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Blood Deal

Even if saving you sends me to heaven
von

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Erklärung

Antonin

Oh Gott, wie sollte er das hier überstehen? Antonins Herz schlug schnell in seiner Brust, als er sich Cole gegenüberfand und kurz bekam er das Gefühl, das jener ihm die Tür wieder vor der Nase zuschlagen wollte. Doch dann trat er zur Seite und ließ ihn herein. Auf die Frage nach dem Getränk antwortete er mit Wasser und biss sich unschlüssig auf die Unterlippe, während er dabei zusah, wie Cole das gewünschte einschenkte und ihm das Glas dann hinstellte. 'Ok Antonin, du schaffst das', sprach er sich gedanklich selbst nochmal Mut zu und räusperte sich.

"Du hast mal gesagt, ich sollte mich selbst nicht als Idioten bezeichnen, aber das ist genau der Begriff, der immer häufiger ganz perfekt auf mich passt", fing er schließlich an und auch wenn seine Stimme noch etwas heiser war, so klang sie doch erstaunlich ruhig. Ganz anders also als er sich fühlte, denn in seinem Inneren türmten sich gerade verschieden heiße Fegefeuer um die Wette. "Du bist gegangen, bevor ich die Chance hatte, auf deine Worte zu reagieren, und das war vielleicht auch besser so, denn an jenem Abend ist eine Art Knoten geplatzt und ich hatte kaum noch Kontrolle über meine Gefühle oder das, was ich dir da an den Kopf geworfen habe. Zu Unrecht gegen den Kopf geworfen habe, möchte ich betonen. Ich habe bei dieser Sache einen elementaren Fehler begangen, nämlich dass ich mich selbst irgendwie übersehen habe. Wie kann ich anderen, dir, eine Stütze sein, wenn ich selbst nicht mehr im Gleichgewicht bin? Ich habe irgendwie einen ungesunden Tunnelblick entwickelt, was darin gipfelte, dass ich kaum noch in der Lage war, klar zu sehen was da ist und was nicht da ist." Er hielt kurz inne und griff nach dem Wasser, um einen Schluck zu trinken. Soviel hatte er in den ganzen letzten Tagen nicht gesprochen und es tat seinen Stimmbändern noch nicht so gut. Während er sprach wich sein Blick immer mal wieder von Coles Gestalt ab, doch nur bis er das merkte und den anderen wieder ansah. Er wollte nicht in den leeren Raum hinein sprechen, sondern mit Cole.

"Mir geht gar nichts zu langsam und ich glaube dir, dass ich dir wichtig bin - oder war." Er hob die Hand, um sich durch die Haare zu fahren. Jetzt kam der schwierige Teil. "Es ist nur so, dass ich manchmal ein wenig... nennen wir es überemotional bin. Vielleicht sind das auch die Auswirkungen davon, dass ich doch recht spät erkannt oder auch akzeptiert habe, dass ich auf Männer stehe. Mag sein dass sich das noch ändert, aber momentan kann ich deine Einstellung nicht wirklich für mich annehmen. Ich hab‘s probiert, an dem Abend an dem wir gestritten haben, und es war eine Erfahrung, auf die ich persönlich in Zukunft sehr, sehr gut verzichten kann. Das gilt jedoch nur für mich, was vollkommen in Ordnung ist, schließlich sind wir zwei unterschiedliche Personen." Abermals nahm er einen Schluck von seinem Wasser und atmete tief durch.

"Wo wir auch bei etwas sind, wo du nicht ganz korrekt gelegen hast, denn im Grunde ist es nicht wirklich ein Problem für mich, dass du mit anderen Kerlen schläfst. Es ist nur insofern ein Problem, als dass meine eigene Unsicherheit in zu viel Eifersucht resultiert und mich damit unlogisch handeln lässt. Vor allem da ich vieles einfach nicht nachvollziehen kann. Ich meine, warum zum Henker muss ich mir die Vorzüge von anderen Männern anhören, als ob du sie mir verkaufen wollen würdest? Ich verstehe den Gedanken dahinter nicht und je mehr von dieser Unsicherheit zusammenkam, desto unwilliger wurde ich wohl auch. Es liegt also nicht an dir, sondern an meiner Unfähigkeit, Dinge zu hinterfragen und mir damit die Sicherheit zu holen, die ich wohl brauche." Er stellte das Wasserglas wieder ab und räusperte sich abermals. Gegen Ende hin hatte er etwas leiser sprechen müssen. Blöde Stimme. "Ich fürchte, ich hab dich da ziemlich unfair angefahren und auch das tut mir leid, aber ich möchte, dass hier nicht aufgeben, selbst wenn es nur als 'schwierig' zu betiteln ist. Vorausgesetzt, du siehst da jetzt noch irgendwelche Möglichkeiten dazu, und dass ich noch nicht alles total verbockt habe." Und noch während er endete war Antonin bewusst, dass er vermutlich nochmal so viel hätte aussprechen können, dass er bestimmt die Hälfte dessen, was er sagen wollte, vergessen hatte, dass er selbst diesmal auch nicht betont hatte, wie wichtig Cole ihm war, dass er noch deutlich offener hätte sein können. Und er wollte es nachholen. Garantiert. Aber nicht ohne zu wissen, ob das überhaupt noch irgendeinen Sinn machen würde.
 


 

Cole

Cole hörte schweigend zu. Seine Miene verriet nichts von seinen Gedanken, die sich schier zu überschlagen schienen. Antonin war also gekommen, um sich für seine Worte zu entschuldigen. Und er wollte noch eine Chance haben. Und er gab offen zu, dass er an diesem Abend mit einem anderen geschlafen hatte. Nein, es war kein 'miteinander-schlafen' gewesen, sondern ein Fick, mehr nicht. Und die Ehrlichkeit des anderen, die Entschuldigung tat ihm gut, beruhigten ihn, dass er nicht falsch gelegen hatte.

Eine Weile blickte er Antonin einfach nur an. Er hatte bemerkt, wie schwer es jenen gefallen war, das ganze auszusprechen. Aber er tat es und dafür war Cole ihm dankbar. Er hätte wahrscheinlich nicht nur 3 Tage gebraucht, um das alles für sich zu klären, sondern viel, viel länger. Und er hätte vielleicht gar nicht den Mut gehabt, sich zu entschuldigen. Gleichzeitig bestätigte sich für Cole aber auch, was er ohnehin schon vermutet hatte. Das Problem, das hinter all dem stand. Es war nicht der Sex mit anderen Männern, der Antonin ärgerte oder emotional reagieren ließ. Sondern es war die fehlende Sicherheit, die er Antonin eingestanden hatte. Er hätte ihm mehr Halt geben müssen. Und in einem Punkt hatte dieser Mann auch recht: Antonin hatte keine wirkliche Ahnung von der Szene. Er war nicht darin groß geworden, wusste nichts von dem Umgang miteinander. Von den wenigen Tabus und den vielen Grauzonen. Und darauf hätte er unter Umständen einfach Rücksicht nehmen sollen. Besonders, da Antonin noch durch ganz andere Dinge verunsichert war. Gerade im Hinblick darauf, hätte Cole klar sein müssen, dass er den anderen stärker bei der Hand hätte nehmen müssen. Eine Erkenntnis, die er letztlich schon direkt nach ihrem Streit gehabt hatte, die er aber nicht mehr umgesetzt hatte, aus gekränkter Eitelkeit.

Aber das gab ihm selbst noch keine Idee, was er jetzt tun sollte, wie er jetzt, heute, hier damit umgehen sollte, mit dieser Entschuldigung.

Als er merkte, dass das Schweigen unerträglich wurde, atmete er tief durch, dann begann er langsam.

"Dass du aus dem Gleichgewicht gekommen bist, liegt sicher nicht alleine an dir." Sein Blick ruhte in diesen aufgewühlten Augen, die gerade wie das Meer aussahen, wenn es stürmte. Er kannte Antonin mittlerweile wohl einfach zu gut, als dass jener ihm verbergen konnte, wie es in ihm aussah. "Zu einem Streit gehören immer zwei Seiten und wenn du sagst, dass du nicht klar sehen konntest, was da war und was nicht, dann lag es vielleicht auch daran, dass ich es dir nie klar genug gezeigt habe. Ich bin viel zu sehr von mir ausgegangen und habe dabei nicht bedacht, dass du nun mal ein wesentlich emotionaler Mensch bist, als ich. Und das, obwohl ich es hätte wissen müssen." Ruhig trank er einen Schluck und fuhr sich dann mit seiner Hand durchs Haar. "Ich weiß, dass du dir mehr Sicherheit von mir wünschst. Das ist mir an jenem Abend bewusst geworden. Aber ich kann dir diese Sicherheit nicht so einfach geben. Ich kann dir diese Sicherheit nicht direkt geben, durch Worte. Ich kann dir nicht einfach sagen, was du mir bedeutest, welche Gefühle ich für dich habe. Ich kann es nicht.

Und das liegt nicht daran, dass ich nichts für dich empfinden würde, oder ich die Worte nicht kenne, die du dir erhoffst. Es fällt mir einfach schwer, Sicherheiten auszusprechen oder Gefühle zuzugeben. Vielleicht kann ich das irgendwann einmal, aber im Moment bin ich meilenweit davon entfernt. Ich kann dir keine Sicherheiten geben. Selbst wenn ich es aus tiefstem Herzen wollte. Aus verschiedenen Gründen, die nicht nur mit mir und meiner Persönlichkeit zu tun haben. Gründe, die es mir unmöglich machen." Seine Augen ruhten in denen des anderen. Cole hatte sich vorgenommen, ehrlich zu sein. Schon lange. Und da er im Moment klarer denn je sah, würde er diese Wahrheiten aussprechen. "Und daher musst du wohl ein wenig genauer hinschauen und dich trauen zwischen den Zeilen zu lesen. Denn wenn ich dir andere Männer schmackhaft machen möchte, liegt das einzig und allein an meiner Überzeugung, dass du verdammt gut aussiehst und jeden haben könntest. Sondern das Ziel dieser Aktion ist es, dass du mir bestätigst, dass es dennoch ich bin, den du haben möchtest. Letztlich ist es furchtbar albern und es klingt grauenhaft, seine eigene Scheiße durchzupsychologisieren, aber das ist die Übersetzung meiner Handlung. Vielleicht sollte ich dir ein Wörterbuch schenken 'Englisch - Cole; Cole - englisch' oder so etwas in der Art." Cole seufzte und er wurde wieder ernst. "Vieles von dem, was in mir vorgeht und was mein Handeln bestimmt, kannst du nicht wissen. Es gibt zu viele Dinge, die du nicht über mich weißt. Dinge, die es mir unmöglich machen, dir die Sicherheit zu geben, die du gerne hättest." Er stieß sich von der Anrichte ab. "Und daher werde ich das ändern. Ich hatte es schon vor unserem Streit vor, das zu ändern. Aber leider kam der Freitagabend dazwischen." Er trat ein paar Schritte auf seine Tür zu. "Deine Entschuldigung ist angenommen. Aber bevor du wirklich entscheidest, wie es weitergehen soll, solltest du diese Dinge vorher erfahren. Denn nur dann können wir in Zukunft wohl davon ausgehen, dass es nicht wieder zu Missverständnissen und Kränkungen kommt." Er ging zu seiner Wohnungstür und schob sie auf. Ja, er würde Antonin jetzt wieder gehen lassen. Denn auch, wenn er zu gerne dem anderen nah wäre, wenn er zu gerne heute in dessen Armen liegen und schlafen würde, so ging es nicht, solange Antonin nicht wirklich wusste, woran er war. Und daher wollte er den Abend allein verbringen. "Ich hole dich morgen um 11 Uhr bei dir ab."
 


 

Antonin

Es war seltsam befreiend als Cole schließlich zu sprechen anfing und je mehr er hörte, desto ruhiger wurde er. Es war natürlich noch ein ganzes Stück von seinem normalen inneren Gleichgewicht entfernt, aber immerhin näherte es sich wieder an. Auch wenn er zu hören bekam, dass er jene Sicherheit nicht von Cole bekommen würde. Nicht jetzt und vermutlich auch in näherer Zukunft nicht. Worte, die er sich erhoffte? Antonin ahnte worauf der andere da anspielte und er konnte es nicht bestreiten, aber auch nicht komplett als richtig unterstreichen. Es würde nichts bringen diese Worte zu hören, ohne dass wirklich etwas dahinter stand. Und wenn man sich dessen, was dahinter stehen sollte, bereits sicher war, dann waren diese Worte auch nur noch schmückendes Zierwerk. So traumwandlerisch mit rosaroter Brille romantisch, um das nicht zu erkennen, war Antonin auch wieder nicht.

Interessant war definitiv auch die Erklärung, warum ihm andere Männer in einer Tour hindurch angepriesen wurden. Um sie anzuflirten - sowas nannte man dann wohl Appetit holen - und um danach zu Cole zurück zu kehren - zum Essen. Tatsächlich hätte ihm dieses Wissen hin und wieder schon mal weitergeholfen. Dass der andere ihm genau mit solchen Auskünften schon einen Teil der benötigten Sicherheit mitgab, schien diesem gar nicht klar zu sein. Denn es erklärte doch, dass Cole irgendwo durchaus erwartete, dass Antonin wieder zu ihm kam, selbst wenn einer oder beide von ihnen mit anderen geflirtet hätten. Auch oder gerade wenn sie gemeinsam weg waren. Recht viel mehr wollte und brauchte er ja auch gar nicht. Antonin hätte die Dinge wirklich viel früher ansprechen sollen, anstatt in seiner offensichtlich unbegründeten Eifersucht aufzugehen wie ein trockener Schwamm, den man in Wasser legte.

Er sah dabei zu wie Cole sich von der Theke abstieß und ihm die Tür öffnete. Das war dann wohl sein Wink mit dem Zaunpfahl. So schnell ließen sich die Wellen wohl nicht kitten, auch wenn Cole die Entschuldigung angenommen hatte. Aber gut, das war verständlich, denn auch wenn der andere ebenfalls einen Teil der Schuld auf sich lud, so trug Antonin doch weiterhin den Löwenanteil. Er trank sein Wasser aus und stellte das Glas beiseite, bevor er an Cole vorbei nach draußen trat und sich nochmals zu dem anderen herumdrehte. "Danke. Bis morgen." Er bedankte sich damit für die Ehrlichkeit, aber auch für die Chance, die er wohl erhalten würde. Er nahm diesmal die Treppe, ein wenig Bewegung konnte ihm nicht schaden. Zudem er sich zuhause wohl erstmal wieder in sein Bett mümmeln würde, nachdem er diesen furchtbar grässlichen Tee nochmals zu sich genommen hatte.

Das Gespräch war kürzer ausgefallen als erwartet, aber im Grunde auch ruhiger und besser als gedacht hatte. Somit gönnte er sich sogar noch einen kurzen Abstecher bei einem Chinarestaurant und ließ sich drei verschiedene Suppen einpacken, die ihm dann über den Abend hinweg halfen und seine Stimmbänder wieder ölten.

Was das morgen wohl geben würde? Hätte er Cole schon mal irgendwann andeuten sollen, dass er zumindest wusste, um was es im Groben ging? Aber nein. Besser nicht verpetzen, dass Ragnar sich wohl verplappert hatte. Zudem er das sowieso lieber aus Coles Mund hören wollte. Es war immerhin entscheidend für eine gemeinsame Zukunft.

Wenn es so etwas noch für sie gab.
 


 

Nathan

Nathan kam gerade frisch aus der Dusche und rubbelte sich noch die Haare trocken, als ihm einfiel, dass sein Handy irgendwann mitten in der Nacht mal gepiept hatte. Gemächlich tappste er die Wendeltreppe wieder nach oben und griff sich das Gerät von der Fensterbank, um die SMS zu lesen. Unerwarteterweise war sie von Ragnar. Mit der Bestätigung zu einem Treffen. Seufzend legte er es wieder beiseite und zog sich erst einmal fertig an, bevor er mitten in seinem Schlafzimmer stehen blieb und den Kopf in den Nacken legte.

Jetzt war es also soweit, ja? Er hatte immer mal wieder in seiner Entscheidung geschwankt und es dann beiseite geschoben im Glauben, der andere würde sich sowieso nicht mehr melden. So konnte man sich täuschen. Er rief sich den ansprechenden Mann mit den schönen Augen wieder ins Gedächtnis und blies seine Backen dann auf, um die Luft langsam wieder auszustoßen. Es war ja nur sein verdammtes Glück, dass er nach über zwei Jahren überhaupt einmal wieder jemanden nach einem Treffen außerhalb eines Clubs fragte, nur um dann auf ein solches Problem zu stoßen. Aber andererseits war es ein Treffen im hellen Tageslicht. Es müsste erstmal auf überhaupt nichts hinauslaufen das Kontakt förderte. Und wenn doch, dann war sowieso klar wie er sich entschieden hatte. Was sollte er jetzt noch großartig darüber nachdenken, wenn er im Grunde sowieso mehr Informationen brauchte? Mehr über Ragnar erfahren wollte. Na eben.

Kurzentschlossen schnappte er sich sein Handy und begann schon zu tippen, als ihm der Zeitpunkt überhaupt erstmal so wirklich auffiel. Welcher normale Mensch hätte an einem Mittwoch um 13 Uhr Zeit? "Das gibt‘s doch alles gar nicht!", maulte er bevor so etwas wie Sturheit in seinen Augen aufblitzte. War das nur eine weitere Masche, um dieses Treffen vielleicht doch noch nicht stattfinden zu lassen? Eine bei der definitiv er der Buhmann wäre? Aber so nicht. "Nein, so nicht...", murmelte er und griff nach seinem Terminplaner. Hm, nur zwei Termine und ansonsten wäre er im Büro gewesen. Nun, das würde sich doch verschieben lassen. Weshalb seine SMS auch wie folgt aussah:

Hallo Ragnar, schön das du dich meldest. Ich werde da sein und darüber was wir unternehmen wollen, werden wir uns schon einig. Möglicherweise komme ich ein paar Minuten später (Termin), also bitte nicht davonlaufen! Nathan
 


 

Cole

Als Antonin sich noch einmal umdrehte und ihm dankte, lächelte er kurz. "Und Antonin", sagte Cole noch, bevor dieser die Treppe hinuntergehen könnte. "Probier bitte nie wieder, mich zu verführen, wenn du es eigentlich nicht möchtest." Cole hatte für sich festgestellt, dass Antonins One-night-Stand eigentlich nicht so schlimm war, wie dessen Versuch ihn beim Antanzen anzumachen, offensichtlich mit dem Gedanken, ihre Unstimmigkeiten mit Sex zu glätten. Das war das gewesen, was ihn im Nachhinein betrachtet am meisten verletzt hatte.

Er blickte dem anderen hinterher, wie dieser die Treppen nahm. Dann schloss er die Tür wieder und kehrte auf sein Sofa zurück. Eines hatte Antonin wirklich gut geschafft. Er hatte Cole dazu gebracht, an diesem Abend sich doch noch auf das konzentrieren zu können, was in der Glotze lief. Und er hatte geschafft, dass er ruhig einschlafen konnte. Mit dem Wissen, dass Antonin ihn morgen begleiten würde, machte er sich mit einem Mal gar nicht mehr so viele Gedanken.
 

Cole wachte erholt und ausgeschlafen auf. Dieser Tag war für ihn immer mit einer Art Zeremonie verbunden. Er duschte, frühstückte ein Nutella-Brot und ging dann zu seinem Wohnzimmerschrank, um das Geschenkband zu holen, das er damals um seinen Karton gewickelt bekommen hatte, und das Bild, das einzige Bild, das ihm geblieben war, auf dem sie alle zu sehen waren. Seine Mutter, die älter, mitgenommener aussah, als sie eigentlich war. Sein Vater, der wohl das gleiche Lächeln drauf hatte, wie er selbst und dem er zum Glück aber sonst nicht wirklich ähnlich sah, auch wenn Ragnar einmal gemeint hatte, dass er die gleichen Augen hätte. Aber seine Augen waren nicht so blaugrün wie die seines Vaters. Und dann waren darauf noch sein 4 Jahre älterer Bruder Julian und seine zwei Jahre ältere Schwester Rachel zu sehen. Nun und dann noch er. Damals 6 Jahre und mit einem unschuldigen Blick, der ihn sich selbst kaum wiedererkennen ließ. Aber damals war die Welt ja auch noch in Ordnung gewesen. Zumindest teilweise.

Cole nahm das Bild mit und verließ pünktlich die Wohnung, um Blumen zu kaufen und dann zu Antonin zu fahren. Dort parkte er das Auto und klingelte bei diesem, der ihn einließ. Cole ging kurz hoch zu ihm, begrüßte ihn mit einem "Können wir?" und kurz darauf saßen wie wieder in seinem Wagen und fuhren durch die Stadt zum Greenwood Cemetery. Der Friedhof lag in Brooklyn und das Eingangstor war beeindruckend. Auch die Kirche, die zu dem Friedhof gehörte, war beeindruckend. Neben den vielen typisch amerikanischen einfach nur aneinander gereihten weißen Grabsteinen, gab es auf diesem Friedhof auch ein paar Familiengruften und alte, nach europäischem Stil gehaltene Gräber. Doch das Grab seiner Eltern war nur eine Nummer, eine Nummer und ein Grabstein mit Namen und Lebensdaten darauf:

Ronald Tinsley *28. August 1961 - + 28. August 1991

Marie Tinsley geb. Freeman *3. May 1962 - + 28. August 1991

Julian Tinsley *14. September 1980 - + 28. August 1991

Rachel Tinsley *18 March 1982 - + 28. August 1991

Beloved by everyone
 

Cole hatte nicht gesprochen. Auch nicht, als sie den Friedhof betreten hatten, während sie durch die Reihen mit Grabsteinen gelaufen waren.

Als er am Grab angekommen war, legte er die Blumen auf den Grabstein und setzte sich auf das Gras davor in den Schneidersitz, sich mit seinen Armen hinter sich abstützend. Noch immer schwieg er und schien in ein Zwiegespräch mit sich selbst zu führen.

Es war immer das gleiche Gespräch, das er in seinem Kopf führte. Immer die gleichen Dinge, die er seiner Familie mitteilte, wortlos. Worte, die er viel lieber ihnen mitgeteilt hätte, als sie noch gelebt hatten.

"Mein Vater hatte seinen 30sten Geburtstag", begann er schließlich, Antonin nicht ansehend, sondern auf den Grabstein blickend. Dann erzählte er ihm die ganze Geschichte. Was an jenem Tag geschehen war, als er sich in den Karton schließen hatte lassen, um seinen Vater zu überraschen. Dass er damals 7 Jahre alt gewesen war, als sein Vater, seine Mutter und seine beiden Geschwister am Geburtstag seines Vaters erschossen wurden. Wie die Familie zusammen gekommen war, um zu feiern, was gar nicht so häufig vorgekommen war, und Cole sich in seiner kindlichen Art dieses Jahr eine besondere Überraschung ausgedacht hatte. Seine Mutter hatte ihm geholfen, sich selbst in ein Geschenk einzupaclen, um seinen Vater zu überraschen. Diesem Umstand hatte er es zu verdanken, dass er eben nicht von jenen Killern der wohl asiatischen Organisation erschossen worden war. Er ließ nicht aus, erzählte auch, was er gehört hatte, was danach geschehen war, als er die vier Toten gesehen hatte, bevor die Polizei gekommen war, die von Nachbarn informiert worden war. Dann erzählte er, warum das geschehen war, dass sein Vater bereits als Handlanger in der Branche unterwegs gewesen war, dass er aber nie wirklich viel erreicht hatte, dass er das Geld versoffen hatte oder für Nutten ausgegeben hatte. Er erzählte auch von seiner Mutter, die das Geld für die Kinder als Hure verdient hatte und ihren Frust über ihr Leben im Alkohol ertränkt hatte. Und erzählte von seinen Geschwistern. Seinem Bruder, der ein kluger Kopf gewesen war, der die Schule gut meisterte. Seine Schwester, die ihn geliebt hatte, und der er immer mal wieder vor den Kopf gestoßen hatte, weil sie ja schließlich ein Mädchen war, und er ein Junge, Und dennoch hatte er sie eigentlich aber abgöttisch geliebt, weil sie immer für ihn da war.

Er reichte Antonin das Bild und fuhr dann fort zu erzählen, was danach geschehen war.

Er erzählte von seinem Onkel, der ihn zwar bei sich wohnen hatte lassen, ihn aber nur als Sandsack verwendet hatte und nebenbei das Geld einkassiert hatte, das die 'Familie' für seinen Verlust an diesen gegeben hatte. Dann erzählte er, von Costello, der von Anfang an immer wieder nach ihm gesehen hatte, der ihn auch zu seinem Onkel gebracht hatte, und der ihm klar machte, was das Wichtige im Leben war 'Stärke, Kraft, ein eigener Wille, Eigenständigkeit und sein Zorn'- und bedingungsloser Gehorsam Costello gegenüber. Er trichterte ihm ein, dass er sich würde rächen müssen, dass sein Vater stolz auf ihn wäre, wenn er in den gleichen Lebensweg einschlagen würde. Und er erklärte ihm, dass Costello der einzige war, dem er verpflichtet war. Denn schließlich hatte er die Informationen, die Cole brauchte, um sich zu rächen. Und Rache war er seiner Familie schuldig. Er musste seine Familie rächen. Und wenn er sich bewährt hätte, dann würde er von Costello alle Informationen erhalten, die dafür notwendig waren.

Costello schenkte ihm zu seinem 10. Geburtstag seine erste Waffe und lehrte ihm das Schießen. Costello war es auch, der ihn danach in die Jugendorganisation integrierte. Cole erzählte Antonin von seinem ersten Mord, den er mit 12 begangen hatte, wie er im Anschluss plötzlich jemand war. Und wie er die Angst genossen hatte, die man vor ihm hatte. Der Respekt. Er erzählte von Ragnar, der als einziger keine Angst vor ihm gehabt hatte, sondern in seiner weichen Art und Weise ihm klar machte, dass er einfach ein Freund war. Etwas, das er für sich niemals als möglich erachtet gehabt hatte. Aber in Ragnars unverbindlichen Art und Weise, einfach immer da zu sein, wenn man ihn brauchte, schaffte er es ihn zu überzeugen, dass ein Freund wohl auch etwas war, das man im Leben brauchte. Und auch wenn Costello davon nicht angetan war, waren sie bald nur noch im Duo aufgetreten. Mit 14 gingen sie bereits durch die Clubs, holten sich ihre ersten Erfahrungen und stiegen schließlich für Costello in das Drogengeschäft ein. Damals kannte Cole keine Skrupel. Und doch hatte Ragnar etwas an sich, was ihn zum Nachdenken brachte. Und dieses Nachdenken setzte sich durch, als er in eines der vielen Blutbäder verwickelt war. Er bat Ragnar, mit ihm wegzugehen, dieses Leben zu verlassen. Damals waren sie 17 gewesen. Doch auf ihrer Flucht wurden sie geschnappt. Costello bestrafte ihn für beide. Denn Cole nahm alle Schuld auf sich. Und wieder wurde ihm klar gemacht, dass es nur dieses eine Leben gab, das er würde jemals führen können. Und er hatte es geführt, war für Costello zu einer Mordwaffe geworden, kannte keinen Skrupel, keine Gnade. Und das war wohl der Grund, weshalb Ragnar sich mehr und mehr von ihm zurückzog, bis jener schließlich nach Europa ging. Dort hatte dieser studiert. Und sein Verschwinden bewirkte, dass Cole erneut nachdachte. Und damals war der Punkt erreicht, an dem er für sich den 'eigenen Willen' und die ‚Eigenständigkeit‘ endlich wirklich in die Tat umsetzte. Er begann ein eigenes Leben zu führen, unabhängig von allen und jedem. Dieses Leben war in einer Parallelwelt und es gab nur wenige Stunden am Tag, an dem er es führen durfte, aber er setzte sich darin durch, dass er seine eigene Wohnung hatte, dass er seinen Abschluss nachholte und das alles schaffte, ohne dass Costello davon etwas wusste. Und ab da führte er ein Leben in seiner Wohnung, und das, das den Rest des Tages bestimmte, wissend, dass er es nicht noch einmal überleben würde, wenn er sich wieder entschloss, diesem Leben zu entfliehen. Wissend, dass er aber dennoch dieses Leben so gestaltete, dass er es mit seinem Gewissen so gut es ging vereinbaren konnte. Wissend, dass auch Costello darauf aufpasste, dass niemand Cole davon abbringen würde, diesem zu gehorchen. Denn wenn etwas nicht nach dessen Willen lief, scheute er vor nichts zurück. Damit deutete Cole Antonin letztlich auch an, dass nach dem Aufenthalt im Gefängnis jene Verletzungen von Costello stammten.
 

"Das ist so in etwa das traurige Leben des Cole Tinsley", erklärte er schließlich und lächelte matt. Während er gesprochen hatte, war er ruhig gewesen, hatte sich irgendwann zurückgelegt und in den Himmel geschaut. Sein Blick wirkte weit weg, so als sähe er vor seinem geistigen Augen ein Film, den er nacherzählte. Jetzt sah er den anderen wieder an. Er wusste nicht, ob Antonin aus seiner Erzählung wirklich schlau werden würde. Ob er begreifen konnte, weshalb es ihm schwer fiel, sich auf jemanden einzulassen? Ob er begriff, dass er Angst um Antonin hatte, wenn Costello davon Wind bekäme? Sollte er ihm das vielleicht sagen? Aber vielleicht war es besser, Antonin den Freiraum zu geben, selbst Fragen zu formulieren, wenn er diese hatte.
 


 

Antonin

Man könnte nicht behaupten, dass er sehr überrascht war, sich auf einem Friedhof wieder zu finden. Schweigend folgte er Cole, vorbei an allen möglichen Gräbern, hauptsächlich jedoch jenen für Amerika so typischen. Und vor eben einem solchen blieb der andere stehen, legte die mitgebrachten Blumen ab und setzte sich im Schneidersitz davor. Antonin selbst blieb etwas schräg versetzt stehen und las die Inschrift des Grabsteines. Vier Familienmitglieder an einem Tag ausgelöscht. Das war für sich genommen schon etwas, womit man nur schwer fertig werden konnte, doch ahnte er inzwischen, dass mehr dahinter stand, und obwohl er nicht sonderlich gläubig war, so schlug er doch das Kreuzzeichen. Wohl aus Respekt heraus. Aus Respekt vor dem Ort, vor der unbekannten, toten Familie des wichtigsten Menschen in seinem Leben.

Als Cole schließlich zu sprechen begann hörte er aufmerksam zu und je länger er dies tat, desto unwohler wurde ihm. Eigentlich war gerade er niemand, der Mitgefühl für anderer Leute Schicksal aufbringen konnte. Er tat das ja nicht einmal mit sich selbst und trotzdem überrollte ihn gerade jenes Gefühl in einer großen Welle. Ganz ähnlich wie Unverständnis, Leid, Trauer, Panik... Und wenn ihm das als Unbeteiligten schon so ging, wie musste es dann erst in Cole aussehen? Welche unglaubliche Stärke und welch großer Kraftaufwand es jenen Mann wohl gekostet hatte, das alles zu überleben? Nicht einfach irgendwann seiner Familie zu folgen, sondern weiter zu machen? Nicht einfach zugrunde zu gehen, sondern sich seine Menschlichkeit noch zu bewahren? Aber zu jenen Gefühlen kamen noch ein paar andere, vielleicht nicht stärkere aber deutlichere. Beschützerinstinkt. Am liebsten hätte er Cole gepackt, in den nächsten Flieger gesetzt und sich irgendwo eine einsame Insel gesucht. Eine Insel ohne Gewalt, ohne Lügen, ohne Verpflichtungen, ohne Schmerzen. Utopisch und unmöglich, aber sein drängender Wunsch.

Dazu kam Hass in seiner rohsten und ungezügeltsten Form. Wie konnte dieser Onkel es wagen? Wie konnte dieser Costello es wagen?! Wie konnte man einem KIND solche Dinge eintrichtern? Lange genug, dass Cole sie heute noch glaubte und als Wahrheit empfand? Wie abgefuckt musste eine Person in Dreiteufelsnamen sein, um ein Kind nur für Rache leben zu lassen? Um einen zwölfjährigen großartigen Kredit für einen Mord zu geben? Und hier trat der nächste Wunsch zutage: Beiden Arschlöchern das Leben langsam genug auspusten, so dass sie immer genau wussten, warum sie in kurzer Zeit sterben würden. Welches Verbrechen sie begangen hatten, um solch einen Tod zu verdienen.

Was dann folgte war Dankbarkeit. Dankbarkeit für Ragnars pure Existenz. Jener hatte spätestens jetzt einen Stein in der Größe des Himalayas in Antonins Brett, selbst wenn jener es gar nicht wissen konnte. Vermutlich war Coles Menschlichkeit, welche ihn eben noch verwundert hatte, jenem zu verdanken. Himmel... und er hatte wegen zwei Narben Panikattacken geschoben. Wie lächerlich das hiergegen war. Auch wenn ihm an der Geschichte noch so ein, zwei Dinge auffielen, die er niemals erwähnen würde. Nicht einmal unter einem Lügendetektor. Und zwar, dass vieles von Coles Schmerz über den Verlust seiner Familie eigentlich schon verarbeitet sein müsste. Ja, es war tragisch und unglaublich belastend für jede Psyche, besonders natürlich für die eines kleinen Kindes, aber 18 Jahre waren eine lange Zeit. Und selbst wenn es immer schmerzen würde, so dürfte es schon lange nicht mehr Alltagsdiktierend sein. Außer natürlich dieser Costello sorgte nicht nur dafür, dass Cole spurte, sondern betrieb nebenbei auch noch wunderbare 'Erinnerungsstütze'. Immer wieder aufgerissene Wunden vernarbten ganz furchtbar und sie würden immer schmerzen. Immer und immer wieder. War das hier der Fall? Vermutlich.

Dazu kam die Frage, warum jemand einen so kleinen Fisch mitsamt der Familie ausradieren sollte? Einfach so? Ohne wirklich etwas davon zu haben? Das klang sehr unlogisch. Und auch wenn gerade er den Wunsch nach Rache sehr gut nachvollziehen konnte, so blieb die Frage, ob Costello zum einen wirklich etwas wusste und wie viele Jahrzehnte jener noch warten wollte, bis er Cole gab was jener so dringend zu brauchen schien, um mit dem ganzen abzuschließen.

Schließlich trat er einen Schritt näher, so dass er hinter Cole stand und ging in die Hocke, den anderen von hinten umarmend. "Ich will davon nichts schönreden, denn das ist es nicht", murmelte er leise. "Aber ich bewundere dich für deine Stärke. Für den Willen weitergelebt zu haben und für deine Kraftressourcen. Du hast nicht mein Mitleid, denn das brauchst du nicht, aber mein Mitgefühl, sofern überhaupt möglich. Dir wurden zwei ganz furchtbar wichtige Dinge verwehrt: Eine Familie und eine Kindheit. Und ich möchte Ragnar für seine bloße Existenz hundert Mal danken. Aber ein guter Freund, inmitten dieses Chaos ersetzt dir das Verlorene nicht. Niemand kann das. Nichts kann das. Was nicht bedeutet das du irgendeine Form der Schuld daran trägst. Diese Parolen von Costello.. das ist nicht der einzige Weg. Aber auch hier kann dir niemand den richtigen sagen oder aufzeigen, du musst ihn für dich selbst finden und ich möchte behaupten mit deinem Fernstudium hast du einen Schritt getan. Und egal was du selbst von dir denkst, oder deinem Leben, so ist es meine Entscheidung und mein Recht anders zu denken. Und ich möchte dich jetzt noch vielweniger aufgeben als vorher auch schon."
 


 

Cole

Cole schloss einen Moment die Augen, als er die Umarmung spürte und lehnte sich ganz unbewusst in diese Umarmung. 'Und das ist der Mensch, der mir vielleicht zeigen kann, was Glück und Liebe bedeutet', dachte er, seine Gedanken an seine Eltern und seine Geschwister gerichtet. Und er musste Schmunzeln dabei.

Ihm wurde warm, als er die Worte hörte, die der andere sprach. Eine innere Wärme, die er noch nie in diesem Umfang gespürt hatte. Zumindest erinnerte er sich nicht mehr daran.

Der Wille, weiterzuleben. Ja, er hatte oft mit dem Gedanken gespielt, aufzuhören. Aber da gab es zwei andere Gedanken. Einmal den, dass er seinen Eltern schuldig war, für sie zu leben. Und dann, dass Antonin ihm bewiesen hat, dass er wirklich auch noch leben wollte, dass er sich nach einem Leben sehnte. Einem anderen Leben als dem, das er im Augenblick führte.

Und ja, Kraft hatte er wohl. Aber auch die war immer wieder erschöpft, so wie neulich als er aus L.A. zurückgekehrt war. Oder als er damals im Haus seiner Eltern gewesen war.

Und dann war da Antonins Meinung hinsichtlich eines richtigen Umgangs damit. Dass Costello unrecht hatte, dass er selbst sehen musste, wie er endlich damit abschließen konnte. Hm.. Er wusste das schon, schon sehr lange. Aber es war ihm nicht möglich. Er reizte die Grauzone sehr aus. Mehr ging momentan nicht. Nicht, wenn er überleben wollte. Und das wollte er.

Die letzten Worte, die er hörte, ließen ihn seinen Kopf drehen, um Antonin anzusehen. Einen Moment hingen seine Augen in denen des anderen, die heute aussahen wie der Himmel an einem heißen Augusttag. Dann ließ er seine Nasenspitze an der des anderen entlangstreichen, bevor sich ihre Lippen sanft berührten. Es war ein sanfter, zärtlicher Kuss. Und er löste in ihm ein ungeheures Gefühl aus, ein Kribbeln, das tief unter seinem Nabel festsaß und von dort aus seinen ganzen Körper erfüllte. Als er sich wieder von Antonin löste, blickte er ihn wieder an. Er wusste nicht, was er sagen sollte, also schwieg er. Er war dankbar, aber das sah man ihm sicher an. Er war froh, auch das sah man sicher. Und er war irgendwie auch glücklich, was er hoffte, dass man es auch sehen würde.

Dann blickte er wieder zum Grabstein. "Ich bleibe noch ein wenig sitzen, wenn es dich nicht stört. Und nachher würde ich gerne noch zu dem Haus fahren, das einmal meinen Eltern gehört hat, und von dem leider nicht mehr viel übrig ist."
 


 

Antonin

Er versank förmlich in den Augen des anderen, als der sich zu ihm herumdrehte und ihn ansah. Oh Gott, so einen Ausdruck hatte er in Coles Augen noch nie gesehen und es erwärmte sein Herz. So wie ihn dieser unglaublich zärtliche Kuss einfach nur dahinschmelzen ließ. Wenn das die Art des anderen war, sich für die paar Worte zu bedanken, dann würde er sie ihm bis ans Ende seines Lebens täglich aufsagen. Antonin verstärkte die Umarmung kurz, als er die Aussage hörte und nickte. "Bleib sitzen solange du willst." Und er würde genau hier bleiben, diesen unfassbar faszinierenden Mann umarmen und genau das tun, was er versprochen hatte. Für den anderen da sein.

Er warf einen Blick an Cole vorbei auf das Familiengrab und ließ einiges vom eben Gehörten noch einmal Revue passieren. Es war für ihn schwer nachvollziehbar, was dieser eindrucksvolle Mann schon alles erlebt und auch überlebt hatte. Aber je länger er darüber nachdachte, desto zentraler schien eine Figur zu rücken. Costello. Und er ahnte auch, was Cole nicht ausgesprochen sondern nur angedeutet hatte. Das jenes Arschloch immer dafür Sorge trug, dass Cole ihm nicht wieder aus der Reihe tanzte. Was unter Umständen eine Gefahr für Antonin selbst darstellen könnte, über kurz oder lang. Und in diesem Moment war er mehr als glücklich darüber, dass Cole ihm den Rücken zukehrte und seine hart gewordenen Augen nicht sah. Es war damit wieder an der Zeit, nicht mehr ungeschützt aus dem Haus zu gehen. So sehr er sich am liebsten nur noch auf sein Labor und seine Forschung konzentrieren wollte, so unwahrscheinlich wurde das von Tag zu Tag. Nicholas schien sich einmal mehr im Recht zu befinden, denn obwohl Antonin seit einiger Zeit versuchte, mit aller Macht nicht an diese Teile seiner Vergangenheit zu denken, so drängte sich diese mit nur noch mehr Macht zurück in sein Leben.

Bis auf ein paar kleinere Schnitzer schien er sich bisher nicht verraten zu haben und auch wenn es ihn jetzt mehr denn je bedrückte, Cole etwas zu verschweigen, so hielt er es doch für das Beste. Noch ließ sich für ihn so etwas Ähnliches wie ein normales Leben führen. Auch wenn Tayra jetzt etwas ahnen könnte, nach seinem mehr als dämlichen Ausrutscher im Savoy. Offiziell wusste er gar nichts von irgendwelchen Autoschiebereien. Er besaß doch angeblich nur eine grobe Vorstellung davon, was Cole arbeitete, und auch wenn es immer schwieriger wurde, so würde er sich nicht wieder einmischen. Außer dieser Costello bekam ihn auf den Schirm und würde tatsächlich etwas versuchen. Denn die Chancen, dass er einen solchen Versuch überleben würde, standen zu seinen Gunsten. Coles Boss rechnete nicht mit einen Guard, oder um die 'offizielle' Bezeichnung einmal zu verwenden: Einem Bluthund. Besser ließ sich der russische Eigenbegriff nicht übersetzen und jener war in höheren Kreisen bekannter als die inoffizielle Bezeichnung des Guards. Vor allem da seine 'Einheit' die erste gewesen war, bei der sie mit auf die Psyche eingingen und auch jene unterwanderten, bis das Leben eines Zieles wirklich an erster Stelle stand. Bekannt und berüchtigt wurde die russische Organisation jedoch unter dem anderen Begriff. Und so gut wie niemand konnte sich einen von seiner Sorte leisten. Weshalb Antonin sich vorerst einfach nur zurücklehnen und das Ganze auf sich zukommen lassen würde. Wäre sein Leben wirklich in Gefahr, würde er vielleicht offenbaren, gegen wen das Arschloch da agierte. Aber selbst das könnte und dürfte er nicht, ohne mit Cole darüber gesprochen zu haben, denn da blieb diese Sache mit der Rache zurück…



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