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Mayaku, Gókan to Damaru [Teil I]

Die Vergangenheit ist unwiderruflich
von

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Die Puppenmaske [Teil 1]

Wenn ich mir mein Leben betrachte, dann kann ich ein was mit guten Gewissen sagen: Wir sind eigentlich eine ganz normale Familie. Die Geschwister streiten sich, Vater und Mutter turteln herum, als wären sie frisch verliebt und wir halten in schlechten Zeiten zusammen. Mutter ist unser Mittelpunkt des Leben, wie es bei jedem Kind der Fall ist. Mutter weiß alles, lehrt alles, hilft allem. Was wären wir ohne sie? Verloren… Wir sind eine normale Familie, doch wenn ich tiefer in unser Familienleben hinein blicke, dann gibt es auch bei uns eine dunkle Seite. Unsere geliebte Mutter ist krank - todkrank. Und wenn sie sterben wurde, dann würde jeder in unserer Familie auf seine Art und Weise sterben…
 

Die Puppenmaske [Teil 1]
 

05. Juli 2008
 

Draußen stand die Sonne schon hoch am Himmel. Es war fast sechs Uhr morgens. Leise Geräusche waren in seinen Zimmer zu hören. Das Plätschern von Wasser, wenn er seinen Pinsel erneut auswusch. Sein leises Summen. Gemischt mit den ruhigen Klängen aus seinen CD-Spieler.
 

Kankuro saß konzentriert an seinen Schreibtisch. Ein schwarzes Stirnband hielt ihm sein braunes Ponyhaar aus dem Gesicht. Fing den Schweiß auf, der an seinen Schläfen herunter rinnen wollte. Ruhig und langsam malte er noch mit den letzten Pinselstrichen das Gesicht seiner neuer Marionette.
 

Er bastelte gerne an Puppen herum. In der Grundschule hatte alles mit kleinen Löffelpuppen begonnen, doch in den Jahren hatte er seine Fertigkeiten und Fähigkeiten weiterentwickelt. Jetzt saß er oft mehrere Wochen an einer einzigen Marionette und gestaltete sie nach Wissen und seinen Vorstellungen. Der Bau einer einzelnen Puppe brauchte Zeit und auch Geld für die Utensilien und das Material. Deswegen dauerte es oft Wochen oder gar Monate, bis eine einzelne Marionette gefertigt war. Aber heute würde er seine dritte Puppe in diesen Jahr schaffen.
 

Voller Stolz betrachtete er sein neustes, wunderschönes Werk und grinste über das ganze Gesicht.

Dieses Mal hatte er eine Geisha [1] gebastelt.

Das Gesicht war in einen blassen Weiß gehalten.

Die Augen zu schmalen Schlitzen verengt und schwarz umrandet.

Die Lippen waren zu einen verführerischen Lächeln verzogen und mit roten, auffälligen Lippenstift übermalt.

Auf den bleichen Wangen war ein rosafarbener Touch zu sehen.

Sie trug einen schwarzen Kimono. Das Muster von gestickten, roten Lotusblüten zierte das dunkle Gewand.

Der Obi um ihren Bauch war in einen satten weinrot gehalten.

Hölzerne, rote Schuhe und kleine, weiße Strümpfe waren an ihre Füßchen.

In ihren holzigen Fingern hielt das Püppchen einen schlichten, schwarzroten Fächer aus dünnen Papier.
 

Die Marionette war recht klein, nicht einmal größer als dreißig Zentimeter. Und trotzdem ließ sie sich bewegen. Sobald die Farbe getrocknet war, würde er sein neues Prachtstück testen. Er würde sie elegant über den Boden tanzen lassen. Als würde sie leben.
 

Wunderschöne Puppe… Lächle und tanze!
 

Lautlos legte er seinen eben noch benutzten Pinsel zur Seite. Betrachtete für einen Moment sein Werk. Seine Arbeit. Er war stolz auf sich und seine Fertigkeiten. Auf seine neue Puppe, die so viel Geld, Arbeit und Zeit gekostet hatte. Aber es hatte sich gelohnt. In seinen Augen war dieses blasse Püppchen in der Gestalt einer Geisha sein bestes Kunstwerk, was er in den letzten Jahren geschaffen hatte.
 

Träge stand er auf und streckte sie ausgiebig. Er saß sicherlich eine knappe Stunde daran, dass Gesicht der Puppe zu beenden. Langsam sammelte er die einzelnen Farbtuben zusammen, ehe er seine Malutensilien zusammenräumte. Die benutzten Pinsel legte er auf ein Taschentuch. Später würde er diese im Badezimmer reinigen.
 

Leise summte er die Melodie von seiner CD mit. Ging mit ruhigen Schritten zum Fenster und öffnete dieses, um die frische Sommerluft in sein stickiges Zimmer zu lassen. Ein seichter Wind wehte in seinen Raum. Wirbelte sein braunes Haar durcheinander. Er nahm sein Stirnband wieder ab und legte es auf das Fensterbrett. Kurz ruhte seine Hand noch auf den Stück Stoff. Strich sachte über diese darüber.
 

Bewegungslos stand er am Fenster. Genoss die Ruhe in sich. Die Ruhe um sich. Den sanften, frischen Wind auf seiner Haut. Die Augen geschlossen, ließ er diesen einzelnen Moment auf sich wirken. Ließ ihn in sich wirken. Er fühlte sich frei und unbeschwert. Wie eine Marionette ohne ihren Fäden.
 

Er öffnete die Augen wieder. Sein Blick fiel auf seinen Radiowecker. Es war kurz nach sechs Uhr, sicherlich würden die ersten in der Wohnung wach werden. Kurz rieb er sich über seine Augen, als er merkte, wie müde er selbst noch war.

Kein Wunder, normalerweise war er ein totaler Morgenmuffel, doch heute war er schon um fünf Uhr aufgestanden. Und dies nur, um sein Kunstwerk noch vor Schulbeginn zu beenden. Für ihn war sein Hobby wie sein Leben.
 

Leise summend lief er durch sein Zimmer, eher er vor seinen Schreibtisch stehen blieb. Er hatte zwei Tische im Zimmer. Den einen benutzte er nur für den Bau seiner Puppen und der andere war für die restlichen alltäglichen Arbeiten. Arbeiten wie Hausaufgaben, Skizzen für neue Marionetten und andere Dingen.
 

Er war soeben auf der Suche nach seinen violetten Kajalstift, schob hier und da einige Blätter zur Seite. Schulbücher worden zu Boden gestoßen, doch er fand ihn nicht. Dieser verflixte Stift war wie verschluckt worden!
 

Ein Murren kam über seine Lippen. Seufzend stellte er sich wieder auf und fuhr mit gespreizten Fingern durch sein braunes Haar. Es war zum Verrücktwerden. Andauernd verschwand sein Kajalstift auf unerklärlicher Art und Weise. Warum er ihn brauchte? Es war ein einfacher Grund:
 

Er mochte Cosplay. Nicht so gewagt in kompletten Kostüm, sondern einfach und schlicht - deswegen schminkte er sich oft das Gesicht mit violettfarbenen Linien. Es war ebenso ein verrücktes Hobby, was nicht wirklich zu einem Jungen in seinen Alter passte. Aber es war ihm egal. Er war so, wie er war…
 

Seufzend und nachdenklich schloss er seine Augen. Wo in diesen jugendlichen Chaos war wohl sein Stift abgeblieben? Er konnte sich nicht einmal mehr daran erinnern, wo er ihn zuletzt hatte. Zur Not würde er sich den seiner Schwester ‘leihen‘ - obwohl eher nehmen besser passen würde. Diesen verwendete Temari sowieso nie.
 

Ein Klopfen an der Tür ließ ihn zusammenzucken. Erschrocken riss er die Augen auf. Sein Blick ging zur Zimmertür, als diese mit leisem Knarren geöffnet wurde. Seine Mutter stand im Türrahmen. Die hellbraunen Haare offen und leicht über die Schultern gekringelt. Ein warmes Lächeln war auf ihren Lippen. In der Hand hielt sie eine Tasse. Bestimmt Tee, denn ihre Mutter trank selten Kaffee, auch nicht an frühen Morgen. Er lächelte zurück.
 

“Ohayou, Ka-San!“ [2]
 

Mit langsamen Schritten kam er ihr entgegen und rieb seine Wangen gegen ihre, ehe er ihr einen leichten Kuss auf diese hauchte. Jeden Morgen begrüßte er sie so. Er liebte seine Mutter. Sehr! Sogar mehr, als seine Marionetten, auch wenn dies nicht schwer war.
 

Sie war alles für ihn. Seine Mutter. Sogar seine Muse. Oft hatte allein der Anblick seiner schönen Mutter gereicht und er hatte sofort Inspiration für ein neues Püppchen. Egal ob sie lächelte, lachte, wütend ihre Kinder ausschimpfte. Jeder Gesichtsausdruck war für ihn wie eine wunderschöne Maske. Selbst wenn seine Mutter weinte, sah dies wunderschön aus.
 

Liebe, zerbrechliche, wunderschöne Mutter… Ohne ihr fühlte er sich verloren.
 

Sachte hauchte sein Gegenüber ihm ebenfalls ein Küsschen auf die Stirn, ehe seine Mutter mit langsamen Schritten und der Tasse in der Hand an ihm vorbei ging. Sie ließ sich auf seinen Schreibtischstuhl nieder und blickte zu Boden.
 

Kankuro folgte ihr. Im Laufen schnappte er sich seinen zweiten Stuhl von seiner kleinen Werkbank und stellte diesen dicht neben den seiner Mutter. Langsam ließ er sich auf diesen nieder.
 

Sein Gegenüber blickte immer noch in Richtung Boden. Seit einigen Tagen machte dies seine Mutter oft. Heute sah sie auch wieder so blass aus, wie in den letzten Tagen. Nein! Sogar noch blasser. Leicht legte er seine Hand auf ihren Schoss und strich zart über diesen. Den Blick ebenfalls zu Boden gerichtet. Mit einem schnellen Griff nahm er ihr die Tasse aus der Hand und stellte diese auf den Tisch.
 

„Kankuro… bitte…“
 

Erschrocken zuckte er bei seinen Namen zusammen und hob den Kopf wieder an. Er schaute in ihre violetten Augen. Ihr Blick wirkte so unendlich traurig, aber auch müde vom Leben. Die Hand ruhte weiter auf ihren Schoss, krallte sich ein wenig in den Stoff ihrer Hose. Auf einmal legte sich die warme Hand seiner Mutter auf seine eigene und klammerte sich an ihm fest.
 

„Wenn ich nicht mehr da sein sollte, kümmerst du dich bitte um Temari?“
 

Leicht nickte er. Kankuro konnte sich denken, warum sie nur den Namen seiner Schwester nannte und nicht dem seines Bruders mit. Leicht biss er sich auf seine Unterlippe und senkte den Blick wieder. Seine Finger zitterten, als er sich tiefer in den Stoff ihrer Hose verkrallte.
 

Gaara war ein ungewolltes Kind. Soviel wie er wusste, war seine Mutter vor Jahren gegen diese Schwangerschaft, da sie mit einer Tochter und einem Sohn zufrieden war. Doch Vater wollte unbedingt noch ein drittes Kind. Am besten noch einen zweiten Sohn. Mutter hatte es ihm zuliebe ausgetragen.
 

Doch als Gaara zu Welt kam, zerbrach etwas in seiner Mutter. Er wusste nicht was, aber irgendetwas hinderte sie daran, dieses Kind in ihren Schoss zu lieben. Doch das war nicht alles, denn kurz nach der Geburt wurde seine Mutter sehr krank, sodass sie kaum noch aus dem Haus gehen konnte. Ihr Immunsystem war sehr geschwächt, weswegen sie oft mit Erkältungen und Grippen zu kämpfen hatte. Sie war eigentlich immer krank und kam kaum noch aus der Wohnung heraus. Viele Arztbesuche. Viele Medikamente, die mit der Zeit ihre Wirkung verloren. Dazu kam es noch, dass man vor einigen Jahren eine schlimme Krankheit bei ihr feststellte:
 

Lungenkrebs. Zwar war es damals vor vier Jahren noch in Anfangstadium, trotzdem zerriss es ihre Mutter immer weiter. Ein ungewolltes Kind, dann ein schwaches Immunsystem, Tonnen von Medikamente und Arztbesuche und jetzt noch Krebs.
 

„Was ist mit Gaara?“
 

Ob es ihre Mutter nach den vielen Jahren mit Schmerz und Leid schaffte, ihr jüngstes Kind zu lieben? Früher hatte sie Gaara oft mit einem lieblosen Blick angesehen. Zwar hatte sie ihn nie Vorwürfe gemacht oder gar geschlagen, dennoch schaffte sie es nicht, ihn zu lieben. Gaara war für sie nur ein Kind. Ein Kind, herangewachsen in ihren Leib. Ein Kind, was sie nicht lieben konnte, wie ein eigenes Kind. Und trotzdem hatte sie es versucht.
 

Liebe, zerbrechlich, wunderschöne Mutter… Sie hatte es versucht, doch nie geschafft.
 

Wenn seine Mutter so traurig aussah, fragte er sich oft dieselbe Frage: Wie lange würde sie es noch aushalten?
 

„Ihn auch… bitte… ihn auch…“
 

Sachte strich Kankuro ihr weiter über den Schoss. Den Blick immer noch zu Boden gerichtet. Leicht kaute er auf seiner Unterlippe herum. Seine Mutter krallte sich fester in seine Hand. An seine zittrigen Fingern. Er schaute wieder auf. Sah ihr in die Augen, ehe ein warmes Lächeln sich auf seine Lippen spielte.
 

„Keine Angst, ich werde auf beide aufpassen, Ka-San. Das verspreche ich dir!“
 

Es würde auf beide aufpassen. Sich um beide kümmern. Für beide da sein. Schließlich waren es seine geliebten Geschwister. Außer seiner Familie hatte er doch sonst kaum jemanden. Niemand wusste, wann seine Mutter vielleicht sterben würde. Er hatte sich an den Gedanken gewöhnt, dass es jeden Tag bald soweit sein könnte. Doch sich daran zu gewöhnen bedeutete nicht, dass er es akzeptieren könnte, wenn es wirklich soweit war…
 

Sein Gegenüber nickte leicht, ehe sich ihre Hände wieder voneinander lösten. Ebenso die Wärme und Geborgenheit die in diesen Moment zwischen ihnen beiden geherrscht hatte. Träge standen sie wieder auf. Schweigen. Sie hatten gesagt, was gesagt werden wollte und musste. Stille lag über den Raum, als dieses von seiner Mutter unterbrochen wurde. Ebenso die gedrückte Stimmung im Raum.
 

„Deine Puppe ist also nun fertig?“
 

Er nickte leicht und voller Stolz. Seine Mutter mochte seine Marionetten. Einige kleine hingen im Schlafzimmer an der Decke und den Wänden. Langsam schritt er zu seinen Werktisch und stellte sich vor diesen. Er streckte seine Hände aus und umgriff sachte, damit die frische Farbe nicht verwischte, das Gesicht der Marionette. Zart hielt er es zwischen seinen Fingern fest.
 

„Heute Nachmittag wird sie trocken sein und dann werde ich sie für dich tanzen lassen, Ka-San!“
 

Doch diese Puppe würde niemals tanzen können. Sie würde reglos liegen blieben und nicht einen Arm und ein Bein bewegen. Zu mindestens für die Augen seiner geliebten Mutter.
 

Liebe, zerbrechliche, wunderschöne Mutter… Nie würde sie die Puppe tanzen sehen.
 

~*~*~
 

13. August 2008
 

Die Wohnungstür fiel ins Schloss. Mit trägen Schritten trat er tiefer in den Flur. Zog ebenso langsam seine Schuhe aus und streifte sich seine dünne Jacke von den Schultern. Er war froh, dass sein Ferienjob für heute schon vorbei war.
 

Seit den Tod ihrer Mutter hatte Kankuro es sich mit zur Aufgabe gemacht, wenigstens durch einen Ferienjob etwas Geld ins Haus zu bringen. Er arbeitete als Helfer mit auf einem Bau. Je nachdem wann er gebraucht wurde, war er auf der Baustelle anzufinden. Heute wurde er sehr früh gebraucht und war dementsprechend für diesen Tag schon fertig.
 

Aber nicht nur er arbeite. Sein jüngere Bruder Gaara jobbte nebenbei in einen kleinen CD Laden mitten im Zentrum. Jetzt wo sie mit Vater allein waren, mussten sie mehr zusammenhalten. Mussten sie den anderen mehr unterstützen.
 

Seine Glieder schmerzten und fühlten sich steif an, als er über den Gang lief und zur Küche ging. Geduscht hatte er in einer dieser kleinen, engen Kabinen, die es auf den Bau in einen kleinen, ramponierten Wagen gab. Zwar waren die Fliesen dreckig, die Decke voller Schimmel und es kam nur kaltes Wasser aus den Duschkopf, aber dafür roch er nicht mehr extrem nach Schweiß und sah aus, als hätte er in Dreck gesuhlt. Mehr brauchte er da nicht.
 

Hastig richtete er sich noch einmal sein weißes Stirnband, welches ihm seine Ponyhaare aus den Gesicht hielt. Müde kam er in die Küche und blieb in Rahmen stehen. Sein Magen knurrte leise. Der Geruch von Essen wehte ihn entgegen. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen.
 

Aber ebenso überschwemmte der Geruch seine Gedanken und Gefühle. Erinnerte ihn immer daran, wie ihre Mutter früher hier in diesen Raum stand und für die Familie kochte. Er sah sie noch vor sich. Das braune Haar leicht in einen kleinen Zopf gebunden, trotzdem hingen vereinzelte Strähnen in ihrer Stirn. Die weiße, an einigen Stellen verdreckte Küchenschürze um die Hüfte getragen. Mit kleinen Schritten war sie hier über die Fliesen getänzelt. Hatte nebenbei den Kochlöffel geschwungen. Der angenehme, lecker duftende Geruch in der Küche. Und dann dazu das fröhliche, warme Lächeln seiner schönen Mutter auf den Lippen.
 

Seine Mutter hatte nie ihr Lächeln verloren. Sie lebte jeden Tag, als wäre es ihr letzter…
 

Liebe, zerbrechliche, wunderschöne Mutter… Einst hatte sie hier wie die Königin getanzt.
 

In diesen Moment erkannte er ihre Mutter. Wie sie selbst am Herd stand und kochte. Aber dies war unmöglich. Seine Mutter war und blieb tot. Kurz blinzelte er und schüttelte leicht den Kopf. Plötzlich wurde aus seiner Mutter niemand anderes als Temari. Seine geliebte Schwester, die seelenruhig am Herd kochte. Wer hätte es sonst sein können? Schließlich gab es ihre Mutter hier in dieser Wohnung nicht mehr. Sie war tot…
 

Der Tod war unvergänglich. Man konnte nicht mehr das retten oder gar zurückholen, was es nicht mehr gab…
 

Diese Erinnerung und dieser Gedanke schmerzten tief in seinen Inneren. Er hatte sie geliebt. So sehr, dass er nicht einmal wusste, ob er jemals über ihren Verlust hinweg kommen würde. Egal wie sehr er es sich wünschte. Er konnte sie nicht mehr zurückholen. Sie nicht mehr lachen hören. Ihre Stimme würde nur noch in seinen Erinnerungen zurückbleiben. Solange, bis selbst diese in all den Jahren verblasste und verschwand. Tief im Unterbewusstsein vergraben…
 

“Hey, Temari!”
 

Erschrocken hob die Blondhaarige den Blick an. Er sah ihr intensiv in die Augen, ehe sich ein leichtes Grinsen auf seine Lippen spielte. Lässig ging er auf sie zu und schaute neugierig in den nicht gerade gefüllten Wok. In den Moment knurrte leise sein Magen und verlangte nach Essen. Kein Wunder, schließlich hatte er den ganzen Tag noch nichts gegessen.
 

Er beugte sich weiter nach vorne, wie er es auch früher bei seiner Mutter gemacht hatte. Dabei hatte er nicht einmal Probleme damit. Schließlich war seine Schwester knappe zehn Zentimeter kleiner als er. Sachte berührten sich ihre Schultern und Oberarme. Stützten damit den jeweiligen anderen. Ein angenehmes Gefühl von Geborgenheit und Wärme durchströmte seinen Körper.
 

Aber es war anders, als das Gefühl bei seiner Mutter. Und trotzdem war er nicht allein. Immer wenn er seine Schwester am Herd stehen sah, erkannte er ihre Mutter in ihr. Diese trug sogar die Haaren ebenfalls beim Kochen, wie es einst ihre Mutter tat. Doch er war nicht traurig.
 

Klar, er vermisste seine Mutter. Schließlich hatte sie ihn fast siebzehn Jahre lang begleitet. Selbst jetzt noch dachte er viel an sie und fühlte, dass sie bei ihm war. Ebenfalls tief in ihm das Versprechen, was er ihr gegen hatte. Es hatte sich tief in ihn verankert. So tief. So fest. Hatte dort in seinen Inneren Wurzeln geschlagen. Ketten geschlungen und wollte ihn nicht mehr loslassen. Aber er konnte sich nicht davon beeinflussen lassen.
 

Seine Mutter war ihn heute noch wichtig, doch neben ihr hatte er noch seine geliebten Geschwister. Ein Stück Familie, was ihn liebte. Was ihn Geborgenheit und Wärme gab. Ein Stückchen Familie, was er liebte und was er um jeden Preis beschützen und unterstützen wollte.
 

Ein Versprechen konnten leere Worte werden - die Realität kam oft unverhofft und gnadenlos…
 

Das Grinsen auf seinen Lippen verebbte etwas, ehe nur noch ein leichtes Lächeln darauf zu sehen war. Die Erinnerungen an seine Mutter verblassten in diesen Moment. Verschwammen zu einen bunten Gemisch aus Farben. Seine Konzentration und sein Augenmerk lag nun gänzlich auf Temari und dem leeren Wok vor beiden.
 

Erneut knurrte sein hungriger Magen auf, weswegen er sich eine Hand auf seinen Bauch hielt. Nun ja, er war halt nun mal ein kleiner Vielfraß.
 

“Man, da ist ja noch gar nichts fertig, dabei hab ich doch solch einen Hunger.”
 

Sein Blick ruhte nun auf die Hände seiner Schwester, welche sich eben zu Fäusten ballten. Ein schiefes Grinsen zierte nun seine Lippen, als er sich denken konnte, was als nächstes passieren würde. Im kommenden Augenblick hatte er ihren Ellenbogen in seiner Seite. Tief bohrten sich die Spitze in seine Rippen. Ein leises, gequältes Keuchen entfloh ihm, als sich ein drückender Schmerz in seiner Seite meldete. Aber das Grinsen verschwand nicht und wurde noch breiter, als er das seiner Schwester sah.
 

“Fresssack! In einer viertel Stunde ist es fertig!”
 

Sofort richtete er sich wieder auf und lief mit langsamen Schritten an seiner Schwester vorbei. Seine Schritte klangen dumpf auf den weißen Fliesenboden. Lautlos pfeifend, indem er nur die Luft durch seine gespitzten Lippen ausblies, tänzelte er durch den Raum. Direkt zum alten Küchenradio. Für einen Moment herrschte noch Stille und Schweigen im Zimmer. Seine Hand streckte er nach dem Gerät aus und drückte den Powerknopf an. In der ehemaligen Ruhe ertönte nun die leise Stimme eines japanischen Sängers.
 

My Sweet Mother hohoende

atatakai nemuri wo saigo ni
 

Deadly Sweet Mother hohoende

yoru no naka itami wo nigirishime
 

[Meine süße Mutter, lächelnd.

Du lächelst so intensiv, es scheint fast so,

als ob gleich dein Herz zerspringt.
 

Tote, süße Mutter, voller Hass.

Die Tränen, die über meine Wangen strömen,

trocknen aus, wie auch die Jahreszeit verdorrt.]
 

Kurz runzelte Kankuro die Stirn. Die Band hatte er schon einmal gehört. Er war sicher, dass es entweder Dir en Grey, the GazettE oder Mucc war. Eigentlich war er sich fast sicher, dass es Gaara seine Lieblingsband war. Aber eben nur fast…
 

“Ey, ist das nicht the GazettE? Die hört doch Gaara gerne an.”
 

“Das ist Dir en Grey mit Embryo, du Idiot!“
 

Als er das Schnalzen von Temari’s Zunge hörte, wand er sich leicht zu ihr um. Seine Schwester stand immer noch am Herd und briet das Gemüse im Wok. Bis auf der Stimme von Kyo, dem Sänger von Dir en Grey und dem leisen Zischen im Wok war es wieder still in der Küche.
 

Erneut die Stirn in Falten gelegt dachte er wirklich darüber nach, warum er die vielen japanischen Bands dennoch durcheinander gebracht hatte. Nun ja, ähnlich klangen sie, da wollte er sich mit niemandem streiten. Und trotzdem wollte er nicht einsehen, dass dieses Lied von der Band Dir en Grey gesungen wurde.
 

“Sicher?” - “Ja.” - “Wirklich?” - “Ja, verdammt!”
 

Selbst als seine Schwester schon wenig überfordert schnaufte, konnte er sich nicht vorstellen, warum er falsch lag. Nachdenklich legte er seine linke Hand unter sein Kinn. Doch selbst ihm war es irgendwann zu dumm, sich über so etwas den Kopf zu zerbrechen. Dann lag er halt daneben. Deswegen würde die Welt nicht gleich untergehen.
 

Leicht schüttelte er den Kopf. Erneut streckte er seine Hand nach den Küchenradio aus, ehe er an den Sendern herum spielte. Leises Knacken und Rauschen war zu hören. Das Gerät war nicht mehr das Neuste und hatte schon einige Jahre hinter sich gebracht. Aber zum Musikhören reichte es alle Male aus.
 

Im Hintergrund hörte er das Zischen des Öles im Wok. Er mochte die Stimmung im Raum. Still und leise. Es war halt beruhigend. Dabei mochte er es gerne wenn es wild, laut und katastrophal zu ging. Aber jeder brauchte einen Moment, wo man entspannen und den Körper zur Ruhe kommen lassen konnte. Mit dem Gewissen, dass man in diesen Augenblick, in dieser beruhigenden Stille, nicht allein war…
 

“Und nun eine Meldung: Heute Morgen wurde die als vermisst geltende Schülerin Kurama, Yakumo [3] tot im Park von Hibiya [4] gefunden. Es wird von einen Sexualdelikt ausgegangen, noch weiteres versucht die Polizei heraus zu finden. Und nun zum Wetter…”
 

Erschrocken hielt Kankuro die Luft an, ehe er mehr aus Reflex heraus das Radio ausschaltete. Sein Herz raste hinter seiner Brust. Seine Finger zitterten ein wenig, als er den Namen dieses Mädchen hörte. Seine Arme sanken nach unten. Hingen wie steif an seinen Seiten. Seine Knie bebten. Nur träge bewegte er sich zum Küchenfenster. Sah hinaus.
 

Die Sonne schien warm am Himmel. Dieser war wolkenlos und strahlend blau. Man konnte es nicht begreifen. Ein Mädchen wurde tot und missbraucht aufgefunden und der Tag war so voller Wärme, als würde das ganze Glück hier auf Erden versammelt sein. Warum war das Leben so ungerecht?
 

Matt fuhr er sich mit gespreizten Fingern durch seine Haare. Krallte sich in seine braune Mähne. Müde strich er mit seinen Fingern über die Scheibe. Das Glas war kalt unter seiner Haut. Eiskalt, sodass seine Finger stärker zitterten. Dabei war es Sommer.
 

Seine Schultern bebten etwas, bevor er leicht seine Arme vor die Brust verschränkte. Sein Körper fühlte sich schwer an. Erschöpft lehnte er sich gegen die Küchenwand. Auf einmal fühlte sich sein Geist müde an. Träge senkten sich seine Augenlider etwas. Ein trauriger Glanz schimmerte in seinen dunklen Iriden. Doch keine Träne lief über seine Wange. Er wirkte in diesen Moment einfach nur kaputt.
 

So zerbrechlich…
 

“Traurig, mh? Dabei war sie so ein ruhiges Mädchen…”
 

Er kannte sie, da beide zusammen in einer Klasse waren. Aber außer ihm hatte sie nicht wirklich jemand bemerkt. Yakumo saß immer allein da und malte Bilder. Mit Bleistift, Füllhalter, Kugelschreiber oder Filzstiften. In jeder Pause hatte sie gezeichnet. Unzählig viele Bilder.

Meistens hatte er ihr dabei zugesehen und mochte ihre Zeichnungen. Viele Landschaftsbilder mit unzähligen Details. Tiere, Blumen, einzelne Klassenkameraden. Die Blätter waren immer voll davon.

Oft hatten sie sich dabei unterhalten, auch wenn sie wenig redete und Kankuro selbst das Gespräch am Laufen hielt. Aber dies machte ihm nichts aus. Es war in Ordnung, so wie es gewesen war. Er mochte sie sehr, da sie beide Kunst liebten. Er liebte seine Marionetten und sie ihre Bilder. Man konnte meinen, dass beide durch die Kunst zu Freunden geworden waren. Auch wenn sie fast nur über ihre Hobbys redeten.
 

Es war eigentlich gut so, wie es war…
 

Leicht weiteten sich seine Augen. Jetzt fiel es ihm auch wieder ein. Yakumo hatte sich immer mehr zurückgezogen und selbst nicht einmal mehr in den Pausen gezeichnet. Und damit hatten beide sich mehr unbewusst von einander entfernt. Und damit passierte es, dass Kankuro sie einfach in den letzten Schulwochen schlichtweg übersehen hatte. Yakumo verschwand tief in den Gewimmel in der Klasse und verschmolz als unscheinbares, graues Mäuschen mit dem Gemäuer der Schule. Bis sie gar nicht mehr zur Schule kam.
 

Irgendwie schmerzte es in seinen Inneren. Dabei war sie so ein ruhiges, nettes Mädchen gewesen, was gut zeichnen konnte…
 

“Mir ist nicht einmal aufgefallen, dass sie gefehlt hat. Weil sie doch immer so ruhig war… Unglaublich, oder?”
 

Schweigen herrschte wieder in der Küche, nur das leise Zischen im Wok war zu hören. Ruhig stand er an die Wand gelehnt und betrachtete draußen den wunderschönen Tag. Er biss sich auf die Unterlippe. Kaute auf dieser herum. Seine Kehle fühlte sich auf einmal so trocken und geschunden an. Als hätte er Nägel geschluckt.

Zitternd legte er seine rechte Hand an seinen Hals. Packte diesen an und drückte zu. Es kam ihn vor, als würde er keine Luft mehr bekommen. Er wusste nicht, was er denken sollte. In seinen Inneren zerfriss ihn die Erkenntnis, dass er eine gute Freundin verloren hatte. Eine der wenigen Leuten, die seine Leidenschaft für Kunst teilten.
 

Doch was machen? Er wusste es nicht…

In diesen Augenblick fühlte er sich ebenso verzweifelt und kaputt an…

Wie an dem Tag, als ihre Mutter starb…

Ein erdrückendes Gefühl, was ihm die Luft aus den Lungen drückte.

Warum nahm der Tod alles und jedem? Warum?
 

Langsam löste er sich von der Wand und ging zum Geschirrschrank, um Schüsseln und Gläser zu holen. Seine Finger zitterten noch ein wenig, doch versuchte er mit einem festen Griff das Porzellan zu greifen, um es nicht fallen zu lassen. Klirren stießen die einzelnen, kleinen Reisschüsseln zusammen, als er sie auf den Tisch stellte. Ebenfalls wie die Gläser.
 

Kurz hielt er inne, als er das Geschirr auf den Tisch stellte. Er verharrte in seiner Haltung. Seine Augenlider senkten sich. Einige Sekunden blieb er so stehen. Seine Gedanken wie leer gefegt. Er selbst wie in weite Ferne gerückt. Nur langsam bewegte er sich zum Kühlschrank und öffnete diesen. Eine kühle Brise wehte ihm entgegen. Er holte zwei Flaschen Wasser heraus und schloss die Tür wieder.
 

Plötzlich rasten wieder alle Gedanken über ihn. Verwirrt blinzelte er. Wusste nicht wirklich, was eben war. Für einen kurzen Moment hatte er das Gefühl, dass er wie in Watte gepackt war. Er sah nichts. Er hörte nichts. Er dachte an nichts.
 

Und jetzt kamen alle Gedanken wieder zurück. Er bekam den Kopf nicht frei. Warum gingen alle wichtigen Menschen von ihm? Vor fast einen Monat starb ihre Mutter und jetzt Yakumo. Warum? Er verstand nicht. Die eine ging wegen Krebs und die andere aufgrund eines Mordes. Es gab so viele Möglichkeiten zu sterben. Warum ließ Kami sie dann durch so einen grausamen Tod von der Welt gehen? Warum voller Schmerz und Leid? Warum mussten sie so früh gehen? Warum konnte er nichts dagegen unternehmen? Er fand und bekam keine Antwort…
 

Liebe, zerbrechliche, wunderschöne Mutter… Wo war sie, wenn man sie brauchte?
 

Temari war gerade dabei die Reisschüsseln zu füllen, als er mit den Flaschen zurück kam und in ihre Gläsern das Wasser eingoss. Wieder entstand Schweigen. Trotzdem war diese Ruhe nicht mehr so erfrischend und beruhigend wie vorher. Kankuro kam sie eher drückend vor. Niemand wusste, wie er wirklich in dieser Situation richtig handeln sollte.
 

Seine linke Hand griff nach der Stuhllehne. Knarrend zog er den Stuhl zurück und ließ sich auf diesen nieder. Sank ein wenig auf diesen zusammen. Seine Schwester machte es ihm gleich. Wie in Trance griffen sie zu den Essstäbchen und hielten sie zwischen ihren zusammengepressten Handflächen. Träge schloss er seine Augen und senkte den Kopf ein wenig.
 

“Itadakimásu!“
 

Gleichzeitig kam dieses Worte über beider Lippen, bevor sie mit dem Essen anfingen. Dennoch schweiften seine Gedanken sofort wieder zurück zu Yakumo und seiner toten Mutter. Er verstand es einfach nicht, warum Menschen so jung und ungewollt sterben mussten. Es war einfach nicht fair. Schließlich war das Leben wertvoll. Wertvoller als Gold, da es nur einmal gab.
 

Jedes Leben war ein Unikat - es gab es nur einmal. Eine zweite Chance bekam man nicht.
 

Er sehnte sich nach seiner Mutter. Nach seiner klugen, schönen Mutter. Seine Mutter, die immer Rat zu Problemen wusste. Seine Mutter, die ihn unterstützte und an seiner Seite war. Seine geliebte Mutter…
 

Doch nun war sie tot und er musste versuchen all seine Fragen und gar Probleme allein zu lösen…
 

Zitternd krampften sich seine Finger um die Essstäbchen, sodass er Mühe hatte, diese festzuhalten. Bei den Gedanken an seine Mutter fühlte sich sein Kopf so schwer an. Erinnerungen überhäuften ihn und raubten ihm damit den Atem. Er hielt im Essen inne. Senkte den Blick. Er wollte keine Tränen zeigen. Er wollte nicht weinen.
 

Er hatte es versprochen. Er hatte versprochen auf seine beiden Geschwister acht zu geben. Sich um sie zu kümmern. Und da war in seinen Augen Trauer fehl am Platz!
 

Aber auch er war nur ein Junge, der sich herzhaft nach seiner Mutter sehnte, dass es ihm fast das Herz zersprang. Der Gedanke an seine Mutter und ihren toten Körper trieb ihm die Tränen in die Augen. Dieser Verlust riss ihn oft die Beine weg. Schmetterte ihn zu Boden. Aber er stand auf. Immer und immer wieder. Egal wie oft er fiel. Er musste wieder aufstehen. Schließlich war er nicht allein mit diesen Schmerz. Aber warum musste sie so früh gehen?
 

Liebe, zerbrechlich, wunderschöne Mutter… Verstand sie nicht, was sie ihren Kinder da antat?
 

Erneut setzte er mit Essen an. Er zerkaute das gebratene Gemüse und ließ es sich auf der Zunge zergehen. Seine Schwester wurde von Tag zu Tag immer besser. Und ebenso immer ihrer Mutter ähnlicher…
 

“Du kochst besser, als früher.”
 

“Ich vermisse Ka-San…”
 

Wieder legte sich Schweigen über den Raum. Die Worte seines Gegenübers trieben ihn Tränen in die Augen. Er war nicht allein mit diesen Gedanken. Er war damit nicht allein. Sie alle betraf es. Sie alle waren verletzt. Sie waren wie ein verletztes Rudel, deren Alphatier gestorben war. Doch niemand war allein…
 

Lautlos legte er seine Stäbchen zu Seite und bettete zitternd seine Hände auf die seiner Schwester. Sachte streichelte er ihre. Als Temari überrascht den Kopf hob trafen sich ihre Blicke. Er sah in ihre glasigen Augen. Er sah ihre Tränen über die Wangen laufen. Er bemerkte, wie sie sich auf die Unterlippe biss und tief durch die Nase atmete.
 

In seinen eigenen Blick schimmerte kleine Tränen. Tränen voller Sehnsucht, Schmerz, Trauer und Verlust. Er strich weiter über die Haut seiner Schwester. Schweigen regierte in der Küche. Er war nicht allein. Sie trugen ihn zusammen aus. Diesen Schmerz. Diese Last. Sie teilten es. Der Gedanke machte es erträglicher. Den Tod ihrer Mutter. Trotzdem nahm er nicht die Sehnsucht nach dem verlorenen Familienmitglied weg…
 

“Ich auch, glaub mir, ich auch…”
 

Die Sehnsucht und der Schmerz bleiben. Tief und fest im Herzen verwurzelt. Doch zwischen den Schmerz und der Last war dieser kleine, hoffnungsvolle Gedanke: Man war nicht allein damit…
 

Liebe, zerbrechliche, wunderschöne Mutter… Sah sie nicht, wie sehr ihre Kinder unter den Schmerz litten?
 

~*~*~
 

Leise hörte Kankuro im Hintergrund das Album Nil von the GazettE. Ruhig summte er die Melodie mit. Ein Seufzend verließ seine Lippen, als er sich müde nach hinten lehnte. Schwummrig schien das schwache Licht der Deckenlampe in seinem Zimmer. Langsam legte er den Bleistift zur Seite und starrte an die Zimmerdecke. So eben arbeitete er an einer Skizze für eine neue Marionette, doch irgendwie wollte ihm nichts einfallen. Er wollte unbedingt etwas besonderes machen. Etwas, was nicht nur ihm, sondern auch anderen erfreute. Er wollte kleine Puppen kreieren, die auch seinen Geschwistern gefielen. Als kleines Geschenk eben.
 

Erneut seufzte er und richtete sich auf. Gähnend streckte er sich und suchte im Raum nach seinen Digitalwecker. Es war kurz vor zweiundzwanzig Uhr. Müde fuhr er sich durch die Haare, als er erschrocken zusammen zuckte. Er hörte ein Klirren aus dem Nebenzimmer. Glas oder Porzellan - irgendetwas wurde herunter geworfen und war zerbrochen. Und kurz darauf hörte er leise, fast lautlos ein tiefes, dunkles Schluchzen. Es klang nach ihren Vater.
 

Einen Moment hielt Kankuro inne. Seine Hände sanken und blieben reglos an den Seiten hängen. Seit einigen Wochen benahm sich ihr Vater seltsam. Er roch oft nach Alkohol. Zur Arbeit ging er auch nicht mehr. Die meiste Zeit verbrachte dieser im Wohnzimmer. Oft hörte er aus diesen Zimmer ein lautes Schluchzen und Weinen. Kein Wunder, schließlich erinnerte alles hier in dieser Wohnung an ihre tote Mutter. Doch er verstand seinen Vater ein wenig, schließlich erging es allen hier so. Niemand musste diese Last allein tragen…
 

Liebe, zerbrechliche, wunderschöne Mutter… Nur Schmerz und Tränen hatte sie hinterlassen.
 

Seine Schritte führten ihn zur Zimmertür, doch dort blieb er stehen. Seine linke Hand streckte sich zur Türklinke aus, aber sank gleich wieder. Was sollte er schon machen können? Am besten konnte bisher Temari ihren Vater trösten und besänftigen. Sie war in diesen Moment am besten dafür da, ihren kaputten Vater zu helfen.
 

Erneut zerschellte etwas klirrend. Wieder zuckte er zusammen. Streckte seine Hand zur Türklinke. Doch was nun? Er konnte doch jetzt sowieso nichts helfen. Am besten, er überließ seinen Vater jetzt Temari. Würde er sich jetzt einmischen, dann würde er sicherlich die Situation verschlimmern. Unter anderem war es seit einiger Zeit nichts Neues, dass Dinge an den Wänden zerschellten. In solchen Momenten war es das Beste, wenn ihr Vater nicht weiter gereizt wurde. Und Temari hatte es bisher immer geschafft, dass dieser sich beruhigte.
 

Die Hand hing immer noch in der Luft, verharrte regungslos dort. Nur träge sank diese nach unten, ehe sie das kalte Plastik des Lichtschalter streifte. Das schwache Licht im Zimmer erlosch.
 

Langsam tastete er sich durch sein Zimmer, um zur Stereoanlage zu kommen. Blass schimmerte das blaue Licht der Anzeige in Raum. Hastig drehte er die Musik ein wenig lauter, sodass er nichts mehr hörte, außer der Musik in seinem Jugendzimmer. Doch blieb er noch einen Moment vor dieser stehen.
 

Die Musik dröhnte leicht in seinen Ohren. Er hörte nichts anderes mehr. Seine Gedanken von eben waren verschwunden, dennoch herrschte in seinen Inneren eine Unruhe. Müde legte er seine Hand auf seine Brust und wusste nicht, ob er nicht vielleicht doch noch einmal bei Temari vorbei sehen sollte. Doch schnell verwarf er den Gedanken. Hastig machte er sich Bettfertig und legte sich schlafen.
 

Hätte er gewusst, was wirklich im Zimmer seiner Schwester vor sich ging, wäre Kankuro sicherlich noch einmal zu ihr gegangen. Er verschloss seine Augen vor der Tatsache, dass nicht mehr alles in Ordnung war. Er hoffte darauf, dass alles so war, wie immer. Er glaubte daran, dass es so war, wie immer…
 

Doch tief in seinem Inneren wusste er, dass es nicht mehr so war. Nicht mehr, seit dem Tod ihrer Mutter. Nicht mehr, seit dem ihr Vater mit Trinken begonnen hatte. Er hatte Angst… Angst, dass ihre so schon zerbrochene Familie noch mehr kaputt ging. Er versuchte sich mit den Gedanken zu beruhigen, dass alles in Ordnung war. Dieses Wissen verdrängte seine Angst. Verdrängte die negativen Gedanken und brachte seinen Geist zur Ruhe. Realität und Wunschdenken vermischten immer mehr.
 

Er hoffte es war alles in Ordnung. Es musste alles in Ordnung sein. Es war alles in Ordnung…
 

Liebe, zerbrechliche, wunderschöne Mutter…

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© Songtext “Embryo” by Dir en Grey
 

[1] Geishas sind oft japanische Prostituierte. Sie sind weiß geschminkt, haben einen Fächer in der Hand und posieren mit Vorliebe lächelnd vor einem Zweig mit Kirschblüten. Die Bedeutung des Begriffs Geisha: Person, die von ihrer Kunst lebt. Mit dem Begriff "Kunst" ist keineswegs ein besonderes Geschick beim Liebesspiel gemeint, sondern er bezieht sich auf die traditionellen japanischen Künste, insbesondere Tanz und das Shamisen - Spiel.
 

[2] “Guten Morgen, Mutter!”
 

[3] Ein Charakter aus den Naruto-Filler Folgen. Sie war die persönliche Schülerin von Kurenai, um bei ihr in Genjutsu unterrichtet zu werden.
 

[4] Hibiya ist ein Stadtteil von Chiyoda-ku und bekannt für seinen großen Park, den Hibiya-Park. Chiyoda-ku ist einer der 23 Bezirke von Tokio.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  FreakyFrosch1000
2011-09-21T16:05:21+00:00 21.09.2011 18:05
oh man...
durch dieses Kapitel wird das Verhältnis in dieser Familie noch klarer..
das die Mutter Gaara nicht wirklichen lieben konnte :(

wenn er nur wüsste was Temari wirklich geschieht, würde er anders denken..
aber eine große Last liegt auch auf ihm..
mir tut Kankuro so leid, jetzt muss er sich um seine kleinen Geschwister kümmern während sein Vater trink,
bin gespannt wie es weiter geht
Lg freakyfrosch
Von:  Mallibu
2011-09-19T13:12:17+00:00 19.09.2011 15:12
so durch Kankuro sind jetzt auch wieder einige Sachen verstärkt und auch vertieft worden, wie zB das Verhältnis von Gaara zu seiner Mutter.

ich verstehe Kankuro sehr gut das er sich schon fast zwangshaft wünscht das alles in ordnung sei obwohl er im inneren weiß das es nicht so ist, aber das macht alles ja noch einen tick schlimmer.

wie immer finde ich das pitel echt super und ich hab mich riesig gefreut es zu lesen :)
hast du super gemacht und ich freu mich schon wenn es wieder weiter geht :D

*knuff*


Von:  TyKa
2011-09-18T14:15:22+00:00 18.09.2011 16:15
und gleich geht es weiter
damit ich mein sehr schlechtes gewissen
was die kommis betrifft wieder rein waschen kann
^^

das neue kapitel ist auch wieder unglaublich gut
geschrieben

man möchte am liebsten kankuro anschreien das er helfen solle
dass er was tun solle

einfach traurig und man muss wieder mit sich ringen
also ich vor allem, dass ich nicht losweine

jedenfalls mach weiter so
deine geschichten sind einfach immer wieder klasse zu lesen

lg
TyKa


Von:  Misawa
2011-09-17T20:26:55+00:00 17.09.2011 22:26
So ich komme endlich mal wieder zum schreiben von Kommentaren. Tut mir leid, dass ich die letzte Male nicht geschafft habe.

Ich fand dieses Kapitel gut. Es hat mir gefallen. Ich finde es nur schade, dass Kankuro Temari nicht wirklich hilft.. dass er denkt, dass alles in Ordnung ist.

Aber es ist wirklich schrecklich, alleine, dass die Mutter gestorben ist und diese auch noch Kankuro fast sagte, dass sie Gaara nicht liebt.. das macht mich traurig.

Ich hab mich gefreut, dass du meinen Namen umgeändert hast. Das freut mich. Ich muss nur noch schauen, dass mich die Anderen wieder finden.
Ich freu mich schon auf das nächste Kapitel.

liebe Grüße,
_Kakao_


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