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Wolfsliebe

von

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Vampir zu Besuch

Eine Stunde später saß ich zusammen mit Alexei in seinem Büro und während er noch einmal ein paar Papiere durchsah, formte ich aus einem nicht mehr benötigten Fax kleine Papierkügelchen, um sie in den Mülleimer am anderen Ende des Raumes zu werfen.

Die einzigen Geräusche waren unser Atem, das gelegentliche Kratzen von Alexeis Stift und das Reißen und Zerknüllen von meinem Papier.

„Wenn du das noch einmal tust, bringe ich dich eigenhändig um!“, grollte Alexei dumpf ohne aufzusehen und ich hielt mitten in der Bewegung inne, bevor ich das halbe Blatt unauffällig zurück auf den großen Schreibtisch legte. Ich sah zu meinem Rudelführer hoch, der sich immer noch auf seine Unterlagen konzentrierte. Oho, der Gute war heute aber wirklich nervös.

Kein Wunder, warteten wir doch auf einen möglichen Großkunden, dessen neue Firma und ein weiteres Baugelände wir sehr wahrscheinlich bewachen sollten. In den letzten zwei Jahren, die ich jetzt schon bei Alexeis Rudel war und auch für seine Sicherheitsfirma arbeitete, war der Betrieb für seine gute und seriöse Arbeitsweise bekannt gewesen.

Mittlerweile arbeiteten nicht nur Samuel, Michael und ich aus unserem Rudel für Alexei, sondern auch fünf Menschen. Ich wusste wirklich nicht was Alexei hatte, war doch unter seiner Führung und der Mithilfe unseres Rudels ein florierendes Unternehmen entstanden, wofür man sich unter keinen Umständen schämen musste.
 

Wenn sich der Firmenbesitzer mit Alexei einig wurde, dann würden wir im Anschluss an das Gespräch das fast fertige Fabrikgelände besichtigen und ich hatte die Aufgabe passende Positionen für Überwachungskameras zu finden. Alexei war zwar in diesem Jahrhundert angekommen, doch auch wenn ein Computer der neusten Generation auf seinem Schreibtisch stand, schrieb er gerade mit Papier und Stift.

Mein Rudelführer stand an manchen Tagen mit Technik etwas auf Kriegsfuß und überließ es so gerne jemand anderem sich um solche Details wie effizienten Positionen für Überwachungskameras oder Erklärungen über die zur Verfügung stehenden Sicherheitssysteme zu kümmern. Normalerweise waren das dann entweder Samuel oder ich, die sich damit beschäftigten. Da Sam heute eine Nachtschicht hinter sich hatte und jetzt selig in seinem Bett schlief, blieb das natürlich an mir hängen.

Vielleicht präsentierte Alexei uns beide auch nur gerne als Beispiel für einen seiner Leute, denn er sah im Anzug und mit Krawatte doch recht harmlos aus, trotz der für einen Werwolf üblichen, gefährlichen Ausstrahlung.

Ich hingegen trug jetzt stabile Schuhe, eine schwarze Cargo-Hose und ein ebenfalls schwarzes T-Shirt mit der großen Aufschrift „Moon Security“ und unserem Loge, einem Vollmond auf der Brust. Eine Jacke mit derselben Aufschrift und unserem Logo hing über der Stuhllehne. Das war die Arbeitskleidung und Alexei bestand darauf, dass jeder seiner Angestellten sie bei der Arbeit auch trug.

Meiner Meinung nach ließ uns diese Kleidung wie Söldner in Uniform aussehen und auch wenn ich nicht an Sams wahre Muskelstränge herankam, betonte die Kleidung doch meinen durchtrainierten Körper.

Wenn ich an die Zeit von vor zwei Jahren dachte, war das eine Verbesserung, war ich doch damals durch das Wandererleben und fehlende Essen abgemagert und bleich. Zwei Jahre Ruhe und Geborgenheit eines Rudels hatten da wahre Wunder gewirkt, nicht zu vergessen, dass ich mein Temperament nun auch bis zu einem gewissen Maß im Griff hatte.

Es hatte geholfen, dass ich nicht mehr jeden Augenblick meines Lebens selbst für mich und für meine eigene Sicherheit sorgen musste, in der Sicherheit des Rudels konnte ich die Nächte schlafen, ohne mit einem halben Ohr auf die Umgebung zu lauschen.

Außerdem hatte ich vieles in Sachen Selbstverteidigung gelernt, hatte Samuel mir doch auf meinen Wunsch hin einiges beigebracht, denn ich wollte niemals wieder so hilflos sein, wie vor drei Jahren gegen die anderen Werwölfe. So passte mein Können in einer Auseinandersetzung nun auch endlich zu meinem gefährlichen und manchmal auch überheblichen Auftreten.
 

An meinem Gürtel hing eine Dose Pfefferspray, ein uneingeschaltetes Funkgerät und neben meiner Geldbörse hatte ich noch ein Klappmesser in der Tasche. Die meisten der menschlichen Mitarbeiter von Security-Firmen haderten damit, dass sie keine Schusswaffen tragen durften, doch ich war eigentlich ganz froh darüber.

Mal abgesehen davon, dass ich mit so einem Ding nicht umgehen konnte, ich würde einen Berg auf zwei Meter Entfernung verfehlen, war der Krach eines Schusses für empfindliche Werwolfsohren eine Katastrophe. Ich würde lieber eine Pistole oder ein Gewehr abfeuern als zu sterben, doch solange ich noch andere Möglichkeiten hatte, würde ich nie auf eine Schusswaffe zurückgreifen.

Auch das mit dem Pfefferspray ließ ich lieber bleiben, denn ich hatte das einmal ausprobiert als der Wind aus der falschen Richtung kam und da stecke ich doch lieber ein paar Schläge mehr ein, als einen ganzen Tag mit verheultem Gesicht und laufender Nase herum zu laufen.
 

Nach ein paar Augenblicken stillsitzen war mir schon wieder langweilig und ich trommelte mit den Fingern meiner rechten Hand auf der Armlehne meines Stuhls herum, während ich mich im Büro umschaute. Das große Fenster hinter Alexei und seinem riesigen Schreibtisch ließen das Büro hell und freundlich wirken, auch wenn es eher funktional eingerichtet war.

An den Wänden waren einige neutrale Bilder aufgehängt und Regale mit Ordnern zu den verschiedenen Aufträgen bedeckten eine Wandseite. Auf meiner Seite des Schreibtisches standen zwei Stühle, auf einem davon hatte ich mich breit gemacht. Mein Rudelführer saß auf der anderen Seite des Schreibtisches auf einem bequemen Ledersessel und sah alles andere als entspannt aus.
 

„Verdammt noch mal! Thomas, du bringst mich an den Rand des Wahnsinns!“, fluchte Alexei und schmiss den Stift auf dem Tisch, mit dem er gerade noch einige Unterlagen ergänzt hatte. Doch wirklich wütend war mein Rudelführer nicht, da der knurrende und bedrohliche Tonfall fehlte. Ich hob abwehrend die Hände und setzte mein unschuldigstes Lächeln auf.

„Ganz ruhig bleiben, Alex. Du kriegst den Auftrag schon, also entspann dich.“, erklärte ich, denn Alexei ein bisschen aufmuntern konnte bestimmt nicht schaden. Ich selbst sah die ganze Sache ziemlich locker, war ich mir doch sicher, dass Moon Security den Job bekommen würde und selbst wenn nicht, würden wir nicht am Hungertuch nagen.

Unser Rudel war finanziell abgesichert und das auch noch auf völlig legale Weise. Vor allem bei dem letzten Punkt konnten die meisten Rudel oder Einzelgänger nicht zustimmen, denn unsere Rasse brauchte einfach manchmal den Nervenkitzel und somit waren wir prädestiniert für krumme Dinger oder Geschäfte am Rande der Legalität. Auch ich hatte früher ein paar kleine Überfälle durchgeführt, obwohl ich darauf geachtet hatte niemanden zu verletzen und nur darauf zurückgegriffen hatte, wenn ich wirklich am Ende war. Oh ja, jetzt hatte ich es um einiges besser.
 

„Es ist nicht nur der Auftrag. Gestern habe ich mit dem Einzelgänger geredet, der bei uns in der Bar war. Er erzählte etwas von Jägern, die sich hier in der Gegend rum treiben.“, erklärte Alexei und zeigte eine besorgte Miene. Ich runzelte die Stirn. Ich hatte zwar schon etwas von Jägern gehört, aber nie einen getroffen.

Damit waren jedoch keinesfalls diese alten Männer in grün gemeint, die auf wehrlose Hirsche schossen, sondern lebensmüde Männer und Frauen, die sich auf die Suche nach Monstern wie Sina, Niko oder mich machten. Als hätten unsere Völker nicht genug damit zu tun sich nicht gegenseitig umzubringen, nein es gab auch noch Irre, die uns keine Lebensberechtigung zusprachen.

Bei einigen dieser Menschen konnte ich es sogar noch verstehen, hatten sie vielleicht ein Familienmitglied oder einen Freund an Vampire oder Werwölfe verloren. Doch gab es auch unter den Jägern einige, welche die Jagd als Spaß ansahen, so wie Jack und sein Rudel mich vor drei Jahren beinahe aus Spaß am Töten umgebracht hätten.

„Sag es noch keinem. Ich wollte heute Abend alle ermahnen, dass sie etwas vorsichtiger sein müssen in nächster Zeit. Das heißt auch für dich und Ulrich, dass ihr eure in der Öffentlichkeit ausgetragenen Streitereien und Prügeleien lassen müsst.“, erklärte Alexei in seiner ernsten Rudelführerstimme, die keinen Zweifel an dem Ernst seiner Worte ließ und gerade im letzten Satz hatte so etwas wie eine Drohung mitgeschwungen.

Alexei war normalerweise verständnisvoll, hilfsbereit und manchmal hatte ich das Gefühl, er sähe in unserem Rudel eher eine etwas schräge Familie. Doch wenn jemand von uns bereitwillig ein Rudelmitglied in Gefahr bringen würde, dann konnte ich mir durchaus vorstellen, dass Alexei auch vor Gewalt nicht zurückschrecken würde.

Ich nickte stumm, denn mit allem hatte er Recht. Ich würde mich zusammenreißen und Ulrich, zumindest außerhalb des Hauses, keine Gelegenheit geben sich mit mir anzulegen. Auch wenn eigentlich immer er anfing. Ich würde nie einen Streit anfangen!

Damit fielen wohl auch gemeinsame Feierabendbiere mit dem Rudel aus, zumindest sollten wir uns im Alkoholkonsum zurückhalten. Das „Wolfs Heart“ gehörte unserem Rudel und häufig trafen wir uns dort nach getaner Arbeit. An manchen Abenden kamen andere Werwölfe die auf Wanderschaft waren in die Bar, jedoch nur sehr selten, durchschnittlich vielleicht alle viertel Jahre, denn so viele Werwölfe gab es auf dieser Welt nun auch nicht, geschweige denn Werwölfe auf Reisen.

Teilweise waren die Werwölfe gut ausgerüstet, kamen alleine oder zu mehreren, ein kleiner Teil der Werwölfe war Einzelgänger und besaßen selten mehr, als sie am Leibe trugen. Von den letzteren lud Alexei einige Wölfe unter unser Dach ein und ließ sie ein paar Tage ausruhen. Doch egal was für abgerissene Gestalten sie waren, keiner der Wölfe klaute irgendwas oder griff einen unseres Rudels an. Wie Alexei immer die richtige Wahl traf, war mir völlig schleierhaft, doch nach zweihundert Jahren, hatte er wohl eine gute Menschenkenntnis aufgebaut.
 

Während Alexei wieder an das Ausfüllen von Papieren ging, streckte ich mich genüsslich und verschränkte die Hände hinter dem Nacken. Die Beine streckte ich weit nach vorne, weg vom Stuhl, um entspannt die Augen zu schließen, jetzt wollte ich nicht mehr über die möglichen Gefahren und Probleme nachdenken, die auf uns zukommen könnten.

Ich weiß nicht, wie lange ich dort so saß und vor mich hin döste, doch irgendwann wurde ich aus meinen Tagträumen gerissen, weil ich jemanden vor der Tür hörte. Entschlossene und gleichmäßige Schritte von einer Person mit Gehstock, die gezielt auf unsere Bürotür zuhielten.

Ich setzte mich auf, als es klopfte und Alexei „Herein“ rief. Ich hörte, wie hinter mir die Tür aufging und jemand herein kam und während Alexei um den Schreibtisch herum ging, stand ich ebenfalls auf, um mich zu unserem Besucher umzudrehen. Ich wollte Alexei schließlich nicht durch Unhöflichkeit in Verlegenheit bringen.

Mein neutrales Kundenlächeln gefror mir im Gesicht, als ich die Person erkannte. Auch Alexei hatte herausgefunden, was unser Gast war, denn er hatte auf halben Weg zum Händeschütteln angehalten und seinen rechten Arm erhoben, um mich zu warnen. Bedrohlich knurrte er auf, doch kam er nicht mehr dazu, die Zähne zu fletschen, denn in der übermenschlich schnellen Bewegung der Vampire hatte Henry Benoir seinen Degen aus dem Gehstock gezogen und an Alexeis Kehle gesetzt.
 

„Thomas Cole, das ist eine Überraschung Sie hier zu sehen.“, sagte der Vater von Sina relativ neutral und zog eine Augenbraue verwundert hoch. Eine andere Reaktion auf diesen Schock, denn das musste es für den Vampir sein plötzlich zwei Werwölfen gegenüber zu stehen, zeigte Henry Benoir nicht.

Mein Herz hingegen schlug gerade bis zum Hals und das Blut rauschte in meinen Ohren, einerseits vor Angst, dass die Situation außer Kontrolle geriet, denn Vampir und Werwolf vertrugen sich einfach nicht. Andererseits – und ich traute mich gar nicht einzugestehen wie groß dieser Teil war – tanzte mein Herz Polka, weil hier der Vater von Sina stand. Das kleine Vampirmädchen lachte und randalierte wie heute Nacht manchmal gnadenlos durch meine Träume und machte es mir so schwer, sie endgültig zu vergessen.
 

Erst jetzt erwachte ich langsam aus der Erstarrung, die mich regelrecht gefangen gehalten hatte, als ich den Vampir erkannte und meine Muskeln spannten sich an, ein Grollen erklang aus meiner Kehle.

Ich wollte vorstürzen, denn auch wenn mein Instinkt mir bei Sina immer vorgegaukelt hatte sie sei ungefährlich, so wollte ich dem älteren Vampir nicht das Leben meines Rudelführers und Freundes anvertrauen. Doch bevor ich auch nur einen Schritt machen konnte, hob der Vampir herrisch eine Hand und an der Geste erkannte ich, wie gewohnt er es war, Befehle zu erteilen.

„Eine Bewegung und der Kopf deines Freundes liegt auf dem Fußboden.“, meinte Henry Benoir kalt und ohne sichtbare Gefühlsregung, so dass ich seiner Drohung ohne zu zögern Glauben schenkte. Dieser Drecksack wusste, dass er in der besseren Position war, denn selbst wenn ich Alexeis Tod in Kauf nehmen würde, hätte er immer noch Zeit den Degen in meine Richtung zu schwenken.

Gegen einen so bewaffneten Vampir hatte ich kaum eine Chance. Das Pfefferspray würde mir selbst mehr schaden als dem Vampir, war meine Nase doch sehr viel empfindlicher und allein an das Taschenmesser als Waffe zu denken war lächerlich. Selbst wenn ich schneller reagieren würde wie der Vampir, was ich stark bezweifelte, hätte ich es immer noch mit einem überlegenen Gegner zu tun, denn mit meinen läppischen neununddreißig Jahren konnte ich mit der Kampferfahrung des vielleicht Jahrhunderte alten Vampirs nicht mithalten.

Während den Augenblicken, in denen mir diese Gedanken durch den Kopf geschossen waren, hatte ich mich eine Winzigkeit nach Vorne geschoben, damit Alexei gleichzeitig mich und den Vampir im Auge behalten konnte.

Das Misstrauen in seinem Gesicht sorgte für einen Stich in meinem Herzen, aber was hatte ich auch erwartet? Dass Alexei einmal mit der Schulter zucken würde und darüber hinwegsah, dass ich einen Vampir kannte? Ich wäre an seiner Stelle auch misstrauisch, trug er doch die Verantwortung für ein Rudel und kannte mich erst seit zwei Jahren.

„Henry Benoir.“, antwortete ich kühl, neigte den Kopf um eine Winzigkeit als Gruß und trat noch einen Schritt vor, was von mit einem argwöhnischen Blick des Vampirs quittiert wurde. Ich musste zugeben, er sah immer noch blendend aus für seine werweiß viele Jahrhunderte und in dem dunklen Anzug entsprach er dem Bild eines Geschäftsführers einer großen Firma wie niemand sonst, zumindest solange man ihm nicht zu genau ins Gesicht sah.

Denn unter seinen Lippen schauten jetzt die spitzen Fangzähne hervor und seine Hände lagen fast locker auf dem Heft seiner tödlichen Waffe.

Ich merkte Alexeis Blick förmlich auf mich ruhen, auch wenn ich jetzt meine Augen auf den Vampir fixiert hatte und ich brauchte keine Fantasie, um die Frage die Alexei im Kopf herumspukte zu erraten. Er fragte sich bestimmt, woher ich einen Vampir kannte und wie die Verbindung zwischen uns war.
 

Hatte ich heute Morgen nicht daran gedacht, dass der Tag gut werden würde? Tja, als Hellseher würde ich wohl verhungern, denn das hier war eine Katastrophe. Selbst wenn die Situation sich entspannen würde und Alexei wieder ohne Klinge am Hals war, so bestand immer noch das Problem, dass jetzt beide Familien wussten, womit die andere Seite ihr Geld verdiente. Wenn die Vampire das Bedürfnis verspürten unser Rudel auszulöschen bevor wir ihnen gefährlich werden konnten, dann hatten wir ein ziemliches Problem.

„Ich denke, wir kommen zu keinem Vertragsabschluss. Demnach sollte ich gehen.“, erklärte der Vampir, machte aber keine Anstalten sich zurück zu ziehen oder die Waffe vom Hals meines Rudelführers zu nehmen. Auch Alexei hatte sich anscheinend von dem Schock erholt, denn er war nun nach außen hin wieder ruhig. Nur jemand der ihn kannte, konnte die kleinen Anzeichen von Nervosität und auch Angst erkennen – oder als Werwolf riechen – wobei die Hauptsorge aber wohl seiner Familie und dem Rest des Rudels galt.
 

„Wir werden nichts unternehmen, solange ihr Wölfe euch von uns fern haltet. Damit meine ich jeden einzelnen eures Rudels.“, machte der Vampir sehr deutlich, was er meinte. Bei dem letzten Satz hatte er mich fixiert und konnte dem Starren nur kurz widerstehen, bevor ich wegsehen musste.

Auch das war Alexei bestimmt nicht entgangen und ich freute mich schon jetzt darauf, was er mit mir anstellen würde, sobald der Vampir gegangen war. Doch jetzt musste er sich erstmal um den Henry Benoir kümmern.

„Solange keiner eurer Vampire meinem Rudel zu nahe kommt, werden wir uns auch von euch fernhalten. Die Stadt ist groß genug, um alle hier zu leben.“, erklärte er ruhig, was ich bewunderte, hatte er doch immer noch die scharfe Klinge an seinem Hals. Zu meinem Erstaunen zog Henry Benoir die Waffe zurück und trat einen Schritt nach hinten.

Was mich aber wirklich überraschte war, dass mein Rudelführer die Hand ausstreckte und der Vampir doch tatsächlich nach einigem Zögern einschlug. Soweit ich das beurteilen konnte, waren beide Ehrenmänner und würden sich durch diesen Handschlag an ihr Wort gebunden fühlen.

Doch das hieß noch lange nicht, dass sich auch der Rest der jeweiligen Familie daran hielt. Ich wollte mich gar nicht daran halten, denn ich musste Sina einfach wieder sehen, wollte wissen, wie es ihr ging. Andererseits lag mir auch viel an dem Rudel und ich würde es nicht in Gefahr bringen wollen. Das war doch zum Verzweifeln!

Durch die Versunkenheit in meine Gedanken hätte ich fast verpasst, dass sich Sinas Vater zur Tür wandte, um das Büro zu verlassen. Ein Fehler, der mir vor zwei Jahren sehr wahrscheinlich nicht passiert wäre. Die Geborgenheit eines Rudels hatte mich wohl etwas weich gemacht. Kurz bevor er die Tür schloss, drehte der Vampir sich jedoch noch einmal zu mir um.

„Ich entbinde dich hiermit dem Versprechen, kein Wort über meine Familie zu verlieren.“, erklärte er und die Tür fiel ins Schloss. Ein wenig überraschte mich das, hatte er wirklich geglaubt, dass ich meinen Mund über all die Jahre gehalten hatte?

Ja, ich hatte niemandem von der Vampirfamilie erzählt, doch woher wollte er das wissen? Seufzend sah ich nun zu Alexei, der mich mit Blicken maß, die ich nicht durchschauen konnte. War er jetzt wütend, besorgt oder enttäuscht? Vielleicht eine Mischung aus allem.
 

Mit einem schnellen Sprung war Alexei bei mir und stieß mich mit einer Heftigkeit an die Wand, dass mir einem Moment der Atem wegblieb. Aus Reflex wollte ich mich wehren, zwang mich dann aber, es zu lassen. Alexei war immer noch mein Rudelführer. Er würde mich schon nicht ernsthaft verletzen oder gar töten und wenn doch – nun, dann würde ich mich rechtzeitig wehren.

„Verdammt, in was hast du uns da rein geritten?“, grollte er wütend und unwillkürlich zog ich den Kopf etwas ein, was gar nicht so einfach war, schließlich lag einer von Alexeis Armen quer über meinem Halsansatz und sorgte dafür, dass ich an die Wand gepresst wurde.

In einer ernsthaften Auseinandersetzung hätte ich gegen seine Erfahrung zu kämpfen und wenn ich nicht schnell einen Treffer landete und meine etwas größere Körperkraft zur Geltung brachte, würde ich mit Sicherheit unterliegen. Schon allein aus diesem Grund ließ ich jede Gegenwehr sein, sondern krächzte nur heiser: „Ich erzähl dir alles. Wenn du mich töten willst, dann tu es jetzt.“

Sofort wurde Alexeis Gesicht sanfter und er schüttelte den Kopf. Mit einem tiefen Seufzer ließ er von mir ab und trat ein paar Schritte zurück, um sich halb an den Schreibtisch zu lehnen. Mit verschränkten Armen sah er mich finster an, doch die Wut von gerade schien schon wieder verraucht.
 

„Wieso sollte ich dich töten, du kannst nichts dafür, dass der Vampir hier aufgetaucht ist. Aber ich muss wissen, was du von ihm weißt und vor allem, woher du ihn kennst.“, erklärte er immer noch mit einem leichten Grollen in der Stimme aber eher in einem geschäftsmäßigem Ton. Ich blieb immer noch an die Wand gelehnt stehen, fuhr mir nur mit der rechten Hand unbewusst über Hals und Schlüsselbeine, wo Alexei mich gerade an die Wand gepresst hatte.

Ich war in einer Zwickmühle. Ich wollte meinem Rudelführer alles erzählen, schließlich war das Rudel so etwas wie meine Familie geworden, doch ich konnte nicht. Die Erinnerungen daran waren teilweise so schrecklich, dass ich noch heute manchmal aus Albträumen darüber erwachte und gleichzeitig verband ich mit den zwei Tagen vor drei Jahren wunderschöne Erinnerungen, die mir gehörten. Mir und niemandem sonst.

„Ich weiß nicht, ob ich dir alles erzählen kann.“, murmelte ich und langsam löste ich meinen Blick von dem Teppich, um Alexei anzusehen. Jetzt war ich an der Reihe aufzuseufzen und ließ mich an der Wand herabsinken. Ich musste einen verletzlichen Eindruck gemacht haben, denn Alexeis Stimme war sanft und ganz ohne Knurren, als er mich fragte, ob die Vampire mir etwas `angetan` hätten.

„Nein, die Vampire nicht.“, erwiderte ich mit einem freudlosen Lachen und schüttelte den Kopf. Ich fuhr mir durch die Haare und verbarg mein Gesicht in meinen Händen. Wenn ich schon alles wieder durchleben musste, dann wollte ich dabei wenigstens nicht Alexei dabei angucken oder sehen, wie er mich anschaute. Und so erzählte ich leise, zögernd und mit wenigen Worten, wie ich vor drei Jahren mit Jacks Rudel in Streit geraten war und sie mich schließlich halbtot liegen ließen.
 

„Das würde auch dein Misstrauen in den ersten Wochen erklären.“, murmelte Alexei vor sich hin und nun schaute ich doch wieder auf. Mittlerweile saß mein Rudelführer entspannter da. Entspannt war vielleicht nicht der richtige Ausdruck, aber er sah zumindest nicht so aus, als würde er mich jeden Moment anfallen.

Er sah mich aufmerksam an, doch war kein Hass mehr in seinen Augen, der kurz aufgeflackert war, als der Vampir gerade den Raum verlassen hatte. Etwas ruhiger erwiderte ich Alexeis Blick, doch stand mir jetzt der schwerste Teil erst bevor. Ich musste etwas von den Vampiren erzählen, wollte Sina aber so gut es ging außen vor lassen.

Wieso ich das wollte, wusste ich nicht genau, doch die Zeit mit ihr und die Erinnerung an ihr eigentlich immer von einem Lächeln erhelltes Gesicht gehörten mir. Das wollte ich gerade in diesem Moment nicht mit Alexei teilen, vielleicht wurde ich einfach auf meine alten Tage sentimental.

„Ich bin in einem hellen Raum wieder aufgewacht, zuerst dachte ich, ich wäre im Himmel.“, flüsterte ich weiter und starrte dabei die Wand gegenüber an. Meine Arme hatte ich um meine Knie gelegt und war ganz in meinen Erinnerungen gefangen. Alexei traute anscheinend nicht sich zu bewegen und atmete flach, um mich nicht in meiner kleinen Lebensbeichte zu stören.
 

„Eine Vampirin hatte mich bei der Jagd im Wald gefunden und zusammengeflickt. Und bevor du fragst, sie wollten wissen, was genau an den Werwolflegenden stimmt und ich war das Versuchsobjekt der Vampirfamilie. Aber keine Angst, ich habe nicht besonders viel erzählt. Wenn du mich fragst, haben die Vampire, übrigens drei Frauen und vier Männer, einen schlechten Tausch gemacht.“, erklärte ich.

Ja, das klang überzeugend, hatte alle relevanten Informationen enthalten und hatte nichts über Sina ausgesagt. Ich wusste immer noch nicht wieso ich das Vampirmädchen beschützen wollte, aber es hing wohl mit dem Gefühl zusammen, dass ich ihr auch nach all diesen Jahren noch etwas schuldete. Außerdem war das eine Information, die man guten Gewissens weglassen konnte. Als ich den Blick wieder hob schaute Alexei mich an, als wüsste er, dass ich etwas verschwiegen hatte.
 

„Und das Werwolfsrudel?“

„Tot.“, knurrte ich auf Alexeis zögerliche Frage und mein Ton machte überdeutlich, dass ich nicht mehr darüber reden wollte. Vielleicht würde mein Rudelführer es so auslegen, dass ich das Rudel systematisch gejagt und getötet hatte, doch mir war das egal. Im Moment wollte ich aus irgendeinem idiotischem Bedürfnis nach Sicherheit heraus sogar, dass Alexei mich für gefährlicher hielt, als ich war. Schließlich hockte ich gerade wie ein wehrloses Kind zusammengekauert an der Wand, das machte nicht gerade einen selbstbewussten und wehrhaften Eindruck.

„Mehr wirst du mir wohl nicht erzählen?“, stellte mein Rudelführer eher fest, als dass er fragte. Seine Stimme klang ziemlich neutral und zu meiner Verwunderung schwang kein dumpfes Grollen darin, hätte er doch eigentlich jeden Grund dazu auf mich wütend zu sein.

„Es ist hell draußen, aber das scheint Vampire ja nicht aufzuhalten.“, murmelte Alexei vor sich hin. Da erst fiel mir auf, dass ich an dem älteren Vampir keinen Sonnenschirm gesehen hatte, wie Sina ihn bei unserem gemeinsamen Spaziergang im Rosengarten getragen hatte. Wie machte das Clanoberhaupt der Vampire das? In meinem Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander, bis ich schließlich meine Theorie Alexei vortrug.
 

„Vampiren schmerzt das Sonnenlicht und tötet sie nach längerer Zeit. Je jünger sie sind, desto anfälliger sind sie auch. Ich denke, Henry Benoir ist einfach schon uralt und hat gelernt die Schmerzen zu unterdrücken und hat seine Haut daran gewöhnt. Vielleicht ist er ja auch einfach aus der Sonnenallergie raus gewachsen?“, mutmaßte ich einfach drauf los.

Alexei schwieg dabei und schaute nachdenklich vor sich hin. Ich wagte mich nicht zu bewegen, denn ich wollte nicht schon wieder den Zorn des Rudelführers auf mich ziehen indem ich ihn in seinen Gedanken störte und versuchte mich deshalb unsichtbar zu machen. Müsste mir eigentlich ganz einfach fallen, schließlich saß ich immer noch auf dem Fußboden und an die Wand gepresst.
 

„Wir sollten nach Hause gehen und die Versammlung schon verfrüht einberufen.“, erklärte Alexei schließlich nach gefühlten Minuten, doch wie lange er wirklich vor sich hin gestarrt hatte, konnte ich nicht sagen. Doch dann fiel mir etwas viel Wichtigeres auf: er hatte `Wir` gesagt.

„Ich muss das Rudel nicht verlassen?“, fragte ich ungläubig und mein Herz schlug vor Freude Purzelbäume. Ich hatte eigentlich fest damit gerechnet, schließlich hatte ich in gewisser Weise das Rudel hintergangen und ich fand es schon großzügig von Alexei, das er mich am Leben ließ und nicht windelweich prügelte. Doch dass ich immer noch zum Rudel gehörte und wieder mit nach Hause kommen durfte, hätte ich nicht erwartet.

„Nein, du kannst bleiben. Das gehört in deine, wenn auch sehr nahe, Vergangenheit und hat nichts mit dem Rudel zu tun, weswegen die anderen nichts davon wissen müssen. Doch wenn ich erfahre, dass du das Rudel oder mich hintergehst, dann bin ich nicht mehr so nachsichtig. Außerdem, was sollte ich Nikolai sagen, wenn ich ihm einen seiner großen Brüder wegnehmen würde?“, stellte Alexei klar.

Wenn sein Tonfall am Anfang des Satzes noch sehr dunkel und ernst geklungen hatte, so klang der Scherz am Schluss schon fast fröhlich. Die Erleichterung, dass er mir mein Treffen mit den Vampiren nicht als Fehler auslegte und sogar Stillschweigen darüber im Rudel halten wollte war unbeschreiblich.

Wenn Ulrich das jemals herausfinden sollte, könnte ich mir gleich eine Kugel in den Kopf jagen. Vielleicht tat ich meinem Rudelkameraden unrecht, doch so ganz grün waren wir uns schon so nicht, wie musste dann dieser Vertrauensbruch für ihn aussehen?

Eine Hand vor meinem Gesichtsfeld ließ mich aus meinen Gedanken aufschrecken. Ich fasste Alexeis Hand und ließ mir von ihm aus der unbequemen Position hoch helfen. Es wunderte mich schon etwas, wie einfach Alexei mein Schweigen über die Vampire nahm, doch als Vater von Niko konnte er nichts anderes als stressresistent sein.

„Dann ab nach Hause.“, murmelte er vor sich hin und mein Herz machte bei dem Satz einen Sprung. Ich hätte nie gedacht, wie sehr ich mich an die Personen des Rudels gewöhnen würde und selbst Ulrich würde ich auf gewisse Weise vermissen, wenn ich jetzt das Rudel hätte verlassen müssen. Doch damit es nicht nun doch dazu kam, würde ich mich ruhig verhalten müssen und das bedeutete, dass ich mich schön brav von allen Vampiren fern hielt – auch von Sina.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  P-Chi
2009-09-30T08:20:56+00:00 30.09.2009 10:20
:DDD
Waaaah~, das waren soo schöne Kapis x333 *schnief*
Danke übrigens für die Widmung! xDD
Und keine Bange, ich bin sicher nicht die einzige die deine (mega geniale) Story ,liest! *___*
Es war wirklich total rührend, wie Thomas über seine Rudelmitglieder und Sina gedacht hat. Das hast du mal wieder sehr schön geschrieben :) (was hab ich denn anderes erwartet...?)
Deine Übergnge sind wirklich ausgezeichnet und alles ist sehr flüssig zu lesen, nur weiter so!
Und ich hab nur zwei "Fehler" entdeckt, wobei ich mir nicht einmal sicher bin, ob es welche sind...<_<'
Also, zum ersten hast du einmal "Loge" geschrieben, statt Logo.
Und ansonsten ist mir nur aufgefallen, dass du im Prolog und am anfang des ersten Kapis oft geschrieben hast, dass Thomas vor 2 Jahren bei Sina war und plötzlich war es vor 3 Jahren...? o.ò?
Nun ja.
Die nächste Lobpreisung gibts im nächsten kapi ;)

lg Angels


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