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Mayaku, Gókan to Damaru [Teil I]

Die Vergangenheit ist unwiderruflich
von

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Die Schönheit der Kirschblüte [Teil 2]

Sie war ungewollt. Ich war ungewollt. Meine Welt um mich war Grau. Das Gefühl zu Leben, ohne etwas wert zu sein, schnürrte mir die Kehle zu... Raubte mir die Luft zum Atmen... Etwas zu verstecken, was nicht sein sollte, war hart. Kämpfen. Verlieren. Aufstehen. Täglich. Das war mein Alltag…
 

Die Schönheit der Kirschblüte [Teil 2]
 

24. Januar 2009
 

Keuchend beugte sie sich über die Toilette, erbrach sich zum wiederholten Male an diesem Morgen. Seit einigen Wochen musste sie sich jeden Morgen übergeben. Manchmal auch tagsüber. Ihr ging es schrecklich. Ihr war nur noch schlecht. Außerdem hatte sie seit einiger Zeit schlimme Unterleibsschmerzen... Und ihre Periode fiel seit November auch schon aus.
 

Sie wusste nicht was los war. Verstand nicht, was mit ihrem Körper los war. Sie wusste nur, dass es ihr miserabel ging.
 

Schnell spülte sie, versuchte den Drang sich erneut zu übergeben zu unterdrücken. Ausgelaugt stützte sie sich auf das Waschbecken. Ihre Beine zitterten vor Erschöpfung. Ihre Hände waren schwitzig. Müde drehte sie den Wasserhahn auf, schöpfte ein wenig Wasser in ihre Hände, um ihren Mund auszuspülen.
 

“Na Miststück? Wieder gekotzt? Man könnte glatt denken, du bist schwanger.”
 

Sie hielt inne. Sakura blickte zur Seite. Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. Im Türrahmen vom Badezimmer stand ihre Mutter, die Arme vor der Brust verschränkt mit einer Zigarette im Mund. Das Haar der Frau war zerzaust in ihren provisorischen Zopf gebunden. Den Morgenmantel nur schnell über die Schultern gelegt und knapp zusammen gebunden.
 

Ihre Mutter kam näher auf sie zu, blieb direkt vor ihr stehen, nur um ihr den widerlichen Zigarettenrauch ins Gesicht zu blasen. Wieder stieg in ihr Übelkeit auf. Ihr Magen drehte sich und sie würgte, aber außer Speichel kam nichts mehr heraus. Es war merkwürdig. Früher hatte es ihr nichts ausgemacht, wenn sie den Zigarettenrauch ins Gesicht geblasen bekommen hatte. Aber seit einigen Wochen musste sie bei diesem Geruch kotzen. Sie verstand es nicht.
 

Grob wurde sie von ihrer Mutter zur Seite geschoben. Ihre Augen wanderten den Schritten hinterher. Ein trüber Glanz vernebelte ihre türkisen Iriden, als sie sah, zu welchem Werkzeug ihre Mutter griff. Eine Spritze. Durchsichtig und zerbrechlich. Dieses Gerät diente nur zu einem Zweck. Um sich Heroin damit zu spritzen...
 

Sie ließ den Kopf hängen, starrte das weiße Porzellan des Waschbeckens an. Noch einmal ging sie die Bemerkung ihrer Mutter durch. Drehte diese mehrmals hin und her. Suchte Anhaltspunkte, die sagen, dass sie es wirklich war. Zitternd legte sie ihre Hände auf den Bauch, der sich verkrampft zusammen zog.
 

Konnte es sein? War sie tatsächlich schwanger?
 

~*~*~
 

Der Schnee knirschte unter ihren Schuhen, während vom Himmel weitere weiße Flocken herunter rieselten. Seufzend bewegte sie sich zurück. Ihre Hände fest gegen ihren Bauch gepresst. Ihr war immer noch schlecht, weswegen sie heute eher von der Schule gegangen war. Ihre Gedanken kreisten immer noch über das Gesagte ihrer Mutter.
 

Schwanger…
 

Sie konnte es sich nicht vorstellen. Wann sollte dies passiert sein? Ihre Lider senkten sich leicht. Ihre Schritte verlangsamten sich, ehe sie ganz zum Stillstand kamen. Sie senkte ihren Kopf, starrte zu Boden, als sich die türkisen Augen vor Schreck weiteten. Erschrocken keuchte sie auf.
 

Ihr erstes Mal…
 

Anders konnte sie es sich nicht vorstellen. Grob biss sie sich auf ihre Unterlippe, kaute auf dieser herum, bis diese fast mit Bluten anfing. Aber sie konnte es sich nicht vorstellen. Es klang so... unglaubwürdig. Gerade bei ihrem ersten Mal. Obwohl... Sie hatte sich ihr erstes Mal auch romantischer vorgestellt, aber dem war nicht so.
 

Kurz schüttelte sie ihren Kopf, kaute weiter nachdenklich auf ihrer Unterlippe herum. Das war unmöglich. Sie brauchte irgendeinen Beweis. Irgendetwas, was ihr versicherte, dass sie wirklich schwanger war. Allein von Übelkeit, Magen- und Unterleibsschmerzen, ebenso von Regelblutungsausfall konnte sie es nicht festmachen. Diese Symptome waren ihr zu ungenau.
 

Sollte sie vielleicht einmal zu einen Frauenarzt gehen? Aber was war, wenn dieser herausfand, dass sie schwanger war? Sicherlich würde er sofort ihre Mutter informieren. Nein, dieser unterstand der Schweigepflicht, wenn sie es sich wünschte. Trotzdem... Das konnte sie nicht riskieren. So wie sie ihre Mutter kannte, würde diese sie sicherlich aus dem Haus werfen, wenn sie davon mitbekommen sollte.
 

Träge bewegte sie sich weiter nach Hause.

Schritt für Schritt setzte sie nach vorne. Langsam, sie hatte Zeit.

Denn sie wollte gar nicht ankommen. Nicht so schnell.

Zu Hause würde nur ihr ‘Freund’ auf sie warten...

Ein erschöpftes Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Ihre Augen stumpf vor Trauer.

Sie ging weiter, versuchte den Gedanken an ihren Freund zur Seite zu schieben.

Versuchte ihn zu verdrängen...
 

Gedankenverloren rannte sie gegen ein Schild und warf dieses aus Versehen um. Scheppernd fiel dieses zu Boden, zog die Aufmerksamkeit der Leute auf sie. Hastig stellte sie das Schild wieder auf, strich den Schnee von diesem und starrte es einen Moment an. Zögerlich strich sie über die leicht vergilbte Folie, zog die Konturen der einzelnen Buchstaben nach. Werbung über Schwangerschaftstest.
 

Ironie? Schicksal?
 

Sie kicherte leise, drehte sich zu dem Gebäude um, der diese kleinen Geräte vertrieb und ihr Lachen erstarb. Apotheke. Wenn sie wirklich schwanger war - und das bezweifelte sie sehr - dann müsste so ein Schwangerschaftstest ihr das doch verraten können.
 

Sie schluckte hart, straffte ihre Schultern und betrat mit einem leisen Klingeln von der Tür die Apotheke. Angenehme, warme Luft wehte ihr entgegen, wärmte ihre kalten Wangen auf und trieb ihr damit eine leichte Röte auf diese. Schnell klopfte sie den Schnee von den Schuhen ab.
 

Drin herrschte Ruhe, nur vereinzelt hörte sie das leise Klirren von Glas, als eine der Verkäuferinnen einige Flaschen ins Regal stellte. Ihr Blick schweifte weiter durch die Apotheke. Wollte sie doch allein sein, wenn sie ihre Bitte an die Verkäuferin richtete. Ohne gaffende Blicke Älterer. Ohne die neugierigen Gesichtsausdrücke anderer Menschen. Doch die Apotheke war wie ausgestorben. Fast...
 

Ihre Augen blieben an einem Mädchen hängen. Schmächtig. Klein. Das dunkelblaue Haar lief in kleinen Wellen über die schmalen Schultern und den Rücken. Zitternd hielt diese in ihren zierlichen Händen einen Korb. Was sie alles wohl kaufte? Ein wenig war Sakura schon neugierig, wollte aber das andere Mädchen nicht belästigen. Diese sah aus, als würde sie sofort die Flucht ergreifen, wenn man sie nur leicht an der Schulter berühren würde.
 

Ob sie einen Freund hatte? Sicher nicht, so wie sie aussah. Irgendwie war es schon ein wenig erbärmlich. Dieses Mädchen würde vielleicht für eine Ewigkeit das graue Mauerblümchen bleiben, was niemanden ansprach oder ansah. Verborgen in der Menge und allein. Wie traurig...
 

Leicht schüttelte sie den Gedanken wieder ab. Dieses Mädchen störte sie nicht. So wie es auch aussah, war sie voll und ganz mit ihren Einkauf beschäftigt. Die Andere würde nicht einmal am Rande mitbekommen, was Sakura von der Verkäuferin wollte. Dennoch... Mit einem mulmigen Gefühl trat sie weiter hinein, bis sie fast vor dem Verkaufstresen stand.
 

“Ähm, hallo?”
 

Sie zuckte zusammen, als eine der Glasflaschen klirrend zu Boden fiel und dort zerschellte. Erschrocken wand sich die Verkäuferin zu ihr herum und blickte sie überrascht an.
 

“Oh, willkommen. Wie kann ich dir helfen?”
 

Sakura kaute auf der Unterlippe herum. Ihre Augen wanderten ruhelos durch das Zimmer.
 

“Ich...”
 

Sie stockte und holte noch einmal tief Luft. Es konnte doch nicht so schwer sein, einen einfachen Satz zu sagen. Sie wollte schließlich nur einen Schwangerschaftstest. Mehr nicht. Kurz sammelte sie sich noch einmal, bemerkte wieder dieses unwohle Gefühl in ihrem Bauch, weswegen sie ihre Hände unbemerkt auf diesen presste. Der neugierige Blick der Verkäuferin machte es auch nicht gerade besser.
 

Hitze stieg in ihr auf, ließ ihre Wangen noch mehr erröten. Ihre Hände begannen mit Schwitzen, zitterten leicht.

Sie kam sich so beobachtet vor. Als würde ihr Gegenüber in sie blicken können.

Vielleicht sah sie etwas, was sie selber noch nicht wusste...

Hastig schüttelte sie den Kopf.

Irrsinnig. Was sollte man da schon sehen können?

Außer einer unerwiderten Liebe und einem Leben in Armut gab es da nicht viel...
 

Ein leichtes Lächeln legte sich auf ihre Lippen, sie sah die Frau freundlich an, ehe sie noch einmal zu ihrer Bitte ansetzte.

“Ich bräuchte einen Schwangerschaftstest.”
 

Der überraschte Blick der Frau irritierte sie ein wenig. War ihre Bitte so verwirrend? Kurz blickte sie an sich herunter und erkannte sofort das Problem. Sie war in dem Körper einer Dreizehn- bis Vierzehnjährigen und wollte einen Schwangerschaftstest. Würde da nicht jeder Verkäufer ein wenig skeptisch reagieren?

Sie seufzte und setzte eines ihrer lieblichsten Lächeln auf, brachte damit die Frau noch mehr in Verwirrung.
 

“Der Test ist nicht für mich, sondern für meine große Schwester. Wir denken beide, dass sie schwanger ist, nur haben wir keinen Beweis. Außerdem getraut sie sich nicht, sich einen zu kaufen. Deswegen übernehme ich das.”
 

Lüge…
 

Aber sie käme anderes nicht mehr heraus.

Alles würde nur noch geschwindelt sein.

Hier vertuschen. Dort verstecken. Menschen belügen.

Auch wenn sie es jetzt noch nicht ahnte, aber ihr Leben würde danach nur noch aus Lügen bestehen.

Ihr Leben würde eine Lüge werden...
 

“Ach so. Das ist aber lieb von dir. Na warte, mal sehen, was wir da haben.”
 

Mit einem Schlag war die Überraschung aus dem Gesicht ihres Gegenübers verschwunden. Zum Glück. Sie hätte ansonsten keine anderen Ausreden mehr sofort parat gehabt.
 

Schnell war ein Test ausgesucht und auch bezahlt worden. Sakura hatte ein aufgelegtes Lächeln auf den Lippen, als sie sich von der Verkäuferin verabschiedete.
 

“Ich hoffe sehr, deiner Schwester ist das Glück hold.”
 

Sie nickte nur, winkte der Frau kurz zu. Das mulmige Gefühl im Bauch flaute ab. Genauso wie ihre Nervosität.

Schnell verschwand sie wieder mit einem leisen Klingeln von der Tür aus raus in den fallenden Schnee.
 

Und mit der Lüge auf ihren Lippen.

Eine Lüge von vielen anderen.

Von diesem Moment an, war ihr ganzes Leben nur noch gelogen...
 

Und sie selber wusste es noch nicht.
 

~ *~*~
 

Leicht streifte sie sich ihre Schuhe von den Füßen und öffnete ihre Jacke, um diese über die Schultern zu streifen. Kurz hielt sie inne, als sie ein helles Kichern aus einem der Räume hörte. Skeptisch hob sie ihre Augenbraue hoch und sah den Gang entlang. Ihre Zimmertüre öffnete sich. Heraus trat ein junges Mädchen, nicht viel älter als sie selber.
 

Überrascht weitete Sakura ihre Augen. Das hätte sie nicht erwartet...

Da machte sich eine kleine Schlampe an ihren Freund heran!

Wut und Trauer überschwemmten ihre Emotionen. Aber ebenso Enttäuschung...

Sie ballte ihre Hände zu Fäusten, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten.

Ihre Schultern bebten leicht, während ihre Augen stumpf vor Trauer wurden.
 

Wieder hörte sie das helle Kichern, welches ihre Wut noch mehr aufschaukelte. Mit schnellen Schritten lief sie auf die beiden zu und schubste das Mädchen zur Seite. Das diese schmerzhaft zu Boden fiel, interessierte sie in diesem Moment nicht. Tief holte sie Luft, versuchte ihre aufkommenden Tränen zu unterdrücken, versuchte all ihre Wut in ihre Stimme zu legen.
 

“Was fällt dir ein, dich an meinen Freund heranzumachen?!”
 

Ihr wurde ein überraschter Gesichtsausdruck entgegen gebracht, ehe dieser sich in ein freches Grinsen wandelte. Sakura knirschte mit den Zähnen. Sie wollte sich soeben auf ihr Gegenüber stürzen, als sich ein starker Arm um ihre Brust schlang. Ein warmer Atem streifte ihre Wange, beruhigte nur minimal ihr aufgewühltes Inneres.
 

“Wir arbeiten morgen an dem Projekt weiter, in Ordnung? Ich habe gerade Wichtigeres zu tun.”
 

Nach diesen Worten küsste ihr Freund sie leicht auf die Schläfe. Die angespannten Fingerknöchel lockerten sich ein bisschen. Ihr Inneres kam noch ein wenig mehr zur Ruhe. Aber noch nicht so sehr, als das all ihre Wut verraucht wäre. Sakura verengte ihre Augen.
 

Das Mädchen auf dem Boden nickte leicht und richtete sich wieder auf. Jeder Schritt von ihr wurde ganz genau von der Rosahaarigen beobachtet. Beide lieferten sich noch einmal ein Blickduell, ehe die andere die Wohnung verließ.
 

Leise schnaubend wand sie sich zu ihrem Freund um, drückte sofort ihre Lippen auf seine. Ein kurzer Kuss entstand, war lieblos und kalt. Sie löste sich wieder.

Kalte Hände strichen unter ihren Pullover, zerrten leicht an diesem. Sie hob ihre Arme hoch, ließ sich das Kleidungsstück unbeteiligt über den Kopf ziehen. Zusammen mit ihrem T-Shirt.
 

Sie wusste was kam. - Sie wusste, was ihr Gegenüber wollte. - Sie wusste es, aber dennoch wollte sie es nicht.
 

Aber wehren war zwecklos. Würde sie ihm nicht das geben, was er wollte, dann würde er sie allein lassen. Das wollte sie nicht. Sie wollte nicht mehr allein sein.
 

Ein Seufzen kam über ihre Lippen. Kühle Finger strichen über ihre Haut, krallten sich gierig an ihre Brüste. Träge öffnete sie selbst ihren BH, ließ sich diesen ebenfalls ausziehen. Sofort wurden ihre Brustwarzen stimuliert. Sie wurden geneckt, gestreichelt und verwöhnt.

Ein Knie stellte sich zwischen ihre Beine, rieb durch den Stoff der Jeans gegen ihre Vulva. Sie keuchte auf. Eine Lustwelle durchströmte ihren Körper. Sie wollte das nicht, aber ihr Körper reagierte sensibel auf diese Berührungen. Reagierte auf die Worte ihres Gegenüber.

Die Liebkosungen an ihrer Brust ließen nach. Sie wurde an der Taille gepackt und zum Bett dirigiert. Es dauerte auch nicht lange, ehe man sie auf dieses stieß.

Ihr Körper erbebte. Lust und Angst wallten in diesem auf. Die Wut von vor einigen Minuten war wie weggeschwemmt.

Eine Hand machte sich an ihrer Jeans zu schaffen, öffnete sie und strich sie über ihre Hüften. Leicht hob sie ihr Becken, damit er sie leichter ausziehen konnte.
 

Sie kannte doch die ganze Prozedur. Würde sie sich jetzt wehren, dann waren Schläge wieder sicher.

Es wäre nicht das erste Mal...

Dabei war ihr Freund zu Beginn ganz anders: Liebevoll. Zärtlich. Sanft.

Aber von Mal zu Mal wurde er brutaler. Grober. Gemeiner.
 

Wieder seufzte sie auf, schloss ihre Augen. Verschloss sie vor der ganzen Welt. Verschloss sie vor der Wahrheit.

Ruhig lag sie unter ihm. Ihr Inneres aufgewühlt und ruhelos.

Sie wollte nur geliebt werden und wenn sie nicht das gab, was man von ihr verlangte, dann würde man sie wegwerfen.
 

Wie Müll…
 

Ihr Leben kam ihr so schäbig vor. Ihre Liebe blieb weiter unerwidert, vorgetäuscht und gelogen.

Alles war geschwindelt. Eine Lüge, die ihr Herz beruhigte, aber es gleichzeitig in zwei Teile riss.

Ihr Leben war eine ganze Lüge, aber dennoch kam sie von dieser nicht los.

Sie schwamm in den Wogen der Gefühle mit, welche sie immer weiter hochschaukelten, nur um sie mit einem Satz zum Absturz zu bringen.

Sie würde tief fallen. So tief, dass sie am Boden zerschellen würde.

Wie Porzellan.
 

Und sie würde schneller fallen, als wie sie es gedacht hatte…
 

~*~*~
 

Ekliger Zigarettenrauch trieb ihr die Tränen in die Augen. Stumpf starrte sie zur Decke. Ihr Freund saß neben ihr, die Zigarette im Mund und blies den Rauch durch das Zimmer. Eine unangenehme Ruhe herrschte im Raum. Die Matratze wackelte, als ihr Freund sich erhob, um sich anzuziehen.
 

Der Rauch brannte in ihren Augen, brachte sie dazu, dass es ihr schlecht wurde. Mühevoll kämpfte sie den Ekel herunter. Ihre türkisen Iriden weiter auf die Decke gerichtet.
 

“Es ist vorbei.”
 

Kalt. Emotionslos, kamen die Worte von dem anderen.

Qualvoll brannten sie sich in ihre Ohren, hallten dort wider, bis sie in jede einzelne Faser des Körpers gelangten.

Es dauerte nicht lange, bis ihr Herz so sehr von Kälte umfasst wurde, dass es ihr schmerzte.
 

Vorbei…
 

Ein kleines Wort, das so vieles kaputt machen konnte. Etwas in ihr splitterte. Zerfiel.

Zerplatzte wie eine Seifenblase. Es war die Hoffnung, dass alles hätte doch besser werden können...
 

Träge rollte sie sich zur Seite, schloss ihre Augen. Unvergossene Tränen brannten hinter ihren Lidern.

Ihr Körper schmerzte. Ihr Herz schrie.

Und dennoch... Ihr fiel ein Stein vom Herzen. Eine Last von den Schultern. Doch offenbarte damit ein tiefes Loch in diesem, welches mit Bluten begann. Eine tiefe Wunde war in dieses gerissen und blutete schmerzhaft.

Sie hatte es geahnt. Sie hatte es fast gewusst, dass es nicht lange dauern würde und er würde sie allein lassen.

Aber diese Erkenntnis schmerzte viel mehr, als sie es sich vorstellen konnte.
 

Sie kniff ihre Augen zusammen. Unterdrückte ihre Tränen. Unterdrückte ihr Schluchzen. Sie wollte stark bleiben, wollte ihm nicht zeigen, dass sie schwach war. Aber es tat so weh.
 

So unglaublich weh…
 

“Dann verpiss dich...”
 

Dünn war ihre Stimme, klang gebrochen und kaum hörbar. Wie ein Flüstern, was im Wind verging. Ihre Zimmertüre fiel geräuschvoll in ihr Schloss.
 

Die gesagten Worte hallten laut in ihren Ohren wider. Wie ein Echo, das auf Replay gestellt war.

Sie vergrub ihr Gesicht in ihre Hände. Verdeckte damit ihre geröteten Wangen. Verdeckte damit ihre nassen Augen, ihre feuchten Wimpern.

Grob biss sie sich auf die Unterlippe, versuchte ein Schluchzen zu unterdrücken. Wollte nicht, dass jemand sie so zerbrechlich wirkend sah.

Sie wollte stark sein. Wollte allen zeigen, dass sie es schaffen konnte. Wollte sich nicht unterkriegen lassen.
 

Aber sie war auch nur ein Kind...

Ein Kind, dass doch nur geliebt werden wollte.
 

Die ersten Tränen liefen ihr über die Wangen. Ihre Schultern erbebten, als das erste Schluchzen über ihre Lippen kam. Sie weinte. Weinte sich all den Schmerz von der Seele, während sie immer tiefer fiel. Sie fiel.
 

Minuten, Stunden lang. Sie wusste es nicht. Die Zeit rannte an ihr vorbei, während sie nur steif im Bett lag und weinte. Solange bis auch die letzte Träne vollständig versiegt war.

Dennoch blutete ihr Herz.

Die Wunde war tief, wollte jetzt noch nicht heilen.

Und wer wusste schon, wie lange es dauern würde, bis diese Verletzung verheilte.
 

Und wie lange eine Narbe bleiben würde…
 

~*~ *~
 

Nach einigen Stunden schaffte sie es sich aufzusetzen. Sie war zwischenzeitlich eingeschlafen. Ein unruhiger Schlaf, verbunden mit schlimmen Erinnerungen an ihre Beziehung. Ein müdes Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Erneute Tränen kämpften sie bei den Gedanken an ihren ‘Ex’ in ihrem Inneren hoch. Aber sie wollte nicht mehr weinen. Davon würde es nicht besser werden. Somit würde sie niemals die Brücke zu all diesen Erinnerungen kappen können. Sich davon lösen können.
 

Träge schob sie ihre Beine zur Bettkante vor, tastete auf diesem nach ihrem Slip, um ihn sich drüber zu ziehen. Ihre Glieder fühlten sich taub an. Steif, sodass sie Mühe hatte sich zu bewegen. Die Knie zitterten, verbrauchten viel Kraft, um ihren geschundenen Körper aufrecht erhalten zu können. Er hatte sie heute hart ran genommen. So sehr, dass sie Mühe hatte, auf ihren Beinen stehen zu können. Sodass sie viel Kraft verbrauchte, damit ihre Füße sie tragen konnten.
 

Es dauerte eine Zeit, ehe sie es schaffte sich ein rotes Shirt über den Kopf zu ziehen. Jede Bewegung schmerzte. Erinnerte sie daran, warum sie jetzt in dieser miserablen Verfassung war. Eine kleine Träne rollte über ihre Wange, liebkoste diese, versuchte sie zu trösten, ehe sie vom Kinn abperlte und im Stoff des T-Shirts versickerte und dort einen dunklen, nassen Fleck hinterließ.
 

Träge trugen ihre Füße sie aus ihrem Zimmer. Die Hände auf den schmerzenden Bauch gepresst. Ihr Blick ging stumpf durch den Flur. Von Nahem hörte sie das lustvolle Stöhnen ihrer Mutter aus dem Schlafzimmer, wie sie wieder mit einem ihren Freier ihren Spaß hatte. Sakura verzog ihr Gesicht zu einer angewiderten Grimasse. Sie konnte es sich nicht vorstellen für Geld ihren Körper einfach so zu verkaufen. Das war doch... ekelhaft. Aber ihre Mutter brauchte das Geld. Sie brauchte es, damit beide leben konnten. Seit ihr Vater beide einfach so verlassen hatte und er mit seiner neuen Freundin durchgebrannt war, reichte das Geld einfach nicht mehr. Deswegen brauchte ihre Mutter die Drogen, damit sie das Geld so verdienen konnte. Sakura stellte sich ein Leben als Hure grausam vor. So etwas wollte und könnte sie niemals machen.
 

Hastig schüttelte sie ihren Kopf, verdrängte diese Gedanken und konzentrierte sich wieder auf den Weg ins Badezimmer, als ihre glanzlosen, trüben Augen auf ihre Jacke fielen. Genau genommen auf diese Tasche, wo sie den Schwangerschaftstest noch hatte. Zitternd vor Kälte und Schmerzen lief sie zu ihrer Jacke und holte den Test heraus.
 

Schwer lag er in ihrer Hand. Fühlte sich an, als wollte er sich in ihre Handfläche brennen.

Ein erschöpftes Lächeln legte sich auf ihre Lippen.

Was für einen Unterschied würde es noch geben, wenn sie diesen Test machen würde und tatsächlich schwanger wäre?

Gar keinen mehr. Alles war sinnlos geworden...
 

Mit dem Test in der Hand bewegte sie sich ins Badezimmer und benutzte diesen wie es auf der Anleitung beschrieben war.
 

...
 

Zehn Minuten. Zehn qualvolle Minuten waren vergangen. Die ganze Zeit über saß sie auf dem zugeklappten Klodeckel. Ihre Beine waren zu müde, um sie weiter hätten tragen können.

Ihre Augen hatte sie starr in den Spiegel gerichtet, blickte dort in ein noch verheultes Gesicht. Schaute dort in vor Weinen gerötete Augen.

Ihre Wangen waren immer noch von einem leichten Rosaschimmer bedeckt, während der Rest ihres Gesichtes weiß wie eine Kalkwand aussah.

Ihr Inneres war zwar für diese kurze Zeit des Schweigen beruhigt gewesen, aber dies änderte sich schleunig wieder.
 

Zitternd streckte sie ihre Hand aus. Angst kroch ihr den Rücken empor, ließ sich ihre Nackenhärchen aufrecht stellen. Sie wollte nicht schwanger sein, hoffte sehr, dass sie es auch nicht war. Was sollte sie außerdem mit solch einem kleinen Wurm? Sie war selber noch ein Kind und fühlte sich doch jetzt schon mit ihrem Leben total überfordert.
 

Sie schluckte hart, starrte auf die Rückseite des Testes, ehe sie diesen zaghaft umdrehte. Sekunden verstrichen. Sie starrte auf den Schriftzug des Schwangerschaftstest. Eine Träne löste sich, rollte über ihre Wange. Klirrend fiel der Test aus ihren Händen. Weißes Plastik platzte von diesem, verteilte sich auf dem Fliesenboden.
 

Eine weitere Träne rann über ihr Gesicht. Ihre Hände zitterten unkontrolliert. Ihr war wieder schlecht. Hastig beugte sie sich über das Waschbecken und würgte, aber nichts kam heraus. Nur Speichel gemischt mit ein wenig Magensäure.
 

Sie schloss die Augen, rutschte vom Toilettendeckel herunter, ehe sie kniend am Boden zum Stillstand kam. Ein Schluchzen kam über ihre Lippen, trieb ihr weitere Tränen in die Augen, welche sanft über die Haut strichen.
 

Schwanger…
 

Sie war schwanger!
 

In diesem Moment wusste sie wirklich nicht, ob sie sich freuen oder hassen sollte.
 

Schwanger…
 

Immer noch klang dieses Wort so unreal in ihren Ohren. Aber der Test hatte es bewiesen. Sie war es. Dabei wollte sie doch gar nicht. Sie war erst vierzehn! Was sollte sie machen? Es ihrer Mutter sagen? Nein... Sie würde sie sofort herauswerfen. Es akzeptieren? Aber sie hatte doch noch ihr ganzes Leben vor sich. Sie wollte nicht jetzt schon Mutter werden!
 

Träge öffnete sie die Augen, alles war verschwommen. Sie schwankte leicht nach vorne, sackte in sich zusammen. Sie wollte das alles nicht. Aber was sollte sie denn sonst machen? Verdammt noch einmal, sie wusste es nicht!
 

Verzweifelt kauerte sie sich zusammen, presste ihre schwitzigen Hände gegen ihren Bauch.

In ihrem Inneren wuchs eine Brut heran. Nun für neun Monate lang.

Ein Kind, wovon sie nicht einmal wusste, wie sie damit umgehen sollte.

Ein Wesen, was sie gar nicht wollte...
 

Ein trostloses Lächeln legte sich auf ihre Lippen.

Ein warmes Gefühl kam in ihr auf. Warm und unbekannt. Aber angenehm.

Sie fühlte sich zu dem ungeborenen Kind verbunden.
 

Nicht, weil sie die Mutter werden würde, sondern weil beide ungewollt waren...
 

~*~*~
 

03. März 2009
 

Heiß schien die Sonne auf sie herab. Sie stand auf dem Schulhof, schwitzte extrem, da sie sehr dick eingekleidet war. Sie schämte sich dafür, dass sie so sehr schwitzte. Schämte sich, dass sie ein wenig roch. Auch da sie in der Pubertät war, verschlimmerte sich die Sache mit dem Schwitzen noch ein wenig. Kaum das Parfüm ihrer Mutter half da noch. Vom Waschen wollte sie erst gar nicht anfangen. Sie musste wirklich bei diesen Temperaturen und ihren vielen Pullovern aller Stunde duschen gehen. Zwecklos. Da musste sie nun durch. Sie würde sowieso nicht mehr lange in der Schule sein.
 

“Eh Sakura! Lust ins Schwimmbad zu gehen? Sind schließlich fast 25 Grad heute!”
 

Sakura sah auf ihre Freundin, welche von Weiten mit dem Arm wedelnd auf sie zu kam. Die Schritte der klackernden Absatzschuhe wurden immer lauter, bis sie ganz verstummten. Ihre stumpfen Augen sahen müde ihren Gegenüber an.
 

Schwimmen? Sie würde gerne, konnte aber nicht. Wie so vieles nicht mehr...
 

Schnell senkte sie den Blick, kaute nervös auf ihrer Unterlippe herum. Sie bemerkte, wie sich ihre Wangen erhitzten, so dass ein leichter Rosaschimmer auf ihrer blassen Haut entstand. Verkrampft legten sich ihre Finger auf ihren Bauch. Leicht schüttelte sie den Kopf, ließ ihr rosafarbendes Haar in ihr Gesicht fallen. Versteckte damit den Schimmer auf den Wangen, der sie vielleicht verraten würde, dass sie log.
 

Aber sie konnte es nicht anders. Sie musste lügen, weil sie es immer tat. Sie belog jeden. Täuschte Freunde. Spielte die Unwissende. Dabei wusste sie doch, warum sie das alles machte. Aber das durfte niemand wissen. Sie musste lügen, ansonsten wäre der jetzige Kampf, ihr Geheimnis zu bewahren, umsonst und verloren gewesen.
 

“Geht nicht, meine Mam braucht mich.”
 

“Deine Mam! Deine Mam! Ich höre nichts anderes außer ‘Meine Mam...’! Hallo! Ich bin deine Freundin! Deine Mam würde dich nicht gleich köpfen, nur weil du mal was mit mir machst!”
 

Sakura biss sich auf die Zunge, unterdrückte das Kommentar ‘Wenn du nur wüsstest’ so gut wie sie konnte. Ihre Finger krallten sich tiefer in den Stoff ihrer vielen Pullover, die sie trug, um ihren schwangeren Bauch zu kaschieren. Ihre Handflächen begannen schon zu schwitzen. Die Feuchtigkeit wurde vom Stoff der Kleidung aufgesaugt. Ihre Freundin schnaubte sauer aus.
 

“Also wirklich. Du kriechst deiner Mutter nur noch in den Arsch. Das ist sowas von dumm...”
 

“Als wüsstest du irgendwas!”
 

Sauer fuhr sie mit dem Kopf hoch, in den Augenwinkeln kleine Perlen, die im Sonnenlicht wie Diamanten glitzerten.
 

Was wusste ihre Freundin denn schon?

Nichts... Wie denn auch?

Schließlich sagte Sakura nie etwas über ihre Probleme.

Erzählte niemandem etwas. Behielt alles für sich.

Vor allem ihre Schwangerschaft verschwieg sie jedem.
 

Hastig wand sie sich um. Ihr war schlecht, zwar war dies nicht mehr jeden Tag, aber heute war es wieder einmal schlimm.
 

“Ich geh heim. Mir ist schlecht.”
 

Aber sie verließ die Schule nicht nur, weil ihr schlecht war. Sondern weil sie Sport hatte. Sport bedeutete, dass sie sich mit anderen Mädchen im Raum umziehen musste. Umziehen bedeutete, dass sie jeder nackt sehen konnte. In letzter Zeit fühlte sie sich so hilflos, wenn sie nackt war. Verletzbar und angreifbar. Aber nicht nur wegen ihrer Nacktheit hatte sie Angst, sondern das jeder ihre Schwangerschaftstreifen auf Bauch und Hüfte sehen konnte. Sicherlich würden da Fragen aufkommen, auf die sie nicht antworten konnte und wollte.
 

Erneut schnaubte ihre Freundin sauer aus, wandte sich ebenfalls um und schritt zum Schulgebäude.
 

“Schwänzt du wieder Sport?! Dir glaubt doch sowieso keiner mehr, dass dir schlecht ist!”
 

Dabei war es doch die Wahrheit... Einer Lüge schenkte man eher glauben, als der Wahrheit.
 

Welch Ironie.
 

Ein trostloses Lächeln legte sich auf ihre Lippen, was durch ihre langen Haare verdeckt wurde. Ein seichter Wind kam auf, wirbelte ihr Haar durcheinander und hoch in die Luft. Eine einzelne Träne rann ihr über die Wange. Ihre Finger vergruben sich tiefer in den Stoff. Die Fingernägel tief in den Bauch gedrückt.
 

Sie befand sich Anfang fünften Monat und spürte innerlich ein leichtes Kribbeln. Ein Hauch von Leben, was weiter in ihr heranwuchs. Was sich bewegte und ihr jeden Tag von Neuem zeigte, dass alles nicht nur ein schlechter Traum war. Es war Realität, dass ihr Leben von Tag zu Tag immer mehr durch Lügen kaputt ging.
 

Nicht einmal mehr ihre einzige Freundin glaubte ihr noch. Vertraute ihr oder schenkte ihr Trost.
 

Sie kam sich einsam vor.

Unverstanden.

Allein gelassen von der ganzen Welt.
 

Nur das kleine Leben in ihr, war für sie da. Sie klammerte sich an dieses Kind. Klammerte sich an die Wärme, dass es ausstrahlte und ihre Eiswüste der Gefühle zum Schmelzen brachte. Sie klammerte sich an die Hoffnung, dass alles irgendwann einmal ein Ende hatte. Vielleicht für immer...
 

~*~*~*~
 

28. Juni 2009
 

Eine klitschnasse Hose lag neben ihr in der Ecke auf dem verdreckten Boden. Die Fruchtblase war geplatzt. Sie hatte nur gemerkt, wie plötzlich etwas Warmes, Flüssiges an ihren Beinen herab lief, dadurch ihre ganze Kleidung durchnässt wurde und sich schon die erste Wehe durch ihren Körper zog.

Zum Glück war sie allein zu Hause und schwänzte mal wieder - sowie die letzten vier Wochen - die Schule.

Wie sie in den Keller gelangt war, wusste sie schon längst nicht mehr. Vielleicht war es Instinkt gewesen, da sie alle Vorbereitungen in diesem getroffen hatte.
 

Wieder verkrampfte sich ihr Körper. Ein schmerzhaftes Zittern durchfuhr diesen. Seit Stunden lag sie nun schon im Keller, zwischen staubigen Kisten und Regalen. Von Wehen heimgesucht, die ihr ihren Körper wie einen Klumpen Fleisch verkommen ließen, welcher nur noch durch Schmerzen zusammenhielt.

Ihre Hände hatte sie krampfhaft auf den Boden gedrückt. Die Beine breitbeinig über zwei Kisten gelegt, in der Hoffnung, dass dadurch alles leichter werden würde.

Schmerzhaft kniff sie ihre Augen zusammen, versuchte die Informationen, welche sie vor einigen Wochen aus dem Internet herausgesucht hatte, wieder ins Gedächtnis zu rufen. War überhaupt der Muttermund weit genug geöffnet? Sie hatte gelesen, dass er von acht bis zehn Zentimeter geöffnet sein müsste, damit sie in die Austreibungsphase gelangen konnte.

Sie musste versuchen sich zu entspannen, damit die Öffnung des Muttermundes schneller von Statten ging. Aber sie wusste nicht, wie die Atemtechniken gingen, in denen sie sich entspannen konnte. Sie hatte nicht einmal die Gelegenheit gehabt, sich tiefer mit diesen Techniken zu befassen und sie zu trainieren.

Schmerzvoll keuchte sie auf.
 

Es tat so weh... Sie konnte nicht mehr!

In solchen Momenten wünschte sie sich so sehnlich, sie hätte dieses Kind niemals zugelassen oder es liebend gerne verloren.

Kein Schrei kam über ihre Lippen, biss sie sich doch so fest auf diese, dass kaum ein Ton über sie kam. Die Angst, dass jemand sie hörte und heraus bekam, was sie hier unten trieb, war so groß, dass sie ihr Kind lieber in einen stinkischen Keller zur Welt brachte, als in einem Krankenhaus.
 

Wieder spannte sich ihr Körper an. Der metallische Geschmack von Blut breitete sich in ihrem Mund aus. Ein dünnes, rotes Rinnsal lief über ihr Kinn, perlte von diesem ab und tropfte auf ihr schwarzes, verschwitztes T-Shirt.

Sie hatte das Gefühl, dass sie pressen musste. Die Wehen kamen jetzt fast schon alle zwei Minuten. Waren mal stärker und flauten mal wieder ab. Bei einer erneuten Wehe presste sie wieder, hatte sie fast das Gefühl, als würde das Kind immer schwerer auf ihrem Darm liegen.

Wieder drückte sie, bemerkte, wie der Druck zwischen ihren Beinen immer stärker wurde. Sicher war es bald soweit... Sie hoffte es sehr. Eine erneute Schmerzenwelle übermannte ihren Körper. Ließ sie weitere Tränen vergießen. Ließ sie erneut pressen.

Sie riss ihre blutigen Lippen auf, schrie aus Leibeskräften, als eine erneute unermessliche Welle voller Pein ihren zierlichen Körper erzittern ließ. Plötzlich verringerte sich der Druck. Erneut drückte sie. Anscheinend war der Kopf jetzt draußen, nun musste sich das Kind noch einmal drehen, damit die Schultern durch passten.
 

Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, als all der Druck von ihrem Körper abfiel. Keuchend sackte sie in sich zusammen, öffnete träge ihre Augen. Schwummrig sah sie zur Kellerdecke. Hatte dieser Kampf viel Kraft von ihr verlangt.

Nur träge und mühsam schaffte sie es sich aufzusetzen. Ihr Blick fiel auf die dicke, weiche Decke unter ihr. Auf dieser lag in Blut und einigen Fetzten der Fruchtblase gebadet die Qual, welche sie schon seit neun Monaten mit sich herum trug.
 

Eine bittersüße Qual…
 

Ein Schrei entkam dem Kind, damit die Lungen in Takt kamen. Ein Schrei voller Leben.
 

Zitternd griff sie nach diesem, wickelte es in eines der dicken, sauberen Wolltücher auf dem Boden. Müde vor Erschöpfung strich sie dem Kind das Blut aus dem Gesicht, betrachtete es genauer.
 

Es sah so klein und so zerbrechlich aus. Als würde es bei einem falschen Handgriff zerbersten.
 

Einige Tränen liefen Sakura über die Wangen. Sie schämte sich. Sie schämte sich so sehr. Das war doch alles erbärmlich. Sie war fünfzehn und hatte schon ein Kind. Was sollten die Leute von ihr denken? Wie sollte sie außerdem mit diesem kleinen Wurm umgehen? Sie wusste noch nicht einmal, was sie machen sollte.
 

Angst, Verzweiflung und Hilflosigkeit durchschüttelten ihren Körper. Brachten ihre Schultern zum Beben.

Sie keuchte auf. Die Wangen noch vor Anstrengung gerötet. Und zwischen all diesen Emotionen mischte sich nur gering ein leichtes Gefühl von Erleichterung und Glück dazwischen. Sachte, da sie dem Kind nicht wehtun wollte, drückte sie dieses gegen ihre sich noch schnell hebende und senkende Brust.
 

Fühlte sich jede ‘Mutter’ nach der Geburt so? So kaputt vom Leben und zerfressen von Gefühlen?
 

“Ich wollte dich doch gar nicht...”, nuschelte sie heiser und schluchzte leise auf. Sie wollte diese Brut doch gar nicht. Aber nun war es zu spät. Nun hatte sie dieses zierliche Geschöpf in ihren Armen. Spürte dessen Wärme und den leichten Atem an ihrem Hals.
 

Minuten saß sie so da, lehnte sich erschöpft gegen ein stabiles Regal. Die Nachgeburt hatte sie auch hinter sich. Sie hoffte sehr, dass die Plazenta - der Mutterkuchen, der dem Kind in der Gebärmutter den Schutz bot - sich gänzlich gelöst hatte. Das Risiko an einer Infektion zu erkranken war groß, wenn nicht alles mit der Ausstoßung der Nachgeburt draußen war.
 

Müde waren ihre Augen auf die noch pulsierende Nabelschnur gerichtet, welche nach einigen Minuten gänzlich zum Stillstand kam. Das Kind leicht an sich gedrückt, beugte sie sich nach einer Schere, welche sie vor Tagen hier unten verstaut hatte. Genauso wie eine dicke Wolldecke, Klammern und viele Handtücher.

Sie schnitt die Nabelschnur durch, wusste nicht einmal, ob sie das Richtige machte. Im Fernseher waren für so etwas Ärzte und Hebammen da. Leute, die sich damit auskannten. Sie konnte in diesem Moment nur das machen, was sie gesehen hatte. Oder die Informationen praktisch umsetzen, die sie im Internet gelesen hatte.

Als die Schnur durchtrennt war, klemmte sie den Rest mit einer Klammer ab. Bald würde dieses Stück Haut absterben und abfallen.
 

Sterben und fallen...

Wie oft hatte sie sich das gewünscht?

Sie war oft gefallen... Manchmal so tief, dass sie dachte, dass sie manchmal erst sterben musste, damit sie wieder aufstehen konnte.
 

Erneut schluchzte sie, kaute auf ihrer Unterlippe herum, welche leicht brannte und betrachtete das Geschöpf in ihren Armen. Ein kleines Mädchen. Sie war gesund und hatte einen sehr leichten, dunklen Haaransatz. Vielleicht würden sich die Haare im Laufe der Zeit noch verfärben. Die Augen geschlossen und ruhig atmend. Als würde es sich bei seiner Mutter sofort wohlfühlen.
 

Ein müdes Lächeln legte sich auf Sakura’s Lippen. Sie wusste schon einen Namen für dieses Kind.
 

Sarane - Träne des Leids.
 

Wie viele Tränen hatte sie in all der Zeit schon vergossen, seitdem sie schwanger war?

Viele... So viele, dass man es nicht mehr zählen konnte. Und es werden viele weitere folgen...
 

~*~*~
 

“Was willst du?!”
 

Fauchend kamen die Worte über die Lippen ihrer Mutter. Sakura zuckte erschrocken zusammen. Den Blick gegen Boden gerichtet. Ihr Kind in den Armen fing sofort mit Weinen an. Sachte drückte sie das Kind gegen ihre Brust. Krallte sich an das kleine Leben, um nicht gänzlich den Halt zu verlieren. Versuchte es damit ein wenig zu beruhigen. Wollte ihm damit zeigen, dass es nicht allein war. Es half ein wenig. Aber nicht lange.
 

“Pack deine Sachen und verpiss dich!”
 

Klirrend fiel Glas zu Boden. Oder war es in ihrem Inneren? Sie wusste es nicht. Aber es schmerzte. So fürchterlich, als sei etwas in ihr zersplittert. Zerbrochen an den kalten Worten ihrer Mutter.
 

Ein Klatschen erfüllte die Stille des Raumes. Ihre Wange brannte. War das Blut auf ihrer Haut? Oder eine der vielen vergossenen Tränen, welche über ihr Kinn lief.

Nein... Es war Blut.

Sie hatte sich vor Schreck auf den Schlag auf die Unterlippe gebissen und diese erneut aufgerissen.

Zum Weinen fehlte ihr einfach die Kraft.
 

Sie blickte auf. Die türkisen Iriden stumpf vor Trauer. Zum ersten Mal nach langer Zeit und nach einem Schlag blickte sie zu ihrer Mutter auf. Blickte ihr direkt in die Augen. Zeigte ihr, wie kaputt und verletzt sie war. Wie sehr sie Hilfe und Liebe von ihrer Mutter brauchte und wollte.
 

Aber die gewünschte Reaktion blieb aus…
 

“Sieh mich nicht so an und verpiss dich! Ich habe nicht das Geld euch beide durchzufüttern!”
 

Sie biss sich auf die Unterlippe. Unterdrückte das Schluchzen und schluckte ihre Tränen herunter. Ein Kloß schnürte ihr die Kehle ab. Sie keuchte leise auf. Sie hatte es geahnt. Eigentlich schon fast gewusst. Aber warum? Was sollte sie jetzt machen? Sie wusste es doch nicht! Schließlich war sie selbst auch noch ein Kind...
 

Verzweifelt schrie sie die nächsten Wörter ihrer Mutter ins Gesicht.
 

“Was soll ich denn sonst machen, schließlich bin ich noch ein Kind!”
 

“Was soll ich denn sagen?! In deinem Alter musste ich auf den Strich gehen, damit ich dich dummes Mistkind durchfüttern konnte! Sei froh, dass ich dich solange hier ausgehalten habe!”
 

Damit war die Diskussion zu Ende. Mit einem Krachen fiel die Tür ins Schloss. Hinterließ vor dieser eine aufgelöste Sakura, die nicht wusste, was sie mit ihrem Leben anstellen sollte. Zitternd drückte sie ihr Kind mit dem einen Arm gegen ihren Körper. Wollte es beruhigen. Dabei musste sie selbst erst einmal zur Ruhe kommen.
 

Verzweifelt schlug sie gegen die geschlossene Wohnungstüre.
 

“Bitte, Ka-san...”
 

Erstickt kamen diese Worte über ihre Lippen. Schnappte nach Luft. Heiße Tränen benetzten ihre Wangen. Schluchzer raubten ihr den Atem. Aber keine Reaktion. Die Tür blieb verschlossen.

Erschöpft sank sie vor dem Holz auf die Knie. Weinte bitterlich. Blieb unerhört.
 

Merkte nicht einmal einer der Leute hier in dem schäbigen Häuserblock, dass sie am Ende ihrer Kräfte war?

Bemerkte nicht einer der Mieter in diesem Block, dass ihre Familie kaputt war?

Sah niemand, dass sie kaputt vom Leben war? Zerfressen von Gefühlen?
 

Anscheinend nicht...

Sie war allein. Kaputt. Ausgezerrt. Am Ende mit ihren Kräften.

Wie ein Blütenblatt fiel sie zu Boden. Blieb liegen. Wie unzählige Male davor.

Sie würde einfach weiter mit der trostlosen Masse der Menschheit mitgezerrt werden und mehr an Farbe verlieren...
 

Die Welt war und blieb Grau für das Leben dieser blühenden Kirschblüte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (16)
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Von:  Kokorokizu
2010-09-12T10:46:06+00:00 12.09.2010 12:46
Heftig, wirklich.
Sakura kann einem wirklich leid tun. Sie wird ungewollt schwanger, ihr Freund nutzt sie eh nur aus, bis er Schluss macht. Noch dazu hat sie niemanden, dem sie vertrauen kann und lügt.

Eine Stelle gefiel mir sehr. Die Ironie, das man Lügen mehr glaubte, als wie der Wahrheit.

Ihre Gefühle, als die kleine Sarane auf die Welt kam, hast du super rüber gebracht. das sie es einfach heimlich schaffen musste. Wie sie verzweifelt war, da sie keine Ahnung hatte, wie sie dieses Kind lieben soll. Das sie Hoffnung in sich spürte, das sie durch die Kleine vielleicht doch noch einen Sinn im Leben hatte.
Und dann wirft ihre eigene Mutter sie wegen ihrem ungewollten Kind heraus. Ein schreckliches Schicksal. Dabei konnte Sakura und vor allem nun auch die kleine Sarane gar nichts dafür.
Von:  Spielzeugkaiser
2010-09-05T20:52:12+00:00 05.09.2010 22:52
Das ist verdammt heftig, wirklich.

Den Logikfehlern habe ich gerne den Gar ausgemacht und auch die Sache mit Hinata - gerngeschehen.
War sowieso ein Glücksfall das mir das eingefallen ist :)

Die Szene in der Apotheke, die Trennung von ihrem Freund, das Schwimmbad... Die ganze Zeit denkt man, jetzt schafft sies gleich nicht mehr.
Man wartet darauf das die Wahrheit aus ihr herausbricht, so viele Lügen müssen sie doch kaputt machen und doch - Nichts passiert.
Sie kriegt einfach den Mund nicht auf.

Mir stellt sich da immer die Frage, was wäre wenn.
Wenn sie geredet hätte.
Hätte sie hilfe bekommen?
Irgendwie hab ich das Gefühl, sie wäre trotzdem alleine dagestanden.
Und das finde ich am Heftigsten von allem.

Auch die Geburt war sehr intensiv.
Du hast ihre Gefühle wirklich sehr, sehr gut getroffen!
Von: abgemeldet
2010-08-16T16:05:33+00:00 16.08.2010 18:05
*____* wauu echt toll, sorry hat qedauert *schwitz*
Echt toll..ohh man sakura tut mir echt leid.
echt hammer super wie die gefühle beschrieben sind
lq.
Hony
Von:  TyKa
2010-08-14T14:45:08+00:00 14.08.2010 16:45
das kapitel ist wahrlich
sehr sehr gut geworden
(wie ja immer von dir)

war wie immer gefesselt und
hat mitgeweint und mitgefiebert
mit dem Chara

mach immer weiter so
^^

lg
TyKa
Von:  Nanami_Michiko
2010-08-11T17:50:51+00:00 11.08.2010 19:50
ICh hab es endlich geschafft zuende zu lesen.
Man es war so traurig, dass man die ganze Zeit durch heulen könnte.
Du hast die Leben der beiden total "toll" beschireben.
Ich war echt beeindruckt.
Deine HP ist auch sehr gut geworden.
Naja jetzt will ich aber auch wissen wie es weiter geht ^.^

lg Nanami
Von:  Rinoa8
2010-08-05T11:56:01+00:00 05.08.2010 13:56
Ich habe mir endlich mal Zeit genommen die ersten Kapitel hier zu lesen.
Auch die HP hab ich mir mal angesehen.
Ich find es toll wie du deine Fanfiktion bearbeitest und noch diese zusätzlichen Sachen dazu machst.
Man merkt, dass sie dir wichtig ist und das finde ich super^^

Zur Geschichte bis jetzt...
Ich weiss nicht was ich sagen soll.
Es ist echt super geschrieben und beschrieben.
Man kann sich richtig hineinfühlen und sich das sehr gut vorstellen. Es ist echt ne traurige Story und regt sehr zum nachdenken an.
Auch finde ich es super, dass du es aufteilst und auf jeden Chara näher eingehst. Wobei ich finde, dass selbst die Chara-Beschreibung schon sehr viel aussagt. Echt gut gemacht.
Bin gespannt wie es weiter geht.
Mach weiter so!
Von:  Samrachi
2010-08-04T23:41:33+00:00 05.08.2010 01:41
oh man, ein schlimmes kapitel ;_; wie sakura heimlich das kind ausgetragen hat ist schon eine leistung O_O und sie wurde eiskalt von ihrer mutter rausgeworfen! nicht mal die idee, das kind zur adoption freizugeben hat sie ihr angeboten. sakura hat doch überhaupt keine chancen alleine mit einem kind durchzukommen O_o
hoffentlich trifft sie jemanden, der ihr helfen kann - ich weiß ich bin happyend-verwöhnt...

bis zum nächsten kapitel ;)
lg
Von:  Knuddel-chin
2010-08-03T10:33:34+00:00 03.08.2010 12:33
Ohje, ohje
arme Sakura
ich darf sagen, wieder ein super Kapitel
du schaffst es immer wieder, dass ich da sitze und traurig werde und mit den Charakteren leide
du kannst es einfach super rüberbringen
es ist wohl klar, welchen Weg Sakura jetz nach dem Rauswurf -man ärgert sich immer wieder über seine eigenen Eltern, aber solang unsere eigenen Elter mit uns sowas nicht machen und nicht machen würden, sollte wir uns über sie glücklich schätzen- was doch iwie traurig ist
mit liebsten Grüßen
Knuddel-chin
Von:  FreakyFrosch1000
2010-07-29T16:34:00+00:00 29.07.2010 18:34
WOW!!
das war echt ein klasse Kapitel!!!!
Sakura hat echt ein schlimmes Leben!!
und jetzt auch noch das Kind!!
Boar der Freund, die Freundin und die Mutter, die haben sie doch alle nicht mehr"motz"
du hast die Gefüle von Sakura echt toll beschrieben^^
Lg freakyfrosch
Von: abgemeldet
2010-07-28T17:13:24+00:00 28.07.2010 19:13
wieder ein sehr gutes kapitel.
Ich finde durch deie Art zu beschreiben kann man der Geschichte gut folgen und sich reindenken.
Freu mich aufs nächste Kapitel


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