moment zum Atmen verschaffte. Mit fahrigen Bewegungen drehte er sich um, und sein Blick tastete über die fernen Baumkronen, die man von der Öffnung aus sehen konnte.

„Vater!? Warst das du?“ schrie er in den Abgrund. Die Soldaten sahen sich an und zögerten. Hargfrieds Brust begann zu zittern, ein Schluchzen stieg in ihm hoch. Der Schrei von eben hallte in seinem Kopf wieder und rief eine verschüttete Erinnerung wach. Hinter seinen Augen flimmerten Bilder, schreckliche Bilder, von einem Salon voller Blut, von sterbenden Menschen, deren Schreie anklagend durch die Gänge der Burg hallten und die ihn in den Wahnsinn trieben- die Schreie seines Vaters…

„Vater, ich rette dich!!“ brüllte er mit brüchiger Stimme, bevor ihn die Palastwachen ergreifen konnten. Dann stürzte er sich in die Tiefe.
 

Die Wände zogen an ihm vorbei, wie vorüberhuschende, stumme und zugleich schreiende Zeugen, die alles gesehen hatten.

Scavo sprang über die leblosen Körper hinweg, als wären sie Baumstämme in einem finsteren Wald. Er ließ die Schatzkammer hinter sich, die wie ein zu Asche zerfallendes Stück Papier aus seinem Bewusstsein schwand. Das Maleficium in dem Beutel auf seinem Rücken lenkte von nun an alle seine Schritte.

Das tropfende, kalte Gewölbe erschien in seinem verengten Blickfeld wie ein tiefer Schlund, wie der Rachen eines mythischen Leviathans, der seine Opfer verschlingt und auf eine endlose Reise durch seine Eingeweide schickt.

Die Last auf Scavos Rücken zerrte und zog an ihm, aber nicht zu Boden, sondern einem Ziel entgegen, in dessen Richtung diese Macht, der er sich ergeben hatte, ihn zwang. Sie verlieh seinen Füßen die Schnelligkeit des Windes und fachte das sehnsuchtsvolle Feuer in seinem Inneren immer weiter an.

Gemäuer voller düsterer Gemälde, farbloser Wandteppiche und glänzender Kristallleuchter säumten seinen Weg. Wie glühende Hagelkörner auf nackter Haut, so fühlten sich all die Eindrücke für ihn an. Gestalten in Rüstungen schwenkten Waffen, die in seinem Sichtfeld wie Grashalme im Wind hin und her tanzten, und versperrten ihm den Weg.

Scavo erhob seine Stimme, die er selbst nicht hörte, und seine zu einer Klaue verkrampfte Hand, die er nicht mehr spürte. Das Maleficium, das in seinem Rücken wie ein glühender Metallklumpen brannte, entfaltete seine Kraft. Dessen Energie durchströmte seine Knochen, höhlte sie aus wie versengende Glut und trat an seinen Fingerspitzen aus, die sich wie in heiße Asche getaucht anfühlten.
 

Die Wachen stürzten zu Boden oder wichen an die Wände zurück, als sich die Erscheinung ihren Weg durch die Korridore des Palastes bahnte. Eingehüllt in erstickenden Nebel, wirkte sie wie ein dampfender Kugelblitz, wie ein Phantom aus der Unterwelt. Die Wachen, die von seiner vergiftenden Ausstrahlung nicht gleich zu Boden gestreckt wurden, ließen ihre Waffen fallen und drängten sich an die Wände.

Ihre Körper zitterten, aus ihren zusammengekniffenen Augen flossen Tränen der Verzweiflung, als sie die Gegenwart des Todes spürten, der an ihnen vorbeischritt wie eine Wolke aus Grabesgeruch. Die Furcht grub tiefe Gräben in ihre Seelen, die sich erst langsam wieder mit dem Gefühl, noch lebendig zu sein, füllten, nachdem die Erscheinung an ihnen vorbei war und den Palast verlassen hatte.
 

Die Morgendämmerung legte einen trübroten Schleier über die erwachenden Gebäude der Stadt, über die wenigen bereits schaffenden Seelen und über alle, die diesem Morgen schon bald mit neuem Mut begegnen würden. Doch einige wenige von denen, die schon auf den Beinen waren, verließ jeder Mut, als sie einer gespenstischen Erscheinung begegneten, die sich wie eine unheilschwangere Gewitterwolke an ihnen vorbei bewegte.

Die ganz wenigen, die es wagten, den Blick direkt auf diese Erscheinung zu richten, sanken, von der Angst und dem Entsetzen gelähmt, die diese Erscheinung in ihre Seelen pflanzte, zu Boden. Dabei erahnten sie eine menschlich anmutende Gestalt im Zentrum dieser wandelnden Rauchsäule aus greifbar gewordenen Drohungen.
 

Die Wachen am Westtor spürten die Annäherung einige Momente vor ihrem Eintreffen.

Vor kurzem hatte sie die Nachricht erreicht, alle Personen, die die Stadt verlassen wollten, genauestens zu kontrollieren. Ihre Augen musterten alles, was sich dem Tor näherte und an ihm vorbeikam, mit strengem und aufmerksamem Blick.

Einer von ihnen hob den Blick über die wenigen Menschen, die schon auf den Beinen waren, und sah es dann. Augenblicklich glitten seine Hand zum Schwert an seiner Seite und die andere an das Funkgerät an der Rüstung. Er rief etwas seinen Kameraden zu, doch seine Stimme versagte ihm plötzlich; ein Würgen schnürte ihm die Kehle zu.

Die Erscheinung näherte sich ihnen in zügigem, aber nicht hektischem Tempo. Einem der Torwachen gelang es noch, seine Waffe zu ziehen, doch dann ereilte ihn bereits der Fluch, der wie ein Pesthauch die Erscheinung umwehte und mit seinem giftigen Geruch ihre Seelen genauso wie ihre Körper betäubte.

Ein fragendes Krächzen klang aus dem Funkgerät des Wachsoldaten, der mit verdrehten Augen und offenem Mund, aus dem Speichel floss, auf dem Boden lag. Die Erscheinung bewegte sich an ihnen vorbei wie eine Gewitterwolke, die einen zuvor noch blauen Himmel mit ihren schmutzigen Farben besudelte. Als sie auf der Straße, die sich Richtung Norden wand, verschwand, kehrte langsam wieder das Leben in die Wachen zurück, und auch die Farbe in ihre Gesichter, in denen immer noch der Schrecken dieser Begegnung saß.
 

Tief im Wald, abseits der Straße, inmitten dichtem Gebüsch und knisterndem Unterholz, bahnte sich eine Gestalt den Weg durch den verwilderten Bewuchs.

Ihre Umrisse waren nur undeutlich erkennbar. Sie wurden verdeckt von rußigem Qualm, der aus seiner Kleidung, vielleicht sogar aus seiner Haut, kommen mochte. Jeder Schritt war schleppend und schwer; überall, wo die Gestalt hintrat, zerfielen die Gräser und Büsche zu schwarzem Staub, als würde eine vorüberziehende Macht alles Leben aus ihnen saugen und nur Asche hinterlassen.

Die Gestalt, aus der dunkle Rauchschwaden in die vom Morgenlicht erhellten Baumkronen stiegen, blieb schließlich stehen. Mit zögernden Bewegungen ließ sie sich auf einem Baumstumpf nieder, als würde ihr jede Regung des Körpers schwerfallen. Der Baumstumpf verwandelte sich unter ihrem Gewicht innerhalb weniger Augenblicke in ein graues, verkrustetes Etwas, das wie Abfall aus einer Metallgießerei aussah und nicht mehr wie ein Teil der belebten Natur.

Ein langgezogenes Wehklagen, wie das Rufen eines einsamen Wolfs, entstieg der Kapuze, die sie mit einer zittrigen Bewegung zurücksinken ließ. Darunter zum Vorschein kam das Haupt eines Menschen, doch eines, das tiefe Veränderungen in den letzten Stunden erfahren hatte.

Die Haare, einst voll und wallend, waren nun dünn und trocken wie Stroh. Sie hingen wie abgedorrte Rinde herab, jede Farbe war aus ihnen gewichen. In der Haut schien kein Blut mehr zu pulsieren, sie war fahl wie Pergament. Tiefe Falten zogen sich durch ein einst junges Gesicht, und Venen von unnatürlich dunkler Farbe zeichneten sich unter seiner Oberfläche ab. Immer noch stieg Qualm von der Gestalt auf, der jedoch allmählich schwächer wurde, als wäre ein frisch entzündetes Feuer nun endlich niedergebrannt und würde das Ergebnis dieses Verbrennungsprozesses zeigen.

Die Gestalt ließ den Kopf sinken, und die leeren, blassen Augen schlossen sich. Mit einer Hand tastete sie in den Beutel auf ihrem Rücken und zog den darin befindlichen Gegenstand heraus. Es war ein schweres Buch, mit dickem, ledernen Einband und angelaufenen Metallbeschlägen. Die Gestalt hielt das Buch vor sich, und seine Augen öffneten sich einen Spalt.

Sein Blick ruhte auf dem Einband, ebenso gierig wie angstvoll, als könnte es den Inhalt dieses Buches von außen ergründen. Schließlich legte sich die Gestalt das Buch auf die angezogenen Beine und schlug es auf.

Es blätterte durch die Seiten, welche an ihr vorbeizogen wie unwirkliche Trugbilder, wie irreführende Luftspiegelungen- bis sie schließlich bei einer Seite stoppte. Die Augen der Gestalt weiteten sich, und ein Zittern ging durch ihre ganze Erscheinung.
 

Das eben noch mattgrüne Licht, das durch die Baumkronen auf den Waldboden fiel, verdüsterte sich, als bewegte sich in diesem Moment die Hand eines Riesen vor die aufgehende Sonne. Die Geräusche der Vögel verstummten, das Surren der Insekten erstarb. Alles Leben, auch die Farben der Büsche und Bäume, wichen zurück vor der Gestalt auf dem Baumstumpf.
 

In diesem Bereich des Waldes schwand nun jedes Sonnenlicht aus den Baumkronen. Selbst der Wind wagte es nicht mehr, die Zweige und Äste zu bewegen. Stattdessen fiel durch die dichten Baumkronen ein silbriges Licht, wie das des Mondes, das jetzt den Waldboden und die Pflanzen darauf in einen kränklichen Schein tauchte.

Die Gestalt auf dem Baumstumpf schreckte zurück, als sich wenige Schritte vor ihr ein durchsichtiger Schemen erhob, der dem Augenschein nach aus dem Erdboden selbst wuchs. Dessen flirrende Umrisse hatten aber nichts von seiner groben Beschaffenheit, sondern wirkten eher wie ein loderndes Feuer, aus dem jede Wärme entwichen war.

Es ragte über der Gestalt auf, und seine Höhe erreichte fast die der niedersten Baumkronen. Die Gestalt legte den Kopf in den Nacken, während sie immer noch mit beiden Händen das Maleficium festhielt. Seine Augen waren vor Entsetzen geweitet, als es erkannte, was es getan hatte, und dieses Entsetzen wich nur langsam der Resignation in das eigene Schicksal, das, trotzdem es herbeigesehnt war, sich nun schrecklicher als alle Vorstellung herausstellte.

Die Erscheinung beugte sich über die Gestalt, die winzig und nichtig vor ihr erschien. Nur der Oberkörper war zu sehen, der aus einem diffusen Nebel knapp über dem Erdboden ragte. Es war gehüllt in eine Rüstung aus Platten, bedeckt mit altertümlichen, fremdartigen Symbolen, die nie in der Realität zusammen auf einem Kleidungsstück zu sehen waren und die in Wahrheit aus allen Kulturen der Menschheit- bestehenden, vergangenen und ausgelöschten- zusammengesetzt waren. Sie bildeten ein buntes und doch farbloses Chaos, eine Ansammlung aller Symbole und Bildnisse, die ihrem Träger je gewidmet worden waren in der Historie der Menschheit.

Und über all dem ragte ein Kopf, eingehüllt von einem Helm, in dessen Tiefe ein Gesicht lauerte, ein knöchernes Gesicht, ohne Haut, ohne Menschlichkeit. Aus den leeren Augenhöhlen drohte nichts als Dunkelheit, so dicht und greifbar, dass sie auf eine ganz eigene Art strahlte.
 

„Wer- wer bist du?“ fragte die Gestalt, die ganz eingetaucht war in das kalte Licht, das dem grauweißen Feuer entsprang, aus dem dieses Wesen geboren war. Seine Worte verloren sich im lautlosen Sturmwind, der von dem Wesen ausging und der alle Gräser und Büsche um sie herum zu Boden drückte, als wollte er auf diese Weise allen Lebewesen um sich herum die Unterwerfung aufzwingen. Außer diesem einen Wesen, über das es sich nun beugte. Jetzt bewegte es seine bleichen Kiefer, die wie Waffen im Dunkel des Helms verborgen lagen.

„Ich habe viele Namen…“

Die Stimme klang wie die Fanfaren einer Geisterarmee und zugleich wie Hörner von den Türmen einer Totenstadt. In ihnen hallten die Schritte zahlloser im Gleichtritt marschierender Krieger wieder, ebenso wie das Wiehern dampfender Streitrösser und das Rattern sich eilig drehender Räder antiker Kriegsmaschinen.

„Du- du bist- “, begann die Gestalt, die längst wusste, mit was sie es zu tun hatte und an wem sie ihre Seele verkauft hatte.

„Ich bin Upuaut, und auch Ningirsu. Ich bin Ištar, und ebenso Rudâu. Ich bin Kartikeya und Camulos, Bishamon und Ares, und wie immer mich die Menschen auch sonst noch genannt haben. Ich bin der Gott des Krieges, und du… “

Seine Stimme verhallte; es klang wie Wind, der durch einen in einen düsteren Himmel ragenden Schornstein fährt.

„Mein Name ist Scavo.“

„Scavo…“, wiederholte das Wesen. Eine leichte Belustigung schwang durch die in Wellen über Scavo hinweg strömende Bosheit, die in dieser Stimme wohnte. „Du bist nun der Träger meines Gefängnisses. Befreie mich, und du bekommst noch mehr von meiner Macht. Noch viel mehr…!“

Wieder brauste die Stimme auf. Scavos Haare wehten in dem Sturmwind, der, angefacht von dem Atem des Kriegsgottes, über ihn hinweg fuhr und die Gebüsche um ihn herum noch weiter niederdrückte. Eine Mischung aus Entsetzen und verzweifelter Glückseligkeit gerann auf seinem farblosen Gesicht zu einer bitteren Flüssigkeit, die in Form brennender Tränen über seine Wangen lief. Sein Mund verzerrte sich zu einem angsterfüllten Lachen, das stetig anschwoll und bald die ganze Lichtung füllte, und das fast herankam an den sturmartigen Atem dieses Wesens.

Der Pakt war endgültig geschlossen, und mit ihm jegliche Wiederkehr versperrt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  fahnm
2010-02-11T23:39:46+00:00 12.02.2010 00:39
WOW Abgefahren!^^
Das Nenn ich Fantasy.
Ich bin schon auf das nächste kapi gespannt!^^

mfg
fahnm


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