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Sengoku-Jidai Chronicles - Zeit des Wandels

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ein herzliches “Hallo” an alle, die sich noch an mich erinnern und natürlich auch die neuen Leser! ^^
Ja, obwohl ich eigentlich nicht vorgehabt hatte, eine weitere Geschichte zu meiner “Inu Yasha”-Story zu verfassen, gab es von einigen Seiten die Bitte, dies noch mal zu überdenken, da insbesondere die Sache zwischen Sesshoumaru und Kimie nach der letzten FF doch etwas “abrupt” endete. Also habe ich mich nach einiger Überlegung dazu entschlossen, eine dritte Story zu schreiben. Somit wären wir also bei einer Trilogie. XD
Ich hoffe, die doch recht lange Pause zwischen dieser und der letzten FF hat positive Auswirkungen auf das Endergebnis. Obwohl ich wohl erst mal wieder etwas reinkommen muss... XD
Die Geschichte beginnt praktisch dort, wo der Manga endete. Ich habe mir die Freiheit genommen, den Knochen fressenden Brunnen auch nach Narakus Ende als eine dauerhafte Brücke zwischen der Gegenwart und der Sengoku-Ära einzubauen (Ich brauch den nämlich noch für später... XD).
So, nun aber genug gelabert. Viel Spaß mit dem Prolog und dem 1. Kapitel meiner neuen FF! ^-^
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Vorwort zu diesem Kapitel:
Es geht direkt weiter mit dem 1. Kapitel! ^^ Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hi, Leute! ^^
Wow, ich bin echt beeindruckt, dass ihr euch so zahlreich zu dieser neuen FF eingefunden habt. Das freut mich wirklich sehr! *euch knuddelz*
Aus diesem Grund will ich euch auch nicht lange mit großen Vorreden aufhalten und wünsche euch einfach mal viel Spaß mit dem neuen Kapitel! ;)
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Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo, liebe Leser! ^^
Entschuldigt, dass es ein wenig gedauert hat, ehe das neue Kapitel an den Start gehen konnte, aber ich hatte kürzlich mit einer Erkältung zu tun. Außerdem nimmt mich die Uni zur Zeit wieder sehr in Anspruch. Ich werde dennoch versuchen, euch in Zukunft nicht allzu lange warten zu lassen.
So, nun aber genug der Vorreden. Viel Spaß nun beim Lesen!
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Vorwort zu diesem Kapitel:
So, und nun ohne große Vorreden: Hier ist das neue Kapitel!
Viel Spaß beim Lesen! ^^
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Vorwort zu diesem Kapitel:
Hi, Leute! ^^
Danke für eure tollen Kommis! Und schon geht's weiter mit dem neuen Kapitel!
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Vorwort zu diesem Kapitel:
Halli hallo, Leute! ^^
Ja, endlich melde ich mich auch mal wieder zurück. Ich hoffe, ihr alle seid gut ins neue Jahr gekommen und hatte natürlich schöne Weihnachten. Eigentlich wollte ich ja im Zeitraum dazwischen das neue Kapitel fertig kriegen und hochladen, aber wie so oft im Leben kommt's gerne mal anders... XD
Na gut, besser spät als nie. Ich wünsche euch viel Spaß mit dem neuen Kapitel!
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Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo, Leute!
Endlich geht’s weiter mit dem neuen Kapitel. Sorry, eigentlich wollte ich es ja schon viel früher veröffentlichen, aber von der Zeit her hat das irgendwie nie gepasst. Und während ich an dem Kapitel saß, war ich größtenteils etwas im Delirium, aufgrund einer Erkältung. Meine Nase ist immer noch zu…
Aber egal, darum geht es hier ja nicht. Ich wünsche euch nun viel Spaß beim Lesen! ;)
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Vorwort zu diesem Kapitel:
So, ich war mal etwas fleißig und habe mich dieses Mal sehr beeilt mit dem nächsten Kapitel. ^^
Ich will auch lieber gar nicht zu viel vorwegnehmen, sondern möchte mich nur noch bei euch für eure tollen Kommis bedanken und wünsche euch ansonsten mal wieder viel Spaß beim Lesen! ;)
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Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo, liebe Leser!
Ja, hier bin ich wieder und melde mich mit einem neuen Kapitel zurück. So langsam wollen wir hier ja mal etwas vorwärts kommen, sonst drehen wir uns ja ewig nur im Kreis. XD
Wie dem auch sei, ich möchte mich an dieser Stelle auf jeden Fall noch mal für eure Kommis bedanken oder auch generell, dass ihr meine FF lest. Also, einen lieben Gruß an alle Leser dieser Geschichte. ^^
So, und ohne euch noch lange mit irgendwelchem belanglosen Zeug zu langweilen, wünsche ich euch nun viel Spaß mit dem neuen Kapitel! ;)
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Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo, Leute! Ja, ich lebe noch, man mag es nicht glauben. XD
Hm… Tja, das war doch eine “etwas” längere Pause meinerseits, die so eigentlich nicht eingeplant war. Es tut mir furchtbar Leid, aber es kamen einige Faktoren zusammen, die dafür gesorgt haben, dass es so lange nicht weiterging; keine wirkliche Zeit, keine richtige Lust und Laune etc. …
Nun habe ich erst mal bis in den Oktober hinein Ferien und will versuchen, mich ein wenig mehr am Riemen zu reißen. Ich selbst finde es ja auch nicht toll, wenn die FF so lange herumliegt, ohne dass ich daran weiter schreibe.
Na gut, ich will euch aber nicht allzu lange mit so was langweilen. Stattdessen wünsche ich euch nun viel Spaß beim Lesen und hoffe, ihr seid nicht allzu böse auf mich. *sich verbeug*

Hallo, Leute! Ja, ich lebe noch, man mag es nicht glauben. XD
Hm… Tja, das war doch eine “etwas” längere Pause meinerseits, die so eigentlich nicht eingeplant war. Es tut mir furchtbar Leid, aber es kamen einige Faktoren zusammen, die dafür gesorgt haben, dass es so lange nicht weiterging; keine wirkliche Zeit, keine richtige Lust und Laune etc. …
Nun habe ich erst mal bis in den Oktober hinein Ferien und will versuchen, mich ein wenig mehr am Riemen zu reißen. Ich selbst finde es ja auch nicht toll, wenn die FF so lange herumliegt, ohne dass ich daran weiter schreibe.
Na gut, ich will euch aber nicht allzu lange mit so was langweilen. Stattdessen wünsche ich euch nun viel Spaß beim Lesen und hoffe, ihr seid nicht allzu böse auf mich. *sich verbeug*
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Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallöchen, Leute!
Ja, ihr lest richtig. Ich lebe noch und schreibe endlich weiter! ^^’
Diese lange Pause war eigentlich gar nicht vorgesehen, aber es kommt ja oft genug anders als man denkt. Und bei mir kam einiges zusammen. Mal keine Zeit, dann keine Lust oder nicht ausreichend Motivation… Und dann musste ich mich erst mal selber wieder in die Story einfinden und meine bisherigen Kapitel noch mal lesen. Teilweise hatte ich einige Stellen sogar mittlerweile vergessen. Peinlich… XD
Ich kann euch auch leider nicht versprechen, dass es ab jetzt wieder regelmäßig neue Kapitel geben wird… Und dass ihr so lange warten musstet, tut mir wirklich sehr Leid. *sich verbeug*
Das neueste Kapitel ist leider auch nicht sonderlich lang. Auch könnte man dieses Kapitel wohl mehr als eine Art Übergangskapitel bezeichnen. Aber irgendwie dachte ich mir, es geht lieber endlich mal weiter, auch wenn’s etwas kürzer ist, als dass es noch mal über ein Jahr dauert. ^^’
Eigentlich möchte ich euch auch gar nicht weiter groß mit Entschuldigungen langweilen, sondern hoffe, dass ihr trotz der langen Pause die Geschichte weiter verfolgen werdet. An dieser Stelle möchte ich mich herzlich bei denen bedanken, die mir trotz aller Widrigkeiten bisher treu geblieben sind. *noch mal verbeug*
So, und nun wünsche ich euch viel Spaß mit dem neuen Kapitel!
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Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo, Leute! ^^
Ja, ich weiß... Schande über mich, dass ich mich nicht an das habe halten können, was ich mir eigentlich vorgenommen hatte...
Die Gründe dafür, weshalb es hier noch immer so schleppend vorangeht, sind eigentlich immer die selben, deshalb erspare ich euch die Details. Ich bin schon froh darüber, dass nicht noch mehr Gründe hinzugekommen sind...
Dieses Kapitel ist leider auch eher kürzer, das nächste wird dafür voraussichtlich wieder länger werden, weil da dann auch ein wenig mehr passieren soll. Wann das 13. Kapitel jedoch fertig sein wird, darüber gebe ich lieber keine Prognose ab. Ich werde aber wie gewohnt Nachrichten an diejenigen verschicken, die zuletzt Kommis hinterlassen haben. An dieser Stelle möchte ich mich bei all denjenigen herzlich bedanken, die mir bisher als Leser treu geblieben sind.
So, und nun wünsche ich euch viel Spaß mit dem neuen Kapitel!
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Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo, ihr Lieben!
Ja, ich lebe noch und bin auch nicht ausgewandert. Es tut mir schrecklich Leid (mal wieder...), dass ich einfach nicht aus dem Knick gekommen bin, aber was soll ich sagen? Die Gründe sind eh immer die selben... ^^'
Ich hoffe, ihr könnt mir verzeihen. *sich verbeug*
Im Vorfeld erst mal so viel: Wenn alles geklappt hat, so wie ich mir das vorgestellt habe, müssten euch drei neue Kapitel zur Verfügung stehen. Ursprünglich war das nicht so geplant und die Kapitel waren zunächst als zwei gedacht. Aber ich dachte mir, da ihr schon so lange warten musstet, wollte ich euch etwas mehr bieten, also habe ich das Konzept noch mal umgeschmissen und die beiden nachfolgende Kapitel gleich mit drangehangen, weil ja sonst wieder nichts passiert wäre. XD
Nicht wundern: Ich habe Kimies Schwert umgetauft und ihm doch endlich einen japanischen Namen („Raidon“ – Donnergott) gegeben. Das hat mich seit „Abenteuer im Mittelalter“ gestört... ^^'
Der Titel des Liedes, von dem die erste Hälfte als Text in diesem Kapitel auftaucht, lautet übrigens „Fields of Hope“ von Rie Tanaka. Einfach auf YouTube "inuyasha fields of hope" oder so was eingeben, dann könnt ihr ein paar schöne Videos sehen, die mich erst auf den Song gebracht haben. ;)
So, und nach all dem Gerede geht’s nun mit gleich drei Kapiteln weiter! ^^
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Vorwort zu diesem Kapitel:
Hi, ihr Lieben!
Ja, ich lebe immer noch, man mag es nicht glauben. ^^'
Und wie man es inzwischen von mir gewohnt sein dürfte: Es tut mir schrecklich leid, dass ich euch wieder so lange habe warten lassen... *sich verbeug*
Das Kapitel ist eigentlich schon seit ungefähr drei Wochen fertig gewesen ("schon" ist gut, ich wollte eigentlich schon letztes Weihnachten etwas neues hochladen ^^'), aber ich war irgendwie nicht so zufrieden damit und habe deshalb noch mit dem Hochladen gewartet (Außerdem ging die Uni mir in letzter Zeit mächtig auf die Nerven. Prüfungsphase eben... XD).
Na ja, am Ende habe ich noch ein bisschen was an dem Kapitel verändert. ^^
Noch mal sorry, dass ihr mal wieder länger warten musstet. Viel Spaß mit dem neuen Kapitel! ;)
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Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo, ihr Lieben!
Ich habe eben nochmal gesehen, wann das letzte Kapitel erschienen ist. Hmm... Eigentlich sollte ich mich gar nicht trauen, mich hier noch zu zeigen... ^^'
Ich weiß, ich bin schrecklich unzuverlässig, das tut mir auch furchtbar leid. Mal mangelte es an der Zeit, dann an der Motivation... Es war ein Teufelskreis. Wenn ich nicht auf Nachrichten von euch eingegangen bin, nehmt mir das bitte nicht krumm. Ich habe euch nicht absichtlich ignoriert oder dergleichen. Im Gegenteil, ich freue mich immer, wenn ihr mich auf die Geschichte ansprecht, selbst nach so langen Pausen zwischen den Kapiteln. Das zeigt mir nämlich wiederum, dass es sich in jedem Fall lohnt, die Story fortzuführen, auch wenn es mal etwas länger dauert, da das Interesse von eurer Seite her nach wie vor besteht. Auch ich selbst möchte auf keinen Fall, dass die Geschichte unvollendet bleibt. Von daher hoffe ich, dass ihr trotzdem weiter dabei bleiben werdet. Ich bedanke mich auf jeden Fall bei allen, die die Story mitverfolgen und vor allem so geduldig auf neue Kapitel warten. Ihr seid super! *sich verbeug*
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Prolog

Nach den Ereignissen in den westlichen Ländern und dem gewonnenen Kampf gegen den Clan der Ryû-Youkai, hatten sich Inu Yasha und seine Freunde, sowie Sesshoumaru und seine Gruppe wieder auf ihre Reisen begeben. Denn das Hauptziel - Narakus Vernichtung - galt es noch zu erreichen.

Zahlreiche Ereignisse prägten den andauernden Konflikt mit dem intriganten Hanyou. Kagura wurde von Naraku selbst getötet und Kanna unterlag gegen Inu Yasha. Kikyou starb infolge eines harten Kampfes, in welchem Kouga seiner Juwelensplitter beraubt wurde. In dem Wissen, dass er so seine Rache nicht vollziehen konnte, verabschiedete sich der Wolfsyoukai von Kagome und den anderen und zog sich mit seinen Kameraden aus dem Kampf zurück. Und Kikyous Tod war besonders für Inu Yasha ein schwerer Schlag.

Ein Treffen mit seiner Mutter führte Sesshoumaru auf schmerzliche Weise vor Augen, dass die Macht Tenseigas, Leben zu retten, nicht grenzenlos ist. Und nachdem er sein Verlangen nach Tessaiga endgültig aufgegeben hatte, erhielt er ein neues Schwert: Bakusaiga.

Doch als der Kampf gegen Naraku endlich gewonnen zu sein schien und das Shikon no Tama durch den von Kagome geäußerten einzig richtigen Wunsch endgültig von der Welt verschwand, schloss sich der Knochenfresserbrunnen. Drei Jahre lang war Kagome getrennt von Inu Yasha und ihren Freunden in der Sengoku-Ära. Ihre Cousine Kimie hingegen verblieb in jener Zeit. Beiden Mädchen war es nicht möglich, in die jeweils andere Epoche zurückzukehren.

Als sich der Brunnen endlich wieder öffnete, kam Kagome in die Sengoku-Ära zurück und beschloss, an Inu Yashas Seite zu leben.

In den drei Jahren seit dem Ende Narakus hatte sich einiges verändert: Sango und Miroku waren mittlerweile Eltern von drei Kindern und Shippou trainierte fleißig, um eines Tages ein starker Kitsune sein zu können. Kohaku, dessen Leben mit Kikyous Hilfe gerettet werden konnte, bekämpfte als Dämonenjäger gemeinsam mit Kirara bösartige Dämonen und Rin lebte inzwischen bei Kaede im Dorf, um sich wieder an ein normales Leben unter Menschen gewöhnen zu können.

Und Kimie… Sie war mit Sesshoumaru in dessen Ländereien zurückgekehrt und lebte seither in seinem Schloss. Sie begleitete ihn oft, wenn er regelmäßig aufbrach, um Rin im Dorf zu besuchen. Außerdem konnte sie dann auch immer ihre Freunde besuchen.

Nachdem der Knochenfresserbrunnen sich mit Kagomes Rückkehr wieder geöffnet hatte, schien es so, als hätte sich fast alles wieder in seine gewohnte Ordnung zurückbegeben.

Und weitere Monate vergingen…

Das ganz normale Leben

Wie ein gewaltiger Donnerschlag hallte das ohrenbetäubende Gebrüll eines mächtigen Dämons im dichten Wald wider. Krachend brachen Bäume entzwei und Blätter wirbelten in wilden Kaskaden durch die Luft.

“Er kommt näher!”, warnte Ashitaka seine beiden Kameraden vor. Tôya und Subaru hielten ihre Waffen bereit. Die Klinge von Tôyas Naginata blitzte im Licht der Abendsonne auf, während Subaru bereits einen Pfeil auf die Sehne seines Langbogens gelegt hatte. Gespannt warteten die drei Inu-Youkai auf ihren Gegner.

Für einen Augenblick war es totenstill im Wald. Doch als nur einen Augenaufschlag später brach wie von blinder Wut getrieben der Dämon zwischen den Bäumen hervor. Eine gespaltene Zunge schnellte zischend aus dem mit dolchartigen Zähnen besetzten Maul hervor, als das echsenartige Ungetüm den Kopf wild hin und her warf. Unter den heftigem Schlägen seines peitschenartigen Schwanzes barsten weitere Bäume unter lautem Getöse.

Ashitaka zog sein Schwert. “Ich finde, er hat sich hier genug ausgetobt.” Dann schnellte er los. Zu früh…

“Ashitaka! Nicht so schnell! Komm zurück!”, rief Tôya dem Jüngeren noch nach, als der feindliche Dämon mit seinem Schwanz auch schon nach Ashitaka ausholte. Im letzten Moment konnte dieser noch ausweichen, doch spürte er den starken Luftzug des Schlages dicht über seinem Kopf vorbeirauschen. Bevor der Dämon den Inu-Youkai erneut angreifen konnte, sprang Tôya an dem gigantischen Ungetüm hoch und verpasste ihm mit seinem Naginata einen tiefen Schnitt quer über das linke Auge. Das echsenartige Monstrum bäumte sich laut brüllend auf und drohte, in eine blinde Raserei zu verfallen.

“Weg da! Zieht euch von ihm zurück!”, wies Tôya seine beiden Kameraden eiligst an, die seinem Befehl sogleich nachkamen. Tôya selbst wich einem Prankenhieb des Dämons keine Sekunde zu spät aus.

Als er einen günstigen Moment abpasste, sprang Ashitaka auf den Rücken der Riesenechse und lenkte so deren Aufmerksamkeit voll und ganz auf sich.

“So, und jetzt hältst du mal schön still!” Ashitaka legte die flache Hand auf den breiten Rücken seines Gegners, konzentrierte sich kurz und unterwarf ihn sich mit Hilfe eines magischen Bannes gefangen. Die Echse konnte sich zwar noch bewegen, doch war sie nun viel schwerfälliger und somit berechenbarer geworden.

Tôya wusste sofort, dass dies der beste Zeitpunkt für den entscheidenden Angriff war. “Subaru!”

“Ja!” Sofort spannte Subaru die Sehne seines Bogens und schoss. Von einem hellen blauen Licht umhüllt, schnellte der Pfeil auf sein Ziel zu… und traf. Das Gebrüll des feindlichen Dämons erstarb abrupt. Von dem Pfeil tödlich in den Hals getroffen, stürzte der massigen Körper wie in Zeitlupe zu Boden und riss dabei noch weitere Bäume nieder, ehe er schlussendlich regungslos liegen blieb.

Von einer Sekunde auf die andere war es wieder still im Wald. Fast so, als hätte es diesen Zwischenfall nie gegeben.

Tôya schulterte gelassen sein Naginata. “Der war zwar groß, aber ansonsten keine wirklich große Herausforderung.”

“Im Ernst, viele Dämonen sind wirklich nicht mehr das, was sie mal waren”, fügte Subaru dem gelangweilt hinzu. “Zumindest müssen wir uns nicht allzu sehr anstrengen, um unsere Ländereien zu verteidigen.”

“Auch wieder wahr”, bestätigte Tôya, ehe er sich zu Ashitaka umwandte. “Aber sag mal, Ashitaka… Was hast du dir dabei gedacht, einfach so loszupreschen?” Er stieß mit dem stumpfen Ende seines Naginata leicht gegen Ashitakas Stirn. “Hatte Sesshoumaru-sama nicht gesagt, dass ich diese Mission leiten sollte und dass nur auf das gehört wird, was ich sage?”

Ashitaka kratzte sich etwas peinlich berührt am Kopf. “Oh, das meinst du… Entschuldige, es kam so über mich.”

“Hm! Du hast Glück, dass du noch mal davongekommen bist”, erwiderte Tôya. “Ich habe den Eindruck, dass du manchmal etwas nachlässig bist, wenn du den Eindruck hast, einem einfachen Gegner gegenüberzustehen. Das solltest du ändern.”

“Schon klar. Es tut mir Leid.”

Tôya seufzte kurz auf. “Wie dem auch sei… Gehen wir zurück ins Schloss und erstatten Sesshoumaru-sama Bericht. Außerdem denke ich, dass zu Hause schon jemand sehnsüchtig auf dich wartet.”

Ashitaka war natürlich sofort klar, wen sein Freund damit gemeint hatte. Und auch er selbst freute sich schon sehr darauf, Miyuki wieder zu sehen.

So machte sich die kleine Gruppe schließlich auf den Rückweg.
 

* ~ * ~ * ~ *
 

Der Winter war erst vor wenigen Wochen zu Ende gegangen.

Das Schloss der Inu-Youkai im Zentrum der westlichen Länder lag ruhig und beschaulich inmitten des großen Waldes, der es umgab. Der idyllische Frieden, der hier seit dem letzten großen Krieg gegen die Ryû-Youkai herrschte, war sehr befreiend, wenngleich man bei manchen der Inu-Youkai ab und zu den Eindruck bekam, als würden sie sich doch sehr langweilen. Doch die meisten hier schätzten den Frieden. Besonders, seit Sesshoumaru wieder zurückgekehrt war und so gesehen alles wieder seine Ordnung hatte. Endlich waren die Inu-Youkai nicht mehr ohne Oberhaupt oder mussten darauf warten, dass ihr Herr irgendwann zu einer unbekannten Zeit zurückkommen würde.

Ein sanfter Frühlingswind wehte durch ein offenes Fenster. Kimie, die gerade mit einem Tablett, auf dem zwei Teetassen und eine Kanne standen, daran vorbeiging, schaute nach draußen, ehe sie sich ihrem Besuch zuwandte und das Tablett auf dem flachen Tisch abstellte.

“Es ist schon eine Weile her, dass ihr zwei zuletzt hier ward, Kagome.” Kimie schob ihrer Cousine eine der beiden Teetasse zu.

“Na ja, du kennst ja Inu Yasha. Er ist halt immer noch wein wenig argwöhnisch, wenn es um Sesshoumaru geht. Obwohl ich den Eindruck habe, dass sich ihr Verhältnis zueinander gebessert hat”, erwiderte Kagome, während sie die Tasse dankend an sich nahm.

Kimie lächelte. Sie war froh, ihre Cousine nach einigen Wochen der Trennung wieder zu sehen. Damit sie sich in Ruhe miteinander unterhalten konnten, hatten sich die beiden in Kimies altes Zimmer, was ihr damals zur Verfügung gestellt worden war, zurückgezogen. Aber auch jetzt benutzte sie es noch regelmäßig, wenn ihr danach war. “Und? Hast du dich wieder etwas mehr an das Leben in dieser Zeit gewöhnt?”

Kagome nickte. “Ja. Und Kaede-obaa-chan hat mir viel Neues beigebracht. Letztens habe ich ihr wieder bei einer Reinigungszeremonie geholfen.”

“Mit dieser Kleidung siehst du auch aus, wie eine richtige Miko.” Kimie deutete auf Kagomes weißes Kimono-Hemd und den scharlachroten Hakama, den sie trug. Seit sie mit Inu Yasha zusammenlebte trug sie meist diese Tracht.

Kimie hingegen hatte sich ein sommerliches, knielanges Kleid aus hellblauem Stoff angezogen, was sie für gewöhnlich an besonders warmen Tagen trug. Es war schlicht und dennoch elegant. Arme und Schultern lagen frei und ab der Taille wurde das Kleid breiter. Ihr langes Haar trug Kimie offen.

Kagome lächelte vergnügt. “Du hast ja früher eher selten Kleider oder Röcke getragen, Kimie. Aber ich finde, du siehst sehr erwachsen aus.”

“Ach, echt?”

“Ja.”

Ein wenig verlegen war Kimie danach doch. “Na ja, wenn du meinst… Aber sag mal, wie geht es eigentlich den anderen im Dorf?”

“Gut. Sehr gut. Sango-chan und Miroku-sama haben allerhand zu tun mit ihren drei Kindern. Die Kleinen entwickeln sich prächtig! Und besonders sein Sohn scheint es Miroku-sama sehr angetan zu haben. Shippou-chan trainiert nach wie vor fleißig. Zwei Tage, bevor Inu Yasha und ich das Dorf verlassen haben, um herzukommen, ist auch er wieder losgezogen, um eine weitere Magieprüfung abzulegen. Rin-chan geht es auch sehr gut. Ich glaube, sie ist wieder ein Stück gewachsen. Alle haben gesagt, dass sie auch gerne mal wieder herkommen würden.”

“Ja, warum eigentlich nicht? Ich würde sie alle auch gerne wieder sehen.” Kimie trank einen Schluck von ihrem Tee. Indes lag ihr Hund Inuki dösend in einer Ecke des Zimmers und kümmerte sich offenbar nicht weiter groß und das Gespräch der beiden jungen Frauen.

“Hmm… Ich wundere mich immer noch…”, sagte Kimie plötzlich.

“Über was?”, fragte Kagome überrascht.

Die Ältere stellte ihre Tasse wieder auf den Tisch. “Die Sache mit dem Brunnen, nachdem Naraku besiegt war. Inu Yasha kam damals allein zurück und du bist drüben geblieben. Und ich… Na ja, ich hing hier sozusagen fest.”

“Vielleicht lag es auch in Narakus Absicht, uns beide zu trennen”, vermutete Kagome.

“Möglich. Aber ich habe mich oft gefragt, wie es dir wohl geht.”

“Bei mir war es auch so. Allerdings war ich mir ziemlich sicher, dass es dir gut geht.”

“Tja, aber zumindest konntest du die Schule erfolgreich abschließen.”

Die seltsame Geschichte mit dem Knochenfresserbrunnen hatte bei allen noch lange für Gesprächsstoff gesorgt. Doch nachdem Kagome wieder in die Sengoku-Ära zurückgekehrt war, war wieder alles so wie vorher. Und wenngleich Kagome und Kimie für sich entschieden hatten, hier in dieser Zeit zu leben, besuchten sie ihre Familie in der Neuzeit so oft wie möglich. Außerdem tat es den beiden ganz gut, auch hin und wieder mal die Luft der Gegenwart zu schnuppern.

“Und, Kagome? Wie läuft es so zwischen dir und Inu Yasha?”, fragte Kimie plötzlich, was Kagome kurzzeitig ein wenig aus der Bahn warf.

“Uhm… Nun… Eigentlich gut. Aber…”

“Aber?”

Kagomes nachdenklicher Blick senkte sich auf ihre Teetasse, die sie zwischen ihren Händen hielt. “Ich weiß es nicht so genau… Aber ich habe irgendwie das Gefühl, als würde er immer noch an Kikyou denken. Ich will ihm das auch keinesfalls verbieten oder dergleichen, aber… Ich habe manchmal das Gefühl, als wäre Inu Yasha nur mit mir zusammen, eben weil Kikyou nicht mehr da ist. Als wäre ich nur so was wie ein Ersatz…”

“Oh…” Anfangs wusste Kimie nicht so recht, was sie darauf hätte erwidern sollen. “Hast du… denn auch schon mit ihm darüber gesprochen?”

Doch Kagome schüttelte den Kopf. “Nein. Ich möchte ihm damit nicht auf die Nerven gehen. Zumal ich es auch verstehen kann, wenn er nach wie vor an Kikyou denkt. Immerhin waren die beiden mal ein Paar. Nur wegen Narakus Intrige wurden sie auseinander gerissen. Vermutlich würde es mir genau so gehen, wenn ich an Inu Yashas Stelle wäre.”

Kimie seufzte leise, lächelte jedoch. “Du und dein Verständnis. Aber das ist ja schließlich eine deiner guten Eigenschaften. Aber geheiratet habt ihr beiden bisher nicht, hm?”

Kagome lächelte verlegen. “Nein, dann hätte ich dir das schon gesagt. Aber in diesem Bezug scheinen du und Sesshoumaru ja auch noch nicht weiter gekommen zu sein, oder?”

“Tja… Das kommt wohl auf die jeweilige Sichtweise an.” Als sie Kagomes verwirrten Blick bemerkte, zuckte Kimie mit den Schultern. “Nun, wie soll ich sagen…? Das war so… Es war noch zu der Zeit, als wir gegen Naraku kämpften …”

Genauer gesagt, war es gut einen Monat, nachdem alle die westlichen Länder wieder verlassen hatten. Sesshoumaru hatte beschlossen, nahe eines kleinen Sees eine Rast einzulegen. Während Rin sich mit Blumen pflücken beschäftigt und Jaken unter einem Baum vor sich hingedöst hatte, hatte Kimie die Zeit gefunden, sich mal wieder etwas ausgiebiger mit Sesshoumaru zu unterhalten. Und als sie das Thema eher unbeabsichtigt auf Ehe gelenkt hatte, da hatte er es ihr praktisch wie selbstverständlich unterbreitet…
 

* ~ Rückblick ~ *
 

“Waaaas?! Was soll das heißen, wir sind im Grunde schon längst verheiratet?!”

Der plötzliche Ausbruch von Kimie brachte Sesshoumaru kurzzeitig ein wenig aus dem Takt.

“Soll das heißen, du weißt das gar nicht?”, war daher gleich seine Gegenfrage gewesen.

Kimie starrte ihn an, als hätte sie einen Geist gesehen. “Was soll die Frage? Sehe ich etwa so aus?!”

Nein, danach sah sie im Augenblick in der Tat nicht aus. Das sah auch Sesshoumaru rasch ein. Seine Erklärung fiel jedoch im üblich sachlichen Ton aus: “Genau genommen, sind wir seit unserer ersten gemeinsamen Nacht miteinander verheiratet.”

Diese ruhige Art und Weise, wie er das gesagt hatte, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt gewesen, irritierte Kimie aber nur noch mehr. “Wie bitte?! Ist dann etwa jede Frau, mit der du schon mal was hattest, automatisch deine Frau?”

“Natürlich nicht! Ich wähle mir meine Gefährtin immer noch selbst aus”, stellte Sesshoumaru sofort klar.

Kimie jedoch brummte nach alldem einfach nur der Kopf. “Das ist mir irgendwie zu hoch… Soll mal einer die Youkai verstehen…”
 

* ~ Rückblick Ende ~ *
 

“Und danach konnte ich ihm die nächsten drei, vier Tage kaum in die Augen gucken”, beendete Kimie ihre Erzählung schließlich.

Kagome brauchte zunächst einige Sekunden, ehe sie etwas darauf erwiderte: “Aber… dann wärst du ja schon seit fast vier Jahren mit ihm verheiratet!”

Kimie kratzte sich leicht an der Wange. “Ja, offensichtlich. Hehe…”

Auf diese Erkenntnis hin musste Kagome erst mal eine kräftigen Schluck von ihrem Tee nehmen. “Hey! Wo wir schon dabei sind: Weißt du eigentlich, wie viele Affären Sesshoumaru vor dir gehabt hat?”

Aber Kimie schüttelte den Kopf. “Nein, und irgendwie bin ich auch nicht wirklich scharf darauf, es zu erfahren. So lange er jetzt nichts Dummes anstellt.”

“Und?”

“Und was?”

“Hast du denn nachträglich wenigstens was von ihm bekommen? Ein kleines Geschenk?”

“Nö! Scheint nicht üblich zu sein.”

“Hmm… Hat er dir denn wenigstens gesagt, dass er dich liebt?”

“Ja. Und zwar genau…” Kimie hob den rechten Zeigefinger auf Augenhöhe. “… ein Mal bisher.”

Und jetzt schien Kagome wirklich ein wenig ratlos zu sein. “Ist ja… wirklich romantisch…”

Kimie musste lachen, angesichts vom momentanen Gesichtsausdruck ihrer Cousine. “Jetzt guck doch bitte nicht so entgeistert! Es ist ja schließlich nicht so, als würde ich mich daran stören. Ich weiß ja schließlich, wie Sesshoumaru tickt. Er ist halt einfach nicht der romantische Typ.”

“Ja, auch wieder wahr”, musste Kagome sie darin bestätigen. “Aber, Kimie? Sag mal, während du mit Sesshoumaru, Rin-chan und Jaken unterwegs warst, hatten ihr, du und Sesshoumaru, eigentlich auch mal Zeit für euch?”

“Hm? Zeit für uns?”

“Na, du weißt schon…”

Als Kagome ihr so zweideutig zuzwinkerte, lief Kimie abrupt rot an. “Kagome! Jetzt fang doch nicht mit so was an! Da läuft es mir ja kalt den Rücken runter!”

Kagome lachte auf. “Schon gut, schon gut! Dann lassen wir das Thema. Erzähl mir lieber, wie es Ashitaka-kun, Miyuki-chan und den anderen so geht.”

“Na ja, was soll ich sagen? Ashitaka und Miyuki turteln jede freie Minute rum. Verliebt wie am ersten Tag, allerdings ist Ashitaka seit zwei Tagen mit Tôya und Subaru unterwegs. Sesshoumaru hat ihnen aufgetragen einen Dämon unschädlich zu machen, der seit geraumer Zeit an der nordöstlichen Grenze sein Unwesen treibt.”

“Wenn sie zu dritt sind, wird das sicher kein großes Problem”, war sich Kagome sicher.

Kimie nickte zustimmend. “Ja. Ich denke, sie werden bald wieder zurück sein.”

“Gut. Ich würde mich nämlich gerne mal wieder mit Subaru-san unterhalten.”

“Wird Inu Yasha da nicht nur wieder eifersüchtig?”, fragte Kimie ein wenig neckend, was Kagome ein amüsiertes Lächeln entlockte. Falls Inu Yasha wirklich eifersüchtig reagieren sollte, würde sie ihn schon wieder zur Vernunft bringen.

Als es jedoch plötzlich dunkler im Zimmer wurde, stutzten Kagome und Kimie gleichermaßen. Es war zwar später Nachmittag, aber dennoch taghell draußen. Zeitgleich wandten Kagome und Kimie schließlich ihre Blicke zum Fenster um. Doch entfuhr ihnen angesichts dessen, was sie jetzt vor dem Fenster herumfliegen sahen, ein kurzer erschrockener Aufschrei: “Uaah!”

Da schwebte ein überdimensionaler pinkfarbener Ballon mit zwei riesigen Kulleraugen. Der plötzliche Aufschrei von Kagome und Kimie hatte Inuki von einer Sekunde auf die andere hellwach werden lassen. Während er die merkwürdige Erscheinung am Fenster noch argwöhnisch beäugte, hörte man auf einmal eine wohlbekannte, kindliche Stimme sagen: “Beruhigt euch doch! Ich bin’s doch nur!”

Mit einem “POFF” verschwand der Ballon und der Kitsune Shippou landete mitten im Zimmer. Die Überraschung bei Kimie und Kagome war groß. So auch bei Inuki, der den kleinen Youkai aber sogleich freudig begrüßte.

“Shippou-chan? Was machst du denn hier? Ich dachte, du wärst bei einer Prüfung”, äußerte sich Kagome nach einem Moment.

Shippou grinste selbstsicher. “Mit der bin ich schon längst fertig. Und… ich bin wieder aufgestiegen!” Und wie zum Beweis zückte er stolz einen Zettel, auf welchem sein aktueller Rang verzeichnet war. Nachdem ihm die anderen erfreut gratuliert hatten, sprach der kleine Kitsune weiter: “Und da ich wusste, dass du und Inu Yasha herkommen wolltet, dachte ich mir, ich schau auch mal vorbei. Habe ich euch zwei wirklich so erschreckt? Ihr kennt meine Verwandlungen doch.”

“Ja, schon. Aber wir haben gar nicht mit deinem Auftauchen gerechnet”, versuchte Kimie mit einem entschuldigenden Lächeln zu erklären.

“Ach so.” Shippou blickte sich suchend um. “Und wo ist Inu Yasha?”

“Er ist bei Sesshoumaru”, antwortete ihm Kagome. “Allerdings wundert es mich, dass es bisher so ruhig geblieben ist…”

Ein Poltern, was aus dem Zimmer direkt über ihnen kam, und Inu Yashas aufgebrachte Stimme ließ die Anwesenden plötzlich aufhorchen.

“Was soll das heißen?! Legst du es schon wieder darauf an, mich zu reizen?!”, hörte man Inu Yasha lautstark schimpfen. Ganz klar: Er hatte mal wieder eine verbale Auseinandersetzung mit Sesshoumaru. Stellte sich nur die Frage, wer dieses Mal angefangen hatte?

“So viel also dazu…”, sagte Kimie mit einem leichten Unterton von Belustigung in der Stimme.
 

* ~ * ~ * ~ *
 

Fernab der westlichen Länder besprach sich der Youkai-Fürst Aoshi an diesem Abend in seinem Schloss mit einem seiner Leute. Dieser hatte ihn zuvor von einer weniger erfreulichen Tatsache in Kenntnis gesetzt.

“Hm… So ist das also? Ich verstehe.” Für einen Augenblick hüllte sich der Fürst in geheimnisvolles Schweigen. Dann hob er seinen festen Blick. “Nun gut, Taiga, dann beauftrage ich dich damit, dich in die westlichen Länder zu begeben. Du weißt, was du zu tun hast.”

“Jawohl!” Taiga verneigte sich, ehe er sich mit erhabener Ruhe zum Gehen umwandte und den Thronsaal verließ. Während er ruhigen Ganges durch das Schloss schritt, kreuzte sich sein Weg mit dem einer hiesigen Bewohnerin. Taiga verharrte einen Moment lang. “Harumi.”

“Du gehst weg, Taiga?”, fragte ihn die junge Frau scheinbar ohne wirklichen Grund.

“Ja, in die westlichen Länder. In einigen Tagen werde ich zurück sein” Taiga ging an Harumi vorbei. “Entschuldige mich bitte, aber ich muss los.”

Ein geheimnisvolles Lächeln umspielte Harumis Lippen, während sie ihm nachsah und mit der Hand durch ihr schwarzes Haar fuhr. “Also, das ist ja mal interessant.”

Taiga war noch gar nicht aus ihrer Sicht verschwunden, als sich Harumi zu den Räumlichkeiten von Aoshi begab. Sie klopfte kurz an und trat ein, nachdem ihr der Zugang gewährt wurde.

“Verzeiht die späte Störung, verehrter Vater. Ich habe Taiga eben getroffen. Ihr schickt ihn zu den Inu-Youkai?”

Der Fürst hob seinen Blick in die Richtung seiner Tochter. Zwar bestätigte er deren Frage, doch schien er sich ansonsten nicht weiter dazu äußern zu wollen.

Harumi hakte nach. “Das macht Ihr doch nicht grundlos. Ist etwas geschehen?”

“Nichts, was man mit ein wenig Diplomatie nicht wieder in Ordnung bringen könnte.”

“Oh, klingt kritisch.” Harumi kicherte leise. “Wenn Ihr so ernst redet, könnte man stets meinen, es gäbe große Probleme. Ihr möchtet mir also nichts Genaueres verraten?”

“Nicht, bevor ich nicht wirklich alle Fakten kenne.”

Harumi zuckte mit den Schultern. “Nun gut. Dann will ich Euch auch nicht länger ausfragen. Ich wünsche Euch eine angenehme Nacht, verehrter Vater.” Sie verbeugte sich respektvoll, ehe sie sich auch schon wieder zurückzog.

Nachdem seine Tochter gegangen war, trat Aoshi an eines der offenen Fenster heran. Die Nacht war völlig wolkenlos und klar. Die schattenhafte Gestalt eines großen Wesens, dessen rubinrote Augen in der Dunkelheit der Nacht kurzzeitig aufleuchteten, erregte eine Zeit lang seine Aufmerksamkeit, ehe es sich mit schnellen und gewandten Sprüngen vom Schloss entfernte.

Aoshi richtete seinen Blick zum Vollmond. “Ich habe unsere Vereinbarung nicht vergessen, Inu no Taishou. Ich hoffe, dass dein Sohn dies ebenfalls nicht tut.”

Eine alte Abmachung

Die melodischen Klänge einer Querflöte begrüßten die aufgehende Sonne an diesem neuen Morgen. Es war noch sehr früh und nur wenige Bewohner des Schlosses waren bereits auf den Beinen.

Miyuki saß auf der Schlossmauer, den Blick verträumt auf den Wald gerichtet, der sich vor ihr erstreckte. Ein sanftes Rauschen ging durch die Baumkronen und wehte vereinzelte Blütenblätter auf. Begleitet wurden sie von den sanften Tönen der von Miyuki gespielten Flöte. Die Melodie harmonierte perfekt mit der beschaulichen Atmosphäre des Augenblicks. Und so mancher der Inu-Youkai, der sich gerade in der Nähe befand, hörte dem Flötenspiel entspannt zu.

Schließlich verklang die beruhigende Musik. Nur das fröhliche Zwitschern der Vögel war noch zu hören gewesen.

“Miyuki!”

Als sie ihren Namen hörte, drehte sich Miyuki zum Schlosshof um. “Ah, Yukina! Hallo!”

“Was machst du denn da oben?”

“Ich warte auf Ashitaka, meinen Bruder und Subaru”, antwortete Miyuki ihrer Freundin.

“Schon wieder? Das machst du schon seit drei Tagen”, bemerkte Yukina.

“Ich weiß, aber so langsam müssten sie ja wieder zurückkommen”, lächelte Miyuki. Sie und Yukina waren fast im selben Alter, doch im Gegensatz zu Miyuki bekleidete Yukina innerhalb des Schlosses eher die Position einer Dienerin. Sie trug einen schlichten, knielangen Yukata mit langen Ärmeln, dazu einen gelben Obi. Wie alle Inu-Youkai hatte auch sie die typischen goldfarbenen Augen, die im Augenblick von ihrem Pony durch den leicht aufkommenden Wind etwas verdeckt wurden. Ansonsten hatte sie eher kurzes Haar. Doch war Yukina allgemein betrachtet eher eine unauffällige Erscheinung. Manchmal hatte Miyuki den Eindruck, dass diese sich selbst ein wenig daran störte, allerdings war Yukina diesbezüglich eher der verschwiegene Typ.

Yukina strich sich einige störende Strähnen aus dem Gesicht. “Seit dein Bruder zum General ernannt worden ist, ist er ganz schön viel unterwegs, nicht wahr?”

“Ja… Und immer, wenn er weggeht, nimmt er Ashitaka mit. Das ist nicht fair! Mich lassen sie immer hier allein zurück!”, jammerte Miyuki plötzlich los. “Es gibt hier doch noch genügend andere Krieger. Kann Nii-sama denn keinen von ihnen mitnehmen?”

Ihre Freundin kicherte leise. “Vielleicht macht er das ja absichtlich, damit du und Ashitaka-sama nichts anstellen könnt.”

Nach dieser zweideutigen Bemerkung zog Miyuki beleidigt eine Schnute. “Was sollen wir denn schon anstellen …?”, fragte sie unschuldig.

Noch einmal lachte Yukina, ehe sie sich für einen Augenblick in nachdenkliches Schweigen hüllte. “Zwischen… dir und Ashitaka-sama läuft es sehr gut, oder? Irgendwie… beneide ich dich darum …”

“Hm?” Nach dieser Bemerkung war Miyuki doch ein wenig verwirrt. Gerade wollte sie Yukina auf deren letzte Aussage ansprechen, da hörte sie in einiger Entfernung mehrere Stimmen. Als Miyuki den Blick zurück auf die andere Seite der Mauer richtete, sah sie ihren Bruder, Subaru und Ashitaka gerade die steinerne Treppe zum Schloss hinaufkommen. Sofort war sie auf den Beinen gewesen. “Kyaaa! Ashitaka!”

Mit einem Satz sprang Miyuki von der Schlossmauer und dem Youkai direkt in die Arme.

Ihre stürmische Vorgehensweise hätte ihn fast nach hinten umgeworfen, sodass beide fast rücklings die Treppe hinuntergefallen wären. Zwar musste Ashitaka unter den erstarrten Blicken von Tôya und Subaru unwillkürlich einen Schritt zurück machen, doch ein Treppensturz blieb den beiden erspart.

“Miyuki-chan! Um Himmels Willen! Nicht so stürmisch!”, ermahnte Ashitaka das Mädchen noch leicht unter Schock stehend. Doch anders als Tôya und Subaru, die angesichts des gerade noch abgewendeten Beinahe-Unfalls erleichtert aufseufzten, schien Miyuki davon gar nichts mitbekommen zu haben.

“Ich freue mich so, dass du wieder da bist! Ich habe dich vermisst”, erzählte sie stattdessen nur und wollte Ashitaka wohl am liebsten gar nicht mehr loslassen.

Während Tôya und Subaru im Moment eher wie unbedeutende Statisten am Rand standen, während Ashitaka seine Freundin erst einmal wieder sicher absetzte. “Miyuki-chan… Wir waren doch nur drei Tage weg.”

“Das ist trotzdem zu lange!”, protestierte Miyuki energisch. “Warum kommt ihr drei überhaupt erst jetzt zurück?”

Ashitaka berichtete in aller Kürze: “Wir mussten den Dämon doch erst mal finden. Gestern Nachmittag haben wir ihn ausfindig gemacht, erledigt und nun sind wir wieder hier.”

“Ja, endlich!”, strahlte Miyuki überglücklich und klammerte sich wieder an Ashitaka fest.

Subaru stieß Tôya leicht mit dem Ellenbogen an und flüsterte: “Sieht nicht so aus, als hättest du bei deiner Schwester noch groß was zu melden, oder?”

“Hm…”, machte Tôya nur, ehe er das Wort an Miyuki richtete: “Mir geht’s auch gut, Miyuki. Danke.”

Erst jetzt ließ Miyuki endlich wieder von Ashitaka ab. Den leicht murrenden Unterton in der Stimme ihres Bruders hatte sie sehr wohl vernommen. Mit einem engelsgleichen Lächeln und gefalteten Händen entschuldigte sie sich nun bei Tôya: “Oh, es tut mir Leid. Sei bitte nicht beleidigt, Nii-sama.”

Tôya seufzte leise. Er konnte seiner kleinen Schwester einfach nicht böse sein, selbst wenn er es wollte. Das hatte er noch nie gekonnt.

Während die drei anschließend noch ein wenig miteinander sprachen, ging Subaru schon mal durch das offene Tor auf den Schlosshof. Er hatte nicht den Eindruck, dass es für ihn sonderlich viel Sinn gemacht hätte, noch länger bei den anderen zu bleiben. Doch kaum hatte er das Tor passiert, stieß er prompt mit der dahinter wartenden Yukina zusammen. Diese verlor ihr Gleichgewicht und landete begleitet von einem erschrockenen Aufschrei mit dem Hintern voran im Staub.

“O weh! Entschuldige. Hast du dir weh getan?”, fragte Subaru sofort und hielt ihr die Hand hin, um ihr beim Aufstehen zu helfen.

Yukina schaute verschüchtert zu ihm hoch. “Uhm… Nein, alles in Ordnung. Glaube ich…”

Als sie ihn aber einfach nur anstarrte, seine Hand jedoch nicht ergriff, fragte Subaru nach einem Augenblick irritiert nach: “Tja… Willst du da sitzen bleiben?”

“Was? Ah, nein! Entschuldigung!” Yukina verschwitzte es völlig, nach Subarus Hand zu greifen und wollte stattdessen selber aufstehen. In der Hektik wäre sie dabei allerdings fast gleich wieder nach hinten zurückgefallen, hätte Subaru sie dieses Mal nicht aufgefangen.

“Bist du sicher, dass es dir gut geht?”, fragte er sie. “Du scheinst mir etwas schwach auf den Beinen zu sein. Ist dir vielleicht schwindelig?”

Yukina spürte den beschleunigten Schlag ihres Herzens heftig gegen ihre Brust hämmern. Sie musste rasch raus aus dieser Lage, ehe Subaru etwas davon mitbekäme. Als er sie nach einem kurzen Moment wieder freigab, trat sie gleich zwei Schritte zurück. “Nein, es ist nichts! Es geht mir bestens. Uhm… Vielen Dank!”

Yukina verbeugte sich und eilte dann zum Schloss. Subaru blieb ein wenig verdutzt an Ort und Stelle zurück. “Schau an… Rennen kann sie schon wieder ganz gut”, stellte er fest.

Yukina entwich ein langes Seufzen, nachdem sie nach einer gefühlten Ewigkeit endlich das Schloss erreicht und die Tür hinter sich geschlossen hatte. Noch immer klopfte ihr das Herz fast bis zum Hals. Mit solchen Situationen konnte Yukina einfach nicht umgehen. Sie war ja schon von Natur aus so schüchtern und verhalten, da war die derartige Nähe zu einem Mann wie der berüchtigte Tanz auf dem Vulkan. Aber bei Subaru war es noch am Schlimmsten. Denn gerade bei ihm fiel es ihr stets besonders schwer, nicht die Fassung zu verlieren.

Yukina schlug verschämt die Hände vor das Gesicht. “Ist das peinlich… Das war so furchtbar…”

Es bedurfte noch einiger Minuten, aber letztendlich hatte sie sich wieder so weit gefangen, dass sie zumindest zurück an ihre Arbeit gehen konnte.
 

Dagegen hatte es Miyuki deutlich einfacher. Bevor sie jedoch ihre traute Zweisamkeit mit Ashitaka genießen konnte, begleitete sie diesen noch zu seiner Mutter Sakura. Indes hatte sich Tôya auf den Weg zu Sesshoumaru gemacht, um ihn vom Ausgang der dreitätigen Mission zu berichten.

Während sie noch durch die Gänge des Schlosses gingen, erzählte Miyuki Ashitaka von der Ankunft von Inu Yasha, Kagome und des jüngst aufgetauchten Shippou. Und im Grunde war dies auch die einzige wirkliche Neuigkeit gewesen, die es zu berichten gab. Eigentlich wollte Miyuki im Augenblick ja viel lieber ganz allein mit Ashitaka sein, aber dass er zuerst seine Mutter aufsuchen und sie von seiner Rückkehr in Kenntnis setzen wollte, verstand sie natürlich.

Vor der Tür von Sakuras Privaträumen schließlich angekommen, klopfte Ashitaka erst einmal an. “Mutter, ich bin es. Ich bin zurück.”

Als er daraufhin die Gemächer seiner Mutter betrat, wurde er von Sakura bereits mit einem warmen Lächeln empfangen. “Willkommen zurück, mein Sohn. Es freut mich, dich gesund und unverletzt wieder zu sehen.”

“Danke, Mutter.” Ashitaka ließ sich von seiner erleichterten Mutter in die Arme schließen. “Es hat etwas länger gedauert, als wir eigentlich erwartet hatten, aber wir haben die Mission erfolgreich abgeschlossen.

“Schön, das zu hören. Und Tôya und Subaru geht es auch gut, nehme ich an?”

“Ja, alles in bester Ordnung.”

“Gut.” Sakura nickte wohlwollend. Da fiel ihr Miyuki auf, die die ganze Zeit über stumm im Türrahmen stand. Sie lächelte zwar und ließ sich nichts anmerken, doch Sakura beschlich dennoch der starke Verdacht, dass das junge Mädchen wohl gerne einige Stunden der trauten Zweisamkeit mit Ashitaka verbringen würde. Wiederum huschte ein Lächeln über Sakuras Gesicht. “Miyuki hat dich schon sehr vermisst. Hat sie dir das erzählt?”

“Uhm… Ja, hat sie”, gab Ashitaka ein wenig verlegen zu, und auch Miyuki lächelte leicht schüchtern geworden.

Sakura lachte leise. “Warum denn so schüchtern, ihr zwei? Nun gut, ich vermute, ihr habt euch einiges zu erzählen. Also nehmt euch die Zeit. Ich möchte euch nicht länger daran hindern. Geht nur.”

“Äh… Danke, Mutter.” Ashitaka verbeugte sich leicht vor seiner Mutter, ebenso wie Miyuki. Anschließend gingen die beiden den Gang zurück, den sie kurz zuvor gekommen waren. Sakura stellte sich an die Tür und beobachtete die beiden zufrieden. Ihr Sohn und Miyuki passten wirklich gut zueinander, dieser Meinung war sie schon immer gewesen. Und es stimmte Sakura jedes Mal aufs Neue glücklich, wenn sie die zwei zusammen sah.

“Ich bin mir sicher, dir hätte das auch gefallen, Akira”, sagte sie mit den Gedanken an ihren verstorbenen Gefährten, bevor sie sich wieder in ihre Gemächer zurückzog.

“Und was machen wir jetzt?”, fragte indes Ashitaka an Miyuki gerichtet, als die beiden sich schon etwas entfernt hatten.

Miyuki brauchte nur kurz zu überlegen. “Kommst du mit zu mir? Ich mache uns einen Tee, okay?”

“Klingt gut. Sehr gerne”, erwiderte Ashitaka einverstanden, was Miyuki gleich dazu veranlasste, sich fröhlich lachend an seinen Arm zu klammern.
 

“Ihr habt den Dämon also unschädlich gemacht, der in unseren Ländereien gewütet hat?” Sesshoumarus aufmerksamer und strenger Blick ruhte auf Tôya, der ihm gegenüber saß und bejahend nickte.

“Ja, das haben wir. Ich bitte um Verzeihung, dass wir nicht schon früher zurückkehren konnten, doch der Dämon hatte sich gut verborgen gehalten, ehe wir ihn fanden.”

“Entschuldige dich nicht, Tôya”, erwiderte Sesshoumaru. “Du als Anführer dieser Mission hast sie zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht. Das beweist mir ein weiteres Mal mehr, dass ich mich auf dich verlassen kann. Gute Arbeit. Dann bleibt nur noch der schriftliche Bericht. Lege ihn mir so bald wie möglich vor.”

“Jawohl, Sesshoumaru-sama. Ich danke Euch für Euer Vertrauen.” Tôya neigte leicht das Haupt zur Verbeugung, ehe er aufstand und die Räumlichkeiten seines Herrn nun wieder verließ.

Nachdem sein Gefolgsmann gegangen war, beschäftigte sich Sesshoumaru mit einigen Dokumenten, die er noch bearbeiten musste und die am Abend zuvor noch liegen geblieben waren. Im Grunde bestanden seine Hauptaufgaben seit seiner Rückkehr in die Ländereien des Westens meist darin, sich um den unterschiedlichsten Papierkram zu kümmern. Was sollte er auch sonst machen? In Zeiten des Friedens konnte man halt schlecht mit gezogenem Schwert durch die Gegend ziehen. Da waren die gelegentlichen Übergriffe einzelner oder kleinerer Gruppen von niederen Dämonen ja schon fast eine willkommene Abwechslung. Aber selbst dann übertrug Sesshoumaru deren Bekämpfung meist seinen Leuten. Er selbst musste sich anderen Verpflichtungen widmen und wäre nur im äußersten Notfall dazu gezwungen, selbst einzugreifen. Bisher musste er das nie tun, was ihm aber nur ein Beweis dafür war, dass er sich auf seine Krieger verlassen konnte. Und das musste ein Herrscher schließlich.

Sesshoumarus Aufmerksamkeit wurde letztendlich von der sich öffnenden Schiebetür zu den Schlafräumlichkeiten erregt. Eine noch etwas müde wirkende Kimie in einem Schlafkimono blinzelte zu ihm rüber.

“War gerade jemand hier?”, fragte sie so dermaßen verschlafen, dass Sesshoumaru fast schon den Eindruck bekam, sie würde vor seinen Augen noch im Stehen gleich wieder wegnicken.

“Tôya war hier und hat mir vom Ausgang der Mission, die ich ihm, Ashitaka und Subaru zugeteilt habe, berichtet. Es lief alles gut. Der Dämon ist erlegt und die drei sich sicher zurückgekehrt.”

Sofort war Kimie etwas munterer. “Oh, das ist schön! Ehrlich gesagt, hätte es mir Sorgen gemacht, wären sie noch länger weggeblieben.” Da fiel ihr Sesshoumarus prüfender Blick auf. “Ist was?”

“Mach dich etwas zurecht”, antwortete er in gewohntem Tonfall. “Ausgehfähig bist du im Augenblick nicht gerade.”

Nach dieser Ansprache stemmte Kimie demonstrativ die Hände in die Hüften. “Wenn ich dich nicht besser kennen würde, würde ich dir nach diesem Spruch eine kleben, du Pascha! Mal abgesehen davon dürfte mein etwas geschaffter Zustand nicht zuletzt auch deine Schuld sein.” Dass sie damit auf die vergangene Nacht ansprach, war Sesshoumaru natürlich nicht entgangen. Zugegeben, vielleicht hatten sich die beiden etwas zu sehr ausgetobt. Schlaf hatten sie erst relativ spät gefunden.

Nichts desto trotz kehrte Kimie erst einmal wieder ins Schlafzimmer zurück, wo sie sich zunächst neue Kleidung und ein großes Handtuch holte, ehe sie mit der Ankündigung, sie wolle sich waschen gehen, die Räumlichkeiten verließ. In der Zwischenzeit kümmerte sich Sesshoumaru weiter um die noch zu bearbeitenden Dokumente.

Kimie kam nach gut einer halben Stunde zurück, fertig angezogen und mit zurechtgemachten Haaren.

“Und? Gefalle ich dir so besser?”, fragte sie Sesshoumaru gespielt von oben herab, ehe sie entspannt zu ihm rüberschlenderte und ihm über die Schulter linste. “Was macht du denn da die ganze Zeit?”

“Ich kümmere mich um die Dokumente, für die ich gestern keine Zeit mehr hatte”, war seine sachliche Antwort dazu.

Kimie wusste gleich, was das bedeutete: Arbeit, Arbeit, Arbeit… Und sie konnte zusehen, wo sie blieb. Zwar hatte sie sich inzwischen daran gewöhnt, dass Sesshoumaru in seiner Position als Herrscher viele Pflichten und Aufgaben zu erfüllen hatte, aber manchmal kam sie sich dabei doch ein wenig überflüssig vor. In solchen Fällen suchte sie sich dann immer in Eigenregie eine Beschäftigungsmöglichkeit. Und heute schien mal wieder so ein Tag zu sein, an dem das von ihr gefordert werden würde.

Während Kimie insgeheim schon darüber nachdachte, wie sie sich die Zeit vertreiben könnte, klopfte es an der Tür. Nachdem Sesshoumaru - ohne von seinen Schriften aufgesehen zu haben - dem Besucher den Eintritt gewährt hatte, betrat Jaken das Zimmer und verneigte sich sofort demütig vor seinem Herrn.

“Ich bitte Euch, die frühe Störung zu entschuldigen, Sesshoumaru-sama. Ich wollte Euch nur einen guten Morgen wünschen.” Danach schaute der Krötendämon zu Kimie. “Hmpf! Und dir auch…”

“Ich danke dir, Jaken”, erwiderte Kimie mindestens genau so gelangweilt, wie Jaken zuvor zu ihr gesprochen hatte, ehe sie jedoch deutlich mahnender hinzufügte: “Aber solltest du mich nicht eigentlich mit dem gebührenden Respekt ansprechen? Du weißt, was ich meine, oder?”

Jakens anfänglicher Schock wich rasch einem mürrischen Zähneknirschen, doch er widersetzte sich nicht, sondern presste stattdessen kleinlaut hervor: “Ja, Herrin…”

Sesshoumaru, der angesichts von Kimies so plötzlichem autoritären Verhalten doch etwas verblüfft war, beobachtete seine Gefährtin und seinen Diener ganz genau, als Kimie auf einmal heiter zu lachen anfing: “Haha! Ach, lass gut sein, Jaken! Von dir so genannt zu werden, kommt mir komisch vor. Bleiben wir lieber beim duzen.”

Jaken konnte seinen aufkommenden Ärger nur mühsam im Zaum halten. Dieses Weib hatte ihn schon wieder reingelegt. Noch dazu vor seinem Herrn! So eine Schmach…

“Nun gut… Dann ziehe ich mich mit Eurer Erlaubnis erst einmal wieder zurück, Sesshoumaru-sama”, bat der Krötendämon, was ihm von Sesshoumaru ohne weiteres gestattet wurde.

Nachdem Jaken gegangen war, schlich sich Kimie - noch immer mit einem amüsierten Lächeln auf den Lippen - hinter Sesshoumaru. Nachdem sie ihn noch einen Augenblick lang stillschweigend beobachtet hatte, schlang sie ohne irgendeine Vorwarnung ihre Arme um seine Schultern. Dabei hätte Sesshoumaru fast seine Schreibfeder fallen gelassen.

“Was soll das?”, fragte er Kimie etwas verwundert.

Seine doch sehr nüchterne Reaktion verleitete sie nun zu einem etwas schlüpfrigen Kommentar: “Bist du jetzt etwa schlecht gelaunt? Sei doch mal etwas lockerer! Letzte Nacht konnte es dir schließlich nicht nah genug sein.”

Sesshoumaru äußerte sich dazu nur mit einem knappen Räuspern. Irgendwie fand er, dass Kimie sich ein wenig seltsam verhielt.

“Sag, hast du etwas?”, fragte er sie von daher nun. Vielleicht hatte sie ja einen Wunsch oder so was in der Art.

Aber Kimie verneinte die Frage: “Nein, ich dachte nur, wir könnten ja mal wieder reden.”

“Und worüber?”

“Warum muss ich immer diejenige sein, die den Stein ins Rollen bringt? Trag doch auch mal was dazu bei! Mir ist langweilig…”

Fing sie jetzt etwa auch noch an, zu quengeln? Oder tat sie wieder nur so? Sogar Sesshoumaru hatte manchmal so seine Schwierigkeiten, das auf Anhieb zu erkennen.

“Dann beschäftigte dich doch mit irgendwas. Das machst du doch sonst auch immer”, erwiderte er wie immer möglichst sachlich.

Kimie entwich nach dieser Ansage aber nur ein müder Seufzer und sie ließ wieder von Sesshoumaru ab. “Ich geb’s auf…”

Und ohne ein weiteres Wort stand sie auf und ging in Richtung Tür. Sesshoumaru dachte sich nichts weiter dabei und vermutete, dass sie schon etwas finden würde, mit dem sie sich die Zeit vertreiben konnte, und widmete sich wieder seiner Arbeit.

Zwar hatte Kimie sich überlegt, was sie jetzt machen könnte, doch gerade, als sie an der Tür angekommen war, kam ihr noch eine andere Idee. Als sie noch ein Mal über die Schulter zurück zu Sesshoumaru blickte und sah, dass sein Blick wieder hochkonzentriert nach unten gerichtet war, verkündete sie nach einem Moment des Wartens: “Hey! Ich steh nackt hier drüben!”

Und tatsächlich schaute er sogleich zu ihr rüber, obwohl es wohl mehr ein Reflex gewesen war.

Mit einem süffisanten Lächeln auf den Lippen stemmte Kimie die Hände in die Hüften, als sie Sesshoumarus etwas verwirrten Blick sah. “Hättest du wohl gerne gehabt, was?”, fragte sie, ehe sie die Tür öffnete und erhobenen Hauptes den Raum verließ.

Sesshoumaru konnte danach nicht anders, als erst einmal die Schreibfeder auf den Tisch zu legen. Es war ja nicht so gewesen, als hätte er wirklich geglaubt, was Kimie eben gesagt hatte, aber trotzdem schaute man halt hin, wenn man so was hörte. Allein schon, um zu wissen, ob sie wirklich so weit gegangen wäre. Obwohl Sesshoumaru sich eigentlich schon gedacht hatte, dass Kimie ihn nur hatte auf den Arm nehmen wollen. Typisch für sie.
 

Nach ihrer kleinen morgendlichen Unterhaltung mit Sesshoumaru ging Kimie in den Stall zu Ah-Un, um diesen zu versorgen. Obwohl auch einer von Sesshoumarus Untergebenen dies hätte erledigen können, war es bei Kimie zur Gewohnheit geworden, dass sie sich um den zweiköpfigen Drachen kümmerte. Und heute war Putztag. Deshalb war Kimie gleich mit einem Eimer voll Wasser zu Ah-Un gegangen, hatte ihn nach draußen vor den Stall geführt und war nun eifrig dabei, ihn gründlich abzuschrubben. Diese Behandlung ließ sich Ah-Un immer wieder nur zu gerne gefallen. Und während Kimie sich um den Drachen kümmerte, lag Inuki dösend in dessen Schatten.

Als Ah-Un irgendwann einen seiner Köpfe zu ihr umwandte und sie etwas fragend anzuschauen schien, tätschelte Kimie behutsam seine Flanke. “Du kriegst dein Futter, sobald ich hier fertig bin. Es dauert nicht mehr lange.”

Nach zehn weiteren Minuten war sie dann schließlich auch fertig und endlich konnte Ah-Un sein Frühstück, welches Kimie nun in den Futtertrog gab, genießen. Während der Drache fraß, wurde er eingehend von Kimie begutachtet. Sie hatte den leisen Verdacht, dass er wieder ein wenig zugenommen hatte. Er brauchte wohl mal wieder richtig Bewegung.

“Kein Wunder, wenn man bedenkt, wie viel du damals im Vergleich zu heute immer gelaufen und geflogen bist”, überlegte Kimie, was jedoch von Ah-Un nur minder beachtet wurde. Stattdessen ließ er sich lieber sein reichhaltiges Frühstück schmecken. Die kalten Wintermonate über hatte er meist im warmen Stall verbracht, von daher war seine leichte Gewichtszunahme keine wirkliche Überraschung.

“Da scheint jemand einen gesunden Appetit zu haben.”

Kimie horchte auf und drehte sich zur Stalltür um. “Oh! Guten Morgen, Kakeru. Wie lange stehst du schon da?”

“Lange genug, um mitbekommen zu haben, dass unser guter Ah-Un wohl erneut ein wenig an Gewicht zugelegt hat”

Kimie kratzte sich an der Wange, als sie wieder zu Ah-Un blickte. “Hm… Ob ich ihn auf Diät setzen sollte? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sesshoumaru ein übergewichtiges Reittier so zusagt…”

Kakeru lachte gut gelaunt. “Ich kann mir zwar nur eine ungefähre Vorstellung machen, aber so dramatisch ist es doch noch nicht, oder?”

“Eigentlich nicht. Ich denke, etwas mehr Auslauf und Bewegung werden das Problem auch lösen können. Kalorienverbrennung heißt das Zauberwort.”

Schlussendlich ließ Kimie den Drachen in aller Ruhe fressen und verließ den Stall nun wieder.

“Egal, wie oft man es Euch auch sagt, Ihr werdet die Arbeit wohl nie ruhen lassen, nicht wahr?”, lächelte Kakeru Kimie an, die entspannt mit den Schultern zuckte.

“Nun ja, ich lasse nicht gerne andere für mich arbeiten. Da ist doch nichts dabei, oder?”

“Nein, natürlich nicht. Nun, wenn Ihr hier dann fertig seid und nichts anderes zu tun habt, würdet Ihr mir vielleicht bei einer Tasse Tee Gesellschaft leisten?”

“Ja, sehr gerne! Danke!”

Sich mit Kakeru in seinen Räumlichkeiten bei einer schönen Tasse Tee zu unterhalten, gehörte für Kimie im Grunde zu ihren täglichen Ritualen. Mindestens ein Mal am Tag saßen sie zusammen und das auch locker mal über mehrere Stunden hinweg. Gelegentlich war es sogar schon vorgekommen, dass Sesshoumaru die beiden fast schon zwangsmäßig voneinander hatte trennen müssen.

Kurz nachdem der Tee fertig war, stellte Kakeru noch ein Tablett auf den Tisch. “Etwas Gebäck? Eure Cousine brachte es mir gestern Abend noch vorbei.”

“Gerne.” Kimie nahm sich eines von den mit Schokostückchen besetzten Plätzchen.

“Sie passen gut zueinander”, sagte Kakeru mit einem Mal.

“Wer?”, fragte Kimie.

“Kagome-dono und Inu Yasha-sama. Findet Ihr nicht auch?”

“Ach so! Ja, klar.”

“Allerdings”, fuhr der Youkai dann fort, “habe ich den Eindruck, dass Kagome-dono etwas beschäftigt. Hat sie Euch Näheres erzählt?”

“Hm…” Kimie zögerte damit, ihm darauf zu antworten, tat es dann aber doch: “Nun ja, es liegt wohl an Kikyou. Inu Yasha scheint noch viel an sie zu denken.”

“Hm, ich verstehe.” Kakeru fragte nicht weiter nach. Er konnte sich den Rest selbst denken und wollte nicht aufdringlich erscheinen, indem er weiter nachbohrte.

“Sag mal, Kakeru, kann ich dich vielleicht etwas fragen?”, begann Kimie nach einem Augenblick der Ruhe.

Der Youkai lächelte wohlwollend. “Konntet Ihr das bisher nicht immer? Worum geht es?”

“Nun, vielleicht ist es auch etwas zu persönlich. Du musst also nicht darauf antworten, wenn du nicht willst.”

Angesichts ihrer seiner Ansicht nach fast schon übertriebenen Vorsicht musste Kakeru doch kurz lachen. “Warum denn so behutsam? So leicht bin ich nicht in Verlegenheit zu bringen.”

“Na gut”, lächelte Kimie, ehe sie ihn fragte: “Also… Gibt es einen bestimmten Grund dafür, dass du keine Frau hast? Oder warst du früher schon mal mit einer zusammen?”

Doch Kakerus Reaktion fiel zunächst anders aus, als sie es nach seinen Worten erwartet hatte. Er war plötzlich merkwürdig still und schien einen Moment lang auch leicht verunsichert zu sein, was so ganz und gar nicht zu ihm passte. Insgeheim wünschte sich Kimie bereits, sie hätte Kakeru diese Frage nicht gestellt. Vielleicht hatte sie da bei ihm einen Nerv getroffen und womöglich schlechte Erinnerungen geweckt.

Doch gerade, als Kimie eine Entschuldigung verlauten lassen wollte, ergriff Kakeru mit gewohnt ruhiger Stimme das Wort: “Ich war mal mit einer Frau liiert, doch es war nicht von langer Dauer.”

“Hast… du es dir anders überlegt? Oder sie?”, fragte Kimie nach kurzem Zögern, aber Kakeru schüttelte den Kopf.

“Nein, das kann man nicht sagen. Aber die Frau, die ich liebte, starb einige Zeit später.”

“Oh…” Damit hatte Kimie nicht gerechnet. Jetzt bereute sie es wirklich, ihn danach gefragt zu haben. “Das tut mir sehr Leid… Ich…”

“Nein, schon gut. Es sollte wohl eben nicht sein.” Obwohl Kakeru wieder freundlich lächelte, wurde Kimie das Gefühl nicht los, dass in diesem Lächeln auch ein Hauch von Trauer enthalten war.

“Was ist ihr denn zugestoßen?”, fragte sie nach einem Augenblick weiter.

Kakeru trank einen Schluck von seinem Tee. “Sie erlag einer heimtückischen Krankheit. Normalerweise müssen sich Youkai um so etwas keine wirklichen Sorgen machen, doch es gibt Erkrankungen, denen auch sie zum Opfer fallen können. Zwar nicht viele, aber sie existieren. Danach habe ich nie wieder eine andere Frau geliebt. Es mag sich vielleicht töricht anhören, aber ich hätte ihr gegenüber ansonsten das Gefühl, sie zu betrügen. Und ehrlich gesagt, war ich seither nicht mehr dazu fähig, einer anderen Frau mein Herz zu schenken.”

Kimie hüllte sich in nachdenkliches Schweigen. Sie wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte oder wie sie jetzt möglichst geschickt zu einem anderen Thema wechseln konnte. Glücklicherweise nahm ihr Kakeru diese Entscheidung ab, als er seinerseits nun wieder das Wort an sie richtete: “Gut, Ihr habt mir eine private Frage gestellt, nun bitte ich um die Erlaubnis, dies ebenfalls tun zu dürfen.”

“Uhm… Ja, klar”, entgegnete sie einverstanden.

Als Kakeru nun weiter sprach, hatte er wieder sein leicht amüsiert wirkendes Lächeln aufgesetzt. “Sesshoumaru-sama äußert sich mir gegenüber nicht dazu, aber… wie sieht es zum gegenwärtigen Zeitpunkt denn so mit der Familienplanung aus?”

“Was?”

“Kinder. Ihr und Sesshoumaru-sama wollt doch sicher mal welche haben, oder?”

Kimies anfängliche Verwirrung wich rasch einem Gefühl der Verlegenheit. “Nun… Ehrlich gesagt, haben wir darüber auch nicht gesprochen. Ich habe keine Ahnung. Hat er sich etwa bei dir darüber beklagt?”

“Bei aller Liebe, nein! Ich wollte nur mal gefragt haben”, lachte Kakeru, merklich belustigt von ihrer plötzlichen Irritation.

Doch im Grunde war Kimie froh, dass sich Sesshoumaru im Bezug auf potenzielle Kinder nicht etwa bereits beschwert hatte, weil bei den beiden in der Hinsicht bisher nichts passiert war.

“Irgendwie weiß ich manchmal nicht, worüber ich mit Sesshoumaru reden soll”, bemerkte sie plötzlich. “Es gibt Tage, an denen wäre es vermutlich sogar aufregender, dem Gras beim Wachsen zuzuhören…”

Noch immer hatte Kakeru diesen amüsierten Gesichtsausdruck. “Da Ihr Sesshoumaru-sama inzwischen wohl genau so gut kennt, wie ich, muss ich Euch sicherlich nicht erzählen, dass es schwierig sein kann, ihn in eine muntere Unterhaltung zu verwickeln.”

“Sherlock Holmes hatte es beim Lösen seiner Fälle auch nicht leichter…”, erwiderte Kimie trocken. Zumindest war heute wieder so ein Tag gewesen, an dem sie dieser Verdacht beschlich.
 

Subaru hatte sich nach der Rückkehr ins Schloss nur für wenige Stunden zurückgezogen. Inzwischen befand er sich bereits wieder an seinem Trainingsplatz und schoss seine Pfeile auf die Zielscheiben ab. Was er jedoch nicht bemerkte, war, dass er schon seit geraumer Zeit beobachtet wurde. Und zwar von einer erhöhten Veranda des Schlosses aus.

Schon seit Subaru mit seinem Training angefangen hatte, stand Yukina da oben und beobachtete ihn still und heimlich. Dabei stets darum bemüht, ihn nicht unbeabsichtigt auf sich aufmerksam zu machen. Allerdings war sie dabei so sehr auf Subaru konzentriert, dass sie nicht mitbekam, wie sich Miyuki irgendwann leisen Fußes zu ihr gesellte.

“Yukina? Was machst du denn da? Wo starrst du die ganze Zeit hin?”

Alarmiert fuhr Yukina hoch und konnte gerade so ein erschrockenes Aufquietschen unterdrücken. “Miyuki… Erschreck mich doch bitte nicht so! Mir ist ja fast das Herz stehen geblieben.”

“Entschuldige, war keine Absicht”, beteuerte Miyuki lächelnd, ehe sie mehr zufällig über das Geländer der Veranda nach unten zu Subaru blickte. Dieser hatte die beiden Mädchen nach wie vor nicht bemerkt. Anfangs stutzte Miyuki etwas und schaute Yukina erneut fragend an.

Yukina spielte nervös mit ihren Fingern herum. “Äh… Miyuki, ich…”

Mit einem Mal fiel es Miyuki wie Schuppen von den Augen. “Aha! Ich verstehe! Jetzt ist mir alles klar!”

Reflexartig und für sie eigentlich völlig untypisch schnellte Yukina im selben Augenblick vor und drückte ihre Hand auf Miyukis Mund. Zugleich schob sie ihre Freundin in aller Eile von der Veranda und zurück ins Innere des Schlosses. Yukina betete in diesem Moment zu allen Göttern, deren Namen ihr gerade einfielen, dass Subaru nichts von dem Tumult eben mitbekommen hatte.

Nachdem Yukina die Tür hinter sich und Miyuki wieder geschlossen hatte, bedachte Letztere sie mit einem verwirrten Blick. “Wow, du kannst ja offenbar auch richtig energisch sein, wenn es sein muss…”

“Oh… Bitte verzeih! Hab ich dir weh getan?”, fragte Yukina verunsichert, doch Miyuki schüttelte verneinend den Kopf.

“So, so… Du hast also ein Auge auf Subaru geworfen, ja?”, fragte sie stattdessen verschmitzt und Yukinas zaghafter Versuch, dem Blick ihrer Freundin auszuweichen, reichte Miyuki als Antwort. Wie selbstverständlich fuhr sie fort: “Warum stehst du dann hier rum? Geh doch zu ihm hin.”

“Nein, das kann ich doch nicht tun! Er… weiß doch schließlich nichts davon”, erwiderte Yukina immer leiser werdend.

“Und? Dann solltest du dafür sorgen, dass er es erfährt.”

“Ich… Das kann ich nicht…”

Als Yukina danach wieder nur schwieg, trat Miyuki an ihre Seite und stieß sie leicht mir dem Ellenbogen an. “Hey! Ich weiß, so was ist nicht einfach. Ich habe auch lange gebraucht, bis ich es Ashitaka gesagt habe. Aber man fühlt sich gleich besser, wenn man es ausgesprochen hat.”

“Wenn ich so hübsch wäre, wie du, dann wäre es vielleicht nicht so schwer”, widersprach Yukina mit einem Mal energischer, wurde danach aber sofort wieder leiser. “Aber ich… Er nimmt mich doch gar nicht wirklich wahr...” Zumindest nicht so, wie sie es sich wünschte…

“Aber du bist doch hübsch!”, versuchte Miyuki ihre Freundin zu ermutigen. “Und wenn du glaubst, dass er dich nicht bemerkt, dann musst du das ändern. Wozu gibt es denn hübsche Kleider und Schmuck? Putz dich raus! Selbst Tiere arbeiten mit solchen Tricks. Das beste Beispiel sind die Vögel.”

“Aber da sind es die Männchen, die sich rausputzen, um Aufmerksamkeit zu erregen…”, gab Yukina zu Bedenken. Allerdings ließ sich Miyuki davon keinesfalls beirren.

“Mag ja alles sein, aber die Bedeutung ist die gleiche”, beharrte sie. “Du kannst nicht einfach nur irgendwo sitzen und auf die große Liebe warten. Du musst auch selbst etwas dafür tun!”

Jedoch war sich Yukina so gar nicht sicher, ob diese “aggressive” Form der Umwerbung etwas für sie war. Irgendwie war ihr gar nicht wohl bei alldem.

Ohne noch etwas zu Miyukis Worten gesagt zu haben, trat Yukina schließlich wieder hinaus auf die Veranda. Subaru trainierte nach wie vor. Yukina stand noch gar nicht lange dort, da bemerkte sie, wie Kagome den Trainingsplatz betrat und geradewegs auf Subaru zusteuerte. Dieser unterbrach daraufhin sein Training und begann ein Gespräch mit der jungen Miko.

Miyuki, die sich inzwischen wieder an Yukinas Seite gesellt hatte, entging deren unsicherer Ausdruck in den Augen nicht. Sie legte Yukina lächelnd eine Hand auf die Schulter. “Mach dir wegen Kagome-chan keine Sorgen. Dazu hast du wirklich keinen Grund.”

Und im Grunde war sich Yukina ja selbst bewusst, dass ihre Freundin recht hatte. Denn dass es für Kagome einzig und allein Inu Yasha gab, wusste hier im Schloss nun wirklich jeder.
 

Bis zum Abend war jeder seinem gewohnten Tagesablauf nachgegangen.

Als es allmählich spät zu werden begann, setzte sich Kimie im Schein einer kleinen Öllampe vor ihren Spiegel im Schlafgemach und bürstete sich das Haar durch. Ihren Schlafkimono hatte sie schon vorher angelegt. Kimie konnte hören, wie sich Sesshoumaru im Zimmer nebenan mit einem seiner Leute unterhielt. Anhand dessen, was sie verstand, konnte sie in Erfahrung bringen, dass er seinem Gefolgsmann die Anweisung gab, die bearbeiteten Dokumente ins Archiv des Schlosses zu bringen. Weil im Laufe des Tages noch weitere Schriften hinzugekommen waren, hatte Kimie von Sesshoumaru heute nicht wirklich was zu sehen bekommen.

Als die Gespräche nebenan schließlich verstummten, schloss Kimie daraus, dass Sesshoumarus Untergebener die Räumlichkeiten wieder verlassen haben musste. Kurz darauf öffnete sich die Tür zum Schlafgemach.

“Bist du fertig für heute?”, fragte Kimie an Sesshoumaru, welchen sie in ihrem Spiegel sehen konnte, gerichtet.

“Ja, bin ich”, antwortete Sesshoumaru, ehe er an sie herantrat. “Hattest du einen schönen Tag?”

“Ich habe mich beschäftigt. So, wie du es wolltest.”

Ihre doch recht monotone Antwort machte ihn einen Augenblick lang ein wenig stutzig. Auch drehte sich Kimie zu keinem Zeitpunkt zu Sesshoumaru um. War sie vielleicht eingeschnappt?

Nachdem sie mit ihren Haaren so weit fertig gewesen war, trug Kimie noch ein wenig was von ihrem Duftwässerchen auf. Es roch nach Frühlingsblumen.

Schweigend beobachtete Sesshoumaru sie eine ganze Weile und dachte dabei auch an die letzten Jahre zurück. Kimie hatte sich im Grunde kaum verändert. Sogar ihren manchmal etwas kindlichen Charakter hatte sie sich erhalten; ihre Art, hin und wieder etwas leicht aus der Haut zu fahren und dann lautstark ihrem Ärger Luft zu machen. Besonders dann erinnerte sie Sesshoumaru stark an die vorlaute Oberschülerin, als welche er sie einst kennen gelernt hatte. Und andererseits hatte sie auch diese erwachsene Seite an sich vorzuweisen. Vor allem die drei Jahre, in denen sie praktisch gezwungenermaßen in der Sengoku-Ära verweilen musste, hatten sie in der Hinsicht reifer werden lassen. Und Sesshoumaru musste zugeben, dass sich Kimie nach einiger Zeit sehr gut an die ungewohnte Situation angepasst hatte. Natürlich war es ihr anfangs schwergefallen, die Dinge so zu nehmen, wie sie eben zu dieser Zeit eben gewesen waren. Doch letzten Endes hatte sie sich damit arrangiert und sich gut im Schloss eingelebt. Zudem hatte es Sesshoumaru seinerzeit sehr erleichtert, dass von seinen Leuten keine Abneigung gegenüber Kimie laut geworden war. Insgeheim hatte er nämlich die Befürchtung gehabt, die Anerkennung, die Kimie nach dem Ende des Krieges gegen die Ryû-Youkai entgegengebracht worden war, hätte sich in der Zwischenzeit wieder umgekehrt.

Während Sesshoumaru noch so darüber nachdachte, kam in ihm der leise Verdacht hoch, dass sich Kimie doch etwas verändert hatte. Er fand, dass sie hübscher aussah. Nicht, dass sie früher etwa schlecht ausgesehen hätte…

Nach einem weiteren Moment beugte sich Sesshoumaru zu Kimie vor, sodass sein Gesicht nun dicht neben ihrem war. “Ein schöner Duft.”

“Das ist das Wässerchen, das ich letztens von Kakeru bekommen habe”, erklärte Kimie schlicht. “Offenbar kennt er sich nicht nur gut mit heilenden Tinkturen aus.”

Allerdings stutzte sie etwas, als ihr Sesshoumaru doch verdächtig nah auf die Pelle zu rücken schien.

“Uhm… Sesshoumaru? Könntest du bitte ein wenig zur Seite rücken? Du irritierst mich. Beschäftige dich doch bitte mit was anderem.”

Dieser Unterton in ihrer Stimme, während sie das gesagt hatte… Sesshoumaru kannte ihn nur zu gut. Ganz klar, Kimie war augenscheinlich beleidigt, weil er sie praktisch den ganzen Tag über links liegen gelassen hatte. Und jetzt versuchte sie das Gleiche bei ihm.

Sesshoumaru unterdrückte ein Seufzen, als er sich von ihr zurückzog. “Sag bloß, du bist noch eingeschnappt wegen heute Morgen.”

“Nein. Ich stelle nur klar, dass ich nicht immer springe, wenn du pfeifst”, stellte Kimie klar, was Sesshoumaru aber nur minder beeindruckte.

“Wenn ich mich richtig erinnere, hast du doch stets das getan, was dir gerade gefiel.”

“Tja! Dann dürftest du ja eigentlich nicht allzu überrascht sein.”

Schon wieder so eine kesse Antwort… Es gab mal Zeiten, da hätte sich Sesshoumaru so etwas unter keinen Umständen gefallen lassen. Offenbar hatte die gemeinsame Zeit mit dieser Frau ihn doch in mancher Hinsicht ein wenig weich werden lassen. Aber mal ganz abgesehen davon würde Sesshoumaru gegenüber Kimie eh nie die Stimme oder gar die Hand erheben. Das käme ihm nicht mal im Traum in den Sinn.

Er schaute auf, als Kimie schließlich von ihrem Platz aufstand und wortlos an ihm vorbei hinaus auf die Veranda ging. Der Mond war schon längst aufgegangen und der Himmel war behangen von einer Vielzahl leuchtender Sterne. Kimie ließ sich den sanften Wind durch das Haar wehen. Auf dem Hof entdeckte sie vereinzelt noch einige der Inu-Youkai. Es waren zum einen diejenigen, die für den nächtlichen Wachdienst eingeteilt waren, und zum anderen einfach noch vereinzelte Krieger, die sich noch nicht zur Nachtruhe begeben hatten und stattdessen noch einen späten Plausch miteinander hielten.

Kimie stand noch gar nicht lange auf der Veranda, als sie bemerkte, wie Sesshoumaru ihr von hinten die Hände auf die Schultern legte.

“Es wird kühl heute Nacht. Du solltest besser reinkommen”, riet er ihr.

Anfangs überlegte Kimie, ob sie auf diese Bemerkung eingehen oder eher so tun sollte, als kümmerte es sie nicht. Letztendlich entschied sie sich für das Erste. “Mir ist nicht kalt. Ich kann schon selbst auf mich aufpassen, was das angeht. Trotzdem danke.”

Als sie sich mit einem Lächeln zu ihm umdrehte, war für Sesshoumaru zumindest klar gewesen, dass sie nicht wirklich sauer auf ihn gewesen sein konnte. Sonst hätte sie anders reagiert.

“Aber denk nicht, dass ich das immer mit mir machen lasse!”, stellte Kimie direkt klar. “Ich lasse mich nicht jedes Mal so einfach abspeisen so wie heute.”

Diese Pose, wie sie mit belehrend emporgehobenen Zeigefinger so vor ihm stand, kannte Sesshoumaru auch nur zu gut. Sie brachte ihn unwillkürlich zum Schmunzeln. “Und wenn ich Besserung gelobe?”

Kimie tat so, als müsste sie zunächst angestrengt darüber nachdenken. “Dann… wäre ich vielleicht dazu bereit, dir noch ein Mal zu verzeihen.”

Ohne noch ein weiteres Wort darauf zu erwidern, zog Sesshoumaru sie nun ganz nah an sich heran und gab ihr einen sanften Kuss. Kimie schloss langsam die Augen und ließ ihn voller Genuss gewähren. Als sich die beiden nach einiger Zeit wieder voneinander lösten, hatte sie noch immer diesen romantisch anmutenden Glanz in den Augen, als wäre sie gerade aus einem schönen Traum erwacht.

“Lass uns wieder reingehen”, schlug Sesshoumaru nach einem Moment vor und dieses Mal nickte Kimie einverstanden. Doch gerade, als sie sich zurückziehen wollten, war ihr so, als hätte sie aus dem Seitenwinkel etwas am Himmel gesehen. Als Kimie genauer hinschaute, erkannte sie, dass da tatsächlich etwas war. Sie rief Sesshoumaru zurück: “Sesshoumaru, schau mal! Da oben fliegt etwas!”

Aufmerksam geworden trat der Youkai wieder an Kimies Seite. Auch er sah nun das noch unbekannte Wesen, dessen Gestalt bis zu diesem Zeitpunkt nicht mehr war als ein Schatten im fahlen Mondlicht, am Himmel. Doch schien das Geschöpf genau auf das Schloss zuzusteuern. Auch die auf dem Hof befindlichen Inu-Youkai hatten es längst bemerkt.

Je näher das Wesen kam, umso klarer konnte man seine Konturen erkennen. Und endlich enthüllte sich seine Gestalt: Es war ein großer, neunschwänziger Fuchs mit einem strahlend silbernen Fell. Teile vom Gesicht und die Schwanzspitzen waren leuchtend weiß, ebenso wie Brust- und Bauchfell. Die Spitzen der Ohren und die Pfoten, die von leuchtend blauen Flammen umhüllt waren, waren hingegen tiefschwarz.

Fasziniert von dem phantastischen Anblick konnte Kimie den Blick gar nicht mehr abwenden. Und nicht nur sie, auch so ziemlich jeder andere im Schloss war inzwischen auf den silbernen Fuchs aufmerksam geworden.

Wie ein Geist schwebte die Erscheinung schließlich Richtung Boden und landete mitten auf dem Hof. Die Flammen an den Pfoten erloschen und der Fuchs verschwand in einem grellen Licht. Nachdem dieses kurz darauf wieder verblasste, stand ein schwarzhaariger junger Mann vor den anwesenden Inu-Youkai. Seine Kleidung war eher Schlicht; dunkle Hose, dunkles ärmelloses Oberteil. Ungewöhnlich an seiner Erscheinung waren jedoch die noch vorhandenen Fuchsohren, sowie ein einzelner, silbern schimmernder Schweif. Ein Katana hing links an seiner Hüfte am Gürtel.

Gemeinsam mit Kagome und Shippou war auch Inu Yasha - aufmerksam geworden von dem hellen Licht - nach draußen auf die Veranda ihres Gästezimmers getreten und beobachtete das Geschehen mehr als genau.

“Interessant. Ein Kitsune”, äußerte sich der Hanyou. Dann blickte er kurz zu Shippou runter. “Der macht aber mehr her als du.”

“Was soll das heißen?! Ich bin doch schließlich noch ein kleines Kind!”, verteidigte sich Shippou sofort energisch. Allerdings musste er für sich selbst eingestehen, dass der fremde Kitsune ihn sehr beeindruckte. Insgeheim wünschte er sich, eines Tages auch einmal so ein würdig anmutender Youkai zu sein.

“Wer ist das, Sesshoumaru? Kennst du ihn?”, fragte währenddessen Kimie neugierig an Sesshoumaru gewandt. Doch dieser antwortete nicht konkret auf ihre Frage, sondern erwiderte stattdessen nur: “Bleib hier. Ich kümmere mich darum.”

Damit verließ er die Veranda und direkt danach die Räumlichkeiten. Kimie verblieb weiterhin an Ort und Stelle. Sie wollte das weitere Geschehen von hier oben aus mitverfolgen.

Indes ließ der fremde Besucher den Blick seiner rubinroten Augen aufmerksam schweifen. Die Inu-Youkai beobachteten ihn ebenso genau, doch war es schließlich Tôya, der als Erster auf den Unbekannten zuging. “Wer bist du? Sprich!”

Sein Gegenüber verneigte sich leicht. “Verzeiht mein spätes Auftauchen hier. Mein Name ist Taiga. Ich bin hier als Bote von Fürst Aoshi aus den Ländern im Süden. Ich bitte um eine Audienz bei Eurem Herrn.”

Shippou hatte sofort aufgehorcht. “Aus dem Süden?”

“Stimmt etwas nicht, Shippou-chan?”, fragte Kagome daraufhin und schaute dabei nicht minder verwirrt drein, als Inu Yasha es im Augenblick tat.

“Von den Füchsen aus dem Süden habe ich schon viel gehört”, begann ihr kleiner Freund nun zu erzählen. “Sie sind anders als wir anderen Kitsune. Sie sind nicht nur sehr magiebegabt, sondern verfügen auch über ein großes Kampfgeschick im Umgang mit Waffen. Außerdem sollen sie eine Reihe von geheimnisvollen Zaubern beherrschen, die andere Kitsune nicht erlernen können. Sie sind wirklich sehr stark und werden von vielen, die sie kennen, wegen ihrer Fähigkeiten gefürchtet.”

Inu Yasha schaute wieder hinunter auf den Hof. “Das erklärt, warum dieser Typ da hier so einfach ohne Voranmeldung aufgetaucht ist. Andere hätten sich das nicht so leicht getraut. Oder aber, der Kerl ist einfach nur unheimlich dreist.”

“Warten wir ab, was passiert”, schlug Kagome nun vor. Und als hätte sie es geahnt, trat nur wenig später Sesshoumaru in Begleitung von Kakeru auf den Hof hinaus.

Die umherstehenden Inu-Youkai schwiegen gespannt, als Taiga das Wort an ihren Herrn richtete: “Sesshoumaru-sama. Es freut mich, Eure Bekanntschaft zu machen.”

Sesshoumaru sah seinem Gegenüber fest in die rubinroten Augen. “Du bist also ein Bote? Dann sag mir, was dein Fürst für einen Grund hat, dich zu mir zu entsenden.” Er wollte Taiga mit der entsprechenden Vorsicht gegenübertreten. Denn auch, wenn Sesshoumaru von ihm keine unmittelbare Bedrohung vermutete, sollte man einem neunschwänzigen Kitsune stets mit Argwohn gegenübertreten. Denn erst mit dem Erhalt des neunten Schweifs erhielt ein Kitsune stets seine volle magische Kraft. Es war momentan nicht abzuschätzen, wie stark diese bei Taiga ausgeprägt war. Denn die Magie eines Neunschwänzigen ließ sich nur schwer mit anderem Zauber vergleichen.

Doch Taiga blieb Sesshoumaru gegenüber höflich, als er nun auf dessen Frage antwortete: “Zunächst einmal möchte ich mich für die späte Störung erneut in aller Form entschuldigen. Viel Zeit ist vergangen. Es ist gut möglich, dass Ihr Euch nicht an meinen Herrn erinnert. Er und Euer verehrter Vater kannten sich gut.”

“Ich erinnere mich daran”, erwiderte Sesshoumaru knapp. Irgendwie überkam ihn mit einem Mal ein merkwürdiges Gefühl. Fast schon wie eine Vorahnung…

Nach dieser kurzen Pause sprach Taiga weiter: “Dann erinnert Ihr Euch auch sicherlich noch an das zwischen den beiden Clans bestehende Bündnis. Um dieses zu sichern, wurde entschieden, Euch mit der ältesten Tochter Fürst Aoshis zu verheiraten. Die Verlobung wurde schon damals beschlossen. Nun fordert mein Herr, dass die Abmachung von einst erfüllt wird.”

Als hätte er es geahnt. Genau das war es gewesen, was Sesshoumaru insgeheim vermutet und irgendwie auch befürchtet hatte. So viele Jahrhunderte hatte er nicht mehr an diese leidige Geschichte gedacht und sie eigentlich auch schon fast vergessen. Bis jetzt…

Kagome klappte angesichts dieser Neuigkeiten die Kinnlade fast bis zum Anschlag runter. “Äh… Was war das eben…? Redet der etwa wirklich von einer Verlobung? Von einer bevorstehenden Hochzeit?! Aber… das geht doch nicht!”

Sogar bei Inu Yasha ging diese Information nicht spurlos vorbei. Sein linkes Ohr zuckte ungewohnt unruhig. “Das stinkt irgendwie ziemlich nach Ärger… Ich hab ein ganz mieses Gefühl.”

Sesshoumarus Blick wanderte indes fast schon automatisch zu Kimie hoch, die nach wie vor auf der Veranda stand. Um jedoch nicht etwa Taigas Misstrauen zu erregen, wandte er sich gleich wieder ab. Als sein Herr selbst jetzt noch mit einer Erwiderung zu zögern schien, schaltete sich Kakeru in das Gespräch ein: “Wenn ich mich dazu äußern dürfte, möchte ich anmerken, dass Fürst Aoshi seit dem Ableben unseres ehemaligem Herrn nie wieder den Kontakt zu unserem Clan gesucht hat. Keiner von uns war seither der Ansicht, dass er noch irgendein Interesse an dieser Verbindung haben könnte. Woher kommt also der plötzliche Sinneswandel?”

Taiga gab dem Inu-Youkai sogleich bereitwillig eine Antwort: “Ich weiß, dass es lange keine Konversation mehr zwischen unseren beiden Clans gegeben hat. Nichts desto trotz besteht die Verlobung Sesshoumaru-samas mit der erstgeborenen Tochter Fürst Aoshis nach wie vor. Sie wurde nie gelöst.”

“Ich erinnere mich daran, dass mir mein Vater einst so was erzählte”, mischte sich Sesshoumaru nun wieder ein und sprach um einiges ernster, als noch zuvor. “Doch habe ich dieser Verlobung nie meine Zustimmung erteilt. Also existiert sie auch gar nicht. Ich bestimme immer noch selbst darüber, welche Frau ich an meiner Seite dulde! Unabhängig von einer uralten Entscheidung meines Vaters.”

“Bedauerlicherweise ist das nicht so einfach”, widersprach ihm Taiga ruhig, aber bestimmt. “Nun gut, sowohl Ihr als auch die Prinzessin waren damals noch Kinder… Aber mein Herr, seine Gemahlin und Euer verehrter Vater - und wohlgemerkt auch Eure ehrwürdige Frau Mutter - hatten einst gemeinsam beschlossen, dass diese Verlobung vollzogen und die Ehe stattfinden wird. Ich kann Euch nur die Nachricht überbringen. Den Rest müsst Ihr mit meinem Herrn klären. Er wird innerhalb der nächsten Tage mit seinem Gefolge hier eintreffen.”

Sesshoumaru beäugte Taiga abschätzend. “Mit seinem Gefolge? Will er mich etwa einschüchtern?”

“Mitnichten, Sesshoumaru-sama. Bitte denkt nicht so schlecht über uns. Außerdem lebten unsere beiden Stämme doch bisher in Freundschaft.”

“Eine Freundschaft, die deinem Herrn nicht viel wert sein kann. Immerhin gab es vor gar nicht allzu langer Zeit eine nicht zu unterschätzende Bedrohung in Form eines Clans der Ryû-Youkai aus China.”

Taiga senkte entschuldigend den Blick. “Die Kunde von den damaligen Ereignissen erreichte uns seinerzeit bedauerlicherweise zu spät. Schließlich waren jene Youkai nicht in unsere Ländereien eingefallen. Jedoch bin ich mir sicher, dass mein Herr Euch seine Hilfe keinesfalls verweigert hätte, Sesshoumaru-sama.”

“Das ist jetzt nicht mehr von Belangen”, winkte Sesshoumaru nunmehr gleichgültig ab. “Berichte deinem Herrn, dass ich ihn hier empfangen werde. Alles andere sehen wir dann.”

“Ich danke Euch. Gehabt Euch wohl.” Mit diesen Worten verneigte sich Taiga noch einmal respektvoll vor ihm, ehe er sich einige Schritte von ihm entfernte und wie schon zuvor in ein helles, bläulich schimmerndes Licht gehüllt wurde. Aus diesem Licht stieg er nur wenige Augenblicke später wieder in der Gestalt des neunschwänzigen Fuchses in den Himmel empor.

Die Zurückgebliebenen beobachteten noch eine ganze Weile, wie der Kitsune sich allmählich von ihrem Schloss entfernte. Nur Sesshoumaru hatte den Blick schon weitaus früher abgewendet. Als er erneut die Fassade des Schlosses hinaufblickte, stand Kimie nicht mehr auf der Veranda.
 

Schweigend beobachtete Sesshoumaru Kimie dabei, wie sie mit dem Rücken zu ihm gewandt vor ihrem Spiegel saß und sich schon seit mehreren Minuten, die ihm eher wie Stunden vorkamen, um keinen Millimeter gerührt hatte. Sie saß einfach nur so da, als wäre sie eine Statue. Und die ganze Zeit über sprach sie kein einziges Wort.

Sesshoumaru war schon drauf und dran gewesen, als Erster das Wort zu ergreifen, da nahm Kimie ihm diese Entscheidung jedoch ab.

“Worauf wartest du?”, fragte sie ihn, wobei ihre Stimme ungewohnt kraftlos und auch irgendwie abweisend klang. “Hast du mir nicht etwas zu sagen? Oder hast du nur darauf gewartet, dass ich zuerst etwas sage?”

Die Tatsache, dass sich Kimie nicht zu ihm umgedreht hatte, bestärkte Sesshoumaru in seiner Vermutung, dass sie angesichts dessen, was eben auf dem Schlosshof geschehen war, mehr als vielleicht einfach nur verwirrt war.

“Du bist wütend, und das kann ich nachvollziehen”, erwiderte er ruhig. “Allerdings bin ich nicht bereit, mir etwas vorwerfen zu lassen.”

Kimie glaubte zunächst, sich verhört zu haben. “Denkst du das wirklich? Das soll doch wohl ein Witz sein!? Du hattest die ganze Zeit über eine Verlobte, hast aber nie auch nur ein Wort über sie verloren!”

Jetzt schrie sie ihn fast schon an. Aber mit einem derartigen Zorn in der Stimme, wie selbst Sesshoumaru es zuvor noch nicht bei ihr gehört hatte.

“Es gibt keine Verlobung!”, versuchte er abermals, sich zu rechtfertigen, aber Kimie gab ihm mit einer wegwerfenden Handbewegung zu verstehen, dass sie darauf keinen Wert legte.

“Ach, Sesshoumaru, jetzt hör doch bitte auf! Glaubst du etwa, nur weil du etwas sagst, ist es automatisch auch so? Wenn du sagen würdest, die Erde dreht sich rückwärts, wäre das dann auch so, eben weil DU es gesagt hättest? Du bist doch nicht das Alpha und das Omega des gesamten Kosmos! Deine Eltern haben damals dieser Verlobung zugestimmt und sie wurde augenscheinlich nicht wieder gelöst. Wenn du diese Frau wirklich nie hättest heiraten wollen, dann hättest du diese Sache anständig beenden müssen! Und wie soll das eigentlich aussehen, wenn sie in ein paar Tagen samt Anhang hier auftaucht? Wie stehe ich jetzt überhaupt da? Wie ein Eindringling, der sich unrechtmäßig zwischen dich und die Frau gestellt hat, die du eigentlich hättest heiraten sollen!”

Darauf wusste Sesshoumaru nicht wirklich was zu erwidern. Denn er konnte Kimies Standpunkt schon verstehen. Ihr gingen womöglich alle möglichen Dinge durch den Kopf. Von einem Moment auf den anderen hatte sich plötzlich scheinbar alles verändert.

“Ich geh jetzt schlafen”, sagte Kimie schließlich. “Sieh zu, wie du wieder aus diesem Dilemma rauskommen willst. Ich halte mich da raus.”

Schweigend legte sie sich auf das Schlaflager und verschwand, mit dem Rücken zu ihm gewand, fast bis über den Kopf unter der Decke. Indes stand Sesshoumaru noch eine Weile tatenlos im Raum herum. Er hielt es für keine gute Idee, sich zu Kimie zu gesellen. Mal ganz abgesehen davon, dass er jetzt eh nicht mehr an Schlaf denken konnte. Also begab er sich ins Nebenzimmer. Er wollte versuchen, die Zeit zu nutzen, um über alles in Ruhe nachzudenken.
 

Als sich Kimies Stimmung auch am Morgen nicht gebessert hatte - was allerdings auch nachvollziehbar war - war Sesshoumaru schließlich zu Kakeru gegangen, um diesen um Rat zu fragen. Seit nunmehr einer geschlagenen Stunde saßen die beiden zusammen.

“Es wundert mich nicht, dass Kimie-dono deswegen verärgert ist. Wie würdet Ihr Euch fühlen, wenn Ihr an ihrer Stelle wärt?” So eine Frage von Kakeru hatte Sesshoumaru schon irgendwie erwartet.

“Aber ich habe meinem Vater damals schon gesagt, dass ich dieser Verlobung und schon gar nicht der Heirat zustimmen werde!”, rechtfertigte er sich, ohne dabei jedoch unkontrolliert die Stimme zu erheben. Dennoch merkte man ihm an, dass seine Selbstbeherrschung etwas wankte.

Kakeru wartete ein wenig, bis sich Sesshoumaru wieder etwas beruhigt hatte, ehe er erneut zu sprechen begann: “Ehrlich gesagt, hoffte auch ich, dass diese Geschichte längst der Vergangenheit angehört. Doch Fürst Aoshi scheint in der Hinsicht hartnäckiger zu sein, als wir dachten. Vermutlich hat er sich gerade jetzt bei Euch gemeldet, weil er bemerkt hat, dass Ihr inzwischen den Platz Eures verehrten Vaters fest eingenommen und Euch hier niedergelassen habt.”

Damit konnte Kakeru durchaus recht haben. Ursprünglich hätte Sesshoumaru die Tochter Fürst Aoshis längst ehelichen sollen, doch der Tod Inu no Taishous und nicht zu vergessen dessen Beziehung zu der Menschenprinzessin Izayoi hatte die geplante Trauung auf unbestimmte Zeit auf Eis gelegt. Sesshoumaru wäre es im Augenblick sogar lieber gewesen, hätte Aoshi ihm seine Tochter verweigert, eben wegen Inu no Taishous “Fehlverhalten”. Das hätte zumindest einiges einfacher gemacht und er müsste den alten Verbündeten seines Vaters jetzt nicht empfangen, um diese Sache mit ihm zu klären.

“Die Tochter von Fürst Aoshi…”, fuhr Kakeru fort. “Sie ist nur ein wenig jünger als Ihr es seid. Es erstaunt mich, dass er sie in der Zwischenzeit nicht anderweitig verheiratet hat.”

“Möglicherweise hat er es ja auf unsere Ländereien abgesehen”, vermutete Sesshoumaru. Aoshi wäre schließlich nicht der erste Herrscher gewesen, der allein aus taktischen oder politischen Antrieben heraus Ehen schloss und zu diesen Zwecken seine eigenen Kinder vorschob.

Doch Kakeru schien davon nicht überzeugt zu sein. “Eigentlich ist Aoshi-sama kein gieriger Herrscher. Der Grund muss ein anderer sein, dass er auf Euch als Gemahl für seine Tochter besteht. Aber Ihr könnt nicht zwei Frauen haben.”

“Was ich auch gar nicht will!”, bekräftigte Sesshoumaru sofort.

“Ich weiß.” Kakeru hob beschwichtigend die Hand. “Aber wenn Fürst Aoshi von Kimie-dono erfährt und trotzdem auf das alte Abkommen mit Eurem verehrten Vater besteht, wird es schwierig. Denn auch er wird es nicht akzeptieren, dass es da noch eine andere Frau gibt. Demzufolge wird er bestimmt von Euch verlangen, Euch von Kimie-dono loszusagen.”

Also praktisch eine Auflösung ihrer beider Verbindung. Diese Vorstellung kam Sesshoumaru allerdings so dermaßen absurd vor, dass er in einem Anflug von plötzlich aufkommender Wut derart kräftig mit der flachen Hand auf den Tisch schlug, dass dieser in seine Einzelteile zerbrach.

“Auf so etwas werde ich mich nicht einlassen! Auch auf die Gefahr hin, Aoshi zu erzürnen”, sagte er und bemerkte erst da, was dem Tisch widerfahren war. Betretenes Schweigen machte sich breit.

Ein leises Seufzen war schließlich von Kakeru Seite zu vernehmen. “Hm… Hoffen wir, an Fürst Aoshis Einsicht appellieren zu können. Nebenbei bemerkt: Kann ich davon ausgehen, dass Ihr mir einen neuen Tisch zur Verfügung stellt?”

Zum gegebenen Zeitpunkt war Sesshoumaru irgendwie ganz froh darüber, dass Kakeru seinen Gesichtsausdruck nicht sehen konnte. Denn dieses Missgeschick war selbst dem sonst so stolzen Daiyoukai sichtlich unangenehm.
 

Das an diesem Morgen stattfindende Frühstück verlief alles andere als entspannt. Kimie hatte es vorgezogen, allein mit Inu Yasha, Kagome und Shippou zu essen, doch sprach keiner von ihnen die ganze Zeit über auch nur ein einziges Wort. Während Kimie scheinbar vollkommen sorglos frühstückte, wurde sie von den dreien aufmerksam und argwöhnisch beobachtet.

Diese unangenehme Stille irgendwann nicht mehr aushaltend, wagte Kagome es schließlich, als Erste das Wort an ihre Cousine zu richten: “Uhm, Kimie? Ist… alles in Ordnung?”

Kimie schaute auf. “Hm? Klar! Warum sollte es das nicht?”

“Nun ja…”, druckste Kagome herum. “Da war doch…”

“Ach! Du meinst den Vorfall von letzter Nacht?”, fragte Kimie, als wäre es das Normalste von der Welt. “Warum sollte ich mich daran stören? Als ob was dabei wäre, wenn Sesshoumaru mir die ganze Zeit über verschweigt, dass er schon seit Jahrhunderten eine Verlobte hat. Wir leben hier schließlich in einer feudalen Zeit. So was passiert hier doch ständig, oder? Warum sollte ich also überrascht sein? Es ist alles in Ordnung.”

Kagome, Inu Yasha und Shippou hatten jedoch den starken Verdacht, dass ganz und gar nichts in Ordnung war. Allein schon der Tonfall in Kimies Stimme ließ darauf schließen, ganz zu schweigen von ihrem mehr als unecht wirkenden Lächeln. Es machte einem vielmehr Angst und jagte einem einen kalten Schauer durch Mark und Bein. Als Kimie schlussendlich auch noch ihre Stäbchen mit nur einer Hand entzwei brach, zuckten Kagome, Inu Yasha und Shippou gleichermaßen zusammen.

“Ich bin satt”, verkündete Kimie, noch immer mit diesem beängstigenden Lächeln auf den Lippen, als sie nunmehr aufstand und ohne ein weiteres Wort den Raum verließ.

Es vergingen noch einige Sekunden des unsicheren Schweigens, ehe Shippou leise aufseufzte. “Oje… Das ist gar nicht gut.”

“Das hat sich Sesshoumaru aber selbst zuzuschreiben”, fügte Inu Yasha mürrisch hinzu.
 

Nachdem Sesshoumaru die Räumlichkeiten von Kakeru wieder verlassen hatte, unterdrückte er nur mühsam ein Seufzen. Nicht nur, dass es noch vollkommen ungewiss war, zu was für einem Ergebnis die Begegnung mit Fürst Aoshi letztendlich führen würde, jetzt hatte er seinem einstigen Mentor auch noch einen Teil des Mobiliars zerschlagen. Und dann war da auch noch Kimie…

Kaum war er mit seinen Gedanken an ihr hängen geblieben, da entdeckte Sesshoumaru seine Gefährtin am anderen Ende des Ganges. Sie kam geradewegs auf ihn zu. Er wollte die Gelegenheit nutzen und kam ihr ein Stück entgegen.

“Kimie, ich muss mit dir…” Doch Sesshoumaru konnte den Satz gar nicht mehr beenden, denn Kimie schritt ohne ein einziges Wort oder einer sonstigen Geste der Beachtung an Sesshoumaru vorbei. Als existierte er überhaupt nicht. Und er konnte sie noch nicht einmal zur Rede stellen, denn sie verschwand direkt in Kakerus Privaträumen. Natürlich hätte Sesshoumaru ihr einfach auf direktem Weg folgen können, doch er entschied sich dagegen. Vielleicht war es das beste, sie erst einmal eine Weile in Ruhe zu lassen. Zumindest bis sich die Wogen wieder etwas glätteten.

Prinzessin Saori

Tagelang hing der Haussegen im Schloss so richtig schief. Um ihren Standpunkt noch klarer zu vertreten, war Kimie sogar wieder in ihr altes Zimmer gezogen. Sesshoumaru hatte sie davon zuvor nichts erzählt, sondern stattdessen einfach Nägel mit Köpfen gemacht. Und da ihm zu diesem Zeitpunkt keine guten Argumente eingefallen waren, die sie hätten umstimmen können, hatte er sie gewähren lassen.

Aber auch unter den Inu-Youkai herrschte viel Irritation. Keiner von ihnen schien im Augenblick so recht zu wissen, wie sie besonders ihrer Herrin gegenüber auftreten sollten. War ihre Verbindung mit Sesshoumaru nun null und nichtig? Oder behielt sie ihren hohen Status an seiner Seite?

Je mehr Tage verstrichen, umso mehr schienen sich die Youkai langsam aber sicher in zwei Lager aufzuspalten. Die einen waren überzeugt davon, dass es keinerlei Veränderungen an der aktuellen Situation geben würde, während die anderen es nicht ausschlossen, dass Sesshoumaru die Tochter Fürst Aoshis doch noch ehelichen könnte.

Wenngleich jegliches Gerede hinter vorgehaltener Hand stattfand, ab und zu sickerte eben doch was durch. Sowohl Sesshoumaru als auch Kimie hörten hier und da die Gerüchteküche brodeln. Doch hüllten sich beide dazu in Schweigen. Auch miteinander sprachen sie nicht darüber. Wie auch? Denn Kimie mied schon regelrecht hartnäckig den Kontakt zu Sesshoumaru. Wenn sie sich mal zufällig irgendwo im Schloss oder auf dem Gelände begegneten, gingen sie stumm aneinander vorbei. Sesshoumaru beschlich jedes Mal ein merkwürdiges Gefühl, wenn er mitbekam, wie Kimie einen Bogen um ihn machte. Und obwohl er sich schon mehrfach vorgenommen hatte, das Gespräch mit ihr zu suchen, besann er sich immer wieder darauf, sie lieber in Frieden zu lassen. Wohl fühlte er sich dabei allerdings nicht. Inzwischen war Sesshoumaru schon so weit, dem Besuch von Aoshi regelrecht entgegenzufiebern. Denn je eher der Kerl hier auftauchte, umso eher konnte diese leidige Geschichte zu einem Ende gebracht werden.

Allerdings vergingen fast zehn Tage, ohne, dass etwas geschah. Langsam aber sicher wuchs Sesshoumarus Ungeduld.

“Was bildet sich dieser Kerl überhaupt ein? Erst schickt er einen Boten und spielt sich auf, und dann wagt er es auch noch, mich so lange warten zu lassen!?”

Kakeru hatte so seine liebe Not, seinen Herrn zumindest etwas zu besänftigen. “Ich kann Eure Empörung nachvollziehen, dennoch bitte ich Euch, einen kühlen Kopf zu bewahren. Wenn wir in den nächsten zwei Tagen noch immer nichts von Fürst Aoshi hören sollten, solltet Ihr einen unserer Leute in seine Ländereien entsenden, um in Erfahrung zu bringen, wie die Lage ist.”

Sesshoumaru, der am geöffneten Fenster stand, unterdrückte eine allzu abfällige Äußerung. Wie konnte Aoshi es unter solchen Umständen wagen, von ihm zu erwarten, er würde sich seinem Willen beugen?

“Ihr habt seither nicht mehr mit Kimie-dono gesprochen, nicht wahr?”

Diese plötzliche Frage von Kakeru ließ Sesshoumaru aufhorchen. “Aber sie hat mit dir geredet, nehme ich an?”

“Ja, das hat sie”, bestätigte Kakeru ruhig. “Ich würde Euch ja mehr darüber erzählen, aber ich bitte um Euer Verständnis, wenn ich es nicht tue.”

Sesshoumaru verstand die Anspielung und fragte nicht weiter nach. Wenn Kimie Kakeru gegenüber ihr Herz ausgeschüttet hatte, wollte dieser es natürlich mit dem entsprechenden Feingefühl behandeln.

“Und du bist dir sicher, dass es Aoshi nicht auf unsere Ländereien abgesehen hat?”, fragte Sesshoumaru plötzlich mit einem gewissen Unterton von Misstrauen an Kakeru gerichtet. “Wenn ich richtig informiert bin, dann herrschen die Füchse aus dem Süden zwar über einen großen Teil des dortigen Landes, doch ist ihr Besitz im Vergleich zu unserem eher klein. Würde Aoshi diese Hochzeit mit aller Macht durchpeitschen, wäre das also nur zu seinem Vorteil.”

Zunächst hüllte sich Kakeru in nachdenklichen Schweigen. “Ich gebe zu, an Eurer Überlegung ist was Wahres dran. Wie schon gesagt, habe ich Aoshi nicht als machthungrigen Fürst in Erinnerung. Doch natürlich ist es nicht auszuschließen, dass er sich in dieser Hinsicht geändert hat. Es ist schließlich viel Zeit vergangen. Aber soll ich aus Euren Worten schließen, dass Ihr es nicht ausschließt, Aoshis Willen Folge zu leisten?”

“Mach dich nicht lächerlich!”, erwiderte Sesshoumaru sogleich streng. “Ich habe mich noch nie dem Willen eines anderen gebeugt und werde es auch in Zukunft nicht tun!”

“Ich wollte nur sicher sein”, entgegnete Kakeru mit einem geheimnisvollen Lächeln, ehe er ernster fortfuhr: “Aber davon mal abgesehen, rate ich Euch, Euch nicht von der Situation mitreißen zu lassen. Versucht, das Problem zunächst mit Aoshi im gegenseitigen Gespräch zu lösen. Das wäre klüger, zumal er ein alter Verbündeter Eures ehrwürdigen Vaters war.”

“Dessen bin ich mir bewusst”, erwiderte Sesshoumaru. Obwohl er die Sache lieber schnell erledigen wollte.
 

Und während Sesshoumaru sich mit Kakeru beriet, saß Kimie in ihrem Zimmer mit Kagome, Inu Yasha und Shippou bei einem Tee zusammen. Kagome hatte sich für heute nicht ihr Miko-Gewand, sondern einen normalen Kimono mit Blumenmuster und einem roten Obi angelegt. Kimie hingegen trug ein weißes, knielanges Sommerkleid.

Inu Yasha, der am geöffneten Fenster saß, verschränkte nachdenklich die Arme hinter dem Kopf. “Ich komme damit immer noch nicht klar. Ich frage mich, warum mein alter Herr damals kein Wort über diese Verlobung verloren hat.” Damit sprach er auf die Begegnung mit seinem Vater in dessen Grab zur Zeit des Kampfes gegen die Ryû-Youkai an.

Kagome nahm einen kleinen Schluck von ihrem Tee. “Vielleicht war er ja auch der Ansicht, die Geschichte hätte sich erledigt. Immerhin hat dieser Fürst Aoshi ja lange nichts von sich hören lassen. Möglicherweise hatte dein Vater es sogar längst vergessen.”

“Aber kann man so etwas denn überhaupt vergessen?”, fragte Shippou verunsichert.

Kimie hingegen schwieg zu alldem. Überhaupt hatte sie bisher nur wenig gesagt. Stattdessen hatte sie gerade ihre mittlerweile dritte Tasse Tee getrunken. Und auch Inuki, der in einer Ecke des Zimmers lag, hob als einzige Reaktion nur ab und zu mal den Kopf.

Das plötzliche Öffnen der Schiebetür, ohne ein ankündigendes Anklopfen, erregte auf einen Schlag die Aufmerksamkeit der Anwesenden. Doch wandten sich die Blicke fast schon automatisch wieder ab, als Jaken nun das Zimmer betrat.

“Ich habe mich schon gefragt, wohin ihr euch alle verkrochen habt”, sagte er mit einem leichten Unterton von Hohn in der Stimme.

Inu Yasha und die anderen wollten Jaken weitestgehend ignorieren, doch gestaltete sich dies nicht gerade als einfach. Erst recht nicht, als der Krötendämon geradewegs auf die kleine Gruppe zusteuerte und schlussendlich dicht neben Kimie stehen blieb. Da sie ja zur Zeit auf dem Boden saß, musste er nicht übermäßig zu ihr hochgucken, wie es für gewöhnlich der Fall war.

“Ich habe es ja von Anfang an gewusst! Dass mein ehrwürdiger Herr eines Tages eine Frau finden würde, die seinem Stand entspricht. Ein gut gemeinter Rat von meiner Seite: Nimm’s nicht zu schwer.”

Während von Kimies Seite zunächst keine nennenswerte Reaktion zu vernehmen gewesen war, schnaubte Shippou verärgert: “Was soll das?! Hat dich irgendwer nach deiner Meinung gefragt?”

Doch Jaken schenkte dem kleinen Kitsune keine Beachtung, sondern stichelte lieber weiter in Kimies Richtung. “Es ist eben besser, wenn jeder an seinem für ihn vorgesehenen Platz bleibt. Und dass deiner nicht an der Seite meines ehrenwerten Meisters ist, dürfte ja spätestens jetzt völlig klar sein. Wie hätte das denn überhaupt aussehen sollen? Du wärst immer älter geworden und Sesshoumaru-sama wäre so geblieben, wie er ist. Gib es doch zu, das passt doch gar nicht zusammen! Natürlich ändert eine Trennung nichts daran, dass du nach wie vor Jahr für Jahr immer älter wirst. Sehe ich da etwa schon ein graues Haar?”

Graues Haar? Kimies Augenbraue begann bei dieser Bemerkung kaum merklich zu zucken. Was bildete sich diese Kröte überhaupt ein?

Während Jaken weiter so vor sich hin redete, lief er ein wenig im Zimmer herum und bemerkte nicht, wie Kimie irgendwann aufstand und ihr Schwert holte. Von Inu Yasha, Kagome und Shippou stumm beobachtet, trat sie anschließend hinter den Krötendämon, der sich inzwischen ans Fenster gestellt hatte und noch immer sprach, wohl im Glauben, Kimie hörte ihm teilnahmslos zu.

“Jaken?”

Erst, als er Kimie so merkwürdig monoton seinen Namen sagen hörte, verstummte Jaken irritiert. Kaum, dass er sich zu ihr umgedreht hatte, trat ihm der kalte Schweiß auf die Stirn, angesichts ihres erhobenen Schwertes. Zum schreien blieb Jaken allerdings keine Zeit mehr, als die aufblitzende Klinge bereits auf ihn herabsauste...
 

Auf dem Schlosshof ging zur selben Zeit größtenteils alles seinen gewohnten Gang nach, bis plötzlich eine laute Explosion aus einem der Zimmer des Schlossgebäudes zu hören war. Die Inu-Youkai schauten auf, sahen aber nur ein verkohltes, kleines Etwas, was nun panisch schreiend und im hohen Bogen aus dem entstandenen Loch in der Fassade flog und schließlich irgendwo zwischen den Baumkronen des Waldes landete. Die nachgezogene Rauchfahne verdeutlichte auch noch einige Sekunden später die Flugbahn.

Ratlose Stille breitete sich auf dem Hof aus.

“Sagt mal… War das nicht dieser Jaken?”, fragte schließlich einer der Inu-Youkai in die Runde. “Ich frage mich, was er dieses Mal wieder angestellt hat…”

Einer seiner Kameraden schaute indes zum Loch in der Fassade hoch. “Gehört das Zimmer nicht unserer Herrin?”

Zwar kam die Vermutung auf, dass Kimie bei dieser Sache ihre Finger im Spiel gehabt haben könnte, doch so richtig daran glauben, konnte keiner der Inu-Youkai. Denn dass sie derart unkontrolliert die Beherrschung verlor, hatten sie zuvor noch nicht erlebt.

Und während die Inu-Youkai noch darüber rätselten, wer oder was, dem armen Krötendämon so übel mitgespielt hatte, waren Inu Yasha, Kagome und Shippou angesichts von Kimies plötzlichem Ausbruch ungewohnter Erbarmungslosigkeit regelrecht zu Stein erstarrt. Zuvor hatten sich die drei noch rasch in eine Ecke des Zimmers verzogen, um nicht selbst versehentlich zur Zielscheibe zu werden. Shippou hatte sich in Kagomes Arme geflüchtet, und Kagome wiederum wurde von Inu Yasha festgehalten. Und sogar Inuki saß im Augenblick einfach nur da, als wäre er etwa eine ausgestopfte Trophäe.

Nur Kimie selbst zeigte keinerlei sonderliche Regung, sondern machte sogar einen eher gleichgültigen Eindruck. Ihr Schwert, welches sie zuvor als Golf-, bzw. Krötenschläger zweckentfremdet hatte, hatte sie längst wieder gesenkt und zurück in die Schwertscheide geschoben.

“Ist was?”, fragte Kimie die Anwesenden knapp, als sie deren fassungslose Blicke bemerkte, doch alle drei schüttelten nur im Einklang die Köpfe, als trauten sie sich nicht, etwas zu sagen. Stillschweigend legte Kimie ihr Schwert wieder zur Seite und verließ danach ohne ein weiteres Wort den Raum.

“Uhm… Hier zieht es etwas…”, bemerkte Shippou irgendwann, als ein kühler Windstoß seinen Weg durch das große Loch in der Wand fand.
 

Insgesamt hatte es gut zwei Stunden gedauert, ehe sich Jaken wieder einigermaßen erholt und zurück zum Schloss geschleppt hatte. Um Kimie machte er seither jedoch einen mehr als großen Bogen. Eine weitere Abreibung mit ihrem Schwert zu kassieren, und noch dazu mit einer Blitzattacke, das wollte er nicht riskieren.

Indes saß Kimie in Ah-Uns Stall auf einem Strohballen und kraulte Inuki nachdenklich hinter den Ohren, während Ah-Un sein Mittagessen genoss.

“Umgib dich besser mit Tieren. Die lügen einen wenigstens nicht an… Huh! Wenn ich Glück habe, ist diese Langzeitverlobte eine vertrocknete alte Jungfer am Rande des Wahnsinns…”, murmelte Kimie zu sich selbst. Von Inuki und Ah-Un erntete sie dafür nur äußerst fragende Blicke.

Diese elende Warterei machte Kimie langsam aber sicher mürbe. Sie hatte das Gefühl, dass die momentan herrschenden Unklarheiten sie über kurz oder lang noch richtig fertig machen würden. Selbst das Schlafen fiel ihr mittlerweile schwer, weshalb sie sich schon seit Tagen ausgelaugt, schlapp und müde fühlte. Aus diesem Grund war sie auch im Augenblick kurz davor, an Ort und Stelle wegzudämmern, hätte Ashitaka, der plötzlich im Stall auftauchte, sie nicht rein zufällig davon abgehalten.

“Hey, Kimie-chan! Alles klar?”, fragte er Kimie auf seine typisch heitere Art und Weise, kassierte dafür aber nicht etwa ein freundliches Lächeln ihrerseits, sondern einen vielmehr genervt anmutenden Blick.

“Wenn du aufhören könntest, so ekelhaft fröhlich zu sein…” Doch als Kimie Ashitakas recht verdutzten Gesichtsausdruck bemerkte, winkte sie entschuldigend ab. “Ach, tut mir Leid, Ashitaka. Bitte nimm es mir nicht krumm…”

Der junge Youkai zuckte gelassen mit den Schultern, als er sich ihr gegenübersetzte. “Ist schon gut. Ich weiß ja immerhin auch, was gerade los ist.”

“Wie wohl jeder hier…” Kimie seufzte erschöpft. “Wo ist denn Miyuki?”

“Bei Tôya. Offenbar hat sie das Gefühl, ihn in letzter Zeit ein wenig links liegen gelassen zu haben.”

“Ach so.”

Einige Sekunden lang hüllten sich die beiden in Schweigen, bis Ashitaka das Gespräch auf ein aktuelleres Ereignis lenkte: “Sag mal, dieses große Loch in der Fassade… Wir rätseln alle, wo das herkommt.” Er selbst hatte zwar so eine Vermutung, wollte es jedoch lieber von Kimie selbst hören.

Nach einem kurzen Augenblick erwiderte sie reumütig: “Entschuldigung... Jaken hat rumgenervt.”

Ashitaka klatschte einmal in die Hände. “Ha! Also hatte ich doch Recht! Das erzähl ich Tôya!”

“Was?”, fragte Kimie nunmehr vollkommen verwirrt.

“Ach, nichts. Ich hatte nur mit Tôya eine Wette veranstaltet”, erklärte ihr Ashitaka.

Die junge Frau beäugte ihn prüfend. “Und… du hast gewonnen, nehme ich an?”

“Jetzt schon.”

“Ging es um was Bestimmtes?”

“Nein, es war einfach so zum Spaß. War übrigens nett anzusehen, wie Jaken diese Rauchfahne hinter sich hergezogen hat. Aber ich kann mir denken, dass seine Landung weniger elegant ablief.”

Ashitakas amüsiertes Lachen entlockte nun auch Kimie ein zaghaftes Lächeln.

“Viel besser”, sagte Ashitaka. “Es sieht wirklich viel besser aus, wenn du nicht so trübsinnig guckst. Ach, bevor ich’s vergesse…” Er warf ihr mit einem lockeren Wurf aus dem Handgelenk eine rote Frucht zu.

“Was ist das?”, fragte Kimie, während sie das etwa zitronengroße Objekt musterte. Es erinnerte sie ein wenig an eine zu groß geratene Himbeere.

“Als ich mit Tôya und Subaru auf Dämonenjagd war, hab ich ein paar von denen gefunden und mitgehen lassen. Sie brauchten noch ein paar Tage, um zu reifen. Jetzt sind sie genau richtig”, erklärte Ashitaka und genehmigte sich ebenfalls eine von den mitgebrachten Delikatessen. “Die Bäume, von denen sie stammen, tragen immer nur alle paar Jahre Früchte. Also genieße es.”

Noch ein Mal begutachtete Kimie die Frucht in ihren Händen, ehe sie von ihr ein kleines Stück abbiss. “Oh! Schön süß”, stellte sie fest.

“Solange es schmeckt”, lächelte Ashitaka. “Und was die Sache mit Sesshoumaru angeht … Mach dir keinen Kopf. Es wird schon alles wieder in Ordnung kommen.”

Kimie war zunächst zwar etwas überrascht von diesem plötzlichen Kommentar, behielt ihr Lächeln jedoch bei. “Lieb von dir. Danke.”

Die beiden sprach noch eine gute halbe Stunde miteinander. Im Grunde tat es Kimie ganz gut, dass sie mit Ashitaka auch einfach mal über belanglose Dinge reden konnte. Das lenkte sie ein wenig ab.

Irgendwann bemerkte Ashitaka, dass sich auf dem Hof etwas tat. Er ging zum Eingang des Stalls und warf einen Blick hinaus, neugierig beobachtet von Kimie.

“Was ist denn da draußen los?”, fragte sie ihn nach einigen Sekunden.

“Nun”, begann Ashitaka, als er zur ihr zurückkam, “ich würde sagen, unser angekündigter hoher Besuch trifft soeben ein.”
 

Nun war es also so weit. Kimie spürte, wie sich in ihrem Hals ein Kloß zu bilden begann, während sie mit Kagome, Inu Yasha und Shippou in unmittelbarer Nähe der Schlosstore zusammenstand, als würde sie sich insgeheim darauf vorbereiten, eventuell möglichst schnell im Inneren des Gebäudes zu verschwinden.

Hingegen stand Sesshoumaru, mit Kakeru an seiner Seite, im Zentrum des Hofes und wartete auf die Ankunft der Gäste. Sesshoumaru hatte Aoshi nie persönlich getroffen, von daher wusste er den Fürst der Füchse auch nicht so wirklich einzuschätzen. Er wollte zwar höflich bleiben, aber auch bestimmt. Auf keinen Fall sollte Aoshi den Eindruck gewinnen, bei Sesshoumaru leichtes Spiel zu haben.

Einer der auf der Schlossmauer postierten Wächter der Inu-Youkai gab schließlich ein Zeichen, woraufhin die Tore geöffnet wurden.

“Jetzt bin ich ja echt mal gespannt”, flüsterte Ashitaka an Tôya und Miyuki gerichtet. Und auch die anderen waren nicht minder begierig darauf zu erfahren, wer denn nun die geheimnisvolle Prinzessin war, um die sich seit Tagen sämtliche Spekulationen gedreht hatten.

Durch die geöffneten Tore traten zunächst einige Krieger, die mit Lanzen bewaffnet waren. Sie stellten die Vorhut des Gefolges von Fürst Aoshi. Ihnen folgten weitere, mit Schwertern ausgerüstete Krieger, die die Leibwache der fürstlichen Kutsche bildeten. Die Kutsche selbst rollte aufgrund magischen Einflusses vollkommen selbstständig. Es bedurfte keiner gesonderten Erklärung, um festzustellen, dass sich Aoshi mit seiner Familie in diesem Gefährt aufhielt. Die Nachhut bildeten weitere Youkai mit Lanzen. Schlussendlich befanden sich gut dreißig Krieger vom Stamm der Füchse auf dem Schlosshof. Ihre Abstammung war ihnen allen anhand der typischen Fuchsattribute wie Ohren und Schweif anzusehen.

“Hm… Etwas viel Aufwand, oder nicht?”, fand Inu Yasha, wobei er die Besucher die ganze Zeit über mehr als skeptisch beäugte.

Nachdem die Tore wieder geschlossen wurden, öffnete sie eine der Türen der Kutsche und ein groß gewachsener Mann mit schwarzem Haar und gekleidet in edle Gewänder stieg aus. Ihm folgten zwei weitere Personen; ein junger Mann, der ihm in der Erscheinung sehr ähnelte und eine junge Frau.

Sesshoumaru und Kakeru kamen den dreien ein wenig entgegen. Der Mann, der als Erster aus der Kutsche gestiegen war, deutete eine Verbeugung an.

“Sesshoumaru-sama. Es freut mich, Euch nach all der Zeit endlich persönlich zu treffen. Ich habe schon viel von Euch gehört. Ich bin Fürst Aoshi.” Dann deutete er auf die beiden Personen hinter sich. “Und das sind mein Sohn Taiga und meine jüngere Tochter Harumi.”

Sesshoumaru musterte die beiden. Die junge Prinzessin hatte langes, schwarzes Haar und trug ein perlenbesetztes Schmuckstück mit einem eingefassten Rubin, der sich an ihre Stirn schmiegte. Bekleidet war sie mit einem hellen Kimono mit roten Ärmeln und ebenfalls roten Verzierungen am Saum. Ihre Begrüßung an Sesshoumaru war eine schweigsame und respektvolle Verbeugung.

Verdutzte Stille breitete sich hingegen aus, als die Aufmerksamkeit aller sich auf den Sohn des Fürsten konzentrierte. Es war jener Kitsune, der zuvor noch als Bote zum Schloss gekommen war, doch war sein Erscheinungsbild dieses Mal ein anderes. Seine Kleidung war edel und zeugte von einem hohen Rang. Sesshoumaru ließ es sich nicht nehmen, sich sogleich entsprechend dazu zu äußern.

“So ist das also. Du bist nicht nur ein einfacher Bote gewesen.” Abschätzend beäugte der Inu-Youkai seinen Gegenüber.

Taiga neigte verzeihend das Haupt. “Ich bitte um Verzeihung, Euch nicht genauer über mich informiert zu haben. Seht es mir bitte nach.”

Warum und wieso sich der Prinz bei seinem ersten Besuch über seine adelige Herkunft ausgeschwiegen hatte, konnte Sesshoumaru im Endeffekt aber auch egal sein. Denn nicht Taiga war sein Hauptproblem gewesen, sondern dessen Schwester. Da Harumi von Aoshi als dessen jüngere Tochter vorgestellt worden war, konnte sie es nicht sein, aber das hatte sich Sesshoumaru auch schon längst selbst ausrechnen können.

“Bevor wir weitermachen”, ergriff Sesshoumaru das Wort, ehe Aoshi weiter reden konnte, “würde es mich interessieren, was Ihr Euch einbildet, zuerst zu versuchen, mich unter Druck zu setzen und mich dann so lange warten lasst.”

Der Fürst der Füchse machte eine schlichtende Handbewegung. “Seid versichert, dass es weder in meiner Absicht lag, Euch unter Druck zu setzen, noch Euch unnötig lange warten zu lassen. Aber eine so wichtige Zusammenkunft will gut vorbereitet sein. Dass ich Euch so lange habe warten lassen, bedaure ich zutiefst. Ich hoffe jedoch, das hat keine allzu negativen Auswirkungen auf unsere weiteren Gespräche. Schließlich geht es hier um eine alte Absprache, die ich einst mit Eurem verehrten Vater traf.”

Sesshoumaru unterbrach den Fürsten nicht. Doch sein Blick war nach wie vor abschätzend und spiegelte ein gewisses Misstrauen wider.

Mehr als nervös war hingegen Kimie gewesen. Bis jetzt war die andere Prinzessin nicht aus der Kutsche ausgestiegen.

Fürst Aoshi trat schließlich erneut an jene heran und streckte seiner Tochter die Hand hin, während er an Sesshoumaru gerichtet weiter sprach: “Sesshoumaru-sama, ich möchte Eure Aufmerksamkeit nun auf die Frau richten, wegen der ich eigentlich zu Euch kam und über die ich gerne mit Euch sprechen würde. Meine erstgeborene Tochter, Prinzessin Saori.”

Kimie horchte auf. Das war sie! Das musste zweifelsfrei die Frau sein, von der die ganze Zeit die Rede gewesen war.

Ein fasziniertes Raunen machte die Runde und selbst Kimie fiel es schwer, nicht sofort irgendeinen Kommentar abzulassen, als die Prinzessin in Erscheinung trat. Sie begutachtete Saori von Kopf bis Fuß. Sie war wirklich eine ausgesprochene Schönheit. Ihr silbernes langes Haar reichte fast bis zum Boden und ließ sie so unglaublich anmutig erscheinen, als wäre sie kein Wesen aus dieser Welt. Über Saoris Schultern lagen zwei lange Haarsträhnen, die mit edlen Haarspangen, besetzt mit kleinen Perlen, die je einen großen Edelstein einrahmten, geschmückt waren. Ein ähnlicher Schmuck, zusätzlich mit einem Perlengehänge versehen, zierte ihren Kopf und passend dazu lag eine strahlende Kette aus weiteren Perlen zweireihig über ihren Schultern. Den absoluten Blickfang von Saoris Gesicht bildeten zweifellos ihre rubinroten Augen. Sie hatte lange, volle Wimpern und ihre leicht hochgezogenen Augenbrauen verliehen ihr irgendwie was Edles. Saoris Fuchsohren, die die selbe Farbe hatten wie ihr Haar, erregten auf den ersten Blick fast keinerlei Aufmerksamkeit, da sie dicht am Kopf zwischen den Haaren verborgen lagen. Ihre schlanke, grazile Gestalt lag verhüllt unter dem seidenen Stoff ihres schneeweißen Kimonos.

Zweifellos war Saori die schönste Frau, die Kimie je gesehen hatte. Dementsprechend war ihr Pegel für gute Laune von 0 inzwischen auf weit unter 0 gesunken. Ohne noch irgendein Wort zu sagen, wollte sie auf dem Absatz kehrt machen und ins Schloss gehen, als Kagome sie aufhielt. “Kimie! Wo willst du denn hin?”

“Mich sinnlos betrinken, bis ich hoffentlich ins Koma falle…”, war die eintönige Antwort.

Kagome zog ihre Cousine am Arm wieder zurück. “Jetzt hör aber mal auf! Du hast keinen Grund, dich so gehen zu lassen!”

“Auch dann nicht, wenn Aphrodite persönlich vom Olymp hinab gestiegen ist…?”

Dazu schwieg Kagome jedoch etwas verunsichert, ehe sie einen weiteren verstohlenen Blick in Saoris Richtung warf. Der Vergleich mit der sagenhaften altgriechischen Göttin der Liebe und Schönheit lag nach dem momentanen Stand der Dinge doch recht nahe.

Indes trat Saori auf Aufforderung ihres Vaters einige Schritte vor, bis sie schließlich Sesshoumaru gegenüberstand. Respektvoll verbeugte sie sich vor ihm. “Sesshoumaru-sama, es freut mich, Euch nach all der langen Zeit endlich kennen zu lernen. Ich bin Prinzessin Saori.”

Wie es der Anstand von ihm verlangte, begrüßte auch Sesshoumaru die Prinzessin in angemessener Form. Aber wohl fühlte er sich bei alldem nicht gerade. Besonders glaubte er, Kimies stechenden Blick die ganze Zeit über wie einen kalten Dolch im Rücken zu spüren …

Aber auch, wenn Sesshoumaru es nicht gerne zugab, so musste er für sich selbst doch zugeben, dass Saori eine außergewöhnliche Schönheit war. Nur wenige Frauen vermochten, sich in dieser Hinsicht mit ihr zu messen. Und wenngleich Harumi ihre jüngere Schwester war, so lagen in Sesshoumarus Augen doch Welten zwischen den beiden. Doch während er so darüber nachdachte, spürte er plötzlich wieder dieses unangenehme Kribbeln im Rücken. Wie eine dunkle Aura, die sich langsam an ihm hoch schlich …

Kakeru, der nach wie vor an Sesshoumarus Seite war, konnte die leichte Unsicherheit seines jungen Herrn ganz genau wahrnehmen. Unsicherheit war ein Gefühl, mit dem Sesshoumaru keine wirklichen Erfahrungen hatte.

Im Hintergrund knirschte Kimie missmutig mit den Zähnen. Sie hatte ganz genau gesehen, wie Sesshoumaru diese Frau für einen Moment lang angestarrt hatte. In ihrer Einbildung hörte sie ihn schon gedanklich dafür fluchen, dass er der Verlobung mit Saori nicht gleich von Anfang an zugestimmt hatte, hätte er vorher gewusst, was für eine Art Frau sie war.

Kimies Gedankengänge wurden unerwartet von Harumi unterbrochen, als diese sie und Kagome entdeckte. “Oh! Menschen… Die Dienstmädchen, nehme ich an?”

“Dienstmädchen…?!” Es war nicht mal der Begriff an sich, der drohte, Kimie auf die Palme zu bringen, sondern die Art und Weise, wie Harumi sich ausgedrückt hatte; so von oben herab…

Kimie ließ es sich nicht nehmen, die Sache richtig zu stellen. Und zunächst sprach sie auch noch ganz ruhig: “Es liegt ein Irrtum vor. Wir sind keine Dienstmädchen.”

Doch als sie Harumis herablassenden Blick bemerkte, war Kimie innerlich schon auf Konfrontation eingestellt. Erst recht, als die Prinzessin auf sie zukam und sich ihr gegenüberstellte. Da sie beide fast gleich groß waren, musste Kimie zumindest nicht zu der arroganten Harumi aufblicken, als diese erneut zu sprechen begann: “Selbst, wenn das so ist, ist es doch sehr unhöflich, eine Prinzessin von adligem Geblüt einfach so anzusprechen und sie zudem so direkt anzustarren. Was glaubst du, wer du bist?”

>Diejenige, die dir gleich einen gepfefferten Tritt in deinen hochwohlgeborenen Hintern verpassen wird!, dachte Kimie gereizt und hätte das auch nur zu gern getan. Eigentlich wartete sie ja darauf, dass Sesshoumaru vielleicht etwas dazu sagte, aber das tat er nicht. Also setzte Kimie nun ihr bestes Lächeln auf und erwiderte mit schonungsloser Gelassenheit: “Von mir aus könntest du die Kaiserin von China sein, und es wäre mir trotzdem scheißegal.”

Fassungslose Stille legte sich mit einem Mal über die Situation. Die meisten fragten sich sogar, ob sie sich eben nicht vielleicht nur verhört hatten. Auch Sesshoumaru, Aoshi und dem Rest der hohen Herrschaften standen im Moment Ausdrücke in den Gesichtern, die mit Worten kaum zu beschreiben waren. Und jetzt schienen alle nur noch auf den unausweichlichen Knall zu warten. Der drohte auch prompt zu folgen, als Harumi sich endlich wieder aus ihrer Schockstarre befreit hatte.

“Wie bitte?! Du wagst es…?!” Als sie allerdings wutentbrannt zum Schlag ausholte, schaltete Kimie blitzschnell und griff entschlossen nach Harumis Handgelenk. Die völlig überrumpelte Prinzessin versäumte es vor lauter Überraschung sogar, sich sofort wieder loszureißen, was ihr angesichts der Tatsache, dass sie ein Youkai war, ja problemlos gelungen wäre.

“Willst du früh ins Grab, Prinzesschen?”, fragte Kimie hingegen für sie ungewohnt bedrohlich. Selbst Kagome fühlte sich gerade mehr als unwohl in der Nähe ihrer Cousine. Und Kimies Gesichtsausdruck erst… So finster hatte sie bisher nur in den aller seltensten Fällen geschaut. Es war fast schon beängstigend…

Und auch Harumi wurde angesichts dessen kurzzeitig ein wenig mulmig zumute, da sie mit derartiger Gegenwehr nie gerechnet hätte. Doch wollte sie Kimie nur einen Augenaufschlag später erneut anfahren: “Du bist doch wohl…!”

“Ich bin hier die Schlossherrin, ob du’s nun glauben willst oder nicht!”, unterbrach Kimie sie aber sogleich mit voller Strenge. “Wenn deine Schwester hätte heiraten wollen, hätte sie eben früher aufstehen müssen! Der Zug ist abgefahren, ich war schneller!”

Kimie ließ wieder von Harumi ab, die sich sogleich ein wenig von ihr zurückzog. Ihre Entrüstung und Fassungslosigkeit standen ihr regelrecht auf dem Gesicht geschrieben.

Aber nicht nur Harumi war entsetzt, auch so ziemlich jeder andere der Anwesenden war es.

Abermals machte ein Raunen die Runde. Das war so ziemlich das erste Mal, dass die Inu-Youkai Kimie derart resolut auftreten sahen oder dass sie sich gar auf ihren Titel berief. Es war eine gänzlich neue Seite an ihr. Und sogar Sesshoumaru fiel es im Augenblick schwer, die Fassung zu wahren. Wie würde da erst der Fürst der Füchse darauf reagieren, dass eine menschliche Frau einer seiner Töchter so offensichtlich die Stirn bot? Das war es eigentlich gewesen, was Sesshoumaru hatte vermeiden wollen. Aber nun war es doch so weit gekommen…

“Dann stimmt es also wirklich. Ihr habt eine Menschenfrau an Eurer Seite, Sesshoumaru-sama”, stellte Aoshi indes fest, sprach allerdings nicht etwa aufgebracht oder erbost, sondern sehr ruhig und beherrscht.

Ganz anders war das hingegen bei Harumi, deren Ärger immer weiter wuchs. “Du unverschämtes Weib! Ich werde…!”

Doch kaum, dass die Prinzessin den Versuch unternahm, sich Kimie erneut zu nähern, sprang Inuki in den Vordergrund und nahm seine dämonische Form an. Zähnefletschend und bedrohlich knurrend, wies er Harumi augenblicklich wieder in ihre Schranken. Allerdings führte sein aggressives Verhalten unweigerlich zu größere Unruhe unter den Anwesenden. Besonders in den Reihen der Füchse. Nur, weil Aoshi es seinen Kriegern untersagte, ihre Waffen zu ziehen, blieb ihnen allen eine größere Eskalation erspart.

Und im Bezug auf Harumi mischte sich nun Saori ein. “Bitte, Harumi!”

Als sie die Hand ihrer Schwester auf ihrer Schulter wahrnahm, wandte sich Harumi irritiert um. “Onee-sama…?”

Saori gab ihr mit einem stummen Blick zu verstehen, besser nicht mehr weiterzureden. Nur widerwillig beugte sich die jüngere Prinzessin dem Willen ihrer Schwester und schwieg nunmehr.

Neue Unsicherheit machte sich breit, als Aoshi plötzlich selbst mit erhabener Ruhe auf Kimie zuschritt. Diese jedoch verzog keine Miene. Nach einem Moment neigte der Fürst leicht das Haupt in ihre Richtung. “Ich bitte Euch, das unüberlegte Handeln meiner Tochter zu verzeihen. Sie ist manchmal etwas vorschnell in ihren Aussagen.”

Die Reaktion überraschte Kimie dann doch etwas. Und obwohl sie skeptisch im Bezug auf die Ehrlichkeit der Aussage des Fürsten war, äußerte sie sich nicht weiter dazu, sondern nickte nur ein Mal, um ihm zu signalisieren, dass sie seine Worte registriert hatte.

Als es nicht mehr so aussah, als würde sich noch eine unerwartete Störung über die Ankunft der Gäste aus dem Süden legen, trat Kakeru an die Seite von Aoshi. “Ich schlage vor, dass Ihr und Eure Familie Euch erst einmal in die zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten zurückzieht, Aoshi-sama. Alles andere kann dann heute Abend besprochen werden.”

Der Fürst nickte einverstanden und deutete seinem Sohn und seinen Töchtern, ihm zu folgen. Einige der ranghohen Krieger Aoshis folgten der adligen Familie, während die anderen außerhalb des Schlosses verblieben. Aus Prinzip, so konnten sie ihren Herrn sowohl unmittelbar, als auch von hier aus verteidigen, falls es notwendig sein sollte. Zwar gefiel vielen den Inu-Youkai es nicht so besonders, dass sich fremde Krieger unbehelligt auf dem Gelände bewegten, aber etwas dagegen sagen, konnten sie im Augenblick schließlich auch nicht.

Sesshoumaru, der gemeinsam mit Kakeru voranging, schaute aus dem Seitenwinkel kurz zu Kimie, als er mit ihr auf gleicher Höhe war. Doch als sie seinen Blick bemerkte, wandte sie sich sofort ab. Sesshoumaru nahm sich vor, zu einem günstigeren Zeitpunkt das Gespräch mit ihr zu suchen. Es wurde langsam Zeit, denn gegenwärtig war es für keinen von ihnen beiden vorteilhaft, sich noch länger anzuschweigen.

Nachdem sich die Versammlung auf dem Hof wieder größtenteils aufgelöst hatte und Sesshoumaru längst mit den eingetroffenen Gästen im Schloss verschwunden war, schnaubte Kimie verärgert. Ihre vor der Brust verschränkten Arme verdeutlichten ihre abgeneigte Haltung zusätzlich. “Ich bin ja im Grunde eine strikte Pelzgegnerin, aber diese Zicke von Prinzessin würde mir an einem Kleiderbügel hängend besser gefallen!”

Es bedurfte keiner eventuellen Nachfrage, um festzustellen, dass sie damit Harumi gemeint hatte.

“Du dürftest eben aber einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Da könnte noch was auf dich zukommen”, vermutete Inu Yasha.

Kimie zuckte desinteressiert mit den Schultern. “Ich habe nur meine Meinung gesagt!”

“Deine Meinung gesagt? Es sah mehr so aus, als würdest du dein Revier verteidigen und dafür auch über Leichen gehen, wenn es sein müsste… Ich habe nur noch darauf gewartet, dass du dich wie eine tollwütige Wölfin auf diese Harumi stürzt.”

Kimie, die angesichts dieser Aussage nun doch ein wenig verwirrt war, schaute kurz zu der ebenso verwunderten Kagome, ehe sie erwiderte: “Ich glaube, da hätte ich mich noch beherrschen können. Obwohl ich nichts dagegen gehabt hätte, ihr das Fell über die Ohren zu ziehen.”

Shippou, der fragend von einer Person zu anderen hinaufblickte, zupfte letztendlich Kagome an ihrem Kimono. “Ähm… Das eigentliche Problem ist doch aber die andere Prinzessin, oder?”

Daraufhin warfen sich die anderen drei anderen kurzzeitig stumme Blicke zu. Stimmt, da hatten sie alle wohl gerade ein wenig den Überblick verloren.

“Wie auch immer… Wir wollten auch besser so langsam wieder reingehen”, schlug Kagome schließlich vor. Der Vorschlag wurde zwar einstimmig angenommen, dennoch seufzte Kimie etwas schwer, was ihre Cousine gleich aufhorchen ließ. “Kimie? Was ist denn?”

Doch Kimie winkte ab. “Nichts weiter. Ist schon gut. Gehen wir.”
 

Nun war sie also hier. Die Frau, mit der Sesshoumaru schon so lange Zeit verlobt war. Obwohl Kimie versuchte, auch mal an was anderes zu denken, so kehrten ihre Gedanken doch immer wieder nur zu diesem einen Thema zurück. Nicht einmal das notdürftig abgedeckte Loch in der Wand, damit zumindest der Wind nicht mehr unkontrolliert in den Raum pfeifen konnte, störte Kimie sonderlich, während sie so in ihrem Zimmer hockte. Ebenso wenig wie Miyuki, die ihr schon seit einiger Zeit Gesellschaft leistete.

“Und, Kimie-chan? Was möchtest du für heute Abend gerne anziehen?”, fragte Miyuki, wobei sie nebenbei allerhand Kleidungsstücke begutachtete. “Also, ich finde ja diesen kirschroten Kimono wunderschön! Und dazu diese feinen Stickereien an den Ärmeln.”

“Ich geh nicht hin.”

Verdutzt wandte sich das Dämonenmädchen zu Kimie, die bäuchlings auf dem Boden lag und in einem Buch las, um. “Was soll das heißen? Sesshoumaru-sama erwartet doch bestimmt, dass du auch da sein wirst, oder?”

“Dann muss er mich schon hinzerren, denn freiwillig lasse ich mich da sicher nicht blicken! Soll ich vielleicht noch vor seiner Verlobten und ihrer Familie gute Laune markieren? Mitnichten!”

“Hmm…” Miyuki schwieg nachdenklich. Natürlich hatte es nicht in ihrer Absicht gelegen, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, aber sie hatte nicht erwartet, dass Kimie sich zurückziehen und nicht etwa in die Offensive gehen wollte. Miyuki legte den Kimono wieder zur Seite und hockte sich zu ihr. “Aber du und Sesshoumaru-sama seid doch schon so lange zusammen. Bestimmt wird er die Sache aufklären.”

“Dazu hatte er vorhin die Chance”, erwiderte Kimie jedoch nur frustriert.

Beide horchten auf, als sie mitbekamen, wie jemand vor der Tür stand. Kurz darauf öffnete sie sich und Sesshoumaru betrat den Raum.

“Uhm… Ich geh dann mal besser”, sagte Miyuki, ehe sie aufstand, sich vor Sesshoumaru verbeugte und danach an ihm vorbei zur Tür hinausging.

Nachdem Miyuki den Raum verlassen hatte, beäugten sich Sesshoumaru und Kimie zunächst nur schweigend. Als warteten sie beide darauf, dass der jeweils andere zuerst etwas sagen würde.

Letztendlich wandte Kimie den Blick wieder von dem Youkai ab und widmete sich stattdessen den Seiten in ihrem Buch zu. Auch erachtete sie es nicht für nötig, sich zu erheben.

“Schon mal was von anklopfen gehört?”, fragte sie ihn stattdessen zunächst nur etwas patzig, ehe sie fortfuhr: “Ich habe dir etwas zu sagen, Sesshoumaru: Ich komme heute Abend nicht zu diesem Empfang. Von mir aus stell dich auf den Kopf, aber ich setze keinen Fuß hinaus aus diesem Raum!”

Damit hatte Sesshoumaru im Grunde schon gerechnet, von daher hielt sich seine Überraschung deutlich in Grenzen. “Und wie gedenkst du soll ich dein Fehlen erklären?”, fragte er stattdessen ernst.

Kimie gab sich gleichgültig. “Ich glaube nicht, dass deine edlen Gäste mein Fehlen sonderlich jucken wird. Kannst ja aber behaupten, ich hätte Migräne, das zieht in fast allen Lebenslagen.”

Täuschte er sich oder war da eben ein leichter Unterton von Spott in ihrer Stimme gewesen?

Bevor Sesshoumaru aber dazu etwas erwidern konnte, sprach Kimie weiter: “Du hattest vorhin die Chance, alles zu erklären. Aber du hast es ja nicht mal für nötig erachtet, mich ordnungsgemäß vorzustellen. Und das, obwohl ich sogar als Dienstmädchen betitelt und so dumm von dieser Harumi angemacht wurde!”

Dieses Mal hatte es irgendwie vorwurfsvoll geklungen. Aber nach wie vor blieb Sesshoumaru unbeeindruckt. “Gut, dass du das ansprichst. Denn dein Verhalten vorhin war mehr als unangebracht.”

“Unangebracht?” Kimie war fassungslos. “Willst du mich auf den Arm nehmen?! Ich hatte anfangs ja nicht einmal vermutet, dass ich mich vor dieser arroganten Prinzessinnen-Tussi selbst verteidigen muss! Wolltest oder konntest du mir nicht beistehen?”

“Hätte ich so unkontrolliert reagiert wie du, hätte das mir nur unnötigen Ärger eingebracht. Ich kann mir derartige Entgleisungen in der Gegenwart anderer Fürsten nicht erlauben. Schon gar nicht, wenn es sich um Verbündete meines Vaters handelt.” Na gut, damit wiederholte er im Grunde nur das, was Kakeru ihm zuvor schon gesagt hatte, aber es entsprach schließlich der Wahrheit.

Kimie jedoch schien alles andere als überzeugt zu sein. “Oh! Woher der Sinneswandel? Als dieser Taiga letztens hier war hast du doch noch so gleichgültig getan. Ich sehe nicht ein, warum ich Fremden gegenüber krampfhaft um Anerkennung und Akzeptanz kämpfen sollte, wenn offenbar nicht mal du offen zu mir stehen kannst, ohne dich vorher mental darauf vorbereiten zu müssen.”

Sesshoumaru wartete zwar noch einen Augenblick lang, aber offenbar war Kimie erst einmal fertig gewesen mit ihrer Predigt. Anstatt ihren Ausführungen noch etwas hinzuzufügen, blätterte sie nun weiter in ihrem Buch.

“Ich erwarte, dass du anwesend sein wirst”, sagte Sesshoumaru plötzlich, wobei es mehr wie ein Befehl geklungen hatte. Allerdings reagierte Kimie darauf erst recht mit Gegenwehr.

“Kannst du knicken!”

Angesichts dieser Halsstarrigkeit kämpfte Sesshoumaru kurzzeitig mit seiner Selbstbeherrschung. Wollte oder konnte sie nicht verstehen, dass er im Augenblick keinen offenen Streit mit Aoshi riskieren konnte, obwohl er selbst die Füchse am liebsten so schnell wie möglich wieder aus seinem Schloss raus haben wollte?

“Kimie, du wirst beim Empfang anwesend sein!”

“Vergiss es! Ich küsse deiner Verlobten und ihrem Hofstaat nicht die Füße, nur weil du es nicht auf die Reihe gebracht hast, die Dinge klarzustellen! Du solltest mir lieber dankbar sein, dass ich da nicht aufkreuzen werde, weil es sonst ziemlich hässlich werden könnte. Wenn ich mir nur noch einen dummen Spruch von dieser Harumi anhören muss, laufe ich wirklich noch Amok!”

Während sie gesprochen hatte, war Kimie aufgestanden und hatte anstatt mit dem belehrend emporgehobenen Zeigefinger dieses Mal mit ihrem Buch vor Sesshoumarus Nase herumgefuchtelt, ehe sie sich wieder hingelegte hatte. Dieses Mal mit dem Rücken zu ihm. Okay, es war nicht zu übersehen, dass sie mit einer Menge unterdrückter Aggressionen zu kämpfen hatte. Vielleicht wäre es wirklich besser, wenn sie hier bliebe.

Ohne eine weitere besondere Reaktion oder noch etwas dazu zu sagen, ging Sesshoumaru nun zurück zur Tür und verließ den Raum. Draußen auf dem Flur wurde er bereits von Ashitaka erwartet.

“Na, das lief ja offenbar nicht so gut”, kommentierte dieser das Geschehene und fing sich von seinem Cousin sofort einen mahnenden Blick ein.

“Hast du mir noch mehr zu sagen?”,

Ashitaka, der mit dem Rücken entspannt an der Wand lehnte, winkte ab. “Nicht wirklich.”

“Dann schweig und misch dich nicht in meine Angelegenheiten ein, Ashitaka!”, fuhr Sesshoumaru ihn an, angesichts seiner fast schon schamlosen Gelassenheit.

“Und lass du deine Wut über deinen eigenen Wankelmut nicht an deinem Cousin aus!”, ertönte es daraufhin jedoch hinter der verschlossenen Tür von Kimie, die das kurze Gespräch der beiden aufgrund der Lautstärke von Sesshoumarus letzter Aussage gut hatte mitverfolgen können.

Wankelmut? So langsam kam sich Sesshoumaru vor wie im falschen Film. Hinter der Tür befand sich seine trotzige Gefährtin und vor ihm stand sein besserwisserischer Cousin. Als ob der Tag nicht noch grauenvoller hätte werden können!
 

In der Zwischenzeit unterhielt sich Harumi mit ihrer Schwester in deren Zimmer, wobei die jüngere der beiden Prinzessinnen auch jetzt noch ein wenig aufgebracht war.

“Kannst du das glauben, Onee-sama? Ein Menschenweib! Das ist doch vollkommen inakzeptabel! Hat dieser Kerl denn keinen Stolz?”

“Beherrsch dich bitte, Harumi. Dieser Kerl ist immerhin der Herr der westlichen Länder”, ermahnte Saori sie jedoch sofort. Und obwohl ihre Schwester gewohnt ruhig gesprochen hatte, wagte Harumi es nicht, ihr mit Widerworten zu begegnen.

Während Saori sich ihr Haar bürstete, wurde sie zunächst stumm von Harumi dabei beobachtet. “Was passiert jetzt eigentlich, Onee-sama? Wirst Sesshoumaru-sama dennoch heiraten?”

“Das wird sich wohl erst noch zeigen”, erwiderte Saori. “Denn wenn diese Frau wirklich seine Gefährtin ist, kann ich mich da nicht einfach dazwischendrängen.”

“Aber du bist doch schon seit Jahrhunderten seine Verlobte!”, widersprach Harumi energisch. “Du bist diejenige, die das Recht hat, seine Frau zu sein!”

“Warum bist du plötzlich so versessen darauf? Gerade eben war Sesshoumaru-sama für dich einfach nur ein Kerl ohne jeglichen Stolz.”

Angesichts des amüsierten Lachens ihrer Schwester, fühlte sich Harumi kurzzeitig irgendwie ertappt und errötete leicht. “Ich meine ja nur…”

Saori legte ihre Haarbürste wieder zur Seite. “Aber mal abgesehen davon würde ich mir von dir wünschen, dass du dich in Zukunft ein bisschen mehr beherrschst. Denn das, was du dir nach unserer Ankunft geleistet hast, war alles andere als angemessen.”

Unverständnis spiegelte sich auf Harumis Gesicht wider. “Was? Aber warum denn? Dieses Weib war…!”

“Sie ist die Frau an Sesshoumaru-samas Seite”, unterbrach Saori ihre Schwester sofort. “Zumindest noch für den Moment. Also benimm dich ihr gegenüber auch entsprechend. Denn wenn du dich weiterhin so gibst wie vorhin, ist das sicherlich nicht zu unserem Vorteil.”

Nach anfänglichem Zögern senkte Harumi reumütig den Blick. “Es tut mir Leid, Onee-sama. Ich werde in Zukunft daran denken.”

“Gut.”

Saori schien die gesamte Situation nicht so verbissen zu betrachten wie ihre Schwester. Und dass, obwohl ihr Verlobter mit einer anderen Frau zusammenlebte. Und genau das war es gewesen, was Harumi nicht ganz nachvollziehen konnte. Aber Saori war schon immer eine eher zurückhaltende Persönlichkeit gewesen, die stets bedacht zu handeln versuchte. Harumi hatte noch nie erlebt, dass ihre Schwester in irgendeiner Situation die Beherrschung verloren hätte.

Die beiden Prinzessinnen horchten auf, als es an der Tür klopfte und kurz darauf ihr Vater den Raum betrat. Saori und Harumi verneigten sich achtungsvoll vor ihm.

“Oh! Dich hatte ich hier nicht erwartet, Harumi”, sagte Aoshi an seine jüngere Tochter gerichtet.

Harumi lächelte entschuldigend. “Verzeiht, verehrter Vater. Ich wollte lediglich ein wenig mit Onee-sama sprechen.”

“Entschuldige dich nicht. Meine Bemerkung war nicht als Vorwurf gemeint. Ich hoffe, eure Unterbringung ist zu eurer Zufriedenheit?”

Beide Prinzessinnen bejahten die Frage.

Der Fürst richtete seine Aufmerksamkeit nun auf Saori. “Dass die Gerüchte bezüglich Sesshoumaru-sama stimmen, soll an dem Grund unseren Besuches hier nichts ändern. Mach dir keine Sorgen, Saori. Ich bin mir sicher, dass wir uns rasch mit ihm werden einigen können.”

“Habt vielen Dank, verehrter Vater”, erwiderte Saori mit erhabener Ruhe.
 

Von Miyuki hatten Kagome, Inu Yasha und Shippou von Sesshoumarus Besuch bei Kimie erfahren und danach beschlossen, mal nach ihr zu schauen. Was die drei vorgefunden hatten, war ziemlich erschöpft wirkende Kimie. Nachdem Sesshoumaru wieder gegangen war, hatte sie ihr Buch gleich zur Seite gelegt. Allerdings nicht, weil es zuvor als bloßes Ablenkungsmanöver fungieren sollte, sondern weil sie sich schon die ganze Zeit über nicht wohl gefühlt hatte. Zusätzlich spürte sie nun den leichten Anflug sich ankündigender Kopfschmerzen.

“Du solltest versuchen, ein wenig zu schlafen, Kimie”, riet Kagome ihrer Cousine, die müde seufzte.

“Hab ich ja vorhin versucht, aber es hat nicht funktioniert…”

“Soll ich dir vielleicht einen Tee machen?”

“Danke, Kagome, aber ich möchte im Moment nichts.”

Inu Yasha zog leicht eine Augenbraue hoch. “Du siehst blass aus. Vorhin hast du noch relativ fit gewirkt. Hast du dir vielleicht was eingefangen?”

Kimie zuckte mit den Schultern. “Keine Ahnung…”

Shippou schaute verunsichert zu ihr hoch. “Vielleicht wäre es besser, wenn du Sesshoumaru sagst, wie es dir geht.”

“Und was soll der dagegen machen können?”, erwiderte Inu Yasha patzig. “Der kommt doch momentan ja selbst kaum klar. Wie soll er da sich um Kimie kümmern? Es sollte mich ja nicht wundern, wenn er an ihrem Unwohlsein einen Teil der Schuld trägt.”

“Inu Yasha…” Kagome gab dem Hanyou mit einer flüchtigen Handbewegung zu verstehen, im Augenblick nicht so vor Kimie zu sprechen. Doch diese hatte sowieso nicht richtig zugehört. Inuki, der neben seiner Herrin saß, gab leise winselnde Laute von sich. So langsam machte sich Kagome wirklich ernsthafte Sorgen. “Vielleicht sagen wir Sesshoumaru doch besser Bescheid. Ich werde ihn holen.”

Und da keiner sie daran hinderte, tat Kagome dies auch sofort und lief schnurstracks zu Sesshoumarus Privaträumen. Sie klopfte ein Mal an die Tür, wartete noch kurz darauf, dass er ihr den Einlass erlaubte und betrat dann das Zimmer.

Sesshoumaru war doch etwas überrascht, als er die junge Miko erblickte. “Was möchtest du?”

Wenngleich diese Frage nicht gerade freundlich geklungen hatte, ließ sich Kagome davon nicht beirren. “Ich komme am besten gleich zur Sache: Kimie geht es offenbar nicht gut. Ich denke, du solltest das wissen.”

Augenblicklich hatte Sesshoumaru aufgehorcht. “Inwiefern?”

“Ich weiß es auch nicht, aber gesund sieht sie nicht aus. Und sie fühlt sich allem Anschein nach auch nicht wohl.”

Seltsam. Davon hatte Sesshoumaru zuvor gar nichts mitbekommen. War Kimies Unwohlsein etwa ganz plötzlich aufgetaucht?

Anstatt sich jedoch allzu lange mit Spekulationen diesbezüglich zu beschäftigen, beschloss Sesshoumaru, sich selbst ein Bild von der Lage zu machen und ging gemeinsam mit Kagome zu Kimies Zimmer. Inu Yasha und Shippou waren nach wie vor hier, ebenso wie Inuki.

Inu Yasha begrüßte seinen Halbbruder sogleich mehr als spöttisch. “Ach, du bemühst dich echt hierher? Hast du denn nicht genug mit deinen Gästen zu tun?”

Sesshoumaru funkelte den Hanyou mahnend an. “Halt du dich da raus, Inu Yasha! Von dir lasse ich mir sicher nichts einreden!”

“Einreden? Dass du Kimie die ganze Zeit über für dumm verkauft hast, dürfte ja wohl eine Tatsache sein. Diese Saori ist ja schließlich keine Ausgeburt unserer Phantasie.”

“Schweig! Dieses Thema gehört nicht hierher!” Sesshoumaru war abrupt spürbar wütender geworden. Und das erkannte man nicht zuletzt an seiner streng erhobenen Stimme.

Allerdings ließ sich Inu Yasha davon nur minder einschüchtern. Schließlich war er derartige Auseinandersetzungen mit seinem Halbbruder gewöhnt. “Ach, komm! Hör doch auf! Du Trottel hüpfst die Jahrhunderte über in der Weltgeschichte herum und hast immer so getan, als wäre nichts, und dabei hattest du die ganze Zeit über so eine Geschichte am laufen! Wer weiß? Vielleicht hast du dich ja gerne mal anderweitig amüsiert, wenn Kimie mal nicht hingeschaut hat.”

Das war der Tropfen, der drohte, das Fass zum Überlaufen zu bringen. Sesshoumaru war drauf und dran, Inu Yasha an Ort und Stelle einen Kopf kürzer zu machen, doch besann er sich im letzten Moment eines Besseren und konterte verbal. “Und solche Worte kommen von jemandem, der lange genug seiner verflossenen Liebe hinterher gelaufen ist?”

Nun war es Inu Yasha gewesen, dem die Wut ins Gesicht geschrieben stand. Ihm war natürlich sofort klar gewesen, dass Sesshoumaru damit auf Kikyou angesprochen hatte. Der Hanyou knurrte. “Du hast ja vielleicht Nerven, mich mit dir zu vergleichen!”

“Du kannst die Wahrheit wohl nicht vertragen. Aber das war ja schon immer so bei dir.”

“Gütiger Himmel! Könntet ihr beide vielleicht endlich mal die Klappe halten?!”, mischte sich Kimie nun lautstark in das Streitgespräch ein.

Tatsächlich verstummten beide Brüder schlagartig.

Kimie seufzte genervt auf. “Verdammt noch mal! Wenn ihr euch unbedingt kloppen wollt, dann geht nach draußen, aber brüllt hier nicht so rum, wie die Affen im Zoo! Da platzt einem ja der Kopf!” Nachdem sie ihrem Ärger ein wenig Luft gemacht hatte, stützte sie mit gesenktem Blick den Kopf auf eine Hand.

Kagome ging sogleich zu ihrer Cousine. “Kimie, ist dir wieder nicht gut?”

Kimie verneinte mit einem leichten Kopfschütteln. Mehr konnte sie im Moment nicht tun. Ihr war mit einem Mal so komisch. Und wenngleich sie die ganze Zeit über saß, so hatte sie dennoch das Gefühl, gleich umzukippen.

Kagome schien zu ahnen, dass etwas ganz und gar nicht stimmte und wollte ihrer Cousine gerade dazu raten, sich doch besser etwas hinzulegen. Aber dazu kam sie gar nicht mehr, denn im selben Augenblick kippte Kimie plötzlich zur Seite. Von Kagomes erschrockenem Rufen hörte sie nichts mehr.
 

Kimies plötzlicher Zusammenbruch hatte bei den Anwesenden für einen wahren Schock gesorgt. Sesshoumaru hatte augenblicklich nach Kakeru schicken lassen, und im Moment warteten alle angespannt darauf, was dieser zu Kimies Zustand sagen konnte. Die Nervosität war umso größer, da Kimie seither nicht mehr zu sich gekommen war.

“Und, Kakeru-sama? Was hat sie?”, wagte Kagome irgendwann vorsichtig zu fragen. Die Besorgnis stand ihr ins Gesicht geschrieben.

Kakeru, der neben der bewusstlosen Kimie an deren Schlaflager saß, wandte sich zu der jungen Miko um. “Es ist nichts Ernstes. Sie ist nur sehr erschöpft. Lassen wir sie schlafen, dann erholt sie sich bald wieder.”

“Ist das wirklich alles?”, fragte Shippou unsicher, woraufhin Kakeru aufmunternd lächelte.

“Macht euch keine Sorgen. Gönnt ihr einfach ein wenig Ruhe. Deshalb würde ich euch auch bitte, erst einmal wieder zu gehen. Ich bleibe noch bei ihr, bis sie aufwacht.”

Zwar zögerte insbesondere Kagome, doch erklärte auch sie sich letztendlich dazu einverstanden, Kimie in Ruhe schlafen zu lassen. Also verließen sie, Inu Yasha und Shippou kurz darauf die Räumlichkeiten. Sesshoumaru verblieb noch bei Kakeru und Kimie, an deren Seite Inuki lag, als wollte er so besser auf sie aufpassen.

“Ihr solltet auch gehen, Sesshoumaru-sama”, riet ihm Kakeru nun. “Der Empfang unserer Gäste sollte heute Abend wie geplant stattfinden. Ich kann verstehen, dass Ihr Euch sorgt, aber überlasst das hier nur mir. Ich werde gut auf Kimie-dono achten.”

“Daran zweifle ich auch nicht, aber dennoch hätte ich noch eine Frage an dich.” Sesshoumarus Stimme hatte einen seltsamen Unterton angenommen. Als hätte er gewisse Zweifel. “Bist du dir sicher, dass ihr nichts fehlt? Oder verheimlichst du mir irgendwas?”

Kakeru behielt seine ruhige und seriöse Art zu spreche bei, als er seinem Herrn antwortete: “Seid versichert, dass keine Krankheit Eure Gefährtin heimgesucht hat. Es ist so, wie ich es gesagt habe, sie braucht lediglich Ruhe. So was kann bei Menschen vorkommen.”

Nun gut, wenn Kimie zumindest nicht ernsthaft krank war, dann beruhigte Sesshoumaru dies wenigstens etwas. Trotzdem, irgendwie hatte er den Eindruck, dass mehr dahinter steckte, als Kakeru ihm versichern wollte. Aber warum sollte Kakeru ihm Informationen vorenthalten?

“Sesshoumaru-sama?”

Als Sesshoumaru erneut Kakerus Stimme vernahm, schüttelte er kurz den Kopf. “Nun gut. Dann vertraue ich dir Kimie an, Kakeru. Achte gut auf sie.”

“Natürlich.”

Noch ein Mal schaute Sesshoumaru zu Kimie, ehe er schließlich zur Tür hinausging. Kakeru setzte sich danach wieder an Kimies Seite. Sein junger Herr hatte in der Tat ein besseres Gespür, als Kakeru es angenommen hatte. Doch obwohl Kimie nicht krank war, gab es da allem Anschein nach doch was anderes…

Als Kimie sich irgendwann zu regen begann, horchte Kakeru auf. “Kimie-dono? Seid Ihr aufgewacht?”

Aus halb geöffneten Augen schaute Kimie den Youkai an. “Kakeru…?”

Er nickte lächelnd. “Schön, dass Ihr wieder bei Bewusstsein seid. Wie fühlt Ihr Euch?”

Kimie brauchte einen Moment, ehe sie antworten konnte. “Ich weiß es nicht… Ich habe das Gefühl, als wäre ich noch gar nicht wirklich wach. Wie lange war ich weggetreten?”

“Eine Stunde bestimmt. Wir haben uns alle große Sorgen gemacht, nachdem Ihr plötzlich das Bewusstsein verloren hattet. Die anderen sind eben erst gegangen. Ich habe sie fortgeschickt, damit Ihr Euch besser ausruhen konntet.”

“Ach so…” Für einen Moment schloss Kimie erneut ihre Augen.

“Darf ich ehrlich zu Euch sein?”, fragte Kakeru sie nach einem Moment des nachdenklichen Schweigens.

Kimie nickte müde. “Sicher.”

“Ich habe schon seit Tagen den Eindruck, dass es Euch nicht so gut geht. Hattet Ihr schon vorher irgendwelche Beschwerden?”

“Nun ja… Ein leichtes Unwohlsein und außerdem bin ich manchmal so schläfrig. Ich hab es auf den Stress der letzten Zeit geschoben.”

Kakeru goss nun etwas heißes Wasser, das er zuvor bereitgestellt hatte, in eine Tasse, gab einige kleine Blätter hinein und wartete, bis das Wasser sich gefärbt hatte. Dann reichte er Kimie eine Tasse. “Trinkt das. Das müsste Euch für den Moment ein wenig helfen.”

Ein merkwürdiger Geruch stieg Kimie in die Nase, nachdem sie die Tasse entgegengenommen hatte. “Was ist denn da drin?”, fragte sie misstrauisch.

“Nur ein Getränk aus verschiedenen Kräutern”, erklärte Kakeru lächelnd. “Es schmeckt nicht sonderlich gut, aber es dürfte Euch rasch wieder auf die Beine helfen.”

“Aha…” Kimie nahm einen kleinen Schluck von dem dunklen Gebräu und hatte augenblicklich mit einem starken Brechreiz zu kämpfen, den sie gerade noch so unterdrücken konnte. “Gütiger Himmel! Es schmeckt nicht sonderlich gut, sagtest du? Das ist ja abscheulich! Willst du mich umbringen?!”

Kakeru konnte in dem Moment nicht anders, als zu lachen. “Nun, wenn Ihr Euch bereits wieder so lautstark beschweren könnt, geht es Euch dem Anschein nach zumindest deutlich besser. Ich habe nicht den Eindruck, dass Ihr krank seid. Versucht, Euch ein wenig auszuruhen. Und vermeidet erst einmal allzu große körperliche Anstrengung.”

Kimie seufzte leise, erklärte sich aber einverstanden, Kakerus Rat zu befolgen.

Der Youkai wiederum richtete nach einem Moment des Nachdenken erneut das Wort an sie: “Wisst Ihr, vielleicht solltet Ihr darüber nachdenken, vorübergehend in eure Zeit zurückzukehren.” Da Kimie ihn sofort mehr als verwirrt anstarrte, sprach Kakeru ohne große Unterbrechung weiter: “Wenn Ihr Euch im Kreise Eurer Familie befindet, fällt es Euch bestimmt leichter, Euch zu erholen. Denn seien wir mal ehrlich, hier ist es zur Zeit alles andere als entspannend.”

Da musste Kimie ihm zustimmen. Möglicherweise war es wirklich das Beste, wenn sie das Schloss erst einmal verlassen würde. Obwohl sie teils ein recht mulmiges Gefühl bei dieser Sache hatte. Was, wenn es ein Fehler wäre, wenn sie ginge? Vielleicht öffnete sie Saori damit ja Tür und Tor. Und was würde Sesshoumaru zu alldem sagen?

Als ob er ihre Gedanken gelesen hätte, legte Kakeru Kimie nun behutsam eine Hand auf die Schulter. “Sorgt Euch nicht wegen Sesshoumaru-sama. Ich kann Euch versichern, dass es auch in seinem Interesse ist, dass Ihr wieder zur Ruhe kommt. Nehmt Euch so viel Zeit, wie Ihr braucht. Und lasst Euch nicht unter Druck setzen.”

Nach anfänglichem Zögern nickte Kimie. “Ja. Danke…”

Noch immer schien sie ein wenig mit sich zu hadern. Kakeru war sich deshalb nicht sicher, ob er ihr noch mehr zu dieser Sache sagen sollte. Andererseits wollte er Kimie auch nichts vorenthalten, was von Bedeutung hätte sein können oder sogar war. Er hätte sich nur gewünscht, es ihr unter anderen Umständen zu sagen. Kakeru unterdrückte ein Seufzen, als er erneut zu sprechen begann: “Da wäre noch etwas, Kimie-dono. Ich denke, Ihr solltet das wissen.”

“Hm?”
 

Um Kimie ein wenig Zeit für sich zu lassen, hatte Kakeru ihr Zimmer vor fast zwei Stunden verlassen. Und in der Tat hatte Kimie das im Augenblick nötig. Noch immer fiel es ihr schwer, die Situation zu begreifen. Alles kam irgendwie auf einen Schlag zusammen. Doch je mehr sie darüber nachdachte, umso mehr gewann sie den Eindruck, dass sie wirklich ein wenig Abstand zu allem nötig hatte. Möglicherweise würde ihr das ja helfen. Wenigstens etwas…

Kimie ruhte inzwischen nicht mehr, sondern hatte sich schon vor einer Weile bei einer Tasse Tee an den Tisch gesetzt. Inuki war der Einzige, der die ganze Zeit über für keinen Augenblick von ihrer Seite gewichen war.

Durch den kleinen Spalt des geöffneten Fensters wehte drei vereinzelte Blütenblätter in das Zimmer. Eines davon landete direkt vor Kimie auf den Tisch. Sie seufzte leise.

Ein zaghaftes Klopfen an der Tür erregte nunmehr ihre Aufmerksamkeit und sie bat den Besucher sogleich herein. Vorsichtig wurde die Tür aufgeschoben und Jaken linste misstrauisch in den Raum. Er räusperte sich. “Du… wolltest mich sprechen?”

In der Tat hatte Kimie kurz zuvor nach dem Krötendämon schicken lassen. Es gab da nämlich etwas, worüber sie mit ihm hatte reden wollen. Daher winkte sie ihn nun zu sich. “Ja, das ist richtig. Komm doch bitte mal kurz her, Jaken.”

Es war zwar unübersehbar, dass Jaken der Situation nicht ganz traute, weshalb er der Aufforderung erst nach einer gewissen Zeit des Zögerns nachkam. Völlig überrascht war er jedoch, als Kimie ihm etwas Tee in eine zweite noch unbenutzte Tasse eingoss und ihm diese über die Tischplatte hinschob. “Hm? Was soll das werden?”

“Ich wollte mich nur entschuldigen”, begann Kimie ruhig. “Für meine übertriebene Grobheit von vorhin. Ich hätte das nicht machen sollen.”

Allmählich wurde es Jaken wirklich regelrecht unheimlich. War Kimie krank? So freundlich war sie doch sonst nicht zu ihm. Dennoch setzte er sich nun an den Tisch und nahm den Tee mit einem knappen “Danke” entgegen.

“Jaken?”, sprach Kimie mit einem nachdenklichen Blick aus dem Fenster schließlich weiter. “Sei mal bitte ganz ehrlich. Kannst du mich eigentlich leiden? Wenigstens etwas?”

Nun war Jaken wirklich vollkommen verwirrt. Seine Meinung hatte sie doch früher auch nie interessiert. Warum also ausgerechnet jetzt? Er räusperte sich. “Nun, ehrlich gesagt, hätte ich mir als Gefährtin für Sesshoumaru-sama eine Menschenfrau bestimmt als letztes vorgestellt. Von deiner hin und wieder recht vulgären Sprache fange ich besser gar nicht erst an.” Er machte eine kurze Pause, in welcher er einen Schluck von seinem Tee trank. “Aber eigentlich… So übel bist du auch wieder nicht.”

“Hm… Nett von dir.” Kimie lächelte kaum merklich. Überhaupt hatte Jaken irgendwie den Eindruck, als würde sie sich sehr intensiv über etwas Gedanken machen.

“Ich werde zurück in die Neuzeit gehen.”

Nach dieser plötzlichen Ankündigung von ihr, hätte Jaken seinen Tee fast im hohen Bogen wieder ausgespuckt. “Eh?! Wie soll ich das verstehen? Willst du meinen Herrn etwa verlassen?!”

Kimie schüttelte den Kopf. “So meinte ich das nicht. Aber ich würde gerne meine Familie mal wieder besuchen. Mal ganz abgesehen davon fühle ich mich hier momentan etwas fehl am Platz.”

Jaken musste nun doch ein wenig schlucken. Mit so etwas hätte er niemals gerechnet. Na gut, er hatte ihr gegenüber zuvor zwar noch von Trennung geredet, doch hatte er das mehr gesagt, um sie zu ärgern. Die Bekanntmachung, dass Sesshoumaru die Jahrhunderte über immer mit Prinzessin Saori verlobt gewesen war, hatte Kimie sicherlich auch alles andere als glücklich gemacht, aber dass sie einfach gehen wollte, anstatt die Konfrontation zu suchen, wie Jaken es eigentlich von ihr erwartet hätte…

“Ich hätte da eine Bitte an dich, Jaken”, sagte Kimie nun. “Könntest du, während ich weg bin, ein Auge auf Sesshoumaru haben? Eben so, wie du es immer schon getan hast?”

Okay, inzwischen schockte Jaken so gut wie gar nichts mehr. Aber er merkte Kimie an, dass es ihr ernst war, also antwortete er letztendlich ebenso: “Meinem Herrn treu und ergeben zu dienen, war und ist meine Lebensaufgabe. Und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern.”

Im Grunde hatte Kimie so eine Antwort schon erwartet, sie allerdings selbst zu hören, stimmte sie jetzt deutlich ruhiger. Dann musste sie sich nur noch auf ihre baldige Abreise vorbereiten.

Eine schwere Entscheidung

“Was?! Du willst weggehen?” Kagome konnte nicht glauben, was sie eben von Kimie erfahren hatte, während sie ihrer Cousine fassungslos beim Packen zusah. “Aber … Aber warum willst du denn von hier weg? Und was ist mit Sesshoumaru? Hast du es ihm schon gesagt?”

“Das mach ich noch, keine Sorge”, erwiderte Kimie monoton, ohne dabei von ihrer Tasche aufzuschauen.

Kagome schüttelte den Kopf. “Das verstehe ich nicht, Kimie! Woher kommt das plötzlich? Ist es wegen dieser Prinzessin? Das klärt sich doch bestimmt alles noch! Deshalb musst du doch nicht weglaufen!”

“Ich laufe nicht weg. Ich will nur für eine Zeit lang meine Ruhe haben. Das müsstest du doch eigentlich verstehen können, Kagome, oder?” Kimie zog den Reißverschluss ihrer Tasche zu und stand auf. Ihrem Blick irgendwann nicht mehr standhalten könnend, schaute Kagome schließlich leicht zu Boden. Doch, sie konnte es verstehen. Wie oft hatte sie sich in der Vergangenheit schließlich in ihre eigene Zeit zurückgezogen, wenn sie wegen der Geschichte zwischen Inu Yasha und Kikyou mal wieder etwas Abstand gebraucht hatte.

“Und… wann willst du gehen?”, fragte Kagome irgendwann.

“So bald wie möglich”, antwortete Kimie, wobei ihre Stimme nun deutlich sanfter klang. “Wäre es dann okay, wenn ich dich, Inu Yasha und Shippou zurück zum Dorf begleite?”

“Ja, sicher. Das ist kein Problem. Ich sage den beiden dann Bescheid.”

“Danke, Kagome.”

Vermutlich würden sie erst am nächsten Tag aufbrechen. Denn inzwischen wurde es bereits dunkel. Das bedeutete zugleich, dass der Augenblick näher rückte, in dem Aoshi das Gespräch mit Sesshoumaru suchen würde. Beim bloßen Gedanken daran wurde Kimie wieder mulmig zumute. Sie seufzte. “Ich bin ja auch selbst Schuld. Warum suche ich mir auch ausgerechnet einen Mann aus, dem die halbe Frauenwelt zu Füßen zu liegen scheint? Kann ich ihn noch umtauschen?”

Bei diesem Kommentar musste Kagome unweigerlich lächeln. “Also, Kimie! Das willst du doch nicht wirklich, oder?”

Aber darauf musste Kimie erst gar nichts erwidern. Die Antwort war klar.

“Sag mal, Kagome…”

“Hm?”

“Glaubst du, dass Kagura in Sesshoumaru verliebt gewesen ist?”

Kagome stutzte angesichts dieser plötzlich aufgetauchten Frage. “Wie kommst du darauf?”

Kimie zuckte mit den Schultern. “Nur so. Es fiel mir gerade so ein.”

“Tja…” Kagome überlegte einen Moment lang schweigend. “Ausschließen will ich es nicht. Ich denke schon, dass sie in gewisser Hinsicht Gefühle für ihn gehegt hat. Stört dich das?”

Doch Kimie schüttelte den Kopf. “Nein, darum geht es nicht. Deshalb habe ich nicht gefragt. Und selbst wenn, es wäre dumm von mir, würde ich mich daran stören. Nicht zuletzt deshalb, weil Kagura ja von Naraku getötet wurde.”

Das es aber so weit gekommen war, gab den Freunden noch heute oft zu denken. Denn letztendlich hatte sich Kagura sich für Inu Yasha und die anderen als eine große Hilfe erwiesen, als sie ihnen die Wahrheit über den Verbleib von Narakus Herz erzählt hatte, welches er zuvor aus seinem Körper ausgestoßen hatte, um so dem Fall vorzubeugen, im Kampf getötet zu werden. Für diesen Verrat bezahlte Kagura mit dem Leben. Es war Sesshoumaru gewesen, der sie kurz vor ihrem Ende allein auf einer Blumenwiese fand. Zwar hatte er versuchen wollen, sie mit Tenseiga noch zu retten, dabei jedoch festgestellt, dass dies nicht möglich war. Und dass sie ihn im Augenblick ihres Todes noch ein Mal hatte sehen können, schien Kagura doch sehr erleichtert und glücklich gestimmt zu haben. Sie hatte gelächelt… und war endlich frei.

“Für Naraku waren seine Abkömmlinge stets nur Mittel zum Zweck”, erinnert sich Kagome. “Sie waren wie Werkzeuge, die er eingesetzt hat, wenn er sie brauchte, und wegwarf, wenn sie ihren Nutzen nicht mehr erfüllt haben. So hat er es auch mit Kanna gemacht.”

Kimie nickte nur. “Aber, Kagome? Am Ende hast du doch etwas zu Naraku gesagt, dass das Shikon no Tama seinen wahren Wunsch nicht erfüllt habe. Was glaubst du? Was war Narakus wahrer Wunsch?”

“Ich bin mir nicht sicher”, erwiderte Kagome. “Aber vielleicht war sein wahrer Wunsch der selbe, wie der des Diebes Onigumo. Der Wunsch, Kikyous Herz für sich zu gewinnen.”

Kimie war verwirrt. “Wie kommst du darauf? Naraku selbst hat Kikyou doch getötet.”

“Ja, das stimmt. Aber möglicherweise tat er dies, weil er genau wusste, dass er sie nie bekommen würde. Im Gegenteil, sie trachtete sogar danach, ihn zu vernichten. Und dass sie nach wie vor Inu Yasha geliebt hat und diese Gefühle auch nie abgelegt hätte.”

“Also brachte er sie um? Das ist doch verrückt…”

“Nun, das ist nur meine Vermutung. Sie muss ja nicht stimmen. Doch hat er schließlich stets versucht, Personen, die sich in irgendeiner Form nahe standen, voneinander zu trennen und ihnen Leid zuzufügen; Inu Yasha und Kikyou, Sango-chan und Kohaku-kun, Sango-chan und Miroku-sama… Inu Yasha und mich. Als konnte er es sich ertragen, andere glücklich zu sehen.”

Kimie setzte sich an das geöffnete Fenster. “Fast dreieinhalb Jahre ist das ganze Theater mit Naraku nun schon her, aber trotzdem kommt es mir so vor, als wäre es erst kürzlich geschehen.”

Kagome bestätigte dies mit einem Nicken. “Ich verstehe, was du meinst. Den anderen und mir geht es oft ähnlich. Aber wir sollten uns davon nicht runterziehen lassen. Naraku ist endgültig fort, ebenso wie das Shikon no Tama. Zumindest darum wird es in Zukunft keine Kämpfe mehr geben. Das erleichtert mich ungemein.”

“Auch wieder wahr”, stimmte Kimie ihrer Cousine zu.

Während die beiden sich die ganze Zeit über miteinander unterhalten hatten, hatte Inuki ihnen als stumme Beobachter aufmerksam zugehört. Doch richtete er seine Ohren nun in Richtung der Tür aus, als er hörte, wie sich jemand dem Zimmer schnellen Schrittes näherte. Der Besucher klopfte nicht einmal an, sondern riss unangemeldet die Tür auf.

“Kimie-chan! Was hat das zu bedeuten? Du willst von hier weggehen?”

Kagome und Kimie waren gleichermaßen erschrocken hochgefahren, hatten sie schließlich überhaupt nicht damit gerechnet, dass Ashitaka hier so plötzlich auftauchte. Nach wenigen Sekunden hatten sich beiden aber wieder gefangen.

“Was ist das? Die gute Tat des Tages?”, fragte Kimie auf die Worte des Youkai hin leicht sarkastisch zurück. “Woher weißt du das überhaupt, Ashitaka? Hat Jaken etwa wieder mal gequatscht?”

“Nun, ich habe es in der Tat von ihm”, bestätigte Ashitaka nun wieder etwas ruhiger. “Wolltest du es denn geheim halten?”

“Nein, aber ich habe ihm auch nicht gesagt, dass er das gleich an die große Glocke hängen soll… Wer weiß denn noch Bescheid?”

Ashitaka zögerte zunächst mit der Antwort. Ausweichend kratzte er sich am Kopf. “Praktisch jeder…”

Kimie rollte mit den Augen. “Jaken ist ein echtes Waschweib! Man sagt zwar, die Spatzen pfeifen es von den Dächern, aber in diesem Fall quakte die Kröte zu laut am Teich…”

“Er hat es bestimmt nicht böse gemeint”, versuchte Kagome auf ihre Cousine einzureden. Trotzdem war Kimie mit der Situation alles andere als zufrieden. Wenn bereits das ganze Schloss von ihrem Vorhaben Bescheid wusste, dann war es wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis…

Alarmiert zuckten die drei Anwesenden zusammen, als die Zimmertür ruckartig aufgerissen wurde.

“Kimie! Ich will auf der Stelle mit dir sprechen!”

Genau darauf hatte Kimie gewartet: Sesshoumaru stand in der Tür. Und er wirkte alles andere als amüsiert.

“Ihr zwei! Sofort raus mit euch!”, wies Sesshoumaru seinen Cousin Ashitaka und Kagome harsch an. Die beiden wagten erst gar nicht zu widersprechen, doch warf Kagome ihrer Cousine noch einen letzten unsicheren Blick zu. Konnte sie Kimie mit Sesshoumaru unter diesen Bedingungen wirklich allein lassen? Doch Kimie gab ihr mit einem Nicken zu verstehen, dass es in Ordnung war.

Nachdem Kagome und Ashitaka das Zimmer verlassen hatten, fackelte Sesshoumaru auch nicht lange herum. “Was bildest du dir eigentlich ein?! Wolltest du mich vor allen bloßstellen oder warum habe ich von dir nichts von deinen Plänen erfahren?”

“Hör erst einmal auf, deine Stimme so zu erheben! Ich höre dich auch so gut genug!”, konterte Kimie unbeeindruckt. “Und zu deinen Fragen: Ich bilde mir gar nichts ein und ich wollte dich auch nicht bloßstellen. Ich hätte dir schon noch Bescheid gesagt, nur war Jakens Mitteilungsbedürfnis augenscheinlich größer als meines.”

Sesshoumaru hatte Mühe, seine Wut im Zaum zu halten, als er nun auch noch die gepackte Tasche entdeckte. “Du scheinst es ja sehr eilig zu haben. Bist du etwa davon überzeugt, dass ich dich so einfach gehen lasse?”

Nach diesen Worten, die ihr fast schon wie eine Drohung vorkamen, verschränkte Kimie demonstrativ die Arme vor der Brust. “Dass du mich so einfach gehen lässt? Was bin ich denn? Dein Haustier? Ich kann immer noch hingehen, wohin ich will, und wenn es mich nach Südafrika ziehen würde!”

“Erspare mir deine neunmalklugen Sprüche!”, erwiderte Sesshoumaru gereizt. “Ich verbiete dir, dass du ohne mein Einverständnis von hier weggehst!”

“Du verbietest es mir? Und was willst du tun, wenn mir das zufälligerweise egal sein sollte?”

Der Youkai bedachte Kimie mit unterkühltem Blick, als er mit eiskalter Ruhe entgegnete: “Eine unvorsichtige Frau verliert leicht ihren Ruf. Und ich muss dir bestimmt nicht sagen, dass das nichts Gutes ist.”

Kimie machte eine abwinkende Handbewegung. “Von welchem Ruf sprechen wir hier überhaupt? Du hast doch nur Bedenken, dass du wegen mir dumm vor deinen Leuten und deinen hochrangigen Gästen dastehst, nicht wahr? Weil ich dir gegenüber ungehorsam bin. Also geht es ja wohl vorrangig um deinen Ruf, der flöten gehen könnte.”

“Da magst du nicht ganz Unrecht haben”, bestätigte Sesshoumaru nunmehr ruhiger. “Doch geht es mir nicht allein um mich, sondern ebenso um dich.” Als er Kimies fragenden Gesichtsausdruck bemerkte, fuhr er fort: “Kakeru sagte zwar, dass du nicht krank wärst, aber irgendetwas stimmt nicht mit dir. Und versuch erst gar nicht, dies abstreiten zu wollen!”

Kurzzeitig war Kimie versucht, ihre Selbstsicherheit zu verlieren, besann sich aber im selben Moment eines besseren.

“Es geht mir gut”, erwiderte sie betont. “Aber angesichts dessen, was hier gerade abgeht, ist es ja kein Wunder, dass ich nicht mit einem Dauergrinsen im Gesicht durch die Gegend laufe. Und selbst wenn ich krank wäre, würde ich mich lieber zu Hause bei meiner Familie auskurieren. Jedenfalls werde ich nicht noch länger hier herumsitzen und darauf warten, ob und wann das Damoklesschwert auf mich herabfallen wird, Sesshoumaru. Heirate diese Prinzessin oder heirate sie nicht, aber schaff bitte klare Verhältnisse! Und lass mich in Ruhe, so lange du das nicht erledigt hast!”

Ohne ihm die Chance zu geben, etwas darauf zu erwidern, schnappte sich Kimie plötzlich ihre Reisetasche und wollte an Sesshoumaru vorbeigehen. Allerdings ergriff er sie sofort am Arm und hinderte sie so an ihrem Vorhaben. “Ich habe nicht die Absicht, Aoshis Tochter zu heiraten. Das sollte dir eigentlich klar sein.”

“Sollte es das?”, fragte Kimie aber nur minder überzeugt zurück. “Tut mir ja Leid, Sesshoumaru, aber aus deinem Verhalten kann ich momentan nicht schließen, was genau du eigentlich willst. Vielleicht weißt du es ja selbst nicht so genau und willst es dir nur nicht eingestehen.”

Sein Griff lockerte sich spürbar. Es schien, als hätten Kimies Worte Sesshoumaru zum Nachdenken gebracht. Nur dazu äußern tat er sich nicht.

“Du meinst es also wirklich ernst?”, fragte er sie stattdessen.

Kimie wandte sich von ihm ab. “Im Gegensatz zu dir mache ich Nägel mit Köpfen. Komm, Inuki!”

Sesshoumaru ließ sie los, als sie Anstalten machte, ihr Vorhaben fortzuführen. Offenbar hätte er sie wirklich nur davon abhalten können, hätte er sie eingesperrt. So aber blieb ihm nichts anderes übrig, als sie ziehen zu lassen. Wenn auch nur äußerst widerwillig.

Nachdem Kimie die Tür ihres Zimmers geöffnet hatte, entdeckte sie Kagome und Ashitaka abwartend vor dieser stehen. Offenbar hatten die beiden gelauscht, was anhand der Lautstärke des Gesprächs, das Sesshoumaru und Kimie eben geführt hatten, im Grunde unnötig gewesen war.

“Kagome? Kann ich mit Inuki heute Nacht bei dir und Shippou schlafen?”, fragte Kimie ihre Cousine, ohne auch mit nur einem Wort auf die Auseinandersetzung mit Sesshoumaru einzugehen.

Nach anfänglicher Verwirrung nickte Kagome einverstanden. “Uhm… Ja, sicher.”

“Danke. Dann geh ich schon mal, okay?”

“Klar.”

Nachdem Kimie in Begleitung von Inuki fast am Ende des Ganges angekommen war, trat nun auch Sesshoumaru aus dem Zimmer. Er fühlte sich derart von Ashitakas und Kagomes Blicken gestört, dass er es sie auch sogleich spüren ließ. Von dem Gefühl heimgesucht, er würde sie mit seinem Blick regelrecht zu Eis gefrieren lassen, schob sich Kagome langsam an Ashitaka vorbei. “Ich … geh jetzt besser auch.”

Somit stand Ashitaka seinem Cousin letztendlich allein gegenüber. Als er diesem einen kurzen skeptischen Blick von der Seite schenkte, knurrte Sesshoumaru finster: “Verschwinde, bevor ich mich vergesse!”

“Hey! Jetzt tu bitte nicht so, als wäre das alles meine Schuld!”, verteidigte sich der Jüngere sofort. “Ich kann ja verstehen, dass du gegenüber Aoshi und seinen Leuten ein gewisses Maß an Vorsicht an den Tag legen willst, aber deshalb hättest du noch lange nicht so zu tun brauchen, als würdest du Kimie-chan nicht kennen.”

“Wovon redest du?”

“Ach, komm schon, Sesshoumaru!” Ashitaka stemmte die Hände in die Hüften. “Du bist doch sonst auch nicht auf den Kopf gefallen. Du hast doch selbst mitbekommen, wie Prinzessin Harumi sich Kimie-chan gegenüber aufgeführt hat. Und du hast es dennoch nicht für nötig gehalten, einzuschreiten?”

Jetzt begriff Sesshoumaru, worauf sein Cousin hinaus wollte, doch zeigte er sich nur minder beeindruckt von dessen Worten. “Kimie konnte sich auch gut selbst zur Wehr setzen. Und für meinen Geschmack hat sie dabei etwas über die Stränge geschlagen.”

“Sie hat sich nur angemessen verteidigt, als Prinzessin Harumi vollkommen unbegründet ihr gegenüber pampig geworden ist”, nahm Ashitaka Kimie weiterhin in Schutz. “Und eigentlich finde ich es schon sehr seltsam, dass ausgerechnet ich mich hier für deine Gefährtin einsetzen muss. Das wäre nämlich eigentlich deine Aufgabe.” Er pausierte kurz. “Andererseits bist du auch nur ein Mann, und es lässt sich nicht abstreiten, dass Prinzessin Saori ausgesprochen hübsch ist. Ich will sogar behaupten, sie ist mitunter eine der schönsten Frauen, die ich bisher gesehen habe. Und sie hat eine gewisse Ausstrahlung. Hast du es vielleicht doch darauf abgezielt, Kimie-chan für sie fallen zu lassen?”

Sesshoumaru glaubte zuerst, er habe sich verhört. Unterstellte ihm Ashitaka wirklich derart niedere Triebe? Entsprechend empört war seine Reaktion. “Wie war das eben? Du wagst es…?!”

“Reg dich ab! Ich habe dir schließlich nur eine Frage gestellt.” Ashitaka machte eine abwinkende Handbewegung, während er sich zugleich zum Gehen umwandte. “Ich geh mich jetzt umziehen. Du weißt schon, der Empfang. Versuch, ein bisschen zu lächeln, sonst jagst du allen nur Angst ein.”

Ein leises Knurren war von Sesshoumarus Seite zu hören. “Das findest du wohl sehr amüsant, was?”

“Nicht ganz. Um Kimie-chan tut es mir Leid, aber was dich angeht… Ja, das ist amüsant.”

Dieses selbstgefällige Gehabe… Sesshoumaru hatte so langsam genug davon. “Hau bloß ab!”

Und genau das tat Ashitaka dann auch. Wenn auch weniger aus Furcht vor der Wut seines Cousins. Zu gerne hätte Sesshoumaru seinen Unmut an irgendjemanden ausgelassen, wenn dies möglich gewesen wäre. So wütend war er schon seit langer Zeit nicht mehr gewesen.
 

Nicht nur Sesshoumaru hatte mit gewissen Aggressionen zu kämpfen, auch Kimie stand wieder einmal kurz davor, zu platzen. Das Erste, was sie tat, als sie in Kagomes Zimmer angekommen war, war ihre Tasche mit voller Kraft in eine Ecke zu pfeffern.

“Unglaublich! Was bildet der sich dieser arrogante Wichtigtuer eigentlich ein?! Glaubt, mir Moralpredigten halten zu müssen, dabei ist er selbst keinen Deut besser! Tut erst so ignorant und macht dann einen auf beleidigt! Geht’s noch?!”

Während Inu Yasha und Shippou zunächst lediglich als stumme Zaungäste fungierten, versuchte Kagome, ihre Cousine zumindest etwas zu besänftigen. “Ich verstehe ja, dass du aufgebracht bist, aber bitte komm wieder runter, Kimie. Sonst kippst du möglicherweise wieder um.”

Kimie schnaubte verärgert, als sie sich erst mal setzte. Erst da wagte es Inu Yasha, Kagome zu fragen: “Hey, was ist denn überhaupt passiert?”

“Ach… Das ist so…” Kagome begann, die Situation zu erklären. Auch, dass Kimie mit zurück ins Dorf kommen wollte. Dagegen hatte Inu Yasha natürlich nichts einzuwenden, er zweifelte allerdings daran, ob Kimie es wirklich ernst meinte. Immerhin war es gut möglich, dass das nur eine Laune von ihr war, die aus der Situation heraus entstand.

“Und du bist dir sicher, dass du das durchziehen willst?”, fragte er bei ihr daher nach.

Kimie nickte entschlossen. “Ja. Hier zu bleiben, hätte im Moment wohl keinen Sinn. Und ehrlich gesagt, habe ich auch gar keine Lust dazu.”

“Na gut. Wenn du einverstanden bist, dann werden wir morgen zum Dorf zurückkehren. Nimmst du Inuki auch mit?”

“Ja, das hatte ich eigentlich vor. Außerdem könnten Kagome und ich ja auf Ah-Un reiten, dann sind wir schneller.”

Kagome stimmte dem Vorschlag zu. Sobald sie dann im Dorf ankämen, würde Kimie Ah-Un einfach allein zum Schloss zurückschicken.

“Geht einer von euch eigentlich zu diesem Empfang?”, fragte Shippou plötzlich in die Runde.

Kagome überlegte. “Nun, Kakeru-sama sagte mir zwar, dass wir selbstverständlich hingehen können, wenn wir wollen, aber…”

Als Kimie den unsicheren Blick bemerkte, den ihre Cousine ihr gerade zuwarf, sagte sie sogleich: “Wegen mir müsst ihr das nicht verpassen. Geht ruhig hin, wenn ihr möchtet.”

Doch Kagome schüttelte den Kopf. “Nein, schon gut. Ich bleibe hier.”

“Ich auch”, schloss sich Shippou an.

“Ich denke, ich werde hingehen”, verkündete hingegen Inu Yasha nun zur Überraschung aller. Denn eigentlich war der Hanyou ja nicht der Typ, der sich gerne bei so etwas blicken ließ. Allerdings nahm er die perplexen Blicke seiner Freunde dafür umso deutlicher wahr. “Was guckt ihr denn so belämmert? Ich will mich da ja nicht amüsieren, sondern nur mal schauen, wie sich diese Füchse so geben.”

“Und du bist dir sicher, dass du nicht nur wieder einen Streit mit Sesshoumaru provozieren möchtest?”, fragte Kagome skeptisch, was Inu Yasha doch ein wenig beleidigend aufgenommen hatte.

“Wer provoziert hier denn bitte wen? Sesshoumaru ist schließlich derjenige, der ständig anfängt! Das war doch schon immer so!”

“Wie auch immer… Benimm dich bitte, in Ordnung?”

“Pah!” Mürrisch verschränkte Inu Yasha die Arme vor der Brust.
 

Der Empfang an sich war im Grunde eine reine Formalität, die dazu dienen sollte, die Gäste angemessen willkommen zu heißen und um vielleicht ein wenig miteinander ins Gespräch zu kommen. Hauptgesprächsthema hinter vorgehaltener Hand war natürlich die Frage, ob es zwischen Sesshoumaru und Saori tatsächlich noch zu einer verspäteten Eheschließung kommen würde. Doch waren es vorrangig die Inu-Youkai, die untereinander solche Diskussionen führten, denn die Füchse schienen alles andere als gesprächig veranlagt zu sein. Besonders die ranghohen Krieger Aoshis schienen mehr damit beschäftigt zu sein, selbst in diesen absolut sicheren Räumlichkeiten ihre Aufgabe zum Schutz ihres Fürsten zu erfüllen. Wann immer ein Youkai aus den Reihen der Gastgeber kam oder ging, wurde er genauestens von den rubinroten Augen der Füchse verfolgt. So mancher der Inu-Youkai fühlte sich dadurch irgendwann unweigerlich gestört und gewisser Hinsicht auch beleidigt. Behandelt zu werden, als wären sie allesamt etwa potenzielle Attentäter, kratzte sehr an ihrem Stolz.

Inu Yasha, der sich tatsächlich unter die Anwesenden gemischt hatte, vermutete hinter dem Verhalten der Kitsune schlichtweg, dass sie aufgrund der etwas angespannten Gesamtsituation ein wenig vorsichtiger sein wollten, als sie es für gewöhnlich vielleicht waren. Und aus Inu Yashas Sicht war dies gar nicht mal so unverständlich. Als er noch mit seiner Mutter bei den Menschen gelebt hatte, hatte er diese oft genug davon reden hören, dass es bei Zusammenkünften ranghoher Persönlichkeiten in manchen Fällen zu plötzlichen Zwischenfällen etwa in Form von nächtlichen Übergriffen aus den eigenen Reihen gekommen war, was sich seither nicht geändert hatte. Manchmal gab entsprechende Vorzeichen, manchmal auch nicht. Wenngleich die genaueren Umstände stets variierten, die Folgen waren meist die gleichen; Es kam zu Kämpfen unter den Fürsten.

Eigentlich hätte Inu Yasha einen Platz in der Nähe von Sesshoumaru, Aoshi und den anderen ranghohen Youkai einnehmen können, doch wollte er lieber aus einer der hinteren Reihen heraus den Beobachter spielen. Besonders seinem Halbbruder galt dabei die Aufmerksamkeit des Hanyou. Allerdings wirkte Sesshoumaru auf ihn mehr so, als wäre er mit seinen Gedanken nicht so wirklich bei der Sache. Inu Yasha hatte zuvor mitbekommen, dass Aoshi nach dem Empfang das Gespräch mit Sesshoumaru suchen wollte. Er selbst war auch ziemlich gespannt darauf, wie das wohl ausgehen würde…

Nur war es Inu Yasha nicht vergönnt, der anschließenden Unterredung seines Bruder mit dem Fürst der Füchse beizuwohnen. Neben Sesshoumaru und Aoshi verblieben lediglich Kakeru und Aoshis engster Berater Kuro, der zugleich oberster General der Füchse war, im Raum. Weitere potenzielle Zuhörer duldete Sesshoumaru nicht.

“Ich danke Euch, dass Ihr Euch bereit erklärt habt, mit mir zu sprechen, Sesshoumaru-sama. Und natürlich ist es mir eine Ehre, als Gast in Eurem Schloss verweilen zu dürfen.” Aoshi neigte respektvoll das Haupt. Sein oberster General deutete selbige lediglich leicht an.

“Ich will ehrlich zu Euch sein”, sprach Sesshoumaru nun. “Ich vermute stark, dass Ihr mitbekommen habt, was Euer Besuch hier ausgelöst hat. Und es gefällt mir nicht.”

“Dessen bin ich mir bewusst und dafür möchte ich mich in aller Form bei Euch entschuldigen”, erwiderte Aoshi ruhig, aber erhaben. “Ich kann Euch versichern, dass es keinesfalls meine Absicht war, den Frieden in Eurem Schloss zu stören. Allerdings waren mir Gerüchte zu Ohren gekommen, denen ich nachgehen wollte.”

“Und aus diesem Grund habt Ihr uns ausspionieren lassen”, warf Sesshoumaru seinem Gegenüber ungeniert vor. “Denn als Euer Sohn als Bote hierher kam, wusstet Ihr doch schon längst über alles Bescheid.”

Aoshi schien diese Behauptung mit seinem Lächeln bestätigen zu wollen. “Ihr seid ein kluger Mann, dem man nur schwer etwas vormachen kann. In der Tat schickte ich meinen Sohn erst zu Euch, nachdem mir meine Kundschafter Bericht erstattet hatten.”

“Und aus welchem Grund verschwieg mir Euer Sohn seine wahre Identität? Wolltet Ihr mich zum Narren halten?”

Aoshi hob beschwichtigend die Hand. “Keinesfalls, Sesshoumaru-sama! Seid versichert, dass ich meinem Sohn keine derartigen Anweisungen erteilt habe. Es hatte sicherlich nichts zu bedeuten. Seht es ihm bitte nach.”

Für einen Moment lang hüllte sich Sesshoumaru in Schweigen. Sein Blick jedoch zeugte nicht gerade von großem Wohlwollen. “Wenn ich etwas hasse, dann sind es die jämmerlichen Versuche anderer, etwas hinter meinem Rücken über mich in Erfahrung bringen zu wollen. Warum ich etwas tue, geht niemanden etwas an!”

“Möglicherweise hätten Eure Wächter auch einfach nur besser aufpassen müssen”, wagte Kuro plötzlich zu behaupten. “Denn hätten sie das getan, hätten unsere Kundschafter Euch nicht heimlich beobachten können.”

Sesshoumaru fixierte den General augenblicklich mit einem derart stechenden Blick, dass jeder andere vermutlich schnellstens das Weite gesucht hätte. Nicht aber Kuro. Im Gegenteil, er schien den Daiyoukai sogar noch absichtlich provozieren zu wollen, indem er dessen Blick keinesfalls auswich.

Aoshi gebot seinem Gefolgsmann jedoch rasch, sich ruhig zu verhalten. “Kuro! Schweig bitte, wenn du nicht gefragt wirst. Mal abgesehen davon war diese Bemerkung unpassend.”

Kuro nickte entschuldigend in die Richtung seines Fürsten. “Ich bitte um Verzeihung, Aoshi-sama.”

Zwar hätte Sesshoumaru dem gerne noch etwas hinzugefügt, doch gab es momentan Wichtigeres für ihn zu tun. Von daher lenkte er das Gespräch nun endlich auf den eigentlichen Grund dieser Zusammenkunft zurück: “Fürst Aoshi. Ich habe nicht die Absicht, meine bestehende Verbindung zugunsten Eurer Tochter zu lösen. Zumal ich dieser Verlobung nie meine Zustimmung erteilt habe.”

Mit so etwas hatte Aoshi schon insgeheim gerechnet. Trotzdem bewahrte er sich seine würdevolle Haltung. “Das mag sein, ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass Eurer verehrter Vater und ich sie einst beschlossen. Und Eure ehrwürdige Frau Mutter war ebenfalls einverstanden.”

“Das interessiert mich nicht!”, entgegnete Sesshoumaru jedoch sofort. “Mein Vater ist seit über 200 Jahren tot und meine Mutter lebt schon lange nicht mehr hier. Jetzt bin ich es, der hier das Sagen hat. Wagt es also nicht, meine Autorität in Frage zu stellen, indem Ihr mich ständig an diese alte Vereinbarung erinnert.”

“Ich lege es keinesfalls darauf an, Euch in Eurer Autorität anzuzweifeln.”

“Dann erspart mir diese alten Geschichten und akzeptiert die Tatsachen! Ich ziehe es unter keinen Umständen in Erwägung, die bestehende Verbindung mit meiner Gefährtin zu lösen.”

“Aber einen Erben hat sie Euch bisher nicht geschenkt, nicht wahr?”, warf dieses Mal Kuro wieder ein. Und sowohl der Unterton in seiner Stimme, als auch sein Lächeln strotzten nur so von Selbstgefälligkeit und Provokation. “Warum wollt Ihr an einer normalsterblichen Frau festhalten, die offenbar nicht dazu in der Lage ist, Euch einen Nachkommen zur Welt zu bringen? Mal abgesehen davon, wollt Ihr es wirklich in Betracht ziehen, einen Hanyou als Erben zu haben?”

Bei Kakeru schrillten sämtliche Alarmglocken, als er mitbekam, wie Sesshoumaru nach diesen Worten Anstalten machte, aufzustehen und sich Aoshis General mal so richtig zur Brust zu nehmen. Gerade noch rechtzeitig ergriff er seinen jungen Herrn am Arm, ehe er selbst ernst das Wort an Kuro richtete: “Ich möchte Euch darum bitten, auf Eure Wortwahl zu achten, General. Wie Ihr unschwer erkannt haben dürftet, ist Sesshoumaru-samas Bruder, Inu Yasha-sama, ebenfalls ein Hanyou. Nichts desto trotz akzeptieren wir ihn als vollwertiges Mitglied unseres Clans. Unterlasst also etwaige abfällige Äußerungen.”

Da ihn sein Fürst momentan auch ziemlich strafend ansah, wagte Kuro es nicht, eine weitere derartige Äußerung zu machen. Sogar sein arrogantes Grinsen verschwand im Augenblick von seinem Gesicht. Er entschuldigte sich dieses Mal zwar nicht wörtlich, schwieg aber zumindest.

Und obwohl Sesshoumaru es ein wenig schwer fiel, sich zusammenzureißen, besann er sich nun wieder.

“Ich glaube nicht, dass es zu Euren Aufgaben gehört, Euch über meine Nachfolge den Kopf zu zerbrechen”, sagte er nur mit strenger Stimme. “Ich bleibe bei meiner Entscheidung. Es wird sich nichts daran ändern.”

Eine unbehagliche Stille legte sich über den Raum. War die Unterredung damit beendet?

“Aoshi-sama, gestattet mir bitte eine Frage”, ergriff Kakeru mit einem mal das Wort. “Warum bittet Ihr nach so langer Zeit darum, dass mein Herr Eure Tochter ehelicht?”

Nach anfänglicher Verwunderung, hüllte sich der Fürst zunächst in kurzes Schweigen, ehe er bereitwillig antwortete: “Jeder Vater wünscht sich für seine Kinder nur das Beste. Ich bilde da keine Ausnahme. Und natürlich möchte ich, dass sie Partner finden, die ihrer würdig und gut für sie sind. Ich möchte meine Saori in den besten Händen wissen. Und Ihr wärt eine ausgezeichnete Wahl, Sesshoumaru-sama. Aus diesem Grund sprach ich schon mit Eurem Vater, als Ihr noch ein Kind ward. Ich wollte, dass alles bereits geregelt ist.”

“Damit Euch kein anderer zuvorkommen würde”, schlussfolgerte Sesshoumaru. Aoshi bestätigte dies mit einem Nicken.

“Ich bedaure, aber ich werde meine Entscheidung nicht lediglich auf der Basis einer alten Abmachung ändern”, bekräftigte Sesshoumaru nochmals. “Kimie bleibt an meiner Seite. Ich schicke sie nicht fort.”

“Aber Eure menschliche Gefährtin wird Euer Schloss doch sowieso verlassen”, mischte sich Kuro erneut ein. Nur hatte dieses Mal keiner die Chance, ihm den Mund zu verbieten, denn Sesshoumaru stand völlig unvorhergesehen von seinem Platz auf und trat erhobenen Hauptes zur Tür.

“Die Konversation ist beendet. Ich habe alles gesagt, was es zu sagen gab.” Mit diesen Worten verließ Sesshoumaru den Raum. Doch glaubte Kakeru, in der Stimme seines Herrn eine gewisse unterdrückte Aggression herausgehört zu haben, was ihn allerdings nicht verwunderte.
 

Inzwischen war es Nacht geworden. Auf dem Weg zu seinen Privaträumen schritt Sesshoumaru durch die dunklen Gänge. Die soeben zu Ende gebrachte Unterredung mit Aoshi hatte bei ihm einen faden Nachgeschmack hinterlassen. Nicht zuletzt schürten die Äußerungen Kuros Sesshoumarus Wut nach wie vor. Was bildete sich dieser Kerl überhaupt ein? Er legte es offenbar regelrecht darauf an, seine Verbindung mit Kimie in einem schlechten Licht darzustellen.

Was sollte Sesshoumaru tun? Das letzte Wort in diesem Fall schien noch nicht gesprochen zu sein. Vermutlich wäre es momentan wirklich das Beste gewesen, wenn Kimie erst einmal wieder in ihre Zeit zurückkehren würde. Sie dem Einfluss eines Kerls wie Kuro auszusetzen, erschien Sesshoumaru im Augenblick alles andere als gut. Irgendwie hatte er das unbestimmte Gefühl, dass es noch Ärger geben würde.
 

“Ich finde, wir hätten dabei sein dürfen. Immerhin geht es um Onee-samas Verlobung”, brüskierte sich Harumi im Beisein ihrer Geschwister, während sie zu dritt in Saoris Zimmer darauf warteten, dass Aoshi kommen und ihnen berichten würde, wie die Zusammenkunft mit Sesshoumaru abgelaufen war.

Taiga, der mit verschränkten Armen an der Tür stand, redete auf seine Schwester ein: “Immer ganz ruhig bleiben, Harumi. Es ist besser, wenn wir uns nicht zu offensichtlich beklagen und besser tun, was man von uns erwartet, so lange wir hier sind.”

“Das sage ich unserer kleinen Schwester ja auch immer, aber sie hat eben ein Dickkopf”, pflichtete Saori ihrem Bruder bei, wobei sie einen leicht belustigten Eindruck machte, als sie sich zu Harumi umwandte.

Harumi schaute beleidigt zwischen ihren beiden Geschwistern hin und her. “Ja, macht euch nur lustig über mich!”

Saori und Taiga schenkten sich gegenseitig ein amüsiertes Lächeln, als eine gut vernehmbare Unterhaltung direkt vor der Tür die drei Geschwister abrupt aufhorchen ließ.

“Deine Bemerkungen waren respektlos und alles andere als hilfreich!”, hörte man Aoshi vorwurfsvoll sagen.

“Was ist denn da los?”, fragte Harumi verwirrt, als Taiga ihr und Saori mit einer stummen Geste gebot, sich kurz ruhig zu verhalten.

“Die Verlobung ist ohnehin schon gefährdet”, sprach Aoshi weiter. “Deine Einmischungen haben nicht unbedingt dazu beigetragen, dass sich das zu unseren Gunsten ändert!”

“Ich bitte Euch untertänig um Vergebung, aber die Art und Weise, wie sich der Sohn von Inu no Taishou Euch gegenüber geäußert hat, zeugte nach meiner Ansicht auch nicht von großer Hochachtung”, konnte man nun die Stimme von Kuro vernehmen.

“Selbst, wenn es so wäre, hättest du schweigen müssen!”, entgegnete Aoshi auf die Worte seine Generals. “Ich will für die weitere Zeit, die wir hier sind, keine weiteren abfälligen Äußerungen von deiner Seite hören!”

Kurz hörte man nichts mehr, als hätte das Gespräch ein plötzliches Ende gefunden.

“Ja, Aoshi-sama.” Das war das einzige, was dann noch von Seiten Kuros zu hören gewesen war, ehe seine nachfolgenden Schritte schon bald auf dem Gang verhallten.

Taiga wartete kurz ab, dann öffnete er die Tür. Aoshi stand noch vor dem Zimmer. “Vater?”

Aoshi wandte sich seinem Sohn zu. Er machte einen besorgten, sowie auch ernsten Eindruck. “Du und deine Schwestern habt alles mitbekommen?”

“Nun, zu überhören war es ja nicht gerade”, antwortete Taiga. “Gab es Ärger mit Kuro?”

“Nicht nur das.” Für einen Augenblick lang hüllte sich Aoshi in nachdenkliches Schweigen. “Taiga? Ich möchte dich um etwas bitten.”
 

Ungefähr zur gleichen Zeit saß Ashitaka mit Miyuki zusammen in seinem Zimmer. Natürlich hatte auch Miyuki schon längst von Kimies Beschluss, das Schloss zu verlassen, erfahren und war noch immer etwas verwirrt diesbezüglich.

“Hm… Und das alles nur, weil plötzlich die Füchse hier aufgetaucht sind? Warum hält Sesshoumaru-sama sie denn nicht davon ab?”

Ashitaka zuckte mit den Schultern. “Er hat es offenbar versucht, aber… Nun ja, eher im Befehlston und davon schien Kimie-chan nicht sonderlich angetan gewesen zu sein.”

Miyuki seufzte leise. “Ich hoffe, wir streiten uns nie so.”

“Nun, zumindest haben wir keinen Grund, uns zu streiten. Noch nicht.” Lächelnd legte Ashitaka den Arm um Miyuki. “Ich habe vorhin mitbekommen, dass einige von den Füchsen dir nachgeguckt haben.”

“So? Eifersüchtig?”, fragte sie neckend.

Er gab vor, überlegen zu müssen. “Hmm… Vielleicht?”

Miyuki kicherte vergnügt, ehe sie sich von seinem Arm befreite. “Es ist spät. Ich geh schlafen.”

“Bleib doch heute Nacht mal hier”, schlug Ashitaka plötzlich vor, kaum dass sie aufgestanden war. “Platz genug ist doch. Ich frage mich sowieso, warum wir immer noch in getrennten Zimmern wohnen.”

Miyuki hob gespielt tadelnd den rechten Zeigefinger. “Hey, hey! Jetzt werd mal nicht übermütig, Ashitaka! Du weißt doch, dass ich einen großen Bruder habe, der dir ganz genau auf die Finger guckt.”

“Das mag schon sein, aber ich mach doch nichts Verbotenes damit.” Ashitaka hatte grinsend die Hände gehoben, als wollte er seinen Worten damit zusätzlichen Ausdruck verleihen. Danach ließ er sie wieder sinken. “Also … Das soll wohl heißen, du möchtest nicht, hm?”

“Das habe ich nicht gesagt”, widersprach Miyuki. “Aber ich finde, der Zeitpunkt ist ein wenig ungünstig. Meinst du nicht auch?”

“Stimmt, hast ja Recht.” Ashitaka stand nun ebenfalls auf. “Soll ich dich dann noch zu deinem Zimmer begleiten?”

“Das ist lieb, aber das musst du nicht”, meinte Miyuki. Ihr Zimmer befand sich ohnehin nur ein paar Türen weiter.

Lächelnd nickte Ashitaka. “Gut, wie du meinst.”

Bevor sie ging, gab er ihr noch einen sanften Kuss, ehe er sie dann zur Tür geleitete und diese für sie öffnete.

“Also, dann schlaf gut, Miyuki-chan.”

“Du auch, Ashitaka.” Mit einem Lächeln, das nur allzu gut verdeutlichte, wie verliebt sie doch war, ging Miyuki schlussendlich zu ihrem Zimmer. Ashitaka wartete noch so lange, bis sie in diesem verschwunden war. Zuvor hatte sie ihm noch mal zugewunken.

Gerade, als Ashitaka im Begriff war, sich wieder in seine Räumlichkeiten zurückzuziehen, spürte er den leichten Druck einer Hand auf seiner Schulter. Überrascht drehte er sich um. “Huch! Tôya? Was machst du denn um die Zeit noch hier? Wolltest du zu mir?”

“Eigentlich nicht. Ich stand nur am anderen Ende des Ganges”, antwortete Tôya, hatte aber dieses merkwürdige Lächeln aufgesetzt.

Ashitaka hob irritiert eine Augenbraue. “Was? Was ist?”

“Sag mal, Ashitaka…” Tôya trat näher an seinen Freund heran. “Könnte es sein, dass du vorhattest, an meiner kleinen Schwester rumzuknabbern?”

Sofort bekam Ashitaka einen knallroten Kopf. “A-Aber, Tôya! Was soll denn das jetzt auf einmal?!”

Der Ältere lachte und gab ihm einen Klaps auf den Rücken. “Bleib ruhig, mein Freund! Das war doch nur ein Scherz.”

Ashitaka seufzte. Gerade eben war er sich irgendwie ertappt vorgekommen.

“Na ja, zumindest bei dir und Miyuki scheint ja alles in Ordnung zu sein”, bemerkte Tôya nach einem Moment. Ashitaka war sich gleich bewusst, worauf er angesprochen hatte.

“Das mit Sesshoumaru und Kimie-chan ist ja echt blöd gelaufen. Was hältst du von alldem, Tôya?”

“Ich? Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten die Füchse gar nicht hier auftauchen müssen.” Tôya verschränkte die Arme vor der Brust. “Ich weiß auch nicht, aber irgendwas an denen stört mich. Sie sind so komisch. Während des Empfangs kam ich mir die ganze Zeit vor, als wäre ich derjenige, der als Gast hier ist. Ein feindlicher Gast, so wie die uns alle beobachtet haben.”

Der Jüngere nickte. “Ist mir auch aufgefallen. Hoffentlich renkt sich bald alles wieder ein.”

Dem konnte Tôya nur beipflichten.
 

In dieser Nacht lag Kimie lange wach. So sehr sie sich auch bemühte, sie konnte einfach keinen Schlaf finden. Hingegen schliefen Kagome, Shippou und Inuki scheinbar seelenruhig. Inu Yasha hatte wiederum ein eigenes Zimmer.

Irgendwann gab Kimie es auf und starrte einfach nur nachdenklich an die Decke. Was sollte sie tun? War es wirklich richtig, gehen zu wollen? Vielleicht hatte sie sich zu einer unüberlegten Entscheidung hinreißen lassen. Aber selbst Kakeru hatte ihr geraten, sich erst einmal zurückzuziehen.

Kimie unterdrückte ein Seufzen. Vielleicht wäre es ihr leichter gefallen, darüber nachzudenken, wäre da nicht…

Ruckartig setzte sie sich plötzlich auf, was Inuki aus seinem Schlaf aufschreckte. Nach anfänglicher Verwirrung stand er auf und kam langsam auf seine Herrin zu.

“Inuki… Was soll ich machen?”, fragte Kimie ihren Hund leise. “Bis vor kurzem habe ich noch gedacht, alles wäre perfekt. Aber jetzt… Ich habe den Eindruck, alles zerfällt nach und nach ...”

Angst ergriff sie. Angst, alles auf einen Schlag verlieren zu können. Was sollte Kimie dann tun? Zurück in die Neuzeit gehen? Was sollte sie dort dann machen? So tun, als wäre all das nie geschehen? Versuchen, so normal wie möglich weiterzuleben?

Irgendwann stupste Inuki sie sanft mit der Nase an, als wollte er sie damit von ihren trüben Gedanken befreien. Kimie rang sich zu einem zaghaften Lächeln durch und streichelte den Kopf des Hundes. “Du bist wirklich lieb. Wenn ich dich nicht hätte…”

Irgendwann legte sie sich wieder hin, nur dieses Mal gesellte sich Inuki an ihre Seite. Zumindest fand Kimie nun doch zumindest ein wenig Schlaf.
 

* ~ * ~ * ~ *
 

Am Morgen herrschte auf dem Hof bereits reges Treiben, denn die Abreise von Inu Yasha und den anderen stand kurz bevor. Nur verursachte all das durch die Tatsache, dass Kimie ebenfalls fort ging, bei dem einen oder anderen der Inu-Youkai ein etwas ungutes Gefühl. Keiner war sich so recht sicher, ob und wann ihre Herrin zurückkommen würde. Da sich Sesshoumaru bisher auch nicht offiziell dazu geäußert hatte, gingen die Meinungen ziemlich auseinander. So mancher wertete Kimies Fortgang sogar als Bestätigung dafür, dass Sesshoumaru nun doch Prinzessin Saori zu seiner rechtmäßigen Gefährtin bestimmt hatte.

All das wurde natürlich nur im Geheimen zur Sprache gebracht. Denn etwa durch eine zu laute unbedachte Äußerung Sesshoumarus Zorn auf sich zu ziehen, darauf war keiner der Inu-Youkai aus.

Als Inu Yasha letztendlich mit dem gesattelten Ah-Un im Schlepptau zu Kagome und Shippou kam, fiel ihm auf, dass Kimie noch nicht da war. Suchend blickte er sich um, konnte sie aber nicht unter den Anwesenden ausfindig machen.

“Hey, Kagome! Wo ist Kimie?”

“Sie wollte noch mal etwas spazieren gehen, bevor wir uns auf den Weg machen”, antwortete die junge Miko. “Sie ist schon vor einer ganzen Weile losgegangen. Bestimmt kommt sie gleich wieder.”

Die Zeit bis dahin konnten sie ja immerhin nutzen, um sich schon mal zu verabschieden.

“Sesshoumaru hab ich aber noch nicht gesehen”, stellte Shippou fest. “Er scheint keinen großen Wert darauf zu legen, sich zu verabschieden.”

“Du kennst ihn doch, Shippou-chan. Sesshoumaru war noch nie der Typ für so was”, erwiderte Kagome.

Inu Yasha verschränkte die Arme hinter dem Kopf. “Aber ich glaube nicht, dass sich das mit Kimie und Sesshoumaru so schnell wieder gibt. Sie können beide stur wie Esel sein.”

“Das sagt der Richtige…”, murmelte Shippou und kassierte von dem Hanyou prompt eine Kopfnuss, was schlussendlich mit einem Osuwari von Kagome endete.
 

Kimie saß unter einem Baum, von wo aus sie einen guten Blick auf das in der Nähe gelegene Schloss hatte. Obwohl sie sich dazu entschieden hatte, zu gehen, fühlte sie sich jetzt, wo der Moment des Aufbruchs näher rückte, doch sichtlich unwohl. Was, wenn am Ende wirklich alles ganz anders käme? Dann würde sie sicherlich nicht mehr zurückkommen können, selbst wenn sie es wollte…

“Vielleicht soll es doch nicht sein…”, überlegte Kimie und seufzte. “Vielleicht ist es so ja besser…”

“Du willst also einfach aufgeben?”

Erschrocken drehte sich Kimie ruckartig um. “Was? Wer ist da?”

Hinter einem der Bäume erkannte sie schemenhaft eine Gestalt. Nur anhand der Stimme konnte sie schließen, dass es eine Frau war.

“Wovor läufst du weg? Hast du vielleicht Angst?”, fragte diese indes weiter. Es klang irgendwie tadelnd, aber andererseits auch ein wenig belustigt.

“Angst?” Kimie schüttelte verwirrt den Kopf. “Ich verstehe nicht… Wer sind Sie denn überhaupt? Und was wollen Sie von mir?” Kaum, dass sie einen Schritt auf die Unbekannte zugemacht hatte, verschwand diese plötzlich zwischen den Bäumen. Kimie spurtete los. “Hey! Warten Sie! Sagen Sie mir, wer Sie…! Eh?”

Doch die Frau war weg. Einfach verschwunden, als hätte sie sich in Luft aufgelöst. Ratlos schaute sich Kimie um, konnte jedoch weder etwas von ihr sehen oder hören.

>Sie ist weg… Werde ich langsam verrückt…?<

In der Tat zweifelte Kimie schon nach wenigen Sekunden daran, dass diese Frau wirklich da gewesen war. Möglicherweise hatte ihre Phantasie ihr ja nur einen Streich gespielt.

“Ich brauche wirklich mal Urlaub…”, seufzte sie.

Kimie beschloss, so langsam wieder zum Schloss zurückzugehen. Sicherlich warteten Kagome, Inu Yasha und Shippou bereits auf sie.

Sie hatte sich gerade erst zum Gehen umgewandt, als sie auch schon wieder abrupt stehen blieb. “Oh… Du…”

Unweit von Kimie entfernt stand Sesshoumaru. Als wäre er ihr hierher gefolgt. Beide sahen sich zunächst nur wortlos an. Unsicher schaute Kimie nach einer Weile zu Boden.

“Du wirst also gehen?”, fragte Sesshoumaru sie schließlich. Ihr stummes Nicken war ihm Antwort genug und er fügte nur hinzu: “Dann wünsche ich dir alles Gute.”

Zögerlich schaute Kimie wieder auf. “Ist das alles, was du mir zu sagen hast?”

Ein leichter Wind kam auf und trug vereinzelte Blütenblätter mit sich.

Scheinbar ohne jegliche Emotionen antwortete Sesshoumaru auf Kimies Frage: “Du scheinst deine Entscheidung ja getroffen zu haben. Würde es also etwas ändern, wenn ich dir noch mehr sagen würde?”

Obwohl sie ja wusste, dass er kein Mann der großen gefühlvollen Worte war, hätte sich Kimie doch etwas mehr gewünscht als das. Und die Tatsache, dass er so scheinbar gleichgültig gesprochen hatte, trug nicht unbedingt dazu bei, dass sie sich besser fühlte.

“Vergiss es einfach!”, erwiderte Kimie nur, ehe sie an Sesshoumaru vorbeihastete. Er hingegen ließ sie ohne ein weiteres Wort ziehen.

Zugegeben, wirklich wohl fühlte sich Sesshoumaru dabei zwar auch nicht, aber was sollte er machen? Er konnte Kimie ja schließlich unmöglich einsperren, zumal er inzwischen selbst den Eindruck hatte, dass es besser für sie wäre, wenn sie erst einmal Abstand von allem gewinnen würde. Es stellte sich nur die Frage, wie lange dieser Zustand andauern sollte…

Getrennte Wege

Kimie hatte sich kein einziges Mal umgedreht, als sie gemeinsam mit Kagome, Inu Yasha und Shippou aufgebrochen war. Irgendwie hatte sie die Befürchtung gehabt, allein schon ein flüchtiger Blick zurück, hätte sie in ihrer Entscheidung beeinflussen können.

Der Weg zum Dorf wurde größtenteils schweigend zurückgelegt, doch kam die Gruppe zügig genug voran. So erreichten sie das Dorf am Kochen fressenden Brunnen bereits am Abend. Anstatt jedoch gleich in die Neuzeit zurückzukehren, wollten Kagome und Kimie noch ihre Freunde begrüßen. Die anfängliche Freude über das Wiedersehen wich rasch einem Gefühl der Irritation, als allen klar wurde, was der genaue Grund für Kimies Besuch war. Kimie selbst verspürte keine große Lust darauf, die Geschichte in allen Einzelheiten wiederzugeben, sondern überließ das gerne Kagome, während sie selbst sich ein wenig in Kaedes Hütte zurückzog. Lediglich Inuki begleitete seine Herrin.

Nachdem Kagome den Freunden alles so weit erzählt hatte, begriffen sie es besser.

“Verstehe. Und deshalb ist Kimie mit euch hierher gekommen.” Miroku legte sich nachdenklich eine Hand ans Kinn. “Ich muss zugeben, mit so was hätte ich nicht gerechnet. Eine Verlobte…”

“Ich finde das unmöglich!”, empörte sich Sango, sprach jedoch nicht allzu laut, damit ihr kleiner Sohn, der gerade auf ihren Armen schlief, nicht aufwachte. Ihre Zwillinge hatte die junge Frau zuvor bereits ins Bett gebracht. “Wie kann Sesshoumaru es wagen, Kimie-chan nichts von dieser Prinzessin zu erzählen? Es ist ja schließlich nicht so, als hätte er all die Jahre nichts von ihr gewusst.”

“Auf jeden Fall muss diese Prinzessin eine wirklich wunderschöne Frau sein”, überlegte Miroku, wofür er sich von Sango sofort einen bitterbösen Blick einfing, der ihm einen eiskalten Schauer über den Rücken jagte.

“Fall jetzt bloß nicht wieder in dein altes Muster zurück, Miroku!”, ermahnte sie ihn eindringlich. “Außerdem ist es vollkommen egal, wie diese Frau aussieht! Tatsache ist, dass Sesshoumaru zu ihr nicht hätte schweigen dürfen! Wir sehen ja jetzt, was dabei herausgekommen ist.”

“Na ja, aber wie hätte Kimie reagiert, wenn er ihr davon erzählt hätte?”, fragte Miroku nun. “Ich meine, hättest du mich geheiratet, wenn ich dir vorher gesagt hätte, ich wäre verlobt?”

“Wenn du mir hoch und heilig geschworen hättest, dass diese Verlobung 1. nicht deine Idee war und 2. du die besagte Frau noch nie in deinem Leben gesehen und du auch keinerlei Interesse an ihr hast, dann möglicherweise ja.”

“Möglicherweise, aber eben auch nicht hundertprozentig, oder?”

“Nimmst du den Kerl etwa in Schutz?”, fragte Sango verständnislos. “Vielleicht ist das ja unter Youkai nichts Besonderes, aber er kann doch nicht von Kimie-chan erwarten, dass ihr das egal ist!”

“Ich glaube auch eigentlich nicht, dass Sesshoumaru so denkt”, entgegnete Kagome daraufhin. “Ich vermute viel mehr, die ganze Sache ist komplizierter, als wir denken. Es geht offenbar nicht nur um diese Verlobung.”

Miroku horchte auf. “Meint Ihr, die Kitsune aus dem Süden könnten Sesshoumaru und seinem Clan Probleme bereiten, Kagome-sama?”

“Vielleicht… Sicher bin ich mir nicht. Allerdings bin ich davon überzeugt, dass Sesshoumaru auch nicht gerade glücklich über die momentane Lage ist.”

“Ich glaube, der Typ wird allmählich alt”, mischte sich Inu Yasha plötzlich ein und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. “Früher hätte er einfach mal sein Schwert gezogen und ein bisschen Radau gemacht. Jetzt kommt es mir eher so vor, als hätte er Schiss vor den Füchsen. Offenbar reichen ihm die Prügeleien mit den Ryû-Youkai und der langwierige Kampf gegen Naraku erst mal für die nächsten tausend Jahre.”

Zwar glaubte der Hanyou nicht wirklich daran, dass sein Halbbruder tatsächlich Angst haben könnte oder des Kampfes müde war, aber im Augenblick beschrieb diese Aussage seiner Meinung nach die Situation noch am besten.

“Oder ihm gefällt die Prinzessin wirklich”, wagte Shippou nun zu behaupten und hatte sofort jegliche Aufmerksamkeit auf seiner Seite.

“Wenn das wirklich so ist”, begann Sango ernst, “dann sollte Kimie-chan ihm die Entscheidung abnehmen und ihn auf der Stelle abschießen!”

“Klingt ja ziemlich radikal, Sango…”, fand Miroku, doch seine Frau beharrte auf ihrer Meinung.

Rin, die die ganze Zeit über schweigend daneben gestanden hatte, hatte diese Unterhaltung doch sehr irritiert. Lief es denn wirklich so schlecht zwischen Sesshoumaru und Kimie?

Unbemerkt von den anderen lief das Mädchen schließlich zu Kaedes Hütte, in welche sich Kimie zuvor mit Inuki zurückgezogen hatte. Auch Kaede war anwesend und hatte sich in der Zwischenzeit ein wenig mit der jungen Frau unterhalten, die ihr mittlerweile im Groben geschildert hatte, was sich zugetragen hatte.

Als Rin in die Hütte hineinschaute, stand die alte Miko auf. “Du möchtest sicher zu Kimie, habe ich Recht, Rin? Dann lasse ich euch beide mal in Ruhe.”

Nachdem Kaede die Hütte verlassen hatte, deutete Kimie dem Mädchen an, sich zu ihr zu setzen, was dieses auch sogleich tat. Obwohl Rin älter und auch größer geworden war, war sie im Grunde noch immer das kleine Mädchen. Das Leben im Dorf hatte ihr sichtlich gut getan. Rin hatte sich schon kurz, nachdem sie von Kaede in deren Obhut genommen war, gut eingelebt und mit den Dorfkindern angefreundet. Natürlich hatte sie Sesshoumaru besonders zu Anfang sehr vermisst und es zunächst nicht so recht verstanden, warum er sie hier hatte zurücklassen wollen. Denn nur zu gerne wäre sie mit ihm in die westlichen Länder gegangen, wie Kimie es getan hatte. Aber schon nach kurzer Zeit hatte Rin die Beweggründe des Youkai nachvollziehen können. Er wollte ihr eben die Möglichkeit offen halten, sich irgendwann entscheiden zu können, wo und wie sie leben wollte. Und da er sie nach wie vor immer regelmäßig besuchen kam, hatte sich Rin irgendwann mit dem Leben im Dorf arrangieren und richtig gefallen daran finden können.

“Kimie-san? Du hast dich mit Sesshoumaru-sama gestritten, oder?”, fragte Rin plötzlich. Zunächst wollte Kimie sie fragen, woher sie das wusste, doch konnte sie sich denken, dass die anderen wohl in Rins Gegenwart ausführlich genug über das Thema geredet hatten.

“Es ist nicht schön, wenn man sich streitet”, sprach Rin weiter. “Vertragt ihr euch denn bald wieder?”

Zunächst zögerte Kimie. Was sollte sie darauf antworten? Schlussendlich rang sie sich zu einem zaghaften Lächeln durch. “Mach dir keine Sorgen, Rin. Es kommt schon alles wieder in Ordnung.”

Nur fiel es Kimie doch ein wenig schwer, selbst daran zu glauben, dass das so bald geschehen würde. Sie war sich im Moment nicht mal sicher, ob es unter den gegebenen Umständen überhaupt dazu kommen würde.

Eine Zeit lang herrschte Stille in der kleinen Hütte. Doch plötzlich horchte Inuki auf. Bis eben hatte er noch vollkommen entspannt neben Kimie gesessen, doch nun richtete sich seine ganze Aufmerksamkeit auf den Eingang der Hütte. Einen Augenaufschlag später war er schon hinausgelaufen.

“Inuki! Wohin läufst du?”, rief Rin dem Hund noch nach, ehe sie und Kimie ihm nach draußen folgten. Inuki befand sich unweit der Hütte und hatte den Blick zum Himmel hinauf gewandt. Schon fast von selbst schauten nun auch Kimie und Rin nach oben, konnten aber außer den Wolken am Himmel nichts Ungewöhnliches entdecken. Die Sache wurde erst recht eigenartig, als Inuki auch noch zu bellen anfing.

“Inuki! Jetzt ist es aber genug!”, ermahnte Kimie ihren Hund und ging zu ihm rüber. “Was soll denn das? Was hast du denn auf einmal?”

Inuki begann, unruhig hin- und herzutänzeln, als wollte er Kimie auf etwas aufmerksam machen. Dabei schaute er immer noch zum Himmel hinauf. Kimie konnte es sich nicht so recht erklären, aber irgendwie fühlte sie sich im Moment wie in jenen Augenblick zurückversetzt, als sie Sesshoumaru, das erste Mal begegnet war. Damals hatte Inuki sich ähnlich benommen. Moment! War Sesshoumaru vielleicht hier?

Augenblicklich folgte Kimie dem Blick ihres Hundes, doch konnte sie nichts Verdächtiges entdecken. Nach einem Moment schüttelte sie den Kopf. War sie denn nicht mit dem Grund fort gegangen, Sesshoumaru erst mal nicht mehr zu sehen? Und jetzt ertappte sie sich dabei, wie sie sich insgeheim wünschte, er wäre hier. Lächerlich…

“Inuki, lass es gut sein. Da ist nichts.”

>Und selbst wenn… es wäre egal.< Kimie wollte sich soeben abwenden, als sie für einen kurzen Augenblick das seltsame Gefühl beschlich, als würde sie jemand beobachten.

>Sesshoumaru?< Kurz blieb sie stehen und schaute noch ein Mal zurück. >Hm… Nein, es ist nicht seine Art, sich zu verstecken. Er ist nicht hier…<

Trotzdem fragte sich Kimie, was Sesshoumaru im Moment wohl gerade tat.

Indes hatte Inuki sich um keinen Meter vom Fleck bewegt, doch schließlich schien seine Aufmerksamkeit langsam zu schwinden. Er schaute sich zwar noch kurz suchend um, doch das, worauf er sich zuvor noch konzentriert zu haben schien, schien inzwischen verschwunden zu sein.
 

* ~ * ~ * ~ *
 

Auch die von Kagome insgeheim erhoffe Verbesserung im Bezug auf Kimies Gemütszustand trat nicht ein. Eher im Gegenteil; Kimie verschanzte sich Tag für Tag in ihrem Zimmer, nur zum essen gesellte sie sich zu ihrer Familie. Und je mehr Zeit verstrich, umso mehr bekam Kagome den Eindruck, dass sich ihre Cousine immer weiter in ihr Schneckenhaus zurückzog.

Mittlerweile war es zwei Wochen her, seit sie das Schloss im Westen verlassen hatten. Kagome wusste sich so langsam keinen Rat mehr. Mehrmals hatte sie Kimie angeboten, mit ihr zu sprechen, wurde aber jedes mal abgewiesen. Trotzdem wollte sie nicht aufgeben, und so startete sie auch an diesem Tag einen weiteren Versuch. Zumindest durfte Kagome ungehindert in Kimies Zimmer. Mit dem geplanten Gespräch wollte es anfangs aber nicht so recht laufen.

“Und? Schönes Wetter heute, nicht wahr?”, war die erste Frage, die Kagome ihrer Cousine stellte, allerdings kam sie sich dabei mehr als dumm vor.

Kimies Reaktion war auch eher verhalten. “Hm… Kann sein.”

Kagome unterdrückte ein Seufzen. Kimie saß mit dem Rücken zu ihr am Schreibtisch und blätterte offenbar eher planlos in einem Buch herum. Wie sollte sie weiter vorgehen?

“Wie sieht’s aus? Wollen wir heute nicht ein wenig shoppen gehen? Oder ins Kino?”, fragte Kagome schließlich einfach drauf los. “Ich wollte mich sowieso mal wieder mit Yuka, Eri und Ayumi-chan treffen. Komm doch einfach mit uns mit! Sie würden dich bestimmt auch gerne mal wieder sehen.”

Doch Kimie lehnte ab. “Nein, danke. Keine Lust. Aber du kannst sie ja von mir grüßen.”

Schon wieder eine Niete.

“Kimie…”, begann Kagome schließlich zögerlich. “Seit wir zurück sind, bist du praktisch nur noch hier in deinem Zimmer. Du gehst nicht nach draußen und sprechen tust du mit mir oder unserer Familie nur, wenn es sein muss. Ist vielleicht irgendetwas passiert, was du bisher noch keinem erzählt hast? Hat es was mit Sesshoumaru zu tun?”

“Es ist nichts. Ich bin nur nicht gut drauf.”

“Das kann ich nachvollziehen, aber das kann doch nicht alles sein, oder?” Kagome näherte sich ihr vorsichtig, ehe sie Kimie ebenso eine Hand auf die Schulter legte. “Kimie, erzähl mir bitte, was du hast. Du kannst mir alles sagen.”

Plötzlich und für Kagome völlig unerwartet schlug Kimie ihr Buch zu, stand ruckartig auf, dass ihr Stuhl fast umgekippt wäre, und erwiderte energisch, fast schon aggressiv: “Ich habe dir doch gesagt, dass alles okay ist! Also hör auf damit, mir auf die Nerven zu fallen! Kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen? Ist das denn zu viel verlangt?!”

Erschrocken hatte sich Kagome von ihrer Cousine zurückgezogen. Noch nie hatte Kimie auf diese Art und Weise mit ihr gesprochen und sie dabei mit einem solchen Blick voller Ablehnung angesehen. Kagome musste schlucken. “Ich… Entschuldige, so war das nicht gemeint. Ich wollte dir bestimmt nicht auf die Nerven gehen, Kimie.”

Es war wohl besser, wenn sie erst mal wieder gehen würde. Doch kaum, dass Kagome die Tür geöffnet hatte, hörte sie Kimie reumütig sagen: “Warte, Kagome! Es tut mir Leid… Ich wollte dich nicht so anmachen. Es ist ja schließlich nicht deine Schuld…”

Ein leichtes Lächeln huschte über Kagomes Lippen. Mal abgesehen davon, dass sie Kimie sowieso nicht böse gewesen war, war sie nun doch erleichtert, als die Ältere ihr andeutete, sich mit ihr auf das Bett zu setzen. Ohne Wiederworte gesellte sich Kagome zu ihr.

“Also, was ist los? Möchtest du doch darüber reden?”, fragte sie erneut.

Kimie schaute anfangs nur schweigend zu Boden, als traute sie sich nicht, ihrer Cousine in die Augen zu sehen. “Ich … Ich kann es nicht… Ich kann es nicht sagen…”

“Kimie…” Erneut legte Kagome ihr eine Hand auf die Schulter. “Wenn du ein Problem hast, dann wäre es besser, wenn du darüber sprichst. Vielleicht kann ich dir helfen.”

Aber Kimie schüttelte den Kopf. “Hierbei kannst du mir nicht helfen, Kagome. Das kann keiner...”

Kagome schwieg dazu. Sie war sich nicht sicher, was sie darauf hätte erwidern können.

“Sie sind perfekt, oder?”, fragte Kimie plötzlich, ohne jedoch aufzuschauen.

“Perfekt? Wen meinst du?”, wollte ihre Cousine wissen.

“Die Inu-Youkai. Sie sind gleichermaßen stark und schön. Eigentlich unerreichbar… Und die Füchse sind genau so.” Kimie trat an ihr Fenster und schob den Vorhang etwas zur Seite. Ihr nachdenklicher Blick schweifte langsam über den Hof des Schreingeländes. “Kagome… Die Zeit vergeht so wahnsinnig schnell, findest du nicht auch? Manchmal kommt es mir so vor, als sei es erst gestern gewesen, dass wir in die 1. Klasse der Grundschule gekommen sind. Und dabei haben wir beide längst unseren Abschluss. Wo stehen wir in ein paar Jahren?” Sie wandte sich wieder zu Kagome um. “Machst du dir nicht auch ab und zu Gedanken, über Inu Yasha und dich? Was in 10 oder 20 Jahren mit euch sein könnte?”

Auf diese Frage hin war Kagome zunächst doch etwas irritiert. Dann begann sie zu überlegen. Und sie musste sich eingestehen, dass sie sich über dieses Thema noch nie ernsthafte Gedanken gemacht hatte, weshalb sie die Frage ihrer Cousine verneinen musste.

Kimie seufzte leise, als sie sich wieder zu ihr setzte. “Der Gedanke an die Zukunft macht mich fast verrückt. Ich könnte es Sesshoumaru nicht mal übel nehmen, sollte er sich doch dazu entschließen, diese Prinzessin zu heiraten.”

“Sprich nicht so! Das wird nicht passieren”, wollte Kagome widersprechen, doch Kimie hielt dagegen.

“Da wäre ich mir nicht so sicher. Sesshoumaru hat bestimmt keine Lust darauf, mir beim alt werden zuzusehen, während er selbst sich wohl kaum verändert haben wird, wenn ich irgendwann ins Gras beiße.”

“Sprich doch nicht so! Und mach dich deswegen nicht so verrückt! Er weiß doch schließlich darüber Bescheid und hat dich trotzdem nie von sich gewiesen.”

“Trotzdem… Ich fühle mich bei dem Gedanken daran ja selbst nicht wohl. Das Dumme ist nur, dass es jetzt offenbar zu spät ist, um zu einem sauberen Ende zu kommen.”

“Ende? Du willst ernsthaft Schluss machen?”, fragte Kagome nunmehr sichtlich erschrocken. “Kimie, jetzt übertreib bitte nicht so! Es gibt sicher eine bessere Lösung. Sprich dich doch mal richtig mit Sesshoumaru aus. Sag ihm, worüber du dir Sorgen machst, dann kommt sicher schnell alles wieder in Ordnung.”

“Nein. Ich hab’s verbockt und darf es jetzt auch ausbaden. So einfach ist es…”

“Verbockt? Ausbaden? Ich verstehe nicht...”

Kimie holte ein Mal tief Luft. Nach einem weiteren Moment des Zögerns sprach sie endlich weiter: “Es… gibt noch einen anderen Grund, warum ich mit dir und Inu Yasha weg vom Schloss und hierher kommen wollte.”

Kagome horchte auf. “Du meinst, es lag nicht allein an den Füchsen?”

“Ja.” Kimie nickte ein Mal. “Es ist so… Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll. Kagome, ich… Wegen meinem Unwohlsein… Das war nicht der Stress.”

“Sondern?”

“Ich… Nun… Ich bin…”

Das leise Ticken der Wanduhr war das einzige Geräusch, das im Augenblick zu hören gewesen war. Kagome war sich nicht sicher, ob sie Kimie richtig verstanden hatte. Hatte sie sich nicht vielleicht nur verhört?

“Äh… Schwanger? Kimie, du… Und du bist dir da auch wirklich sicher?”

“Anfangs war ich das noch nicht, aber… jetzt schon.”

“Wie das? Du warst weder beim Arzt, noch hattest du die Gelegenheit, es selbst zu überprüfen.”

“Mag sein, aber ich bin mir inzwischen eigentlich sehr sicher. Um ehrlich zu sein, hatte mich Kakeru darauf aufmerksam gemacht. Er ist bisher der Einzige, der es weiß.” Kimie schlug die Hände vor das Gesicht. “Ich bin so eine blöde Kuh! Ich hätte besser aufpassen sollen!”

“Kimie…”

“Aber warum hätte ich aufpassen sollen? Es schien doch alles so perfekt zu sein... Shit!” Erneut stand Kimie auf und machte einige nervöse Schritte durch den Raum. “Sesshoumaru hat mir gegenüber nur ein einziges Mal von Kindern geredet. Das war, kurz nachdem wir damals die westlichen Länder wieder verlassen hatten. Ich muss zugeben, der Gedanke gefiel mir irgendwie, aber ich wollte es auch nicht überstürzen. Hätte ich zu der Zeit die ganze Wahrheit gewusst… Was soll ich jetzt machen? Schlimmer kann es eigentlich kaum noch kommen…”

“Und Sesshoumaru weiß nichts davon?”, fragte Kagome nun nach. Als Kimie mit einem Kopfschütteln verneinte, sprach Kagome nun eindringlicher weiter: “Kimie, er muss davon erfahren! Du musst es ihm so schnell wie möglich sagen!”

“Auf keinen Fall!”, widersprach Kimie jedoch vehement. “Ich will nicht, dass er ausgerechnet jetzt davon erfährt!” Denn sonst hätte sie das Gefühl gehabt, Sesshoumaru würde sich nur wegen dem Kind darum bemühen, der ganzen Angelegenheit so schnell wie möglich ein Ende zu setzen.

“Aber er muss es erfahren!”, hielt Kagome dagegen. “Wenn nicht jetzt, wann denn dann? Du kannst es doch nicht ewig vor ihm verschweigen! Früher oder später kommt er dahinter.”

“Darüber mache ich mir Gedanken, wenn es so weit ist. Ich werde ihm erst davon erzählen, wenn er mir gegenüber deutlich gemacht hat, wo er steht.” Kimie verstummte einen Augenblick lang. “Bitte, Kagome… Erzähl niemandem davon, ja? Ich will nicht, dass außer der Familie jemand etwas davon weiß.”

Obwohl sie davon nicht wirklich begeistert war, erklärte sich Kagome einverstanden. “Dann wirst du also Tante Akie und Onkel Kimata informieren?”

“Ich werde sie anrufen. Heute noch.”

Und das tat Kimie dann einige Stunden später, nachdem auch der andere Teil der Familie über die Umstände in Kenntnis gesetzt worden war.
 

* ~ * ~ * ~ *
 

Indes sorgte Kimies lange Abwesenheit im Schloss in den westlichen Ländern für ausreichend Gesprächsstoff unter den Inu-Youkai. Dass die Gerüchteküche offenbar mit jedem neuen Tag, der verstrich, neue und teils pikante Zutaten erhielt, war natürlich auch Sesshoumaru nicht entgangen. Noch immer hielt sich Aoshi mit seinem Gefolge im Schloss auf. Zwar hatte Sesshoumaru schon mehr als ein Mal mit dem Gedanken gespielt, seine “Gäste” einfach wieder vor die Tür zu setzen, aber das konnte er sich nicht so einfach erlauben. Dazu wäre ein triftiger Grund von Nöten gewesen, und diesen gab es bisher nicht. Sesshoumaru war inzwischen sogar so weit, dass er sich gelegentlich wünschte, einer von Aoshis Leuten oder gar Aoshi selbst würde die Beherrschung verlieren und vielleicht was Unüberlegtes sagen oder tun. Dann hätte er endlich das entscheidende Machtwort sprechen können, aber da konnte er wohl lange warten…

Um sich die Zeit zu vertreiben, beschäftigte sich Sesshoumaru in letzter viel mit dem Lesen der zahlreichen Bücher und Schriftrollen aus der Schlossbibliothek. Zudem war dieser Raum, mit Ausnahme seiner eigenen Gemächer, der einzige, in dem er so ziemlich ungestört war. Außerdem konnte er die Zeit nutzen, um in Ruhe über alles nachzudenken.

Inzwischen fragte sich Sesshoumaru ernsthaft, ob es richtig von ihm gewesen war, Kimie einfach so gehen gelassen zu haben. Er hätte ihr zumindest seinen Standpunkt nochmals deutlich machen können. Mal abgesehen davon, dass er den starken Eindruck hatte, dass mit ihr etwas nicht in Ordnung gewesen war, abgesehen von ihrem Frust, den sie wegen Saori geschoben hatte. Obwohl Sesshoumaru den starken Verdacht hegte, dass Kakeru diesbezüglich mehr wusste, hatte dieser sich bisher mit erhabener Ruhe dagegen entschieden, seinem jungen Herrn genauere Auskunft zu erteilen.

Mittlerweile starrte Sesshoumaru seit einigen Minuten auf die immer selbe Zeile des Buches, welches aufgeschlagen vor ihm lag. Er fragte sich, wie es Kimie wohl ging und was sie gerade machte.

Ein unerwartetes Klopfen an der Tür erregte nun Sesshoumarus Aufmerksamkeit. Er vermied es, allzu laut zu seufzen, als er dem Besucher die Erlaubnis erteilte, einzutreten. Zu seiner eigenen Überraschung war es Prinzessin Saori.

“Sesshoumaru-sama. Ich hoffe, ich komme nicht allzu ungelegen.” Mit einem freundlichen Lächeln schloss sie die Tür hinter sich wieder. Dass Sesshoumaru ihr lediglich zunickte, schien Saori nicht sonderlich zu beirren. Stattdessen gesellte sie sich zum ihm an den großen Tisch, an welchem er saß. “Einer Eurer Krieger hat mir gesagt, dass ich Euch hier finden kann. Man sieht Euch so gut wie gar nicht mehr, seit Eure Gefährtin Euer Schloss verlassen hat.”

Da die Prinzessin sich nicht gesetzt hatte, hätte Sesshoumaru zu ihr hochgucken müssen, wollte er sich auf das Gespräch mit ihr einlassen. Da es jedoch überhaupt nicht sein Stil war, zu jemandem in der Form aufzublicken, stand er nun von seinem Stuhl auf. “Ich frage mich, weshalb Euer Vater sich nicht dazu entschließt, wieder in seine eigenen Ländereien zurückzukehren. Ich habe ihm alles gesagt, was es zu sagen gab.”

Es war Saori nicht entgangen, dass Sesshoumarus Laune nicht die beste war. Offenbar hatte sie mit der Erwähnung von Kimies Weggang bei ihm nicht gerade positive Empfindungen freigesetzt. Nichts desto trotz bewahrte sich die Prinzessin ihre ruhige und beherrschte Ausdrucksweise. “Bitte denkt nicht von mir, ich würde mich Euch aufdrängen wollen. Vielmehr möchte ich mich bei Euch für die Unannehmlichkeiten entschuldigen, die der Besuch meines Vaters bei Euch verursacht hat.”

Sesshoumaru jedoch war misstrauisch. Wollte Saori ihn mit ihrem freundlichem Getue nur um den Finger wickeln? Steckte dahinter eine berechnende Strategie?

“Kümmert es Euch nicht, wo sich Eure Gefährtin zur Zeit aufhält oder wie es ihr geht?”, fragte Saori plötzlich, nachdem Sesshoumaru nichts auf ihre letzte Aussage erwidert hatte.

Sein Blick verfinsterte sich daraufhin etwas. “Meine Gefährtin hat Euch nicht zu interessieren und sie geht Euch auch nichts an.”

“Natürlich nicht.” Saori verbeugte sich ehrfürchtig. “Verzeiht mir bitte. Ich wollte bestimmt nicht indiskret sein. Im Grunde wollte ich Euch auch nur sagen, dass Ihr Euch nicht von irgendjemandem beeinflusst fühlen sollt.”

“Es ist unnötig, dass Ihr mir das sagt. Ich habe schon immer nur so entschieden, wie ich es wollte, und dabei werde ich auch bleiben.”

“Dann solltet Ihr auch genauer darüber nachdenken, was Ihr im Moment tun wollt.” Erneut verneigte sich die Prinzessin, ehe sie zur Tür zurückging. “Ich wünsche Euch einen angenehmen Tag, Sesshoumaru-sama.”

Als Saori gegangen war, ließ sie einen etwas verwirrten Daiyoukai zurück. Sesshoumaru wusste nicht so recht, was er von den Worten seiner “Verlobten” halten sollte. Warum erzählte sie ihm so etwas? War das etwa eine indirekte Aufforderung an ihn gewesen, ohne jegliche Gedanken an etwaige Folgen, Kimie aufzusuchen? Oder sollte er ihre Worte als eine Art Warnung verstehen, sich bloß nicht falsch zu entscheiden, wollte er keine fatalen Konsequenzen heraufbeschwören? Sicherlich hätte Sesshoumaru die Situation einfacher einschätzen können, wenn er Saori besser gekannt hätte. Aber so…

“Und, Sesshoumaru-sama? Was gedenkt Ihr zu tun?”

Das erste Mal in seinem Leben traf Sesshoumaru fast der Schlag, war er schließlich der felsenfesten Überzeugung gewesen, allein in der Bibliothek zu sein. Als er sich umdrehte, sah er Kakeru an einem der Bücherregale stehen.

“Wo kommst du her, Kakeru? Und wie lange bist du schon hier?”

“Ich war die ganze Zeit hier. Ihr habt mich nur nicht bemerkt. Das ist äußerst ungewöhnlich, denn normalerweise ist kaum jemand so aufmerksam, wie Ihr es seid.” Kakeru setzte sich an den Tisch. Wortlos tat Sesshoumaru es ihm gleich.

“Will sie mich hinters Licht führen?”, fragte er seinen einstigen Mentor nach einem Moment.

Kakeru war sofort klar, was sein junger Herr meinte. “Der Charakter der Prinzessin ist mir genau so fremd, wie Euch. Oberflächlich betrachtet, würde ich jedoch sagen, dass sie einen netten Eindruck macht. Aber wie gesagt: oberflächlich betrachtet.”

Erneut verging ein Augenblick der Stille.

“Kakeru”, ergriff Sesshoumaru schließlich erneut das Wort. “Ich möchte jetzt, dass du mir die Wahrheit sagst. Du weißt irgendwas, du brauchst es nicht zu leugnen. Was hat Kimie dir erzählt, bevor sie gegangen ist?”

Eine sofortige Antwort erhielt Sesshoumaru nicht, denn Kakeru hüllte sich zunächst in geheimnisvolles Schweigen, ehe er ebenso ruhig wie ernst erwiderte: “Ich bitte Euch untertänigst um Vergebung, Sesshoumaru-sama, aber ich sprach mit Kimie-dono im Vertrauen und bin der Meinung, dass sie Euch selbst erzählen sollte, was Ihr wissen möchtet.”

Mit so einer Reaktion hatte Sesshoumaru im Grunde schon gerechnet. Er unterließ es daher, das Thema weiter zu vertiefen. Wenn Kakeru sich dazu entschieden hatte, kein Wort darüber zu verlieren, dann änderte er seine Meinung auch nicht.

Wollte Sesshoumaru mehr in Erfahrung bringen, dann gab es für ihn wohl nur einen Weg…
 

Hätte Sesshoumaru genauer gewusst, wie sehr die herrschende Unklarheit im Bezug auf seine Verlobung mit Prinzessin Saori und Kimies überstürzte Abreise hinter vorgehaltener Hand die Gespräche unter den Inu-Youkai beherrschten, hätte er sie allesamt wohl am liebsten mundtot gemacht. Auch bei dreien von ihnen, die für die heutige Torwache eingeteilt waren, gab es an diesem Tag nur ein Thema. Einer von ihnen war Subaru, die anderen waren zwei Krieger namens Tôru und Yutaro. Das Trio stand auf der Schlossmauer, doch nahm Subaru an der regen Unterhaltung seiner beiden Kameraden gar nicht wirklich teil, sondern hörte nur stumm zu, während er auf den Wald starrte, der sich vor ihm erstreckte.

“Die kommt nicht wieder. Ich glaube nicht daran”, war Yutaro fest überzeugt.

“Ich auch nicht”, pflichtete Tôru ihm bei. “Und seien wir mal ehrlich, verwunderlich wäre es nicht. Immerhin ist sie ein Mensch.”

“Eben! Und Menschen ändern gerne mal ihre Meinung. Im Grunde sind sie sehr einfach gestrickte Wesen, die sich schnell langweilen.”

Subaru unterdrückte ein genervtes Seufzen. So langsam war er das dumme Gerede leid. Schon seit dem Tag, als Kimie gegangen war, musste er sich diesen Quatsch anhören. Es war immer wieder das selbe und wurde ihm allmählich lästig. Da war es ja um ein Vielfaches aufregender, dem Gras beim Wachsen zuzuschauen…

“Aber wenn unsere Herrin wirklich nicht wieder zurückkommt, dann heißt das doch, dass sie Sesshoumaru-sama endgültig verlassen hat”, überlegte Yutaro nun. Er und Tôru kamen ins Grübeln. Dass ihr Herr je von einer Frau praktisch sitzen gelassen werden würde, noch dazu von einem Menschen, hätten sie sich selbst in ihren verrücktesten Träumen nicht ausmalen können.

“Oder aber, Sesshoumaru-sama hat sie doch von sich heraus fortgeschickt”, wagte Yutaro auf einmal zu behaupten.

“Du meinst, um doch noch Prinzessin Saori zu heiraten?”, fragte Tôru und dachte kurz darüber nach. “Nun, verstehen könnte ich ihn ja. Saori-sama gehört zu den schönsten Frauen, die ich bisher gesehen habe. Hast du gemerkt, dass alle in ihrer Familie schwarze Haare haben, nur sie nicht?”

“Ich habe gehört, sie soll ihrer verstorbenen Mutter sehr ähnlich sehen.”

“Wie auch immer, wenn ich an Sesshoumaru-samas Stelle wäre, würde ich nicht lange überlegen. Es liegt doch klar auf der Hand, dass Saori-sama die bessere Wahl ist. Und das nicht nur, weil sie ein Youkai ist.”

“Und wenn ich an eurer Stelle wäre, würde ich lieber die Klappe halten!”, mischte sich Subaru letztendlich ein, und der laute Ton seiner Stimme ließ keinerlei Zweifel daran zu, dass er inzwischen mehr als einfach nur genervt war. “Wenn Sesshoumaru-sama euch reden hört, könnt ihr froh sein, wenn er euch nur zum Gemüse putzen in der Küche verdonnert.”

Seine beiden Kameraden schwiegen im ersten Moment perplex.

“Tu mal nicht so, als wärst du hier der Boss, Subaru!”, beschwerte sich Yutaro patzig, woraufhin Subaru ebenso entgegnete: “Das tue ich auch nicht. Ich wollte euch nur einen gut gemeinten Rat geben.”

“Sag bloß, du bist der Meinung, Sesshoumaru-sama sollte Saori-sama nicht heiraten!?”

“Was hast du erwartet?”, fragte Tôru, während er abfällig zu Subaru rüberschaute. “Immerhin versteht er sich offenbar sehr gut mit der Miko, die mit Inu Yasha-sama zusammen ist. Vielleicht sehnt sich unser guter Subaru ja auch mehr nach einer menschlichen Freundin.”

“Damit er zusehen kann, wie sie mit der Zeit langsam alt wird und irgendwann krepiert? Wer will denn so was…?”

Subaru unterdrückte nur mühsam ein verärgertes Knurren.

“Du musst doch zugeben, Subaru”, fuhr Tôru nun fort, “dass es kein echtes Argument gibt, das gegen eine Heirat von Sesshoumaru-sama mit Aoshi-samas Tochter sprechen würde. Prinzessin Saori verkörpert das perfekte Bild einer Youkai-Prinzessin. Eine Frau, die über alle Zweifel würdig ist, an der Seite unseres Herrn zu sein. Gut, Kimie-sama hat zwar auch bewiesen, dass sie vorzeigbare Eigenschaften hat, aber was nützt das? Letzten Endes ist und bleibt sie ein Mensch. Und Menschen haben die Angewohnheit, schnell zu altern und früh zu sterben. Mal ganz abgesehen davon, dass sie mittlerweile einige Jahre mit Sesshoumaru-sama zusammen ist und ihm trotzdem noch immer kein Kind geboren hat.”

Im Hintergrund hörte man Yutaro sich leise darüber amüsieren. “Wer weiß? Vielleicht ist sie dazu ja gar nicht in der Lage.”

“Nun, das würde zumindest erklären, warum Sesshoumaru-sama sie so einfach hat gehen lassen.”

Als er die beiden daraufhin lachen hörte, platzte Subaru der Kragen. “Ihr seid Idioten! Haltet doch die Klappe, wenn ihr keine Ahnung habt!”

“Klar! Und du hast natürlich den vollen Durchblick, Subaru”, meinte Tôru jedoch nur von oben herab.

Für Subaru war das Maß nun endgültig voll. Von einer Sekunde auf die andere packte er Tôru am Kragen und stieß ihn von der Mauer. Beide fielen mehrere Meter tief und nahmen zeitgleich ihre dämonische Hundegestalt an. Wie zu einem kämpfenden Knäuel ineinander verkeilt, prallten die Kontrahenten schlussendlich auf den Boden auf, wo sie ihr Gefecht sogleich fortsetzten. Die Bäume unweit der Mauer zerbrachen wie Streichhölzer unter der gewaltigen Kraft der beiden Youkai, verschreckte Vögle stürmten in alle Himmelsrichtungen davon.

Zähnefletschend gingen Subaru und Tôru immer wieder aufeinander los. Tôru versuchte mehrere Male, seine Reißzähne in Subarus Nacken zu schlagen, während Subaru immer wieder mit seinen scharfen Krallen nach seinem Gegner schlug. Doch musste sich Subaru bald nicht mehr nur auf Tôru allein konzentrieren, denn plötzlich mischte sich auch Yutaro ein.

Jetzt hatte Subaru es mit zwei Widersachern zu tun gehabt. Einschüchtern lassen, wollte er sich aber auf keinen Fall. Auch dann nicht, als die beiden damit begannen, ihn von zwei Seiten einzukesseln. Bedrohlich knurrend fletschte Subaru die Zähne. Die Youkai belauerten sich gegenseitig voller Argwohn.

Gerade, als Tôru und Yutaro gemeinsam zum Angriff übergehen wollten, nahmen sie einen großen Schatten über sich wahr und hielten inne. Nur einen Augenaufschlag später stand Tôya in seiner dämonischen Form an Subarus Seite.

“Das reicht! Hört sofort auf!”, befahl er mit strenger Stimme.

Tôru und Yutaro wichen sofort zurück. “General!”

“Ihr seid wohl wahnsinnig geworden, was?!”, schnaubte Tôya verärgert. “Verwandelt euch zurück! Alle drei, und zwar auf der Stelle!”

Die drei taten anstandslos, wie ihnen geheißen, und auch Tôya legte seine dämonische Gestalt wieder ab. Als endlich wieder etwas Ruhe eingekehrt war, forderte Tôya sogleich eine Rechtfertigung für das Verhalten der drei anderen Inu-Youkai ein. “Was sollte das? Ich verlange eine Erklärung!”

Es dauerte ein wenig, ehe Subaru nach erneuter Aufforderung als Erster das Wort ergriff: “Eine kleine Meinungsverschiedenheit. Es war meine Schuld, ich habe die Beherrschung verloren und Tôru zuerst angegriffen.”

“Was für eine Meinungsverschiedenheit? Spuckt es aus!” Tôya wandte sich den anderen beiden zu. Nur widerwillig berichteten Yutaro und Tôru ihm nun, was der Auslöser für den Streit gewesen war. Zwar versuchten sie ein, zwei Mal, hier und da etwas zu verschweigen oder ein wenig anders darzustellen, doch wurden sie rasch durchschaut. Dementsprechend gereizt war Tôya am Ende, nachdem er alles erfahren hatte.

“Anstatt euch wie die Waschweiber das Maul zu zerreißen, solltet ihr euch lieber um eure Aufgaben kümmern! Mit euch beiden beschäftige ich mich noch. Haut ab!”

Nachdem sich Yutaro und Tôru zurückgezogen hatten, widmete sich der junge General wieder Subaru. “Du hättest dich nicht so provozieren lassen dürfen. Egal, was die beiden gesagt haben.”

“Ich weiß”, entgegnete Subaru ruhig und schien sein Tun bereits zu bereuen. “Aber in diesem Moment ist es irgendwie mit mir durchgegangen. Es war eine unüberlegte Reaktion.”

“Schon gut. Ihr hattet ja glücklicherweise nicht genug Zeit, um euch richtig gegenseitig an die Kehle zu springen.” Da bemerkte Tôya einen verdächtigen Geruch. “Hm? Subaru, du blutest!” Er deutete auf den rechten Arm seines Kameraden, an welchem eine blutige Spur hinunterlief. Die Wunde befand sich an Subarus Oberarm, knapp unterhalb des kurzen Ärmels seiner Oberbekleidung.

Subaru besah sich kurz die Verletzung. “Oh… Das habe ich gar nicht mitbekommen. Da hab ich mich wohl wirklich zu sehr in diese Sache hineingesteigert. Das wird wohl noch mächtigen Ärger geben…”

“Wenn du damit auf Sesshoumaru-sama ansprichst, ich werde ihm nichts davon erzählen”, erklärte Tôya. “Er scheint auch zum Glück nichts mitbekommen zu haben. Was Tôru und Yutaro angeht, ich werde den beiden nahe legen, bezüglich dieses Vorfalls den Mund zu halten.”

“Es sollte mich wundern, wenn keiner was von diesem Streit mitbekommen hat”, meinte Subaru zweifelnd. Zumindest musste man den Kampf gehört haben.

“Belassen wir es trotzdem erst mal dabei. Und du kümmerst dich am besten umgehend um deine Verletzung.” Tôya schulterte sein Naginata. “Mir scheint, die Fronten verhärten sich. Einige von uns sind fest davon überzeugt, dass Sesshoumaru-sama nun doch Prinzessin Saori heiraten wird. Die anderen hingegen rechnen mit Kimies baldiger Rückkehr. Wenn wir nicht aufpassen, könnten wir uns demnächst mit weiteren handfesten Konflikten in den eigenen Reihen herumschlagen.”

Und genau diese Befürchtung teilte auch Subaru.
 

* ~ * ~ * ~ *
 

Nachdem sie auch die zwei nachfolgenden Tage größtenteils in ihrem Zimmer verbracht hatte, hatte Kimie beschlossen, das Haus doch endlich mal wieder zu verlassen und einen kleinen Spaziergang zu machen. Ihre Eltern und auch Kagome hatten ihr zwar angeboten, sie zu begleiten, aber Kimie hatte es vorgezogen, dieses Mal allein unterwegs zu sein. So konnte sie wenigstens in aller Ruhe darüber nachdenken, was sie als Nächstes tun sollte.

Mittlerweile lief Kimie aber bereits seit gut drei Stunden durch die Stadt, ohne, dass sie zu einer guten Idee gekommen war. Zumindest hatten ihre Eltern relativ ruhig reagiert, als sie diese vorhin angerufen und über die aktuellen Neuigkeiten in Kenntnis gesetzt hatte. Akie und Kimata waren sogar regelrecht entzückt von der Vorstellung, bald Großeltern zu werden. Nur die nachfolgende Tatsache, dass Sesshoumaru seit Jahrhunderten eine Verlobte hatte und Kimie sich deshalb zur Zeit in der Neuzeit aufhielt, hatte besonders bei Akie nach der anfänglichen Freude für einen regelrechten Tobsuchtsanfall gesorgt. Während Kimie mit ihrem Vater gesprochen hatte, hatte sie ihre Mutter im Hintergrund lauthals über Sesshoumaru fluchen hören. Teilweise waren sogar Begriffe gefallen, die Kimie selbst Kagome gegenüber besser nicht hatte wiederholen wollen. Akie und Kimata hatten ihrer Tochter angekündigt, spätestens am nächsten Tag in Tokio zu sein.

Auf ihrem Weg zurück zum Higurashi-Schrein blieb Kimie irgendwann an einer Kreuzung stehen. Die Ampel hatte kurz zuvor auf Rot umgeschaltet.

>Ich frage mich… wie Sesshoumaru reagiert, wenn er davon erfährt…<, überlegte sie angespannt. Besonders ging in ihr die Frage um, wann er davon erfahren würde. Bisher hatte Kimie ja nicht gerade den Eindruck gehabt, als hätte Sesshoumaru schon Bescheid gewusst, als sie das Schloss verlassen hatte. Denn sonst hätte er sie bestimmt darauf angesprochen. So wortkarg konnte schließlich nicht mal Sesshoumaru sein!

Plötzlich und vollkommen unerwartet packte Kimie eine unbändige Wut, die sie im selben Augenblick an Ort und Stelle herausschreien musste: “Argh!! Der Blödmann soll mir meine Zeit, meine verliebten Blicke und mein gebrochenes Herz zurückgeben! Und meine Würde, die er mir so einfach gestohlen hat!”

Andere Passanten waren erschrocken zurückgewichen, wurden von Kimie aber gekonnt ignoriert. Ihre Wut verflog ebenso schnell wieder, wie sie gekommen war.

>Was mache ich hier überhaupt? Ich benehme mich, wie der hinterletzte Vollidiot…<

Gedankenverloren stand Kimie noch so lange an der Bordsteinkante, bis sie mehr nebenbei registrierte, dass keine Autos mehr fuhren. In ihrem Unterbewusstsein schloss sie daraus, dass die Ampel inzwischen auf Grün umgeschaltet hatte. Ohne sich noch zur Sicherheit davon zu überzeugen, setzte Kimie den ersten Fuß auf die Straße. Die verwirrten Blicke der anderen Passanten nahm sie überhaupt nicht wahr.

Sie war gerade mitten auf der Kreuzung angekommen, als das schrille Geräusch einer Autohupe und das Quietschen von Reifen Kimie wieder aus ihren Gedanken riss. Als sie aufschaute, erkannte sie, dass die Ampel nach wie vor auf Rot stand. Im Verkehr hatte es lediglich eine kleine Lücke gegeben. Kimies Herz schien kurzzeitig auszusetzen, als sie zeitgleich diesen monströsen Lastwagen wie ein gewaltiges Ungetüm direkt auf sich zurollen sah. Ihr entsetzter Schrei ging im tosenden Lärm des Straßenverkehrs unter. Im nächsten Moment spürte sie einen kräftigen Ruck.

Kimie hatte die Augen geschlossen und hielt sich mit den Händen die Ohren zu. Das plötzlich aufkommende Gefühl, sie würde schweben, bestärkte sie in der Annahme, dass sie wohl nicht länger auf dieser Erde weilte. Sie traute sich gar nicht, ihre Augen wieder zu öffnen. Hatte sie diese überhaupt geschlossen? Na ja, zumindest war es schnell gegangen…

“Unfassbar! Und dafür bist du extra hierher zurückgekommen?”

Kimie stutzte. Diese Stimme… Träumte sie vielleicht?

Vorsichtig öffnete sie ihre Augen. Vor lauter Schreck hielt sie den Atem an, als sie Sesshoumaru erkannte. Und nicht nur das: Er stand mit ihr auf dem Dach eines Hochhauses und hielt sie in den Armen.

“Eh?! A-Aber… Wa-Wa-Was… Was machst du denn hier?!”, brachte Kimie nur stotternd hervor.

Sesshoumaru bedachte sie mit seinem üblich kühlen Blick. “Eigentlich hatte ich eine etwas freudigere Begrüßung von dir erwartet, und keine Schockstarre.”

Ehe sie darauf etwas erwiderte, wagte Kimie es, einen vorsichtigen Blick hinunter auf die Straße zu werfen. Der Lastwagen war zum Stehen gekommen, ebenso wie einige andere Autos. Zum Glück schien es keinen Unfall gegeben zu haben. Allerdings herrschte unter einigen Autofahrern und Passanten augenscheinlich große Verwirrung im Bezug auf Kimies Verbleib. Der Fahrer des Lastwagens riskierte es sogar, unter seinem Fahrzeug nachzusehen, fand natürlich zu seiner eigenen Erleichterung jedoch nichts.

Kimie beschloss, besser nicht zu dieser Kreuzung zurückzugehen. Wie hätte sie ihre Rettung schließlich erklären sollen? Stattdessen schaute sie nun skeptisch zu Sesshoumaru hoch.

“Du hast meine Frage noch nicht beantwortet”, erinnerte sie ihn. “Verrätst du mir endlich, was du hier machst? Warum bist du überhaupt in dieser Zeit? Bist du mir etwa nachgeschlichen?”

Bevor er ihr antwortete, setzte Sesshoumaru sie erst einmal wieder ab. “Die Frage stellt sich so nicht. Wäre es dir lieber gewesen, ich wäre dir nicht gefolgt?”

“Hm…” Angesichts der Tatsache, dass sie jetzt wohl platt wie eine Flunder wäre, hätte er nicht eingegriffen, antwortete Kimie nicht auf diese Frage. Dieses mögliche Gefühl der Bestätigung wollte sie ihm auch wieder nicht geben.

“Trotzdem will ich wissen, was du hier zu suchen hast”, beharrte sie weiter.

Sesshoumaru verschränkte die Arme vor der Brust. “Es ist inzwischen zwei Wochen her. Es wird allmählich Zeit, dass du Vernunft annimmst und zurückkommst.”

Kimie zog eine Augenbraue hoch. “Vernunft annehmen? Zurückkommen? Einfach so? Was ist denn mit deinen Gästen?”

“Wenn du Aoshi und sein Gefolge meinst, sie sind noch im Schloss.”

“Dann lautet meine Antwort: Nein!”, kam es wie aus der Pistole geschossen von ihr, als sie zugleich den Blick demonstrativ von Sesshoumaru abwandte. “Offenbar hast du mich nicht richtig verstanden, Sesshoumaru. Ich setze keinen Fuß zurück in deine Ländereien oder gar in dein Schloss, bevor du nicht für klare Verhältnisse gesorgt hast!”

Da der Youkai schon mit so einer Reaktion gerechnet hatte, war er nicht allzu überrascht von Kimies Reaktion. Aber was sollte das mit den klaren Verhältnissen? Traute sie ihm etwa wirklich zu, dass er sie hintergehen und einfach fallen lassen könnte?

Sesshoumaru war eigentlich mit dem Vorhaben hergekommen, Kimie über alles aufzuklären. Auch, dass er Aoshi gegenüber deutlich gemacht hatte, dass er sie nicht gegen Saori “austauschen” wollte. Aber zunächst erwiderte er nur ruhig: “So einfach, wie du dir das vielleicht vorstellst, ist das nicht. Da du das Schloss verlassen hast, kursiert nun das Gerücht, dein Fortgang wäre endgültig. Und so lange du nicht zurückkommst, wird sich daran auch nichts ändern. Ich kann zwar mit Worten versuchen, das Gerede zu beenden, doch kehre ich ohne dich zurück, wird das nicht viel nützen. Ich ließ dich nur gehen, weil ich zu diesem Zeitpunkt dachte, es wäre besser für dich gewesen.”

Die Tatsache, dass die Gerüchte inzwischen sogar so sehr den Tagesablauf im Schloss bestimmten, dass ernste Spannungen unter den Inu-Youkai drohten, verschwieg Sesshoumaru ihr bewusst. Auch wollte er nicht gleich mit seinen Fragen, die er an sie hatte, auf sie einhämmern.

Kimie, die sich so gar nicht beeindrucken lassen wollte, verschränkte nun ebenfalls die Arme vor der Brust. “Seit wann bist du denn unter die Redner gegangen? Mach’s doch mit brachialer Gewalt, so wie früher. Da hast du doch auch gerne mal mit der Holzhammermethode das bekommen, was du wolltest. Hm… Außer Tessaiga…”

Früher hätte Sesshoumaru so eine Bemerkung vielleicht noch gejuckt, aber inzwischen war das längst nicht mehr so.

“Du hast Recht”, erwiderte er stattdessen nach einem Moment. “Ich würde die Sache auch anders zu einem Ende bringen, doch entscheide ich inzwischen längst nicht mehr allein für mich, wie es früher der Fall war. Als Herr des Westens trage ich die Verantwortung für meine Ländereien und besonders für meine Leute. Sicher, sie würden in den Kampf ziehen, wenn ich es von ihnen verlange, doch ist es meine oberste Pflicht, unnötige Kämpfe zu verhindern, wenn dies möglich ist.”

Kimie war von diesen Worten nun doch ziemlich überrascht. So hatte sie Sesshoumaru bisher noch gar nicht sprechen hören. Zumindest konnte sie sich an nichts derartiges erinnern. Es war irgendwie seltsam. Obwohl er im Grunde schon damals beim Kampf gegen die Ryû-Youkai dieses Verantwortungsbewusstsein für seine Leute an den Tag gelegt hatte. Nur war dieser damalige Kampf unvermeidbar gewesen. Im Gegensatz zur gegenwärtigen Situation…

Kimie senkte den Blick. “Tut mir Leid, dass du dich extra herbemüht hast… Aber ich werde hier bleiben.”

Dadurch, dass sie momentan zu Boden schaute, sah Kimie Sesshoumarus kurzzeitig recht verwirrtes Gesicht nicht. Doch vernahm sie dafür umso deutlicher seine folgende Fragen: “Was soll das heißen? Hast du mir eben nicht zugehört?”

“Doch! Ich habe sehr wohl zugehört, aber momentan kann und will ich nicht für alles Verständnis haben”, konterte Kimie fast schon trotzig. “Ich verstehe deinen Standpunkt, Sesshoumaru, aber was ist mit dir? Verstehst du meinen denn auch? Was soll ich deiner Meinung nach tun? Zurückkommen und im stillen Kämmerlein hocken, bis hoffentlich endlich mal irgendwann alles geklärt und geregelt ist? Vielleicht können Youkai das ja, ich aber nicht! Und vor allem nicht jetzt!”

An diesem Punkt sprach Kimie erst einmal nicht weiter. Kurz spielte sie mit dem Gedanken, Sesshoumaru die ganze Wahrheit zu verraten, entschied sich dann aber dagegen. Jedoch befürchtete sie, dass Sesshoumaru allein aus ihren letzten Worten schließen könnte, was eigentlich Sache war. Glücklicherweise schien dies nicht der Fall gewesen zu sein. Zumindest hakte er nicht weiter nach.

“Nun gut”, sagte er letztendlich. “Ich zwinge dich nicht zur Rückkehr. Mach, was du willst.”

Diesen Ton kannte Kimie nur zu gut. Es war der selbe, den sie schon von früher her kannte. Dieser typisch unnahbare Unterton in Sesshoumarus Stimme… Aber er klang auch irgendwie beleidigt.

Ein Seufzen unterdrückend, wollte Kimie nun besser gehen. Also steuerte sie geradewegs auf die Tür zu, die zum Treppenhaus des Hochhauses führte, auf dem sie sich befanden. Zumal das Gespräch ohnehin beendet zu sein schien, denn Sesshoumaru hielt sie nicht auf. Als Kimie den Türknauf zu fassen bekam, stellte sie allerdings rasch fest, dass die eiserne Tür fest verschlossen war. Der einzige Weg nach unten war für sie somit versperrt. Noch zwei, drei Mal rüttelte sie am Knauf, aber selbstverständlich tat sich nichts.

>Typisch! Das war ja mal wieder so was von klar…< Kimie wagte es nicht, sich in diesem Augenblick ein weiteres Mal zu Sesshoumaru umzudrehen. Ob er in diesem Moment wohl so etwas wie Genugtuung empfand?

“Hey…”, war schließlich ihre knappe Ansprache an den Youkai, ehe sie etwas peinlich berührt murmelte: “Danke für die Rettung von vorhin, aber sei wenigstens noch so nett und schaff mich wieder von diesem Dach hier runter.”

Zeit des Wartens

Den Gefallen, sie wieder von dem Hochhaus zu schaffen, hatte Sesshoumaru Kimie nicht abgeschlagen, denn er hätte sie ja schlecht da oben versauern lassen können. Zum Glück gab es auf der anderen Seite des Gebäudes eine schmale Seitenstraße, in die sich so gut wie nie ein Mensch verirrte. Genau dort war Sesshoumaru mit Kimie hinunter gesprungen, ehe sie sich wieder unter die Leute mischten, um sich auf den Rückweg zum Schrein zu machen.

Kimie wäre es allerdings lieber gewesen, wäre Sesshoumaru vielleicht schon vorgegangen. Das lag weniger daran, dass sie ihn gerade nicht unbedingt in ihrer Nähe haben wollte, sondern viel mehr an der Aufmerksamkeit, die er auf sich zog. Während Sesshoumaru diese Tatsache gekonnt ignorierte, fühlte sich Kimie von allen Seiten beobachtet. Besonders peinlich waren ihr die für Sesshoumaru bestimmten schwärmerischen Blicke der Oberschülerinnen, deren Heimwege von der Schule die beiden kreuzten. Die erwachsenen Mitbürger schienen hingegen mehr darüber zu rätseln, von welchem Filmset oder welcher Kostümveranstaltung der Youkai entwischt war.

“Du hättest auch schon vorgehen können”, flüsterte Kimie ihm irgendwann zu.

“Wenn ich nicht auf die aufpasse, kommst du möglicherweise nur wieder in Schwierigkeiten”, konterte Sesshoumaru jedoch nur unbeeindruckt.

Kimie zog beleidigt eine Schnute. “Ich habe eher den Eindruck, dass ich gerade wegen dir überhaupt erst Schwierigkeiten bekomme…”

“Sieh es von mir aus, wie du willst.”

Typisch! Es hätte sie auch sehr gewundert, wenn er ernsthaft auf ihre Bemerkung eingegangen wäre.

“Warst du eigentlich zuerst noch bei Kagome zu Hause oder bist du mir auf direktem Weg gefolgt?”, fragte Kimie irgendwann.

“Ich war nicht in dem Haus, falls du das meinst”, antwortete Sesshoumaru ihr sogleich. “Aber ich weiß, dass deine Eltern da sind. Das war es doch sicher, was du mir noch sagen wolltest, habe ich Recht?”

“Uhm… Ja, richtig”, bestätigte sie ihm. “Und vielleicht wäre es besser, wenn du auf direktem Weg zurück in deine Zeit gehst.”

“Ich schließe aus deiner Bemerkung, dass du deinen Eltern alles erzählt hast.”

“Soll das ein Vorwurf sein? Was dachtest du denn? Ich habe keine Geheimnisse vor meinen Eltern.”

“Dennoch hattest du ihnen damals nichts von mir erzählt.”

“Meine Güte! Das war doch zu dem Zeitpunkt was vollkommen Anderes!”

Sesshoumaru schwieg einen Augenblick lang, hatte aber nach wie vor diesen leicht affektiert wirkenden Blick aufgesetzt. “Ihr Menschen seid wirklich seltsame Geschöpfe. Ich werde euer Verhalten wohl nie ganz verstehen.”

“Dito!” Kimie verschränkte die Arme vor der Brust. “Wie auch immer, momentan sind meine Eltern, besonders meine Mutter, nicht gerade gut auf dich zu sprechen. Zu verschweigen, dass man eine Verlobte hat, während man zugleich in einer anderen Beziehung steckt, gilt unter Menschen nicht gerade als vorbildliches Verhalten. Die meisten von uns schätzen hierzulande nämlich die Monogamie.”

“Ich habe dir doch gesagt, das ist alles ein Missverständnis.”

“Und trotzdem sind die Füchse immer noch da. Haben die auf einmal kein Zuhause mehr?”

Einen Moment lang schwieg Sesshoumaru, während er Kimie eingehend beäugte. “Du verhältst dich in letzter Zeit ziemlich irrational.”

“Wie war das?! Wer bitte ist hier irrational?!”, brach es urplötzlich wutentbrannt aus ihr heraus. Direkt danach wäre sie vor Scham am liebsten im Boden versunken, als sie sich der verdutzten Blicke der anderen Leute bewusst wurde. Zunächst stillschweigend und die Augen auf den Boden gerichtet ging sie nun weiter neben Sesshoumaru her. “Irrational… Du warst auch nicht besser, als die Füchse angekommen waren. Ich durfte mich allein mit dieser blöden Harumi und ihren abfälligen Kommentaren herumschlagen, während du nur daneben gestanden hast, als ginge dich das alles nichts an.”

“Möchtest du schon wieder mit dieser leidigen Geschichte anfangen?”, entgegnete Sesshoumaru, als wäre er sich keiner Schuld bewusst. Das wiederum entfachte Kimies Ärger nur noch mehr.

“Oh! Entschuldige bitte, dass ich dich damit belästige! Dann sage ich eben nichts mehr!”, entgegnete sie beleidigt und wandte demonstrativ den Blick von ihm ab.

Sesshoumaru hatte dafür nur ein Kopfschütteln übrig. Er versuchte, sich zu erinnern, ob er Kimie schon mal so zickig erlebt hatte. Dass sie ihre Macken hatte, war ihm ja von Anfang an klar gewesen, aber das hier…

Kimie hingegen war sich nicht sicher, wie sie sich weiter verhalten sollte. Teilweise kam sie sich in ihrem Tun ja selbst etwas bescheuert vor. Aber andererseits wollte sie sich das nicht so recht eingestehen. Im Grunde war sie ja eigentlich froh darüber, dass Sesshoumaru da war. Durch die Tatsache, dass sie so lange praktisch pausenlos mit ihm zusammen gewesen war, waren ihr die letzten zwei Wochen fast wie eine halbe Ewigkeit vorgekommen. Aber sie konnte es ihm nicht einfach so sagen, obwohl sie es gerne tun wollte. Also schwieg sie weiter.

Auf ihrem Weg kamen die beiden auch an einer Apotheke vorbei. Und obwohl sich Kimie im Bezug auf ihre Umstände sehr sicher war, wollte sie dennoch die hundertprozentige Gewissheit haben. Zumal ihre Mutter ihr das zuvor auch nahe gelegt hatte. Aber was sollte sie mit Sesshoumaru machen? Sie konnte ihm ja schlecht gestatten, mit ihr in das Geschäft zu gehen. Dann würde er ja alles erfahren. Da entdeckte Kimie etwas am Schaufenster der Apotheke kleben und ihr kam die möglicherweise rettende Idee.

“Moment! Ich will da noch was kaufen”, verkündete sie an Sesshoumaru gerichtet, ehe sie auch schon schnurstracks zu ihrem Ziel marschierte. Nachdem sich die automatischen Türen geöffnet hatten, drehte sich Kimie augenblicklich und mit ausgestreckter rechter Hand zu dem Youkai um, der gerade dabei gewesen war, ihr zu folgen. “Halt! Du wirst hier draußen bleiben!”

Verdutzt blieb Sesshoumaru stehen. “Wieso sollte ich das tun?”

“Nun, deswegen.” Kimie deutete auf einen Aufkleber, der gut sichtbar am Schaufenster angebracht war. Auf diesem stand “Hunde warten bitte draußen”.

Zunächst schien Sesshoumaru den Zusammenhang zwischen sich und diesem Aufkleber nicht nachvollziehen zu können, aber dann viel es ihm wie Schuppen von den Augen. Und Kimies belustigt wirkendes Gesicht schien ihn in seiner stillen Vermutung zu bestätigen, dass sie sich über ihn amüsierte. Vergnügt zwinkerte sie ihm zu. “Also, sei schön artig.”

Artig? Wie redete sie denn mit ihm? Als wäre er ihr Haustier! Aber bevor Sesshoumaru wieder das Wort ergreifen konnte, war Kimie schon durch die automatischen Türen in der Apotheke verschwunden. Sesshoumaru war noch eine Weile sprachlos. Noch nie hatte er erlebt, dass ihm der Zugang zu einem Ort auf so dreiste Art und Weise verweigert worden war. Seine anfängliche Fassungslosigkeit verflog jedoch rasch, als er sich daran erinnerte, dass sich Kimie solche Späße früher immer wieder mal erlaubt hatte. Als noch alles in Ordnung war… Kam er etwa doch wieder langsam an sie ran?

Wie es der Zufall wollte, saß angebunden vor dem Geschäft bereits ein weißer Akita Inu, der auf sein Herrchen wartete. Und eben dieser Hund schaute schon die ganze Zeit interessiert zu Sesshoumaru hoch.

“Und auf wen wartest du?”, fragte Sesshoumaru nach einem ersten Moment des stillschweigenden Augenkontakts.

Der Akita Inu schaute daraufhin durch das Schaufenster in die Apotheke, in welcher sich neben Kimie nur noch ein schon älterer Herr aufhielten. Als der Mann kurz darauf wieder durch die Tür nach draußen kam, wurde er bereits freudig von seinem treuen Gefährten erwartet. Liebevoll sprach der Mann mit seinem Hund, ehe er ihn losband und sich gemeinsam mit ihm im gemächlichen Tempo auf den Heimweg machte.

Sesshoumaru sah den beiden noch einen Moment lang nach. Die Tatsache, dass Hunde so selbstverständlich unter der Obhut der Menschen lebten, kam ihm nach einiger Überlegung doch etwas befremdlich vor. Er wurde erst wieder aufmerksam, als Kimie schließlich vor ihm stand.

“Hast du was? Wo schaust du denn hin?”, fragte sie ihn zunächst, ehe sie seinem Blick folgte. “Oh! Ein Akita Inu! Hast du mit ihm etwa Smalltalk gehalten?”

“Ob ich was?”

“Ach, schon gut”, winkte Kimie ab. “Wenn du immer noch mit zum Schrein möchtest, dann lass uns gehen.”
 

Gut zehn Minuten später kamen Kimie und Sesshoumaru an ihrem Ziel an.

“Ich bin wieder da!”, kündigte sich Kimie an, nachdem sie die Haustür geöffnet hatte. Sofort kam ihre Mutter in den Flur.

“Kimie! Schön, dass du zurück… Hm?” Als Akie nun Sesshoumaru entdeckte, verfinsterte sich ihre zuvor erheiterte Miene abrupt. “Was macht der denn hier?”

“Wir haben uns in der Stadt getroffen”, erklärte Kimie kurz. Die genaueren äußeren Umstände wollte sie erst mal außen vor lassen.

“Ach! Jetzt ist er also auch noch ein Stalker, ja? Kimata, schau dir das an! Der treulose Hund scheint sich nun doch nach seinem Frauchen zu sehnen.”

“Mama!” Selbst Kimie war doch etwas schockiert, angesichts der Wortwahl ihrer Mutter. Allerdings schien sich Sesshoumaru von der Frau nicht provozieren lassen zu wollen.

“Ich habe dich ja schon öfter auf seine Ausdrucksweise angesprochen, die du hin und wieder an den Tag legst”, sprach er Kimie zunächst an, ehe er sich ihrer Mutter zuwandte. “Zumindest gibt es keinerlei Zweifel daran, woher du sie hast.”

“Werden Sie jetzt bloß nicht pampig!”, ermahnte Akie ihn erbost und mit demonstrativ vor der Brust verschränkten Armen. “Ich habe Ihnen meine Tochter unter der Voraussetzung anvertraut, dass Sie immer gut auf sie aufpassen und sie nicht unglücklich machen, und was ist am Ende dabei herausgekommen? Eine Verlobte, von der Sie ihr nie auch nur ein Sterbenswort erzählt haben! Wollten Sie sich etwa Stück für Stück einen ganzen Harem aufbauen?”

Inzwischen war auch Kimata in den Flur getreten. “Vielleicht lassen wir die beiden erst einmal reinkommen und sich setzen. Was hältst du davon, Schatz?”

“Pah! Wenn’s nach mir ginge, gehört der Kerl vor die Tür!” Mit wehendem Haar rauschte Akie zurück ins Wohnzimmer.

Kimie seufzte leise, während Kimata nun auf sie und Sesshoumaru zukam. “Kimie, geh doch bitte auch schon mal ins Wohnzimmer, okay?”

“Mh… Ist gut.” Sie vermutete schon, dass ihr Vater wohl kurz mit Sesshoumaru sprechen wollte. Und genau das tat er auch, nachdem seine Tochter fort war.

“Ich entschuldige mich für die Ausdrucksweise meiner Frau”, begann Kimata ruhig, aber dennoch ernst. “Trotzdem kann ich sie verstehen. Und ehrlich gesagt, bin ich auch nicht sonderlich erfreut über das, was Kimie uns erzählt hat. Allerdings bin ich gerne dazu bereit, mir auch Ihre Sicht der Dinge anzuhören.”

Normalerweise würde sich Sesshoumaru nicht mal im Traum dazu herablassen, sich vor einem Menschen zu rechtfertigen, aber dies war ein anderer Fall, und dessen war er sich bewusst.

“Diese Verlobung wurde einst von meinen Eltern mitarrangiert. Ich habe dem nie meine Zustimmung erteilt, und das habe ich Kimie auch so gesagt”, erklärte der Youkai ohne etwas von seiner Seriosität einzubüßen.

Kimata war doch sehr beeindruckt von der Tatsache, dass Sesshoumaru so vollkommen ruhig blieb und dabei keine Miene verzog. “Wie dem auch sei. Ich schlage vor, wir besprechen den Rest im Wohnzimmer.”

Er deutete Sesshoumaru an, ihm zu folgen, was dieser auch sogleich tat. Obwohl es ihm doch etwas widerstrebte, der Anweisung so ohne weiteres zu folgen.

Noch bevor die beiden das Wohnzimmer betreten hatten, nahm Sesshoumaru einen sehr vertrauten Geruch war. Seinen Stimmungspegel hob dieser jedoch nicht gerade an. Und als er mit Kimata am Wohnzimmer ankam, fiel der Blick des Youkai sofort auf seinen Halbbruder.

“Du bist hier, Inu Yasha?”, fragte Sesshoumaru den Hanyou, der mal wieder wie so oft mit dem Kater Buyo spielte, herablassend.

Inu Yasha würdigte den Älteren keines Blickes, als er erwiderte: “Hey! Ich bin nur hier, weil ich Kagome besuchen wollte. Konnte ja keiner ahnen, dass du dich ebenfalls hierher verirrst. Ich dachte eher, du hockst nach wie vor im stillen Kämmerlein deiner Raubritterburg. Willst wohl Kimie anbetteln, dass sie doch zu dir zurückkommt, was?”

“Du wagst es?!”

“Was denn? Willst du Streit? Dann komm doch her!”

“O nein! Das werdet ihr nicht tun! Osuwari!”, kam es sofort von Kagome, die gleich aus der Küche gestürmt war, nachdem sie die drohende Eskalation bemerkt hatte.

Inu Yasha hingegen war nicht gerade begeistert davon, dass er mal wieder der Einzige war, der sozusagen “bestraft” wurde.
 

* ~ * ~ * ~ *
 

Während Sesshoumaru sich in der Neuzeit aufhielt, machte sich in den Reihen der Füchse, die sich nach wie vor in den westlichen Ländern aufhielten, langsam aber sicher Ungeduld breit. Es war ein offenes Geheimnis, dass Sesshoumaru fort gegangen war, um seine Gefährtin aufzusuchen und viele der Kitsune empfanden dies in gewisser Weise als Beleidigung gegenüber ihrer Prinzessin Saori. Diese wiederum schien nach außen hin keinerlei Einblick im Bezug auf ihre Sicht der Dinge gewähren zu wollen.

Bei anderen hingegen überwog allmählich die Langeweile. Besonders bei Kuro, dem obersten General Fürst Aoshis. Schon bevor Sesshoumaru sein Schloss verlasse hatte, hatte sich Kuro öfters in der umliegenden Gegend herumgetrieben. Doch mit Sesshoumarus Abwesenheit schien er es nicht lassen zu wollen, sich auch etwas weiter vom Schloss zu entfernen. Zwar wurde dies von einigen der Inu-Youkai mit Argwohn beobachtet, allerdings konnten sie Kuro schlecht daran hindern. Denn immerhin waren die Füchse ja keine Gefangenen.

“Ein komischer Typ… Ich kann ihn irgendwie nicht leiden”, murmelte Subaru misstrauisch in sich hinein, nachdem er gemeinsam mit Ashitaka das Weggehen des Generals beobachtet hatte.

Ashitaka verschränkte die Arme hinter dem Kopf. “Kakeru hat mir erzählt, bei der Unterredung mit Sesshoumaru und Aoshi-sama soll dieser Kuro sich mehrmals eingemischt haben. Und mit seinen Kommentaren hat er Sesshoumarus Geduld wohl ziemlich strapaziert.”

“Dann hätte Sesshoumaru-sama ihn am besten gleich zeigen sollen, wo sein Platz ist.” Subaru wandte sich zum Gehen um. “Ich geh auf mein Zimmer.”

“Warte noch kurz, Subaru!”, bat Ashitaka ihn. “Ich habe gehört, du hattest Ärger mit Yutaro und Tôru. Tôya hatte etwas in der Art erwähnt.”

Subaru war nicht überrascht darüber, dass Ashitaka trotz Tôyas Versprechen auf Stillschweigen von dieser Sache wusste. Immerhin waren Tôya und Ashitaka beste Freunde.

“Das ist kaum der Rede wert”, entgegnete Subaru abwinkend. “Ihr wisst es doch selbst, solche Raufereien kommen immer wieder mal vor. Was wäre ich für ein Krieger, wenn ich deswegen gleich in Tränen ausbrechen würde?”

Angesichts des letzten scherzhaft gemachten Kommentars musste Ashitaka doch amüsiert lächeln. “Schon klar, ich wollte auch nur mal nachgefragt haben. Na gut, man sieht sich.”

Subaru verbeugte sich leicht. Weder er noch Ashitaka bemerkten, dass in diesem Moment auch Taiga das Schlossgelände durch das Tor verließ.
 

“Unverschämtes Volk! Ich fasse es nicht, wie man uns behandelt! Glauben diese Köter vielleicht, sie wären was Besseres?”

Die Beschwerden ihrer jüngeren Schwester gekonnt außer Acht lassend, nahm Saori die Blumen im Schlossgarten in Augenschein. “Schau nur, wie wunderschön diese Farben sind! Findest du das nicht auch, Harumi?”

“Onee-sama!? Wie kannst du nur so ruhig bleiben?”, empörte sich Harumi aber nur.

Saori bewahrte sich ihre erhabene Haltung als sie entgegnete: “Reg dich nicht auf, kleine Schwester. Das schickt sich nicht für eine Prinzessin.”

Harumi unterdrückte ein genervtes Seufzen. “Ich verstehe dich einfach nicht! Dein Verlobter macht sich aus dem Staub, um nach diesem Weib zu suchen, dass sich zwischen dich und ihn gestellt hat, und du hast nichts dazu zu sagen?”

“Nun übertreib mal nicht. Sesshoumaru-sama und ich haben uns gerade mal kennen gelernt. Lag es wirklich in deiner Erwartung, dass wir uns sehen und gleich wäre alles perfekt?”

“Dann willst du mir also erzählen, dass du solche Probleme vorausgeahnt hast?”

“Sesshoumaru-sama ist immerhin ein besonderer Mann. Hast du wirklich geglaubt, er wäre bis zum heutigen Tage keusch geblieben?”

Das kokette Lächeln ihrer Schwester ließ Harumi die Schamesröte in die Wangen schießen. “Aber, Onee-sama!”

Saori lachte erheitert. “Nun guck nicht so entgeistert! Weißt du, ich sehe diese ganze Sache nicht so verbissen. Mal abgesehen davon glaube ich nicht, dass Sesshoumaru-sama mir gegenüber zugetaner wäre, würde ich ihn allzu sehr bedrängen.”

Harumi unterließ es, noch weiter über dieses Thema zu reden. Offenbar hatte Saori diesbezüglich andere Ansichten als sie. Die jüngere Prinzessin schaute sich kurz um. “Wo ist eigentlich Taiga? In letzter Zeit verschwindet er immer von einem Moment auf den anderen.”

“Ja, das ist mir auch schon aufgefallen. Aber wenn ich ihn immer gefragt habe, wo er war, ist er mir ausgewichen. Das finde ich schon irgendwie seltsam.”

“Hast du Vater darauf schon angesprochen?”

“Nein. Aber das sollte ich wohl besser tun. Am besten so schnell wie möglich.” Saori wandte sich zum gehen um.

Während ihre Schwester den Fürsten aufsuchen wollte, verblieb Harumi noch ein wenig im Garten. Ihr wollte nicht in den Kopf, weshalb Saori im Bezug auf das drohende Scheitern ihrer Hochzeit so ruhig und gelassen bleiben konnte. War ihr all das etwa egal?

Mittendrin in ihren Überlegungen fiel Harumi plötzlich Yukina ins Auge, die in einiger Entfernung am Schloss entlangging. Kurz entschlossen machte die Prinzessin das Mädchen auf sich aufmerksam, woraufhin dieses sogleich zu ihr ging.

“Was gibt es, Prinzessin?”, fragte Yukina unbefangen, was ihr aber umgehend eine scharfe Ermahnung einbrachte.

“Zunächst einmal wartest du, bis ich dich was frage, bevor du auch nur ein Wort an mich richtest. Und außerdem hast du den Kopf zu neigen und mich nur anzusehen, wenn ich es gestatte. Als Dienstmädchen solltest du das eigentlich wissen.”

Die verwirrte Yukina senkte beschämt den Blick. “Verzeihung. Es ist nur… Sesshoumaru-sama besteht mir gegenüber nicht so beharrlich auf solche Förmlichkeiten.”

“Willst du mich etwa zurechtweisen mit dieser Bemerkung?”, unterstellte Harumi ihr sofort. “Mir scheint, dein Herr lässt dir zu viel durchgehen. Wie bist du zum Dienstmädchen geworden? Du erscheinst mir mehr als unpassend für diese Arbeit. Antworte!”

“Ich… Mein Familie ist tot und… der ehrwürdige Vater von Sesshoumaru-sama war so gütig, sich meiner anzunehmen. Als er starb und sein Sohn fort ging, hat sich Kakeru-sama um mich gekümmert.”

“Ach, aber deine Erziehung ist dabei wohl etwas auf der Strecke geblieben, wie mir scheint.”

So unwohl hatte sich Yukina noch nie in der Gegenwart einer anderen Person gefühlt. Dummerweise war gerade auch keiner in der Nähe, der ihr hier wieder hätte raus helfen können.

“Prinzessin”, begann Yukina schließlich vorsichtig. “Wenn Ihr sonst nichts von mir möchtet, würde ich mich gerne wieder zurückziehen.”

“Nun werde mal nicht unverschämt!”, erwiderte Harumi streng. “Wenn ich von dir verlangen würde, hier einfach stehen zu bleiben, hättest du dem ohne Widerworte Folge zu leisten. So lange, bis ich dir erlauben würde, zu gehen. Hast du mich verstanden?”

“Aber… ich wollte doch nur…”

“Das ist mir egal! Wage es nicht, mir zu widersprechen, du dummes Ding!”

Als die Prinzessin einen Schritt auf sie zumachte, wich Yukina reflexartig zurück. Was sollte sie jetzt tun?

“Prinzessin Harumi, ich muss doch sehr bitten!”

Sowohl Harumi als auch Yukina horchten auf. Ungeachtet ihrer überraschten Gesichter schritt Subaru nun gezielt auf sie zu und stellte sich zwischen die beiden. Dabei nahm er zugleich Yukina ein wenig zur Seite.

Nachdem Harumi den ersten Schock verdaut hatte, ließ sie ihren Unmut sogleich an Subaru aus: “Flegel! Wie kannst du es wagen, mich zu ermahnen?!”

“Das Gleiche könnte ich Euch fragen”, konterte der Youkai aber nur unbeeindruckt. “Ihr seid hier nicht bei Euch zu Hause. Vergesst nicht, dass Ihr und Eure Familie hier im Schloss Gäste seid. Euer Ton gegenüber Yukina ist mehr als unangebracht.”

Harumi hatte Mühe, ihre Entrüstung zu verbergen. “Du… du traust dich das doch nur, weil dein Herr nicht hier ist!”

“Selbst, wenn Sesshoumaru-sama hier wäre, würde das für mich keinen Unterschied machen. Außerdem bezweifle ich es doch sehr, dass er Euer Verhalten toleriert hätte. Wenn Ihr uns nun entschuldigen wollt.” Subaru legte die Hand auf Yukinas Schulter. “Gehen wir. Komm.”

Harumi war derartig überrumpelt, dass sie es glatt versäumte, darauf noch etwas zu erwidern. So musste sie die beiden ohne einen erneuten Wortwechsel ziehen lassen. Ihre Wut schürte das aber nur noch mehr. “Köter… Das bereust du noch! Verlass dich darauf!”

Nur hatten weder Subaru noch Yukina diesen leisen Fluch noch vernommen. Und vermutlich wäre dieser an Subaru ohnehin spurlos vorübergegangen.

Nachdem sie zunächst stillschweigend nebeneinander her gegangen waren, richtete Yukina zögerlich das Wort an ihren Helfer: “Uhm… Vielen Dank, dass Ihr mir geholfen habt, Subaru-sama.”

Subaru lächelte leicht. “Sei nicht so förmlich. Ich bin ein ganz gewöhnlicher Krieger und kein Hauptmann oder dergleichen.”

Als hätte er sie mit seinen Worten kritisiert, senkte Yukina abermals den Blick zum Boden.

“Was ist?”, fragte Subaru sie sogleich. “Sitzt dir der Schreck von eben noch in den Gliedern?”

“Äh… Ja, ein wenig…”

“Kann ich irgendwie verstehen. Diese Prinzessin ist nicht gerade ein angenehmer Umgang.”

“Wird… Sesshoumaru-sama nicht böse auf Euch sein, wenn er erfährt, was Ihr zu Prinzessin Harumi gesagt hat?”, fragte Yukina verunsichert. Zudem fürchtete sie, dass diese Sache auch für sie noch ein Nachspiel haben könnte. Immerhin war ihre Ungeschicklichkeit augenscheinlich der Auslöser gewesen.

Doch Subaru schien die Ruhe selbst zu sein. “Mach dir mal wegen mir keine Sorgen, Yukina. Selbst, wenn er mich deswegen maßregeln sollte, es wäre nicht das erste Mal, dass ich wegen irgendwas Schelte kriege.”

Yukina blieb zunächst verdutzt stehen, seufzte dann aber schwer. “Ihr seid immer so ruhig und beherrscht. Ich beneide das irgendwie...”

Subaru, der ebenfalls stehen geblieben war, lächelte ihr aufmunternd zu. “Sei beruhigt. Falls das wirklich ein Nachspiel haben sollte, lege ich ein gutes Wort für dich ein.”

Abrupt schreckte Yukina hoch. “Oh! Denkt bitte nicht von mir, ich würde mich nur um mich sorgen!”

“Ha, ha! Das tu ich nicht. Keine Sorge.”

Yukina zupfte nervös am Saum der Ärmel ihres Kimonos herum. Ihr fiel etwas ein, was Miyuki zu ihr gesagt hatte, kurz nachdem sie von ihrer heimlicher Schwärmerei für Subaru erfahren hatte: “Warte nicht eine halbe Ewigkeit darauf, bis ein Prinz auf einem weißen Pferd angeritten kommt, bloß weil du ein Mädchen bist! Schwing dich lieber selbst aufs Pferd und suche dir deinen Prinzen!”

Eigentlich hatte Miyuki selbst diesen Spruch auch nur mal von Kimie aufgeschnappt, empfand ihn aber wohl für passend im Bezug auf Yukinas aktuelle Gefühlswelt. Doch je länger sie darüber nachdachte, umso mehr ging bei Yukina das ohnehin schon eher gering vorhandene Selbstvertrauen flöten. Ihr Herz pochte derart heftig, dass sie das Gefühl bekam, es wollte ihr gleich aus der Brust springen.

“Nein! Das kann ich nicht! Das kann ich einfach nicht!”, brach es plötzlich aus ihr heraus, was ihr von Subarus Seite einen mehr als einen verwirrten Blick einbrachte.

“Was ist los? Was kannst du nicht?”

“Waah! Ach, gar nichts! Gar nichts! Lasst nur!”, entgegnete Yukina hastig. “Ich… geh mal besser zurück an meine Arbeit. Vielen Dank noch mal für Eure Hilfe. Einen angenehmen Tag noch.” Sie verbeugte sich und eilte dann in Windeseile davon.

Zurück blieb ein ziemlich verdutzt dreinschauender Subaru. “Hm? Komisches Mädchen… Habe ich vielleicht was Falsches gesagt?”

Über diese Frage grübelte er auch noch Stunden später.
 

In der Zwischenzeit hatte sich Kuro bereits ziemlich weit vom Schloss entfernt.

“Welch ein beschaulicher Ort. Wie sind die Inu-Youkai nur an diese Ländereien gekommen?” Der ungerührte Blick des obersten Generals der Füchse schweifte über das sich vor ihm befindliche Schlachtfeld. Mehr als vier Dutzend Soldaten und ihre Pferde lagen tot im vom Blut rot gefärbten Gras. “Tse! Offenbar lassen diese Hunde solches Kleinvieh nach wie vor ungehindert durch ihr Territorium ziehen. Wie töricht!”

Kuro säuberte die blutverschmierte Klinge seines Schwertes mit einem Tuch und ließ dieses dann achtlos zu Boden fallen, bevor er seine Waffe wieder einsteckte. Es war purer Zufall, dass sein Weg sich mit dem dieser Menschen gekreuzt hatte. Kaum, dass sie ihn gesehen hatten, hatten sie ihn angreifen wollen. Ein für Menschen ziemlich typisches Verhalten, wie Kuro fand. Für ihn war es keine große Herausforderung gewesen, sich seiner Widersacher schnell zu entledigen. Es war vielmehr so, als hätte man ein paar lästige Fliegen zerquetscht.

Gerade, als Kuro sich abwenden wollte, erregten Schritte hinter seinem Rücken seine Aufmerksamkeit.

“Verrate mir mal, was du hier machst, Kuro. Du vergisst offenbar, wo du dich hier befindest. Dies sind nicht unsere Ländereien. Du kannst hier nicht einfach tun und lassen, was dir beliebt.”

Kuro drehte sich um und verneigte sich vor seinem Prinzen, der soeben auf die Lichtung getreten war. “Wen haben wir denn da? Ich habe mich nur um das Ungezieferproblem unserer Gastgeber gekümmert, Taiga-sama. Außerdem sind sie selber Schuld. Hätten sie mich in Ruhe gelassen, dann hätten sie nicht büßen müssen. Allerdings haben diese Typen wirklich nicht viel ausgehalten. Ich bin nicht mal richtig warm geworden.”

Taiga kam einige Schritte näher, während er sich weiter umblickte. “Du hast dich an ihnen schon genug ausgetobt, Kuro. Man muss sich hier nur mal umschauen.”

Kuro jedoch zeigte sich weiterhin uneinsichtig. “Ich habe mir nichts vorzuwerfen. Die sind doch selbst Schuld, wenn sie der Meinung sind, mich angreifen zu wollen. Menschen sind unverbesserliche, dumme Geschöpfe. Sie verstehen erst, dass sie verloren haben, wenn es schon zu spät ist. Primitives Gesindel! Warum lassen die Inu-Youkai dieses Pack überhaupt ungeschoren durch ihre Ländereien ziehen?”

“Das hat uns nicht zu kümmern. Es geht uns nämlich nichts an.”

“Das sehe ich ein wenig anders. Eure Schwester ist doch immerhin die Verlobte von Sesshoumaru-sama. Was, wenn sie erst mal mit ihm verheiratet sein wird?”

“Das sehen wir dann. Wie hast du dir das überhaupt vorgestellt? Sollen sie alle hier auf dieser Wiese einfach verrotten? Kein schöner Anblick, wenn du meine Meinung hören willst.”

Dass er von den Kommentaren des Prinzen mehr gelangweilt als eingeschüchtert war, verbarg Kuro gekonnt. Stattdessen erzeugte er nun mit der linken Hand eine tiefblaue Flamme, die er kommentarlos mitten auf das Schlachtfeld warf. Kaum, dass das Feuer den Boden berührte, griff es rasch auf alle toten Körper über, verbreitete sich aber darüber hinaus nicht weiter.

“Das Feuer erlischt von selbst wieder. Und wenn das geschehen ist, lässt sich außer Asche hier nichts weiter finden. So schnell kann man aufräumen. Fühlt Ihr Euch jetzt besser, junger Herr?”

Taiga schenkte der etwas provokanten Frage des Generals keine konkrete Antwort. “Ich glaube nicht, dass Sesshoumaru-sama gerne sehen würde, was du hier treibst.”

“Wenn ich den ganzen Tag lang nur in diesem Schloss meine Zeit vergeude, werde ich noch schwachsinnig. Außerdem glänzt der große Lord momentan doch ohnehin mit Abwesenheit.”

“Trotzdem.” Der Ton in Taigas Stimme wurde schärfer. “Verhalte dich besser ruhiger.”

Und wenngleich der Prinz sich nicht genauer ausdrückte, wusste Kuro doch ganz genau, dass er besser nicht widersprach. Stattdessen neigte er nun leicht das Haupt in Taigas Richtung. “Wenn Ihr es wünscht, mein Prinz.”
 

* ~ * ~ * ~ *
 

Die ersten Stunden ihrer Rückkehr aus der Stadt hatte Kimie weitestgehend damit zugebracht, Sesshoumaru und insbesondere ihre Mutter zu beobachten. Während Sesshoumaru wie gewohnt unbeeindruckt und distanziert auftrat und ohne entsprechende Aufforderung eigentlich so gut wie kein Wort sprach, schien Akie innerlich zu kochen. Dabei verkniff sie sich offenbar so einige bissige Kommentare, die sie dem Youkai wohl nur zu gerne um die Ohren gehauen hätte.

Um der frostigen Stimmung zumindest eine Zeit lang zu entgehen, hatte sich Kimie irgendwann zurückgezogen, um ein entspannendes Bad zu nehmen. Gleichzeitig hatte sie so auch die Gelegenheit, in Ruhe nachzudenken. Während sie so im Wasser saß, spielte sie immer wieder mit dem Gedanken, Sesshoumaru doch besser die Wahrheit zu sagen. Denn eigentlich war es ihm gegenüber nicht fair, ihm diese vorzuenthalten.

Nach dem Bad ging Kimie zurück zu den anderen ins Wohnzimmer. Es waren auch alle anwesend. Alle, bis auf Einen…

“Nanu? Wo ist Sesshoumaru?”

Auf die Frage ihrer Tochter hin hörte man Akie sogleich murren: “Der ist vorhin weggegangen. Aber von mir aus kann der Typ bleiben, wo der Pfeffer wächst!”

“Tante Akie…” Kagome mühte sich ein schwaches Lächeln ab, während Inu Yasha nur ein müdes Gähnen als Kommentar abgab.

“Kimie, möchtest du dich nicht zu uns setzen?”, fragte Kagomes Mutter, doch Kimie schüttelte den Kopf.

“Nein, ich wollte eigentlich auf mein Zimmer gehen und mich etwas hinlegen. Vielleicht komme ich später noch mal runter zu euch.”

“Na gut, dann tu das ruhig.”

Und genau das tat Kimie dann auch. In ihrem Zimmer angekommen, setzte sie sich zunächst auf ihr Bett. Ihr Blick fiel auf ihren Spiegel, der in einer Ecke des Raumes stand. Nach einem Moment stand sie auf und stellte sich genau davor, ehe sie zurück zum Bett ging und ein kleines Kissen, das neben ihrem eigentlichen Kopfkissen lag, an sich nahm. Dieses schob sie sich nach kurzem Zögern unter das T-Shirt. Skeptisch betrachtete sie sich danach erneut im Spiegel.

>Hm… Irgendwie eine komische Vorstellung…<, überlegte Kimie, während sie sich von jeder Seite kurz in Augenschein nahm. Ihre Begeisterung hielt sich etwas in Grenzen. >Daran muss ich mich wohl erst langsam gewöhnen…<

Sie hatte das Kissen anschließend noch gar nicht wieder richtig unter ihrem T-Shirt hervorgeholt, als sie Sesshoumarus Stimme unvermittelt fragen hörte: “Was machst du da schon wieder?”

“Uaaaah!!” Kimie schmiss das Kissen vor lauter Schreck in die Luft, sodass es dem Youkai, der zuvor wortlos und von ihr vollkommen unbemerkt durch das geöffnete Fenster eingestiegen war, direkt vor die Füße flog.

Aufgebracht nach Luft ringend, saß Kimie nun auf dem Boden.

“Sag mal, bist du noch zu retten?! Wie kannst du mich so erschrecken?! Klopf gefälligst vorher an und benutz die Tür, wie jeder normale Mensch!” Da stutzte sie jedoch. “Okay, die Bemerkung war dumm…”

Als Sesshoumaru nun ohne jegliche Erwiderung das Kissen aufhob, stockte Kimie der Atem. Hastig entriss sie es ihm im selben Moment. “Aaah! Gib das her!”

Hatte er sie etwa beobachtet? Wenn ja, dann musste er sich den Rest doch selbst denken können, oder? Kimies Gedanken fuhren Achterbahn. Was sollte sie tun, wenn er sie nun ausfragte?

In der Tat hatte Sesshoumaru ein bisschen was gesehen, allerdings hatte er nicht mitbekommen, was Kimie mit dem Kissen genau gemacht machte. Er kam auch gar nicht mehr dazu, sie genauer danach zu fragen, denn Akie polterte nun aufgebracht in das Zimmer ihrer Tochter.

“Kimie! Was ist denn passiert? Ich habe einen Schrei gehört und…” Da erblickte sie Sesshoumaru. “Sie schon wieder? Was haben Sie sich nun schon wieder erlaubt? Sind Sie jetzt etwa auch noch handgreiflich geworden?!” Denn das Bild der auf dem Boden sitzenden Kimie mit dem Youkai im selben Raum verleitete Akie im Moment zu ganz eigenen Interpretationen.

“Warte mal, Mama!”, warf Kimie schleunigst ein. “Er hat nichts gemacht! Ich habe mich nur erschreckt, weil er plötzlich durchs Fenster kam.”

Nur beschwichtigte ihre Mutter diese Erklärung in kleinster Weise.

“Sie haben ja vielleicht Nerven! Erst lassen Sie meine arme Tochter einfach so fallen und jetzt erschrecken Sie sie auch noch fast zu Tode?! Und das in ihren Umständen! Was erlauben Sie sich?!”

“Umständen?”, wiederholte Sesshoumaru hörbar misstrauisch, woraufhin sowohl Akie als auch Kimie sämtliche Gesichtszüge entglitten.

“Frag… Frag doch nicht immer bei jeder Kleinigkeit nach!”, entgegnete Kimie hastig und stand auf. “Ich… Ich habe noch was in der Küche vergessen. Mama, hilfst du mir?”

Ohne auch nur ein weiteres Wort an Sesshoumaru zu richten, verließen die beiden das Zimmer. Der Youkai blieb zurück und schien sich nicht sicher zu sein, was dieser merkwürdige Vorfall eben genau zu bedeuten hatte. Umstände? Vermutlich hatte Akie die ganze Situation für Kimie im Allgemeinen gemeint. Eigentlich hatte Sesshoumaru ja mit seiner Gefährtin allein reden wollen, aber das konnte er wohl erst mal wieder knicken. Und da er keine große Lust verspürte, hier zu warten, bis sie irgendwann mal wiederkam, verließ er den Raum wiederum durch das Fenster.

Indes waren Kimie und ihre Mutter nicht etwa wie zuvor angekündigt in die Küche, sondern ins Badezimmer gegangen. Kimie vergewisserte sich noch kurz, dass Sesshoumaru ihnen nicht gefolgt war, ehe sie die Tür abschloss.

“Mama! Könntest du es bitte lassen, dich in Sesshoumarus Gegenwart immer gleich so aufzuregen? Du siehst ja, wozu das führt! Zum Glück hat er nicht weiter nachgefragt...”

“Entschuldige, aber ich war in diesem Moment so überrumpelt. Es ist ja noch mal gut gegangen.”

“Mag sein. Dieses Mal vielleicht.” Kimie setzte sich auf den Rand der Badewanne. Nach einem Moment gesellte sich ihre Mutter zu ihr.

“Kleines, ich mache mir doch nur Sorgen um dich.”

Akie legte einen Arm um ihre Tochter, die lächelnd erwiderte: “Ich weiß. Danke, Mama. Puh… Diese ganze Aufregung… Ich glaube, ich krieg Hunger.”

“Oh! Ob es wirklich an der Aufregung liegt?”, fragte Akie zweideutig, ehe sie gemeinsam mit Kimie zurück zum Rest der Familie ging.
 

In dieser Nacht kehrte Sesshoumaru nicht wie er anfangs eigentlich vorgehabt hatte durch den Brunnen in die Sengoku-Ära zurück, sondern verweilte stattdessen im Schrein. Nachdenklich auf dem Brunnenrand sitzend, überlegte er ob und wie er es doch noch erreichen konnte, dass Kimie sich umstimmen ließ und wieder mit ihm mitkam. Zudem wurde er das Gefühl nicht los, dass sie ihm etwas verheimlichte. Obwohl es nicht so war, als hätte sie sich das erste Mal seltsam benommen.

Doch selbst, wenn Kimie mit Sesshoumaru zurückkäme, gab es immer noch das Problem mit den Füchsen. Sesshoumaru konnte nicht nachvollziehen, weshalb Aoshi seine Absage nicht einfach akzeptierte und wieder in seine eigenen Ländereien zurückkehrte. Lag dem Fürsten wirklich so viel an der Hochzeit oder steckte doch mehr dahinter?

Irgendwann verließ Sesshoumaru den Schrein wieder und trat hinaus auf den großen Hof. Alles war still, nicht einmal der Wind pfiff. Der heilige Baum stand voller Erhabenheit im Schein des Mondes und vermittelte selbst in dieser modernen Welt noch die Eindrücke einer längst vergangenen Epoche.

Sesshoumarus Blick schweifte zum Haus der Familie Higurashi. Sämtliche Lichter waren längst gelöscht worden. Auch Kimies Zimmer lag völlig im Dunkeln. Nichts desto trotz schritt Sesshoumaru nun zielstrebig zum Haus und sprang mit einem gekonnten Satz leichtfüßig auf das Dach.

Kimie bemerkte nicht, wie sich der Youkai, wie schon zuvor am frühen Abend, durch das Fenster in ihr Zimmer schlich. Nur Inuki bekam etwas von dem heimlichen Besuch mit, verhielt sich jedoch ruhig und erregte keinerlei Aufsehen.

So leise, wie Sesshoumaru hineingekommen war, verhielt er sich auch weiterhin. Stillschweigend stand er an Kimies Bett und beobachtete sie eine ganze Weile, während sie, mit dem Rücken zu ihm gewandt, schlief.

Mehrere Minuten verharrte Sesshoumaru. Irgendwann drehte sich Kimie auf die andere Seite und murmelte im Schlaf seinen Namen: “Sesshoumaru…”

Er horchte auf. Sie träumte von ihm? Was mochte sie wohl genau träumen?

“Du Blödmann…”

Dem Youkai verschlug es die Sprache. Er konnte es nicht fassen. Sogar im Schlaf schaffte sie es, sich über ihn zu ärgern? Im Hintergrund konnte er Inuki kurz schnaufen hören, als würde der Hund darüber lachen!

Sesshoumaru nahm wieder Haltung an. Auch, wenn Kimie ihm im Moment fast den letzten Nerv raubte, so ganz verübeln konnte er es ihr auch wieder nicht. Möglicherweise hätte er sich ja doch etwas anders verhalten sollen…

Da auf der Bettkante noch genügend Platz war, setzte sich Sesshoumaru nun zu Kimie. Sie schien sehr tief und fest zu schlafen, denn sie schien seine Anwesenheit nach wie vor nicht zu bemerken. Es war nicht das erste Mal, dass er sie beim Schlafen beobachtete. Das hatte er schon früher immer wieder mal getan. Nur gesagt hatte er ihr davon nie etwas.

Während er so bei ihr saß, schweifte Sesshoumaru mit seinen Gedanken allmählich ab. In den zwei Wochen, in denen Kimie abwesend gewesen war, waren ihm Gerüchte zu Ohren gekommen, wonach allem Anschein nach unter einigen seiner Leute die Frage aufgekommen war, ob und wann sie ihm wohl das erste Kind schenken würde. So wirklich ernsthaft über Nachwuchs hatten die beiden bisher nie gesprochen. Allerdings musste Sesshoumaru sich selbst eingestehen, dass er sich mit diesem Thema insgeheim in jüngster Zeit oft auseinandergesetzt hatte. Er erinnerte sich an die Vision, die er einst im Grab seines Vaters gehabt hatte und auch an dessen Worte, dass diese Zukunft nur ein möglicher Weg von vielen anderen war. Doch was konnten diese anderen Wege sein? Bis heute hatte er Kimie nie etwas davon erzählt.

Sesshoumaru gestand es sich nicht gerne ein, aber er tendierte zu der Vermutung, dass diese Vision vielleicht nur ein geheimer Wunschgedanke gewesen war. Seine beiden Söhne, die er dort gesehen hatte, waren bereits groß gewesen und Kimie war noch am Leben. Und eben das konnte unmöglich sein! Sie war schließlich ein Mensch und wäre realistisch betrachtet somit längst tot gewesen.

Trotzdem wollte sich Sesshoumaru nicht mit dem Gedanken anfreunden, Kimie gegen Saori auszutauschen, obwohl die Prinzessin von einem objektiven Standpunkt aus betrachtet und auch in den Augen anderer in vielerlei Hinsicht wohl die bessere Wahl für ihn wäre.

Kimie drehte sich etwas auf den Rücken. Möglicherweise merkte sie ja im Unterbewusstsein, dass Sesshoumaru bei ihr war. Dieser wiederum stellte sich die Frage, wie Kimie wohl als Mutter wäre. So richtig konnte er sie sich nicht mit einem Kind im Arm vorstellen, wenngleich die Vorstellung von einer kleinen Familie ihm durchaus zusagte. Vorausgesetzt natürlich, dass es überhaupt dazu käme.

Als Sesshoumaru sich Kimie abermals genauer besah, bemerkte er die lange Haarsträhne, die quer über ihrem Gesicht lag. Vorsichtig strich er diese zur Seite und verweilte mit seiner Hand einen Moment lang, bevor er sich wieder abwandte. Sein Blick schweifte durch den dunklen Raum.

Ein unbehagliches Gefühl ergriff Sesshoumaru. Je mehr über alles nachdachte, umso mehr fühlte er sich unwohl. Erst ein Stoß in seinen Rücken riss ihn abrupt wieder aus seinen trüben Gedanken.

Kimie hatte sich im Schlaf wieder mal gedreht und ihm bei diesem Manöver das Knie ins Kreuz gerammt. Doch schien ihr das mehr ausgemacht zu haben als ihm, wie es ihr Murren vermuten ließ. Nicht zuletzt wohl deshalb, weil er wie gewohnt seine Rüstung trug.

Sesshoumaru wollte es nicht darauf ankommen lassen, dass Kimie eventuell aufwachte und ihn sah, weshalb er es als besser erachtete, erst mal wieder zu gehen. An ihrem Fenster angekommen, schaute er noch ein Mal zu ihr zurück, dann verließ er den Raum auf den selben Weg, den er zuvor gekommen war.

Irrungen und Wirrungen

Die Aufregung des vergangenen Tages steckte Yukina auch noch bis zum nächsten Morgen in den Gliedern. Seither war sie stets darum bemüht, einen großen Bogen um die Füchse und besonders um Prinzessin Harumi zu machen. Da kam es ihr sehr gelegen, dass Miyuki sie zu einer gemütlichen Tasse Tee in ihre Zimmer eingeladen hatte.

Nachdem die beiden eine Zeit lang über verschiedene Dinge geredet hatten, lenkte Yukina das Gespräch schließlich auf ein Thema, das sie insgeheim schon länger interessierte: “Sag mal, Miyuki, wenn du mit Ashitaka-sama zusammen bist, worüber redet ihr beide dann so?”

Nach anfänglicher Überraschung antwortete Miyuki lächelnd: “Nun ja, wir reden über alles. Ashitaka ist wirklich süß! Er ist so aufmerksam und hört mir immer zu. Allerdings kann er es noch immer nicht lassen, mich hin und wieder etwas zu ärgern, so wie früher. Aber wie kommst du plötzlich darauf?”

“Ach, einfach nur so.” Yukina nippte kurz an ihrem Tee, bevor sie ein wenig zögerlich weiterfragte: “Und… kannst du mir auch sagen, wie es ist, wenn man … geküsst wird?”

“Wie?” Miyuki legte den Kopf ein wenig schief. Das war das erste Mal, dass sie von ihrer Freundin so direkt über ihre Beziehung zu Ashitaka ausgefragt wurde. Denn normalerweise stellte Yukina solche Fragen nicht. Dazu war sie bisher schlichtweg zu schüchtern gewesen. Ihr unsicherer, zugleich aber neugieriger Blick ließ Miyuki nach einem Augenblick jedoch unbefangen antworten: “Tja, wie soll ich sagen? Ein Kuss ist schön. Es kommt natürlich darauf an, wen du küsst, es sollte schon die Person sein, die du liebst. Aber wenn das der Fall ist, dann hast du das Gefühl, als würdest du ihn seinen Armen dahinschmelzen. Und du möchtest am liebsten die Zeit anhalten und wünschst dir, dass dieser Augenblick niemals zu Ende geht.” Ein amüsiertes Lächeln stahl sich auf Miyukis Lippen. “Hm… Ich kann mir schon denken, von wem du gerne mal geküsst werden würdest, Yukina.”

Schlagartig wurde Yukina schamrot. Ihr war klar, dass es keinen Sinn hatte, zu leugnen. Stattdessen nahm sie gleich mehrere lange Züge von ihrem Tee.

“Übrigens, ich habe das mit dieser komischen Harumi gehört. Sie ist wie eine Furie herumgerannt”, sprach Miyuki auf einmal weiter.

Yukina schaute wieder auf, schwieg aber betreten. Das war Miyuki Bestätigung genug.

“Jetzt guck nicht gleich wieder so!”, forderte sie ihre Freundin auf. “Freu dich lieber, dass Subaru dir geholfen hat. Wer weiß? Vielleicht findet er ja bereits Gefallen an dir.”

“Glaube ich nicht”, erwiderte Yukina leise und ließ ihre Tasse sinken. “Bestimmt hat er mir nur geholfen, weil er gerade vorbeikam und die Situation schlecht ignorieren konnte.”

Miyuki seufzte auf. “Warum denkst du immer so negativ? Hab doch ein bisschen mehr Selbstvertrauen!”

Yukina rang sich zu einem kleinen Lächeln durch. Möglicherweise hatte Miyuki ja Recht.

“Miyuki? Kann ich… dich noch etwas fragen?”

“Sicher. Nur raus damit!”

Yukina holte kurz Luft. “Sag mal, du und Ashitaka-sama, habt ihr eigentlich auch…? Ich meine, habt ihr schon mal…?”

“Hm? Was haben wir?”

“Na, du weißt schon…”

Miyuki zog leicht eine Augenbraue hoch. Aber dann begriff sie, worauf Yukina hinaus wollte, und hätte fast ihre Teetasse fallen gelassen. Sie errötete verlegen. “Tja, ehrlich gesagt…”

Als sie daraufhin bestätigend nickte, stieg Yukina abermals die Schamesröte ins Gesicht. “Ehrlich? Oh… Hattest du… denn keine Angst?”

“Nicht direkt Angst, aber ich war doch ziemlich aufgeregt. Ich konnte mir da noch nicht genau vorstellen, wie es wohl werden würde.”

“Uhm... Und?”

Vor Verlegenheit noch immer leicht errötet, senkte Miyuki ein wenig den Blick. “Es… es war schön. Zugegeben, es hat beim ersten Mal ein wenig weh getan, aber Ashitaka war wirklich sehr vorsichtig und sanft…” Nach kurzer Überlegung fügte sie hinzu: “Hmm… Ich glaube, mein Bruder weiß es nicht mal…”

Yukina war sichtlich verblüfft. “Nicht?”

“Nein. Ashitaka prahlt nicht mit so etwas. Und ich werde mich hüten, mit meinem Bruder über so etwas zu sprechen! So sehr ich ihn auch liebe und ihm vertraue, das ist eines der wenigen Dinge, mit denen ich mich nicht mit ihm auszutauschen gedenke.”

Daraufhin musste Yukina doch etwas lachen. Zugleich überkam sie ein merkwürdiges Gefühl der Bedrücktheit. “Hm… Irgendwie beneide ich dich, Miyuki. Du hast einen tollen großen Bruder, einen lieben Gefährten … Ich habe weder das eine noch das andere.”

Obwohl sie wusste, dass es lächerlich war, fühlte sich Miyuki Yukina gegenüber plötzlich irgendwie schuldig. Von diesem Blickwinkel hatte sie das alles bisher noch gar nicht gesehen. Da fasste sie einen Entschluss.

“Hey, Yukina! Ich mache dir einen Vorschlag: Ich helfe dir dabei, an Subaru heranzukommen. Wie wär’s?”

“Hä?! Aber, Miyuki…!”

Yukina war so überrumpelt, dass sie gar nicht wusste, was sie sagen sollte. Doch das konnte sie auch gar nicht, da Miyuki bereits weiter sprach: “Nichts da! Es ist beschlossen! Du wirst sehen, das klappt garantiert! Wir pirschen uns gemeinsam an die Sache ran!”

Zwar war Yukina noch sichtlich unschlüssig und auch irritiert, doch Miyukis aufmunterndes Zwinkern und ihr erfrischender Tatendrang führten letztendlich dazu, dass sie sich doch dazu überreden ließ. Vielleicht könnte das wirklich funktionieren…

Lächelnd nickte Yukina einverstanden. “Uhm… Danke.”
 

Nicht nur Miyuki und Yukina unterhielten sich zu diesem Zeitpunkt über traute Zweisamkeiten. Auch Ashitaka und Tôya führten in Ashitakas Zimmer ein ähnliches Gespräch.

“Ich frage mich, ob Sesshoumaru etwas bei Kimie-chan erreichen konnte…”, überlegte Ashitaka. “Er ist ja schon eine ganze Weile weg. Ist das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?”

Tôya zuckte mit den Schultern. “Wir können wohl nur abwarten. Obwohl es mir lieber wäre, wenn Sesshoumaru-sama möglichst bald zurückkommen würde. Irgendwie fühle ich mich nicht wohl bei dem Gedanken, was während seiner Abwesenheit passieren könnte…”

“Wie meinst du das?”

“Die Füchse… Da ist irgendetwas im Busch. Es kommt mir so vor, als würden sie etwas aushecken.”

“Hmm…” Ashitaka verschränkte die Arme hinter dem Kopf. “Mich wundert es ja, dass Prinzessin Saori so merkwürdig ruhig ist. Ich meine, immerhin ist sie mit Sesshoumaru verlobt. Trotzdem scheint es sie gar nicht zu kümmern, dass sie von ihm keinerlei Aufmerksamkeit bekommt. Eher im Gegenteil…”

“Wer weiß? Vielleicht liegt ihr ja gar nicht so viel an der geplanten Hochzeit”, wagte Tôya zu vermuten. “Oder aber, das ist eine sehr geschickt inszenierte Taktik. Sie heuchelt Desinteresse vor, aber in Wirklichkeit wartet sie nur auf die richtige Gelegenheit, um hinterhältig zuzuschlagen, wie eine im Gras lauernde Schlange.”

“Klingt aber ziemlich intrigant, so wie du das ausdrückst”, fand Ashitaka und streckte sich ein Mal ausgiebig. “Ach! Da bin ich ja fast schon froh, dass meine Eltern nie eine Verlobung für mich arrangiert haben. Mal abgesehen davon, dass ich Miyuki-chan nie gegen eine andere Frau eintauschen würde.”

“Zwischen euch beiden läuft es wohl gut, was?”, fragte Tôya nach, woraufhin Ashitaka lächelnd nickte.

“Ja, alles bestens! Und mach dir nur keine Sorgen. Ich werde deine Schwester stets auf Händen tragen. Jedoch… Da drängt sich mir die Frage auf, weshalb du noch nie irgendwelche Anstalten gemacht hast, dich nach einer festen Gefährtin umzusehen. Aber man muss ja nicht zwangsläufig verheiratet sein, um sich zu vergnügen, nicht wahr?”, fragte Ashitaka zweideutig. Als er daraufhin das doch recht entgeistert wirkende Gesicht seines Freundes sah, musste er lachen. “Das war doch nur ein Scherz! Dich kann man ja leicht reinlegen.”

Tôya zog leicht eine Augenbraue hoch. “Hm… Witzig wie eh und je, was? Dürfte ich dir dann auch noch eine Frage stellen?”

Ashitaka bejahte unbekümmert.

“Wie oft hast du schon an meiner Schwester herumgeknabbert?”

Im ersten Moment schien es so, als müsste Ashitaka erst mal begreifen, was Tôya ihn da gerade gefragt hatte. Aber dann geriet er in Erklärungsnot. “Äh… Aber, Tôya! Was redest du denn da?! Wie kommst du darauf?! Das ist doch…”

“Ach, komm schon, Ashitaka!”, unterbrach Tôya ihn mit einer abwinkenden Handbewegung. “Hältst du mich vielleicht für zurückgeblieben? Ihr beide seid schon so lange ein Paar. Du kannst mir nicht erzählen, dass da nicht schon mehr zwischen euch gelaufen ist. Außerdem…” Er machte eine kurze Pause. “… konnte ich es meiner Schwester praktisch immer an der Nasenspitze ansehen. Vermutlich denkt sie genau so wie du, ich wüsste nichts.” Tôya fiel auf, dass Ashitakas Gesicht inzwischen leicht errötet war. Ein amüsiertes Lächeln huschte über seine Lippen. “Hey! Kein Grund, sich zu genieren, mein Freund. Wir sind doch schließlich alle erwachsen, oder? Allerdings…”

Diese eigenartige Pause verunsicherte Ashitaka nur noch mehr. “Allerdings was…?”

Tôyas Gesichtsaudruck wurde eine Spur ernster. “Wenn du Miyuki jemals in irgendeiner Form unglücklich machen solltest… dann werde ich ihn dir abschneiden. Verstanden?”

Sämtliche Gesichtszüge verflüchtigten sich danach aus Ashitakas Mimik und bei der genaueren Vorstellung bezüglich Tôyas Worten wurde er leichenblass. Ganz gleich, wie gut die beiden auch befreundet waren, auf seine kleine Schwester ließ Tôya nie etwas kommen. Aber dass er das auch so klar und deutlich ausdrückte…

Zwar war sich Tôya mehr als sicher, dass Ashitaka niemals bewusst etwas tun würde, was Miyuki verletzen könnte, doch allein dessen momentaner Gesichtsaudruck war es in Tôyas Augen wert gewesen, seinem Freund ein wenig Angst einzujagen.

“Ich muss los. Die Pflicht ruft”, verkündete Tôya plötzlich und ging zur Tür. Im Weggehen zwinkerte er Ashitaka noch belustigt zu. “Man sieht sich, Ashitaka!”

Der Jüngere war zu keiner Erwiderung fähig. Erst lange, nachdem Tôya gegangen war, fand er seine Sprache wieder. “Da… habe ich mir ja was Schönes eingebrockt…”
 

Das eigenartige Verhalten des obersten Generals ihres Vaters bereitete Saori zunehmend Kopfzerbrechen. Und weder Aoshi noch ihr Bruder Taiga, der Kuro scheinbar immer heimlich verfolgte, wenn dieser das Schloss verließ, hatten ihr etwas dazu erzählen wollen. Also beschloss die Prinzessin, die Sache selbst in die Hand zu nehmen und Kuro offen mit ihren Fragen zu konfrontieren. Sie erwischte ihn gerade, als er die ihm zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten verließ.

“Kuro!”

Der General hielt sogleich inne. Als er Saori entdeckte, verneigte er sich vor ihr. “Prinzessin Saori. Welch angenehme Überraschung. Was kann ich für Euch tun?”

Die junge Frau entschied sich dazu, nicht lange um ihr Anliegen herumzureden. Entschlossen trat sie Kuro gegenüber. “Es interessiert mich, was du tagtäglich tust. Hinter dem Rücken meines Vaters.”

Der General hob kaum merklich eine Augenbraue. “Ich bitte um Verzeihung, aber ich verstehe Euch nicht so ganz.”

Doch Saori wollte sich auf solche Spielereien von vornherein nicht einlassen. Zugleich blieb sie zwar freundlich, aber auch bestimmt. “Bitte versuch nicht, mich hinters Licht führen zu wollen, Kuro. Du bist fast jeden Tag außerhalb des Schlosses unterwegs. Du gehst frühmorgens fort und kommst meist erst spätabends wieder, wenn überhaupt. Der Punkt ist, dass du nie ein Wort darüber verlierst, wo du warst, was du getan hast und vor allem, warum.”

“Dies ist eine sehr beschauliche Gegend. Ich genieße sie nur. Findet Ihr daran etwas verwerflich?”, erwiderte Kuro jedoch nur weiterhin, als könnte ihn kein Wässerchen trüben.

Saori entwich ein leises Seufzen. “Kuro… Du bist schon seit langer Zeit in den Diensten meines Vaters. Deine Fähigkeiten im Kampf und der Magie sind überragend, und du hast deine Loyalität in der Vergangenheit mehr als ein Mal bewiesen. Ich schätze dich wirklich sehr. Immerhin hast du mir schon einige Male das Leben gerettet. Und deswegen bekümmert es mich zutiefst, wenn ich nun den Eindruck bekommen muss, dass du dich plötzlich von meiner Familie abzuwenden scheinst. Was verbirgst du?”

Auf ihre Worte hin schien sich Kuros Haltung ein wenig zu verändern. Er lächelte leicht. “Prinzessin Saori. Seid versichert, dass meine Hochachtung Euch gegenüber viel zu ehrlich gemeint ist, als dass ich mich je von Euch abwenden könnte. Allerdings betrübt es mich, sehen zu müssen, wie man Euch hier behandelt.”

“Wie meinst du das?”

Anstatt sofort auf ihre Frage zu antworten, trat er zunächst nur schweigend näher an Saori heran. Als er weiter sprach, klang er eigenartig betrübt: “Euer Verlobter… Anstatt bei Euch zu sein, ist er in diesem Augenblick bei einer anderen Frau. Trotzdem bewahrt Ihr Haltung. Man könnte gar den Eindruck gewinnen, es kümmere Euch gar nicht. Verbietet es Euer Stolz, Eure hohe Position, Eure Gefühle zu zeigen? Oder steckt was anderes dahinter?”

Angesichts seiner direkten Fragen war Saori einen Moment lang wie vor den Kopf gestoßen. “Das… Jetzt wagst du zu viel, Kuro!”

Der General verneigte sich respektvoll. “Ich bitte vielmals um Entschuldigung, Prinzessin. Es stand mir nicht zu.” Ehe sich die Prinzessin versah, hatte er ihre Hand genommen und ihr einen zarten Kuss auf diese gegeben. Saori war so überrumpelt, dass sie kurzzeitig Gefahr lief, ihre Haltung gänzlich zu verlieren. Kuro schaute wieder zu ihr auf. “Ich wünsche Euch einen angenehmen Tag.”

Da sie darauf nichts mehr entgegnete, zog sich der General nun zurück. Saori hingegen stand noch eine Weile ein wenig verstört im Gang. Ebenso ruhte ihr stummer Blick auf ihrem Handrücken. Es bedurfte eines weiteren kleinen Moments, ehe die Prinzessin ansatzweise begriffen hatte, was gerade passiert war. Sie wurde schamrot, als sie sich dessen bewusst wurde und verbarg rasch ihre Hand, vor potenziellen neugierigen Blicken, obwohl sie wusste, dass sie vollkommen allein war.

>Bleib ganz ruhig… Das hatte sicher nichts zu bedeuten!<, versuchte sie sich einzureden, als sie sich schleunigst auf dem Rückweg zu ihren Gemächern machte.
 

In einem anderen Teil des Schlosses saßen Kakeru und Sakura bei einem kleinen Plausch zusammen. Sie hatten sich schon länger nicht mehr ausgiebig miteinander unterhalten. Da bot ein gemütliches Beisammensein bei einer schönen Tasse Tee die ideale Gelegenheit.

“Kakeru, mal ganz im Ernst. Diese Sache mit Sesshoumaru-sama und Kimie-dono… Du weißt doch etwas, nicht wahr? Den Eindruck hatte ich von Anfang an.”

Sakuras prüfenden Blick konnte Kakeru ganz genau auf sich ruhen spüren. Trotzdem ließ er sich nicht aus der Ruhe bringen, als er seinerseits lächelnd fragte, fast schon so, als wollte er sie herausfordern: “Und wenn ich diese Vermutung bestätigen würde, Sakura-dono?”

Sakura erwiderte sein Lächeln. “Dann würdest du nichts verraten, so wie ich dich kenne. Wenn du nicht mal Sesshoumaru-sama etwas erzählt hast…”

Sie trank einen Schluck aus ihrer Teetasse, die sie in den Händen hielt. Einige Minuten lang schwiegen die beiden.

“Kimie-dono erwartet ein Kind”, sprach Sakura es plötzlich unbefangen aus.

Zwar wirkte Kakeru im ersten Moment überrascht, doch legte sich das rasch wieder. “Hm… Euch kann man nichts vormachen, nicht wahr?”

“Ich bin selbst Mutter eines Sohnes und habe daher so ein Gespür dafür”, erwiderte Sakura mit einem gewissen Unterton von Triumph in der Stimme. “Und was dich angeht, dir bleibt ja ohnehin nur selten etwas verborgen. Aber Sesshoumaru-sama hat es bisher nicht gemerkt, wenn ich das alles richtig deute?”

Bevor Kakeru darauf antwortete, trank er einen Schluck aus seiner Teetasse. “Zugegeben, er hat zwar viele Talente und besitzt herausragende Fähigkeiten, aber was das angeht… Dafür scheint ihm noch ein wenig das Gespür zu fehlen. Wen wundert’s? Er ist ja noch jung. Und er wird zum ersten Mal Vater.” Sein Lächeln schwand etwas. “Ich hoffe nur, dass Kimie-dono sich nicht zu sehr übernimmt.”

Sakura horchte auf. “Inwiefern?”

Nachdenklich ließ Kakeru seine Tasse sinken. “Nun, es ist zwar nur so ein Gefühl, aber…” Er hielt inne, als suchte er nach den richtigen Worten, um seine Eindrücke beschreiben zu können. Doch dann schüttelte er den Kopf. “Ach, vermutlich mache ich mir darüber zu viele Gedanken. Vergesst das bitte wieder.”

Anfangs setzte Sakura dazu an, noch mal nachzuhaken, unterließ es dann allerdings. Dennoch, eine gewisse Beklemmung blieb zurück.
 

* ~ * ~ * ~ *
 

Der Tag im Haus der Familie Higurashi hatte angefangen wie gewohnt. Der Großvater war als Erster auf den Beinen gewesen und hatte bereits früh am Morgen den Hof gefegt, während der Rest der Familie ihren Tätigkeiten im Haus nachgegangen war. Kagomes Mutter hatte gemeinsam mit ihrer älteren Schwester das Frühstück vorbereitet, während ihre Kinder und Kimata im Wohnzimmer zusammen gesessen haben.

Bis zum frühen Nachmittag verlief der Tag ohne besondere Vorkommnisse. Die Familie saß gemeinsam im Wohnzimmer. Während Souta seine Nase in einem Schulbuch hatte, las der Großvater die aktuelle Zeitung. Akie und ihre Schwester plauderten miteinander, während Kimata ein wenig an seinem Laptop arbeitete und Inuki und Buyo dösend in einer Ecke des Zimmers lagen. Und Kagome und Kimie schalteten sich etwas durch das Fernsehprogramm. Nachdem sie nach mehreren Minuten noch immer nichts Interessantes gefunden hatten, gähnte Kimie müde.

“Geht doch ein wenig nach draußen”, schlug Kimata seiner Tochter und seiner Nichte vor, woraufhin Kimie ihren Vater etwas skeptisch beäugte.

“Paps, du redest mit uns, als wären wir kleine Kinder, die du zum Spielen auf den Hof schickst.”

Kimata lachte erheitert. “Frische Luft tut gut. Aber natürlich bleibt die Entscheidung euch überlassen.”

Kagome seufzte leise. “Hach… Ich wünschte, Inu Yasha wäre hier…”

Und als ob sie ihn mit ihren Worten praktisch “herbeigezaubert” hätte, öffnete sich auf einmal die Schiebetür des Wohnzimmers. “Hallo, Kagome! Da bin ich wieder!”

“Inu Yasha!” Stürmisch umarmte Kagome den plötzlich aufgetauchten Hanyou. “Ich habe gerade von dir gesprochen. Schön, dass du wiedergekommen bist! Komm, setz dich!”

Inu Yasha ließ sich nicht zweimal bitten und setzte sich, nachdem er auch die anderen Familienmitglieder begrüßt hatte.

Während sie ihre Cousine und Inu Yasha ein wenig beobachtete, musste Kimie unwillkürlich lächeln. Die beiden waren wirklich süß, wenn sie zusammen waren. Da sprach Inu Yasha sie unerwartet an: “Ach, Kimie? Bevor ich es vergesse: Ich soll dir ausrichten, dass Sesshoumaru oben in deinem Zimmer auf dich wartet.”

“Hä?” Kimie horchte auf. Sesshoumaru war also auch da. Das hätte sie sich aber fast schon denken können. Na gut, da sie ihn ja schlecht warten lassen konnte, stand sie auf und ging hinaus zur Tür. Seltsamerweise hatte Kimie das unbestimmte Gefühl, ihr würde ein immer dicker werdender Kloß im Hals stecken, je weiter sie die Treppenstufen zum 1. Stock hinaufging. Sie hoffte, dass Sesshoumaru nicht wieder irgendwelche Fragen stellen würde, denn so langsam gingen ihr die Ausreden aus.
 

Während sie die ganze Zeit an ihrem Schreibtisch saß, spürte Kimie pausenlos Sesshoumarus beobachtende Blicke in ihrem Rücken. Sie selbst schaute allerdings nur in den kleinen Spiegel, der direkt vor ihr stand.

Hingegen saß Sesshoumaru schweigend auf Kimies Bett. Es schien als wollte er es darauf ankommen lassen, wer von ihnen beiden als Erster das Wort ergreifen würde.

“Musst du nicht langsam wieder zurück?”, fragte Kimie irgendwann, ohne sich dabei jedoch zu ihm umzudrehen. “Ich kann mir nicht vorstellen, dass du es dir momentan leisten kannst, so lange fortzubleiben. Deinen Gästen wird das sicher nicht gefallen.”

Da war er wieder: dieser zynische Unterton in ihrem letzten Satz. Doch davon ließ sich Sesshoumaru nicht aus der Ruhe bringen. Er erwiderte nicht mal etwas auf Kimies Worte, sondern fragte stattdessen zurück: “Wie lange willst du mir noch den Rücken zuwenden und stattdessen diesen Spiegel anstarren?”

Kimie seufzte zunächst nur leise auf. “Ein Spiegel zeigt immer die Wahrheit. Das sagt man zumindest so… Aber was sehe ich, wenn ich in einen Spiegel schaue?”

So richtig begreifen, konnte Sesshoumaru ihre Worte zunächst nicht. Anstatt aber nachzufragen, wartete er darauf, dass sie dem noch etwas hinzufügte.

“Im Grunde könntest du doch auch froh sein”, sprach Kimie kurz darauf weiter. “Du hast die Chance, mich gegen eine wunderschöne Youkai-Prinzessin auszutauschen. Sie würde es dir zumindest ersparen, dabei zusehen zu müssen, wie sie irgendwann im Alter langsam aber sicher dahinsiecht.”

Sesshoumaru stand nun vom Bett auf und näherte sich ihr. “Wirst du mir diese Sache noch ewig vorhalten? Ich habe bereits alles dazu gesagt. Worauf möchtest du schon wieder hinaus?”

Als Kimie sich nun ebenfalls aufrichtete und sich zu ihm umdrehte, sprach sie einerseits ruhig, andererseits merklich bedrückt weiter: “Du wirst mich spätestens dann nicht mehr begehren, wenn ich einmal alt bin… Du kannst mir nicht erzählen, dass du dich nicht davor gruselst, mich in ein paar Jahren zu sehen, wenn mein Verfallsdatum abzulaufen beginnt. Während du in 50 oder 60 Jahren wohl noch genau so jung aussehen wirst wie jetzt, könnte ich dann glatt als deine Urgroßmutter durchgehen. Vorausgesetzt natürlich, ich schaffe die Strecke bis da hin überhaupt. Ich könnte vorher ja schließlich auch irgendeine banale Krankheit bekommen, über die du als Youkai nur lachen kannst. Die Frage, welche Frau du unter solchen Umständen lieber an deiner Seite haben würdest, stellt sich dann doch erst gar nicht mehr!”

Sie drängte sich an ihm vorbei und setzte sich auf ihr Bett. Einen Moment lang herrschte Stille zwischen den beiden.

“Deinem Verhalten nach zu urteilen, bleibt nur noch ein Schluss, den ich daraus ziehen kann.” Diese Worte von Sesshoumaru ließen Kimie aufhorchen. Doch traf sie fast der Schlag, als er fortfuhr: “Du hast kein Vertrauen zu mir. Zumindest kein echtes.”

“Eh?” Im ersten Augenblick war Kimie derart überrumpelt, dass sie zu keiner Erwiderung fähig war. “Ich… ich soll kein Vertrauen haben?! Das ist doch Unsinn!”

“Dann verstehe ich nicht, warum du mir solche Unterstellungen machst.”

“Gut, dann sag es!” Energisch sprang Kimie wieder vom Bett auf. “Sag mir hier und jetzt direkt ins Gesicht, dass es dir vollkommen egal ist, dass ich irgendwann alt sein und sterben werde. Komm schon! Ich warte!”

Doch Sesshoumaru schwieg. Stattdessen sah er sie nur mit seinem undurchschaubaren Blick an.

Kimie deutete sein Schweigen auf ihre eigene Art. “Es ist dir gar nicht so egal, nicht wahr? Sag es ruhig. Ganz offen und ehrlich”, fordert sie ihn nunmehr ruhiger auf.

Nachdem er sich zunächst weiterhin dazu ausschwieg, antwortete Sesshoumaru ihr: “Ja, es stimmt. Allerdings habe ich es bisher vermieden, mit dir darüber zu sprechen, weil ich das Gefühl hatte, ich dürfte es dir nicht sagen.”

Und obwohl Kimie schon damit gerechnet hatte, trafen sie diese Worte doch, hatte sie sich insgeheim schließlich was anderes gewünscht. Seufzend setzte sie sich wieder auf ihr Bett. “Lassen wir es gut sein. Das habe ich mir schon gedacht. Und der Witz ist, dass ich es dir nicht mal übel nehmen kann... Im Gegenteil, ich verstehe es…”

In diesem Moment fühlte sich Kimie so unwohl, wie bisher nur selten in ihrem Leben. Eigentlich hatte sie es ja mit dem Gedanken gespielt, Sesshoumaru endlich die Wahrheit zu sagen. Aber nach diesem kurzen Gespräch zog sie das nicht mehr in Erwägung. Zugleich war sie sich dessen bewusst, dass sie es ihm nicht ewig verschweigen konnte.

>Was soll ich machen…? Ich weiß es nicht…<

Zugegeben, ein wenig schlecht fühlte sich Sesshoumaru danach schon. Aber Kimie hatte von ihm eine ehrliche Antwort erwartet und die hatte er ihr gegeben. Denn in der Tat hatte er schon oft daran gedacht, wie es in der Zukunft aussehen sollte. Allerdings rührten seine Worte nicht daher, dass er sich davor fürchtete, wie sich ihr Aussehen im Alter verändern würde. Es ging ihm mehr darum, wie er fühlen würde, wenn er dabei zusehen müsste, wie sie langsam verblüht. Was würde er tun, wenn es sie irgendwann mal nicht mehr gäbe? Der Gedanke daran bereitete ihm Unbehagen. Zugleich fühlte er sich schuldig gegenüber ihr.

“Warum?”, fragte Kimie plötzlich, ohne dabei aufzuschauen. “Warum hast du das mit uns überhaupt erst zugelassen? Ich weiß, das habe ich dich in der Vergangenheit schon mal gefragt, aber ich verstehe es immer noch nicht. Bitte versuch, es mir zu erklären, damit ich es begreife…”

Als sie nun abwartend zu ihm hochblickte, hüllte sich Sesshoumaru anfangs in Schweigen. Und seine nachfolgende Antwort war sicherlich nicht das, was Kimie hatte hören wollen: “Das geht nicht. Weil ich es nicht erklären kann.”

Enttäuscht schüttelte sie den Kopf. So langsam wusste sie nicht mehr, was sie noch hätte sagen sollen, um sich wieder besser zu fühlen.

“Aber kann es dir nicht eigentlich egal sein?”, fragte Sesshoumaru nun. “Warum bist du plötzlich der Ansicht, du wärst meiner nicht würdig? Nur wegen Saori? Ist sie der Grund, dass du glaubst, du bist mir nicht mehr gut genug?”

“Genüge ich denn überhaupt deinen Erwartungen?”, fragt Kimie daraufhin zurück. “Als ich Saori das erste Mal sah, hatte ich auf einen Schlag den Eindruck, als würde ich die ganze Zeit gegen den Strom anschwimmen. Plötzlich wurde mir klar, was du alles haben könntest. Aber was kann ich dazu beitragen? Was kann ich dir schon bieten? Im Grunde doch eigentlich gar nichts, was auch nur in irgendeiner Form erwähnenswert wäre. Und was ist mit deinen Leuten? Sie denken doch bestimmt genau so, oder? Vielleicht nicht alle, aber viele von ihnen. Sesshoumaru, ich… ich liebe dich. Ich liebe dich wirklich, aber… Ich weiß auch nicht…”

Sesshoumaru konnte ganz genau fühlen, wie sehr sich Kimie gegenwärtig mit ihrem Gefühlschaos selbst quälte. Doch wie konnte er ihr begreiflich machen, dass seine Gefühle ihr gegenüber nach wie vor ehrlich und ernst gemeint waren? Denn ganz gleich, was er ihr auch sagte, sie schien darin auch immer noch etwas anderes, etwas Negatives zu sehen.

“Ich schere mich nur sehr selten um die Meinung anderer. Das weißt du”, sagte Sesshoumaru ruhig. Nach einem Moment der Stille fuhr er fort: “Aber bevor du wieder fragst, bin ich besser gleich ehrlich zu dir. Hinter vorgehaltener Hand wird darüber geredet, warum es noch keinen Erben gibt.”

Auch das noch! Das hatte ihr jetzt gerade noch gefehlt… Kurzzeitig überkam Kimie der starke Drang, Sesshoumaru nun doch die ganze Wahrheit zu sagen, nur um sich irgendwie rechtfertigen zu können. Sie hatte bereits den Mund zum Sprechen geöffnet, machte dann aber im letzten Moment wieder einen Rückzieher.

“Was?”, fragte Sesshoumaru daraufhin. “Du wolltest doch eben etwas sagen. Dann sag es auch.”

“Nein, war nicht wichtig”, versuchte Kimie ihm einzureden, allerdings mit eher mäßigem Erfolg.

“Den Eindruck hatte ich nicht”, entgegnete der Youkai ernster. “Du wolltest von mir, dass ich offen mit dir rede. Also tu das nun ebenfalls.”

Wunderbar! Jetzt benutzte er auch noch ihre eigenen Worte gegen sie selber. Was sollte Kimie darauf erwidern? Ihr fiel nichts ein, womit sie sich hätte verteidigen können.

Während sie noch angestrengt überlegte, spürte sie plötzlich, wie Sesshoumaru sie an den Schultern packte und sie rücklings auf ihr Bett drückte.

“Ah! Was zum…?!”

“Warum willst du nicht mit mir reden?”, fragte er Kimie eindringlich. “Gut, du nimmst es mir übel, dass ich dir nie etwas über Saori und die Verlobung erzählt habe. Aber für mich ist das keine Rechtfertigung dafür, dass du dich mir so verschließt.”

“Ach! Und was ist mit der Tatsache, dass du nicht klarstellen konntest, welche Rolle ich in deinem Leben einnehme?”, fragte Kimie entschieden zurück, ehe sie ihn fast schon provokant ansah. “Spiele ich in deinen Augen überhaupt irgendeine Rolle in deinem Leben? Oder bin ich jetzt endgültig abgeschrieben? Immerhin hast du ja deine perfekte Verlobte!”

Sesshoumaru musste sich schon sehr beherrschen, kein genervtes Seufzen verlauten zu lassen. “Ich werde mich nicht noch mal zu meiner Position gegenüber dieser Verlobung äußern. Das habe ich schon zu genüge. Allerdings erwarte ich von dir, dass du endlich mit mir redest. Was ist es, was du vor mir zu verbergen versucht?”

Verunsichert schaute Kimie zu Sesshoumaru hoch. In diesem Moment fühlte sie sich irgendwie eingeschüchtert und versuchte, seinem Blick auszuweichen. “Ich… Ich kann es dir nicht sagen. Ich kann es auch nicht erklären. Du würdest es vermutlich eh nicht verstehen.”

“Warum nicht? Was würde ich nicht verstehen?”

Warum sie ihm die Wahrheit vorenthielt. Das würde er bestimmt nicht nachvollziehen können. Mittlerweile konnte Kimie das ja selbst noch kaum. Aber sie hatte das Gefühl, als steckte sie inzwischen schon viel zu tief im Geflecht ihres Schweigens. Sie fürchtete die möglichen Konsequenzen. Egal, was sie täte…

“Schau mich an!”, forderte Sesshoumaru sie plötzlich auf. Zögerlich kam Kimie dem nach. Kaum hatten sich ihre Blicke getroffen, beugte er sich zu ihr hinunter und küsste sie vollkommen unvorhergesehen.

Kimie riss die Augen weit auf. Sie war so überrumpelt und irritiert, dass sie sich gar nicht mehr rührte. Steif wie ein Brett lag sie unter ihm. Ihr stockte der Atem, als Sesshoumaru plötzlich auch noch mit seiner Hand unter ihr Shirt glitt, genau bis zu ihrer Brust, und direkt ihren BH hochschob. Da löste sie sich wieder aus ihrer Starre und befreite sich hastig von dem Kuss. “Ahh…! Nicht… Hör auf! Was… soll denn das…?”

Sesshoumaru jedoch schien gar nicht wirklich auf ihre Verwirrung eingehen zu wollen. Stattdessen antwortete er nur ihn gewohntem Ton: “Da ich mit Worten offenbar nicht bei dir weiterkomme, werde ich es anders versuchen.”

Und noch bevor Kimie etwas darauf erwidern konnte, hatte er ihren Mund abermals mit seinen Lippen verschlossen. Merklich fordernder küsste Sesshoumaru sie nun. Wie aus einem Reflex heraus verweigerte sie ihm zunächst dem Einlass, doch gegen den von ihm ausgeübten Druck kam sie nicht an, sodass er letztendlich sein Ziel erreichte.

Ein Schauer jagte durch Kimies Körper, als Sesshoumaru ihr Oberteil gänzlich hochschob und den Kuss löste. Ihre Gedanken fuhren Achterbahn. Sie spürte seine Lippen auf ihrer Haut und konnte ein intensives Seufzen nicht länger unterdrücken. Was sollte sie tun? Sie konnte ihn doch nicht einfach weitermachen lassen! Aber diese intime Nähe zu ihm… Es bereitete ihr ein wohliges Gefühl. Ein Gefühl, dass sie schon seit längerer Zeit vermisst hatte.

Kimie lief Gefahr, sich Sesshoumaru jeden Augenblick zu ergeben. Erst, als er seine Lippen weiter über ihren Körper wandern ließ, bis hinunter zu ihrem Bauch, stemmte sie ihre Hände gegen seine Schultern. “Uhm… Nein, bitte hör auf damit!”

Sesshoumaru hielt inne. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass Kimie ihn in der Vergangenheit schon einmal abgewiesen hatte. Allerdings war dies seine kleinere Sorge. Vielmehr beschäftigte ihn, dass sie ihm allem Anschein nach etwas Wesentliches verschwieg, was sie ihm einfach nicht erzählen wollte.

Kimie hatte abschirmend einen Arm über ihrer Brust, den anderen über ihren Bauch gelegt und beschämt den Kopf zur Seite geneigt. Sie konnte Sesshoumaru jetzt unmöglich ins Gesicht blicken. Vermutlich wäre alles viel geworden, hätte sie ihm hier und jetzt geradeheraus die Wahrheit gesagt. Aber sie konnte es einfach nicht. Als hinderte sie etwas daran.

“Verrätst du mir endlich, was mit dir los ist?” Seine Frage traf Kimie wie ein Blitz, doch sie schwieg weiterhin.

>Warum tu ich ihm und mir das nur an? Es ist doch eigentlich so einfach…<, dachte sie.

Eine Weile blieb Sesshoumaru noch abwartend über sie gebeugt. Aber letzten Endes sah er ein, dass sie dazu nichts mehr sagen würde, und so ließ er schließlich von ihr ab. In diesem Augenblick zog Kimie hastig ihr T-Shirt wieder runter und setzte sich auf.

“Ich gehe wieder zurück”, sagte Sesshoumaru an sie gewandt, als er bereits am Fenster stand. “Wenn du dich doch noch dazu entscheidest, mit mir reden zu wollen, dann findest du mich im Dorf.”

Im ersten Moment hatte Kimie schon gedacht, er wollte zurück in die westlichen Länder. Irgendwie verspürte sie so was wie Erleichterung, dass dem offenbar nicht so war. Aber ein Gefühl der Reue blieb zurück, als Sesshoumaru letztendlich durch das geöffnete Fenster verschwand.

>Halte ihn auf! Lauf ihm nach, du dummes Huhn! Mach schon<, schalt sich Kimie sich gedanklich selbst, doch stattdessen blieb sie wie angewurzelt auf dem Bett sitzen.

“Verdammt…”, fluchte sie leise.
 

In der Zwischenzeit war Sesshoumaru bereits im Schrein angekommen. Auch, wenn er noch immer nicht wusste, was Kimie vor ihm verbarg, früher oder später würde er es schon erfahren. Ob nun mit oder ohne ihr Dazutun. Bis sie eventuell selbst zu ihm kommen würde, wollte er warten.

Gerade, als Sesshoumaru auf die andere Seite des Brunnens wechseln wollte, nahm er hinter sich die Gegenwart eines anderen wahr. Inuki stand der geöffneten Tür und schaute verunsichert zu dem Youkai, der nun noch einen Augenblick lang an Ort und Stelle verharrte.

“Du weißt es, nicht wahr?”, fragte Sesshoumaru ruhig. “Du weißt, was mit Kimie los ist. Aber du wirst es mir nicht sagen. Schon aus Loyalität zu ihr.”

Reumütig senkte Inuki den Kopf, als wollte er sich entschuldigen, ehe er langsam die hölzerne Treppe hinab auf Sesshoumaru zuging. Dieser musterte den Hund zunächst schweigend, dann kniete er sich zu ihm hinunter.

“Achte gut auf sie”, wies er Inuki an, wobei es fast schon wie eine Bitte klang. Dabei strich Sesshoumaru ihm behutsam über den Kopf, ehe er wieder aufstand. Inuki neigte den Kopf, als wollte er ihm signalisieren, dass er verstanden hatte. Auf Sesshoumarus Anweisung hin verließ der Hund wieder den Schrein.

Zumindest musste sich Sesshoumaru keine Sorgen darüber machen, dass Kimie allein sein könnte. Immerhin war neben Inuki auch ihre Familie hier. Das beruhigte ihn dann doch in gewisser Weise.

Mit einem Sprung verschwand er letztendlich im Brunnen.
 

* ~ * ~ * ~ *
 

Ein ganzer Monat verstrich, ohne das Kimie seither noch mal etwas von Sesshoumaru gehört hatte oder durch den Brunnen in die Sengoku-Ära gegangen war, um ihn selbst aufzusuchen. Der Einzige, der noch regelmäßig im Haus der Familie Higurashi ein und aus ging, war Inu Yasha. Zumindest hatte Kimie von ihm erfahren, dass sich Sesshoumaru in der Tat ständig entweder im Dorf oder in dessen Nähe aufhielt. Manchmal verbrachte er laut Aussage des Hanyou auch mehrere Stunden am Stück am Brunnen, als wartete er auf etwas. Kimie konnte sich denken, auf was oder besser wen er wartete.

“Kimie, so geht das doch nicht weiter! Du musst ihm endlich die Wahrheit sagen!”, redete Kagome irgendwann eindringlich auf ihre Cousine ein, als die beide jungen Frauen mal in Kagomes Zimmer beisammen saßen.

Kimie schwieg zögernd, ehe sie etwas darauf erwiderte. “Das ist nicht so leicht…”

“Warum?”, fragte die Jüngere verständnislos, ja fast schon aufgebracht. “Du hast doch gehört, was Inu Yasha gesagt hat, oder? Sesshoumaru scheint nur darauf zu warten, dass du endlich zu ihm kommst. Willst du etwa warten, bis das Baby da ist und bis dahin so tun, als wäre nichts? Das hältst du doch unmöglich durch! Stell dir vor, Sesshoumaru findet es selbst heraus, was willst du ihm dann sagen? Wie willst du ihm alles erklären?”

“Ich weiß es ja! Ich weiß!”, entgegnete Kimie nunmehr lauter. “Aber so einfach, wie du dir das vorstellst, ist es für mich nicht, Kagome! Sesshoumaru hat mir erzählt, dass alle offenbar nur darauf warten, dass ich endlich ein Kind von ihm bekomme. Als wäre ich sonst zu nichts anderem gut! Außerdem…” Sie machte eine kurze Pause. “Außerdem scheint er sich insgeheim schon davor zu grauen, wenn ich irgendwann meine ersten Falten kriege…”

“Was?”, fragte Kagome irritiert. “Hat er das so gesagt?”

“Natürlich nicht! Aber was er gesagt hat, läuft auf das selbe hinaus.” Kimie senkte den Blick und hüllte sich in langes, nachdenkliches Schweigen. “Kagome? Machen wir beide vielleicht den selben großen Fehler?”

“Wie meinst du das?”

“Ich meine, wie lange soll das gut gehen? Sowohl bei Sesshoumaru als auch bei Inu Yasha spielt das Alter keine Rolle. Aber bei uns… Möglicherweise haben wir beide uns nur in eine Illusion hineinziehen lassen.”

“Kimie…” Kagome war leicht erschrocken, doch konnte sie nicht leugnen, dass ihre Cousine irgendwie Recht hatte.

“Entschuldige. Ich will dir natürlich nicht in dein Leben reinreden”, fuhr Kimie fort. “Aber selbst, wenn ich wieder zurück in mein altes Leben wollte, ich kann es nicht mehr. Dazu ist es zu spät…” Ihre Hand wanderte zu ihrem Bauch. Sie hatte keine Ahnung, was die Zukunft noch bringen würde. Und vor allem, wie sie damit umgehen sollte.

Schließlich setzte sich Kagome neben ihre Cousine und legte den Arm um sie. “Kimie… Mal unabhängig von allem anderen… Was ist es, was du fühlst? Du liebst Sesshoumaru doch nach wie vor, nicht wahr? Dann rede mit ihm! Das ist das beste, was du machen kannst.”

Kimie seufzte leise. Sie antwortete nicht sofort auf Kagomes Worte. “Ich denke darüber nach, in Ordnung?”

Kagome nickte einverstanden. Das war zumindest ein Anfang.

“Hey! Wollen wir nach unten gehen?”, schlug sie irgendwann vor.

Da Kimie im Moment eh nichts anderes mit sich anzufangen wusste, stimmte sie zu. Doch kaum, dass sie aufgestanden war, verharrte sie mitten in der Bewegung.

Kagome stutzte. “Kimie? Was ist los?”

“Ah… Nichts weiter. Schon in Ordnung”, erwiderte Kimie nach einem Moment. Kurzzeitig war ihr so, als hätte sie etwas gespürt; ein unangenehmes Ziehen. Und sie spürte es noch immer. Und gerade, als sie zwei Schritte getan hatte, blieb sie abermals stehen und hielt sich den Bauch. Noch bevor sie es so richtig registriert hatte, sank Kimie von einem starken Krampf heimgesucht keuchend auf die Knie.

Erschrocken eilte Kagome an ihre Seite. “Kimie! Was hast du auf einmal?”

Kimie wollte ihrer Cousine antworten, brachte aber kein Wort heraus. Von starken Schmerzen gepeinigt ging sie zu Boden.

Kagome wurde kreidebleich. Gerade wollte sie aufspringen und Hilfe holen, als sie eine vertraute Stimme hinter sich vernahm: “Kagome? Was ist denn passiert?”

Inu Yasha lugte vollkommen verwirrt durch das offene Fenster in das Zimmer. Was war hier los? Kagome kniete vollkommen aufgelöst neben Kimie, die sich vor Schmerzen auf dem Boden krümmte. Zunächst wurde ihm auch keine genauere Erklärung diesbezüglich abgeliefert, stattdessen bat Kagome ihn eindringlich: “Inu Yasha! Bitte bleib bei Kimie!” Und noch ehe er eventuell etwas darauf hätte erwidern können, war sie schon zur Tür hinausgestürmt. “Mama! Mama, komm schnell!”
 

Kimies Zusammenbruch hatte die ganze Familie aufgeschreckt. Besonders Akie und Kimata drängten danach darauf, mit ihrer Tochter ärztliche Unterstützung aufzusuchen. Doch Kimie war damit nicht einverstanden. Ihre strikte Weigerung, zu einem Arzt oder direkt ins Krankenhaus zu gehen, bereitete der Familie großes Kopfzerbrechen. Aber Kimie konnte und wollte das Risiko nicht eingehen, dass bei möglichen Untersuchungen Uneinstimmigkeiten im Bezug auf das Ungeborene festgestellt würden, die nicht ganz dem menschlichen Standard entsprachen.

Da die Krämpfe inzwischen wieder abgeklungen waren, sah Kimie zudem keinen Grund mehr, einen Arzt zu konsultieren. Sie verordnete sich selbst lediglich Bettruhe und hoffte, das dies ausreichen würde. Auch, wenn sie es nicht offen aussprach, für einen Moment lang hatte sie die Panik davor befallen, das Kind möglicherweise zu verlieren. Umso erleichterte war sie letztendlich, als sich ihre Angst nicht bewahrheitet hatte.

“Fühlst du dich wirklich wieder besser, Kleines?”, fragte Akie ihre nunmehr im Bett liegende Tochter sichtlich besorgt.

Kimie nickte bejahend. “Ja, alles in Ordnung.”

“Sollen wir wirklich keinen Arzt hinzuziehen?”, fragte der Großvater nochmals nach, doch Kimie blieb bei ihrer Haltung diesbezüglich.

“Ruh dich aus, Kimie”, riet Kimata ihr nun. “Und wenn du etwas brauchst, sag einfach Bescheid.

“Ja, mach ich, Paps. Danke.”

Kagomes Mutter wandte sich an die Anwesenden: “Kimata hat Recht. Kimie braucht jetzt Ruhe. Kommt! Wir gehen wieder ins Wohnzimmer.”

Nachdem sie die versammelte Mannschaft, bis auf Kagome und Inu Yasha, die noch ein wenig bei Kimie bleiben wollten, aus dem Zimmer hinausgeschafft hatte, schloss die Frau leise die Tür. Erst jetzt setzte sich Kimie seufzend wieder auf. Als Erstes fiel ihr der argwöhnische Blick von Inu Yasha auf.

“Was ist? Warum guckst du so?”, fragte Kimie ihn.

Der Hanyou schüttelte nur fassungslos den Kopf. “Nichts. Ich kann nur nicht fassen, dass du das wirklich mit dir hast machen lassen. Und das auch noch mit Sesshoumaru…”

“Was?”

“Na, es ist doch sein Kind, oder etwa nicht?”

Erst da begriff Kimie, was er meinte. Kurzzeitig hatte sie verdrängt, dass Inu Yasha durch die ganze Aufregung nun ebenfalls mit eingeweiht war.

Als sie noch immer nicht auf seine Frage antwortete, hakte er abermals nach: “Ist es nun seins, oder was?”

“Von wem denn bitteschön sonst?! Was glaubst du denn, was ich für Eine bin?!”, fragte Kimie daraufhin etwas aufgebracht zurück.

Im ersten Moment war Inu Yasha zwar leicht erschrocken zurückgewichen, fing sich aber recht schnell wieder. “Und… wie lange geht das schon so?”

Kimie bemühte sich nun um einen ruhigeren Ton. “So genau weiß ich das auch nicht. Aber es dürfte vielleicht so das Ende des dritten oder der Anfang des vierten Monats sein.”

Inu Yasha ließ einen Pfiff verlauten. “Ui! Und Sesshoumaru weiß bisher wirklich nichts davon? Hm… Nein, muss wohl so sein. Sonst wäre er bestimmt pausenlos in deiner Nähe und wäre nicht wieder abgehauen. Warum sagst du es ihm eigentlich nicht?”

Kimie seufzte abermals. Jetzt war es auch egal. Da Inu Yasha schon Bescheid wusste, konnte sie ihm auch den Rest erzählen. Nachdem sie das getan hatte, begriff der Hanyou zwar einiges mehr, wirklich nachvollziehen konnte er es aber nicht.

“Also…”, begann er nach einem Moment. “Du hast Sesshoumaru zunächst nichts erzählt, weil du nicht wolltest, dass er sich womöglich nur wegen dem Kind für dich und gegen diese Prinzessin entscheidet. Und inzwischen willst du es ihm deshalb nicht sagen, weil du dich nicht mehr würdig genug fühlst, an seiner Seite zu bleiben? Das ist doch bekloppt!”

Kagome schreckte hoch. “Inu Yasha!”

“Was ist? Es stimmt doch!”, entgegnete er entschieden, ehe er sich wieder Kimie zuwandte. “Willst du dieses Theater etwa bis in alle Ewigkeit durchziehen? Das klappt doch nie! Früher oder später findet Sesshoumaru es sowieso heraus. Spätestens dann, wenn man es nicht mehr übersehen kann.”

Kimie schwieg anfangs. So was Ähnliches hatte zuvor bereits Kagome zu ihr gesagt.

“Was bringt es dir außerdem, wenn du es weiterhin für dich behältst?”, fragte Inu Yasha weiter. “Letzten Endes hättest du davon doch überhaupt nichts. Oder hattest du etwa vor, das Kind selbst noch nach er Geburt vor Sesshoumaru zu verstecken?”

Als Antwort darauf schüttelte Kimie nur den Kopf.

Inu Yasha verschränkte die Arme vor der Brust. “Sag es ihm! Das ist das beste.”

Eigentlich wusste Kimie ja selbst, dass er Recht hatte, so wie auch alle anderen, die ihr dazu geraten hatten. Gerne würde sie Sesshoumaru alles sagen, doch verspürte sie abermals diese Zweifel. Es war wie ein Teufelskreis.

Nachdem Kimie eine Zeit lang nichts mehr dazu gesagt hatte, setzte sich Kagome zu ihrer Cousine aufs Bett. “Kimie? Zögerst du, weil du nun befürchtest, so was wie eben könnte wieder passieren? Und dann… weniger glimpflich enden?”

Schweigend senkte Kimie etwas den Blick. “Ich… ich weiß nicht, wie ich es ihm sagen könnte… Würde das passieren, dann…” Zitternd vergrub sie ihre Finger in der Bettdecke. “… dann hätte ich doch endgültig auf ganzer Linie versagt!”

“Kimie…” Kagome war irritiert. In ihren Ohren klang das so, als hätte ihre Cousine das wirklich so gemeint.

“Von versagen kann in diesem Fall ja wohl keine Rede sein!”, widersprach Inu Yasha nach einem Moment. “Schone dich einfach, dann wird schon alles gut gehen. Wie auch immer, wenn du Sesshoumaru alles erzählen möchtest, dann sag es ruhig. Ich gehe dann und hole ihn her. Was ist?”

Erneut hüllte sich Kimie anfangs in Schweigen. Allmählich bekam sie den Eindruck, sie hätte Sesshoumaru gegenüber von Anfang an mit offenen Karten spielen sollen. Gut, die Zeit zurückdrehen konnte sie nicht, aber noch war es ja nicht zu spät. Schlussendlich nickte sie. “In Ordnung… Einverstanden.”

Gefährliche Entwicklung

Nachdem Kimie sich damit einverstanden erklärt hatte, Sesshoumaru alles zu erzählen, war Inu Yasha sogleich zum Schrein gegangen. Gerade, als er diesen betreten wollte, hörte er Kagome nach ihm rufen: “Inu Yasha! Warte kurz!”

“Was ist los? Hat Kimie es sich wieder anders überlegt?” Denn das war das Erste, was ihm durch den Kopf gegangen war.

Nachdem Kagome bei ihm angekommen war, schüttelte sie jedoch verneinend den Kopf. “Nein, hat sie nicht. Ich wollte dich nur noch um etwas bitten, bevor du gehst.”

“Um was geht es denn?”

Ein wenig zögerlich fasste sie ihn am Ärmel und sah ihn bittend an. “Erzähl Sesshoumaru nichts im Voraus, ja? Er sollte es schon von Kimie selbst erfahren.”

“Hm?” Inu Yashas anfängliche Überraschung legte sich schnell wieder. “Ach, das hättest du mir nicht extra sagen müssen, Kagome. Das habe ich mir schon selbst gedacht. Obwohl ich zu gerne Sesshoumarus Gesichtsausdruck gesehen hätte…”

“Inu Yasha…”

Hastig winkte er ab, als er ihren leicht tadelnden Blick bemerkte. “Schon gut, schon gut! Keine Panik, ich sage ihm ja nichts.”

“Danke!” Lächelnd gab Kagome dem Hanyou einen zarten Kuss auf die Wange. Dessen Gesicht errötete daraufhin merklich. Räuspernd wandte er sich zum Gehen um.

“Tja… Dann mache ich mich mal auf den Weg.”

“Tu das. Und ich warte hier mit Kimie.”

Inu Yasha nickte, betrat den Schrein und verschwand mit einem Satz im Brunnenschacht.
 

Wie so oft in den vergangenen Wochen hielt sich Sesshoumaru in unmittelbarer Nähe des Brunnens auf. Während er im Schatten einer der zahlreichen Bäume saß, hatte er diesen stets genauestens im Blick. Dabei war er sich nicht mal sicher ob und wann Kimie ihn überhaupt aufsuchen würde. Oft hatte er mit dem Gedanken gespielt, einfach selbst wieder zu ihr zu gehen, sich dann aber immer dagegen entschieden. Stattdessen wartete er hier…

Eigentlich war es für Sesshoumaru vollkommen untypisch auf etwas oder jemanden zu warten, noch dazu über einen so langen Zeitraum hinweg. Aber was tat man nicht alles Merkwürdiges für oder wegen der Frau an seiner Seite?

Irgendwann bemerkte Sesshoumaru, dass sich ihm jemand näherte. Er erkannte die Schritte sofort, ebenso wie den vertrauten Geruch, der den eines kleinen Mädchens trug. Nur wenig später tauchte Rin beim Brunnen auf.

“Sesshoumaru-sama? Ich habe Euch gesucht. Kann ich Euch Gesellschaft leisten?”, fragte sie ihn gewohnt unbefangen. Nachdem Sesshoumaru ihre Frage bejaht hatte, setzte sie sich zu ihm. Sie trug einen weißen Kimono mit Blütenmuster, den er ihr vor einiger Zeit geschenkt hatte.

Nach einem Augenblick fragte Rin weiter: “Wartet Ihr hier wieder auf Kimie-san?”

Zwar hatte Sesshoumaru dem Mädchen nie wirklich erzählt, was er tagtäglich hier machte, aber sie war schließlich nicht auf den Kopf gefallen und konnte sich den Rest selbst denken. Von daher erachtete er es auch nicht als nötig, ihr eine mündliche Antwort zu geben.

Rin nahm es kommentarlos hin. Sesshoumarus Schweigen war ihr Antwort genug. “Wenn Ihr Kimie-san sehen wollt, warum geht Ihr dann nicht zu ihr?”

Diese Frage hatte das Mädchen ihm in letzter Zeit schon oft gestellt, doch bisher hatte Sesshoumaru es vermieden, allzu ausführlich darauf zu antworten.

“Ich finde es nicht schön, wenn man sich nicht sehen kann, obwohl man es eigentlich möchte”, erzählte Rin weiter, während sie an einigen Grashalmen herumzupfte. “Gerne würde ich meine Familie wieder sehen; meine Eltern und meinen Bruder. Aber sie sind tot. Ich kann sie nicht mehr wieder sehen. Bei Euch und Kimie-san ist das anders. Aber warum seid Ihr dann hier und sie ist auf der anderen Seite des Brunnens? Wollt ihr euch etwa nicht sehen?”

Sesshoumaru schaute die Kleine stumm an. Rin fragte wie immer unbefangen einfach drauf los. In der Hinsicht war sie immer noch das kleine Mädchen, das er damals bei sich aufgenommen und mit auf Reisen genommen hatte.

“Ich denke, Kimie-san würde Euch gerne sehen wollen”, war sie überzeugt. “Ich weiß zwar nicht, was genau passiert ist, aber vielleicht hat sie ja vor etwas Angst oder macht sich Sorgen und weiß nicht genau, wie sie es Euch erzählen soll.”

Diesen Eindruck hatte auch Sesshoumaru, dennoch war er verblüfft, dass es Rin ebenfalls aufgefallen war. Vermutlich hatte sie etwas mitbekommen, als Kimie kurz nach ihrem Weggang aus dem Schloss ein wenig im Dorf geblieben war.

Nach einer Weile bemerkte Sesshoumaru, dass Rin ihn aufmerksam beäugte. Fragend schaute er zu ihr hinunter. Doch anstatt noch etwas zu sagen, lächelte sie nur.

“Was ist, Rin?”

Das Mädchen schüttelte den Kopf. “Gar nichts. Ich bin nur gerne in Eurer Nähe. Und ich bin mir sicher, Kimie-san geht es genau so.”

War das eine indirekte Aufforderung an ihn gewesen, zurück zu Kimie zu gehen? Ein wenig kam es Sesshoumaru so vor. Zumindest brachten ihn Rins Worte zum Nachdenken.

Nachdem die beiden noch ein wenig stumm nebeneinander gesessen hatten, war Sesshoumaru auf einmal so, als würde er einen wohlbekannten Geruch aus dem Brunnenschacht wahrnehmen. Er hatte kaum aufgeschaut, als auch schon sein jüngerer Bruder aus diesem zum Vorschein kam.

“Hey, Sesshoumaru! Praktisch, dass du hier schon wartest, das erspart es mir, nach dir zu suchen.” Inu Yasha sprang vom Brunnenrand.

Rin schien mehr als überrascht vom plötzlichen Auftauchen des Hanyou zu sein. “Inu Yasha-sama! Was macht Ihr hier? Ihr wolltet doch zu Kagome-sama, oder?”

“Ja, ich war auch bei ihr. Und eigentlich wollte ich auch gleich wieder zurück.” Inu Yasha wandte sich seinem Halbbruder zu. “Sesshoumaru, ich hab da eine Nachricht für dich, die dich interessieren dürfte. Es geht um Kimie.” Deutlich konnte er sehen, wie Sesshoumaru aufhorchte und sprach sogleich weiter: “Sie möchte mit dir reden. Komm mit und höre es dir an!”

Aber Sesshoumaru wäre wohl nicht Sesshoumaru, wenn er der Aufforderung einfach so nachgekommen wäre. Er war schließlich kein dressierter Pudel, der bei jedem Pfiff gleich folgte.

“Warum kommt sie nicht her, wenn sie unbedingt reden will?”, fragte er stattdessen zurück, wobei es mit ein wenig Phantasie fast schon ein wenig trotzig klang.

Inu Yasha verschränkte so die Arme vor der Brust, dass seine Hände in den Ärmeln seines Kimonos verborgen waren, und tat unwissend. “Was weiß denn ich? Jetzt stell dich nicht so bockig und komm einfach! Sonst überlegt sie es sich vielleicht wieder anders und du setzt hier am Ende noch Wurzeln an.”

Sesshoumaru ersparte sich eine verbale Erwiderung, der mahnende Ausdruck in seinen Augen sagte ohnehin mehr als tausend Worte. Nur ließ das Inu Yasha wie üblich relativ kalt. Hätte er sich in der Vergangenheit jedes Mal einschüchtern lassen, wenn sein Bruder seinen kühlen Blick für sich hatte sprechen lassen, wäre er vermutlich zu einem ängstlichen Schoßhündchen verkommen.

“Rin, du gehst besser zurück ins Dorf”, wies Sesshoumaru das Mädchen schließlich an. Gehorsam folgte Rin der Aufforderung und machte sich, nachdem sie sich noch von den Brüdern verabschiedet hatte, auf den Rückweg ins Dorf. Nachdem sie fort war, ging Sesshoumaru ohne ein weiteres Wort an Inu Yasha vorbei zum Brunnen. Der Hanyou folgte ihm wortlos.
 

Als Inu Yasha und Sesshoumaru nach ihrem Weg durch den Brunnen aus dem Schrein hinaustraten, sahen sie Kagome und Kimie bereits unweit des heiligen Baumes stehen. Allem Anschein nach hatten die beiden sie schon erwartet. Kimie wirkte sichtlich nervös, als sie Sesshoumaru erblickte.

“Du bleibst am besten einfach hier stehen”, sagte Inu Yasha an den Youkai gerichtet. Kommentarlos verschränkte dieser die Arme vor der Brust. Nicht genug damit, dass seine Gefährtin offenbar Geheimnisse vor ihm hatte, jetzt erteilte ihm sein jüngerer Bruder auch noch Anweisungen! Aber gut, er würde es für dieses eine Mal hinnehmen.

Während Inu Yasha nun hinüber zu Kagome ging, näherte sich Kimie mit langsamen Schritten und leicht gesenktem Blick Sesshoumaru. Unterwegs kreuzte sich ihr Weg mit dem von Inu Yasha.

“Hey”, sprach sie ihn leise an, woraufhin er kurz stehen blieb. “Danke für deine Mühen.”

Inu Yasha antwortete mit einem einfachen Nicken. Danach setzten beide ihre Wege fort.

Als sie beide noch ungefähr zwei Meter voneinander trennten, blieb Kimie letztendlich stehen. Es dauerte ein wenig, ehe sie das Wort ergriff: “Mh… Lange nicht mehr gesehen.”

Um seine nach außen hin etwas abweisend wirkende Haltung abzulegen, ließ Sesshoumaru seine Arme wieder sinken. Als er Kimie ansprach, sprach er ruhig, machte aber zugleich deutlich, dass er endlich Klarheit wollte: “Inu Yasha sagte mir, du möchtest mit mir reden.”

Kimie nickte bestätigend, ehe sie ein Mal tief Luft holte. “Es ist so… Ich weiß nicht genau, wo ich anfangen soll…”

Anstatt ihr ins Wort zu fallen oder drängend nachzufragen, ließ Sesshoumaru ihr die Zeit, die sie brauchte. Allem Anschein nach fiel es ihr schon schwer genug. Geduldig wartete er ab. Indes suchte Kimie angespannt nach den richtigen Worten. Jetzt hatte sie sich schon dazu entschlossen, also sollte sie es auch durchziehen! Und möglicherweise würde sie sich danach auch wesentlich besser fühlen. Denn ein solches Geheimnis ständig mit sich herumzutragen, konnte ziemlich strapazierend sein, wie sie bereits hatte feststellen können.

“Ich… möchte mich gerne bei dir entschuldigen, Sesshoumaru”, fuhr Kimie schließlich fort. “Für all die Unannehmlichkeiten, die ich dir bereitet habe. Zumal es ja bei weitem nicht das erste Mal war… Und außerdem… gibt es da noch etwas, was du wissen solltest. Eigentlich hätte ich dir das schon viel früher sagen sollen.” Erneut pausierte sie einen Moment lang. Ihre Nervosität so gut wie möglich unterdrückend, wollte sie endlich das los werden, was ihr auf der Seele brannte.

Es entging Sesshoumaru natürlich nicht, dass Kimie mit sich zu kämpfen hatte. Obwohl es ihn nach wie vor missmutig stimmte, dass sie ihn so lange in Unwissenheit gelassen hatte, sollte er ihr vielleicht etwas entgegenkommen. Also kam er nun etwas näher.

Kimie wagte zuerst gar nicht, zu ihm aufzuschauen, als er letzten Endes direkt vor ihr stand. Nur zögerlich hob sie den Blick. Seine Mimik war so undurchschaubar wie immer, was es ihr nicht gerade leichter machte. “Ich… ich kann gut verstehen, wenn du verärgert bist. Inu Yasha hat erzählt, dass du offenbar die ganze Zeit darauf gewartet hast, dass ich dich endlich aufsuche. Es tut mir Leid, dass es so lange gedauert hat…”

Als Sesshoumaru daraufhin seine Hand hob, schreckte Kimie unwillkürlich etwas zurück, wenngleich er nie die Hand gegen sie erhoben hatte und sie somit eigentlich keinen Grund hatte, sich in irgendeiner Form zu ängstigen. Die Bestätigung dafür erfuhr sie spätestens dann, als sie die sanfte Berührung an ihrem Gesicht wahrnahm.

“Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, ich wäre nicht verärgert gewesen”, erwiderte Sesshoumaru nun. “Trotzdem, ich denke, du wirst deine Gründe gehabt haben. Deshalb habe ich gewartet.”

Mit einem Gefühl der Erleichterung legte Kimie ihre Hand auf seine. So viel Geduld und Verständnis hatte sie nach eigener Ansicht eigentlich gar nicht verdient. “Mh… Lieb von dir. Danke...”

Sie sollte nicht länger schweigen. Es war an der Zeit, dass sie es ihm endlich sagte. Doch kaum, dass sie den Mund abermals zum Sprechen geöffnet hatte…

“Sesshoumaru!”

Erschrocken fuhr Kimie hoch, und auch die anderen waren nicht minder irritiert, als vollkommen unerwartet eine weitere, dafür aber umso wohlbekannter Person aus dem Schrein gestürzt kam.

“Das ist Ashitaka-kun!”, sprach Kagome die Feststellung aller aus und eilte sofort gemeinsam mit Inu Yasha zum Schrein. “Ashitaka-kun! Was ist denn los? Ist etwas passiert?”

“Passiert ist gar kein Ausdruck… Es ist eher eine ausgemachte Katastrophe!” Ashitaka bekam kaum Luft. Wie sehr musste er sich beeilt haben, dass er so geschafft war, dass er kaum noch sprechen konnte? Die anderen befürchteten schon, er würde jeden Moment bewusstlos umkippen. Obwohl er noch etwas Zeit gebraucht hätte, konnte oder wollte Ashitaka sich nicht zu lange ausruhen. Bereits nach wenigen Atemzügen richtete er das Wort an seinen Cousin: “Sesshoumaru… Wir haben keine Zeit! Du musst sofort zurück zum Schloss kommen!”

“Was ist geschehen?”

“Taiga, der Sohn von Fürst Aoshi… Er ist tot. Er wurde umgebracht.”

Fassungslose Stille breitete sich aus. Bis auf Sesshoumaru fragten sich alle, ob sie sich nicht eventuell nur verhört hatten. Die Blicke von Kagome, Kimie und Inu Yasha reichten von ungläubig bis erschrocken.

“Wie konnte das geschehen? Wer hat das zu verantworten?”, fragte Sesshoumaru indes an Ashitaka gewandt.

“Ich weiß es nicht”, antwortete der Jüngere kopfschüttelnd. “Aber die Füchse beschuldigen uns, dass wir etwas damit zu tun haben.”

“Was?! Aber das ist doch Unsinn! Das kann nicht sein!”, war Kagome überzeugt und war damit nicht die Einzige.

Inu Yasha schnaubte verärgert. “Tse! Das ist echt blöd! Es sollte mich nicht wundern, wenn diese Füchse nun erst recht einen riesigen Aufstand machen. Das könnte sehr hässlich werden…”

Diese Ansicht wurde auch von Sesshoumaru stillschweigend geteilt. Ashitaka hatte Recht, es durfte keine weitere Zeit vergeudet werden. Die Rückreise zum Schloss würde mindestens einen halben Tag in Anspruch nehmen, und das auch nur, wenn sie sich sehr beeilten. Doch Sesshoumaru plagten gewisse Skrupel. Das so was ausgerechnet jetzt passieren musste…

Obwohl er wusste, dass die Zeit drängte, so musste er eine Sache noch zu Ende bringen und erteilte Ashitaka daher die Anweisung, noch einen Moment zu warten. Das konnte diesem im Grunde auch ganz recht sein, da es ihm die Möglichkeit bot, sich etwas mehr zu erholen.

Währenddessen richtete Sesshoumaru seine Aufmerksamkeit wiederum auf Kimie. “Du hast es gehört, ich muss zurück. Aber du wolltest mir doch noch etwas sagen.”

Zunächst schien es auch so, als wollte Kimie ihm nach dem ersten halbwegs verdauten Schock über das zuletzt gehörte darauf antworten, aber dann schüttelte sie den Kopf. “Schon gut. Ich wollte dir nur… sagen, dass ich gerne wieder mit dir zurückgehen würde, aber… im Moment scheint das kein guter Zeitpunkt zu sein.” Sie lächelte beschwichtigend. “Geh nur. Die Sache scheint ernst zu sein. Da wäre es besser, wenn du bei deinen Leuten bist.”

Sesshoumaru jedoch war skeptisch. “Ist das wirklich alles, was du mir mitteilen wolltest?”

Ein Seufzen unterdrückend, sprach Kimie nach einem Augenblick weiter: “Vorschlag: Ich erzähle es dir, wenn sich wieder alles beruhigt hat. Keine Sorge, es ist nichts Schlimmes.”

Nun gut, so wirklich zufrieden stellte Sesshoumaru diese Aussage zwar nicht, aber wenn sie es so wollte… Sie würde sich schon etwas dabei denken.

“Du bleibst am besten hier, bis ich wieder für Ruhe gesorgt habe”, schlug er Kimie vor, woraufhin sie einverstanden nickte. Und auch Sesshoumaru selbst würde sich besser fühlen, wenn er sie möglichst weit weg von der potenziellen Gefahr wusste.

Inzwischen hatte sich Ashitaka wieder so weit erholt, dass er Sesshoumaru abermals zum Aufbruch drängte. Die beiden Youkai machten sich auch umgehend auf den Weg und kehrten durch den Brunnen in die Sengoku-Ära zurück.

Nachdem Sesshoumaru und Ashitaka fort waren, trat Kagome an Kimies heran. “Kimie? Warum hast du es ihm nicht gesagt, obwohl du es dir vorgenommen hattest?”

“Ich wollte es ihm nicht unnötig schwer machen. Der Zeitpunkt ist ungünstig. Im Moment muss er ein größeres Problem lösen. Soll er sich dann auch noch Sorgen um mich und sein ungeborenes Kind machen müssen? Gerade jetzt?” Dennoch seufzte sie schwer. “Hmm… Vielleicht soll es auch einfach nicht sein…”

Kagome schaute schweigend zu Inu Yasha, der jedoch auch nur wortlos mit den Schultern zuckte. Aber plötzlich ergriff die junge Miko ihn am Ärmel. “Inu Yasha, komm mit! Wir gehen auch zum Schloss!”

Der Hanyou war vollkommen überrumpelt. “Was?! Aber wieso…?”

“Ich möchte wissen, was da genau los ist!”, antwortete Kagome entschieden.

“Aber die beiden holen wir doch gar nicht mehr ein!”, widersprach er. Denn bestimmt waren sein Bruder und Ashitaka schon längst über alle Berge.

Kagome allerdings ließ sich nicht beirren. “Das ist doch egal! Wir kennen schließlich den Weg!” Bevor sie Inu Yasha in den Schrein zerrte, redete sie noch einmal mit Kimie: “Sesshoumaru hat Recht, Kimie. Du wartest am besten hier. Wenn wir mehr erfahren haben, dann kommen wir zurück und erzählen es dir, in Ordnung?”

“Gut, aber seid vorsichtig”, bat Kimie die beiden noch, ehe sie ebenfalls im Schrein verschwanden und anschließend durch den Brunnen zurück in die Vergangenheit reisten.

Nach einem Moment trat Kimie langsamen Schrittes an die Tür des Schreins und richtete den Blick nachdenklich auf den alten Brunnen.

>Der Prinz wurde umgebracht? Aber von wem? Und warum? Was ist da bloß passiert…?<

Insgeheim hoffte sie inständig, dass sich dieser grässliche Vorfall in den westlichen Ländern rasch aufklären lassen würde. Nicht nur deshalb, damit sie Sesshoumaru endlich alles erzählen konnte. Wo sie es sich doch endlich vorgenommen hatte…
 

* ~ * ~ * ~ *
 

Eile war für Sesshoumaru und Ashitaka in der Tat geboten, denn im Schloss im Westen herrschte nach Taigas gewaltsamen Tod der Ausnahmezustand. Keiner hatte gesehen oder gehört, wie der Prinz zu Tode gekommen war, dafür brodelte die Gerüchteküche umso mehr. Die Inu-Youkai und die Kitsune… Beide Seiten beschuldigten sich gegenseitig, etwas mit dieser Sache zu tun zu haben. Die Kitsune vermuteten ein feiges Komplott, die Inu-Youkai hingegen waren überzeugt, dass es sich um eine Intrige gegen sie handelte. Dass irgendjemand in den Reihen der Füchse ein Doppelspiel spielte, um ihnen den Tod Taigas anzulasten.

Dass die heftigen Wortgefechte bisher noch nicht eskaliert waren, war an sich schon ein kleines Wunder. Allerdings heizte sich die Stimmung mit jeder Stunde, die verging, unaufhaltsam auf. Es war bestimmt nur noch eine Frage der Zeit, bis es zu den ersten handfesten Übergriffen käme…

“Ich hoffe, Ashitaka kommt schnell mit Sesshoumaru zurück.”

Von Kakerus Zimmer aus schaute Tôya skeptisch aus dem Fenster. Die Luft war zum Zerreißen gespannt. Auf dem Hof beäugten sich Inu-Youkai und Füchse gegenseitig mit argwöhnischen Blicken.

Für Kakeru und Sakura, die sich mit ihm in den Räumlichkeiten aufhielten, war die angespannte Stimmung, die auch viel unterdrückte Aggression beherbergte, regelrecht greifbar.

“Fürst Aoshi hat sich seither nicht mehr gezeigt”, bemerkte Sakura betrübt. “Er hält sich nur noch in seinen Gemächern auf, ebenso wie seine beiden Töchter.”

“Aoshi-sama hat seinen einzigen Sohn verloren”, gab Kakeru zu bedenken. “Sein Verhalten ist nachvollziehbar, allerdings bereitet es mir Sorgen, was geschehen könnte, wenn er sich nicht bald wieder aufrafft.”

“Ja. Wenn er seine Leute nicht unter Kontrolle hält, haben wir bald noch mehr Probleme”, meinte Tôya.

Zwar hatte Aoshi seinen Kriegern im Vorfeld jegliche kämpferische Auseinandersetzung mit den Inu-Youkai ausdrücklich untersagt bis Klarheit über die wahren Umstände dieses Vorfalls herrschte, doch die Füchse wurden spürbar ungehaltener. Und diese Stimmung übertrug sich auf die Inu-Youkai.

Tôya seufzte angespannt. “Ich hatte von Anfang ein schlechtes Gefühl bei dieser Geschichte. Warum mussten die Füchse nach so langer Zeit hier auftauchen? Hatte Sesshoumaru-sama nicht klargestellt, dass er nicht an der Verlobung mit Prinzessin Saori festzuhalten gedenkt?”

“Doch, das hat er”, entgegnete Kakeru daraufhin. “Allerdings schien Aoshi-sama eine einfache Absage nicht akzeptieren zu wollen.”

“Aber warum?” Tôya verschränkte die Arme vor der Brust. “Er hätte Sesshoumaru-sama doch schlecht dazu zwingen können, seine Tochter zu heiraten. Wollte er die Sache etwa aussitzen?”

Doch darauf konnten ihm weder Kakeru noch Sakura eine wirklich einleuchtende Antwort geben.

Plötzlich aufkommender Lärm auf dem Hof ließ die drei abrupt aufhorchen. Als Tôya erneut aus dem Fenster blickte, glaubte er zuerst, das er nicht richtig sah. Aoshis oberster General Kuro legte sich mit gleich drei Kriegern aus den Reihen der Inu-Youkai an und ging dabei alles andere als zimperlich zu Werke. Mit einem kraftvollen Feuerangriff streckte er einen seiner Widersacher soeben nieder.

“Verdammt! Das musste ja so kommen!” Durch das ganze Schloss zu eilen, hätte zu lange gedauert. Deshalb sprang Tôya einfach aus dem offenen Fenster hinunter mitten ins Geschehen. Er kam gerade noch rechtzeitig, um zu verhindern, dass Kuro seinem unterlegenen Gegner dem Garaus machen konnte. “Schluss damit! Hört sofort auf!”

Tatsächlich hielt Kuro in seinen Angriffen inne, doch sein herablassender Blick zeigte klar und deutlich, was er dachte. Tôya nutzte diesen kurzen Augenblick der wieder eingekehrten Ruhe, um an die beiden anderen Inu-Youkai, die an dieser Auseinandersetzung beteiligt waren, die Anweisung zu erteilen, sich um den Verletzten zu kümmern.

Kuro schnaubte verächtlich. “Verdammte Köter! Wie lange wollt ihr uns noch zum Narren halten?! Zuerst verschwindet euer Anführer wegen einem Menschenweib und beleidigt damit unsere ehrwürdige Prinzessin! Und nun ist auch noch der Prinz tot! Gebt doch endlich zu, dass ihr das zu verantworten habt! Von Anfang an seid ihr uns doch mit Argwohn gegenübergetreten!”

Ein wütendes Knurren unterdrückend setzte Tôya zu einer Erwiderung an, als ihm Kakeru, der soeben im Beisein von Sakura aus dem Schloss trat, zuvorkam: “Bevor Ihr allzu leicht mit dem Finger auf andere zeigt, solltet Ihr zunächst nachdenken, General.”

“Was soll das heißen?”, fragte Kuro misstrauisch.

Kakeru trat weiter vor. Er sprach gewohnt ruhig, aber bestimmt: “Entspricht es denn nicht der Wahrheit, dass immer, wenn Ihr das Schloss verlassen habt, der Prinz Euch gefolgt ist? Könnte es nicht vielleicht sein, dass irgendetwas vorgefallen ist?”

Diese indirekte Unterstellung ließ Kuro erzürnt aufknurren. Nicht zuletzt deshalb, weil einige der Füchse nun miteinander zu tuscheln begannen.

“Ich habe es nicht nötig, mich von einem blinden Köter belehren zu lassen!”, brüllte der General seinem Gegenüber wutentbrannt entgegen, ehe er nur einen Augenaufschlag später eine mächtige blaue Flamme in dessen Richtung schleuderte.

“Kakeru! Pass auf!!”, rief Sakura erschrocken aus.

Anstatt jedoch auszuweichen, legte Kakeru beide Handflächen aneinander und erschuf um sich herum einen schützenden Bannkreis, der die gesamte Energie von Kuros Attacke in sich aufnahm. Doch wurde sie nicht etwa neutralisiert, sondern gespeichert. Bevor Kuro überhaupt begriff, was gerade passierte, lenkte Kakeru die gesammelte Energie des auf ihn konzentrierten Angriffs auf dessen Erschaffer zurück. Die Wucht des Gegenangriffs war so stark, dass Kuro mit voller Kraft gegen die Schlossmauer geschleudert wurde und sich eine deutlich sichtbare Vertiefung und zahlreiche von dieser ausgehende Risse im Mauerwerk abzeichneten. Fassungslose Stille breitete sich aus, als er benommen zu Boden ging.

Kakeru nahm wieder seine erhabene Haltung an. “Auch ein blinder Hund kann böse zubeißen, wenn man ihn zu sehr gegen sich aufbringt. Ihr mit Eurer langjährigen Kampferfahrung solltet das eigentlich wissen, General.”

Mühsam aufkeuchend kam Kuro wieder auf die Beine. Die blaue Flamme, die er eingesetzt hatte, war mehr eine Ansammlung starker Energie gewesen, als wirkliches Feuer. Zwar hatte er einige deutlich sichtbare Schrammen abbekommen und der heftige Schlag gegen die Mauer war auch nicht ohne gewesen, doch viel schwerer wog die Schmach, dass er von Kakeru so leicht in seine Schranken gewiesen worden war. Kuro konnte es nicht fassen. Es irritierte ihn so dermaßen, dass Kakeru seinen Angriff trotz seiner Einschränkung so einfach hatte kontern können. Allerdings hätte er es in der Tat besser wissen müssen…

Vermutlich hätte Kuro den Kampf mit Kakeru gleich wieder aufgenommen, hätte sich die Aufmerksamkeit aller nicht auf die beiden gigantischen Hunde am Himmel gerichtet, die sich dem Schloss näherten. Erleichtert erkannte Tôya in den beiden Sesshoumaru und Ashitaka. Als sie zur Landung auf dem Schlosshof ansetzten, verschwanden beide in einem hellen Licht und standen wenig später zurückverwandelt inmitten der versammelten Anwesenden.

Die Atmosphäre wurde beherrscht von unbehaglichem Schweigen. Sesshoumaru konnte die herrschende Unruhe ganz genau spüren. Keiner richtete jedoch zunächst das Wort an ihn, und auch er bleib stumm.

Irgendwann richtete sich Sesshoumarus Aufmerksamkeit auf Kuro. “Du wagst in der Tat so einiges. Ist es Überzeugung, Arroganz oder Dummheit?”

Kuro antwortete nicht darauf, zumal die Frage ohnehin eher rhetorischer Natur gewesen war. Zudem hielt er es nicht für sonderlich schlau, in Sesshoumarus Anwesenheit weiterhin so offensiv aufzutreten. Denn allem Anschein nach hatte er diesen kleinen Zwischenfall von eben durchaus mitbekommen.

“Ich werde mit Aoshi reden”, kündigte Sesshoumaru nun an, ohne weiter auf Kuro einzugehen. Denn das war das Erste, was er auf jeden Fall tun musste. Allein schon, um möglicherweise mehr über diesen Fall an sich zu erfahren. Doch in einem war er sich bereits relativ sicher: Entweder gab es in den Reihen der Füchse einen kaltblütigen Verräter oder unter seinen eigenen Leuten verbarg sich ein heimtückischer Abtrünniger.
 

Dass, was Sesshoumaru im Gespräch mit Aoshi in Erfahrung brachte, war anfangs nicht gerade hilfreich im Bezug auf die Suche nach dem Schuldigen. Allem Anschein nach war Taiga leblos in seinem Zimmer aufgefunden worden. Somit war der Verdacht gar nicht so unbegründet, dass auch einer der Inu-Youkai als Übeltäter in Frage kam. Was jedoch Rätsel aufwarf, war die Tatsache, dass der Prinz keinerlei äußerliche Verletzungen aufwies. Auch der Raum war frei von jeglichen Spuren eines Kampfes gewesen. Konnte man also dennoch von einem gewaltsamen Tod reden?

Ja, wenn man nämlich Magie mit in Betracht zog. Allerdings waren die Füchse in der Hinsicht geübter als die Inu-Youkai. Dies teilte Sesshoumaru seinem Gegenüber auch ohne jegliches Zögern mit.

Aoshi nickte einmal. “Ich bin mir dessen bewusst, dass wir Kitsune im Gebrauch der Magie mehr Erfahrung haben. Doch bedenkt, wenn wir unsere magischen Fähigkeiten nutzen, dann bleibt dies nicht unbemerkt. Die Energie, die dabei freigesetzt wird, ist auch für Außenstehende spürbar. Und um jemanden wie meinen Sohn zu töten, braucht es viel magische Energie. Wenn einer meiner Leute ihn mit solchen Mitteln getötet hätte, hätte ich das gemerkt.”

Gut, das klang für Sesshoumaru zwar einerseits einleuchtend, aber andererseits warf es nur noch mehr Fragen auf. Wenn der Prinz wirklich durch Magie zu Tode kam, warum hatte keiner etwas davon bemerkt? Und warum hatte Taiga sich nicht gegen seinen Angreifer gewehrt? Vermutlich, weil er ihn kannte, das war die einzige logische Erklärung.

Auf weitere Nachfragen von Sesshoumaru gestand Aoshi ihm gegenüber schließlich, dass er seinen Sohn damit beauftragt hatte, Kuro ein wenig im Auge zu behalten. Denn das Verhalten seines Generals hatte dem Fürsten schon seit dem ersten Tag im Schloss Rätsel aufgegeben.

In der Tat, Kuro hatte sich stets merkwürdig benommen. Aber wenn er wirklich etwas mit dem gewaltsamen Tod Taigas zu tun hatte, wäre das nicht ein wenig zu offensichtlich gewesen? Kuro war kein Dummkopf. Wenn er wirklich in diese Sache mit verwickelt war, dann musste er auch wissen, dass sein aggressives Auftreten von vorhin nicht unbedingt dazu beitrug, den Verdacht von ihm abzulenken.

Sesshoumarus stille Spekulationen gingen irgendwann so weit, dass er nicht mehr ausschließen wollte, dass es vielleicht sogar mehr als einen Täter gab. Nur hatte er keine Idee, wer sich dahinter verbergen könnte. Und zwei weitere zentrale Fragen blieben ebenfalls offen: War Taigas Tod eine im Voraus lange geplante Tat gewesen? Und wenn ja, wo lag das Motiv?

Sesshoumaru hatte wohl keine andere Wahl. Er musste abwarten, wie sich die Geschichte weiter entwickelte. Und darauf hoffen, dass der oder die Täter einen Fehler machten, der ihn auf die richtige Spur führen würde…
 

* ~ * ~ * ~ *
 

Allmählich ging die Sonne unter.

Kimie rechnete nicht damit, dass Inu Yasha und Kagome so bald zurückkämen. Bestimmt konnte sie frühestens in ein paar Tagen damit rechnen, genaueres bezüglich der Situation im Schloss zu erfahren. Sie war angespannt. Was passierte dort wohl genau in diesem Moment? Konnte Sesshoumaru etwas erreichen oder war die Lage bereits außer Kontrolle geraten? Und wenn dem so war, was bedeutete das für die Zukunft? Stand möglicherweise wieder ein großer und langer Kampf bevor?

Obwohl Kimie wusste, dass all diese Fragen und Sorgen ihr keinesfalls gut tun konnten, sie schaffte es einfach nicht, sich von ihnen befreien. Insgeheim begann sie sich sogar zu fragen, ob all das nicht möglicherweise allein ihre Schuld war. Hätte sie es damals erst gar nicht darauf angelegt, Sesshoumaru näher zu kommen, wäre es unter Umständen gar nicht so weit gekommen.

Müde legte sich Kimie auf ihr Bett. Sie fühlte sich furchtbar angespannt und sehr unwohl. Und dieses Unbehagen ließ sie bis tief in die Nacht keinen Schlaf finden.

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

Inu Yasha und Kagome erreichten das Schloss einige Zeit nach Sesshoumaru und Ashitaka. Da sich Sesshoumaru zu diesem Zeitpunkt noch im Gespräch mit Aoshi befand, erzählte ihnen Ashitaka genauer, was sich zugetragen hatte. Gemeinsam mit ihm und Sakura hatten sie sich in Ashitakas Privaträume zurückgezogen, um in Ruhe reden zu können.

Besonders Kagome konnte es immer noch nicht glauben. “Habt ihr denn zumindest schon irgendeinen Verdacht, wer hinter alldem stecken könnte, Ashitaka-kun?”

“Nein, leider nicht. Was das angeht, haben wir keinerlei Hinweise, die uns in irgendeiner Form weiterhelfen könnten.”

“Tse! Also, für mich ist die Sache klar!”, warf Inu Yasha überzeugt ein. “Habt ihr euch denn diesen arroganten Kerl von General mal genauer zur Brust genommen? Wenn der nicht verdächtig ist, dann weiß ich nicht, wer sonst.”

Als die anderen dazu schwiegen, ergriff Sakura das Wort: “Nun, daran haben wir auch schon gedacht. Findest du jedoch nicht, dass dies viel zu offensichtlich wäre, Inu Yasha?”

“Hm…” Der Hanyou verschränkte die Arme vor der Brust. Er musste zugeben, da war was Wahres dran. Allerdings bezweifelte er, dass es unter diesen Umständen für ihn und Kagome noch viel Sinn machen würde, länger hier zu bleiben.

“Ich glaube, wir sollten schon ein paar Tage bleiben, Inu Yasha. Vielleicht ergibt sich ja noch etwas”, schlug die junge Miko nach einem Moment vor.

Obwohl Inu Yasha nicht so recht überzeugt davon war, stimmte er nach kurzer Überlegung zu.

Doch kaum, dass Kagome diesen Entschluss gefasst hatte, schrie sie plötzlich auf: “O nein!”

Inu Yasha sträubten sich vor Schreck die Nackenhaare. “Waah! Was ist denn jetzt schon wieder los, Kagome?”

“Wir beide sind so überstürzt aufgebrochen, dass ich alle meine Sachen zu Hause vergessen habe!”

Während Ashitaka und Sakura, die nicht minder erschrocken gewesen waren als Inu Yasha, sich in ratloses Schweigen hüllte, verkniff sich der Hanyou ein allzu lautes Aufseufzen. Er wollte Kagome lieber nicht daran erinnern, dass sie allein diejenige gewesen war, die so hastig zum Aufbruch gedrängt hatte.
 

So sehr er sich auch bemühte, bei dieser Geschichte den Durchblick zu behalten, je länger Sesshoumaru über den mysteriösen Tod von Taiga nachdachte, umso weniger bekam er das Gefühl, als hätte er wirklich alles im Griff. Er gab es nicht gerne zu, aber er wusste nicht weiter. Wo sollte er anfangen? Er hatte keinerlei verlässliche Anhaltspunkte, auf die er sich zumindest einigermaßen hätte stützen können. Sollte er die Sache etwa aussitzen, bis der Mörder von selbst mal einen Fehler begehen und sich versehentlich verraten würde?

Ursprünglich hatte Sesshoumaru vorgehabt, sich höchstens ein paar Wochen mit diesem Fall zu beschäftigen. Doch das war unter den gegebenen Umständen unmöglich. Er ging eher davon aus, dass es mindestens einige Monate dauern würde. Und das auch nur, wenn er Glück hatte.

Wenn Youkai unter ihresgleichen ein derartiges Verbrechen begingen, wohl in dem Wissen, was dies zwangsläufig für Konsequenzen mit sich zog, dann wussten sie ganz genau, wie sie sich danach zu benehmen hatten, um keinerlei Verdacht auf sich zu lenken. Und sie hielten dieses Spiel lange durch, sofern sie kaltblütig genug dafür waren…

Und das alles ausgerechnet jetzt. Sesshoumaru musste daran denken, was Kimie ihm hatte erzählen wollen, kurz bevor er hierher zurückkehrte. Obwohl sie ihm versichert hatte, dass es sich um nichts Schlimmes handelte, war er nachdenklich. Wenn dem wirklich so war, warum hatte sie es ihm so lange nicht erzählen wollen?

Während Sesshoumaru mit dem Kopf voller Gedanken in seinem Zimmer saß, hockte Jaken die ganze Zeit über schweigend neben seinem Herrn. Der Krötendämon hatte sich bisher nicht getraut, auch nur ein Wort zu sagen. Er war fast schon erleichtert, als es irgendwann an der Tür klopfte und Kakeru das Zimmer betrat.

“Verzeiht, dass ich Euch störe, Sesshoumaru-sama. Erlaubt Ihr mir, mich zu Euch zu gesellen?”

Sesshoumaru nickte nur stumm.

Nachdem er sich zu ihm gesetzt hatte, hüllte sich Kakeru zunächst ebenfalls in Schweigen, als wartete er darauf, dass sein junger Herr als Erster das Wort an ihn richtete.

“Kakeru. Hast du wirklich nichts gemerkt?”, sprach Sesshoumaru ihn schließlich an. Denn eigentlich entging Kakeru im Grunde fast gar nichts. Doch das Kopfschütteln seines Vertrauten, war Antwort genug.

“Ich bitte um Entschuldigung, aber in diesem Fall kann ich Euch leider keine verwendbaren Informationen zukommen lassen. Ich bin genau so ratlos, wie Ihr es wohl seid.”

“Sesshoumaru-sama ist nicht ratlos! Dieser Begriff ist ihm vollkommen fremd!”, mischte sich Jaken plötzlich ein, schalt sich aber im selben Augenblick und senkte demütig den Blick. “Ich bitte untertänigst um Vergebung… Es stand mir nicht zu.”

Kakeru lächelte gewohnt freundlich. Dass Jaken stets darum bemüht war, seinen Herrn nur im besten Licht zu sehen, kannte er schließlich schon.

“Ich bin mir dessen bewusst, dass wir vor einem großen Problem stehen, Sesshoumaru-sama”, sprach Kakeru weiter. “Dennoch, wenn ich es mir erlauben dürfte, würde ich gerne kurz das Thema wechseln und Euch fragen, wie Euer Besuch bei Kimie-dono verlief. Ihr ward schließlich lange weg.”

Nach anfänglichem Zögern, was er jedoch nicht nach außen zeigte, antwortete Sesshoumaru: “Was auch immer sie vor mir verheimlicht hat, sie wollte es mir offenbar endlich sagen. Aber dann kam Ashitaka.”

“Und sie hat es angesichts der momentanen Situation doch nicht getan”, schlussfolgerte Kakeru. Sesshoumarus Schweigen genügte ihm als Bestätigung. Nach einem Moment der Stille fuhr Kakeru fort, wobei er hörbar ernster wurde: “Ihr seid Euch aber dessen bewusst, dass es lange dauern kann, bis Ihr sie unter den gegebenen Umständen wieder sehen könnt? Denn jetzt könnt Ihr es Euch nicht leisten, einfach wieder zu verschwinden. Das würde ein schlechtes Licht auf Euch werfen und sicherlich auch unangenehme Konsequenzen mit sich bringen.”

“Ja, das weiß ich”, erwiderte Sesshoumaru kühl. Und ob er wollte oder nicht, damit musste er sich wohl arrangieren. Gleichzeitig schürte es seine insgeheim brodelnde Wut auf denjenigen, der für diese ganze Farce verantwortlich war. Um wen auch immer es sich dabei handeln mochte, Sesshoumaru wollte ihn finden und mit aller Gewalt spüren lassen, dass er sich nicht so einfach zum Spielball politischer Intrigen machen ließe!
 

Den Blick leicht gesenkt und langsamen Schrittes ging Saori durch die Gänge des Schlosses. Sie hatte das dringende Bedürfnis, mit ihrem Vater zu sprechen. Ihre jüngere Schwester hatte es vorgezogen, in ihrem Zimmer zu bleiben.

Niemand kreuzte Saoris Weg, aber das war ihr auch ganz recht. Sie war fast schon erleichtert, als sie schließlich die Räumlichkeiten ihres Vaters erreichte. Als die Prinzessin sich der Tür näherte, trat auf einmal Kuro aus dem Raum hinaus in den Gang. Leicht erschrocken wich sie zurück, fing sich jedoch rasch wieder.

Kuro verneigte sich. “Saori-sama. Ich nehme an, Ihr wollt zu Eurem verehrten Vater.”

Saori bestätigte dies mit einem stimmen Nicken. “Worüber… hast du mit ihm geredet, Kuro?”

“Es ging um den tragischen Tod des Prinzen. Wirklich eine erschütternde Geschichte. Dürfte ich mir die Frage erlauben, wie es Euch und Eurer Schwester geht?”

Sie schaute traurig zu Boden. “Harumi scheint irgendwie neben sich zu stehen und überhaupt ist sie mit ihren Gedanken offenbar ganz woanders. Und ich…” Die Prinzessin hielt inne, da ihre Stimme zu versagen drohte. Kaum schaffte sie es, Haltung zu bewahren.

Kuro trat nun näher an sie heran. “Euer verehrter Bruder war stark im Leben. Ganz bestimmt wird man sich an ihn erinnern.”

Saori schaute zu dem General auf. Ihr Blick spiegelte Unsicherheit wider. “Kuro… Sag mir, hast du…?”

“Hm?”

Gerade, als sie weiter sprechen wollte, zögerte Saori allerdings. Dann schüttelte sie den Kopf. “Ach, nichts… Schon gut, vergiss es.”

Das konnte sie nicht tun! Sie konnte Kuro nicht fragen, ob er etwas mit dieser Sache zu tun hatte. Das war absurd! Er hatte ihrer Familie stets loyal und treu gedient. Ganz gleich, wie er sich seit dem Aufenthalt in den westlichen Ländern benommen hatte.

Saori konnte sich nicht länger zusammenreißen. So sehr sie sich auch bemühte, sie konnte nicht verhindern, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen. Das war alles einfach zu viel für sie. Der Tod ihres geliebten Bruders, diese ganze verfluchte Situation…

Saori erschrak, als sie spürte, wie Kuro die Arme um sie legte, als wollte er ihr Trost spenden. Dabei sprach er jedoch kein Wort.

Kurz war Saori versucht, sich ihm zu entziehen. Dass er sie umarmte, war eigentlich ein absolutes Tabu! Wenn sie jetzt jemand so sehen würde, könnte es unangenehme Konsequenzen mit sich ziehen. Besonders für Kuro. Andererseits fühlte sich Saori durch diese Art des Beistandes ein wenig besser. Zumindest machte es dieses Gefühl der Ohnmacht nun erträglicher. Doch nach einem Moment entzog sie sich ihm wieder.

“Kuro… Wir sollten das nicht tun.”

Der General verneigte sich. “Natürlich. Verzeiht meine Aufdringlichkeit.”

“Schon gut. Ich werde jetzt mit meinem Vater reden.”

Kuro machte Saori den Weg frei und wartete noch, bis sie hinter der Tür verschwunden war. Einen kurzen Augenblick hatte sie noch mal zu ihm zurückgesehen.

Nachdem die Tür sich hinter der Prinzessin wieder geschlossen hatte, wandte auch Kuro sich zum gehen um.
 

* ~ * ~ * ~ *
 

Seit dem vergangenen Abend lag Kimie im Bett. Sogar zum Frühstück war sie nicht hinunter zu ihrer Familie gegangen. Obwohl sie sich müde fühlte, konnte sie nicht schlafen. Stattdessen dachte sie die ganze Zeit über ihre Situation nach. Und darüber, wie es wohl im Schloss aussah. Wie ernst die Lage wirklich war…

Als es an ihrer Zimmertür klopfte, horchte Kimie auf. “Ja?”

“Ich bin’s, Kleines!”

“Mama?” Kimie setzte sich auf. “Komm rein!”

Lächelnd betrat Akie das Zimmer ihrer Tochter. “Hey… Wie geht es dir? Hast du immer noch keinen Hunger?”

“Nicht wirklich. Aber ansonsten geht’s mir eigentlich ganz gut.”

“Hm…” Akie wirkte wenig überzeugt. “Kimie, erzähl mir nichts. Ich kenne dich und weiß genau, wann es dir schlecht geht.”

Kimie schwieg einen Moment lang. “Ich würde nicht sagen, dass es mir schlecht geht. Aber…”

Als ihre Tochter nicht weiterredete, näherte sich Akie ihr. “Bereust du es, ihm noch nicht gesagt zu haben?”

Zunächst verstand Kimie nicht so ganz, aber dann war ihr klar, was ihre Mutter meinte.

“Mh… Ich wollte es ihm ja sagen, aber es passte nicht”, erwiderte sie. Natürlich hatte sie der Familie erzählt, was sich offenbar in den westlichen Ländern zugetragen hatte. Nicht zuletzt, weil Kagome und Inu Yasha ebenfalls so schnell dorthin aufgebrochen waren, dass sie sich gar nicht mehr verabschiedet hatten.

Akie nahm sich die Haarbürste, die auf Kimies Schreibtisch lag und setzte sich nun ebenfalls auf das Bett.

“Kimie, du weißt doch gar nicht, wie lange es dauern wird, bis Sesshoumaru wieder zurückkommen kann”, gab sie zu bedenken, während sie ihrer Tochter das Haar bürstete. “So, wie du die Situation geschildert hast, scheint sie sehr kompliziert und verfahren zu sein. Ein solches Problem löst sich nicht einfach von einem Tag auf den anderen in Luft auf. Was willst du tun, wenn es sich so lange hinzieht, bis das Baby zur Welt kommt?”

Kimie horchte auf. Daran hatte sie überhaupt nicht gedacht. “Glaubst du denn… dass Sesshoumaru es vorher nicht schaffen wird, wieder zurückzukommen?”

“Ich weiß es nicht, mein Kind”, musste Akie mit einem Seufzen gestehen. “Aus diesem Grund solltest du gut darüber nachdenken, ob du es ihm nicht doch zeitig sagst.”

“Aber ich will nicht, dass er sich möglicherweise noch mehr Sorgen macht. Ausgerechnet jetzt…”

“Das verstehe ich ja. Aber denk doch auch an dich! Es tut dir bestimmt nicht gut, wenn du dich mit Sorgen quälst.”

“Ich glaube, ich wäre unter den gegebenen Umständen besorgter, hätte ich Sesshoumaru bereits alles gesagt. Mach dir keine Sorgen, Mama, ich komme schon klar.”

Schweigend fuhr Akie mit der Bürste weiter eine Weile durch das Haar ihrer Tochter.

“Da fällt mir ein, dass du mir und deinem Vater noch nie so richtig erzählt hast, wie du und Sesshoumaru euch eigentlich kennen gelernt habt”, warf Akie plötzlich ein.

“Hm? Hab ich nicht?”, fragte Kimie sogleich verwundert.

“Nein”, antwortete ihre Mutter. “Erstaunlich, wenn man sich überlegt, wie lange du nun schon mit ihm zusammen bist. Andererseits warst du ja auch drei Jahre in seiner Zeit, ohne wieder hierher zurückgekommen zu sein, weil der Brunnen sich geschlossen hatte. Erzähl doch mal, Kleines! War es Liebe auf den ersten Blick?”

“Tja… So würde ich das eigentlich nicht sagen, aber…” Kimie überlegte einen Moment lang, als suchte sie nach den richtigen Worten, um die Situation von damals zu beschreiben. “Als ich Sesshoumaru das erste Mal gesehen habe, war das ein ganz seltsamer Augenblick. Es war wie in einem Traum, aber es war real. Ich sehe ihn noch heute im Schein des Mondes am Wasser stehen; so erhaben und edel. Mh… Vielleicht war es bei mir ja doch Liebe auf den ersten Blick.” Bei diesem Geständnis errötete sie leicht.

Akie konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. “Und was war seine Meinung zu dir?”

Kimies romantische Stimmung verflüchtigte sich abrupt. Stattdessen schaute sie nun etwas pikiert drein. “Pff! Ich glaube, er fand mich ätzend… Aber das war seine Einstellung zu praktisch jedem Menschen. Außer Rin.”

“Rin? Oh! Du meinst das süße kleine Mädchen, nicht wahr?”

Da Kimie mit ihrer Polaroid-Kamera stets fleißig Fotos gemacht hatte, wusste Akie, wie Rin aussah.

Kimie nickte. “Nun, wie dem auch sei… Irgendwie kamen wir mit der Zeit miteinander aus. Mehr als ein Mal hat er mich aus brenzligen Situationen gerettet. Und irgendwann habe ich ihm gestanden, dass ich mich in ihn verliebt habe.”

“Hattest du denn nie Angst vor ihm?”, fragte Akie weiter. “Immerhin ist er doch ein Youkai. Das hast du damals auch sicherlich gewusst, oder?”

“Ja, schon. Gut, ich gebe zu, dass es besonders anfangs Momente gab, in denen ich nicht wusste, ob ich nicht doch als Zwischenmahlzeit auf seinem Teller enden würde… Aber das hat sich eigentlich schnell gelegt.”

“Zwischenmahlzeit? Wollte er dich nicht sogar mal umbringen?”, glaubte Akie sich plötzlich wieder zu erinnern. Sie hatte so etwas mal von Inu Yasha aufgeschnappt.

Kimie zögerte zunächst mit einer Antwort. “Ja, mag sein… Aber das war doch ganz am Anfang und seit dieser Zeit ist davon keine Rede mehr gewesen.”

“Trotzdem… Dass du dich dennoch in den Kerl verliebt hast… Gab es denn keinen Anderen, der… Nun ja… Der besser zu dir gepasst hätte?”

“Ich gebe ja zu, dass das reichlich verrückt klingen mag. Aber Youkai ticken eben etwas anders. Wäre er ein Mensch, hätte ich die ganze Sache sicher aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Aber alles lasse ich ihm deshalb auch nicht durchgehen.”

“Das solltest du auch nicht!”, bekräftigte Akie ihre Tochter, ehe sie wieder etwas nachdenklicher wurde. “Hm… Aber würdest du sagen, dass du glücklich darüber bist, an seiner Seite zu sein?”

Anfangs wusste Kimie auf diese Frage nicht so richtig zu antworten. Dann lächelte sie leicht. “Mama… Was das angeht, musst dir keine Sorgen machen. Und Paps auch nicht. Sesshoumaru hat bisher immer gut auf mich geachtet und ich möchte bestimmt nicht an der Seite von jemand anders sein. Ich kann mir gut vorstellen, dass besonders du dir deine Gedanken machst, aber das ist wirklich nicht nötig.”

Akie seufzte leise. “Hach… Ich wünschte, ich würde ihn besser kennen. Dann würde ich mir vielleicht nicht so sehr meinen Kopf zerbrechen.”

“Möglich. Du und Paps, ihr duzt Sesshoumaru ja nicht mal. Und das, obwohl er ja eigentlich sozusagen euer Schwiegersohn ist.”

“Wenn er vielleicht ein wenig freundlicher auftreten würde… Aber jedes Mal, wenn ich ihn sehe, guckt er so unterkühlt, dass man am liebsten davonlaufen würde. Lächelt er eigentlich auch mal?”

“Öh…” Kimie verfiel abermals ins Grübeln. “Ja, wenn er weiß, dass er einen Gegner in die Enge getrieben hat.”

“Das habe ich aber nicht gemeint.”

“Ich weiß, aber was soll ich sagen? So ist es eben.”

Abermals ließ Akie ein Seufzen verlauten. “Nun gut… So lange du zufrieden bist, will ich mich nicht einmischen.” Sie lächelte warm, legte die Haarbürste zur Seite und legte einen Arm um ihre Tochter. “Wenn du glücklich bist, dann sind dein Vater und ich es auch. Und vergiss nicht, dass du immer zu uns kommen kannst, wenn dich etwas bekümmert.”

Mit einem Lächeln nickte Kimie. “Ich danke dir, Mama.”
 

* ~ * ~ * ~ *
 

Tage vergingen… Wochen… Monate…

Nachdem der Sommer zu Ende gegangen war und der Herbstwind auch die letzten Blätter von den Bäumen geweht hatte, fiel irgendwann der erste Schnee.

Inu Yasha und Kagome waren noch einige Male in die westlichen Länder gegangen, um sich nach der Lage zu erkundigen. Doch die Situation schien festgefahren zu sein. Dennoch wartete Kimie Tag für Tag darauf, dass Sesshoumaru vielleicht doch zurückkommen würde. Obwohl sie wusste, dass er dies nicht konnte, ehe er die Angelegenheiten im Schloss nicht erledigt hatte. Mehr als ein Mal war sie versucht gewesen, auf eigene Faust zu ihm zu gehen, hatte sich dann aber immer wieder dagegen entschieden.

Nicht genug damit, dass Kimie die ganze Zeit von ihren Sorgen geplagt wurde, auch ihre körperlichen Beschwerden schienen sich stetig verstärkt zu haben. Von immer wieder mal auftretenden Schmerzen abgesehen, hatte sie das Gefühl, als würden ihre Kräfte langsam aber sicher schwinden. Besonders in letzter Zeit fühlte sie sich ausgelaugt und kraftlos.

Da es unmöglich gewesen war, einen Arzt hinzuzuziehen oder Kimie gar ins Krankenhaus zu bringen, hatte Kagome das Einzige getan, was ihr eingefallen war und ihrer Cousine vorgeschlagen, sich von Kaede betreuen zu lassen. Die alte Miko war zu diesem Zeitpunkt die Einzige gewesen, die aufgrund ihrer jahrzehntelangen Erfahrung den nötigen Beistand hatte geben können.

Die Vorstellung, dass ihre gesundheitlich angeschlagene Tochter mitten im Winter in einer schlichten Holzhütte in einer Umgebung, in der es von Youkai und anderen Ungeheuern nur so wimmelte, ihr Kind zur Welt bringen sollte, behagte Kimies Eltern und besonders Akie anfangs überhaupt nicht. Andererseits hatten sie sowohl von Kagome als auch Kimie schon so viel Gutes über die alte Kaede gehört, dass sie doch nach kurzer Zeit vertrauensvoll in den Vorschlag ihrer Nichte eingewilligt hatten. Und auch Kimie war einverstanden gewesen.

Das war inzwischen eine Woche her.

Während sich Kimies Zustand anfangs nur schleichend zum schlechteren zu verändert haben schien, hatte sich dies in den letzten zwei Tagen merklich verstärkt. Immer wiederkehrende Schmerzen schwächten ihren Körper stetig. Doch handelte es sich dabei offenbar nie um Wehen. Dazu war es auch gut dreieinhalb Wochen zu früh. Aber dann schien es doch so weit zu sein…

Es hatte früh in der Nacht begonnen. Seit mehreren Stunden - inzwischen kündigte sich der Sonnenaufgang an - lag Kimie schon mit schmerzhaften Wehen in Kaedes Hütte, aber noch immer war kein Ende in Sicht. Mittlerweile war sie schon so dermaßen erschöpft und geschwächt, dass sie kaum noch rühren konnte. Zu allem Überfluss schien sie auch noch Fieber bekommen zu haben. Wie sollte sie dann die eigentliche Geburt überstehen?

Kaede war in großer Sorge. In ihrem Leben hatte sie schon viele Mütter bei der Niederkunft der eigenen Kinder sterben sehen. Und zum gegebenen Zeitpunkt konnte sie es nicht ausschließen, dass Kimie ein ähnliches Schicksal drohte. Ihre Befürchtungen teilte sie auch Kagome und den anderen mit, so ungern sie das auch tat.

Kagome wartete gemeinsam mit Inu Yasha und ihren Freunden vor der Hütte. Als Kaede mit diesem besorgten Gesichtsausdruck hinaustrat, ahnten sie bereits, dass sie nichts Gutes zu berichten hatte.

“Es sieht nicht gut aus. Kimie wird immer schwächer. Wir müssen damit rechnen, dass sie das nicht mehr lange durchhalten wird.”

Den Schock über diese Worte sah man besonders Kagome an. “Aber… können wir denn nichts tun, Kaede-obaa-chan?”

Die alte Miko schüttelte bedrückt den Kopf. “Es tut mir sehr Leid, Kagome, aber uns sind die Hände gebunden. Im Moment kann ich auch nicht abschätzen, wie es um das Baby steht.” Kaede pausierte kurz. “Kimie trägt immerhin das Kind eines Youkai. Das beansprucht ihren Körper sehr. Hinzu kommt noch die Tatsache, dass ihre Seele sich seit langer Zeit quält.”

“Aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich mal etwas darüber gehört hätte, dass es meiner Mutter auch so gegangen wäre…”, warf Inu Yasha daraufhin ein.

“Es muss nicht bei jeder Frau gleich sein, Inu Yasha”, entgegnete Kaede ruhig, aber nach wie vor ernst. “Dass der Zeitpunkt der Geburt bei Kimie bereits gekommen ist, bestärkt mich in meiner Vermutung, dass ihr Körper auf diese Weise versucht, sich selbst am Leben zu erhalten. Das Kind ist ein Hanyou, es ist sicherlich bereits stark genug, um zu überleben. Doch würde Kimie es noch länger in ihrem Körper beherbergen, würden auch ihre letzten noch verbliebenen Kräfte sie verlassen. Aber diese benötigt sie unbedingt, um die Geburt zu überstehen. Wenn es dazu noch reicht…”

Kagome begann zu zittern. Sango versuchte, ihrer Freundin so gut wie möglich beizustehen. Die junge Taijiya wusste nur zu gut um die Anstrengungen, die eine Geburt für eine Frau mit sich bringen konnte. Als Sango ihre Zwillinge bekommen hatte, hatte sie zuvor auch viele Stunden mit den Wehen zu kämpfen gehabt und viel Kraft gebraucht. Die Geburt ihres kleinen Sohnes war da etwas einfacher verlaufen.

Nachdem sie sich wieder etwas beruhigt hatte, wollte Kagome nach ihrer Cousine sehen und betrat die Hütte.

Kimie lag auf ihrem Ruhelager und atmete schwer. Man sah ihr die starken Schmerzen an, die sie litt. Inuki saß, wie schon die vergangenen Tage über, neben ihr.

“Kimie?” Kagome ging zu ihr rüber und setzte sich an ihre Seite.

Aus halb geöffneten Augen schaute Kimie sie an. Ihre Stimme war kaum zu hören, als sie antwortete: “Kagome… Ich… schaff das nicht…”

Kagome versuchte, zuversichtlich zu wirken. “Nicht doch! Das sagst du jetzt nur, weil du dich nicht gut fühlst.”

“Nein, das… das ist es nicht”, widersprach Kimie jedoch. “Ich kann nicht mehr… Es tut mir Leid…” Gepeinigt von einer weiteren starken Welle des Schmerzes, war sie außerstande, noch weiter zu sprechen. Nachdem sie einen schmerzvollen Aufschrei nur mit viel Mühe hatte unterdrücken können, rang sie angestrengt nach Luft.

Kagome musste sich sehr zusammenreißen. Sie konnte im Moment nur erahnen, welche Qualen ihre Cousine ertragen musste. Kimie war eigentlich nicht wehleidig, jedoch war die momentane Situation mit nichts anderem wirklich zu vergleichen.

Nach einer Weile bemerkte Kagome, dass Inu Yasha seinen Kopf in die Hütte gesteckt hatte. Er winkte sie zu sich. “Kagome! Komm mal raus. Ich muss mit dir reden.”

Zögerlich kam Kagome der Aufforderung nach. Sie ließ Kimie nur ungern allein, doch nahm sie sich die Zeit, um sich anzuhören, was Inu Yasha von ihr wollte.

“Ich werde gehen und Sesshoumaru holen. Unabhängig davon, was du sagst, Kagome. Er muss es endlich erfahren!”, kündigte der Hanyou ihr vor der Hütte an und machte auch anhand des Tonfalls seiner Stimme deutlich, dass er sich davon nicht abbringen lassen würde.

Zwar war Kagome kurzzeitig versucht, ihm zu widersprechen, doch dann besann sie sich eines Besseren. “Du hast Recht. Geh nur, Inu Yasha. Und bitte beeile dich.”

Er nickte entschlossen und spurtete auch schon los.

“Kagome-chan? Wohin geht Inu Yasha?”, fragte Sango, die ebenso wie Miroku und Shippou nichts von dem vorangegangenen Gespräch der beiden mitbekommen hatte.

Die junge Miko seufzte schwer. “Er geht in die westlichen Länder, um Sesshoumaru zu holen. Ich hoffe nur, dass sie rechtzeitig zurückkommen werden.”

“Und wenn Sesshoumaru nicht mitkommt?”, fragte Shippou verunsichert.

“Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen”, widersprach Miroku jedoch. “Wenn Inu Yasha ihm erst mal alles erzählt haben wird, wird er bestimmt nicht zögern, herzukommen.”

“Ja, das denke ich auch”, pflichtete Kagome ihm bei, dennoch war sie besorgt. Bis Inu Yasha das Schloss erreichte und mit Sesshoumaru ins Dorf zurückkam, würde mindestens der Zeitraum eines ganzen Tages vergehen. Sie wollte sich lieber nicht vorstellen, was im schlimmsten Fall passieren könnte.
 

Indes hatte Kimie gar nicht mitbekommen, dass Kagome die Hütte verlassen hatte. Immer wieder verspürte sie diese starken Schmerzen. Sie hatte Angst und befürchtete wirklich, dass sie nicht die Kraft hätte, das zu schaffen. Dieses Gefühl der Hilflosigkeit war fast unerträglich. So konnte es doch nicht einfach enden! Das konnte doch nicht ihr Schicksal sein!

Kimies erschöpfter Blick richtete sich an die Decke der Hütte.

“Sesshoumaru…”

Plötzlich überkam sie eine Welle der Reue. So stark, wie sie sie bisher noch nie in ihrem Leben gespürt hatte. Jetzt wünschte sie sich, sie hätte Sesshoumaru damals doch alles gesagt. Und gerne hätte sie ihn noch ein Mal gesehen.

>Sesshoumaru… Bitte verzeih mir… Es tut mir so Leid…<
 

* ~ * ~ * ~ *
 

Es war ein Weg, der scheinbar kein Ende nehmen wollte. Immer wieder trieb sich Inu Yasha selbst zur Eile an. Er hatte keine Zeit zu verlieren. Jede Stunde, jede Minute, die er einsparte war kostbar!

Wie lange er schon unterwegs war, vermochte Inu Yasha nicht zu beurteilen. Er achtete nicht auf seine Umgebung. Nur, dass die Sonne inzwischen unterging, hatte er bemerkt. Für ihn zählte nur, Sesshoumarus Schloss so schnell wie möglich zu erreichen. Er konnte nur hoffen, dass Kimie noch so lange durchhielt…

Der Weg wurde besonders nicht dadurch leichter, dass immer wieder einige nachtaktive Dämonen es scheinbar darauf abgezielt hatten, sich dem Hanyou in den Weg zu stellen. Zwar waren diese Gegner für Inu Yasha keine sonderlich große Herausforderung, aber sie kosteten ihn wertvolle Zeit.

Als er schließlich endlich die westlichen Länder erreichte, stand bereits der abnehmende Mond am Nachthimmel. Und nach einer weiteren schier endlosen Zeit konnte Inu Yasha auch das Schloss sehen.

>Ja! Ich habe es geschafft!<

Gleich war er da. Nur noch ein Sprung über die Mauer und…

“Verdammt! Weg da! Weg da!!”, brüllte Inu Yasha, als er zu seiner eigenen Überraschung einen Inu-Youkai auf der Schlossmauer stehen sah, und das auch noch genau auf Konfrontationskurs. Doch da war es schon zu spät. Inu Yasha knallte frontal mit dem Gefolgsmann seines Bruders zusammen, stieß ihn über den Rand der Mauer und riss ihn äußerst unsanft mit sich zu Boden. Beide verschwanden im aufgewirbelten Schnee, welcher sich erst nach einiger Zeit wieder legte.

Sowohl für Inu Yasha als auch für den Youkai war dieser harte Zusammenstoß nur schwer zu verdauen gewesen. Die Schaulustigen, die sich um sie versammelt hatten, machten es auch nicht unbedingt besser. Während die anwesenden Kitsune jedoch untätig blieben, halfen einige der Inu-Youkai den beiden nun beim Aufstehen.

“Inu Yasha-sama?! Was macht Ihr denn hier? Und warum seid Ihr so in Eile?”, fragte einer von ihnen sichtlich überrascht, nachdem sein Kamerad und Inu Yasha wieder auf die Beine gekommen waren.

“Wo ist Sesshoumaru? Ist er hier?”, fragte der Hanyou aber nur eindringlich zurück.

“Euer Bruder befindet sich im Schloss. Ist etwas vorgefallen?”

“Es geht um Kimie! Ich habe jetzt keine Zeit, um das lange zu erklären!”

Und schon war Inu Yasha zu den Schlosstoren gespurtet und im Gebäude verschwunden. Zurück blieben einige ziemlich irritiert dreinschauende Inu-Youkai.

“Was bedeutet das? Könnte der Herrin etwas zugestoßen sein?”
 

Sesshoumaru war erst vor kurzem von einer Erkundung außerhalb des Schlosses zurückgekehrt und hatte sich nach einer kurzen Unterredung mit Kakeru in seine Gemächer zurückgezogen, wo Jaken die ganze Zeit auf seinen Herrn gewartet hatte.

“Wenn ich mir die Frage erlauben darf… Konntet Ihr heute etwas Neues in Erfahrung bringen, Sesshoumaru-sama?”, fragte der Krötendämon nach einem Moment neugierig, allerdings wurde dies von Sesshoumaru nur knapp verneint.

Es war mal wieder reine Zeitverschwendung gewesen. Allmählich war Sesshoumaru es leid. Er hatte das Gefühl, sich ständig nur im Kreis zu drehen. Jetzt war der Tod von Taiga bereits einige Monate her und noch immer hatte er keinen brauchbaren Anhaltspunkt. Es war wie verhext! Und ständig spürte er die beobachtenden Blicke der Kitsune auf sich ruhen. Mittlerweile war er von ihnen nur noch genervt. Aber was sollte er tun? Er musste Aoshi so gut es ging darin unterstützen, den oder die Mörder seines Sohnes zu finden.

Sesshoumaru machte sich nicht mal die Mühe, seine Rüstung abzulegen, als er sich schließlich setzte. Wie lange sollte dieses Chaos noch andauern?

Plötzlich horchte er auf.

“Eh? Was habt Ihr, edler Herr?”, fragte Jaken leicht verwirrt, erhielt jedoch keine Antwort.

Noch immer lauschte Sesshoumaru. Ihm war so, als hätte er jemanden seinen Namen rufen hören.

>Kimie...?<

Nein. Das war unmöglich. Schließlich war sie gar nicht hier. Doch hatte Sesshoumaru in der Vergangenheit oft an sie gedacht. Besonders in stillen Momenten, wenn er für sich allein gewesen war. Oft hatte er mit dem Gedanken gespielt, Kimie aufzusuchen, doch er konnte hier nicht so einfach weg. Nicht jetzt und schon gar nicht unter diesen Umständen. Und trotzdem… Plötzlich überkam ihn dieses merkwürdige Gefühl. Als würde etwas nicht stimmen.

Sesshoumaru hatte diese Gedanken kaum abgeschüttelt, das wurde die Tür zu seinen Räumlichkeiten aufgerissen und Inu Yasha stürmte auf ihn zu.

“Sesshoumaru! Du musst sofort mit mir zum Dorf kommen! Kimie braucht dich!”

Vor lauter Schreck hatte Jaken laut aufgequietscht, doch als er Inu Yasha erkannte, fing er sich rasch wieder und meckerte auch gleich drauf los: “Was fällt dir ein?! Du kannst doch nicht einfach so hier reinplatzen! Und was hat überhaupt dieses unmögliche Weib jetzt schon wieder angestellt?”

Sesshoumaru gebot seinem Diener mit einer schlichten, aber unmissverständlichen Handbewegung zu verstehen, dass er schweigen sollte. Dann wandte er sich an seinen Bruder: “Was ist passiert?”

Doch Inu Yasha wollte keine weitschweifigen Erklärungen abliefern, sondern drängte weiterhin zur Eile. “Das erkläre ich dir unterwegs! Beeil dich! Die Zeit ist knapp! Kimie liegt in den Wehen! Sie trägt dein Kind!”

Stille…

Während Sesshoumaru auf diese Neuigkeit hin zunächst nur vollkommen verwirrt dreinschaute, ohne etwas zu sagen, klappte Jaken die Kinnlade bis zum Anschlag runter. Dem Krötendämon schien sogar die Farbe aus dem Gesicht zu weichen. Er wirkte auf einmal merkwürdig blassgrün.

“Mo… Moment mal! Was soll das heißen?!”, fragte der kleine Dämon plötzlich. “Wie konnte das passieren? Lügst du uns auch nicht was vor? Warum erfährt Sesshoumaru-sama erst jetzt davon? Wie konnte dieses Weib ihm das nur vorenthalten?! Was hat sie zu verbergen?!”

“Meine Güte! Nerv nicht rum, du Gnom!”, entgegnete Inu Yasha gereizt. “Kimie hat überhaupt nichts zu verbergen! Also quatsch nicht so einen Mist!”

Sesshoumaru ging die Worte seines Bruders gedanklich noch mal durch. Kimie bekam ein Kind? Sein Kind? Jetzt, in diesem Moment? Aber das hieß…

“Seit wann weißt du davon?”, war Sesshoumarus erste Frage an Inu Yasha.

“Schon länger”, antwortete dieser. “Ich habe es zufällig erfahren. Aber das sollte jetzt deine kleinere Sorge sein, Sesshoumaru! Kimie ging es schon die ganze Zeit über nicht gut. Die alte Kaede befürchtet, dass sie die Strapazen der Geburt nicht durchsteht. Während wir hier reden, könnte es vielleicht schon zu spät sein!”

Da tat Inu Yasha etwas, was er zuvor noch nie getan hatte: Er ging schnurstracks auf Sesshoumaru zu, packte ihn am Arm und wollte ihn Richtung Tür zerren, sehr zu Jakens Entsetzen. Doch Sesshoumaru riss sich gleich wieder vom Griff seines Bruders los und wandte sich stattdessen zum Fenster um.

“Sag Kakeru Bescheid! Er soll hier die Stellung halten”, sagte er nur, ehe er das Fenster öffnete und mit einem Satz nach draußen sprang.

“Keh! Typisch! Selbst jetzt muss er noch seinen Kopf durchsetzen!” Inu Yasha eilte Sesshoumaru nach. “Hey, Jaken! Du erledigst das mit Kakeru!”

Und bevor der Krötendämon etwas darauf erwidern konnte, war auch der Hanyou auf und davon.
 

Das Einzige, was die Anwesenden auf dem Schlosshof von Sesshoumaru wahrnehmen konnten, war die leuchtend blaue Lichtkugel, die in Windeseile davonflog. Kurz darauf sprang Inu Yasha auf den Hof und wollte ebenfalls davoneilen, als ihn Kuros durchdringende Stimme jedoch zurückhielt: “Hanyou!”

Mehr aus einem Reflex heraus blieb Inu Yasha stehen. Sein Blick zeugte auch nicht gerade von großer Sympathie, als sich der General der Füchse ihm näherte und herablassend weiter sprach: “Bildet sich dein Bruder etwa ein, er könnte so einfach abhauen? Immerhin sind wir hier noch nicht fertig.”

Inu Yasha knurrte verärgert. “Idiot! Sesshoumaru hat jetzt Wichtigeres zu tun, also halt die Klappe!”

Und ohne eine Antwort abzuwarten, sprang er davon.

Kuro folgte ihm noch lange mit seinem undurchschaubaren Blick. “Wichtigeres. So, so… Das ist ja wirklich sehr interessant.”

“General! Was hat das zu bedeuten?”, fragte einer von Aoshis Kriegern, der alles mitverfolgt hatte, ebenso wie einige seiner Kameraden.

Kuro verschränkte die Arme vor der Brust. “Tja, offenbar glaubt der große Lord der westlichen Länder, seine privaten Angelegenheiten stünden über der Aufklärung des Todes unseres verehrten Prinzen. Zumindest sehe ich das so.”

Er wandte sich zum Gehen um.

“Ich werde Aoshi-sama Bericht erstatten. Er sollte davon wissen.”

Und ungesehen der anderen Kitsune stahl sich nun ein niederträchtiges Lächeln auf Kuros Lippen.
 

Von Kuros Vorhaben ahnte Sesshoumaru momentan noch nichts und er hatte auch keine Zeit, sich darüber etwaige Sorgen zu machen. Das, was er in den letzten Minuten erfahren hatte, beherrschte seine Gedanken total und so richtig konnte er es immer noch nicht fassen. Das war es also gewesen, was Kimie ihm hatte erzählen wollen. Das, was sie ihm zuvor so lange verschwiegen hatte und nicht preisgeben wollte. Aber wieso? Hatte sie einen triftigen Grund, ihm nichts gesagt zu haben?

Zusätzlich zu diesen Fragen bereitete Sesshoumaru die Aussage Inu Yashas, Kimie ginge es sehr schlecht, großes Kopfzerbrechen. Stand es wirklich so schlimm um sie? Musste er das Schlimmste vermuten? Klar, er könnte sie mit Tenseiga retten, aber allein der Gedanke daran, dass das von Nöten sein könnte, widerstrebte ihm. Zudem müsste er rechtzeitig bei ihr sein, um sie im Falle des Falles überhaupt noch retten zu können.

Als er darüber nachdachte, wurde es Sesshoumaru auf einen Schlag klar. Er hatte es sich doch nicht eingebildet. Er hatte Kimies Stimme tatsächlich gehört! Aber warum? Weil er möglicherweise doch irgendwie gespürt hatte, dass sie ihn brauchte?

Nein! Auf keinen Fall würde er sie einfach so sterben lassen! Er würde es verhindern. Ganz egal wie!
 

“Sesshoumaru-sama hat das Schloss verlassen? Mit seinem Bruder?”

“Ja. Und ich vermute stark, dass es wieder um diese Frau geht. Dieser Inu Yasha sprach wörtlich von was Wichtigerem, was sein Bruder zu erledigen hätte.”

Das, was sein General ihm mitgeteilt hatte, wollte Aoshi so gar nicht gefallen. Was könnte es gewesen sein, das Sesshoumaru dazu veranlasst hat, ohne jegliche Ankündigung das Schloss zu verlassen? War der Grund wirklich diese Menschenfrau, wie Kuro vermutete?

“Mit Eurer Erlaubnis, Aoshi-sama, würde ich gerne die Verantwortung für weitere Maßnahmen übernehmen”, ergriff Kuro nach einem Moment erneut das Wort.

Allerdings wollte Aoshi dem noch nicht so ohne Weiteres zustimmen. “Warte noch, Kuro! Sesshoumaru-sama soll die Chance bekommen, sich zu erklären. Danach werden wir entscheiden. Bis dahin möchte ich, dass du dich zurückhältst.”

Zwar war Kuro damit nicht ganz einverstanden, doch er fügte sich der Anweisung seines Herrn. So oder so, er hatte das Gefühl, dass in dieser Angelegenheit das letzte Wort noch nicht gesprochen war.
 

* ~ * ~ * ~ *
 

Sesshoumarus Gedanken überschlugen sich während des gesamten Weges. Würde er es noch rechtzeitig schaffen? Er hatte ständig das Gefühl, als liefe die Zeit kontinuierlich gegen ihn.

Was, wenn er wirklich zu spät käme? Was würde er dann tun? Wie würde er reagieren? Und was wäre überhaupt mit dem Kind?

Eine gefühlte halbe Ewigkeit ging dahin, bis Inu Yasha und Sesshoumaru endlich das Dorf erreichten. Die Sonne ging bereits auf.

Sesshoumaru hatte es seinem Bruder nicht gerade leicht gemacht, den Anschluss nicht zu verlieren. Aber Inu Yasha wäre nicht Inu Yasha gewesen, hätte er sich so leicht abhängen lassen.

Vor Kaedes Hütte standen Miroku und Sango, die ihren kleinen Sohn in den Armen hielt, mit einigen Dorfbewohnern zusammen. Doch Inu Yasha konnte Kagome nirgendwo entdecken. Ob sie in der Hütte war?

“Miroku! Sango!”, rief der Hanyou seine Freunde, als er mit Sesshoumaru zu ihnen eilte. Die anderen Dorfbewohner wichen auf Sesshoumarus Auftauchen hin eingeschüchtert zurück.

“Wo ist Kagome? Was ist passiert?”, fragte Inu Yasha indes weiter.

“Kagome-chan ist mit Shippou in unserer Hütte bei unseren Zwillingen und kümmert sich um das Baby. Es kam vor zwei Stunden”, erklärte Sango, wobei sie irgendwie bekümmert klang.

Während Sesshoumaru sich in Schweigen hüllte, war Inu Yasha etwas irritiert. “Wieso hat Kagome das Baby? Was ist mit Kimie?”

Kurzzeitig befürchtete er, dass er und sein Bruder vielleicht zu spät gekommen waren.

“Ihr geht es nicht besser”, antwortete Miroku ihm. “Sie hat viel Blut verloren und immer noch Fieber. Im Moment ist Kaede-sama bei ihr. Damit sie sich ausruhen kann, wollte sich Kagome-sama erst mal des Kindes annehmen.” Er schaute kurz zu Sesshoumaru rüber. “Dem Kind geht es jedoch gut.”

Der Youkai hörte den Worten des jungen Mönchs stumm zu. So richtig konnte er immer noch nicht fassen, was sich hier in den letzten Stunden abgespielt haben musste. Allein die bloße Vorstellung daran bereitete ihm ein ungewohnt mulmiges Gefühl.

Sesshoumaru konnte noch den schwachen Geruch von Blut wahrnehmen, der in der Luft lag. Eine Tatsache, die ihn noch mehr beunruhigte.

>Ihr Blut…<

Er konnte nicht länger einfach so hier herumstehen! So schritt er nun zielstrebig auf den Eingang von Kaedes Hütte zu.

Als Sesshoumaru den Vorhang der Hütte zur Seite schlug, verharrte er einen Moment lang, wie im Schock. Kimie lag völlig entkräftet auf ihrem Ruhelager. Ihre Atmung war so flach, dass man sie kaum wahrnehmen konnte.

Neben Kimie saß die alte Kaede. Als sie Sesshoumaru bemerkte, stand sie jedoch auf und kam auf ihn zu.

“Du bist hergekommen. Das ist gut.” Sie sprach ruhig, aber ernst. “Ich gebe zu, ich hatte nicht erwartet, dass sie das übersteht. Zeitweise sah es sehr schlecht aus. Und auch jetzt möchte ich meine Hand nicht dafür ins Feuer legen, dass sie über dem Berg ist. Aber geh nur zu ihr. Es kann ihr nur helfen, wenn sie weiß, dass du da bist.”

Die alte Miko schaute noch einmal zu Kimie zurück, dann verließ sie die Hütte.

Nun stand Sesshoumaru allein da. Er war wie vor den Kopf gestoßen, als sich sein Blick erneut auf Kimie richtete. Bei Youkai war das eher selten der Fall, aber er hatte schon davon gehört, dass es bei Menschen öfters vorkommen konnte, dass eine Mutter nach einer Geburt erkrankte oder sogar starb. Aber Kimie? Er kannte sie eigentlich nur als das dickköpfige Energiebündel mit oftmals großer Klappe. Doch davon konnte Sesshoumaru im Augenblick nichts wiederentdecken. Wie blass sie war… Der weiße Kimono, den sie trug, verstärkte diesen Eindruck noch etwas. Zumindest war es in der Hütte nicht kalt. Dafür sorgte neben einer wärmenden Decke auch die entzündete Feuerstelle.

Zu dem Baby wollte Sesshoumaru Kagome erst später befragen. Es war ja offenbar wohlauf und in guten Händen und zunächst ging Kimie vor. Leise näherte er sich ihr.

Bei ihr angekommen, kniete sich Sesshoumaru zur ihr hinunter. Es war erschreckend für ihn, sie so zu sehen. Selbst im Schlaf fand sie offenbar keine Erholung, wie der angespannte Ausdruck in ihrem Gesicht verriet. Er konnte vermutlich nicht mal erahnen, was sie durchgemacht hatte.

Regungslos saß Inuki nach wie vor an Kimies Seite. Doch nun, nach Sesshoumarus Auftauchen, erhob er sich und trottete langsam nach draußen. Er wollte die beiden lieber für sich allein lassen, und auch Sesshoumaru hielt den Hund nicht zurück.

Vorsichtig, fast schon furchtsam legte Sesshoumaru seine Hand an Kimies Gesicht. Da rührte sie sich etwas, ehe sie nach einem Moment ihre Augen leicht öffnete. Ihr Blick traf mit seinem zusammen. Dennoch dauerte es ein wenig, ehe sie zu sprechen begann.

“Sesshoumaru…”

Wie leise ihre Stimme war… Sesshoumarus Unbehagen wuchs.

Indes war sich Kimie nicht sicher, ob sie sich seine Anwesenheit in ihrer momentanen Bewusstseinstrübung möglicherweise nur einbildete. “Bist… du es wirklich…? Du bist hier… Wieso…?”

“Ich weiß Bescheid. Inu Yasha hat mir alles erzählt”, erklärte Sesshoumaru nach einem Moment ruhig.

Kimie war viel zu erschöpft, um sich über diese Neuigkeiten etwa groß aufregen zu können. Im Gegenteil, sie war froh darüber.

“Ach so… Hat er das…? Ungh…” Sie hielt inne, da die durch die Anstrengungen noch anhaltenden Schmerzen sie wieder überkamen.

Wiederum überkam Sesshoumaru dieses ungute Gefühl. Kurzzeitig war er fast schon erleichtert darüber, dass er in den letzten Stunden nicht dabei gewesen war. Er wusste nicht, was er da womöglich gedacht oder getan hätte. Oder wie er sich dabei gefühlt hätte, wenn es ihm jetzt schon so schlecht ging.

So sehr in seine Gedanken vertieft, erschrak Sesshoumaru schon fast, als er Kimie zu ihm sagen hörte: “Guck nicht so. Ich komme schon wieder auf die Beine… Unkraut vergeht nicht so schnell. Du kennst mich doch…”

Sie lächelte zwar, trotzdem kam sich Sesshoumaru im Augenblick so hilflos vor, wie zuvor nur selten in seinem Leben. Das selbe Gefühl hatte er verspürt, als Rin ein zweites Mal gestorben war und er sie nicht mit Tenseiga hatte retten können. Denn zu diesem Zeitpunkt war ihm nicht bewusst gewesen, dass sein heilendes Schwert nur ein einziges Mals das Leben einer Person retten konnte. Nur seiner Mutter war es zu verdanken gewesen, dass das kleine Mädchen damals eine weitere Chance bekommen hatte.

Sesshoumaru schwieg eine Zeit lang. Es tat ihm weh, Kimie so zu sehen. Und dennoch nagte da diese Frage an ihm, die er ihr unbedingt stellen musste.

“Du wusstest es die ganze Zeit, habe ich Recht? Schon, als du das Schloss damals verlassen hast. Und trotzdem hast du es mir nicht gesagt. Warum?”

Kimie hatte erwartet, dass Sesshoumaru sie darauf ansprechen würde. Kurz nahm sie sich die Zeit, um sich etwas zu sammeln. “Zunächst… wollte ich es nicht, weil ich wütend auf dich war. Und als… ich es doch tun wollte, kam dieser Vorfall im Schloss dazwischen. Ich wollte nicht, dass du dir auch noch meinetwegen Sorgen machst. Es… ging mir nicht so gut. Ich hatte Angst, ich könnte das Kind vorzeitig verlieren... Wie hätte ich dir das sagen sollen? Nachdem, was du mir erzählt hattest…”

Zuerst wusste Sesshoumaru nicht, was sie damit meinte, aber dann fiel es ihm wieder ein. Er hatte ihr ja erzählt, dass hinter vorgehaltener Hand darüber gemunkelt worden war, ob und wann Kimie ihm endlich einen Erben zur Welt bringen würde. Vermutlich hatte sie Angst davor gehabt, es ihm zu sagen, hätte sie das Kind tatsächlich wieder verloren. Angst vor seiner Reaktion darauf…

“Trotzdem. Du hättest es mir sagen sollen!”, erwiderte er nun mit mehr Nachdruck.

Kimie nickte leicht. “Ich weiß es ja selbst. Weißt du… Ich habe gedacht, ich schaffe das allein… Aber…” Wieder musste sie einen Moment lang pausieren, bevor sie weiter sprechen konnte. “Ich habe mir selbst immer wieder gesagt, es geht mir gut, ich schaffe das auch ohne dich. Aber es… es geht einfach nicht. Leider habe ich das nicht einsehen wollen.” Mit einem kaum merklichen Lächeln schaute sie nun zu ihm auf. “Auch, wenn ich dich seither nicht mehr gesehen habe… Auch, wenn ich deine Stimme nicht mehr hören konnte… Ich wollte dich sehen… So sehr… Die ganze Zeit über…”

Ebenso wie er.

Ohne etwas zu sagen, hob Sesshoumaru vorsichtig Kimies Oberkörper an. Während ihr Kopf an seiner Schulter ruhte, schloss sie für einen Moment die Augen. Dieses wohltuende Gefühl, das die Nähe zu ihm ihr bereitete, hatte Kimie schon lange nicht mehr gespürt. Es war unbeschreiblich schön. Dennoch… Als fiele die Last der letzte Monate nun auf einen Schlag von ihr ab, begann sie nach einem Moment leise zu weinen. “Ich habe… so viel falsch gemacht. Es tut mir Leid… Bitte verzeih mir…”

Sesshoumaru glaubte, einen deutlich hörbaren Unterton von Reue in ihrer Stimme vernommen zu haben. Dabei war er es eigentlich, der sich im Augenblick schuldig fühlte. Zwar hatte er nichts von Kimies Zustand gewusst, aber hätte er es nicht eigentlich spüren oder zumindest ahnen müssen? Stattdessen hatte er sie über einen so langen Zeitraum hinweg allein gelassen. Und selbst in den Stunden, in denen sie bereits so körperlich geschwächt war und unter großen Schmerzen und mit letzter Kraft sein Kind zur Welt gebracht hatte, war er nicht bei ihr gewesen. Bestimmt hatte sie große Angst gehabt.

“Dummkopf”, sagte er irgendwann. “Du machst mir wirklich nur Umstände.”

Auf diese Worte hin musste Kimie doch wieder unwillkürlich lächeln. Sie wusste schon, wie es gemeint war.

Schweigend strich Sesshoumaru ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Dann nahm er behutsam ihre Hand, ehe er seine Lippen auf ihre legte und ihr einen sanften Kuss gab.

Leise seufzend schloss Kimie die Augen.

Behutsam drückte Sesshoumaru sie an sich, nachdem er sich wieder von ihr gelöst hatte. Er wusste nicht, wie er Kimie im Moment helfen könnte. Vielleicht genügte es im Augenblick wirklich, wenn sie einfach spürte, dass er da war. Und dieses Mal würde er nicht einfach wieder weggehen. Nicht ohne sie…

“Mir scheint, es war doch ganz gut, dass ich Euch gefolgt bin, Sesshoumaru-sama.”

Sesshoumaru horchte auf. Diese Stimme kannte er nur zu gut. “Kakeru!”

“Ich bitte um Nachsicht, dass ich entgegen Eurer Anweisung das Schloss verlassen habe und Euch hierher gefolgt bin.” Der Inu-Youkai kam etwas näher. “Kagome-dono hat mir etwas anvertraut. Ihr solltet es Euch ansehen.”

Erst da bemerkte Sesshoumaru überhaupt das kleine Bündel, dass Kakeru im Arm hielt. Mit einem warmen Lächeln ließ er sich an der Seite seines Herrn und Kimie nieder. “Sesshoumaru-sama, Kimie-dono… Darf ich mir erlauben, euch zu eurem erstgeborenen Sohn zu beglückwünschen?”

Sesshoumarus Blick richtete sich daraufhin auf das Bündel. Gerne wollte er seinen kleinen Sohn ganz genau betrachten, aber er hielt ja Kimie noch in den Armen. Doch als hätte sie seinen Gedanken gelesen, hörte er sie nun sagen: “Es ist gut. Nimm ihn ruhig in den Arm, wenn du das möchtest.”

Nachdem er Kimie sicher wieder hingelegt und ihren Oberkörper zusätzlich auf sein weiches Fell gebettet hatte, ließ sich Sesshoumaru von Kakeru seinen Sohn überreichen. Das Baby war federleicht. Zumindest kam es ihm so vor. Allerdings sah man ihm das gar nicht an. Im Gegenteil, der Kleine sah kerngesund aus.

Das war das erste Mal, dass Sesshoumaru ein so kleines Geschöpf im Arm hielt, weshalb er anfangs besonders vorsichtig war. Was ihm als Erstes auffiel, waren die kleinen Hundeöhrchen. Und hinter den silberfarbenen Haarsträhnen, die die Stirn des Kindes bedeckten, entdeckte Sesshoumaru das selbe sichelmondförmige Mal, was auch er besaß. Es war unverkennbar sein Sohn.

Als er den Kleinen eine Weile im Arm gehalten hatte, rührte sich dieser merklich. Erwartungsvoll wartete Sesshoumaru, ob er eventuell die Augen öffnete. Und tatsächlich. nach einem Moment öffnete sein Sohn die Augen. Sie waren golden, wie die des Vaters. Und dieser wurde auch sogleich eingehend gemustert. Der Kleine zeigte beim Anblick des ihm noch fremden Gesichts keinerlei Anzeichen von Unwohlsein oder gar Furcht. Im Gegenteil, er schien sehr neugierig zu sein und wirkte zufrieden. Und irgendwie schien er instinktiv genau zu wissen, wer dieser Mann war, der ihn im Arm hielt.

Ein neues, ihm bis dahin noch unbekanntes Gefühl ergriff Sesshoumaru. Es war warm und zugleich erfüllte es ihn mit Stolz. War es das, was ein Vater fühlte, wenn er sein eigenes Kind in den Armen hielt? Auf jeden Fall war es sehr angenehm.

Es war zwar kaum zu sehen, aber der Hauch eines Lächelns stahl sich auf Sesshoumarus Lippen. Als er schließlich zu Kimie zurückblickte, hatte sie die Augen längst wieder geschlossen und schien bereits zu schlafen.

Kakeru nahm die Sorge, die seinen jungen Herrn abermals befiel, ganz genau war und sprach beruhigend auf ihn ein: “Sorgt Euch nicht. Ich werde mich um sie kümmern. Das Beste wird sein, wenn sie sich erst mal ausruht. Lasst ihr die Zeit, die sie benötigt.”

Sesshoumaru stimmte dem zu. Kimie sollte alle Zeit bekommen, die sie benötigte, um sich wieder vollständig zu erholen. Das hatte sie mehr als verdient.

Verändertes, Unverändertes

Was Kimie derzeit in erster Linie benötigte, war ausreichend Ruhe. Damit sie diese auch bekam, hatte Kakeru ihr kurz nach seiner Ankunft ein Mittel gegeben, was einerseits ihre noch nicht abgeklungenen Schmerzen linderte und ihr zum anderen erholsamen Schlaf ermöglichte. Es schien gut zu wirken. Kimies Atmung war inzwischen gleichmäßig, ihre Züge entspannt. Kakeru legte behutsam eine Hand auf Kimies Körper, unterhalb ihrer Brust.

“Gut. Sie schläft tief. Jetzt müssen wir abwarten.”

“Wird es ihr denn bald wieder besser gehen, Kakeru-sama?”, fragte Kagome, die den kleinen Sohn ihrer Cousine auf den Armen trug, besorgt.

Der Youkai wandte sich mit einem zuversichtlichen Lächeln zu ihr um. “Wie gesagt, wir müssen ein wenig abwarten. Aber ich glaube nicht, dass wir uns noch allzu große Sorgen machen müssen.”

Ein wenig beruhigt war die junge Miko nun doch, ebenso wie ihre Freunde.

Kakeru zog die wärmende Decke über Kimie und richtete sich auf. Damit sie die Gelegenheit bekam, in aller Ruhe wieder zu Kräften zu kommen, bat er alle, die Hütte erst mal wieder zu verlassen. Auch Sesshoumaru, allerdings hatte Kakeru mit diesem noch etwas zu klären.

“Sesshoumaru-sama? Begleitet Ihr mich bitte? Ich würde gerne mit Euch reden.”

Ohne Wiederworte folgte Sesshoumaru ihm nach draußen.

Nachdem sich die beiden Youkai ein wenig von den anderen abgesondert hatten, fuhr Kakeru fort: “Kimie-dono wird noch einige Tage brauchen, bis sie wieder so weit bei Kräften sein wird, dass sie aufstehen kann. Ich nehme an, Ihr wollt nicht ohne sie zurück zum Schloss. Nicht wahr, Sesshoumaru-sama? Dann müsst Ihr jedoch warten, bis sie dazu in der Lage sein wird, Euch zu begleiten.”

“Dessen bin ich mir bewusst”, entgegnete Sesshoumaru zustimmend.

Kakeru verschränkte so die Arme vor der Brust, dass seine Hände in den weiten Ärmeln seines Kimonos verborgen lagen. In weiser Voraussicht hatte er Ah-Un ebenfalls mit ins Dorf gebracht. Wenngleich der kalte Schnee dem zweiköpfigen Drachen nicht wirklich zuzusagen schien, allzu sehr daran stören, tat er sich offenbar auch nicht. Dösend, ähnlich einem Pferd im Stall, stand er unweit von Kaedes Hütte unter einem Baum.

Erneut ergriff Kakeru das Wort: “Allerdings werfen die jetzigen Umstände ein neues Licht auf die Lage im Schloss. Und ich spreche nicht vom noch immer ungeklärten Tod des jungen Prinzen.”

Sesshoumarus Gesicht nahm einen ernsteren Ausdruck an, wenngleich er mit der von ihm gewohnten Selbstbeherrschung erwiderte: “Du redest von der meiner Verlobung mit Aoshis älterer Tochter. Er scheint von dieser Angelegenheit noch immer nicht abgelassen zu haben, wenngleich er seit dem Tod seines Sohnes nicht mehr darüber gesprochen hat.”

Allerdings hatte Aoshi auch nie mit einem Wort erwähnt, dass er die geplante Heirat seiner Tochter mit Sesshoumaru nicht länger anstrebte. Und eben das bereitete sowohl dem jungen Oberhaupt der Inu-Youkai als auch seinem Vertrauten gewisses Kopfzerbrechen.

“Wir wissen nicht, wie Aoshi-sama reagieren wird, wenn er von dem Kind erfährt”, sprach Kakeru weiter. “Ihr solltet Euch besser auf jede erdenkliche Reaktion vorbereiten. Sollte er dennoch weiter auf die Eheschließung bestehen, muss ich Euch bestimmt nicht erklären, was dies für Euren Sohn bedeuten würde.”

Natürlich wusste Sesshoumaru das. Denn würde er Prinzessin Saori unter den gegebenen Umständen trotzdem heiraten, dann wäre sein Sohn nicht nur erbunwürdig, sondern zudem ein illegitimes Kind. Und das auch noch als Hanyou…

“So weit wird es nicht kommen!”, stellte Sesshoumaru von vornherein klar. “Unabhängig davon, was Aoshi sagen oder tun wird, ich werde meinen Sohn nicht verleugnen!”

Etwas anderes hatte Kakeru von seinem Herrn auch nicht erwartet, weshalb sich nun ein zufriedenes Lächeln auf seine Lippen stahl.

“Aber eine Frage hätte ich da doch noch, Kakeru”, ergriff Sesshoumaru kurz darauf erneut das Wort. “Wem hast du die Kontrolle über das Schloss überlassen, bevor du hergekommen bist?”

“Oh! Macht Euch keine Sorgen. Ich habe Sakura-dono gebeten, ein wenig aufzupassen.”

Kurzzeitig schwieg Sesshoumaru, als müsste er sich erst darüber klar werden, was sein Gegenüber ihm gerade gesagt hatte. “Was?”

Kakeru jedoch behielt seine gelassene Haltung bei. “Nun, sie ist intelligent und weiß, sich durchzusetzen. Außerdem gehört sie als Gefährtin des verstorbenen Bruders Eurer ehrenwerten Frau Mutter zu Eurer Familie und bekleidet einen hohen Rang. Und falls es dennoch von Nöten sein sollte, stehen Euer Cousin und Tôya ihr zur Seite.”

Nun gut, unter diesem Gesichtspunkt sagte Sesshoumaru nichts weiter dazu. Aber dass eine Frau im Moment bei ihm im Schloss das Sagen hatte, war für ihn doch etwas gewöhnungsbedürftig, wenngleich in seinem Clan Männer und Frauen weitestgehend gleichgestellt waren. Nur, dass die Frauen keine militärischen Ränge bekleideten, obwohl sie auf entsprechenden Wunsch hin ebenfalls im Kampf geschult wurden. So wie Sakura, die bereits als junges Mädchen im Umgang mit dem Schwert ausgebildet worden war.

“Bekümmert Euch etwas, Sesshoumaru-sama?”, fragte Kakeru mit einem Mal. Allerdings schien es sich mehr um eine rhetorische Frage gehandelt zu haben, wie Sesshoumaru anhand des Lächelns seines Vertrauten vermutete. Andererseits gab es da noch eine andere Sache, die ihn tatsächlich nach wie vor sehr beschäftigte. Das blieb auch Kakeru nicht verborgen.

“Geht ruhig zu ihr”, sagte er ruhig an Sesshoumaru gewandt. “Ich merke doch, was in Euch vorgeht. Auch, wenn Kimie-dono schläft, wird sie dennoch spüren, dass Ihr da seid. Sorgt Euch nicht um Euren Sohn. Ich bin mir sicher, Kagome-dono und die anderen werden sehr gut auf ihn achten. So lange, bis es Eurer Gefährtin wieder besser geht.”

Gemäß Kakerus Worten kehrte Sesshoumaru wieder in Kaedes Hütte zurück, wo Kimie schlief. Sesshoumaru näherte sich ihr leise und ließ sich an ihrer Seite mit dem Rücken zur Wand nieder. Hier konnte er am besten über sie wachen.
 

Kimie schlief sehr ruhig. Es war, als spürte sie wirklich im Unterbewusstsein, dass Sesshoumaru die ganze Zeit über an ihrer Seite blieb. Zudem tat ihr der Schlaf wirklich gut.

Bis jetzt hatte sich Sesshoumaru kein einziges Mal von der Stelle gerührt. Fast schon peinlich genau hatte er die ganze Zeit über genau darauf geachtet, ob sich Kimies Zustand irgendwie veränderte. Es beruhigte ihn zumindest ein wenig, dass es ihr offenbar nicht schlechter ging. Was auch immer Kakeru ihr gegeben hatte, es schien tatsächlich zu wirken. Aber was anderes hatte Sesshoumaru auch nicht erwartet. In solchen Dingen hatte Kakeru bisher schließlich immer das richtige Gespür gehabt. Und Sesshoumaru war doch ganz froh darüber, dieser ihm hierher ins Dorf gefolgt war.

Während die Zeit so voranschritt, dachte Sesshoumaru noch mal über alles im Stillen nach. Was für ein Chaos… Dieser verdammte Ärger im Schloss hatte ihn nicht mal bemerken lassen, was die ganze Zeit über mit Kimie los gewesen war. Dabei hätte er es doch schon von Anfang an spüren müssen! Und sie selbst hatte ihm nicht mal was erzählt, um ihn nicht vielleicht in einen Gewissenskonflikt zu bringen… War dies die Art und Weise, wie Menschen dachten?

Und der Ärger war noch lange nicht vorbei. Taigas Mörder lief noch immer frei herum und Sesshoumaru würde gegenüber Aoshi nun endgültig klarstellen müssen, dass er nicht daran interessiert war, die schon vor Jahrhunderten beschlossene Verbindung zwischen ihm und Prinzessin Saori einzugehen. Besonders jetzt nicht mehr. Sesshoumaru hatte eine Gefährtin, und diese hatte ihm nun auch einen Sohn und Erben geschenkt. Und beide würde er gewiss nicht verleugnen.

Sesshoumarus Gedankengänge wurden unterbrochen, als er mitbekam, wie Kimie sich zu rühren begann. Sie schien wieder aufzuwachen. Wenig später schaute sie ihn zunächst noch aus halb geöffneten Augen an.

“Sesshoumaru…”

Ihre Stimme war noch immer eher leise, aber das wunderte Sesshoumaru nicht. Es erleichterte ihn, dass Kimie nun wieder wach war. Behutsam strich er ihr einige Haarsträhnen etwas zur Seite. “Wie fühlst du dich?”

“Etwas besser. Wie lange habe ich geschlafen?”

“Etwas länger als einen Tag.”

Darüber war Kimie doch sichtlich verblüfft. Sie selbst hatte eher den Eindruck gehabt, als hätte sie lediglich ein paar Stunden geschlafen. Und wenngleich sie sich noch immer ziemlich erschöpft fühlte, es ging ihr doch etwas besser.

“Wo ist der Kleine?”, fragte sie nach einem Moment.

“Bei deiner Cousine und deinen Freunden. Ich werde ihn holen.”

Es war für Sesshoumaru keine Überraschung, dass Kimie ihren Sohn sehen wollte. Und er selbst würde dies schließlich auch gerne, wenngleich er es natürlich nicht offen zugab.

Nachdem Sesshoumaru die Hütte erst mal verlassen hatte, versuchte Kimie, sich aufrecht hinzusetzen, was ihr allerdings nicht gelingen wollte. Dazu fehlte ihr noch immer die nötige Kraft. Sie schaffte es lediglich den Oberkörper ein wenig aufzurichten, nachdem sie sich etwas auf die Seite gedreht hatte.

“Was tust du da?”

Als sie plötzlich diese fast schon kritische Frage seitens Sesshoumaru vernahm, kam sich Kimie irgendwie ertappt vor. Zumindest konnte man von ihm nicht behaupten, er hätte unterwegs herumgetrödelt…

“Das solltest du noch nicht versuchen. Kakeru sagt auch, dass du dich die nächsten Tage noch schonen musst”, sprach Sesshoumaru weiter, zwar immer noch mit einem gewissen Unterton von Kritik in der Stimme, aber dennoch ruhig, als er sich nun zu Kimie setzte. In seinen Armen hielt er den Kleinen.

Kimie hatte sich indes wieder hingelegt. Sie hatte ja selbst gemerkt, dass es wirklich noch zu früh für sie gewesen war, bereits aufstehen zu wollen. Allerdings musste sie nun doch etwas lächeln, während sie Sesshoumaru mit dem Baby auf dem Arm so beobachtete.

“Sag, wie würdest du ihn gerne nennen?”, fragte sie ihn. “Ich überlasse es dir. Als kleine Entschädigung dafür, dass ich dir nichts erzählt habe.”

Typisch, Kimie. Etwas anderes hatte Sesshoumaru nicht von ihr erwartet. Und in seinem Inneren amüsierten ihn ihre Worte irgendwie. Was Kimie jedoch nicht ahnen konnte, war, dass Sesshoumaru gar nicht darüber nachdenken musste, welchen Namen er seinem Sohn geben wollte. Er wusste es bereits ganz genau.

“Katô. Er soll Katô heißen.”

Gut, Kimie hatte dagegen nichts einzuwenden. Ihr gefiel der Klang dieses Namens.

“Ja, das klingt gut”, meinte sie von daher einverstanden, als sich ihr Blick wieder auf den Kleinen richtete. “Hm… Schon erstaunlich, was schlappe drei Minuten Vergnügen und Unachtsamkeit mit sich bringen können.”

Diese Bemerkung ließ Sesshoumaru doch etwas verdutzt aufschauen. Kimie konnte in diesem Augenblick nicht anders, als leise zu lachen. “Guck nicht schon wieder so! Das war doch nur ein Scherz.”

“Du bist ja wirklich…” Sesshoumaru konnte nur den Kopf schütteln. Aber andererseits war er froh. Denn wenn Kimie bereits wieder so ihre Späße mit ihm trieb, ging es ihr offenbar wirklich besser.

“Sesshoumaru? Kann ich dich etwas fragen?” Als er dies bejahte, fuhr sie nach kurzem Zögern fort: “Bist du… sehr böse auf mich, weil ich dir nichts gesagt habe?”

Sesshoumaru horchte auf. Aber dass Kimie dieses Thema über kurz oder lang ansprechen würde, hatte er schon erwartet.

“Am Anfang war ich viel zu überrascht, um wütend zu sein. Und dann habe ich versucht, es zu verstehen”, begann er nach einem Moment. “Ich gebe zu, ich war wütend. Doch darüber solltest du dich nicht sorgen.”

“Trotzdem… Es tut mir Leid.”

Sesshoumaru legte nun seine Hand sanft an Kimies Gesicht. “Hattest du das Gefühl, ich setze dich unter Druck?”

Denn darüber hatte er auch schon nachgedacht. Vielleicht hatte Kimie ja den Eindruck gehabt, sie wäre sozusagen unter Zugzwang gewesen. Es hatte ja immerhin schon ein wenig Gerede diesbezüglich gegeben, dass sie bisher noch kein Kind zur Welt gebracht hatte. Sesshoumaru hätte sich so gesehen nicht gewundert, wenn Kimie sich aus diesem Grund spontan zu diesem Schritt entschieden hätte. Allerdings machte er sich dann doch so gewisse Sorgen. Wenn sie wirklich nicht aus eigenem Wunsch heraus schwanger geworden war…

“Nein. Nein, so war es bestimmt nicht”, versicherte Kimie jedoch sogleich glaubhaft, und das beruhigte Sesshoumaru doch.

“Wie konnte das überhaupt passieren? Ich dachte, in deiner Zeit gäbe es bestimmte Methoden, um so einer Situation vorzubeugen.” Denn darüber hatte Sesshoumaru schon einige Male nachgedacht. Und besonders in der Zeit, in der Kimie drei Jahre lang nicht wieder zurück in die Neuzeit konnte, hatte er immer darauf geachtet, dass sie nicht ungewollt ein Kind von ihm empfing.

Ungewollt wurde Kimie nun leicht rot um die Nase. “Tja… Ehrlich gesagt, habe ich mich dazu entschieden, es nicht mehr verhindern zu wollen. Vielleicht wäre es besser gewesen, hätte ich dir das gesagt…”

Nach dieser Erklärung verkniff sich Sesshoumaru ein leises Seufzen. “Was hast du mir noch alles verschwiegen?”

Es war mehr eine rhetorische Frage gewesen. Das merkte auch Kimie, weshalb sie noch immer etwas verlegen dazu schwieg.

“Hm… Du wolltest also ein Kind?”, fragte Sesshoumaru nach einem Augenblick weiter.

Kimie schloss daraufhin kurz die Augen, ehe sie ihren Blick zur Decke hinaufrichtete. “Ich habe in den letzten Jahren oft darüber nachgedacht. Und mir war klar, dass ich irgendwann ein Kind von dir wollte. Nur wann genau, wusste ich noch nicht. Es dauerte, bis ich mich dazu bereit gefühlt habe. Und außerdem hast du mir gegenüber doch mal selbst den Wunsch nach Kindern geäußert. Erinnerst du dich?”

Natürlich erinnerte er sich. Sesshoumaru hatte Kimie gegenüber kurz nach dem Krieg gegen die Ryû-Youkai sein Anliegen zur Sprache gebracht. Allerdings erstaunte es ihn doch, dass sie sich noch so genau daran zu erinnern schien. Für ihn selbst war das zu diesem Zeitpunkt mehr so was wie eine beiläufige Bemerkung gewesen.

Sowohl Sesshoumaru als auch Kimie merkten auf, als nun jemand die Hütte betrat. Es war Rin, doch zunächst blieb sie noch am Eingang der Hütte stehen.

“Was ist los, Rin? Ist etwas passiert?”, fragte Kimie nun, woraufhin das kleine Mädchen jedoch den Kopf schüttelte.

“Nein. Ich wollte nur das Baby noch mal sehen. Geht es dir denn wieder besser, Kimie-san?”

Kimie nickte mit einem Lächeln und deutete Rin an, näher zu kommen, was diese auch sogleich tat. An Sesshoumarus Seite setzte sie sich an Kimies Ruhelager und warf nun einen Blick auf das Baby.

“Wisst ihr schon, wie ihr ihn nennen wollt?”

“Wir haben uns für Katô entschieden”, antwortete Kimie. “Genauer gesagt, war das Sesshoumarus Vorschlag.”

“Der Name gefällt mir!”, fand Rin fröhlich.

Allerdings wusste nach wie vor nur Sesshoumaru um die Hintergründe, die ihn bei der Namensgebung für seinen Sohn beeinflusst haben…
 

* ~ * ~ * ~ *
 

Einige Tage vergingen.

Nicht nur Sesshoumaru verblieb die ganze Zeit über im Dorf, auch Kakeru wich nicht von der Seite seines Herrn. Die erhabene Erscheinung der beiden Youkai erweckte große Ehrfurcht unter den Dorfbewohnern. Doch während Sesshoumaru aufgrund seines reservierten und kühlen Auftretens nach wie vor gefürchtet wurde, dass sich die Leute nicht mal in die Nähe von Kaedes Hütte trauten, so hatten viele der Menschen den Eindruck, als ob von Kakeru genau die gegenteilige Aura ausging. Das mochte nicht zuletzt daran liegen, dass er stets freundlich lächelte, wenn er sprach oder sich jemandem zuwandte. Er ließ es sich auch nicht nehmen, sich mit Kaede stundenlang über Heilmittel auszutauschen und überließ ihr außerdem einige Kräuter, die er mitgebracht hatte und welche es ausschließlich im westlichen Gebiet gab.

Kimie war inzwischen wieder so weit genesen, dass sie ihren kleinen Sohn im Arm halten und stillen konnte. Wenn sie das tat, zog es Sesshoumaru jedoch stets vor, die Hütte zu verlassen. Kimies Vermutungen gingen irgendwann so weit, dass sie überlegte, ob er sich deswegen möglicherweise genierte. Aber konnte Sesshoumaru das überhaupt? Gerade er? Allerdings fragte sie ihn nicht dazu aus, sondern amüsierte sich lieber im Stillen über sein Verhalten.

Der heutige Tag war wie die Tage davor sehr ruhig und friedlich. Kimie saß gemeinsam mit Kagome und Katô in Kaedes Hütte und besonders Kagome schien von dem kleinen Sohn ihrer Cousine entzückt gewesen zu sein. Sie konnte es nicht lassen und befühlte nach einigem Zögern ganz vorsichtig mit Daumen und Zeigefinger eines von Katôs kleinen Hundeöhrchen, welches bei dieser Berührung leicht zuckte.

“Der Kleine ist ja so süß!”, schwärmte Kagome. “Und dir scheint es ja auch sehr gut bei alldem zu gehen, Kimie. Man muss dir nur ins Gesicht sehen. Du wirkst richtig glücklich.”

Kimie lächelte verlegen, während sie Katô so im Arm hielt. Dieser schien so langsam wieder müde zu werden, nachdem er schon seit geraumer Zeit hellwach gewesen war.

Kagome seufzte nun tief. “Hach… Zuerst Sango-chan und jetzt auch noch du… So langsam setzt mich das etwas unter Druck… Ich muss Inu Yasha wohl ein wenig Beine machen, will ich nicht vollkommen ins Hintertreffen geraten!”

“Aber Kagome!”

Die beiden jungen Frauen lachten vergnügt, aber nicht allzu laut.

“Nein, ich denke, ich lass mir noch etwas Zeit”, meinte Kagome dann. “Ich weiß nicht, aber für ein Kind fühle ich mich noch nicht bereit. Hmm… Sag mal, Kimie? Versteh mich jetzt bitte nicht falsch, aber… Bereust du es trotzdem irgendwie?”

Diese eher vorsichtig gestellte Frage ihrer Cousine brachte Kimie kurz ins Grübeln. Vor ein paar Jahren hatte sie schließlich noch gar nicht damit gerechnet, bereits so verhältnismäßig früh Mutter zu werden.

“Tja… Nein, bereuen tue ich es eigentlich nicht. Nur die Umstände hätten bessere sein können. Hätte ich das alles vorausgeahnt, hätte ich wohl noch etwas länger gewartet”, antwortete Kimie nach einem Moment.

Kagome verstand gut, was sie meinte, wenn sie an den ganzen Ärger der letzten Monate zurückdachte.

“Aber mal abgesehen davon”, fuhr Kimie fort, “fühle ich mich mehr als entschädigt für alle Unannehmlichkeiten, wenn ich den Kleinen nur ansehe.”

Sie gab ihrem Sohn einen sanften Kuss auf die Stirn. Ein wenig konnte sie es immer noch nicht so recht glauben, dass sie jetzt wirklich ein Kind hatte. Es kam ihr irgendwie irreal vor…
 

Während Kimie und Kagome mit dem Baby in der Hütte saßen, vertrieb sich der Rest der Truppe die Zeit an der frischen Luft.

Dieser Wintertag war nicht allzu kalt, weshalb die Zwillinge von Sango und Miroku es sich nicht nehmen ließen, vergnügt im Schnee zu spielen. Sango beobachtete die beiden aufmerksam, während sie ihren Sohn dabei im Arm wiegte. Der Kleine war warm verpackt und schlief seelenruhig in den Armen seiner Mutter. In der Zwischenzeit stand Miroku unweit von seiner jungen Frau mit Inu Yasha, Shippou, Kaede und Rin zusammen.

“Hach… Ist das langweilig hier…”, beklagte sich Inu Yasha gähnend, während er sich auf dem Ast eines Baumes aalte. Momentan wäre er wohl sogar dankbar dafür gewesen, wenn er sich ein wenig mit seinem Bruder hätte streiten können, nur um dem drögen Alltag zu entkommen. Doch Sesshoumaru hatte sich mit Kakeru zu einer Unterredung zurückgezogen, wie so oft in den letzten Tagen. Inu Yasha vermutete, dass es wohl um die Angelegenheiten im Schloss ging.

“Wenn du dich so langweilst, wie wäre es dann, wenn du Sesshoumaru anbieten würdest, ihm bei seinen Problemen ein wenig zu helfen?”, schlug Kaede dem Hanyou vor. Damit sprach sie insbesondere auf den noch immer ungeklärten Tod des Prinzen der Füchse an.

Doch Inu Yashas Begeisterung hielt sich merklich in Grenzen. “Ich soll was? Was geht mich das denn an? Sesshoumaru sagt mir doch selbst oft genug, dass ich meine Nase nicht in seinen Kram stecken soll.”

“Dann hör wenigstens auf, dich zu beschweren. Das macht es nämlich auch nicht besser”, warf Miroku ein.

Shippou verschränkte die Arme vor der Brust. In der unverkennbaren Absicht, Inu Yasha zu ärgern, fügte er hinzu: “Er ist doch nur so mies drauf, weil Kagome ihm viel weniger Beachtung schenkt, seit Kimies Baby da ist. Das nervt ihn und macht ihn noch mürrischer, als er ohnehin schon ist. Hihi!”

Sofort bekam der Kitsune von oben eine kleine Ladung Schnee, die Inu Yasha von den Ästen des Baumes zusammengekratzt hatte, an den Hinterkopf gefeuert. Die Wucht den Aufpralls war so heftig, dass Shippou nach vorne geworfen wurde.

“Hey! Warum wirst du immer gleich so gemein?!”, schimpfte der kleine Youkai sofort drauf los.

“Freche Kinder werden bestraft!”, war Inu Yashas platte Antwort.

Shippou schnaufte aufgebracht. “Pah! Mit der Einstellung kannst du aber lange warten, bis Kagome es jemals in Erwägung ziehen wird, mit dir eine Familie gründen zu wollen!”

“Wie bitte?!” Einerseits errötete Inu Yasha nun leicht vor Scham bei dem Gedanken an eine eigene kleine Familie mit Kagome, andererseits brachte ihn Shippous vorlaute Bemerkung nur noch mehr auf die Palme. Er sprang von dem Baum und jagte den kleinen Kitsune unter allerhand Verwünschungen erst mal quer durch den Schnee, was von Miroku und Kaede mit langen Seufzern kommentiert wurde, wohingegen Rin dem Schauspiel schweigend beiwohnte, dabei jedoch irgendwie belustigt wirkte. In diesem Moment kam Sango zu der Gruppe hinzu.

“Was ist hier los? Streiten die zwei etwa schon wieder?”, fragte sie ihren Mann, während Inu Yasha und Shippou einige Meter entfernt immer noch allerhand Schnee aufwirbelten.

Miroku legte einen Arm um Sangos Schulter. “Nun, es ist ja nicht so, als wäre das was Neues für uns. Lass die beiden sich mal richtig austoben. Früher oder später werden sie müde und geben Ruhe.”

Sango zog leicht eine Augenbraue hoch. “Das klingt irgendwie so, als würdest du gerade von unseren Kindern reden, Miroku.”

Der junge Mönch konnte sich ein erheitertes Lachen nicht verkneifen und gab ihr einen liebevollen Kuss auf die Wange.

“Bei euch ist es offenbar sehr lustig”, war mit einem Mal die ruhige Stimme von Kakeru zu hören. Dieser kam soeben gemeinsam mit Sesshoumaru zu der Gruppe hinzu.

Sango lächelte amüsiert. “Das ist nichts Besonderes, sondern nur unser ganz normales Zusammenleben.”

In der Zwischenzeit jagte Inu Yasha noch immer hinter Shippou her. Vermutlich wäre das noch den ganzen Tag so weitergegangen, hätte Shippou die Jagd nicht mit einem Mal beendet, als er ganz unvermittelt stoppte. Das Fell auf seinem flauschigen Schweif sträubte sich plötzlich in alle Richtungen. “O weh…”

Auch inu Yasha war nun wieder zum Stehen gekommen. “Was hast du denn, Shippou?”

“Riechst du das denn nicht, Inu Yasha? Hier riecht es nach Füchsen!”

Und dass es nicht irgendwelche Füchse waren, von denen Shippou sprach, war allen sofort klar.

Kakeru wandte sich zu seinem Herrn um. “Sesshoumaru-sama…”

“Ja. Ich kann mir denken, was sie wollen”, erwiderte Sesshoumaru ernst. Sogleich machte er sich daran, die Spur der Füchse zu verfolgen. Sie mussten ganz in der Nähe sein. Inu Yasha fackelte nicht lange herum und eilte seinem Bruder nach. Das wollte er sich nicht entgehen lassen, wenngleich er sich das nach Sesshoumarus Ansicht auch hätte sparen können.

Sesshoumaru konnte den Geruch der Füchse nun ganz genau wahrnehmen. Sie waren in der Nähe. Vermutlich schlichen sie nicht erst seit heute um das Dorf herum und haben sich bisher sehr gut im Verborgenen gehalten. Immerhin waren Aoshis Krieger keine Bande von Dilettanten und wussten, wie sie unentdeckt blieben. Hätte Shippou, der ja selber auch ein Kitsune war, nicht etwas gesagt, vermutlich wären die Späher auch weiterhin über einen gewissen Zeitraum hinweg unentdeckt geblieben.

Sesshoumaru hatte zwar nicht vor, Aoshis Gefolgsleute umgangssprachlich ausgedrückt zu vermöbeln, aber er wollte sie zumindest zur Rede stellen. Wenn er etwas nicht leiden konnte, dann wenn man ihm nachspionierte. Davon mal abgesehen empfand er das alles sowieso irgendwo als ganz schön unverschämt. Allerdings war sich Sesshoumaru nicht sicher, ob nun Aoshi selbst oder vielmehr Kuro die Krieger ausgesandt hat. Aber das war für ihn im Moment eher zweitrangig.

Sesshoumaru stoppte schließlich im Wald. Kein Zweifel, die Füchse waren hier. Doch offenbar hatten sie sich aus dem Staub gemacht…

“Was ist? Sie sind etwa abgehauen?”, fragte Inu Yasha ungeduldig. “Wie so laufen die denn weg, wenn sie doch eigentlich nichts zu verbergen haben? Was haben sie hier überhaupt gewollt?”

“Das ist doch offensichtlich. Sie haben uns nachspioniert”, antwortete Sesshoumaru zwar ruhig, aber auch mit diesem gewissen kühlen Unterton in der Stimme. Anhand der Gerüche, die noch in der Luft lagen, konnte er zumindest schlussfolgern, dass die Füchse zu dritt gewesen sein mussten. Gut, anscheinend wollten sie keine offene Konfrontation. Und vermutlich waren sie bereits auf dem Rückweg in die westlichen Länder, um ihren Herrn Bericht zu erstatten…
 

“Aoshis Krieger waren hier?”

“Drei von ihnen, ja. Offenbar haben sie uns beobachtet.”

Diese Neuigkeiten von Sesshoumaru verunsicherten Kimie doch sehr. Es war klar, was dies bedeutete. Wie würde Aoshi wohl auf all das reagieren?

Sesshoumarus Augenmerk ruhte zunächst weiterhin auf Kimie, dann auf Katô, welcher in den Armen seiner Mutter seelenruhig schlief. Vermutlich ahnte der Kleine nicht mal etwas von dem ganzen Konflikt, der sich um ihn herum aufgebaut hatte.

“Aoshi wird bald über alles Bescheid wissen”, sprach Sesshoumaru nun weiter. “Ich halte im Grunde nichts davon, mich vor anderen zu rechtfertigen, aber in diesem Fall bleibt mir kaum eine andere Wahl. Die Situation ist schon angespannt genug.”

“Ich verstehe.” Kimie konnte sich gut vorstellen, dass dies wohl eine alles andere als einfache Angelegenheit werden würde. Und es wäre wirklich besser, wenn Sesshoumaru früher als später zum Schloss zurückkehren würde, um seine Sicht der Dinge zu schildern. Ansonsten könnte vielleicht sogar der Eindruck entstehen, er würde einer Konfrontation aus dem Weg gehen wollen. Und unter den gegebenen Umständen wäre das alles andere als gut.

“Na gut. Wenn du zurück in den Westen gehst, dann komme ich mit”, meinte Kimie nun und sprach dabei sehr entschlossen. Sie hatte sich ihrer Ansicht nach lange genug “versteckt” gehalten. Und auch Sesshoumaru war ihrem Anliegen nicht abgeneigt. Er hatte ohnehin vor, nur in Begleitung von Kimie und dem Kind wieder in seine Ländereien zurückzukehren.

“In Ordnung. Ich werde Kakeru darüber in Kenntnis setzen”, sagte er daher. Und da Kimie so weit wieder genesen zu sein schien, wollte er so bald wie möglich aufbrechen.
 

* ~ * ~ * ~ *
 

Bevor sie sich mit Sesshoumaru und den anderen jedoch auf den Weg zum Schloss machen wollte, wollte Kimie noch einmal zurück in die Neuzeit. Dort hatten ihre Eltern die ganze Zeit über gewartet. Nur durch Kagome hatten sie stets erfahren, wie es ihrer Tochter in den letzten Tagten gegangen und was überhaupt passiert war. Kimie wollte endlich wieder selbst mit ihnen sprechen und außerdem musste sie ihnen ja noch ihren ersten Enkel zeigen.

Anfangs war Kimie ein wenig besorgt darüber gewesen, ob sie mit Katô überhaupt durch den Brunnen reisen konnte, aber zu ihrer Erleichterung war das kein Problem. Und nachdem zunächst die ganze Familie einen neugierigen Blick auf den Nachwuchs geworfen hatte, fand Kimie schlussendlich die Zeit, um mit ihren Eltern ein wenig unter sich zu sein.

“Oh, er ist wirklich süß!”, schwärmte Akie voller Entzücken, während sie Katô im Arm hielt. “Ich weiß noch genau, wie ich dich damals immer im Arm gehalten habe, Kimie. Es ist, als wäre es erst gestern gewesen. Und jetzt bist du schon selber Mutter. Wie die Zeit vergeht…”

“Und? Planen du und Sesshoumaru vielleicht noch das eine oder andere Geschwisterchen für den Kleinen?”, fragte Kimata zwinkernd an seine Tochter gerichtet, die sogleich leicht errötete.

“Also, Paps… Ich bitte dich! Katô ist kaum auf der Welt und schon redest du von weiteren Kindern? Lass mir doch etwas Luft zum Atmen!”

Kimies Vater lachte erheitert. “Beruhige dich, Kleines! Das war doch nur ein Scherz. Aber sag das nicht mir, sondern deinem Sesshoumaru. Ich weiß ja nicht, wie er darüber denkt.”

“Eben!”, pflichtete seine Frau ihm sofort bei. “Die Männer aus der damaligen Zeit ticken doch ganz anders. Aber allein schon dafür, dass du ihm einen Sohn geschenkt hast, müsste er dich nur noch auf Händen tragen! Mal abgesehen von den Strapazen, die du seinetwegen auf dich nehmen musstest… Mein armes kleines Mädchen…”

“Mama…” Kimie lächelte leicht. “Es geht mir doch wieder viel besser. Und außerdem war es mir die Sache wert.”

Dazu musste sie nur den Kleinen ansehen.

Irgendwann lenkte Kimie das Gespräch jedoch auf ein weiteres Anliegen von ihr. “Papa, Mama… Ich bin nicht nur deshalb hergekommen, weil ich wollte, dass ihr Katô sehen könnt. Sesshoumaru… Er muss so schnell wie möglich zurück zum Schloss. Und ich gehe mit ihm mit.”

Ihre Eltern tauschten untereinander kurz ihre Blick aus. Es war schließlich Akie, die als Erste das Wort ergriff: “Hältst du es für eine gute Idee, mit ihm zurück zum Schloss zu gehen? Ich meine, die Umstände dort scheinen sich ja nicht gebessert zu haben, nach dem, was wir gehört haben...”

Kimie nickte. “Ich weiß, was du meinst, Mama. Ehrlich gesagt, bin ich auch etwas nervös deswegen… Aber ich war lange genug fort. Es wird Zeit, dass ich mich da wieder sehen lasse.”

“Und endgültig klarstellst, dass du dort die erste Geige spielst, hm?”, fragte Kimata, als wollte er seine Tochter damit necken.

Diese konnte sich ein leises Seufzen nicht verkneifen. “Papa…”

Ihr Vater winkte lachend ab. “Tut mir Leid, mein Kind. Ich wollte nur versuchen, die Stimmung wieder etwas aufzulockern.”

“Du machst wohl aus allem einen Witz, oder?”, warf seine Frau daraufhin mit einem leicht tadelnd klingenden Unterton ein.

Kimata kratzte sich etwas reumütig am Hinterkopf. “Entschuldige, Akie. Aber du kennst mich doch…”

Während Akie ihren Mann noch ein wenig kritisch beäugte, bemerkte sie, wie sich Katô auf ihrem Arm zu rühren begann. “Oh, ich glaube, der Kleine will zurück zu seiner Mutter.”

Als sie ihr das Baby reichte, nahm Kimie es sogleich an sich.

“Und?”, fragte sie ihre Eltern nach einem Moment vorsichtig. “Ist es okay für euch, dass ich zurück zum Schloss gehe?”

“Kleines”, begann Kimata mit einem warmen Lächeln. “Du musst deine Mutter und mich nicht um Erlaubnis fragen. Du bist erwachsen. Und wir beide trauen dir zu, dass du selbst deine Entscheidungen treffen kannst. Wenn du mit Sesshoumaru zurück zu seinem Schloss möchtest und du glaubst, dass das richtig ist, dann geh ruhig.”

“Aber pass bitte gut auf dich auf. Und auf den Kleinen”, bat Akie ihre Tochter eindringlich.

Mit einem großen Gefühl der Erleichterung nickte Kimie. “Keine Sorge. Es wird schon gut gehen. Ich danke euch.”
 

* ~ * ~ * ~ *
 

Bereits am nächsten Morgen war es so weit gewesen. Inu Yasha und Kagome hatten beschlossen, ebenfalls zum Schloss zu gehen. Besonders Kimie beruhigte dies in gewisser Weise, denn ein wenig unwohl fühlte sie sich bei alldem doch. Sie vermochte nicht abzuschätzen, wie Sesshoumarus Leute und auch die Füchse insbesondere auf Katô reagieren würden. Besonders als die kleine Gruppe nach gut einer Tagesreise schließlich wieder in den westlichen Ländern ankam, spürte Kimie, wie die Nervosität in ihr wuchs. Das ungute Gefühl, das sie beschlichen hatte, wurde immer größer.

Die Gegend lag unter einer blütenweißen Schneeschicht begraben. Ein Anblick wie aus einem Bilderbuch. Diesen konnte Kimie im Moment aber nur geringfügig genießen. Zumindest schien Katô viel ruhiger zu sein als sie, denn er schlief friedlich in ihren Armen.

Kagome trat an die Seite ihrer Cousine. “Kimie? Ist alles in Ordnung?”

“Ehrlich gesagt, nein…”, antwortete Kimie ehrlich. Und wenn man sie so ansah, hätte man fast schon vermuten können, sie wäre auf dem Weg zu ihrem eigenen Schafott.

Sesshoumaru legte daraufhin einen Arm um Kimies Schulter und zog sie sanft zu sich. “Mach dir keine Sorgen. Es wird dir und Katô nichts passieren. Du hast nichts zu befürchten.”

“Hm… Ja, danke”, erwiderte Kimie, begleitet von einem leichten Lächeln. Dass Sesshoumaru an ihrer Seite war, gab ihr ein Gefühl von Sicherheit. Zumal Kakeru, Kagome und Inu Yasha auch da waren. Sogar Inuki war hierher mitgekommen und stand wachsam neben Ah-Un, welcher von Kakeru an den Zügeln geführt wurde.

“Gehen wir. Es wird allmählich Zeit”, ergriff Kakeru schließlich das Wort, woraufhin die Gruppe sich wieder in Bewegung setzte. Das Schloss lag unweit von ihnen entfernt…
 

Ein Raunen machte die Runde, als Sesshoumaru und die anderen den Hof betraten. Natürlich richtete sich die Aufmerksamkeit aller besonders auf das kleine Bündel in Kimies Armen. Unbewusst versuchte Kimie, den Blicken der anderen auszuweichen und auch Katô vor diesen abzuschirmen. Da konnten selbst Kagomes leise Versuche, ihr gut zuzureden, sie nicht wirklich beruhigen. Die Nervosität war mit einem Mal wieder da.

“Kimie-chan! Du bist wieder zurück? Wurde ja mal Zeit! Wir haben uns alle schon gewundert”, erklang plötzlich Ashitakas fröhliche Stimme. Gemeinsam mit Miyuki und Tôya kam er den Eingetroffenen entgegen. Doch stutzte er sofort, als er das Kind auf Kimies Armen entdeckte. “Eh? Was…? Wem gehört denn das Baby?”

“Na, was glaubst du denn?”, fragte Inu Yasha daraufhin trocken zurück.

Ashitaka schwieg zunächst, als müsste er erst mal darüber nachdenken. Sein Blick wanderte zwischen Kimie und Sesshoumaru hin und her.

“Nein!”, kam es dann ungläubig von ihm zurück. “Das ist doch… Ist das wahr? Warst du deshalb so lange fort, Kimie-chan?”

Kimie nickte verschüchtert. “Mh… Ja, irgendwie schon…”

Nachdem Miyuki das alles gehört hatte, hielt sie nichts mehr. Sofort eilte sie zu Kimie und warf einen Blick auf Katô.

“Ah! Oh, wie süß! Darf ich es bitte auch mal halten?”, fragte sie voller Begeisterung. Ein wenig verlegen überreichte Kimie ihr daraufhin das Baby.

Miyukis Augen strahlten regelrecht vor Entzücken. “Wow! Wie toll! Es ist ein Junge, oder? Habt ihr ihm schon einen Namen gegeben?”

“Ja. Er heißt Katô”, antwortete Kimie, deren Anspannung langsam wieder von ihr abließ.

Miyuki betrachtete den Nachwuchs ganz genau.

“Ich sehe es schon. Der Kleine wird später mal ein ganz Hübscher, wenn er erst erwachsen sein wird”, war sie überzeugt. Ashitaka riskierte nun einen Blick über ihre Schulter.

“Woran erkennst du so was denn?” , fragte er neugierig.

“Weibliche Intuition!”, war Miyukis ebenso überzeugte, wie selbstsichere Antwort darauf. Erneut betrachtete sie Katô eingehend. “Hach… Wenn ich ihn so ansehe, werde ich fast schon neidisch.”

Auf diese Bemerkung hin hob Ashitaka leicht eine Augenbraue. “Was soll das heißen? Willst du jetzt etwa auch plötzlich ein Baby haben?”

“Kriegst du das denn hin?”, fragte Miyuki prüfend zurück, woraufhin er sie fast schon erschrocken anstarrte.

“Miyuki-chan! Willst du mich vor allen bloßstellen?!”

Erheitert lachte sie auf. “Jetzt guck nicht so verstört! Das war doch nur Spaß!”

Von Tôya bekam Ashitaka nun einen tröstenden Klaps auf den Rücken. “Aber allzu überstürzen, muss man es ja auch wieder nicht. Oder, Ashitaka?”

Dieses Mal schwieg der Jüngere. Irgendwie musste er gerade an Tôyas Worte von damals denken, Miyuki ja nicht unglücklich zu machen.

Im Bezug auf den unerwarteten Erben ihres jungen Herrn hielten die anderen Inu-Youkai trotz ihrer Neugierde nach wie vor Abstand. Ohne Sesshoumarus ausdrückliche Genehmigung hätte sich ohnehin niemand von ihnen in die Nähe von Kimie oder dem Kind getraut. Während einige sich leise untereinander austauschten, hüllten sich jene, die sich vor noch gar nicht allzu langer Zeit gerne mal das Maul über den da noch ausgebliebenen Nachwuchs zerrissen hatten, in kleinlautes Schweigen.

Die ersten durchaus positiven Reaktionen halfen Kimie ein wenig dabei, sich etwas zu entspannen. Doch als sie Kuro, den obersten General von Aoshis Streitmacht, entdeckte, war ihre Anspannung sofort wieder da.

Eine unangenehme Stille breitete sich aus, als Kuro sich einige Meter vor der Gruppe um Sesshoumaru aufbaute.

“So ist das also, ja?”, begann er mit einem prüfenden Blick in die Runde. “Der feine Herr Lord des Westens hat sich aus dem Staub gemacht, um mit einem Hanyou-Balg hierher zurückzukehren?” Und als ob diese Aussage nicht schon affektiert genug war, unterstrich Kuro diese auch noch mit seinem herablassenden Gesichtsausdruck.

Sofort trat Inu Yasha einen Schritt vor. “Halt doch die Schnauze! Du willst rumstänkern?! Dann komm nur her und wir fechten die Sache aus, du arroganter Mistkerl!”

Er hatte bereits die Hand an Tessaiga gelegt, als Sesshoumaru seinen Bruder jedoch in seine Schranken wies: “Inu Yasha! Halte dich zurück! Das geht dich nichts an! Hast du mich verstanden?”

Missmutig knurrend und nur widerwillig gab der Hanyou klein bei, während Sesshoumaru nun einige Schritte auf Kuro zuging.

“Ich habe zu vielem geschwiegen, wo ich es besser nicht getan hätte. Aber jetzt reicht es! Ich dulde keine weiteren derartigen Äußerungen. Schon gar nicht auf meinem Grund und Boden!”

Sesshoumarus beherrschte, aber dennoch gebieterische Stimme beeindruckte Kuro offenbar nur minder. Kaltschnäuzig verschränkte der General die Arme vor der Brust. “Oho! Das sind ja plötzlich ganz neue Töne! Spielen wir plötzlich den großen Anführer, ja?”

Ungläubiges Raunen machte die Runde. Die Inu-Youkai wollten nicht glauben, was sie da hörten und sahen. Dass Kuro die Dreistigkeit besaß, ihren Herrn in aller Öffentlichkeit so klar und deutlich zu beleidigen… Manche der Krieger legten bereits die Hände an ihre Waffen, bereit, diese nun jederzeit zum Einsatz zu bringen.

Sesshoumaru wollte seinen Gegenüber soeben noch deutlicher klarmachen, dass er die Grenze längst überschritten hatte, als Aoshis Stimme im unverkennbaren Befehlston erklang: “Hör sofort auf damit, Kuro! Was denkst du dir eigentlich?”

Der Fürst der Füchse war nun ebenfalls zu dem Geschehen dazugekommen. Zwar schien Kuro sich vom plötzlichen Auftauchen seines Herrn kurzzeitig beeinflussen zu lassen, doch damit war es sehr schnell wieder vorbei. “Ich bitte um Verzeihung, Aoshi-sama, aber wollt Ihr davor Eure Augen verschließen? Der Kerl ist doch genau so ehrlos, wie schon einst sein Vater! Wollt Ihr wirklich darauf beharren, Eure Tochter so einem Mann anzuvertrauen? Einem Youkai-Lord, der offenbar jeglichen Stolz verloren hat und sich nicht zu schade dafür war, eine normalsterblichen Frau, die nicht mal von adligem Geblüt ist, zu beschlafen und ihr auch noch ein Kind zu machen?!”

Als Kuro auch noch sein Schwert gezogen hatte und mit diesem nun auf Kimie deutete, als wollte er seinen Worten damit zusätzlichen Ausdruck verleihen, wurde diese sofort von Ashitaka schützend zur Seite genommen, während Miyuki den kleinen Katô vor den Blicken des Generals abschirmte.

“Jetzt reicht es mir! Schluss damit!!” Sesshoumaru holte weit aus und schleuderte Kuro seine Lichtpeitsche entgegen. Dieser wich gerade noch im richtigen Moment mit einem Sprung nach hinten aus. Ein lauter Knall hallte in der Luft wider, als die Peitsche nur um Haaresbreite ihr Ziel verfehlte.

“Hm! Ihr traut Euch ja wirklich was, Sesshoumaru-sama. Doch solltet Ihr eines bedenken: Manchmal wird einem ganz unverhofft der Teppich unter den Füßen fortgezogen”, bemerkte Kuro mit der selben Arroganz wie schon zuvor, unterstrich seine Aussage zudem mit einem mehr als herablassenden Lächeln.

Sesshoumaru knurrte verächtlich. “Willst du mir drohen?”

Nun legte Kuro auch die letzten Höflichkeitsformen ab. “Du bist mir ja vielleicht ein Mann… Lässt dich von einer Menschenfrau an die Leine legen, wie ein gewöhnlicher Schoßhund!”

“Kuro! Halt endlich deinen Mund!”, kam es plötzlich ungewohnt harsch von Aoshi, dass selbst der General kurzzeitig irritiert wirkte. Der Fürst der Füchse schritt auf seinen Gefolgsmann zu. “Bisher habe ich es unterlassen, dich wegen deines Auftretens zu sehr zu kritisieren, aber du gehst eindeutig zu weit! Zwing mich nicht dazu, andere Seiten aufzuziehen! Habe ich mich klar genug ausgedrückt?”

Kuro verkniff sich ein missmutiges Knurren. Stattdessen verneigte er sich nun leicht vor seinem Herrn. “Natürlich, Aoshi-sama. Ich bitte um Vergebung.”

Es schien so, als würde sich die auf dem Hof herrschende Unruhe allmählich legen. Die Situation war offenbar wieder weitestgehend unter Kontrolle, doch da bemerkte Ashitaka, dass Kimie so merkwürdig atmete. Es klang, als bekäme sie nur schlecht Luft.

“Kimie-chan? Was ist los?”

“Ich… Mir ist so…” Weiter kam Kimie nicht mehr. Krampfhaft klammerte sie sich an Ashitaka fest, da ihre Beine nachzugeben drohten. Hilfe suchend blickte der junge Youkai zu Kakeru, welcher sich jedoch bereits der Situation bewusst war. Behutsam fasste er Kimie an den Schultern, um sie zusätzlich ein wenig zu stützen. Er bemerkte, dass sie ein wenig zitterte.

“Hm… Das habe ich befürchtet. Die Aufregung tut ihr nicht gut. Sie braucht dringend Ruhe”, erkannte er sofort. Da Kimie sich inzwischen kaum noch auf den Beinen halten konnte, hob Ashitaka sie nun auf seine Arme. Doch davon bekam Kimie selbst kaum noch etwas mit. Erschöpft und die Augen geschlossen, lehnte sie ihren Kopf an Ashitakas Schulter.

Mühsam unterdrückte Wut spiegelte sich in Sesshoumarus Augen wider, als er sich Aoshi zuwandte. “Fürst Aoshi. Ich versichere Euch nach wie vor meine Unterstützung bei der Findung des Mörders Eures Sohnes. Nichts desto trotz möchte ich Euch und Euer Gefolge darum bitten, zunächst in Eure Ländereien zurückzukehren. Über Boten können wir den Kontakt zueinander aufrecht erhalten.”

Dem Fürst der Füchse war bewusst, dass Sesshoumarus Missgunst nicht ihm, sondern Kuro galt. Und auch, wenn die Aufforderung des jungen Herrn der Inu-Youkai fast einem Affront gleichzusetzen war, widersetzte sich Aoshi unter den gegebenen Umständen nicht.

“Ich respektiere Euren Wunsch, Sesshoumaru-sama”, entgegnete er stattdessen mit ruhiger Stimme, neigte sogar leicht das Haupt vor seinem Gegenüber. “Ich werde sogleich veranlassen, dass alle nötigen Vorbereitungen getroffen werden. Bevor ich jedoch aufbreche, würde ich Euch gerne noch um ein Gespräch ersuchen. Entschuldigt mich bitte.”

Aoshi gab Kuro, sowie seinen anderen Gefolgsleuten zu verstehen, dass sie sich umgehend auf die baldige Abreise vorzubereiten hatten.

Unterdessen wies Sesshoumaru seinen Cousin Ashitaka an, Kimie ins Schloss zu bringen.

Ein trügerischer Frieden

“Es ist ein leichter Schwächeanfall. Der vergeht wieder. Sie muss sich nur ausruhen”, beruhigte Kakeru die Anwesenden, nachdem er Kimies Zustand noch mal genauer untersucht hatte.

Kagome seufzte leise, aber erleichtert auf. Ihre Cousine lag im Schlafgemach von Sesshoumarus Privaträumen auf dem dortigen Ruhelager und schlief im Augenblick. Mit im Raum waren neben Sesshoumaru noch Inu Yasha und Tôya.

Ashitaka und Miyuki kamen soeben leise hinzu, nachdem sie zuvor bei Sakura gewesen waren. So lange Kimie sich noch ausruhte, hatte sie sich gerne dazu bereit erklärt, ein wachsames Auge auf den kleinen Katô zu haben. Das beruhigte momentan besonders Sesshoumaru. Denn er selbst hätte es allein wohl kaum fertig gebracht, sich so um seinen Sohn zu kümmern, wie es von Nöten gewesen wäre. Außerdem musste er ja noch mit Aoshi sprechen.

“Der Kleine ist bereits das Gesprächsthema Nummer 1 hier im Schloss. Es hat alle wirklich sehr überrascht, als du und Kimie-chan mit ihm hier wieder aufgetaucht seid”, erzählte Ashitaka seinem Cousin. Anschließend warf er einen Blick auf Kimie. “Und wie geht es ihr inzwischen?”

“Alles in Ordnung. Sie muss wohl nur etwas schlafen”, antwortete Inu Yasha anstelle seines Bruders.

Besonders Sesshoumaru behielt Kimies Zustand gerade genau im Auge. Sie sah blass aus. Das gefiel ihm gar nicht. Dabei war es ihr zuletzt erst wieder besser gegangen. Es stimmte, sie brauchte Ruhe, aber so, wie die Dinge zur Zeit standen, würde sie diese nicht unbedingt bekommen.

“Kakeru, kümmere dich weiter um Kimie. Wenn sich etwas ändert, gib mir Bescheid”, wies Sesshoumaru Kakeru an, welcher sogleich einverstanden nickte.

“Natürlich, Sesshoumaru-sama.”

Kurz darauf verließ Inu Yashas Bruder die Räumlichkeiten. Es gab einiges für ihn zu tun, das keinen Aufschub mehr duldeten.

“Inu Yasha? Wir sollten auch erst mal gehen”, schlug Kagome nach einem Moment vor. Denn wenn zu viele hier ihm Raum herumwuselten, wäre das nicht die Art von Ruhe, die Kimie gerade brauchte. Auch Miyuki und Ashitaka waren damit einverstanden, sich erst mal wieder zurückzuziehen. Und so lange Kakeru bei Kimie bliebe, wäre es schon in Ordnung.
 

Mit dem Wissen, dass Kimie zum gegebenen Zeitpunkt die bestmögliche Betreuung hatte, konnte sich Sesshoumaru ausreichend auf die Unterredung mit Aoshi konzentrieren. Zu diesem Zweck hatte er den Fürst der Füchse in einen abgelegenen Raum bestellt, wo sie beide in Ruhe reden konnten, ohne den möglichen Einfluss oder die Einmischung dritter.

“Die Unannehmlichkeiten von vorhin bedaure ich wirklich zutiefst, Sesshoumaru-sama. Kuro war schon immer ein ziemlicher Hitzkopf. Das mag vermutlich seine größte Schwäche sein”, entschuldigte sich Aoshi nochmals bei Sesshoumaru für das Verhalten seines obersten Generals. Zugegeben, die Erinnerung daran erboste Sesshoumaru nach wie vor, aber das war jetzt nicht das Hauptthema.

“Das Gehabe Eures Untergebenen überraschte mich nur geringfügig, Fürst Aoshi. Ich hatte schließlich lange genug Zeit, um ihn kennen zu lernen. Was jedoch nicht bedeuten soll, dass ich ihm sein Tun verzeihe”, stellte Sesshoumaru klar. “Aber das ist nicht der Grund, weshalb ich Euch sprechen wollte. Ich vermute allerdings, dass Ihr es Euch bereits denken könnt. Abgesehen davon, dass ich der Verlobung mit Eurer Tochter wie schon mehrfach betont nie meine Zustimmung erteilt habe, hat sich die Situation in der Zwischenzeit weiterhin verändert. Ich habe nicht die Absicht, meinen Sohn zu verleugnen. Und ebenso wenig werde ich die Frau, die ihn geboren hat, als meine Gefährtin verstoßen. Das hatte ich vor einigen Monaten nicht vor und auch jetzt nicht. Wie gesagt, werde ich Euch weiterhin meine Unterstützung bezüglich der Aufklärung des Todes Eures Sohnes zusichern. Mehr aber auch nicht. Ich wünsche von daher kein weiteres Wort mehr über irgendeine Verlobung, die vor Jahrhunderten ohne meine Zustimmung arrangiert worden ist, zu vernehmen.”

Ein wenig klang das zwar wie ein Ultimatum, aber dieses lästige Hin und Her war schon lange genug so gegangen.

“Was meine Gefährtin jetzt in erster Linie braucht, ist Ruhe”, fuhr Sesshoumaru fort. “Aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt wird sie diese hier nicht im angemessenen Sinne finden können. Und ich will es nicht verantworten, dass es ihr möglicherweise wieder schlechter gehen könnte. Aus diesem Grund habe ich es Euch vorhin nahe gelegt, in Eure Ländereien zurückzukehren.”

Aoshi konnte nachvollziehen, was sein Gegenüber damit sagen wollte. Die Situation war nach wie vor angespannt und alles andere als freundlich. Kein Wunder, dass sich Sesshoumaru für Kimie wünschte, dass hier wieder Ruhe einkehrte. Und am besten würde er das erst mal erreichen können, wenn er nach Möglichkeit die alten Umstände wie vor dem Besuch der Füchse wiederherstellte.

“Ich kann nicht von Euch verlangen, Eure Gefährtin und Euren Sohn zu verstoßen, Sesshoumaru-sama. Und das habe ich auch nicht vor. Gemäß Eurem Wunsch, werde ich mit meinem Gefolge Eure Ländereien verlassen. Wie ich es Euch zugesichert habe, laufen bereits die Vorbereitungen. Heute Nacht werden wir zurückkehren”, erklärte Aoshi bereitwillig. “Ich bedaure, dass alles letzten Endes so gekommen ist. Und damit meine ich nicht nur Eure Sorgen um Eure Gefährtin. Es wäre vielleicht wirklich das Beste gewesen, hätte ich Euren Worten von Anfang mehr Gehör geschenkt und nicht auf den Fortbestand Eurer Verlobung mit meiner Tochter Saori bestanden.”

“Was geschehen ist, ist geschehen. Es lässt sich nicht mehr rückgängig machen”, erwiderte Sesshoumaru zwar in dem ihm gewohnten Tonfall, trotzdem war er erleichtert darüber, dass Aoshi sich nicht querstellte. Möglicherweise würde das Bündnis zwischen ihren beiden Clans trotz allem auch weiterhin bestehen bleiben können. Vorausgesetzt, die Umstände um Taigas Tod würden sich demnächst aufklären lassen. Und was das anbelangte, war ja nach wie vor noch nicht mal geklärt, aus wessen Reihen der Mörder eigentlich stammte…
 

Als Kimie wieder aufwachte, war es bereits dunkel. Wie lange war sie weggetreten gewesen? Etwa den ganzen restlichen Tag?

Nach einigen Minuten setzte sie sich auf. Sie erkannte sofort, dass sie hier in Sesshoumarus Räumlichkeiten war. Im Augenblick schien sie jedoch allein zu sein. Wo die anderen wohl waren? Und wo war eigentlich der Kleine? Vermutlich kümmerte sich gerade jemand anders um ihn, und das war wohl für den Moment auch besser so.

Kimie merkte auf, als sie bemerkte, wie sie leicht an ihrem Oberarm angestupst wurde. Als sie ihren Blick entsprechend umwandte, entdeckte sie Inuki neben sich stehen.

“Oh… Du bist hier, mein Guter”, lächelte sie, während sie ihm den Kopf streichelte. Es tat gut, ein bekanntes Gesicht zu sehen.

Geräusche von draußen erregten kurz darauf Kimies Aufmerksamkeit. Es klang so, als würden sich viele Leute auf dem Hof aufhalten. Um diese Zeit? War etwas passiert?

Kimie wollte nachsehen. Also stand sie auf und öffnete eines der Fenster einen Spalt weit. Auf dem Hof sah sie die Füchse und die Inu-Youkai. Es sah aus, als wollte Aoshi mit seinem Gefolge das Schloss verlassen. Er sprach gerade ein paar letzte Worte mit Sesshoumaru.

Kimie erinnerte sich wieder. Stimmt, sie hatte vorhin das Bewusstsein verloren. Moment… Vorhin? War das wirklich erst vorhin gewesen oder hatte sie möglicherweise sogar länger geschlafen? Ihr Zeitgefühl vermochte ihr das gerade nicht zu sagen.

Während sie noch darüber nachdachte, behielt Kimie weiterhin das Geschehen auf dem Hof im Auge. Neben Aoshi konnte sie unter anderem auch ganz eindeutig seine beiden Töchter sowie den General erkennen. Dieser Kuro… Er machte Kimie irgendwie unruhig. Und das lag nicht allein an seinem bisherigen Verhalten. Es war seine Ausstrahlung. So feindselig… Sogar jetzt hatte er diesen eiskalten Blick.

“Oh, Ihr seid also wieder aufgewacht.”

Kimie erschrak beinahe. Sie hatte überhaupt nicht mitbekommen, wie die Tür zu den Gemächern geöffnet worden und Kakeru hereingekommen war.

“Kakeru…”

“Verzeiht, ich wollte Euch nicht erschrecken. Aber Ihr solltet besser noch nicht aufstehen. Kommt. Ruht Euch aus.”

“Mh…” Kimie nickte und schloss das Fenster, bevor sie sich wieder zum Ruhelager begab. Und nachdem sie sich gesetzt hatte, reichte Kakeru ihr eine Tasse.

“Hier. Trinkt das.”

Kimie nahm die Tasse zwar entgegen, doch betrachtete sie deren Inhalt zunächst mehr als skeptisch. “Das ist doch nicht hoffentlich wieder so ein Gebräu wie das Zeug, das du mir vor meinem Weggang verabreicht hast, oder?”

Denn daran konnte sie sich noch gut erinnern. Damals war Kimie auch kurzzeitig weggetreten gewesen und als sie wieder aufgewacht war, hatte Kakeru ihr diese alles andere als wohlschmeckende Brühe eingeflößt. Den Geschmack konnte sie damals wie heute nicht so recht einordnen.

Angesichts von Kimies Skepsis war Kakeru im ersten Moment zwar etwas verdutzt, lachte dann aber amüsiert. “Keine Sorge. Das hier ist nur ganz harmloser Tee. Es könnte jedoch sein, dass er noch etwas heiß ist.”

“Oh… Vielen Dank.” Ein wenig peinlich berührt trank Kimie den ersten Schluck. Tatsache, es war gewöhnlicher Tee.

“Was ist eigentlich da draußen los, Kakeru? Es sieht so aus, als würden Fürst Aoshi und sein Gefolge fortgehen wollen”, bemerkte sie kurz darauf.

Der Youkai nickte bestätigend. “Ja, so ist es. Sesshoumaru-sama hat Aoshi-sama dies nahe gelegt. Aber das soll Eure Sorge nicht sein. Und wenn Ihr Euch Gedanken um Euren Sohn machen solltet, das ist unnötig. Sakura-dono kümmert sich um ihn. Aber was ist mit Euch? Fühlt Ihr Euch denn mittlerweile besser?”

“Ja, danke. Aber wie lange war ich eigentlich weggetreten?”

“Einige Stunden. Aber die kleine Auszeit scheint Euch gut getan zu haben.”

Kimie trank weiter ihren Tee. So hatte sie sich ihre Rückkehr ins Schloss nicht gerade vorgestellt. Dass sie gleich mal als Erstes hatte umkippen müssen, noch dazu vor aller Augen… Großartig…

Zumindest war Katô bei Sakura in guten Händen. Obwohl es Kimie schon unangenehm war, dass sie gerade nicht dazu in der Lage war, sich nicht selbst angemessen um ihren Sohn zu kümmern. Als hätte sie nicht schon für genug Umstände gesorgt…

Einige Zeit später wurde die Tür des Zimmer wiederum von außen geöffnet. Da die Füchse inzwischen das Schloss verlassen hatten, hatte Sesshoumaru nun wieder nach Kimie sehen wollen. Es erleichterte ihn, dass sie endlich aufgewacht war, wenngleich er vorhin bereits mitbekommen hatte, dass sie heimlich aus dem Fenster gesehen hatte.

“Aoshi und sein Gefolge haben soeben das Schloss verlassen und sind auf dem Rückweg in ihre Länderein”, erklärte er kurz, ehe er näher kam. Kimie machte einen viel besseren Eindruck als vorhin noch. Sie war auch nicht mehr so blass.

Da Sesshoumaru nun wieder da war, nahm Kakeru dies zum Anlass, ihn mit Kimie erst mal allein zu lassen. Deshalb stand er nach einem Moment auf.

“Wenn Ihr es erlaubt, Sesshoumaru-sama, dann ziehe ich mich nun zurück. Ich wünsche Euch eine angenehme Nachtruhe. Und Euch natürlich auch, Kimie-dono. Falls Ihr noch etwas benötigen solltet, lasst es mich wissen.”

“Gut, das mache ich. Vielen Dank, Kakeru”, erwiderte Kimie dankbar, bevor der Youkai den Raum wieder verließ.

Als sie beide unter sich waren, setzte sich Sesshoumaru zu seiner Gefährtin.

“Du hast vorhin für ziemliches Aufsehen gesorgt”, merkte er an, wobei es aus seinem Mund fast schon wie ein Vorwurf klang. Aber Kimie wusste ja, wie es eigentlich gemeint gewesen war und die Tonlage war sie schließlich schon längst gewohnt.

“Entschuldige. Ich wollte euch alle nicht erschrecken”, erwiderte sie bedauernd. “Uhm… Warum hast du Aoshi und seine Leute eigentlich so plötzlich von hier weggeschickt?”

“Sie haben sich lange genug hier aufgehalten. Außerdem wollte ich diesen Kuro hier nicht länger sehen müssen. Schon gar nicht, wenn du und Katô hier seid.”

“Ach… Tut mir wirklich Leid, dass ihr alle wegen mir so viel Stress habt”, entschuldigte sich Kimie leise seufzend. Es nervte sie, dass sich alle so um sie kümmern mussten. Da kam sie sich selbst wie ein Klotz am Bein vor.

“Wie… geht es jetzt eigentlich weiter? Ich meine wegen den Füchsen…”, fragte sie nach einem Moment.

“Ich habe Aoshi die weitere Unterstützung bei der Suche nach dem Mörder seines Sohnes zugesichert”, antwortete Sesshoumaru ihr. “Was aber die Verlobung mit seiner Tochter angeht, so ist diese nun endgültig gelöst. Diesbezüglich wird es keine weiteren Unklarheiten mehr geben. Vor allem jetzt nicht mehr.”

“Hm! Etwa weil ich mit dir wieder hierher zurückgekommen bin und obendrein deinen Filius dabei hatte?”, fragte Kimie mit einem nunmehr prüfenden Lächeln, was auch etwas Neckendes an sich hatte. “Nun ja, zumindest dürfte jetzt geklärt sein, dass ich sehr wohl dazu in der Lage bin, dir einen Nachfolger zu verschaffen. Ich darf also davon ausgehen, dass ich damit rehabilitiert bin, nicht wahr?”

Anstatt ihr auf diese scherzhafte Frage aber eine Antwort zu geben, schaute Sesshoumaru Kimie zunächst nur schweigend an. Er nahm ihr die inzwischen leere Teetasse aus den Händen und stellte diese zur Seite, ehe er seine Hand nach ihr ausstreckte. Bevor Kimie wieder das Wort an ihn richten konnte, hatte er seine Lippen bereits auf ihre gelegt. Dieser spontane Kuss überraschte sie doch ziemlich, zumal sie mit so etwas gerade überhaupt nicht gerechnet hatte. Doch es tat ungemein gut, diese Nähe zu ihm zu spüren und diese Wärme…

Allerdings war Kimie mehr als überrumpelt, als Sesshoumaru, nachdem er den Kuss wieder gelöst hatte, sie wortlos in seine Arme zog.

“Uhm… Sesshoumaru? Was hast du denn auf einmal?”, fragte sie verunsichert. So wie er sie gerade festhielt, bekam sie fast schon den Eindruck, als befürchtete er, sie könnte sich jederzeit in Luft auflösen und vor seinen Augen verschwinden.

“Tu das nie wieder.”

“Was?”

Was sagte er denn da? Tu das nie wieder… Was meinte er damit? Aber dann begriff sie es. Es musste ihn gewiss sehr schockiert haben, sie noch vor einigen Tagen in diesem geschwächten Zustand gesehen zu haben. Was mochte ihm da wohl durch den Kopf gegangen sein? Und nicht nur Kimie hatte eine schwere Zeit hinter sich. Auch für Sesshoumaru waren die vergangenen Monate gewiss nicht einfach gewesen. Er hatte hier mit anderen Problemen zu kämpfen gehabt, die nicht weniger von Bedeutung gewesen waren. Und auch, wenn er seine Gefühle so gut wie nie zeigte, bedeutete das noch lange nicht, dass ihm alles egal war.

“Hey… Wenn du jetzt auf einmal sentimental wirst, bekomme ich noch Angst um dich. Diese Seite von dir ist irgendwie so… erschreckend”, ergriff Kimie nach einer Weile das Wort. Daraufhin ließ Sesshoumaru wieder etwas von ihr ab und beäugte sie eingehend.

“Hm! Meine Sorgen um dich schienen unbegründet gewesen zu sein. Du redest fast schon wieder so, wie ich es von dir gewohnt bin.”

Diese Bemerkung von ihm brachte Kimie zum Lachen. “Ich sagte dir doch: Unkraut vergeht nicht.”

Unkraut… Das klang so abwertend, obwohl Sesshoumaru ja wusste, dass Kimie nur einen Scherz gemacht hatte. Aber Unkraut war sie in seinen Augen gewiss nicht. Er hatte ihr eigentlich fast nie gesagt, wie er für sie fühlte, und auch wenn Kimie es eigentlich immer gewusst hatte, so hätte Sesshoumaru ihr zumindest in letzter Zeit deutlicher sagen können, was sie ihm bedeutete. Nur war ihm das noch nie leicht gefallen, weil es eben einfach nicht seine Art war. Vielleicht sollte er versuchen, etwas daran zu ändern?

Als es an der Tür klopfte, horchten Kimie und Sesshoumaru gleichermaßen auf. Und auf seine Erlaubnis hin betrat Sakura mit einem Lächeln mit dem kleinen Katô das Zimmer.

“Ich bitte um Verzeihung für die späte Störung, aber ich habe noch Stimmen gehört. Und ich glaube, der Kleine möchte zurück zu seinen Eltern.”

Kimie fand es wirklich schön, dass Sakura ihr ihren Sohn extra brachte. Dankend nahm sie ihr das Baby ab.

“Er hat bis eben friedlich geschlafen”, erzählte Sakura, wobei sie dem Kleinen behutsam über den Kopf strich. “Wenn ich ihn so ansehe, erinnert er mich an meinen Ashitaka. Er war schließlich auch mal so winzig und niedlich.”

Da sie jedoch nicht länger stören wollte, wollte sie besser wieder gehen.

“Vielen Dank, dass du auf ihn aufgepasst hast”, bedankte sich Kimie noch.

“Das habe ich gern gemacht. Ehrlich. Und ich stelle mich auch gerne für die Zukunft weiter dafür zur Verfügung”, erwiderte Sakura, ihr Lächeln beibehaltend.

Nachdem sie wieder gegangen war, warf Kimie einen Blick auf ihren Sohn. Dass sie jetzt wirklich ein Baby hatte… Irgendwie kam ihr das noch immer ein wenig irreal vor. Während sie Katô so ansah, kam ihr aber plötzlich ein Gedanke.

“Sag mal, Sesshoumaru… Wie hättest du reagiert, wenn Katô ein Mädchen geworden wäre?”

Diese Frage von Kimie überraschte Sesshoumaru doch etwas. Wie kam sie gerade darauf? Wobei, er kannte sie ja mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass hinter dieser Frage wohl nicht wirklich etwas steckte. Es war einfach eine Frage aus reiner Neugier gewesen.

“Frauen und Männer sind bei den Inu-Youkai gleichgestellt. Es hätte daher keinerlei Unterschied gemacht, was die Rangfolge angeht.” Das war alles, was Sesshoumaru darauf antwortete.

Kimie musste lächeln. Das wusste sie zwar schon längst, aber sie verstand schon, wie Sesshoumaru es wohl gemeint hatte. Es hätte für ihn wirklich keinen Unterschied gemacht, ob sein erstes Kind ein Sohn oder eine Tochter geworden wäre.

“Hier, möchtest du ihn auch mal halten?”, bot sie ihm an und legte ihm Katô einfach mal in die Arme. “So ein Baby steht dir gar nicht mal so schlecht. Obwohl es irgendwie auch ungewohnt ist, dich so zu sehen.”

Sesshoumaru äußerte sich nicht dazu. Auch dann nicht, als Kimie leise kicherte. Und auch, wenn er nach außen hin keiner sonderliche Regung zeigte, er war mit der momentanen Situation mehr als zufrieden. Er hatte einen kleinen Sohn und Kimie ging es wieder besser. Und für den Augenblick wollte Sesshoumaru keine Gedanken, die seine Zufriedenheit beeinträchtigt hätten, zulassen.
 

* ~ * ~ * ~ *
 

Während bei den Inu-Youkai nach dem Abreisen der Füchse im Grunde weitestgehend Ruhe eingekehrt war, sah dies bei Aoshi und seinem Gefolge ein wenig anders aus. Kaum dass sie einige Stunden nach ihrem Fortgang wieder zurück in ihrem Gebiet waren, hielt Kuro sich nicht darin zurück, seinem Fürsten die Meinung zu sagen.

“Das kann nicht Euer Ernst sein, Aoshi-sama!? Dieser Kerl hat die Ehre Eurer Tochter mit Füßen getreten und Eure noch dazu!”

“Sesshoumaru-sama hat nur das getan, was in seiner Situation jeder andere Mann auch getan hätte, dem seine Gefährtin und sein Nachkomme etwas bedeuten”, entgegnete der Fürst der Füchse jedoch mit erhabener Ruhe, ohne auf die aufgebrachte Haltung seines Generals einzugehen. “Möglicherweise war es von vornherein ein Fehler, so beharrlich auf die Verbindung mit meiner Tochter zu bestehen. Du solltest dich nicht so aufregen, Kuro. Sogar Saori versteht das und hegt keinerlei Groll gegen Sesshoumaru-sama.”

Und darüber war Aoshi wirklich erleichtert. Allerdings war seine ältere Tochter schon immer sehr vernünftig und einsichtig gewesen. Sie tat stets das, was ihr als das Beste und Richtige erschien. Saori war eben genau so wie ihre verstorbene Mutter.

“Und was ist mit Eurem Sohn?”, warf Kuro ein. “Immerhin fand er in Sesshoumarus Schloss den Tod! Von dieser gelösten Verlobung mal ganz abgesehen, ist diese Angelegenheit noch lange nicht erledigt! Der Fall liegt doch klar auf der Hand! All das ist auf dem Mist dieser arroganten Köter gewachsen! Die bilden sich wohl ein, sie könnten sich alles erlauben, nur weil sie den gesamten Westen des Landes ihr Territorium nennen! Von Anfang an hat sich dieser Sesshoumaru geweigert, Prinzessin Saori zu heiraten. Und jetzt wissen wir auch, warum! Er hat es vorgezogen, mit einer menschlichen Frau, die noch dazu nicht mal adliger Abstammung ist, ein Hanyou-Balg zu zeugen! Ich bin mir sicher, irgendjemand aus seinem Gefolge ist auch für den Tod unseres verehrten Prinzen verantwortlich! Warum sonst haben sie uns plötzlich dazu genötigt, ihr Schloss zu verlassen? Die bemühen sich bestimmt nicht weiter um die Aufklärung von Taiga-samas Tod, sondern wollen diese Schandtat auf sich beruhen lassen, bis Gras darüber gewachsen ist! Das war doch alles nur ein Vorwand!” Kuro schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. “Aoshi-sama! Wollt Ihr Euch das einfach gefallen lassen?!”

“Das genügt!” Aoshi erhob seine Stimme merklich, um seinen obersten General in die Schranken zu weisen. Nachdem er das offenbar erreicht hatte, sprach er wiederum ruhiger, aber dennoch ernst weiter: “Kuro… Es ist nicht so, als würde ich deine Wut nicht verstehen können. Aber unabhängig von deiner Zuverlässigkeit und Loyalität, die du mir gegenüber stets unter Beweis gestellt hast, scheinst du in dieser Angelegenheit nicht fähig zu sein, objektiv bleiben zu können. Ich rate dir dringend, dich nicht von blindem Zorn verführen zu lassen. So kommt keiner von uns weiter. Du kannst dich zunächst zurückziehen. Wir reden weiter, wenn du dich wieder beruhigt hast.”

Kuro wollte zuerst wieder widersprechen, ermahnte sich dann aber selbst zur Vernunft. Er wollte seinen Herrn möglicherweise nicht wirklich noch gegen sich aufbringen. Deshalb verneigte er sich letztendlich nur noch und verließ daraufhin die Räumlichkeiten von Aoshi. Vielleicht hatte sein Fürst ja Recht. Kuro wollte sich erst mal wieder beruhigen, weshalb er sich auf den Weg in seine Privaträume machen wollte.

“Kuro?”

Überrascht blieb er stehen und drehte sich um. “Prinzessin Harumi. Kann ich etwas für Euch tun?”

Aoshis jüngere Tochter trat näher an Kuro heran.

“Ich möchte mit dir reden. Es ist sehr wichtig.”

Drohende Gefahr

Die letzten Tage war es ruhig geblieben.

Natürlich versuchten die Inu-Youkai nach wie vor in Erfahrung zu bringen, wie und durch wen genau Aoshis Sohn Taiga ums Leben gekommen war, allerdings hatte Sesshoumaru bereits im Vorfeld angeordnet, die Untersuchungen diesbezüglich verdeckt zu halten. Damit wollte er insbesondere Kimie und auch Katô schonen. Zwar hatte sich Kimie mittlerweile erholt - sie schien sogar wieder vollkommen fit zu sein - doch wollte Sesshoumaru trotzdem jegliche Form von möglichen Ärger oder Stress von ihr fernhalten.

Katô schien sich von Tag zu Tag besser zu entwickeln. Er schien seine Umgebung bereits genau zu beobachteten, ebenso wie die Leute um sich herum. Und wenn Kimie es nicht besser gewusst hätte, hätte sie glatt vermutet, ihr kleiner Sohn könnte sie und Sesshoumaru bereits erkennen. Youkai- und Hanyou-Kinder wurden zwar langsamer erwachsen als Menschenkinder, aber dafür schienen sie viel eher auf ihre Umwelt zu reagieren zu können. Kakeru hatte Kimie dies mal so erklärt, dass das ein natürlicher Schutz war. Denn Youkai bekamen es meist schon sehr früh mit allerhand Gefahren zu tun. Je schneller sie sich darauf einstellen konnten, umso besser war es für sie. Und da Hanyou ja zum Teil dämonisches Blut in sich trugen, übernahmen sie diese Eigenschaft sehr oft.

Wie so oft saß Kagome auch an diesem Tag mit ihrer Cousine zusammen und begutachtete voller Entzücken das kleine Baby. Aber nicht nur sie wollte dieses immer wieder sehen, auch die anderen waren schon oft vorbeigekommen, um Sesshoumarus und Kimies Filius zu bewundern.

Kimie nahm das alles gelassen. Zudem schmeichelte es ihr sehr, dass der Kleine so viel Aufmerksamkeit von allen Seiten bekam.

Kagome, die Katô gerade in den Armen hielt, konnte ihre Augen kaum von ihm abwenden. Kimie hatte ihn zuvor gestillt, weshalb der Kleine gerade besonders friedlich war und vermutlich innerhalb der nächsten Minuten einschlafen würde.

“Er ist wirklich sehr brav”, fand Kagome. “Bisher habe ich noch gar nicht mitgekriegt, dass er mal extrem lange oder laut geschrien hätte oder dergleichen.”

“Ja, das ist mir auch schon aufgefallen. Vielleicht ist Katô von Natur aus ein zufriedenes Baby. In der Hinsicht wäre er aber wohl ganz anders als sein Vater”, scherzte Kimie. In dem Zusammenhang fragte sie sich allerdings schon, wie Sesshoumaru als Baby oder als Kleinkind so gewesen war.

Ein auffälliges Geräusch erregte mit einem Mal die Aufmerksamkeit der beiden jungen Frauen.

“Hm? Ist da jemand vor der Tür?”, fragte sich Kagome und gab ihrer Cousine erst mal das Baby zurück, ehe sie aufstand und nachsah. Die verdutzten Blicke, die ihr nach dem Öffnen der Tür, entgegenschlugen, irritierten sie kurzzeitig. “Äh… Hallo…? Können… wir etwas für euch tun?”

Im Flur hatte sich eine ganze Gruppe von Sesshoumarus Gefolgsleuten und Bediensteten eingefunden. Und sie alle schienen gespannt auf etwas gewartet zu haben. Zumindest bis jetzt… Denn anstatt einer klaren Antwort löste Kagomes Frage nur mit einem Mal eine hektische Betriebsamkeit bei den Anwesenden aus und alle redeten wild durcheinander.

“Ach! Die Wachablösung am Tor steht an! Ich muss los!”

“Und ich muss einen Rundgang machen.”

“Gute Idee! Ich komme mit.”

“Oh, ich habe die Wäsche ganz vergessen!”

Das Gewusel vor der Tür löste sich schlagartig auf und Ruhe kehrte wieder ein. Nur Kagome stand noch ziemlich perplex an Ort und Stelle, bevor sie letztendlich wieder zu Kimie und Katô zurückkehrte.

“Was war denn das schon wieder? Das ist jetzt schon das fünfte Mal innerhalb der letzten zwei Tage gewesen”, merkte die junge Miko an.

Kimie kam um ein amüsiertes Kichern nicht herum. “Sie werden wohl neugierig sein. Aber warum fragen sie nicht einfach, wenn sie den Kleinen genauer in Augenschein nehmen wollen? Aber ich vermute, sie fürchten, dass Sesshoumaru das missbilligen könnte.”

Vermutlich würde Sesshoumaru es sogar alles andere als amüsant finden, wenn sein gesamtes Gefolge sich vor seinen und Kimies Privaträumlichkeiten herumtrieb, wo er es doch eigentlich so hatte organisieren wollen, dass sie und das Baby möglichst wenig Aufregung abbekamen. Wobei, als Aufregung oder gar als Stress würde Kimie das ohnehin nicht bezeichnen. Sie empfand es eher als lustig.

Kurze Zeit später öffnete sich die Schiebetür und Sesshoumaru betrat den Raum.

“Ah! So ein Zufall! Ich habe gerade von dir gesprochen”, begrüßte Kimie ihn lächelnd.

Kagome begrüßte den Youkai ebenfalls, bevor sie das Wort erneut an ihre Cousine richtete: “Gut, dann gehe ich erst mal zurück zu Inu Yasha.”

“Mach das. Bis nachher, Kagome.”

Nachdem Kagome gegangen war, kam Sesshoumaru rüber zu seiner Gefährtin und seinem Sohn.

“Ist irgendetwas vorgefallen? Ich hatte den Eindruck, als wäre eben ein ziemlicher Auflauf vor der Tür gewesen.”

“Ach, das hast du bemerkt? Ich glaube, deine Leute sind einfach nur neugierig wegen unserem Kleinen hier.”

Kimie legte Sesshoumaru das Baby in die Arme. Katô schien sich bei seinem Vater sichtlich wohl zu fühlen. Aber überhaupt schien er ein sehr pflegeleichtes Kind zu sein. Zumindest kam Kimie das bisher so vor.

“Mh… Sesshoumaru? Gibt es eigentlich schon etwas Neues? Ich meine, wegen Aoshis Sohn…”, fragte sie nach einem Moment.

“Das soll nicht deine Sorge sein”, antwortete er ihr. “Ich habe alles Notwendige längst in die Wege gleitet, um die Sache aufzuklären. Wenn sich etwas ergibt, werde ich es dich wissen lassen.”

Kimie erwiderte nichts darauf, sondern nickte nur einverstanden. Im Grunde hatte sie auch gar nicht vorgehabt, sich da einzumischen, zumal sie wohl ohnehin nichts hätte tun können. Sie hoffte nur, dass am Ende nicht eventuell gar noch etwas Schlimmeres passieren könnte. Denn irgendwie hatte sie ein seltsames Gefühl… Vielleicht war das aber auch nur Einbildung gewesen.

Sesshoumaru sah es Kimie an, dass sie sich trotz seiner Worte Gedanken machte. Das wunderte ihn nicht. Es wäre einfach nicht ihr Stil gewesen, so eine Angelegenheit einfach auf sich beruhen zu lassen. In mancher Hinsicht machte sie sich seiner Ansicht nach einfach zu viele Sorgen. So war es schon immer gewesen.

Als Sesshoumaru bemerkte, wie ruhig Katô irgendwann geworden war, blickte er wieder zu seinem Sohn. “Er ist eingeschlafen. Ich bringe ihn nach nebenan.”

Während er den Raum nun kurz verließ, stand Kimie auf und trat ans Fenster. Ein etwas kühler Wind drang ins Innere, als sie es ein wenig geöffnet hatte. Der gesamte Hof war von Schnee bedeckt, ebenso wie die Gebäude und die Bäume. Ein schöner und auch friedlich anmutender Anblick.

“Schließ das Fenster wieder. Du wirst dich erkälten”, hörte Kimie Sesshoumaru mit einem Mal sagen. Er fasste sie noch immer mit Samthandschuhen an, obwohl es ihr inzwischen längst wieder gut ging.

“Ein bisschen frische Luft hat noch niemanden umgebracht”, entgegnete sie lächelnd, kam seiner Aufforderung dennoch nach und schob das Fenster wieder zu.

“Es ist schon erstaunlich”, sprach Kimie nach einem Moment mit diesem leicht neckenden Unterton weiter. “Wer hätte gedacht, dass jemand wie du, der seine Gegner ohne mit der Wimper zu zucken einen Kopf kürzer macht, so behutsam mit einem kleinen Baby umgehen kann? Wenn man dazu noch bedenkt, dass Katô dein erstes Kind ist.”

Sesshoumaru überraschte diese Bemerkung nicht wirklich. Es war typisch für Kimie gewesen, solche Dinge zu sagen. Obwohl sie im Grunde genommen ja Recht hatte. Für Sesshoumaru selbst war die Situation ja selbst eine ganz neue und vor allem ungewohnte. Gut, er hatte sich in der Vergangenheit zwar bereits lange genug um Rin gekümmert, doch war dies noch ein bisschen was anderes gewesen.

Kimie beobachtete Sesshoumaru eine Zeit lang amüsiert.

“Hast du vielleicht Lust auf einen Tee? Ich mach uns mal welchen, in Ordnung?”, schlug sie ihm schließlich vor und wollte sich auch sogleich an die Zubereitung machen. Doch sie stutzte, als sie plötzlich spürte, wie Sesshoumaru von hinten die Arme um sie legte und sie dicht an sich zog.

“Sesshoumaru, was…?” Kimie hielt inne, als sie den warmen Hauch seines Atems an ihrem Hals wahrnahm. Was hatte er vor? Er wollte doch nicht etwa…?

“Das letzte Mal hast du mich zurückgewiesen”, entgegnete Sesshoumaru, womit er den Verdacht seiner Gefährtin eigentlich schon bestätigte. “Aber ich kann mir inzwischen denken, warum.”

Ja, denn zu diesem Zeitpunkt hatte er noch nicht gewusst, dass sie schwanger gewesen war. Jetzt jedoch sah die Situation anders aus. Kimie war wieder hier, die Füchse waren fort… Obwohl die Aufklärung von Taigas Tod noch im Raum stand, gab es nun auch wieder die Zeit für anderes.

Langsam ließ Sesshoumaru seine Hände seitlich an Kimies Körper hinab gleiten. Zugleich fing er an, sie zärtlich am Hals zu küssen.

Nachdem sie es sich anfangs noch hatte gefallen lassen, entzog sich Kimie ihm nun allerdings. “O nein! So geht das nicht, Sesshoumaru! Der Kleine schläft nebenan. Was denkst du dir?”

Sesshoumaru hob kaum merklich eine Augenbraue. “Hast du etwa Angst, er kommt raus und erwischt uns?”

“Sehr komisch…”, entgegnete Kimie, angesichts seiner sarkastischen Frage mit vor der Brust verschränkten Armen. “Wir lassen das erst besser gar nicht zur Gewohnheit werden! Wenn Katô mal älter ist und irgendwann nach merkwürdigen Geräuschen fragt, die er gehört haben will, will ich ihm nicht antworten müssen: Dein Vater hat mich besprungen, während du nebenan geschlafen hast. Bei diesem Gedanken wird mir ganz anders…”

So wie sie es ausdrückte, klang es irgendwie so abwertend. Abschätzend ruhte Sesshoumarus Blick auf seiner störrischen Gefährtin.

“Du redest so, als wärst du leicht prüde, aber ich kann mich da an Momente erinnern, in denen du ganz anders warst…”, bemerkte er zweideutig.

Augenblicklich wurde Kimie schamrot und kurzzeitig schien es ihr die Sprache verschlagen zu haben. “Also echt! Was willst du eigentlich?”

Sesshoumaru machte einen Schritt auf sie zu. “Dich!”

Plötzlich spürte sie seinen festen Griff an ihrem rechten Handgelenk. Ehe sie sich versah, drückte er sie bereits mit dem Rücken gegen die Wand und küsste sie fast schon stürmisch. Erschrocken hielt Kime die Luft an, als Sesshoumaru seine freie rechte Hand oberhalb ihrer Brust unter ihren Kimono schob. Nur mit Mühe gelang es ihr, sich wieder von seinen Lippen zu lösen. “Ah! Was… Was machst du?!”

“Wonach sieht es denn für dich aus?”, entgegnete Sesshoumaru jedoch nur gewohnt ungerührt, als er Kimie nun sowohl den Kimono öffnete, als auch ihren BH hochschob. Ein leises, aber erregtes Knurren entwich ihm bei ihrem Anblick. Sogleich senkte Sesshoumaru seine Lippen auf eine ihrer rosigen Spitzen, küsste diese zärtlich und fuhr mit seiner Zunge darüber.

Unwillkürlich keuchte Kimie leise auf. Sie versuchte, sich ihm wieder zu entziehen, was ihr dieses Mal jedoch nicht gelingen wollte. “Ahh… Nicht, Sesshoumaru! Warte!”

“Nein! Ich habe lange genug gewartet.” Und ohne noch etwaigen weiteren Protesten irgendeine Beachtung zu schenken, fuhr Sesshoumaru spürbar fordernder in seinem Tun fort. Kimie widersetzte sich zwar nach wie vor etwas, doch sprach ihr Körper eine eindeutige Sprache, die den Youkai darin bestärkte, sich nicht irritieren zu lassen und stattdessen weiterzumachen. Dabei nahm er sich für seine Liebkosungen ausgiebig Zeit…

Abermals hielt Kimie den Atem an, als Sesshoumaru anfing, sie am Hals entlang zu küssen. Dabei achtete er aber darauf, möglichst sanft vorzugehen, um keine unschönen Spuren auf ihrer zarten Haut zu hinterlassen.

Kimie keuchte leise auf. Dieses Gefühl, das Sesshoumarus Berührungen in ihr auslöste… Es berauschte ihre Sinne und ließ sie den intensiven Wunsch nach mehr verspüren. Trotzdem versuchte sie noch immer, dagegen anzukämpfen.

“Ahh… Sesshoumaru… Du… bist ziemlich unfair…”

Kurz hielt der Youkai in seinem Tun inne. “Ich habe lange genug auf dich verzichten müssen. Und ich bin mir sicher…” Er liebkoste weiter ihren Hals. “… dass du dich ebenso danach gesehnt hast.”

Ja… Das hatte sie in der Tat. Nur wurde Kimie das erst jetzt so richtig bewusst. Seine Küsse, seine Berührungen, die sie so lange nicht mehr gespürt hatte… Wie hatte sie das nur ausgehalten?

Sesshoumaru merkte sofort, dass Kimies Widerstand zu bröckeln begann. Sofort suchte er den Kontakt zu ihren Lippen, während er mit seiner rechten Hand zugleich damit anfing, ihre linke Brust sanft zu massieren. Wie angenehm sie sich an seine Handfläche schmiegte... Sein Verlangen wuchs mit jeder Sekunde, die verstrich. Er wollte sie endlich haben! Kimie gehörte ihm und das wollte Sesshoumaru sie spüren lassen, indem er sie sich endlich wieder unterwarf.

Kimie schnappte keuchend nach Luft. Ihre zuvor geleistete Gegenwehr schwand stetig. Diese Hitze in ihrem Körper… Sie wurde immer intensiver. Erneut fühlte sie sich daran erinnert, wie lange es bereits her war, dass sie und Sesshoumaru sich das letzte Mal geliebt hatten. Gerne wollte Kimie dieses Gefühl wieder verspüren… Das Gefühl, wenn Sesshoumaru sie für sich in Besitz nahm; einerseits wild und leidenschaftlich, dass es ihr fast den Atem raubte, andererseits zärtlich und liebevoll, dass sie sich ihm voller Wohlbefinden hingab. Sie war so kurz davor, sich ihm zu ergeben.

“Möchtest du dich mir immer noch verweigern?”, flüsterte Sesshoumaru Kimie ins Ohr, als wollte er sie herausfordern. Damit weckte er den Eigensinn seiner Gefährtin, die für diesen Moment wieder Herrin ihrer Sinne wurde.

“Was, wenn ich es täte?”, entgegnete sie, noch leicht keuchend.

Auf Sesshoumarus Lippen stahl sich ein siegessicheres Lächeln. “Bemüh dich nicht vergeblich. Du weißt, dass du bereits verloren hast.”

Und als wollte er es ihr beweisen, verwickelte er sie erneut in einen wilden Kuss. Dass Kimie diesen bereits nach kurzem Zögern erwiderte, genügte ihm als Bestätigung. Er küsste sie fordernder, focht einen intensiven Kampf mit ihrer Zunge aus, den er letzten Endes für sich entschied.

Kimie musste sich geschlagen geben, allerdings empfand sie ihre Niederlage nicht als Demütigung. Im Gegenteil, es war sowieso meist ausschließlich Sesshoumaru gewesen, der schon aus alter Gewohnheit die Kontrolle an sich riss und seine Überlegenheit demonstrierte, wenn sich ihm die Gelegenheit dazu bot. Gut, er sollte seinen Willen bekommen. Denn auch Kimie wollte ihn nun nicht länger zurückweisen…

Mit einem durchaus befriedigendem Gefühl des Triumphs nahm Sesshoumaru den verebbten Widerstand seiner Geliebten wahr. Offenbar war Kimie nun doch bereit für ihn. Jedoch wollte er es auf jeden Fall vorsichtig angehen. Katôs Geburt lag schließlich noch nicht allzu lange zurück. Daher wollte Sesshoumaru Kimie so sanft wie möglich lieben, wenn sie es ihm schon gewährte.

Noch während er sie weiterhin innig küsste, machte er sich daran, ihren Kimono unterhalb der Gürtellinie auseinander zu schieben. Endlich schien der Augenblick gekommen zu sein, in dem er sie endlich wieder für sich einnehmen würde… Da hörten sie beide etwas aus dem Nebenzimmer.

Von einer Sekunde auf die andere drückte Kimie Sesshoumaru die flache Hand mitten ins Gesicht und schob ihn energisch von sich weg. Während er noch etwas irritiert zu sein schien, richtete sie hastig ihre Kleidung. Katô war aufgewacht und quengelte nebenan. Da blieb keine Zeit mehr für traute Zweisamkeit.

“Genau das ist der Grund, warum ich jetzt eigentlich nicht wollte!”, sagte Kimie noch an Sesshoumaru gewandt, als wollte sie ihn tadeln, ehe sie ihn einfach stehen ließ und im Nebenzimmer verschwand.

Die ersten Sekunden verstrichen still. In dem Versuch, Haltung zu bewahren, unterdrückte Sesshoumaru ein Seufzen. Da hatte er Kimie endlich so weit gehabt, und dann machte ihm ausgerechnet sein eigener Sohn einen Strich durch die Rechnung. Ob das jetzt ewig so gehen würde, bis der Kleine groß wäre? Dann käme Sesshoumaru wohl so bald nicht mehr zum Zug. Zumindest für heute konnte er es offenbar wieder mal vergessen…
 

In der Tat war Sesshoumaru den restlichen Tag über sowie die darauf folgende Nacht auf seinem Wunsch sitzen geblieben. Und das, obwohl Katô keine weiteren Anstalten mehr gemacht hatte, seine eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund zu stellen. Jedoch war Kimie danach auch von selbst nicht mehr auf Sesshoumaru zugekommen, weshalb er es einfach hatte sein lassen, eventuell einen neuen Versuch bei ihr zu starten. Er hatte bereits über neun Monate gewartet, da würden ein paar Tage mehr ihn auch nicht umbringen. Außerdem war er sich ja dessen bewusst gewesen, dass sich die Situation verändert hatte. Kimie und er waren nun Eltern eines Säuglings. Da galt es, hin und wieder auch mal Rücksicht zu nehmen. Und so gesehen, hatte Sesshoumaru einfach beschlossen, sich ein wenig mehr um seine Verpflichtungen hier im Schloss zu kümmern, während Kimie ihre Aufmerksamkeit Katô widmen würde. So lange es beiden gut ginge, wäre auch Sesshoumaru zufrieden.

Trotz der kühlen Temperaturen war der heutige Tag sehr angenehm. Die Sonne schien vom wolkenlosen Himmel und ließ den Schnee an vereinzelten Stellen glitzern.

Gemeinsam mit Inu Yasha saß Kagome unter dem Pavillon im Garten. Selbst im Winter konnte man hier gut ein wenig Zeit verbringen. Allerdings…

“O Mann…”, gähnte Inu Yasha gelangweilt. “Kagome, warum sind wir überhaupt noch hier? Wollen wir nicht langsam mal wieder zurück zum Dorf gehen?”

“Du möchtest zurück? Warum auf einmal?”, fragte Kagome verwundert.

“Warum wohl? Hier können wir doch offenbar eh nichts weiter ausrichten. Sesshoumaru wird bei der Sache mit den Füchsen auch gut allein zurechtkommen. Und wir haben keinen triftigen Grund, länger zu bleiben, zumal es Kimie ja auch wieder gut geht.”

“Mag ja sein, aber ich würde gerne noch etwas warten.”

“Hm? Ist es etwa wegen dem Baby?”

Kagome nickte bestätigend. “Ja, ich würde Kimie da gerne noch etwas unterstützen. Aber… wenn du unbedingt gehen möchtest, halte ich dich nicht auf, Inu Yasha.”

“Hä? Möchtest du mich etwa loswerden?”

“Nein, aber auf die Dauer möchte ich auch nicht dabei zuschauen, wie du dich hier zu Tode langweilst.”

Täuschte sich Inu Yasha oder hatte er da gerade einen leicht neckenden Unterton herausgehört? Aber er äußerte sich nicht weiter dazu. Allein wieder zurückgehen… Als ob Kagome nicht genau wusste, dass er das nicht machen würde. Diese hingegen kam um ein Lächeln nicht herum. Sie hatte sich schon gedacht, dass Inu Yasha so reagieren würde. Manchmal war er einfach zu leicht zu durchschauen.

Während sie beide weiter so beieinander saßen, schweiften Kagomes Gedanken ein wenig ab. Eine kleine Familie… Ob sie und Inu Yasha auch irgendwann mal eine haben würden?

“Inu Yasha? Kann ich… dich etwas Persönliches fragen?”

“Hm? Worum geht es denn?”

Kagome zögerte kurz. “Wenn… wenn Kikyou nicht gestorben wäre, hättest du dich dennoch für mich entschieden?”

Diese Frage irritierte Inu Yasha doch sehr. “Kagome… Was…?”

Was sollte das auf einmal? Warum fragte Kagome ihn das gerade jetzt? Bisher hatte sie das noch nie getan. Anfangs wusste Inu Yasha nicht mal, ob und wie er darauf antworten sollte.

“Mach dir keine Sorgen. Egal, wie die Antwort auch ausfallen wird…” Eindringlich sah Kagome ihn an. “Ich will eine ehrliche Antwort! Ich möchte die Wahrheit wissen!”

Noch immer äußerte sich Inu Yasha nicht dazu, doch er war nachdenklich geworden. Er selbst hatte sich darüber noch nie den Kopf zerbrochen. Wenn Kikyou noch leben würde…?

“Ich… Ich weiß es nicht…”, gestand er Kagome letztendlich leise und mit leicht abgewandtem Blick, als wäre es ihm gerade unangenehm, sie dabei anzusehen. “Damals, kurz nach Kikyous Tod, als ich unter Kaos Bann gestanden und Kikyou gesehen habe…”

Als er nicht weiter sprach, übernahm Kagome das für ihn: “Ich erinnere mich. Du erzähltest mir damals, Kikyou hätte dich aufgefordert, ihr zu folgen.”

Und auf Kagomes damals gestellte Frage, ob Inu Yasha ihr hatte folgen wollen, hatte der Hanyou seinerzeit nicht geantwortet.

“Ich…” Er hob seinen Blick nun wieder. “Ich wollte ihr folgen. Ja…”

Kagome spürte einen Stich tief in ihrer Brust. Obwohl sie diese Antwort schon erwartet hatte... Inu Yasha wäre Kikyou gefolgt… Keine überraschende, aber darum nicht weniger schmerzvolle Erkenntnis.

Inu Yasha sah es Kagome an, dass er sie mit seinen Worten verletzt hatte. Das hatte er vorausgeahnt, doch sie hatte ihn um eine ehrliche Antwort gebeten. Und wenn er ganz ehrlich zu sich selbst war, dann war Kikyou nach wie vor ein Bestandteil seines Lebens. Vermutlich würde sie auch nie gänzlich verschwinden… Und wenngleich Inu Yasha sich darüber bisher nie wirklich Gedanken gemacht hatte, so fragte er sich nun doch, ob Kagome das auf die Dauer würde ertragen können…

Nach einem Augenblick der Stille war Inu Yasha gerade dabei, das Wort an Kagome zu richten, als sie beide jedoch aufmerkten.

“Nanu? Ist das nicht Kirara?”, fragte die junge Miko überrascht, als sie zum Himmel aufblickte. Die Dämonenkatze hier zu sehen, überraschte die sie und den Hanyou gleichermaßen. Ob Kohaku vielleicht das Dorf besucht hatte, um seine Schwester mal wieder zu sehen? Allerdings war es nicht etwa Sango oder ihr Bruder, der sich da gerade auf Kiraras Rücken dem Schloss näherte, sondern Miroku.

“Inu Yasha! Kagome-sama!”

Der junge Mönch schien aufgeregt, ja geradezu aufgebracht zu sein. Fast schon panisch, was so gar nicht zu ihm passte. Es musste es Schlimmes vorgefallen sein, das war auf den ersten Blick zu sehen gewesen.

“Miroku-sama!? Was ist passiert?”, fragte Kagome sofort, kaum, dass Kirara gelandet war. Hastig war Miroku vom Rücken der Dämonenkatze gesprungen.

“Ein großes Unglück! Rin ist entführt worden! Drei neunschwänzige Füchse sind in der Nacht plötzlich aufgetaucht und haben das Dorf angegriffen! Sie haben Rin mitgenommen!”
 

* ~ * ~ * ~ *
 

“Lass mich los! Ihr seid so gemein! Lasst mich gehen! Sesshoumaru-sama!!”

Immer wieder rief Rin nach Sesshoumaru, doch hier würde er sie niemals hören. Hier, in den Kerkern des Schlosses der Füchse…

“Das nervt! Mussten wir denn unbedingt diesen Schreihals einfangen?”, fragte einer der Soldaten, der das strampelnde Mädchen unter seinem Arm wie ein Stück Gepäck mit sich trug, und gerade eine der Zellen öffnete.

“Dieses Gör scheint diesem arroganten Sesshoumaru sehr wichtig zu sein. Also ist sie das ideale Druckmittel”, erwiderte einer seiner Kameraden. “Aber eines verstehe ich nicht… Hat Aoshi-sama wirklich den Befehl dazu gegeben, das Kind zu entführen?”

“Kuro sagte, dass er das angeordnet hat”, meinte ein dritter. “Und unsere Aufgabe ist es nicht, die Entscheidungen unseres Fürsten zu hinterfragen. Er wird schon wissen, was er tut.”

“So oder so… Das wird unweigerlich Ärger geben. Warum sollte es Aoshi-sama plötzlich darauf anliegen, die Inu-Youkai herauszufordern?”

“Wer weiß?”, warf der Soldat, der Rin trug, mit einem Schulterzucken ein. “Vielleicht geht es ja um die gelöste Verlobung mit Saori-sama. Oder diese Köter haben wirklich etwas mit Taiga-samas Tod zu tun.”

Mit einem Knall schloss er nun die Gittertür, hinter welcher die Zelle lag, in welcher er Rin eben abgesetzt hatte.

“Benimm dich und mach keine Dummheiten!”, ermahnte er das Mädchen noch mit strenger Stimme, bevor er mit seinen Kameraden wieder ging, ohne das Mädchen noch mal eines Blickes zu würdigen. Nicht mal ein Wächter verblieb hier. Rin war zur Zeit die einzige Gefangene hier unten und die Füchse erachteten es als unnötig, ein kleines Menschenmädchen zu bewachen.

Verschüchtert saß Rin in einer dunklen Ecke der Zelle. Kein Mucks war zu hören gewesen. Diese Stille machte ihr unheimliche Angst. Und es war dunkel und kalt hier unten… Nur das schwache Licht von wenigen Fackeln, die vereinzelt im Gang an den Wänden angebracht und waren, machten es möglich, zumindest etwas zu sehen.

“Ich habe Angst. Sesshoumaru-sama… Bitte kommt und helft mir…”, flehte Rin leise. Weiterhin in der dunklen Ecke ihrer Zelle hockend, zog sie ihre Beine dicht an ihren Körper, nicht wagend, sich von der Stelle zu bewegen.
 

* ~ * ~ * ~ *
 

Rins Entführung warf viele Fragen auf. Was bezweckten die Füchse auf einmal mit einer derartigen Tat? Das passte so gar nicht zu Aoshis anstandslosem Verhalten, als er mit seinem Gefolge das Schloss verlassen hatte. Oder war das alles nur Taktik gewesen?

Um die momentane Lage besser überblicken zu können, hatte sich Sesshoumaru mit Kakeru zusammengesetzt. Es stellte sich die Frage, was als Nächstes zu tun wäre. Sollte alles auf einen möglichen Krieg hinauslaufen? Es war zudem seltsam, dass von den Füchsen bisher keinerlei Forderungen oder dergleichen bekannt geworden waren. Wozu hatten sie Rin dann überhaupt entführt? Und war es wirklich Aoshi gewesen, der den Befehl dazu gegeben hatte?

“Was haben diese Füchse nur vor?”, fragte sich Sesshoumaru. Dabei schwang ein Unterton mühsam unterdrückter Wut in seiner Stimme mit. Rin… Wie hatten es diese Füchse wagen können, Hand an sie zu legen? So eine Dreistigkeit! Das sollten sie noch bitter bereuen!

“Vermutlich dachten sie sich, dass es wesentlich einfacher wäre, das Mädchen zu entführen”, erwiderte Kakeru. “Außerdem dürfte sie als Druckmittel gegen Euch weitaus wirksamer einsetzbar sein, als etwa jemand aus Eurem einfachen Gefolge.”

“Wozu brauchen diese Feiglinge auf einmal ein Druckmittel gegen mich? Aoshi hat keinerlei Andeutungen gemacht, als er von hier fort ging. Und plötzlich tun er und seine Leute offenbar alles, um mich zu provozieren, als wollten sie es unbedingt auf einen Kampf anlegen.”

Einen Moment lang hüllte sich Kakeru in nachdenkliches Schweigen. “Was auch immer die Gründe für all das sein mögen… Ein Krieg gegen Fürst Aoshi und seinen Clan könnte noch weitere schwerwiegende Folgen mit sich bringen. Sie sind nicht nur äußerst Magie begabt, sondern verfügen auch über ein großes Geschick im Umgang mit Waffen, obwohl sie im Grunde kein kriegerisch veranlagtes Volk sind. Es wäre gut, wenn wir auf Verbündete zählen könnten, die im günstigsten Fall ebenfalls im Umgang mit Magie sehr bewandert sind. Vielleicht genügt es, wenn es uns gelingt, unsere Überlegenheit zu demonstrieren, um weiteres unnötiges Blutvergießen zu verhindern.”

Im Bezug auf die so genannten Verbündeten hatte Sesshoumaru keine Idee, auf wen Kakeru da angesprochen haben könnte. Demzufolge fiel er fast aus allen Wolken, als sein Gegenüber weiter sprach: “Sesshoumaru-sama. In unser aller Interesse lege ich Euch nahe… Nein, ich möchte Euch dringend dazu raten, ein Bittgesuch nach China zu entsenden.”

Gedanken und Erinnerungen

Eine Woche verging.

Kakerus Rat folgend hatte Sesshoumaru tatsächlich – wenn auch mit einem mehr als deutlich spürbaren Gefühl von Widerwillen - ein Schreiben an Akuma verfasst und dieses unverzüglich mit Hilfe eines Falken in Richtung China geschickt. Doch stand nicht allein Rins Sicherheit auf dem Spiel, sondern ebenso die von Sesshoumarus Clan und insbesondere die von Kimie und Katô. Ein möglicher Krieg gegen Aoshi und sein Gefolge konnte ungeahnte Folgen mit sich bringen. Sesshoumaru musste seinen Stolz also wenigstens für einen gewissen Zeitraum vergessen und das tun, was taktisch gesehen das Beste für sein Land, seine Gefolgsleute und seine Familie war. Selbst wenn er sich dafür der Hilfe seiner einstigen Feinde bedienen musste...

Allerdings kam trotzdem alles anders als ursprünglich gedacht. Der von Sesshoumaru ausgesandte Falke war zwar zwei Tage später zurückgekehrt, doch hatte er weder dessen Brief bei sich gehabt, noch eine Antwort von Akuma. Hatte dieser das Schreiben also erhalten? Aber wenn ja, warum hatte er nicht geantwortet?

Sesshoumaru hinterfragte die Motive seines einstigen Widersachers nicht. Dazu wollte er sich nicht herablassen. Wenn das Oberhaupt der Ryû-Youkai keine Unterstützung leisten wollte, würde Sesshoumaru ihn gewiss nicht darum anbetteln! Was ihn bei alldem jedoch am meisten aufregte, war die Tatsache, dass Akuma es offenbar nicht mal für nötig gehalten hatte, überhaupt in irgendeiner Form zu antworten.

„Hm! Es ist ja nicht so, als hätte ich erwartet, dass dieser Kerl sich darum reißen würde, uns zu helfen. Aber dass er mein Gesuch einfach ignoriert...“

Sesshoumaru machte keinen Hehl daraus, dass er alles andere als amüsiert war. Deshalb sagte Kimie, die sich gerade bei ihm befand und Katô in den Armen hielt, zunächst nichts. Stattdessen hüllte sie sich in nachdenkliches Schweigen. Was hätte sie auch dazu sagen sollen? Schließlich konnte auch sie nicht wissen, was Akumas Beweggründe waren.

„Jedoch gibt es eine Sache, die mich ein wenig wundert“, sprach Sesshoumaru weiter, wobei er sich zu seiner Gefährtin umwandte. „Akumas Bruder, Takeshi... Ich hatte eigentlich erwartet, dass zumindest er ein deutliches Interesse daran haben könnte, uns zu helfen.“

Dieser Unterton... Kimie verstand Sesshoumarus Andeutung sofort. Er spielte auf die Tatsache an, dass Takeshi ihr damals mal seine Liebe gestanden hatte. Und aufgrund dessen hatte er sich sogar gegen seinen eigenen Bruder gestellt, was er am Ende beinahe mit dem Leben bezahlt hätte...

„Hmm... Vielleicht möchte Takeshi uns ja helfen, aber wenn Akuma damit nicht einverstanden ist...“, versuchte Kimie auch sich selbst zu erklären, allerdings schien Sesshoumaru davon wenig überzeugt zu sein.

„Das hat ihn in der Vergangenheit doch auch nicht aufhalten können. Obwohl ich es ja stark bezweifeln möchte, dass Takeshi allein uns eine große Hilfe gewesen wäre.“

Er hatte noch immer nicht wirklich viel für Takeshi übrig... Kimie seufzte leise, verkniff sich aber einen etwaigen Kommentar. Der heutige Tag war genau so lang und nervenaufreibend gewesen, wie die Tage davor, und sie hatte nicht die Nerven, sich jetzt auf eine mögliche Diskussion einzulassen.

„Ich bring den Kleinen ins Bett“, meinte Kimie stattdessen nur, ehe sie aufstand und den inzwischen eingeschlafenen Katô ins Nebenzimmer brachte, wo sie ihn behutsam in ein speziell für ihn angefertigtes Bettchen – einen mit einer weichen Decke ausgelegten Weidenkorb – legte.

Sesshoumaru folgte Kimie wenig später, während sie noch bei dem Kleinen saß. Dass sie entgegen ihrer eigentlichen Natur eben keine schlagfertige Antwort parat gehabt hatte, hatte ihn für einen Moment doch ein wenig verwundert. Aber sollte es ihn überraschen, dass die Situation, so wie sie sich im Augenblick darstellte, sie ebenfalls belastete?

Eigentlich hatte Sesshoumaru genau so etwas vermeiden wollen. Kimie hatte in den letzten Monaten genug mitmachen müssen. Es war ihr gerade wieder besser gegangen und genau das wollte Sesshoumaru nicht wieder aufs Spiel setzen.

„Was machen wir, wenn es wirklich zum Äußersten kommt?“, fragte Kimie irgendwann. Man konnte deutlich diese Unsicherheit in ihrer Stimme hören.

Anstatt etwas zu sagen, trat Sesshoumaru an sie heran und legte eine Hand auf ihre Schulter, während sein Blick von ihr zu seinem schlafenden Sohn wanderte. Der Kleine lag so unschuldig da... Er hatte noch keine Ahnung von der manchmal so gewalttätigen Welt der Erwachsenen, bei der aus kleinlichen Konflikten allzu schnell grausame Kämpfe werden konnten. Und es schien, als würde sich eine solche Situation auch dieses Mal einstellen...

Es war seltsam... Früher hatte sich Sesshoumaru um solche Dinge nie den Kopf zerbrochen. Jetzt hingegen begann er bereits, sich über die Zukunft seines Sohnes Gedanken zu machen. Er würde später mal seine Nachfolge antreten und der Herr der westlichen Länder werden. Eine große Verantwortung. Sein Weg war eigentlich vorbestimmt. Und Sesshoumaru wollte alles tun, um Katô auf diesem Weg zu unterstützen; als Vater...

Dies war allerdings nicht das Einzige, was ihn beschäftigte. Sesshoumaru hoffte inständig, dass es Rin gut ging, sofern man das unter den gegebenen Umständen überhaupt behaupten konnte. Wenn diese Füchse ihr etwas angetan hatten...

Seit gut sieben Tagen war das Mädchen nun schon in der Gewalt dieser verräterischen Youkai, die sich anfangs noch als Verbündete geäußert hatten, und jetzt hatten sie sich zu einer derartigen Dreistigkeit verleiten lassen!

„...maru? Hey, Sesshoumaru!“

Kimies Stimme riss Sesshoumaru abrupt aus seinen Gedanken. Hatte sie gerade mit ihm gesprochen?

„Du warst eben total weggetreten. Das ist man von dir gar nicht gewohnt“, fand Kimie, allerdings konnte sie sich denken, was ihn beschäftigt hatte. Nach einem weiteren Moment stand sie wieder auf.

„Du machst dir Sorgen um Rin, nicht wahr? Nicht nur du... Momentan können wir aber wohl leider nichts weiter tun, als zu warten, auch wenn es uns schwer fällt. Vielleicht stellen die Füchse ja doch bald Forderungen.“

Und dann konnte man eventuell die weiteren Schritte überdenken, um Rin zu befreien. Jedenfalls brachte es niemandem etwas, wenn sie alle sich vor Sorge zu unüberlegten Handlungen verleiten ließen.

Ungeachtet des Risikos war Sesshoumaru selbst in den letzten Tagen schon mehr als ein Mal kurz davor gewesen, auf eigene Faust in das Territorium der Füchse zu gehen und ihnen eine Lektion zu erteilen. Nur mühsam hatte er sich bisher zusammenreißen können. Hätte Kimie in der Zeit nicht immer wieder beruhigend auf ihn eingeredet...

Sesshoumaru kam nicht drum herum, zuzugeben, dass Kimie sich irgendwie verändert hatte. Sie wirkte... ruhiger und besonnener. Und er fand, dass sie besonders seit einiger Zeit sehr erwachsen aussah.

Sesshoumaru merkte auf, als Kimie seine Hand nahm.

„Komm, lassen wir den Kleinen schlafen“, sagte sie und zog ihn sanft mit sich zurück in den Hauptraum.

„Hm... Du bist anders als früher“, äußerte er ihr gegenüber ganz direkt, als sie beide erst mal wieder für sich allein waren.

Überrascht über diese Worte von seiner Seite erwiderte Kimie zunächst nichts darauf. Sie war anders? Ihr selbst war es bisher nicht so wirklich aufgefallen, aber vermutlich ergaben sich solche Veränderungen automatisch. Vor allem, wenn sie sich die letzten Monate noch mal ins Gedächtnis rief.

„Mh... Wie meinst du das?“, fragte Kimie, woraufhin Sesshoumaru ihr näher kam und seine Hand an ihre Wange legte. Er antwortete ihr nicht, stattdessen betrachtete er sie eine Zeit lang schweigend und mit diesem unergründlichen Blick.

In diesem Moment erinnerte sich Kimie unwillkürlich an die vergangenen Jahre zurück. Als sie Sesshoumaru kennen gelernt hatte und sie zusammen mit InuYasha, Kagome und den anderen eine Zeit lang auf Reisen gewesen waren. Der ständige Kampf gegen Naraku, die Zeit, als die Ryû-Youkai die westlichen Länder bedrohten, die drei Jahre, in denen Kagome in der Neuzeit verblieben, während Kimie auf der anderen Seite des Brunnens hier in der Sengoku-Ära gefangen war... Es war inzwischen so viel geschehen. Dessen wurde sich Kimie erst jetzt so wirklich bewusst.

Sesshoumaru konnte es seiner Gefährtin ansehen, woran sie gerade dachte. Auch er selbst hatte sich mehr als ein Mal an die vergangenen Jahre erinnert.

Nach einer Weile ergriff Kimie wieder das Wort: „Sesshoumaru? Ich hätte da eine Bitte...“
 

Weshalb Kimie den Wunsch geäußert hatte, hierher zu kommen, wusste Sesshoumaru zwar nicht, allerdings hatte er auch nicht genauer nachgefragt. Es war jedoch ein seltsames Gefühl, an diesen Ort gekommen zu sein, wenngleich durch den Schnee alles weitaus weniger bedrohlich wirkte, aber irgendwie auch unwirklich.

Das Schloss, welches Akuma einst mit seinem Clan hier im nördlichen Gebirge bewohnt hatte, lag verlassen da. Dass hier seit längerer Zeit niemand mehr gewesen war, war deutlich zu sehen gewesen. Zudem hatten die rauen Witterungsbedingungen in den Bergen ihren Teil dazu beigetragen, dass die Gebäude seit der Abwesenheit der Ryû-Youkai immer weiter zerfielen.

Gemeinsam mit Kimie befand sich Sesshoumaru auf dem großen Innenhof, während etwas von ihnen entfernt Ah-Un stand und um sie herum die verwaisten Gebäude emporragten. Gut erinnerte sich Kimie noch daran, wie sie selbst mal für kurze Zeit hier gewesen war. Damals, als Akuma sie an diesem Ort festgehalten hatte...

„Eigenartig... Jetzt, wo wir hier so stehen, habe ich das Gefühl, als wäre das alles erst gestern geschehen.“

Kimie sah sich auf dem Hof um. Die Schneedecke war unberührt und das einzige, was man hören konnte, war das Wehen des kalten Winterwindes.

„Wir sollten uns hier nicht länger als nötig aufhalten“, merkte Sesshoumaru an. Es war nicht etwa so, als hätte er eine ungute Vorahnung oder dergleichen. Es ging ihm mehr darum, dass es für Kimie hier oben zu kalt sein könnte. Menschen waren in vielerlei Hinsicht so empfindlich und besonders so hoch oben in den Bergen konnte es sehr kalt werden. Allerdings schien Kimie die Kälte nicht wirklich etwas ausmachen. Oder ignorierte sie diese einfach nur gekonnt?

In nachdenkliches Schweigen gehüllt, holte Kimie den Anhänger hervor, den Takeshi ihr geschenkt hatte, bevor er damals mit seinem Clan zurück nach China gegangen war. Sie hatte die Kette seither stets bei sich getragen. Takeshi... Wie es ihm wohl ging? Ob Akuma ihm von Sesshoumarsu Bittgesuch erzählt hatte?

Sesshoumaru ahnte, worüber Kimie gerade nachdachte, während sie so auf den Anhänger in ihrer Hand schaute. Diese Kette, die sie von Takeshi erhalten hatte... Dieser Junge hatte ihm damals einige Scherereien bereitet, nicht zuletzt deswegen, weil er Kimie so dreist nachgestellt hatte. Sesshoumaru erinnerte sich noch gut an diese Zeit, während der Kampf gegen die Ryû-Youkai noch in vollem Gange gewesen war. Einen wirklichen Konkurrenten hatte er in Takeshi zwar nie gesehen, doch wie wäre die Situation heute? Es war ein wenig Zeit vergangen und auch, wenn Youkai langsamer erwachsen wurden, als es bei Menschen der Fall war, konnte sich dennoch einiges verändert haben. Oder vielleicht hatte Takeshi inzwischen seine Gedanken an Kimie verworfen? Nein, so schätzte Sesshoumaru ihn nicht ein.

Kimie strich ihr Haar nach hinten, als ein leichter Wind aufkam.

„Hast du gefunden, was du zu finden gehofft hast?“, hörte sie Sesshoumaru fragen, allerdings antwortete sie ihm nicht sofort darauf.

„Hm... Gute Frage... Vielleicht könnte ich sie beantworten, wenn ich wenigstens wüsste, wonach ich eigentlich suche...“

„Hm?“

Dann wusste Kimie nicht mal, was genau sie hier eigentlich wollte? Sesshoumaru verschränkte die Arme so vor der Brust, dass seine Hände in den Ärmeln seines Haori verborgen waren.

„Tut mir leid, dass ich dich hier hergeschleppt habe“, sprach sie schließlich weiter, als sie sich wieder zu ihm umdrehte. „Vielleicht sollten wir wieder gehen.“

Dagegen hatte Sesshoumaru nichts einzuwenden. Er nahm es Kimie auch nicht übel, dass sie ihn dazu gebracht hatte, mit ihm hierher zu kommen. Stattdessen reichte er ihr seine Hand und ging gemeinsam mit ihr zurück zu Ah-Un.
 

Am Abend hatte sich Kimie dazu entschieden, zusammen mit Kagome ein Bad in der heißen Quelle, die sich auf dem Schlossgelände befand, zu nehmen. Bei dieser Gelegenheit erzählte sie ihrer Cousine von den heutigen Gegebenheiten.

„Du warst mit Sesshoumaru in Akumas altem Schloss? Aber was wolltet ihr da?“

Seufzend lehnte sich Kimie an den hinter ihr befindlichen Felsen.

„Ach, ich weiß auch nicht... Vielleicht hatte ich gehofft, irgendeinen Anhaltspunkt zu finden. Wie einfältig... Aber... es war ein seltsames Gefühl, dort gewesen zu sein. Ich hatte das Gefühl, als wäre dieser ganze Kampf gegen die Ryû-Youkai erst vor kurzem gewesen. Dabei ist es schon so lange her...“

Fast fünf Jahre musste das jetzt bereits her sein. Wie die Zeit verging... So schnell...

„Hmm... Ich frage mich, wie es ihm wohl geht...?“, murmelte Kimie in sich hinein, was Kagome aufhorchen ließ.

„Wen meinst du, Kimie?“

„Takeshi. Der Abschied damals kam doch ziemlich plötzlich.“

Und seither hatte Kimie nichts mehr von ihm gehört. Doch gut konnte sie sich noch an damals erinnern und besonders an den letzten Kampf. Akuma, dessen Denken vollkommen von Narakus Einfluss eingenommen worden war, hatte seinen eigenen Bruder getötet... Nie zuvor hatte Kimie das Gefühl, eine ihr nahe stehende Person zu verlieren, derart zu spüren bekommen. Und am liebsten wollte sie es auch nie wieder erleben.

Kagome schwieg einen Augenblick lang nachdenklich, ehe sie wieder das Wort an ihre Cousine richtete: „Wenn Akuma und sein Clan uns wirklich nicht helfen wollen, müssen wir die Sache mit Aoshi und den Füchsen allein regeln. Wir schaffen das schon, Kimie! Immerhin haben wir sogar Naraku geschlagen. Dann wird das hier uns erst recht gelingen.“

„Uns? Wollen du und Inu Yasha etwa weiterhin hier bleiben?“

„Natürlich! Oder hast du geglaubt, wir würden einfach wieder gehen?“

Nein, das hatte Kimie in der Tat nicht vermutet, weshalb sie lächeln musste.

„Und was ist mit Miroku?“, fragte sie. „Wäre es nicht besser, wenn er sich so langsam auf dem Rückweg ins Dorf macht? Sango wartet doch bestimmt auf ihn.“

„Ich habe ihn heute gefragt. Er meinte, er wolle erst mal noch bleiben. Sango-chan hat er schon im Vorfeld darauf vorbereitet. Und wenn die Kinder nicht wären, wäre sie gewiss gemeinsam mit ihm hierher gekommen.“

Miroku wollte also ebenfalls vorerst bleiben. Mit Narakus Tod hatte er zwar sein Kazaana verloren, seine buddhistischen Kräfte besaß er jedoch nach wie vor. Es war schon seltsam... Das Kazaana war sowohl Mirokus stärkste Waffe als auch sein größter Fluch gewesen. Wenn es nicht gelungen wäre, Naraku zu besiegen, dann hätte es den jungen Mönch früher oder später das Leben gekostet...

Der letzte Kampf hatte allen viel abverlangt und zeitweise hatte es wirklich schlecht ausgesehen. Aber irgendwie hatten sie es dann doch geschafft.

„Apropos Naraku...“ Kimie schaute zu Kagome rüber. „Du warst doch damals drei Tage in dieser Finsternis gefangen, bevor Inu Yasha gekommen ist und dich gerettet hat, nicht wahr?“

„Ja... Das war schrecklich.“ Kagome senkte ihren Blick ein wenig, als sie sich daran zurückerinnerte. „Ich dachte, es wäre alles aus und habe mich so unsagbar allein und verzweifelt gefühlt. Wenn Inu Yasha mich nicht gerettet hätte, hätte ich wohl wirklich allen Mut verloren. Dabei fällt mir ein, ich habe dich nie genauer danach gefragt, wie es dir hier eigentlich ergangen ist, nachdem der Brunnen sich geschlossen hatte.“

Stimmt, darüber waren sie beide nie konkreter ins Gespräch gekommen. Allerdings konnte sich Kimie noch genau daran erinnern, wie sie sich gefühlt hatte, als der Brunnen versiegelt war.

„Tja, was soll ich sagen? Natürlich war es ein Schock. Erst mal waren du und Inu Yasha drei Tage lang verschwunden und keiner konnte abschätzen, was mit euch passiert war. Und dann funktionierte auf einmal der Brunnen nicht mehr. Ich war hier auf dieser Seite und du auf der anderen... Für uns beide kam das wohl gleichermaßen unerwartet. Allerdings habe ich recht schnell für mich selbst entschieden, was ich tun möchte. Ich konnte schließlich nicht einfach nur rumsitzen und mich selbst bemitleiden.“

Kagome konnte sich schon denken, was ihre Cousine meinte.

„Also bist du mit Sesshoumaru mitgegangen, nicht wahr?“

Kimie nickte bestätigend.

„Genau. Anfangs sind wir noch ein wenig durch die Gegend gezogen, bis er irgendwann die Entscheidung getroffen hat, Rin im Dorf zu lassen. Danach kamen wir hierher zurück und haben sie regelmäßig besucht, aber ein einschneidendes Ereignis hat es nicht gegeben. Bis auf die Tatsache, dass Sango und Miroku eine Familie gegründet haben, aber das war abzusehen gewesen.“

„Ja, stimmt wohl“, stimmte Kagome lächelnd zu. „Wie hat Rin-chan eigentlich reagiert, als Sesshoumaru sie im Dorf gelassen hat?“

„Natürlich hat er es ihr im Vorfeld mitgeteilt. Anfangs war sie nicht so glücklich darüber, vielleicht kannst du dir das vorstellen. Immerhin hängt sie sehr an Sesshoumaru und die Vorstellung, sich plötzlich von ihm trennen zu müssen, hat ihr selbstverständlich Angst gemacht. Aber sie hat sich dann doch recht schnell im Dorf eingelebt. Außerdem haben wir sie oft besucht. Ich war allerdings schon ein wenig erstaunt darüber, dass Sesshoumaru Kaede-obaa-chan sogar selbst darauf angesprochen hatte, ob sie Rin unter ihre Obhut nehmen könne.“

So etwas hätte Sesshoumaru nie einfach so getan. Rin war ihm schließlich nach wie vor unsagbar wichtig. Kimie hatte schon damals die Vermutung gehabt, dass Sesshoumaru der alten Kaede gegenüber so etwas wie Respekt empfand und ihr auch vertraute, andernfalls hätte er ihr Rin nicht anvertraut. Er hatte diese Entscheidung zu Rins eigenem Wohl gefällt. Allerdings hatte Kimie immer den Eindruck gehabt, dass Sesshoumaru das kleine Mädchen schon von der ersten Sekunde an vermisst hatte. Und jetzt konnte er ihr nicht mal zur Hilfe eilen. Gerade jetzt, wo sie ihn so dringend brauchte...

„Hm... Ich hoffe, es geht ihr gut...“, murmelte Kimie besorgt. „Sesshoumaru macht sich auch große Sorgen. Am liebsten würde er sie wohl auf eigene Faust befreien.“

„Das wundert mich nicht, aber das wäre zu gefährlich“, meinte Kagome. „Er müsste sicher gegen mehrere Gegner auf einmal antreten und zu unterschätzen sind die Kitsune aus dem Süden augenscheinlich nicht. Auch nicht für jemanden wie Sesshoumaru.“

Ja, genau das hatte auch Kimie ihm schon gesagt, auch wenn Sesshoumaru es damals wie heute nicht gerne hörte, jemand könnte ihm gefährlich werden. In gewisser Weise glich er noch immer dem Youkai, als welchen Kimie ihn damals kennengelernt hatte.

Die beiden jungen Frauen verbrachten noch eine Weile zusammen in der Quelle, bis Kagome schließlich aufstand und sich eines der mitgebrachten Handtücher nahm.

„Ich denke, ich geh dann schon mal rein. Möchtest du noch hier bleiben, Kimie?“

„Hm? Ja, ein wenig. Aber auch nicht mehr allzu lange.“

„In Ordnung. Dann schlaf nachher gut.“

„Du auch, Kagome. Gute Nacht.“

Nachdem ihre Cousine gegangen war, lehnte sich Kimie mit den Armen auf einen der Steine und hing noch ein wenig ihren Gedanken nach. Ob es irgendetwas gab, was auch sie tun konnte, um bei den Problemen mit den Füchsen zu helfen? Ob es gar wirklich zu einem großen Kampf käme, wie damals gegen die Ryû-Youkai? Der Gedanke daran behagte Kimie gar nicht. Zumal sie ja mittlerweile ja ihren kleinen Sohn hatte. Er war noch so klein und war mitten in dieses Chaos hineingeboren worden. Hätte sie das alles früher geahnt...

Kimie horchte auf, als sie glaubte, etwas hinter sich zu hören. Eigentlich war sie der Meinung gewesen, sie wäre um diese Zeit allein hier, und sofort kam in ihr unweigerlich dieser eine bestimmte Verdacht hoch. Das war doch nicht etwa...?

„Hm? Miroku? Sag mir nicht, dass du das bist... Du bist doch immerhin längst verheira... Eh?“

Als Kimie sich umdrehte – fest davon überzeugt, den Mönch ein Mal mehr beim Spannen erwischt zu haben – war sie doch ein wenig überrascht, als sie stattdessen jemand anders am Rand der Quelle stehen sah.

„Oh, Sesshoumaru...“

Seit wann stand er dort? Und warum hatte er nichts gesagt?

„Du bist schon eine ganze Weile hier“, merkte der Youkai an. Er hatte einfach nachsehen wollen, was Kimie so lange machte, zumal ihre Cousine augenscheinlich längst gegangen war.

Kimie lächelte entschuldigend. „Tut mir leid. Ich habe wohl einfach die Zeit vergessen. Aber was machst du hier? Was ist mit Katô?“

„Es geht ihm gut. Mach dir keine Sorgen.“

Sesshoumaru setzte sich auf einen der Felsen, während sein Augenmerk weiterhin auf seiner Gefährtin ruhte. Kimie hatte den Eindruck, als würde ihn irgendetwas beschäftigen.

„Was ist?“, fragte sie ihn daher nach einem Moment, doch er schüttelte nur kurz den Kopf.

„Es ist nichts.“

Diesen Eindruck hatte sie zwar nicht, aber gut, sie wollte ihn nicht mit Fragen löchern. Außerdem wollte sie ihn nicht länger warten lassen, weshalb sie nun aus dem Wasser stieg.

„Wir können gleich wieder reingehen“, teilte Kimie Sesshoumaru mit. Während sie sich das mitgebrachte Handtuch umlegte, bekam sie nicht mit, wie er sie eingehend beobachtete, da sie mit dem Rücken zu ihm stand. Von daher war sie ein wenig überrumpelt, als sie auf einmal spürte, wie er von hinten seine Arme um sie legte und sie behutsam an sich drückte. Im Augenblick lediglich mit diesem Handtuch bekleidet, konnte Kimie es nicht vermeiden, dass sie angesichts dieser unerwarteten Umarmung leicht errötete.

„Sesshoumaru... Was...?“

Anstatt jedoch etwas zu sagen, hielt er sie einfach nur weiter fest. Und irgendwie hatte Kimie den Eindruck, als wollte er sie gar nicht mehr loslassen. Als befürchtete er etwa, sie könnte ihm einfach entgleiten, sobald er von ihr abließ. Genau so hatte er sie erst kürzlich schon festgehalten.

„Hey... Was ist denn los?“, fragte sie ihn ruhig, erhielt jedoch keine Antwort.

Nachdem sie eine Zeit lang so zusammengestanden hatten, legte Kimie ihre Hände auf die von Sesshoumaru und lehnte sich mit dem Rücken leicht an ihn. Sogleich drückte er sie noch etwas mehr an sich und sog den Duft ihrer Haare ein. Er sagte es ihr nicht, aber er hatte tatsächlich so etwas wie Furcht davor, dass sie ganz plötzlich aus seinem Leben verschwinden könnte. Rins Entführung, die Tatsache, dass es Kimie bis vor kurzem noch so schlecht gegangen war... Diese Dinge hatten Sesshoumaru wieder mal vor Augen geführt, wie zerbrechlich Menschen im Grunde waren. Es genügte eine Kleinigkeit und sie könnten sterben. Rin war bereits zwei Mal gestorben. Wenn diese Füchse ihr wirklich etwas antun würden, wenn sie es nicht schon getan hatten...

Und Kimie? Sesshoumaru wusste nicht, was er denken würde, würde sie mal sterben. Ein Mal könnte er sie retten, wenn es von Nöten wäre, aber was wäre dann? Irgendwann würde sie ihn dennoch endgültig verlassen, ohne dass er etwas würde dagegen tun können. Sie und auch Rin... Die Zeit würde ihm die beiden letzten Endes rauben. Ein Gegner, gegen den Sesshoumaru nicht kämpfen oder gar gewinnen konnte. Sollte es wirklich darauf hinaus laufen, dass er sich irgendwann nur noch an die beiden würde erinnern können?

Nachdem er sie eine ganze Weile so festgehalten hatte, ließ Sesshoumaru schließlich wieder von Kimie ab.

„Zieh dich an. Ich warte drinnen auf dich.“

Mit diesen Worten zog er sich zurück. Nachdenklich folgte Kimie ihm mit ihrem Blick, ehe sie ihre Kleider wieder anlegte. Sie wusste nicht, was Sesshoumaru gerade durch den Kopf gegangen war. Hätte sie es geahnt, hätte sie wohl versucht, beruhigend auf ihn einzureden. Aber die Wahrheit hätte sie damit nicht ändern können.

Nachdem sie fertig gewesen war, kehrte auch Kimie ins Schloss zurück. Sesshoumaru erwartete sie an der Tür und machte sich gemeinsam mit ihr auf den Weg ihre gemeinsamen Privaträume, wo sie zunächst nach Katô schauten. Dieser lag friedlich in seinem Weidenkörbchen, gut bewacht von Inuki. Natürlich hatte Sesshoumaru den Kleinen nicht vollkommen allein gelassen. Und Katô selbst schien großes Interesse an Inuki zu zeigen, welchen er eingehend mit seinen großen Augen anschaute.

Lächelnd streichelte Kimie ihrem Hund über den Kopf. Auf ihn konnte sie sich wirklich immer verlassen. Vorsichtig nahm sie anschließend Katô auf den Arm.

„Sesshoumaru? Gibt es eigentlich etwas aus deiner Zeit als Kind, woran du dich besonders gerne erinnerst?“

Angesichts dieser Frage, schien Sesshoumaru im ersten Moment ein wenig verwundert zu sein, trotzdem dachte er kurz darüber nach.

„Meine Kindheit verlief so, wie man es vom Sohn eines Herrschers erwartet. Es gab nichts, woran ich eine besondere Erinnerung hätte.“

„Wirklich nicht?“

Sagte er das nur so oder stimmte es? Kimie konnte sich nicht vorstellen, dass Sesshoumaru wirklich gar nichts aus seiner Kindheit hatte, woran er sich nicht stets oder gerne erinnerte.

„Gibt es nicht mal eine Kleinigkeit?“, fragte Kimie weiter. „Ich zum Beispiel erinnere mich noch heute gerne an die ganzen Ausflüge, die meine Eltern mit mir unternommen haben. Oder Familienfeste, die wir gefeiert haben. Es sind viele kleine Dinge, an die ich immer wieder gerne denke. Auch, wie meine Mutter mich tröstend in die Arme genommen hat, wenn ich mal traurig war. Und wie mein Vater in so einem Fall immer versucht hat, mich mit einer lustigen Geschichte wieder zum Lachen zu bringen.“

Während sie so erzählte, hörte Sesshoumaru ihr aufmerksam zu. Ja, Kleinigkeiten... An solche Dinge erinnerten sich die Menschen offenbar gerne. Wenn es danach ging, hatte er natürlich auch einige Erinnerungen an seine Kindheit, doch gestalteten sich diese merklich anders als die, die Kimie an ihre Kindheit hatte.

„Was hattest du eigentlich so für eine Beziehung zu deinen Eltern, Sesshoumaru? Von deinem Vater habe ich ja schon einen gewissen Eindruck bekommen. Aber was ist mit deiner Mutter?“

Denn das interessierte Kimie schon seit einer ganzen Weile. Wenn Sesshoumarus Mutter tatsächlich noch lebte, warum war sie dann die ganze Zeit über kein einziges Mal wieder hierher gekommen?

„Ich hatte kein besseres oder schlechteres Verhältnis zu meinen Eltern, als die meisten anderen“, antwortete Sesshoumaru knapp und ohne diese Sache genauer auszuführen. Dass Kimie auf einmal so viel über seine Familienangelegenheiten wissen wollte, kam für ihn ein wenig plötzlich. Aber gut, sie war offenbar neugierig, was er auch irgendwie nachvollziehen konnte. Denn in der Tat hatte er ihr bisher kaum etwas über dieses Thema erzählt, geschweige denn über seine Mutter. Ihm fiel ein, dass Kimie diese ja noch nie getroffen hatte. Denn als Sesshoumaru seiner Mutter damals kurz begegnet war, war Kimie nicht dabei gewesen. Rückblickend wertete sie selbst das als ziemlich dummen Zufall, dass sie gerade zu dieser Zeit mit einer schweren Erkältung zu Hause bei Kagome flachgelegen hatte. Es musste eine Woche später gewesen sein, als Sesshoumaru sie wieder abgeholt hatte. Doch von den Geschehnissen, die sich währenddessen ereignet hatte, hatte sie erst wesentlich später erfahren. Dass Rin gestorben war und nur durch Sesshoumarus Mutter gerettet werden konnte... Aber war es eigentlich nicht auch erst diese Frau gewesen, die Rin überhaupt in eine derartige Gefahr gebracht hatte?

Kimie hatte sich dazu nie ein Urteil erlaubt, da sie ja nicht dabei gewesen war. Aber diese Sache stimmte sie selbst jetzt noch nachdenklich. Vielleicht kam Sesshoumarus Mutter ja nicht hierher, weil ihr Sohn sich so offensichtlich mit Menschen umgab? Immerhin war Kohaku damals auch mit dabei gewesen. Es wäre zumindest nichts Neues und würde Kimie nicht unbedingt überraschen. Trotzdem fragte sie sich, ob und wann sie Sesshoumarus Mutter möglicherweise mal begegnen würde.

Allerdings fragte Kimie Sesshoumaru jetzt erst mal nicht weiter über dieses Thema aus. Stattdessen widmete sie ihre Aufmerksamkeit nun wieder Katô, von welchem sie irgendwie den Eindruck hatte, als hätte er bis eben aufmerksam zugehört. Aber das musste Einbildung gewesen sein. Katô konnte schließlich noch gar nichts von dem verstehen, worüber seine Eltern geredet hatten. Und im Grunde müsste er so langsam schlafen.

„Sesshoumaru? Kennst du eigentlich ein gutes Schlaflied für Kinder?“, fragte Kimie auf einmal, was Sesshoumaru aufmerken ließ. Ein Schlaflied? Ausgerechnet er?

„Nein, derartiges ist mir fremd“, antwortete er daher in von ihm gewohntem Ton. Wirklich überrascht war Kimie von dieser Aussage nicht. Und eigentlich kannte sie auch nicht wirklich ein gutes Schlaflied. Aber vielleicht eignete sich ja etwas anderes auch ganz gut. Andere Lieder kannte Kimie schließlich zu genüge. Nachdem sie ein wenig überlegt hatte, fiel ihr etwas ein und sie stimmte leise ein Lied an:
 

„Konna ni tsumetai tobarino fukakude

Anata wa hitori de nemutteru

Inori no utagoe sabishii nohara wo

Chiisana hikari ga terashiteta.“
 

(Beneath a veil so cold

You deeply sleep all alone

The melody of prayer, on the lonely fields

A little light shined.)
 

„Anata no yume wo miteta

Kodomo no youni waratteta

Natsukashiku mada tooku

Sore wa mirai no yakusoku.“
 

(I watched as you dreamed

You laughed like a child

So dear and yet so far

That is the promise of our future.)
 

„Itsuka midori no asa ni

Itsuka tadori tsukeruto

Fuyu gareta kono sora wo

Shinjiteiru kara

Fields of Hope.“
 

(That one day, on a green morning

One day, we will make it there

Because in this wintered sky

We still believe

Fields of hope.)
 

Der Stimme seiner Mutter ruhig lauschend, schloss Katô irgendwann seine Augen. Und auch Sesshoumaru hörte Kimie aufmerksam zu. Er hatte sie bisher noch nie singen hören. Mütter, die ihren Kindern ein Lied vorsangen... Nein, derartiges hatte seine Mutter nie getan, aber das hätte ihrem Charakter auch nicht entsprochen und er selbst hatte es ohnehin nie vermisst. Trotzdem bereitete es ihm in gewisser Weise ein beruhigendes Gefühl, dass sein eigener Sohn in der Hinsicht andere Erfahrungen machte. Sein Sohn... Wenn Kimie irgendwann fort wäre, wäre er das Einzige, was Sesshoumaru noch von ihr bleiben würde, auch wenn bis dahin noch viel passieren konnte.

Nachdem Katô eingeschlafen war, legte Kimie ihn vorsichtig in sein Weidenkörbchen zurück. Eine Zeit lang beobachtete sie ihren schlafenden Sohn. Es schien ihm an nichts zu fehlen, also ließ sie ihn nun in Ruhe und deutete Sesshoumaru an, mit ihr ins Nebenzimmer zu kommen.

„Dich beschäftigt doch etwas. Möchtest du es mir nicht sagen?“, fragte sie ihn schließlich. Denn dass ihn etwas beschäftigte, sah sie ihm an, auch wenn er seine gewohnte Miene aufgesetzt hatte.

„Ich war mit den Gedanken in der Zukunft“, antwortete er ihr nach einem Augenblick der Stille. Seiner Gefährtin konnte er scheinbar nichts vormachen. Mittlerweile kannte sie ihn wohl gut genug, um ihn zu durchschauen. Nur Sesshoumarus Gedanken lesen, konnte Kimie selbstverständlich nicht, deshalb konnte sie nur darüber spekulieren, worüber genau er nachgedacht hatte. Anstatt ihn aber danach auszufragen, näherte sie sich ihm und musterte ihn mit prüfendem Blick.

„Wenn du dir weiterhin so viele Gedanken machst, bekommst du noch vor mir deine ersten Falten.“

Sesshoumaru merkte auf. Typisch... So eine Bemerkung passte zu Kimie Das erinnerte ihn an früher. Allerdings fiel es ihm in dem Augenblick wieder ein, dass sie ihm vor einigen Monaten die Frage gestellt hatte, ob er sich nicht daran stören würde, dass sie im Gegensatz zu ihm so rasch altern würde. So egal, wie er es anfangs hatte darstellen wollen, war ihm das in der Tat nicht. Dabei ging es ihm jedoch weniger darum, wie sie sich verändern würde, sondern mehr um die Tatsache, dass sie sich mit jedem weiteren Jahr, das verstrich, unweigerlich ihrem eigenen Tod näherte...

„Hey! Sagte ich nicht eben, dass du Falten bekommst, wenn du so weitermachst?“, drang abermals Kimies Stimme zu Sesshoumaru vor. Und als ob diese Worte allein nicht schon ausreichend waren, tippte sie auch noch mit dem Zeigefinger gegen seine Stirn. „Schluss damit! Es wird schon alles gut gehen. Bisher hatten wir doch auch immer das Glück auf unserer Seite, nicht wahr?“

Zwar wusste Kimie nicht, worüber genau Sesshoumaru nachgedacht hatte, aber was auch immer es gewesen war, sie wollte wenigstens versuchen, ihn ein wenig abzulenken. Und wie sie da stand – die Hände in den Hüften - und ihm dieses aufmunternde Zwinkern schenkte... Sesshoumaru kam sogleich das Bild von Kimie in den Sinn, als er sie kennen gelernt hatte. Damals war sie 17 Jahre alt gewesen.

„Möchtest du vielleicht einen Tee? Ich mach uns mal welchen“, schlug sie ihm nun vor und machte sich auch sogleich an die Arbeit. Schweigend beobachtete Sesshoumaru seine Gefährtin einen Moment lang, ehe er sich schon mal an den Tisch setzte. Wenig später brachte Kimie den Tee und reichte dem Youkai seine Tasse. Aber auch jetzt sprach dieser noch nicht, stattdessen ruhte sein Augenmerk weiterhin auf Kimie, welche gerade einen Schluck von ihrem Tee nahm.

„Sag mir... Hast du eigentlich Angst vor dem Tod?“

Kimie merkte auf und schaute Sesshoumaru mit einer Mischung aus Verwunderung und Irritation an. Was? Ob sie Angst vor dem Tod hatte? Wie kam er plötzlich darauf? Oder war es das gewesen, worüber er die ganze Zeit nachgedacht hatte?

Nachdem ihre anfängliche Verwirrung ein wenig gewichen war, senkte Kimie nachdenklich den Blick.

„Hm... Ich müsste lügen, wenn ich die Frage verneinen würde. Es ist aber weniger der Tod an sich, der mir Angst macht, sondern vielmehr die Vorstellung, dass ich dann einfach so weg sein werde. Von einem Moment auf den anderen... Aber... wie kommst du darauf?“

„Du hast mich mal darauf angesprochen, was ich davon halte, dass du alterst. Erinnerst du dich?“

Ja, Kimie erinnerte sich daran. Das war, kurz nachdem sie das Schloss verlassen hatte. Sesshoumaru war ihr gefolgt und hatte sie in der Neuzeit aufgesucht, wo sie beide darüber geredet hatten.

„Es ist wahr, dass mir diese Tatsache gar nicht so egal ist“, sprach Sesshoumaru weiter. Das hatte er Kmie auch damals schon wissen lassen. Allerdings hatte er ihr zu diesem Zeitpunkt nicht die genaueren Gründe genannt. Doch schien es ihm endlich an der Zeit, die Karten auf den Tisch zu legen.

„Es ist nicht der Umstand, dass sich deine Erscheinung verändern wird, was mich stört. Sondern es ist das Wissen darüber, dass du mich irgendwann verlassen wirst und weder du noch ich etwas dagegen tun können.“

Ihn verlassen... Kimie begriff sofort, was Sesshoumaru damit meinte. Deshalb hatte er sie also gefragt, ob sie Angst vor dem Tod hätte... Ja, eines Tages würde sie sterben. Das war etwas, was jedem Menschen unweigerlich bevorstand. Aber obwohl sowohl er als auch sie sich dessen stets bewusst gewesen waren, war es ihnen offenbar erst kürzlich so richtig bewusst geworden.

Sesshoumaru war es nicht gewohnt, machtlos zu sein. Bisher hatte es nur sehr wenige Situationen in seinem Leben gegeben, wo er unfähig gewesen war, etwas zu tun. Und ausgerechnet seine eigene Gefährtin würde er nicht vor dem Tod bewahren können.

Kimie hüllte sich in nachdenkliches Schweigen, bis sie irgendwann wieder das Wort an Sesshoumaru richtete: „Damals, als wir hier waren, da hat Rin mir eine Frage gestellt. Ob du dich an sie und mich erinnern wirst, wenn wir mal tot sein werden.“

Stimmt, er erinnerte sich daran. Immerhin hatte er dieses Gespräch damals mitbekommen. Und Rin hatte ihn so etwas auch schon mal gefragt. Ob er sie nicht vergessen würde, wenn sie irgendwann mal tot wäre...

„Ich habe nicht vor, so schnell den Löffel abzugeben“, meinte Kimie mit einem Mal möglichst gelassen, wurde dann jedoch wieder ein wenig ernster. „Aber ich weiß, was du meinst. Mir gefällt diese Vorstellung auch nicht, allerdings können wir nichts dagegen tun. Aber eines möchte ich dir trotzdem gerne noch dazu sagen: Wenn ich irgendwann nicht mehr da bin, erwarte ich nicht von dir, dass du ewig allein bleibst.“

Mit anderen Worten: Sollte er den Wunsch verspüren, sich eine neue Gefährtin an seine Seite zu holen, dann sollte er dies tun. Allerdings war dies eine Vorstellung, die Sesshoumaru im Augenblick nicht gerade zusagte. Was ihm auffiel war, dass Kimie gelächelt hatte, als sie ihm das gesagt hatte, als wollte sie ihm auf diese Weise zusätzlich versichern, dass sie damit einverstanden wäre, wie auch immer er sich letztendlich entscheiden würde. Er erinnerte sich jedoch gerade nicht daran, sie schon mal mit einem so weiblich anmutenden und liebreizenden Lächeln gesehen zu haben. Es war geradezu verführerisch... Sie hatte sich in der Tat verändert. Kennen gelernt hatte er sie als aufmüpfiges und oftmals vorlautes Mädchen. Inzwischen war aus ihr eine erwachsene junge Frau geworden; gleichermaßen stark wie empfindsam.

Sesshoumaru stellte seine Teetasse auf den Tisch ab, ehe er Kimie ihre aus der Hand nahm und diese ebenfalls zur Seite stellte. Als er sie ohne jegliche Erwiderung auf ihre Aussage von eben in seine Arme zog und sie fest an sich drückte, spürte Kimie ihr Herz kurzzeitig schneller schlagen. Gerade wollte sie etwas sagen, da kam Sesshoumaru ihr jedoch zuvor, indem er wortlos seine Lippen auf ihre legte. Mit sanftem und zugleich bestimmten Nachdruck brachte er sie dazu, sich rücklings auf den Boden zu legen, ehe er den Kuss intensivierte, wobei er mit seiner Zunge über ihre Lippen fuhr und sich den gewünschten Einlass verschaffte.

Sesshoumaru konnte Kimies Herz schneller und stärker schlagen fühlen, während sie seinen so intensiven Kuss erwiderte. Lange genug hatte er damit gewartet, sich eine Gefährtin zu suchen. Dass es am Ende gar eine Menschenfrau sein würde, damit hätte er früher zwar selbst wohl nicht mal im Traum gerechnet, doch so gesehen war schon einiges geschehen, was er nicht vorausgeahnt hatte. Angefangen bei Rin... Dass er mal einem Menschen das Leben retten würde, wäre für Sesshoumaru früher undenkbar gewesen. Und jetzt hatte er mit Kimie sogar einen gemeinsamen Sohn; einen Hanyou, für welche er einst auch nur Verachtung übrig gehabt hatte. Und dennoch sollte er Kimie einfach durch eine andere Frau ersetzen, wenn sie irgendwann nicht mehr da wäre? Dieser Gedanke war Sesshoumaru zuwider. Nicht in hundert oder zweihundert Jahren und darüber hinaus wollte er eine andere Frau an seiner Seite dulden. Kimie einfach so sterben lassen... Das würde er nicht zulassen!

Im Augenblick vollkommen auf sich selbst fixiert, blendeten Sesshoumaru und Kimie alles andere vollkommen aus. So kam es für sie entsprechend unerwartet, als sich plötzlich nach einem kurzen Klopfen die Tür des Zimmers öffnete und Ashitaka auf der Bildfläche erschien.

„Sesshoumaru? Kimie-chan? Ich hoffe, ich störe nicht, aber... Huh?“

Der Anblick seines Cousins, wie sich dieser über die auf dem Boden liegende Kimie gebeugt hatte, ließ ihn abrupt schweigen. Doch nicht nur Ashitaka blieb im Moment regungslos. Auch Sesshoumaru und Kimie verharrten wie versteinert, wobei Kimie zusätzlich merklich rot anlief. Mit einem leichten Stoß ihres Ellenbogens gegen Sesshoumarus Brust deutete sie ihm an, von ihr abzulassen, damit sie sich wieder aufrichten konnte.

„Oh... Offenbar störe ich doch. Besser, ich komme später wieder“, meinte Ashitaka und wollte gerade die Tür wieder schließen, als Kimie ihn zurückhielt.

„Nicht nötig, Ashitaka. Lass es gut sein. Was ist los?“

Noch merklich verlegen bezüglich seines unangemeldeten Besuchs, kratzte sich der Youkai leicht am Kopf.

„Uhm... Eigentlich nichts. Ich wollte nur fragen, ob ich mal nach dem Kleinen schauen darf?“

Von Sesshoumaru kassierte der Jüngere dafür augenblicklich einen mehr als stechenden Blick.

„Vielleicht gehe ich doch besser wieder?“, fragte Ashitaka, der die abweisende Haltung seines Cousins nur zu deutlich wahrnehmen konnte.

„Sei nicht albern!“, entgegnete Kimie jedoch lächelnd, nachdem sie aufgestanden war. „Komm ruhig rein. Möchtest du vielleicht auch einen Tee?“

Nachdem Ashitaka das Angebot dankend angenommen hatte, stellte Kimie für ihn eine Tasse mit Tee auf den Tisch bereit, ehe sie in Richtung Nebenzimmer ging.

„Katô ist eben erst eingeschlafen, aber du kannst ihn trotzdem gerne sehen, wenn du möchtest.“

„Okay, dann komme ich gleich nach“, erwiderte Ashitaka, nachdem er sich zunächst an den Tisch gesetzt hatte, und musterte Sesshoumaru einen Moment lang, welcher schweigend neben ihm saß. Allerdings hatte es den Jüngeren schon in gewisser Weise überrascht, ihn und Kimie ausgerechnet jetzt in einer derart intimen Situation zu erwischen. Andererseits war im Grunde ja eigentlich nichts verkehrt daran, sich zwischen all dem Chaos auch ein wenig den angenehmeren Dingen im Leben zuzuwenden. Denn gewiss machte sich Sesshoumaru die ganze Zeit über Sorgen wegen Rin, auch wenn man es ihm wie gewohnt nicht ansah. Doch Ashitaka kannte seinen Cousin gut genug, um zu merken, was in diesem vorging.

„Hast du nicht eine Freundin, um die du dich kümmern kannst?“, fragte Sesshoumaru irgendwann kühl, da es ihm allmählich auf die Nerven ging, von Ashitaka so angestarrt zu werden. Dieser legte entschuldigend die Hände aneinander.

„Es tut mir wirklich leid, dass ich so ungelegen hier hereingeplatzt bin. Ich konnte ja nicht ahnen, dass du und Kimie-chan gerade...“

„Noch ein Wort...“, deutete Sesshoumaru drohend an, womit er Ashitaka sogleich zum Schweigen brachte, doch behielt dieser ein leichtes Lächeln bei.

Netz der Intrigen

Es war längst dunkel, als Yukina sich vom Wald aus auf den Rückweg zum Schloss machte. Seit Sesshoumarus kleiner Sohn der Mittelpunkt des dortigen Lebens war, gab es für alle noch mehr zu tun. Umso entspannter war es, wenn man zwischen all der Arbeit auch mal ein paar Stunden für sich selbst ergattern konnte. Nur hatte Yukina dummerweise die Zeit vollkommen aus den Augen verloren, weshalb es inzwischen dunkel geworden war. Hoffentlich würde es ihr keinen Ärger einbringen, dass sie sich so verkalkuliert hatte.

„Wie ungeschickt von mir... Ich hätte umsichtiger sein sollen!“

Yukina war nicht mehr allzu weit vom Schloss entfernt. Wenn sie Glück hatte, hatte man vielleicht noch gar nicht bemerkt, dass sie noch immer fort war. In der Tat war sie guter Dinge, sich unbemerkt wieder ins Schloss schleichen zu können. Doch gerade, als sie sich dessen sicher war, tauchte direkt vor ihr jemand auf, der ihre Illusion zunichte machte. Vor lauter Schreck hatte Yukina abrupt gestoppt und war nach hinten gefallen.

„Aah! Eh...? Subaru-sama?“

Tatsächlich! Es war Subaru gewesen. Aber was machte er außerhalb des Schlosses?

„Ich wollte dich nicht erschrecken“, entschuldigte er sich. Dann reichte er dem am Boden sitzenden Dämonenmädchen seine Hand und half ihr beim Aufstehen. „Du solltest um diese Zeit nicht allein unterwegs sein, Yukina.“

Nachdem Yukina sich bei ihm bedankt hatte, klopfte sie sich den Dreck von ihrem Kimono.

„Tut mir Leid. Uhm... Aber was macht Ihr hier? Ist etwas vorgefallen?“, fragte sie verunsichert.

„Nein, ich hatte nur bemerkt, dass du nicht im Schloss warst, als wollte ich mal nach dir schauen“, antwortete Subaru ihr, was Yukina doch ziemlich überraschte. Er wollte nach ihr schauen? Abrupt spürte sie, wie sich die Röte auf ihre Wangen legte.

„Ich... Es tut mir leid, wegen der Umstände“, entschuldigte sie sich sogleich und verbeugte sich, auch damit er nicht sehen konnte, wie sie rot geworden war.

Begleitet von einem amüsierten Lächeln beobachtete Subaru Yukina einen Moment lang.

„Nun, aber wo wir beide schon hier draußen sind, wäre dir ein Spaziergang vielleicht genehm?“, schlug er ihr schließlich vor, woraufhin sie wieder aufschaute. Ein Spaziergang? Mit ihm?

„Ich... Aber ich müsste eigentlich zurück ins Schloss“, antwortete sie unsicher, obwohl sie diese Worte direkt bereute. Natürlich wollte sie gerne ein wenig mit ihm spazieren gehen, aber was war mit ihren Aufgaben?

„Mach dir darüber keine Gedanken“, entgegnete Subaru jedoch beruhigend. „Wenn dich jemand darauf ansprechen sollte, lege ich ein gutes Wort für dich ein. Du bekommst schon keinen Ärger. Einverstanden?“

Das wollte er wirklich tun? Yukina war viel zu überrascht, als dass sie sofort etwas darauf erwidern konnte.

„Das... Ich meine... Ja, sehr gerne“, antwortete sie schließlich mit spürbarem Herzklopfen. Sie musste sich endlich beruhigen! Wenn sie weiter so aufgeregt war, bekäme sie heute Abend keinen geraden Satz mehr raus!

Als sie beide nun ein wenig nebeneinander hergingen, wobei Yukina schon aus Gewohnheit leicht hinter Subaru lief, kam sie so langsam wieder zur Ruhe. Allerdings fragte sie sich, warum er ihr so plötzlich vorgeschlagen hatte, mit ihm einen Spaziergang zu machen. Bisher hatten sie beide doch kaum ein Wort miteinander gewechselt. Abgesehen von dem einen Mal, als er sie vor Prinzessin Harumi beschützt hatte.

„Was hat dich eigentlich hierher verschlagen? Noch dazu am Abend?“

Subarus Frage riss Yukina wieder aus ihren Gedanken.

„Eigentlich habe ich nur die Zeit aus den Augen verloren, als ich hier ein wenig spazieren gegangen bin. Ursprünglich wollte ich gar nicht so lange fort bleiben“, gab sie mit einem verlegenen Lächeln zu. Nachdem Subaru sich wieder umgedreht hatte, musterte sie ihn ein wenig genauer. Dabei fiel ihr nun etwas auf. Er trug seine Waffen nicht bei sich. Das war ungewöhnlich, denn normalerweise verließ Subaru nie ohne seinen Bogen das Schloss. Allerdings musste das ja nichts heißen. Schließlich sah es nicht so aus, als befände sich hier irgendwo in der Nähe eine Gefahrenquelle.

Apropos Gefahr... Es hatte doch da vor einer Woche diesen Vorfall gegeben.

„Du siehst besorgt aus“, merkte Subaru nach einer Weile an, als er sich erneut nach hinten zu Yukina umdrehte.

„“Es ist nur... Im Moment ist alles irgendwie so verworren“, erwiderte sie, den Blick nachdenklich gesenkt. „Ich verstehe nicht, warum die Kitsune aus Aoshi-samas Gefolge Sesshoumaru-sama auf einmal herausfordern wollen.“

„So? Tun sie das?“

„Ihr habt es doch gewiss auch mitbekommen, dass sie das kleine Menschenmädchen entführt haben, das Sesshoumaru-sama sehr wichtig zu sein scheint.“

„Und darüber machst du dir Sorgen? Obwohl es nicht deine Angelegenheit ist?“

„Macht Ihr Euch denn keine Gedanken? Es könnte schließlich sein, dass es sogar zu einem Kampf kommen könnte.“

„Es ist einiges vorgefallen. Vielleicht wäre es gar nicht so weit gekommen, wenn Sesshoumaru von Anfang an ein wenig umsichtiger mit allem gewesen wäre.“

Yukina stutzte und blieb stehen. Was war mit Subaru los? Er benahm sich irgendwie seltsam. Seit wann sprach er von Sesshoumaru so vergleichsweise respektlos? Und bisher hatte er ihn auch nie nur mit dessen Namen angeredet.

„Subaru-sama? Was habt Ihr?“, wagte das Dämonenmädchen irgendwann vorsichtig zu fragen. Daraufhin blieb auch Subaru stehen, drehte sich jedoch nicht zu ihr um, als er ihr antwortete: „Sag mir deine ehrliche Meinung. Findest du, dass Sesshoumaru ein guter Herrscher ist?“

„Was?“

Was sollte das auf einmal? Nie hatte Yukina die Autorität ihres Herrn in Frage gestellt. Auch Subaru hatte dies nie getan. Warum sprach er dann auf einmal von solchen Dingen?

„Das ist... Ich möchte dazu nichts sagen, Subaru-sama. Bitte... sprecht nicht so von unserem Herrn“, bat Yukina, allerdings vernahm man deutlich die Unsicherheit in ihrer Stimme. Ungewollt wich sie einen Schritt zurück, als Subaru sich letztlich doch zu ihr umdrehte.

„Was ist los? Hast du Angst?“, fragte er prüfend, als er sich ihr langsam näherte. „Fürchtest du dich etwa vor mir? Dazu hast du doch gar keinen Grund.“

Mittlerweile war sich Yukina dessen aber gar nicht mehr so sicher. Dazu dieses Lächeln auf Subarus Gesicht... Es wirkte so... bedrohlich.

Aus einem Impuls heraus versuchte Yukina wegzulaufen, doch spürte sie plötzlich einen starken Griff um ihr Handgelenk und wurde mit dem Rücken gegen einen Baum gedrückt. Ein erschrockener Schrei entwich ihr, ehe sie verängstigt in Subarus Gesicht schaute.

„Versuchst du, vor mir davonzulaufen? Das ist aber nicht nett. Nachdem du so offensichtlich Interesse an mir gezeigt hast.“

Yukina erstarrte, als sie das hörte. Woher wusste er das? Hatte Miyuki ihm etwas erzählt? Nein, bestimmt nicht. Miyuki würde so etwas nie tun!

Als Subaru seine Hand an ihr Kinn legte, hielt Yukina den Atem an. Was hatte er vor? Doch nicht etwa...?

Vollkommen verunsichert wagte sie es nicht, sich ihm zu entziehen. Zumal... Hatte sie sich insgeheim nicht immer gewünscht, dass er ihr diese Form der Aufmerksamkeit schenkte? Dass er sie überhaupt irgendwie wahrnahm? Aber... sie hatte kein gutes Gefühl dabei. Im Gegenteil, sie fühlte sich... unwohl; als wäre sie ihm schutzlos ausgeliefert.

„Nein, bitte...“, flehte Yukina leise und mit zitternder Stimme. Wieso...? Wieso tat Subaru das?

Plötzlich hörte man ein Zischen und und im selben Moment schoss ein Pfeil direkt zwischen ihnen beiden vorbei. Subaru ließ von Yukina ab und brachte sich mit einem Satz nach hinten aus der Schusslinie. Vor lauter Schreck hatte Yukina kurz aufgeschrien, doch hatte sie genau gesehen, was da eben vorbeigeflogen war. Ein Pfeil? Aber wer...?

„Yukina!“

Das Dämonenmädchen schaute auf und war mehr als verwirrt. Was? Da stand... Subaru!? Aber er war doch...! Ja, er stand doch da vor ihr! Zwei Mal?!

„Subaru-sama...?“

„Bist du verletzt?“

Yukina schüttelte noch leicht verwirrt den Kopf. Inzwischen war Subaru zu ihr geeilt, doch ehe er sich seinem falschen Ebenbild widmete, zog er sie schützend hinter sich.

„Du hast ja vielleicht Nerven, dich ausgerechnet in meiner Gestalt an das Mädchen heranzumachen! Zeig mir dein wahres Gesicht!“

Verwirrt wechselte Yukinas Blick von einer Person zur anderen. Dann musste dieser andere Youkai ein Betrüger sein! Das würde zumindest einiges erklären. Subaru würde doch nie solche Dinge tun oder gar daran denken!

Subarus Gegenüber musterte die beiden vor sich eingehend.

„Hm! Wie unglücklich... Dass du so schnell hier auftauchen würdest...“

Seine Gestalt verschwand in einem Wirbel aus blauem Feuer. Und nachdem sich dieses wieder gelegt hatte, offenbarte es seine wahre Gestalt.

„Der oberste General der Füchse!?“, erkannte Yukina erschrocken. Kein Zweifel, es war Kuro! Seine eiskalte Ruhe beibehaltend, setzte dieser ein heimtückisches Lächeln auf.

„Ich bin neugierig. Wieso bist du so schnell hier aufgetaucht?“, fragte er Subaru.

„Darauf könntest du auch selbst kommen“, antwortete dieser kühl, während er seinen Bogen und einen neu aufgelegten Pfeil einsatzbereit hielt. „Es ist schon ziemlich ungewöhnlich, den eigenen Geruch unweit seines eigentlichen Standorts zu bemerken. Vielleicht solltest du diejenigen, die du nachahmst, im Vorfeld aus dem Weg räumen, dann passiert dir so ein Missgeschick nicht mehr.“

„Hm! Gute Idee! Warum fange ich dann nicht gleich bei dir an? Wo du schon den Helden spielen musstest, um die holde Jungfrau aus den Klauen des Bösewichts zu befreien.“

Als Kuro unvermittelt mit einem blauen Feuerwirbel angriff, konterte Subaru die Attacke, indem er einen Pfeil genau in den Wirbel hinein schoss. Die dämonische Energie des Pfeils prallte mit der Kraft des Feuers aufeinander, woraufhin sich beide Angriffe gegenseitig in einem grellen Blitz neutralisierten.

Yukina war vor Schreck in Deckung gegangen und wagte gar nicht, sich von der Stelle zu rühren. Wie hatte sie sich nur in diese brenzlige Situation bringen können?

„Wenn ich etwas hasse, dann sind es ungehorsame Hunde!“, meinte Kuro abfällig.

Subaru versuchte, die Lage genauer zu erfassen. Mit Yukina in so unmittelbarer Nähe konnte er unmöglich mit voller Kraft kämpfen! Die Gefahr, dass sie dabei verletzt werden konnte, war zu groß. Das Klügste wäre, wenn sie beide sich so schnell wie möglich zum Schloss zurückzogen. Ob noch andere Füchse in der Nähe waren? Im Moment konnte Subaru nichts dergleichen wahrnehmen.

„Yukina! Steh auf!“, forderte er das Mädchen auf, welches seiner Aufforderung sofort nachkam, auch wenn ihre Knie noch zitterten.

Kuro ahnte, was die beiden vorhatten.

„Ihr habt doch nicht etwa vor, zu verschwinden?“, fragte er. O nein! So einfach würde er die beiden nicht davonkommen lassen! Deshalb griff er Subaru nun ganz direkt an. Dieser schaffte es gerade so, Yukina zur Seite zu stoßen, bevor Kuro ihn am Hals packte und nach hinten zu Boden warf. Als der General mit den Klauen seiner rechten Hand zustoßen wollte, packte Subaru diese und hielt ihn so auf. Verdammt! Dieser Kitsune hatte ziemlich viel Kraft... Trotzdem schaffte Subaru es irgendwie, den Kerl von sich wegzustoßen und selbst wieder auf die Beine zu kommen. Doch Kuro attackierte ihn direkt mit einem Feuerangriff, welchem Subaru gerade noch so hatte ausweichen können.

Kuro war nicht umsonst Aoshis oberster General. Subaru hatte spürbar Mühe, sich gegen die Angriffe seines Widersachers wirksam zur Wehr zu setzen. Dieser verfluchte Fuchs schöpfte alles mögliche aus seiner Magie und erschwerte dem Inu-Youkai den Kampf umso mehr. Trotzdem schien es nicht so, als wollte Kuro Subaru töten. Zumindest nicht allzu schnell... Er spielte mit ihm und scheuchte ihn wie ein Kaninchen hin und her, ohne ihm selbst die Möglichkeit eines wirkungsvollen Gegenangriffs zu bieten.

Yukina, welche sich hinter einem Baum in Deckung begeben hatte, wagte kaum, sich von der Stelle zu rühren. Aber vielleicht konnte sie es schaffen, Hilfe zu holen? Dieser General hatte im Augenblick genug mit Subaru zu tun und schien sie selbst gar nicht mehr wahrzunehmen. Das wäre die ideale Chance, auch wenn Yukina nicht gern weglief. Aber das war das Einzige, was sie jetzt tun konnte, um Subaru zu helfen!

Aus dem Augenwinkel bekam Subaru mit, was Yukina offenbar vor hatte. Gut, vielleicht konnte sie tatsächlich unbemerkt entkommen und im Schloss Alarm schlagen. Er selbst müsste nur Kuro weiter beschäftigen.

Yukina wollte sich beeilen und rannte los. Doch sie war kaum zehn Meter weit gekommen, da erhob sich direkt vor ihr aus dem Boden auf einmal eine Wand aus Feuer. Begleitet von einem erschrockenen Schrei stoppte Yukina. Nein! Das konnte doch nicht wahr sein!?

„Wie unhöflich, einfach gehen zu wollen, ohne sich zu verabschieden“, meinte Kuro mit eiskalter Stimme. „So einfach wird das nicht, meine Kleine. Oder möchtest du deinen teuren Freund hier ganz allein lassen?“

Verängstigt blickte Yukina zurück. Der General hatte sich in ihre Richtung umgedreht und allein der Ausdruck in seinen Augen machte ihr eine unsagbare Angst.

„Halte sie gefälligst da raus!“, knurrte Subaru Kuro an und wollte ihn angreifen. Dieser jedoch packte ihn an am linken Arm und das nächste, was Subaru spürte, war das Gefühl einen bis dahin noch nicht gekannten Schmerzes.

Gewaltsam stieß Kuro ihn von sich fort. Subaru wollte sich aufrappeln, doch konnte er sich kaum auf seinen linken Arm abstützen. War er... gebrochen? Subaru konnte seinen Arm noch bewegen, aber er wusste, dass der Oberarmknochen der Länge nach zumindest angebrochen sein musste. Und würde er seinen Arm weiter belasten, würde dieser garantiert endgültig nachgeben und brechen.

„Vielleicht hättest du dich doch besser raushalten sollen“, meinte Kuro herablassend. „Es ist nicht gerade schlau, sich wegen einem kleinen Dienstmädchen mit einem überlegenen Gegner anzulegen. Allerdings sieht es nicht so aus, als wolltest du aufgeben. Hm! Wie pathetisch...“

Die Gestalt des Generals verschwand kurzzeitig in einem Feuerwirbel, nur um einen Augenaufschlag später direkt hinter Yukina wieder aufzutauchen. Grob packte Kuro das Mädchen, welches voller Angst aufschrie.

„Yukina!“

Subaru zwang sich wieder auf die Beine und wollte einen Pfeil auf seinen Bogen spannen. Doch er hielt inne... Unmöglich! Mit dem verletzten Arm, konnte er seinen Bogen nicht ruhig halten. Er würde Yukina verletzten, sollte er dennoch versuchen, einen Pfeil auf Kuro abzuschießen, wenn er dies überhaupt schaffen würde. Aber... was sollte er dann tun?

Zu Kuros Überraschung verhielt sich Subaru plötzlich merkwürdig ruhig. Er hatte seine Augen geschlossen und stand regungslos da. Wollte er etwa tatsächlich aufgeben?

Als Subaru wenig später seine Augen wieder öffnete, spiegelten diese seine kühle Entschlossenheit wider. Er hatte nur diese eine Chance. Wenn er die vermasselte...

Mit ruhiger Hand legte Subaru einen Pfeil auf die Sehne seines Bogen, welchen er nach wie vor in seiner linken Hand hielt. Langsam erhob er seine vorbereitete Waffe, den Blick zielgenau auf Kuro und Yukina gerichtet. Bereits jetzt spürte Subaru, wie sein linker Arm nachzugeben drohte, doch er musste seinen Bogen unter allen Umständen ruhig halten! Den Schmerz ausblendend und ohne eine Miene zu verziehen, hatte er sein Ziel ins Auge gefasst.

Subarus Entschlossenheit bemerkend, ruhte Kuros prüfender Blick aus seinem Gegner. Das würde er nicht wagen!

Mit einer Mischung aus Unsicherheit und Angst beobachtete auch Yukina Subarus Handeln. Wollte er.... wirklich schießen?

>Subaru-sama...<

Als Subaru die Bogensehne noch etwas mehr spannte und kurz darauf seinen Pfeil abschoss, weiteten sich Yukinas Augen vor Schreck. Jeden Moment damit rechnend, von dem herannahenden Pfeil getroffen zu werden, war sie unfähig, den Blick abzuwenden. Da spürte sie einen Ruck und wie sie kurz darauf zu Boden fiel. Und... vernahm den Geruch von Blut...

Fassungslos blickte Kuro auf den Pfeil, welcher unterhalb seiner Brust rechts in seinem Körper steckte. Unfassbar! Trotz seiner Verletzung hatte Subaru es geschafft, den Pfeil so ruhig und zielgenau abzuschießen, dass er diesen kleinen von Yukina ungedeckten Bereich des Körpers seines Gegners hatte treffen können. Kuro hatte das Mädchen daraufhin augenblicklich losgelassen.

„Yukina! Komm hierher!“, rief Subaru ihr zu, doch hatte die Aktion eben ihn sowohl viel Kraft als auch Konzentration gekostet. Sich seinen verletzten Arm haltend, sank Subaru auf die Knie. Yukina, welche in der Tat unverletzt geblieben war, eilte sofort zu ihm.

„Subaru-sama!“

Er hatte sie beschützt... Obwohl es einfacher für ihn gewesen wäre, ohne Rücksicht auf sie gegen den General zu kämpfen...

Subaru war sich dessen bewusst, dass es jetzt noch gefährlicher werden würde. Deshalb richtete er erneut das Wort an Yukina, behielt dabei aber weiterhin den General im Auge: „Yukina, lauf weg! Los, verschwinde von hier! Beeil dich!“

„Aber...“

„Jetzt mach schon!“

Sie musste von hier weg! So lange Kuro noch von dem Angriff eben benommen war, war die Gelegenheit günstig! Doch Yukina konnte und wollte nicht einfach feige davon laufen! Nicht nach dem, was Subaru für sie getan hatte. Ihn hier einfach zurücklassen, ohne zu wissen, was aus ihm werden würde? Das konnte sie nicht tun!

„Ihr... Ich lass mich doch nicht von zwei Kötern vorführen!“, konnte man Kuro bedrohlich knurren hören. Er zog den Pfeil aus seiner noch blutenden Wunde und wandte sich wieder den beiden Inu-Youkai zu. „Dann fahrt ihr eben gemeinsam zur Hölle! Ihr habt es nicht anders gewollt!“

Mit diesen Worten schickte er den beiden Inu-Youkai eine kraftvolle Feuerattacke entgegen, deren Hitze selbst von Subarus und Yukinas momentanen Standort deutlich zu spüren war. Der Angriff kam zu schnell! Sie konnten unmöglich noch ausweichen!

Ein greller Lichtstrahl prallte plötzlich mit dem feindlichen Angriff aufeinander und löste ihn auf. Als Subaru und Yukina es wagten, ihre Blicke wieder zu heben, hatte sich jemand schützend vor sie gestellt.

„Sesshoumaru-sama!“, erkannte Subaru seinen Herrn sofort. Und in seiner Hand hielt dieser sein Schwert Bakusaiga.

„Abschaum... Du wagst es, hier aufzutauchen und meine Gefolgsleute anzugreifen?“, fragte Sesshoumaru Kuro mit eiskalter Stimme. Aoshis oberster General schenkte seinem Gegenüber aber nur einen herablassenden Blick.

„Sesshoumaru... Welch unerwartete Ehre. Wer hätte gedacht, dass du uns auch noch beehren würdest?“, fragte er abfällig und ohne einen Funken Respekt. Allein am Tonfall seiner Stimme schien man jedoch herauszuhören, dass er schon damit gerechnet hatte, dass Sesshoumaru hier früher oder später erscheinen würde.

Zwar war Sesshoumaru gewiss nicht zum Plaudern hergekommen, doch nutzte er den Augenblick, um Kuro trotzdem etwas zu fragen: „Geschieht das alles hier auf Anweisung von Aoshi?“

„Ich wüsste nicht, was dich das angehen sollte. Und überhaupt, solltest du dir nicht lieber Gedanken um etwas anderes machen? Du solltest dich lieber beeilen. Sonst könnte es böse enden...“

Diese Andeutung und dazu dieses selbstsichere Lächeln auf Kuros Gesicht... Sesshoumaru hatte so eine Vorahnung. Und als ob sich diese prompt bestätigen sollte, verblasste die Erscheinung des Generals mit einem Mal und war wenig später einfach fort.

„Er ist verschwunden!?“ Verwirrt blickte sich Yukina um. Wie ein Geist... Was hatte das zu bedeuten?

Subaru zwang sich indes wieder auf die Beine. Das konnte es unmöglich schon gewesen sein! Dieser Ansicht war auch Sesshoumaru. Kuro hatte das hier nicht ohne Grund abgezogen. Das hier war...

„Ein Ablenkungsmanöver!“
 

Zu der Zeit, als Sesshoumaru aufgebrochen war, um nach dem Rechten zu sehen, hatten die von Kuro angeführten Kitsune die Gelegenheit genutzt und sich den Inu-Youkai gezeigt. Jetzt belagerten sie das Schloss.

Das Erscheinen der Füchse war so plötzlich gekommen, dass Ashitaka keinen schützenden Bannkreis mehr hatte errichten können. Doch zumindest hatte es noch keiner von ihnen ins Innere des Schlosses geschafft.

Nach wie vor befand sich Ashitaka bei Kimie, nachdem Sesshoumaru Kuros Gegenwart gespürt hatte und losgezogen war, um diesen zu stellen. Auf dem Hof hatten sich bereits die Krieger versammelt, um den Füchsen Einhalt zu gebieten.

„Sie dürfen nicht näher an das Schloss heran!“ Ashitaka zog Kimie in den Schlafbereich, wo Katô lag, nach wie vor im Beisein von Inuki. „Ich gehe zu den anderen nach draußen. Du bleibst mit dem Kleinen zusammen hier! Hast du mich verstanden, Kimie-chan?“

Kimie tat wie ihr geheißen, denn sie konnte und wollte Katô nicht allein hier zurücklassen. Ashitaka machte sich indes auf dem Weg.

Von dem Aufruhr draußen alarmiert, nahm Inuki seine Dämonengestalt an und ließ ein bedrohliches Knurren verlauten. Beruhigend strich Kimie ihrem Hund über den Kopf. Es würde zu einem Kampf kommen, das wusste sie. Jetzt schien es unausweichlich...
 

Nicht nur die Inu-Youkai, auch Inu Yasha, Kagome und Miroku waren direkt nach dem Eintreffen der Füchse nach draußen geeilt. Kirara verwandelte sich in ihre größere Form und fauchte die Eindringlinge mahnend an, während Kagome schon mal Pfeil und Bogen bereit hielt. Die Kitsune waren nicht zum Plaudern hergekommen, das stand fest. Sie waren hier, um zu kämpfen.

„Pass auf, Kagome!“, warnte Inu Yasha die junge Miko. „Diese Füchse sind gefährlich. Bleib wachsam und lass sie nicht aus den Augen!“

„Werde ich nicht, Inu Yasha! Keine Sorge!“

Sorgen machte sich Kagome hingegen wegen Kimie. Hoffentlich ging es ihr gut...

„Keine langen Verzögerungen! Ich mach die platt und gut ist's!“

Inu Yasha wollte gerade angreifen und erhob sein Schwert, doch seine Aktion wurde von einem zischend herannahenden Pfeil unterbrochen, der gegen die Klinge Tessaigas prallte. Erzürnt wandte der Hanyou seinen Blick in jene Richtung, aus der der Pfeil gekommen war... und erstarrte.

„Was zum...?!“

Auf der Schlossmauer... Das war... Kikyou!? Nein, unmöglich! Kikyou war tot! Schon lange! Inu Yasha hatte sie selbst in seinen Armen gehalten, als sie gestorben war! Aber... selbst die Aura und der Geruch... Alles war genau wie bei Kikyou!? Ihr Duft... Es war nicht der Geruch nach Graberde. Nein, es war genau wie damals vor langer Zeit...

Damit allerdings nicht genug. Denn in ihrer Hand hielt Kikyou einen Bogen, auf dessen Sehne sie bereits einen weiteren Pfeil gespannt hatte. Und diesen Pfeil schoss sie direkt auf Inu Yasha ab.

Entsetzt schrie Kagome auf: „Inu Yasha!“

Im ersten Moment war der Hanyou wie paralysiert. Diese Szene... Schlagartig kamen ihm die Erinnerungen an die junge Miko wieder hoch, als sie ihn vor über fünfzig Jahren mit ihrem Pfeil an den Heiligen Baum gebannt hatte. Nur knapp wich Inu Yasha dem herannahenden Geschoss aus, welches seine linke Wange noch streifte und auf dieser einen blutigen Schnitt hinterließ. Und obwohl er genau wusste, dass das vor ihm nicht Kikyou sein konnte, brachte er es nicht fertig, seinerseits einen Angriff zu starten.

„Inu Yasha...“

Diese Stimme... Der selbe ruhige Klang wie bei Kikyou... Niemals in seinem Leben würde Inu Yasha diese Stimme je vergessen.

„Warum bist du nicht mit mir gekommen? Warum hast du mich im Tod allein gelassen?“

„Ich...“

Ohne, dass er es selbst wirklich mitbekam, ließ Inu Yasha sein Schwert sinken. Hatte er das getan? Hatte er Kikyou im Stich gelassen? Er erinnerte sich... Damals, kurz nach ihrem Tod, hatte sie ihn in dieser Vision dazu aufgefordert, ihm zu folgen. Doch er hatte es nicht getan... Er war nicht dazu gekommen. Aber... er hatte ihr folgen wollen. Und war es nicht auch das gewesen, was er ihr eigentlich versprochen hatte? Bei ihr zu bleiben und mit ihr überall hinzugehen und sei es in den Tod?

„Ki... Kikyou...“

„Inu Yasha! Hör da nicht hin!“, rief Kagome, als sie ihn energisch am Arm ergriff. „Das ist nicht Kikyou! Das ist nur eine Illusion!“

So musste es sein! Das war alles nur ein Trick von diesen Füchsen! Natürlich, denn diese machten keinerlei Anstalten, Kikyou anzugreifen! Aber was war mit Inu Yasha? Er war auf einmal wie gelähmt!

„Inu Yasha! Inu Yasha!!“

„Komm...“

Kagome blickte zurück zu der falschen Kikyou. Ihre Augen... Sie glühten in diesem unwirklichen Schein und sie hatte ihre Hand in Inu Yashas Richtung ausgestreckt. Und er schien ihr wirklich folgen zu wollen, als stünde er unter einem Bann. Kagomes Rufe schien er längst nicht mehr wahrzunehmen.

Inu Yasha hatte kaum einen Schritt getan, als plötzlich Sesshoumaru über die Mauer sprang und mit gezogenem Schwert die falsche Miko angriff. Diese wich der Attacke knapp, aber scheinbar mühelos aus.

„Inu Yasha! Reiß dich gefälligst zusammen!“, knurrte Sesshoumaru seinen Halbbruder an, welcher in diesem Moment wieder Herr seiner Sinne wurde. Aber auch die falsche Kikyou legte nun nach Sesshoumarus Einmischung ihre Maske ab und offenbarte sich als Kuro.

„Schade, dabei wurde es gerade interessant. Aber ich habe mich schon gefragt, wann du hier wieder auftauchen würdest, Sesshoumaru.“

Sesshoumarus Miene verfinsterte sich bei seinem Anblick. Dieser verdammte Kerl hatte wirklich einige Tricks drauf. Das würde nicht leicht werden. Aber auf keinen Fall würde Sesshoumaru klein beigeben!

„Inu Yasha, ist alles in Ordnung?“, fragte Kagome besorgt. Inu Yasha nickte zwar, hielt sich aber für einen Moment den Kopf. Ein leichtes Schwindelgefühl hatte ihn überkommen, aber es verebbte allmählich. Eine Täuschung... Er hatte es gewusst, hatte aber trotzdem nichts dagegen tun können. Und noch immer vernahm er dieses schwere Gefühl in seiner Brust.

Mit einem abwertenden Blick ruhte Sesshoumarus Augenmerk nach wie vor auf Kuro.

„Kannst du nur gegen andere im Kampf bestehen, indem du dich hinter einer fremden Gestalt verbirgst? Wenn alle Mitglieder deines Clans so kämpfen wie du, scheine ich euch bisher reichlich überschätzt zu haben.“

Von dieser Provokation scheinbar gänzlich unbeeindruckt machte Kuro eine weit schweifende Handbewegung.

„Kenne die Ängste deines Gegners, dann hast du ihn in der Hand. Mit den richtigen Mitteln lässt sich jeder von euch lesen wie ein offenes Buch.“

Miroku horchte auf.

„Das klingt so, als hätten die Kitsune alle hier Anwesenden ausspioniert.“

„Vielleicht haben sie schon während ihres Aufenthaltes hier unsere Gedanken ergründet, ohne das wir etwas davon bemerkt haben“, fügte Kagome hinzu. Die Möglichkeit bestand offenbar durchaus. Und jetzt spielten sie dieses Wissen gegen ihre Gegner aus...

„Ich frage mich, wie ihr euch schlagt, wenn ihr gegen euch selbst oder eure Freunde kämpfen müsst“, sprach Kuro weiter und gab seinen Leuten ein Zeichen.

Verunsicherung machte sich breit, als die Füchse ihre Gestalt veränderten und einfach in die Rollen ihrer Gegner schlüpften. Kuro selbst nahm vollkommen unverfroren gar die Gestalt von Sesshoumaru an. Aber nicht nur ihre äußere Erscheinung war eine perfekte Kopie, selbst die Aura und der Geruch... Es war unmöglich, die falschen Inu-Youkai von den echten zu unterscheiden.

„Nein! Das... Wie sollen wir so kämpfen?“, fragte Kagome verwirrt. Hätte es jeweils nur einen Doppelgänger gegeben, wäre die Sache vielleicht noch einfach gewesen, aber so... Von den meisten gab es sogar drei oder mehr Versionen einer einzigen Personen. Sobald der Kampf richtig entbrannt wäre, wäre es unmöglich, die Feinde noch von den Verbündeten zu unterscheiden.

Aus diesem Grund hielt Sesshoumaru seine Leute auch noch zurück. Auf keinen Fall durften sie sich kopflos ins Gefecht stürzen. Im allgemeinen Chaos konnte man allzu leicht den Überblick verlieren, und am Ende kämpften gar seine eigenen Leute unbewusst gegeneinander. Und besonders in dieser Situation wäre das fatal gewesen... Wie er das hasste! Sich von seinem Gegner vorführen zu lassen...
 

Vom Fenster aus beobachtete Kimie das Geschehen auf dem Hof. Bisher hatte sie alles mitbekommen und je länger diese Sache andauerte, umso unruhiger wurde sie. Besorgt schaute sie zu Katô zurück. Der Kleine schlief noch immer. Hoffentlich blieb das auch so...

Inuki schaute seine Herrin aufmerksam an, als erwartete er, dass sie ihm die Anweisung erteilte, sich gemeinsam in den Kampf einzumischen. Aber sollte sie das tun? Sollte sie ihren kleinen Sohn hier zurücklassen und sich dem Kampf gegen die Füchse anschließen?

Kimie zögerte. Kagome, Inu Yasha, Miroku und Kirara waren auch dort unten. Der Gedanke, dass sie selbst sich in der Zwischenzeit hier versteckte und einfach nur abwartete, behagte ihr nicht. Als sie draußen einen Knall hörte, schreckte sie hoch. Die Kitsune griffen offenbar an.

Kimie ballte ihre Hand zur Faust, ehe sie sich schließlich zum Schrank begab. Als erstes zog sie sich um. Doch legte sie nicht etwa einen anderen Kimono an, sondern ihre neuzeitliche Kleidung. Und das tat sie aus einem bestimmten Grund. Schlussendlich öffnete sie die Tür des Schrankes, in welchem sie ihr Schwert aufbewahrte.

>Ich habe so lange nicht mehr gekämpft... Seit Naraku besiegt ist, hatte ich dazu auch keinen Grund mehr. Und eigentlich hatte ich gehofft, es würde so bleiben. Aber jetzt...<

Kimie holte ihre Waffe heraus und befestigte diese an ihrem Gürtel. Irgendwo hier im Schloss mussten sich noch Wächter aufhalten. Diese wollte sie bitten, auf Katô zu achten. Sie selbst wollte nun endlich auch aktiv werden!

Bevor sie den Raum verließ, kniete sich Kimie an Katôs Seite nieder und strich ihm behutsam über den Kopf.

„Tut mir Leid, mein Kleiner, aber ich muss etwas tun. Keine Angst, dir wird nichts passieren. Ich bin bald wieder da.“

Kimie rief Inuki an ihre Seite und trat hinauf auf den Flur. Zuerst musste sie jemanden finden, der an Katôs Seite blieb. Zu ihrem Glück hielt sich auf dem nachfolgenden Gang ein Wächter der Inu-Youkai auf. Diesen schnappte sie sich sofort und bat ihn, auf Katô aufzupassen. Der Wächter verneigte sich vor ihr.

„Selbstverständlich, Herrin.“

Beruhigt lief Kimie anschließend zusammen mit Inuki weiter. Sich noch im oberen Bereich des Schlosses aufhaltend, öffnete Kimie eine der Türen, die nach draußen führten. Dort stellte sie sich auf die Veranda und erfasste noch mal die aktuelle Lage. Die Atmosphäre war zum Zerreißen gespannt. Diese Füchse, allen voran Kuro, schienen nur darauf zu warten, dass die Inu-Youkai auf die Provokationen ihrer Feinde reagierten und das Chaos ausbrach.

Kimie dachte nur kurz nach, dann erhob sie ihr Schwert ließ ein Raigeki auf dem Hof einschlagen, mitten zwischen die verfeindeten Parteien. Dieser Umstand führte dazu, dass für einen Augenblick sämtliche Aufmerksamkeit auf sie gerichtet war. Genau das hatte Kimie aber auch beabsichtigt, denn sie hatte etwas zu sagen: „Das versteht ihr also unter einem Kampf? Euch hinter Masken zu verstecken und mit fiesen Tricks zu arbeiten?“

„Hm! Ziemlich gewagte Worte“, entgegnete Kuro und gab sich absichtlich unwissend. „Du unterstellst uns also fiese Tricks? Erleuchte mich! Was meinst du damit?“

Er wollte sie provozieren... Dessen war sich Kimie bewusst. Und obwohl sie spürte, wie die Wut in ihr aufstieg, riss sie sich zusammen. Stattdessen deutete sie mit der Klinge ihres Schwertes auf die Füchse.

„Ich habe keinen Schimmer, was eure wahren Motive sind und offen gestanden, sind sie mir auch egal. Spätestens seit wir erfahren haben, dass ihr Rin in eure Gewalt gebracht habt. Nur Feiglinge verstecken sich hinter hilflosen Kindern, um sie für eigene Zwecke zu nutzen! Wenn ihr unbedingt kämpfen wollt, dann soll es so sein! Aber glaubt nicht, dass ihr mit euren linken Nummern durchkommen werdet!“

„Vorlautes Weib! Dann nehmen wir dich als Erste auseinander!“, entgegnete einer der Füchse erzürnt und mit gezogenem Schwert. Ohne zu zögern, sprang er direkt auf Kimie, welche jedoch keine Anstalten machte, sich in Sicherheit zu bringen.

„Komm nur her!“, rief sie ihm stattdessen entgegen und sorgte für ihre nachfolgende Handlung für fassungslose Gesichter. Was machte sie da? Sie stieg mit einem Fuß auf das Geländer, stieß sich von diesem ab und sprang diesem Youkai geradewegs entgegen!?

„Hä? Spinnt die?!“, rief Inu Yasha erschrocken aus. Dachte Kimie auf einmal, sie könnte fliegen oder was bezweckte sie mit dieser bescheuerten und halsbrecherischen Aktion? Das konnte doch niemals gutgehen!

Blitze zuckten aus der Klinge von Kimies Schwert, als dieses mit dem Schwert des Youkai zusammentraf. Kimie wusste, dass sie schnell agieren musste, also legte sie ihre ganze Kraft in diesen Angriff und schaffte es tatsächlich ihren Gegner mit einem gezielten Raigeki zu überwältigen. Nachdem sie den Kitsune zur Seite gestoßen hatte, pfiff sie ein Mal laut mit den Fingern, woraufhin augenblicklich Inuki zu ihr sprang und sie so auffing, dass sie wohlbehalten auf seinem Rücken landete. Anschließend kam er sicher wieder auf dem Boden auf.

„Gut gemacht, mein Junge!“, lobte Kimie ihren Hund und stieg von seinem Rücken.

Fassungslose Blicke hatten sich in ihre Richtung umgewandt. Niemand hatte Kimie bisher so kämpfen sehen, nicht mal damals im Kampf gegen die Ryû-Youkai.

„Kimie! Ist alles in Ordnung?“, fragte Kagome, als sie auf ihre Cousine zulief.

„Ja, keine Sorge.“

„Was ist mit Katô? Wo ist er?“

„Es geht ihm gut. Ich habe einen der Wächter darum gebeten, auf ihn aufzupassen.“

Plötzlich hörte man von Kuros Seite ein hinterhältiges, leises Lachen.

„Was ist so lustig?“, fragte Sesshoumaru den General kalt.

„Gar nichts ist lustig. Ich lache nur, weil keiner von euch offenbar gemerkt hat, was wirklich los ist. Sesshoumaru... Bist du wirklich der Meinung, dass es deinem Sohn gut geht?“

Was sollte das? Katô war im Schloss und so lange die Füchse dort nicht hineinkämen, war...

Wie ein Blitz aus heiterem Himmel überkam Kimie ein ungutes Gefühl. Und Inukis warnendes Knurren, als er sich zum Schloss umwandte, schien dieses auch noch zu bestätigen. Aber wieso?

Plötzlich entdeckte Kimie etwas, was ihr regelrecht das Blut in den Adern gefrieren ließ. Der Wächter, den sie vorhin darum gebeten hatte, auf Katô zu achten... Er stand hier mitten unter den anderen Inu-Youkai! Aber... Wer war dann bei Katô? Nein! Das durfte nicht sein!

„Das... kann nicht...“

„Kimie? Kimie, was hast du?“, fragte Kagome ihre Cousine, welche auf einen Schlag leichenblass geworden war, besorgt. Doch Kimie brachte keinen Ton heraus. Katô...
 

In der Zwischenzeit hatte der falsche Wächter seine Tarnung fallen gelassen und seine wahre Gestalt offenbart, während er nun direkt vor dem Weidenkorb stand, in welchem Katô lag. Der Befehl von Kuro war klar und deutlich gewesen: Beseitige Sesshoumarus Erben! Und genau das hatte der Soldat der Füchse vor.

„Armes kleines Ding... Fast schon bedauerlich, dass dein Leben so enden muss, kaum dass es überhaupt begonnen hat.“

Kurz und schmerzlos für das unschuldige Kind. Er wollte es schnell mit dem Schwert töten.

Ahnungslos lag Katô schlafend da, über seinem Kopf blitzte die feindliche Klinge auf. Gleich wäre es vollbracht...

„Wage es nicht!“

Angesichts dieser plötzlichen und überraschenden Störung wandte sich der weiße Kitsune um. Und im ersten Moment staunte er nicht schlecht, als er Sesshoumarus Diener Jaken in der geöffneten Tür stehen sah.

„Wenn du den Sohn, meines ehrenwerten Herrn und Meisters auch nur anrührst, wirst du es bereuen! Ich werde dich nicht gewähren lassen!“, drohte der Krötendämon seinem Feind, den Kopfstab dabei demonstrativ erhoben. Und um seinen Worten sogleich Taten folgen zu lassen, griff Jaken den Youkai mit einer starken Feuerattacke an. Der Kitsune wich aus, wobei er sich von Katô entfernte. Eiligst war Jaken daraufhin zu dem Weidenkörbchen gesprungen.

„Hm! Nicht schlecht für Sesshoumaru-samas mickrige Hauskröte“, meinte der Kitsune, wenngleich dieser amüsierte Unterton in seiner Stimme mitschwang. Klar, er nahm Jaken nicht für voll. Jedoch ließ dieser sich davon nicht beirren. Allerdings stellte sich ihm die Frage, ob er diesem Gegner auf die Dauer würde die Stirn bieten können? Zudem konnte der Krötendämon hier nicht vollkommen wahllos mit seinen Feuerangriffen herumhantieren, ansonsten bestand die Gefahr, dass Katô dabei verletzt werden könnte, sah man davon ab, dass die Wände bereits ein wenig bei dem Angriff von eben gelitten hatten, wie die großen schwarzen Rußrückstände es dokumentierten.

Jaken blickte hinter sich, als er Katô leise weinen hörte.

„Jetzt hast du den Kleinen geweckt. Wie rücksichtslos von dir“, meinte der Kitsune herablassend. „Es ist schon schändlich genug, dass manche Eltern offenbar so sorglos sind, dass sie selbst in einer Situation wie dieser ihre Kinder sich selbst überlassen.“

„Ziemlich gewagte Worte“, erklang mit einem Mal eine weitere Stimme. Es war die von Kakeru gewesen, der nun gemeinsam mit zwei weiteren Inu-Youkai den Raum betrat. „Habt ihr Füchse euch das wirklich so einfach vorgestellt? Als ob wir den jungen Erben unseres Herrn so vollkommen schutzlos sich selbst überlassen würden...“

Kakeru wies die beiden Soldaten an, sich um Katô zu kümmern. Er selbst stellte sich dem feindlichen Kitsune mit gezogenem Schwert entgegen. Allerdings war dieser zunächst alles andere als eingeschüchtert.

„Pah! Was will ein blinder Hund schon mit einem Schwert ausrichten können?“

„Wenn du das wissen möchtest, dann finde es heraus“, forderte Kakeru seinen Gegner lächelnd auf. Und genau dieses so selbstsichere Lächeln, mit dem er seinen gegenüber fast schon zu verhöhnen schien, ließ diesen ohne jegliche Vorsicht angreifen. Ein leichter Schritt zu Seite, dann ein gezielter Hieb... und schon hatte Kakeru seinen Widersacher kampfunfähig gemacht.

„Hm... Beruhigend, zu wissen, dass ich es nicht verlernt habe, mein Schwert zu führen“, merkte Kakeru gelassen an, während er sein Schwert in aller Ruhe zurück in dessen ebenholzschwarze Schwertscheide schob.

Nachdem die unmittelbare Gefahr erst mal gebannt war, ließ sich Jaken auf den Fußboden nieder, wobei er schwer, aber erleichtert seufzte.

>Puh! Das war wirklich knapp... Wenn seinem Sohn etwas passiert wäre, hätte Sesshoumaru-sama mich gewiss in tausend Stücke gerissen...<

„Das war nicht schlecht. Gut gemacht!“, meinte Kakeru nun anerkennend an den Krötendämon gerichtet, welcher überrascht seinen Blick zu dem Inu-Youkai erhob.

„Eh...? Ich... tue nur das, was mein ehrwürdiger Meister, Sesshoumaru-sama, von mir erwarten würde“, entgegnete Jaken merklich verunsichert, da er es gar nicht gewohnt gewesen war, Lob zu erhalten. Noch dazu von einem ranghohen Youkai...
 

Was sich kurz zuvor innerhalb der Schlossmauern ereignet hatte, hatte draußen niemand mitbekommen und demzufolge rechneten alle mit dem Schlimmsten.

Kimie fühlte sich wie betäubt und war unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Sesshoumaru hingegen wollte augenblicklich zurück ins Schloss, als er jedoch die niederträchtige Stimme Kuros vernahm: „Zu spät, Sesshoumaru. Inzwischen dürfte sich das mit deinem Sohn erledigt haben. So ein kurzes unschuldiges Leben...“

Kimie fühlte, wie ihre Beine ihren Dienst versagten. Nur, weil Kagome sie noch rechtzeitig stützte, fiel sie nicht gänzlich zu Boden. Nein... Das konnte doch nicht sein...

Sesshoumaru stieß ein wütendes Knurren aus. Dieser Abschaum... Sie hatten es nicht wirklich gewagt, seinem Sohn etwas anzutun!?

„Wie ich sehe, neigt Ihr nach wie vor zu vorschnellen Schlussfolgerungen, General Kuro.“

Kakerus ruhige und zugleich erhabene Stimme ließ die Anwesenden aufschauen. Auf einer der Veranden war der Inu-Youkai hinausgetreten. Am Geländer zog sich Jaken hoch, damit er besser nach unten sehen konnte, und verkündete stolz und voller Selbstsicherheit: „Macht Euch keine Sorgen, Sesshoumaru-sama! Ich, Euer treuer und ergebener Diener, habe alles im Griff und werde Euren Sohn mit all meinen Kräften vor diesen räudigen Füchsen beschützen!“

Kakeru nickte Sesshoumaru beruhigt zu. Dies genügte, um diesem zu signalisieren, dass es Katô gut ging.

Kimie brauchte einen Moment, um zu begreifen, was gerade geschehen war. Katô lebte? Es ging ihm gut? Sie seufzte erleichtert und fühlte die Anspannung wie eine tonnenschwere Last von ihrer Brust abfallen. Ein Glück... Ihrem kleinen Sohn war nichts passiert. Hätte sie vorher geahnt, dass dieser Wächter in Wirklichkeit ein verwandelter Kitsune gewesen war... Wäre Katô aufgrund dessen tatsächlich etwas zugestoßen, hätte sich Kimie das für den Rest ihres Lebens niemals verziehen.

„Kuro!“, sprach Sesshoumaru den obersten General der Füchse schließlich wieder mit eiskalter Stimme an. „Allein für diesen schändlichen Versuch, meinen Sohn zu töten, sollst du einen qualvollen Tod erleiden!“

Und nicht nur dieser... Auch die anderen Füchse sollten ebenso dran glauben müssen! Und selbst, wenn Aoshi nicht hier persönlich anwesend war, so sollte auch er teuer dafür bezahlen!

„Ihr... ihr elenden Feiglinge!“, schimpfte Kimie, welche sich inzwischen weitestgehend von dem Schock erholt hatte, auf einmal voller Zorn in Richtung der Kitsune. „Wenn ihr unbedingt kämpfen wollt, dann haltet euch gefälligst an ebenbürtige Gegner, anstatt euch an wehrlosen Kindern zu vergreifen! Und ihr wollt Männer sein und bezeichnet euch selbst auch noch als Krieger?! Pah! Lächerlich! Das ich nicht lache!“

Diese so offensichtliche Beleidigung verfehlte ihre Wirkung nicht. Welcher Mann, noch dazu ein Soldat oder Krieger, ließ sich gerne als Feigling beschimpfen? Und dann wagte es auch noch eine Menschenfrau so offensiv, Youkai zu beleidigen.

Kimie war das jedoch im Moment ziemlich egal. Die Wut über ihre eigene Sorglosigkeit überwog da fast gegenüber der Wut, die sie für die Füchse empfand. Und dieses Gefühl ließ sie ohne groß nachzudenken ihr Schwert, aus dessen Klinge bereits wieder Blitze zuckten, erheben. Als würde sie von dem Schwert geführt werden, drehte sich Kimie einmal um die eigene Achse und holte aus. Die Blitze, die aus der Schwertklinge kamen, schlossen sich zusammen und formten einen Drachenkopf, der mit aufgerissenem Maul direkt in die Reihen der Gegner einschlug und deren Formation gehörig aufwühlte.

Noch immer von ihrer Wut beherrscht, hatte Kimie offenbar gar nicht so richtig mitbekommen, was sie gerade gemacht hatte. Allerdings spürte auch Kagome diese unsagbare Wut in sich. Es war ja eine Sache, wenn im Kampf Soldaten und Krieger aufeinander losgingen, aber Kinder da mit hineinzuziehen, war das Letzte und einfach nur feige!

Noch neben ihrer Cousine stehend, bemerkte Kagome plötzlich, dass deren Schwert auf einmal eine weitere Reaktion zeigte. Verdutzt blickte Kimie auf die Waffe in ihrer Hand. Ihr Schwert... Es pulsierte!

Kimie erinnerte sich. So etwas war schon mal passiert. Früher, als...
 

* ~ * ~ * ~ * ~ *
 

Saori verstand die Welt nicht mehr. Warum nur hatte ihr Vater Kuro vollkommen freie Hand gelassen und tat nichts gegen dessen scheinbar so willkürlichen Entscheidungen? Und wieso kämpften sie alle auf einmal gegen Sesshoumaru und dessen Leute?

Die Entführung des kleinen Menschenmädchens allein war bereits etwas gewesen, dass die Prinzessin nicht hatte nachvollziehen können. Und jetzt griff Kuro auch noch gemeinsam mit den Kriegern ihres Vaters Sesshoumarus Schloss an. Aber zu welchem Sinn und Zweck?

Saori wollte auf diese Fragen endlich Antworten erhalten. Doch hatte sie ihren Vater bereits seit mehreren Tagen nicht mehr zu Gesicht bekommen. Er hatte sich in seine Privaträume zurückgezogen und verweigerte jeglichen Besuch den Zutritt. Sogar Wachen hatte er vor seinen Türen postiert, die nicht mal Saori bisher den Zugang zu ihrem eigenen Vater hatten gewähren wollen.

Dieses Mal allerdings wollte sich die Prinzessin nicht aufhalten lassen. Entschlossen durchquerte sie die Gänge des Schlosses, bis sie an den Gemächern ihres Vaters ankam. Als die beiden Wächter sie erblickten, kamen sie gar nicht dazu, das Wort zu ergreifen, denn Saori hob mit einer schlichten, aber mehr als deutlichen Geste ihre Hand, welche die Wächter zum Schweigen veranlasste.

„Ich befehle Euch, mir auf der Stelle den Weg freizumachen! Ich möchte zu meinem Vater. Und es ist mir gleich, was er euch angeordnet hat.“

„Saori-sama, wir...“

„Aus dem Weg! Das ist ein Befehl eurer Prinzessin!“

Die Wächter waren unschlüssig. Konnten sie ihrer Prinzessin, der erstgeborenen Tochter ihres Herrn, wirklich den Zutritt verwehren? Andererseits konnte sich Saori ihren Weg auch selbst suchen, denn die Macht dazu hätte sie. Da sie eine solche Situation vermeiden wollten, gaben die Wächter nach und traten von der Tür weg.

Saori nickte ihnen zu und betrat die Räumlichkeiten ihres Vaters, welchen sie vollkommen regungslos unterhalb des Fensters an der Wand sitzen sah.

„Vater! Verzeiht, dass ich mir ohne Euer Einverständnis Zugang zu Euren Privaträumen verschafft habe, aber ich kann nicht länger tatenlos bei dem zusehen, was geschieht! Vater!“

Aoshi jedoch zeigte keinerlei Regung. Nahm er seine Tochter überhaupt nicht wahr? Es wirkte, als wäre sein Geist überhaupt nicht mehr in dieser Welt.

„Vater?“ Saori trat näher an ihn heran. Immer wieder sprach sie mit ihm, erhielt aber weder eine Reaktion noch gar eine Antwort. Der Prinzessin war klar, hier stimmte etwas nicht. Aber was ging hier nur vor? Zudem hatte sie das Gefühl, eine unheilvolle Aura zu spüren, die wie ein dunkler Schatten über den Raum lag.

„Was geht hier vor? Verehrter Vater... Ich bitte Euch...! Wollt Ihr... wirklich nichts unternehmen...?“, sprach Saori Aoshi abermals an. Konnte sie mit ihren Worten vielleicht zu ihm durchdringen? Aber so sehr sie es auch versuchte, es schien aussichtslos...
 

* ~ * ~ * ~ * ~ *
 

Das drohende Herannahen eines mächtigen Sturmes... So hörte es sich an, als dumpfe Klänge - an das Schlagen gewaltiger Schwingen erinnernd - in der Luft widerhallten, bis ein ohrenbetäubendes Brüllen über das Gebiet schallte. Und mitten drin eine Stimme, die rief: "Hafuu Retsuzan!"

Wie eine scharfe Klinge bahnte sich ein kräftiger Windstoß seinen Weg mitten durch die Gruppen der verfeindeten Parteien. Ein donnerndes Geräusch ließ die Anwesenden ihre Blick zum höchsten Punkt des Schlosses aufblicken. Dort auf dem Dach war ein gewaltiges Ungetüm gelandet; ein schwarzer Flugdrache mit gigantischen Schwingen, dessen Silhouette sich vor dem am Nachthimmel stehenden Mond abzeichnete. Und auf seinem Rücken trug er einen Reiter.

„Hm! Kaum ist man ein paar Jahre weg, da schafft ihr Hunde es auch schon, euch neuen Ärger einzuhandeln. Aber dass ausgerechnet du mal einen alten Feind um Hilfe bitten würdest, Sesshoumaru...“

Vom Sattel seines Reittieres aus ließ Akuma seinen Blick schweifen. Das letzte Mal, als er hier gewesen war, hatte es ein ähnliches Szenario gegeben. Nur war die Rollenverteilung eine etwas andere gewesen.

Trotz oder gerade wegen der nun doch recht unerwartet eingetroffenen Hilfe, hielt sich Sesshoumarus Begeisterung darüber, seinen einstigen Feind erneut zu erblicken, merklich in Grenzen.

„Du bist spät dran, Akuma. Wie unzuverlässig“, war daher nur seine ebenso kühle wie trockene Erwiderung. Und Akuma war nicht alleine hergekommen. Auf den Dächern neben ihm ließen sich nun die Flugdrachen von Jin und Yu nieder. Der Rest von Akumas Gefolge zog bedrohliche Kreise am Himmel und beobachtete von dort wie Raubvögel auf der Lauer nach Beute das Geschehen.

In den Reihen der Füchse machte sich Unruhe breit.

„Das sind doch... die Ryû-Youkai!?“

„Ja, aber warum sind die hier? Hatten sie sich nicht längst nach China zurückgezogen?“

Ein Raunen machte die Runde. Was hatte dies zu bedeuten? Was machten die Drachen auf einmal hier und wieso mischten sie sich in das Kampfgeschehen ein?

Indes ließ Akuma seinen Blick aufmerksam schweifen. Füchse... An sich sollte man meinen, das wären keine allzu starken Gegner, doch diese Kitsune hier waren anders. Man spürte die starke magische Begabung, die von ihnen ausging, und gerade war es auf dem ersten Blick nicht möglich, zwischen ihnen und den Inu-Youkai zu differenzieren.

„Ich gehe nicht davon aus, dass dein Gefolge auf einmal die Kunst der Vervielfältigung beherrscht, Sesshoumaru. Oder dass du auf einmal deinen verschollenen Zwillingsbruder gefunden hättest“, merkte Akuma gelassen an, ehe er Yu ein Zeichen gab. „Yu, zerstöre die Illusionen!“

Während er auf dem Rücken seines Flugdrachens verblieb, hob Yu seine geschlossene rechte Hand. Nachdem er diese geöffnet hatte, pustete er mit einem leichten Hauch etwas von seiner Handfläche. Feiner Blütenstaub fiel schimmernd vom Himmel herab, und als die Kitsune mit ihm in Berührung kamen, konnten sie ihre Verwandlungen nicht länger aufrecht erhalten und nahmen ihre wahres Aussehen wieder an. Auch war es ihnen unmöglich, ihre Gestalt abermals zu verändern.

„Ein Gegenzauber!? Dieses verdammte Zeug!“, fluchte Kuro. Dieser elende Blütenstaub haftete hartnäckig an ihm und seinen Leuten.

„Gut, das wäre erledigt. Fangen wir an“, meinte Akuma nun, woraufhin Jins Flugdrache ein bedrohliches Fauchen verlauten ließ und auch Jin selbst brannte auf den Kampf.

„Na, das sieht doch nach Spaß aus. Da können wir uns mal wieder so richtig austoben.“

„Kannst du denn noch immer so kraftvoll zuschlagen wie einst, Jin?“, fragte Yu seinen Kameraden, welcher nun sein Reittier antrieb.

„Probieren wir es aus!“

Im Steilflug schoss Jins Flugdrache wieder in den Himmel empor, Jin selbst ließ sich von dessen Rücken fallen und flog dicht am Schloss entlang Richtung Boden, während er - in einen Feuerwirbel gehüllt - seine Drachengestalt annahm. Kurz vor dem Boden bog der silberfarbene Drache in den waagerechten Flug ein und preschte mitten in die Gruppe der Kitsune. Der kraftvolle Wind seiner Schwingen ließ Unmengen Schnee wie eine weiße Wand aufwirbeln, aus welcher plötzlich ein kraftvoller Feuerstrahl erschien, welchen Jin seinen Gegnern entgegen schickte. Augenblicklich brachten sich die Füchse auf Abstand. Um sich aber offenbar selbst nicht allzu schnell den Spaß zu verderben, legte Jin seine Drachengestalt wieder ab und zog stattdessen sein Schwert, mit welchem er sogleich ausholte und einen grellen Blitz mitten in seine Gegner schickte.

„Tenryû Shinrai!“

Begleitet von einer lauten Explosion ging der kraftvolle Blitz in der Gruppe der Feinde nieder. Ein ordentlicher Kampf, das war genau nach Jins Geschmack.

„Immer übertreiben...“, seufzte Yu leicht, aber so war Jin nun mal. Immer mit dem Kopf durch die Wand, aber zumindest funktionierte es, denn er hielt die Füchse gut in Schach. Die Kitsune waren von dieser unerwarteten Situation noch reichlich überrumpelt und mussten sich erst mal neu formieren.

Nachdem sich die Überraschung über das plötzliche Auftauchen der Ryû-Youkai ein wenig gelegt hatte, suchte Kimie den Himmel ab, an welchem noch die Flugdrachen und die meisten von Akumas Leuten ihre Kreise zogen. Doch konnte sie jemand Bestimmtes nicht unter ihnen entdecken. Takeshi... Wo war er? War er nicht hier? Nein, es sah nicht so aus. Aber wieso? Warum fehlte er?

Akuma gab seinem Flugdrachen den Befehl, hinunter auf den Hof zu fliegen. Das gewaltige Tier glitt scheinbar schwerelos mit ausgebreiteten Schwingen zu Boden und der Youkai stieg aus dem Sattel. Die Gegner zunächst gänzlich ignorierend, richtete er das Wort an Sesshoumaru: „Ich hoffe, wir haben das Beste nicht schon verpasst. Aber besser zu spät als nie, nicht wahr?“

Wie affektiert... Allerdings war Sesshoumaru von diesem Auftritt Akumas alles andere als überrascht. Zudem war im Augenblick nicht der richtige Zeitpunkt, sich darüber aufzuregen.

„Hm! Mach dich lieber nützlich, anstatt zu reden!“, entgegnete Sesshoumaru daher kühl.

„Das habe ich bereits“, meinte Akuma souverän. „Und wenn ich mich nicht täusche, müsste sich schon sehr bald etwas ergeben.“

Etwas ergeben? Was sollte das bedeuten?

„Bis es so weit ist, sollten wir uns vielleicht noch ein wenig um diese Füchse kümmern.“

Akumas Blick schweifte durch die Reihen der feindlichen Youkai, welche ihrerseits einen vorsichtigen Abstand zu den Drachen einhielten. Einer der Kitsune trat an Kuro heran.

„General! Was sollen wir tun? Damit haben wir nicht gerechnet.“

In der Tat. Die Situation hatte sich geändert. Der ursprüngliche Plan war allein schon durch das Auftauchen der Ryû-Youkai fehlgeschlagen. Doch so einfach wollte Kuro nicht aufgeben und sich zurückziehen.

„Verdammte Köter! Euch Hilfe von den Drachen zu holen... Aber das wird euch auch nichts nützen!“, knurrte er erzürnt.

Die Situation mit einem abschätzenden Blick beobachtend, merkte Sesshoumaru wenig später auf. Etwas zeichnete sich in der Ferne am Himmel ab und näherte sich offenbar dem Schloss. Es war ein einzelner Flugdrache. Auch Akuma schaute nun in jene Richtung.

„Ah! Das ging in der Tat schneller, als ich vermutet hätte. Gut, mein Bruder scheint seinen Auftrag demnach erfüllt zu haben.“

Bruder? Das hieß, er meinte...!

Der Flugdrache kam näher und endlich konnte man seinen Reiter sehen.

„Das ist Takeshi!“, erkannte Kimie sofort. Also war er doch hier! Doch war Takeshi nicht allein. Vor ihm im Sattel saß noch jemand.

„Sesshoumaru-sama!“ Freudig sprang Rin von dem Rücken des Flugdrachen, nachdem dieser auf dem Hof gelandet war, und lief auf Sesshoumaru zu, der es anfangs offenbar kaum glauben konnte.

„Rin!“

Sie lebte! Und sie schien unverletzt und wohlauf zu sein. Aber weshalb war sie bei Takeshi gewesen? Sollte das etwa heißen, die Ryû-Youkai hatten sie gerettet?

„Und, Takeshi? Gab es Probleme?“, fragte Akuma seinen Bruder, welcher nun ebenfalls von seinem Reittier stieg, gelassen.

„Nein, alles lief gut. Es war sogar einfacher, als gedacht...“
 

* ~ Rückblick ~ *
 

Voller Angst hatte sich Rin in eine Ecke ihrer Zelle verkrochen, als dieser Kitsune diese betrat und mit bedrohlichen Schritten auf sie zukam.

„Du kommst mit!“

Mit diesen Worten packte er das Mädchen und trug es unter seinem Arm hinaus. Verwundert beobachtete einer der Wächter, was sein Kamerad machte.

„Wo bringst du die Kleine hin?“

„Eine Anweisung des Generals.“

Aoshis Gefolgsmann brachte Rin aus den unterirdischen Gefilden des Kerkers und schließlich hinaus ins Freie.

„Lass mich los! Lass mich gehen!“, rief sie und versuchte sich mit verzweifeltem Strampeln zu befreien. Doch dieser Youkai hielt sie eisern fest. Aber... wo brachte er sie hin? Er verließ mit ihr das Schloss und schlug den Weg in die Wälder ein. Außerdem benahm er sich irgendwie seltsam. Rin fiel auf, dass er die ganze Zeit nur starr nach vorne blickte, ohne sich von irgendetwas ablenken zu lassen. Auch hatte er bisher keinerlei Reaktion auf ihre Befreiungsversuche gezeigt.

Plötzlich und für Rin vollkommen unvermittelt blieb der Kitsune stehen. Als sie zum ihm aufblickte, sah sie ihn sich verwundert umschauen.

„Was...? Wie bin ich hierher...?“ Der Youkai war irritiert. Was machte er hier, noch dazu mit diesem Menschenkind?

„Gut gemacht“, erklang mit einem Mal eine fremde männliche Stimme. Als der Kitsune sich entsprechend umdrehte, konnte er nur kurz einen Blick auf seinen plötzlich wie aus dem Nichts erschienenen Gegenüber erhaschen, als dieser seine rechte Hand erhob und mit dem Zeigefinger seine Stirn berührte.

„Und jetzt... schlafe.“
 

* ~ Rückblick ende ~ *
 

Takeshi hatte Rin mit Hilfe seines Manipulationszaubers befreit, indem er die Kontrolle über einen der Kitsune übernommen und diesen gesteuert hatte. Der Umstand, dass das Mädchen ausgerechnet von den Ryû-Youkai, doch dazu von Akumas jüngerem Bruder gerettet worden war, stieß insbesondere Sesshoumaru mehr als sauer auf.

„Hm! Deine Manipulationen scheinen offenbar genau so wirksam wie einst zu sein. Vielleicht sogar noch besser...“, meinte er daher nur äußerst kühl an Takeshi gerichtet. Nichts desto trotz war er natürlich froh darüber, dass es Rin gut ging. Um sie nicht weiter unnötig zu gefährden, wies er Ashitaka an, sich mit ihr ins Innere des Schlosses zu begeben, bis die Füchse fort wären.

Kuro ballte die Hand zur Faust. Verflucht! Damit hatte er nicht gerechnet. Dass die Inu-Youkai ausgerechnet Unterstützung von den Ryû-Youkai erhielten, mit welchen sie so lange verfeindet gewesen waren...

Kuro gefiel es zwar nicht, aber es schien, als wäre der Kampf zumindest dieses Mal verloren. Doch so einfach wollte er nicht aufgeben... Und auf keinen Fall würde er sang- und klanglos den Rückzug antreten! Deshalb startete er noch einen Angriff und schickte seinen Gegnern einen gewaltigen Feuerwirbel entgegen.

Alarmiert trat Takeshi vor und formte mit der Klinge seines Naginata in einer kreisenden Bewegung einen großen Ring, der augenblicklich Feuer fing.

„Hinotama (Feuerball)!“

Aus dem Zentrum des Ringes schoss ein Feuerball hinaus, der einen langen Flammenschweif hinter sich herzog und wie ein Komet dem feindlichen Angriff entgegenflog. In einer gewaltigen Stichflamme explodierend, prallten Takeshis und Kuros Feuerangriffe aufeinander. Es dauerte ein wenig, ehe sich das Feuer wieder zu legen begann. Nachdem es wieder erloschen war, war von den Füchsen nichts mehr zu sehen.

Takeshi ließ sein Naginata wieder sinken.

„Sie sind geflohen...“

Zumindest fürs Erste. Doch es war bestimmt noch lange nicht vorbei.

Von Jins Seite war ein missmutiges Knurren zu vernehmen.

„Tse! Wie armselig ist das denn? Einfach abzuhauen...“

Er war doch gerade erst warm geworden! Natürlich könnte er jetzt einfach ein paar dieser Hunde aufmischen, um seine überschüssige Energie abzubauen, aber das wäre wohl nicht in Akumas Sinn gewesen. Warum dieser überhaupt entschieden hatte, herzukommen... Das hatte Jin noch immer nicht nachvollziehen können, aber er stellte die Entscheidungen seines Herrn nicht in Frage.

Ein leises Seufzen entwich hingegen Kimie. Die Füchse waren erst mal fort... Endlich. Nach wie vor steckte ihr noch der Schreck von der Sache mit Katô in den Gliedern. Zum Glück war das noch mal gut gegangen.

Als Kimie wieder aufschaute, drehte sich gerade Takeshi in ihre Richtung um und lächelte ihr zu.

„Es ist lange her, nicht wahr? Kimie...“

In einem Anflug von überschwänglicher Freude und Erleichterung kam sie auf ihn zu und ergriff seine Hand.

„Ja, das ist es. Es ist so schön, dich wiederzusehen, Takeshi!“

Obwohl einige Jahre vergangen waren, schien sich an der Vertrautheit zwischen ihnen beiden nicht viel verändert zu haben. Im Gegenteil, Takeshi spürte in seinem Inneren die gleiche Wärme wie damals. Aber etwas anderes hatte sich verändert. Kimie... Takeshi sah sofort, dass sie an Reife gewonnen hatte. Und sie sah wunderschön aus.

Auch Kimie fiel auf, dass Takeshi sich ebenfalls verändert hatte. Damals war er ungefähr so groß wie sie selbst gewesen, doch jetzt überragte er sie um einen guten Kopf. Und auch sonst wirkte er erwachsener, sowohl vom Aussehen als auch von seiner Art her. Davon jedoch mal abgesehen, war dieses Wiedersehen für Kimie wirklich etwas ganz Besonderes. Ja, sie freute sich, Takeshi nach der langen Zeit wiederzusehen.

Sich ansehen zu müssen, wie vertraut die beiden miteinander umgingen, ließ Jin genervt aufseufzen.

„Hmpf! Diese Gefühlsduselei... Das nervt mich jetzt schon!“

Aus dem Seitenwinkel schaute Kimie für einen Moment zu dem Youkai rüber. Na ja, den hätte Akuma ruhig in China lassen können...

Kimie und Takeshi so „Händchen halten“ zu sehen, mochte Sesshoumaru zwar nicht sonderlich gefallen, doch richtete er jetzt erst mal das Wort an seinen einstigen Feind: „Ich war eigentlich der Meinung, dich nicht mehr erwarten zu müssen, Akuma.“

„Habe ich dich warten lassen? Verzeih, aber ich habe es mir erlaubt, zunächst ein wenig über dein Bittgesuch nachzudenken. Es kam doch ziemlich unerwartet. Dass du gerade auf mich zukommen würdest, Sesshoumaru... Ich gehe jedoch nicht davon aus, dass dies deine Idee gewesen ist.“

Nein, so etwas passte nicht zu Sesshoumaru. Er ging nicht zu jemandem hin und bat diesen um Hilfe. Mal abgesehen davon war der Inhalt seines Briefes auch ziemlich direkt gewesen. Es war weniger eine Bitte, als viel mehr eine forsche Aufforderung gewesen, wenn man es überhaupt so nennen konnte. Eine Tatsache, die Akuma selbst im Nachhinein noch amüsierte. Von daher ließ er es sich nicht nehmen, den besagten Brief hervorzuholen und zu präsentieren.

„Ein eigenwilliges Schreiben, sowohl von der Länge als auch vom Inhalt her. Kurz und knapp. Was sollte mir eigentlich der Wortlaut 'Glaube nicht, ich wäre auf deine Hilfe angewiesen! Mir wäre es nur recht, wenn du bleibst, wo du hingehörst, aber ich entscheide in diesem Fall nicht für mich allein' sagen? Machst du dir etwa ernsthaft solche Sorgen um deine Leute? Sieht dir gar nicht ähnlich, dass so zuzugeben.“

Sesshoumaru entriss Akuma den Brief augenblicklich, was dieser mit einem belustigten Lächeln kommentierte. Stimmt, Akuma konnte die genauen Hintergründe nicht kennen, weil Sesshoumaru in keinster Weise darauf eingegangen war. Auch hatte er mit keinem Wort seinen Sohn erwähnt, aber das ging diesen Kerl auch überhaupt nichts an!

Akuma zuckte mit den Schultern. „Wie auch immer... Ich denke nicht, dass diese Sache bereits ausgestanden ist.“

Er wandte seinen Blick in jene Richtung, in welcher die Kitsune zuvor verschwunden sein mussten.

„Wer sind die eigentlich?“, fragte Jin, wobei er gelangweilt die Arme hinter dem Kopf verschränkte. „Und seit wann lassen sich Hunde von Füchsen so vorführen? Könnte es sein, dass dieser erbärmliche Haufen hier in den letzten Jahren ziemlich nachgelassen hat?“

Sogleich schlugen ihm von Seiten der Inu-Youkai allerhand missmutige Blicke entgegen. Akuma deutete seinem Gefolgsmann mit einem Blick an, dass dieser sich ein wenig zurückhalten sollte, ehe er sich wieder Sesshoumaru zuwandte.

„Magie hat so ihre Tücken. Dein Clan versteht sich mehr auf den Einsatz von Waffen. Die Idee, uns herzubitten, war gar nicht mal so dumm. Wir beherrschen immerhin beides ziemlich gut.“

„Machst du dich über uns lustig?“, fragte Sesshoumaru leicht gereizt, da dieser letzte Kommentar seitens Akuma diesen Unterton gehabt hatte. Akuma winkte jedoch ab.

„Mitnichten, Sesshoumaru. Sei nicht so empfindlich.“

„Hm! Und woher wusstest du überhaupt das mit Rin?“

Stimmt, Akuma musste darüber Bescheid gewusst haben, ansonsten hätte er Takeshi nicht losgeschickt, damit dieser das kleine Mädchen befreite.

Akuma verwies mit einem Blick auf Takeshi.

„Mein Bruder hat es mir mitgeteilt.“

Als er Kimies fragenden Blick bemerkte, erklärte Akumas Bruder ihr den Zusammenhang: „Ehrlich gesagt, sind wir schon seit zwei Tagen hier in Japan, doch haben wir diese Füchse zunächst beobachtet. Daher wussten wir das mit dem Mädchen.“

„Ich bat Takeshi, diese Füchse ein wenig im Auge zu behalten. Er ist ein guter Informationsbeschaffer“, merkte Akuma an, ehe er wieder zu Sesshoumaru schaute. „Zunächst war ich mir nicht sicher, ob du wirklich ausgerechnet unsere Hilfe benötigst, Sesshoumaru, zumal einer wie du nicht einfach so einfach um Hilfe bittet. Aber die Tatsache, dass dein wertvolles kleines Menschenmädchen entführt werden konnte... Ich wollte wissen, wie das geschehen konnte und ob du vielleicht ein wenig nachgelassen hast.“

„In der Hoffnung, dass du mich vielleicht doch im Kampf besiegen könntest?“, fragte Sesshoumaru abschätzend.

„Typisch von dir, gleich das Schlimmste anzunehmen“, erwiderte Akuma, schüttelte dann aber den Kopf. „Nein, das war nicht meine Intention, hierher zu kommen. Genauer gesagt, war ich sogar geneigt, dein Bittgesuch einfach zu ignorieren. Aber mein kleiner Bruder hat mich dazu bewegt, noch mal darüber nachzudenken...“
 

* ~ Rückblick ~ *
 

Abschätzend las Akuma die Zeilen des Briefes, den er in den Händen hielt, zum wiederholten Mal. Ein Schreiben aus Japan, noch dazu von Sesshoumaru... Was ging da nur vor?

Akuma hätte lügen müssen, hätte er behauptet, er wäre nicht neugierig gewesen. Dass ein starker Youkai-Clan immer wieder mal in einen Kampf verwickelt wurde, war nichts Neues, aber was mochte vorgefallen sein, dass ausgerechnet Sesshoumaru ein Bittgesuch verfasst hatte?

„Was ist los, Akuma?“

Takeshis Stimme ließ Akuma aufschauen. Wortlos händigte er seinem Bruder den Brief aus, woraufhin dieser die Zeilen aufmerksam las. Wenngleich sich ihm der sehr knapp gehaltene und nicht wirklich vielsagende Inhalt nicht auf der Stelle erschloss, hatte Takeshi sofort diesen Verdacht.

„Ist dies ein Schreiben von Sesshoumaru?“, fragte er, was Akuma mit einem Nicken bejahte.

„Ich habe keine Ahnung, was dort los ist, aber scheinbar hat er Probleme von nicht allzu geringem Ausmaß. Sonst hätte er sich niemals dazu herabgelassen, ausgerechnet mir ein solches Schreiben zukommen zu lassen.“

Eingehend beobachtete Akuma, wie Takeshis Augenmerk auf dem Brief ruhte.

„Stimmt etwas nicht, Takeshi?“, fragte er, erhielt jedoch keine Antwort. Takeshi hatte ein ungutes Gefühl bei dieser Sache. Sesshoumaru bat doch nicht einfach so jemanden um Hilfe, geschweige denn einen ehemaligen Feind! Was geschah jenseits des Meeres in den westlichen Ländern Japans? Ob vielleicht...?

„Akuma, wir...“

„Ah! Ich weiß schon. Du machst dir Sorgen um diese Frau, nicht wahr? Sesshoumarus Gefährtin.“

Natürlich hatte Akuma seinen Bruder schnell durchschaut. Takeshi hatte seine Gefühle für Kimie nie abgelegt und dachte noch immer an sie. Es war allerdings nicht so, als hätte er ihr seither nachgetrauert, weil sie nie an seiner Seite würde sein können. Er vergrub sich nicht in Liebeskummer, sondern wusste, auf vernünftige Weise damit umzugehen. Angesichts seines noch so jungen Alters war das schon bemerkenswert gewesen.

„Möchtest du zu ihr? Glaubst du, sie ist in Gefahr?“

„Ich weiß es nicht, aber ich habe ein schlechtes Gefühl...“ Takeshi schaute seinem Bruder fest in die Augen. „Ich muss wissen, was da vor sich geht, Akuma! Wenn du nicht nach Japan willst, von mir aus. Ich kann auch allein dorthin gehen.“

„Allein, ja? Und was willst du dort so ganz allein machen?“

„Es geht mir vorrangig um Kimie. Ich muss wissen, ob ihr etwas zugestoßen ist! Und wenn Sesshoumaru sie nicht beschützen kann, dann werde ich das eben tun!“

Akuma hob leicht eine Augenbraue. Wie utopisch war das denn? Takeshi hatte in den vergangenen Jahren zwar einiges dazugelernt, doch stärker als Sesshoumaru war er deshalb noch lange nicht, und das wusste er auch selbst. Aber für diese Frau würde Takeshi wohl sogar durch das Höllenfeuer gehen. Und vielleicht war ihr ja wirklich etwas passiert. Das würde zumindest diesen Brief erklären. Takeshi musste wissen, was passiert war. Kimie... Wenn sie wirklich in Gefahr war...

Natürlich hätte Akuma seinen Bruder wirklich allein losschicken können, aber dazu war er zugegebenermaßen selbst zu neugierig darauf, zu erfahren, was in den westlichen Ländern vor sich ging.

Nach einer Weile richtete Akuma erneut das Wort an Takeshi: „Takeshi, sag den anderen Bescheid. Wir gehen nach Japan.“
 

* ~ Rückblick ende ~ *
 

„Ich war besorgt und war mir nicht sicher, ob du nicht auch in Gefahr sein könntest. Und hätte Akuma nicht eingewilligt, wäre ich in der Tat auch allein hergekommen“, erzählte Takeshi Kimie zum Schluss noch. Ohne dass sie es wollte, wurde sie daraufhin ein wenig rot.

„Älter geworden bist du zwar, aber deshalb noch lange nicht vernünftiger, was?“, fragte Akuma seinen Bruder amüsiert. So viele Umstände wegen einer Frau hinzunehmen...

Auch Jin konnte dies nicht nachvollziehen, wenngleich er das deutlich abfälliger zeigte.

„Alles nur wegen der da? Ernsthaft?“, fragte er verständnislos.

Yu kam um ein amüsiertes Lächeln nicht herum. Ihm war klar, dass sein Kamerad alles andere als begeistert war.

„Im Grunde hast du doch keinerlei Grund, dich zu beklagen, Jin“, entgegnete Yu. „Immerhin hast du die Möglichkeit erhalten, mal wieder zu kämpfen. Und noch ist es schließlich nicht vorbei.“

„Mag ja sein, aber trotzdem...“

Ausgerechnet an der Seite dieser Hunde kämpfen? Das war doch grotesk... Geradezu erniedrigend!

„Kannst ja wieder gehen, wenn's dir hier nicht passt.“

Augenblicklich horchte Jin auf, als er diese Bemerkung seitens Kimie vernommen hatte.

„Hast du gerade etwas gesagt?“, fragte er bedrohlich in ihre Richtung.

„Sofern du nicht auf einmal taub geworden bist.“

Diese freche Erwiderung! Jin unterdrückte nur mühsam ein verärgertes Knurren.

„Hm! Ihr Köter haltet offenbar nichts davon, euren Frauen zu zeigen, wo sie ihren Platz haben?“, meinte er stattdessen abfällig an die Inu-Youkai gerichtet.

Kimie jedoch lächelte nur selbstsicher.

„Hast du schon mal was davon gehört, dass Männer, die ihre Frauen an der kurzen Leine halten, im Grunde einen extremen Minderwertigkeitskomplex haben, den sie auf diese Weise zu kompensieren versuchen?“

Zumindest hatte sie das mal irgendwo aufgeschnappt und fand den Gedanken an sich gar nicht so abwegig. Außerdem empfand sie diese Antwort als schlagfertiger, als wenn sie patzig geworden wäre. Und Jins Reaktion schien ihr recht zu geben. Er wirkte alles andere als amüsiert.

„Du kleine...!“

„Jin! Lass es gut sein! Und achte ein wenig auf deine Wortwahl“, wies Akuma seinen Gefolgsmann schließlich in seine Schranken, auch weil Sesshoumaru bereits Anstalten machte, Jin eigenhändig zum Schweigen zu bringen.

Missmutig knurrend verkniff sich Jin jeden weiteren Kommentar, obwohl er sich Kimie zu gerne ein wenig zur Brust genommen hätte. Dieses Weib... Sie war noch genau so unausstehlich und unverschämt wie damals!

„Ich entschuldige mich für ihn, Sesshoumaru. Nimm es ihm nicht allzu übel“, meinte Akuma gelassen an den Inu-Youkai gerichtet, welcher alles andere als amüsiert zu sein schien.

„Sag deinen Leuten lieber, dass sie sich zurückhalten sollen, sonst garantiere ich für nichts, Akuma.“

Zugegeben, man konnte nicht behaupten, dass es keinerlei Spannungen gab. Nichts desto trotz machte es nicht den Anschein, als würden die Inu-Youkai und die Ryû-Youkai Gefahr laufen, wie die Berserker aufeinander loszugehen. Und ein paar Querschläger gab es schließlich überall...

„Sesshoumaru-sama.“

Kakerus Stimme ließ Sesshoumaru sich zur Eingangstür des Schlosses umdrehen, aus welcher sein Gefolgsmann soeben heraustrat.

„Kakeru... Was gibt es zu berichten?“

„Der Kitsune, der in das Schloss eingedrungen war, wurde in den Kerker gebracht. Anstatt ihn zu töten, erachtete ich es als nützlicher, ihn zunächst zu verhören. Und falls Ihr Euch noch Sorgen wegen Eures Sohnes machen solltet, so lasst mich Euch beruhigen. Er hat keinen Kratzer davongetragen.“

Kakeru sprach vollkommen ruhig und wie selbstverständlich im Beisein der Ryû-Youkai über Sesshoumarus Sohn. Früher oder später hätten diese das sowieso bemerkt. Doch angesichts dieser im Augenblick so vollkommen unvorhergesehenen Neuigkeiten, konnte man selbst in Akumas Gesicht die Überraschung ablesen. Sesshoumaru war Vater?

„Ach, ich verstehe. So ist das also... Das hast du demnach in der Zwischenzeit getrieben, Sesshoumaru. Du bist eben doch nur ein Mann, hm?“

Der Inu-Youkai ließ diese Bemerkung, die es so offensichtlich zum Ziel gehabt hatte, ihn lächerlich zu machen, im Sande verlaufen. Auf keinen Fall wollte er auf Akumas Sticheleien eingehen. Das wäre ja noch schöner!

Jin hingegen verspürte auf einmal so ein gewisses Gefühl von Übelkeit in sich hochkommen.

„Yu... Sag mir, dass ich mich eben verhört habe.“

Ein Hanyoubalg? Ernsthaft? Zugegeben, damit hätte man zwar rechnen können, aber wirklich die Gewissheit zu haben...

Auch Takeshi war von diesen Neuigkeiten ziemlich überrumpelt. Kimie war... Mutter? Sie hatte ein Kind mit Sesshoumaru?

Kimie selbst versuchte erst mal, über all das hinweg zu lächeln.

„Vielleicht sollten wir unsere Gäste erst mal hinein bitten?“, schlug sie stattdessen vor. Außerdem mussten so gesehen einige Dinge geklärt werden.

„Ich bin mir ja nicht ganz sicher, ob das gut gehen wird...“, murmelte Inu Yasha in sich hinein. Die Inu-Youkai und die Ryû-Youkai alle unter einem Dach? Sollten diese fliegenden Echsen wirklich Stress machen, wäre er jedoch auf jeden Fall zur Stelle, um ihnen eine Lektion zu erteilen.

Die Bitte einer Prinzessin

Kritisch begutachtete Sesshoumaru die Rußrückstände an den Wänden des Zimmers, die Jakens Feuerattacke mit dem Kopfstab verursacht hatte.

In dem felsenfesten Glauben, sein Herr würde ihn für sein Handeln garantiert bestrafen, kniete Jaken in gebeugter Haltung auf dem Boden und wagte nicht, seinen Blick zu erheben. Währenddessen stand Kimie mit Katô im Arm schweigend daneben.

„Ich bitte Euch untertänigst um Vergebung, Sesshoumaru-sama... Ich weiß, ich hätte viel sorgsamer handeln müssen und nicht einfach drauf losschlagen dürfen...“, wiederholte Jaken immer wieder angstvoll, allerdings war nicht ganz klar, ob er Sesshoumaru damit langsam aber sicher auf die Nerven ging. Der Inu-Youkai stand mit dem Rücken zu seinem Diener, aber auch so zeigte sein Gesicht keinerlei Regung.

Als sich Sesshoumaru letzten Endes doch umdrehte, hielt Jaken vor Schreck die Luft an. Noch immer hob er seinen Blick nicht. Vielmehr erwartete er, dass sein Herr ihn jeden Augenblick in seine Einzelteile zerlegen würde.

Jaken erstarrte regelrecht, als Sesshoumaru direkt vor ihm stehen blieb, und wagte nun doch, nach oben zu schauen. In den Augen des Youkai war keinerlei nennenswerte Regung zu sehen gewesen. Und noch immer sagte er kein Wort. Jaken packte die Panik.

„Gaah! Seht mich bitte nicht nur so schweigend an! Werdet lieber wütend! Wenn Ihr Eure Wut zurückhaltet, verunsichert mich das nur noch mehr! Werdet doch bitte einfach richtig sauer auf mich! Das würde mir so vieles erleichtern...“

Während der Krötendämon das sagte, verbeugte er sich immer und immer wieder vor Sesshoumaru. Doch anstatt etwas zu sagen oder gar etwas zu tun, schritt dieser nur wortlos an seinem Diener vorbei und verließ den Raum. Verdutzt schaute Jaken auf. War Sesshoumaru weggegangen, weil er sich erst noch überlegen wollte, wie er ihn zu bestrafen gedachte? Aber für so etwas musste Sesshoumaru doch normalerweise nicht extra nachdenken... Oder wollte er seinen Diener nur besonders leiden lassen, weil es um seinen Sohn gegangen war? Allein schon bei der Vorstellung dessen, was ihm Schreckliches blühen könnte, überkam Jaken das kalte Grausen. Gedanklich schloss er bereits mit seinem Leben ab...

„Jaken?“, erklang nun Kimies Stimme, was Jaken zusammenzucken ließ. Oh nein! Auch das noch... Er hatte diese Frau gerade vollkommen ausgeblendet und jetzt... Ihm graute es vor der Vorstellung, Kimie könnte ihn jetzt ebenso bestrafen wie vor ein paar Monaten, als sie ihn mit ihrem Schwert aus dem Schloss geprügelt hatte. Eine Erfahrung, auf die Jaken gut und gerne hätte verzichten können...

„Uhm... Ja...?“, erwiderte er unsicher, als er sich zu ihr umdrehte. Doch zu seiner großen Überraschung und Irritation lächelte Kimie ihn an.

„Vielen Dank dafür, dass du da warst und Katô gerettet hast!“

Jaken stutzte und sein Blick spiegelte deutlich sichtbare Verwirrung wider. Wie bitte? Hatte sich Kimie gerade bei ihm bedankt? Machte sie sich über ihn lustig? Nein, schien nicht so... Sie meinte es ernst!

Mit einer Mischung aus noch leichter Unsicherheit und Verlegenheit wandte Jaken den Blick letztendlich ab.

„Ähem... Nicht der Rede wert“, entgegnete er räuspernd.
 

Sesshoumaru hatte es zwar nicht ausgesprochen, aber er hatte nicht vor, Jaken für irgendetwas zu bestrafen. Immerhin hatte er mit seinem Einschreiten Katô vor einem schlimmeren Schicksal bewahrt. Die Schäden im Zimmer ließen sich leicht beheben. Aber seinem Diener danken... So etwas lag Sesshoumaru fern. Überhaupt widerstrebte es seiner Natur, sich bei irgendjemanden für irgendetwas zu bedanken.

„Jaken ist ziemlich nervös. Er befürchtet wohl, du filetierst ihn zum Abendessen.“

Kimies Stimme ließ Sesshoumaru aufmerken. Gerade kam sie mit Katô auf dem Arm zu ihm rüber.

„Sesshoumaru? Zeig mir doch bitte mal den Brief.“

Als sie seinen fragenden Blick bemerkte, wurde Kimie konkreter: „Den Brief, den du Akuma geschrieben hast. Ich möchte ihn gerne lesen.“

Warum sie den Brief unbedingt sehen wollte, erschloss sich Sesshoumaru zwar nicht, doch zeigte er ihr diesen nach einem Moment, woraufhin sie ihm Katô übergab, ehe sie das Schreiben las:

„Akuma,

ich halte mich nicht mit langen Erklärungen auf. Dazu fehlen mir die Zeit und die Lust.

Zwar hatte ich mich schon damals damit abgefunden, dein Gesicht nie wieder sehen zu müssen, allerdings zwingen mich die momentanen Umstände dazu, diesen Schritt widerwillig zu tun.

Glaube jedoch nicht, ich wäre auf deine Hilfe angewiesen! Mir wäre es nur recht, wenn du bleibst, wo du hingehörst, aber ich entscheide in diesem Fall nicht für mich allein.

Komm her oder lass es bleiben! Aber erwarte keine Gastfreundschaft!“

Das war alles gewesen? Keine Erklärungen oder dergleichen? Nicht mal eine Unterschrift...

Kimie drehte das Papier sogar einmal, aber die Rückseite war unbeschriftet. Korrespondenz schien nicht unbedingt Sesshoumarus Stärke zu sein. Oder er hatte sich bei Akuma einfach keine Mühe geben wollen.

„Ein wenig... harsch“, kommentierte Kimie irgendwann. „Wenigstens ist die Handschrift ansehnlich. Aber du hast nicht mal unterschrieben.“

„Akuma wusste auch so, dass ich es war, der den Brief verfasst hat. Das genügte.“

Sesshoumaru sprach gewohnt kühl, doch irgendwie fiel es Kimie schwer, ihm diese Einstellung im Moment abzukaufen. Das lag vorrangig an der Tatsache, dass er mit einem Baby auf dem Arm bei weitem nicht so bedrohlich und unnahbar rüber kam, wie er vielleicht selber es gerne wollte. Das schien auch Sesshoumaru rasch klar zu werden. Spätestens, als er Kimies amüsierten Gesichtsausdruck bemerkte. Trotzdem sah er keinen Anlass, seinen Sohn irgendwo abzulegen. Stattdessen behielt er ihn noch eine Weile auf dem Arm.
 

Subaru trug seinen verbundenen Arm in einer Schlinge und würde ihn erst mal für eine Weile ruhen lassen müssen. Glücklicherweise verheilten auch Brüche bei Youkai relativ schnell.

Irgendwann bemerkte er, wie sich jemand seinem Zimmer näherte und vor seiner Tür stehen blieb. Nur anklopfen tat derjenige nicht, und das eine ganze Weile.

Subaru wusste längst, wer da vor seiner Tür stand. Und um die Person endlich zu erlösen, ging er schließlich zur Tür und öffnete sie.

Yukina, welche soeben ihren ganzen Mut hatte zusammennehmen und anklopfen wollen, verharrte augenblicklich, als Subaru ihr so unvermittelt öffnete.

„Uhm, ich... Ich hoffe, ich störe Euch nicht“, entschuldigte sie sich.

„Was ist los, Yukina?“, fragte er sie ruhig.

„Ich wollte... mich bei Euch dafür bedanken, dass Ihr mir das Leben gerettet habt. Und außerdem wollte ich mich entschuldigen. Es tut mir Leid, dass Ihr meinetwegen in diesen Kampf verwickelt und verletzt wurdet.“

Dass Yukina extra deswegen zu ihm gekommen war, wunderte Subaru nicht wirklich. Allerdings wirkte sie reichlich nervös. Um ihr eventuell ein wenig die Nervosität zu nehmen, lächelte Subaru sie an.

„Kein Grund, sich zu entschuldigen. Entspann dich ein wenig. Nach der letzten Aufregung tut dir das gewiss gut.“

„Mh... Ja, Subaru-sama.“

„Und nenn' mich doch einfach bei meinem Namen, in Ordnung? Das habe ich dir doch schon mal gesagt.“

„Ah! Es tut mir Leid... Das habe ich vergessen.“

Subaru verkniff sich ein Kopfschütteln.Yukina war ja völlig durch den Wind, wobei das auch irgendwo wieder süß war. Er wusste ja, dass sie nicht gerade selbstbewusst war und dass allein ihr Besuch hier bei ihm sie eine Menge Überwindung gekostet haben musste.

„Möchtest du vielleicht kurz reinkommen?“, schlug Subaru Yukina nach einem Moment vor, ohne sich etwas dabei zu denken. Yukina jedoch wurde allein bei der bloßen Vorstellung knallrot.

„Was? Ich... Nein! Äh, ich meine... ja! Nein, Moment! Eigentlich... muss ich noch arbeiten.“

Arbeiten? Mitten in der Nacht? Yukina merkte selbst, wie dumm diese Aussage gewesen war. In ihrer aufkommenden Panik fiel ihr nichts Besseres ein, als das Gespräch auf der Stelle zu beenden. Deshalb verabschiedete sie sich rasch von Subaru, verbeugte sich vor ihm und eilte davon, verfolgt von seinem verwunderten Blick.

Als Yukina am Ende des Ganges um die Ecke bog, wurde sie schon von Miyuki, die sich die ganze Zeit über hier versteckt hatte, erwartet.

„Und? Wie ist es gelaufen?“, wollte sie sofort wissen. Immerhin hatte sie Yukina im Vorfeld hierher geschleppt, damit diese mit Subaru sprach.

„Schrecklich...“, seufzte Yukina resignierend. „Ich habe mich vollkommen lächerlich gemacht! Ich wünschte, ich wäre tot...“

„Erzähl keinen Unsinn, Yukina!“, tadelte Miyuki ihre Freundin. „So etwas geht nicht von heute auf morgen. Lass den Kopf nicht hängen, hörst du?“

Allerdings schien das doch eine ziemlich harte Nuss zu werden. Miyuki hatte sich das alles ein wenig einfacher vorgestellt. Es war jedoch nicht so, dass sie Yukina gar nicht verstehen konnte. Sie selbst hatte schließlich auch lange gebraucht, um gegenüber Ashitaka ihre wahren Gefühle preiszugeben. Und Yukina war von Natur aus sehr schüchtern und unsicher. Trotzdem oder gerade deshalb wollte Miyuki sie nicht hängen lassen. Irgendwie bekämen sie beide das schon hin! Auch wenn es ein wenig dauern sollte.
 

Ein Teil von Akumas Leuten zog es vor, sich während des Aufenthaltes im Territorium der Inu-Youkai außerhalb des Schlosses einzurichten, doch blieben sie alle in unmittelbarer Umgebung. Nur wenige nahmen die freien Zimmer im Schloss in Anspruch. Zu ihnen gehörten Yu und Jin, wobei Letzterer mehr widerwillig mitten unter den Hunden blieb. Yu hingegen sah die Angelegenheit gelassener und nutzte den Augenblick der im Moment eingekehrten Ruhe, die aktuelle Situation ein wenig eingehender zu beleuchten. Dabei galt seine besondere Aufmerksamkeit der Tatsache, dass Sesshoumaru seit kurzem einen gemeinsamen Sohn mit Kimie hatte. Natürlich bot so etwas Gesprächsstoff.

„Wie der Vater, so der Sohn. Wer hätte das gedacht? Obwohl es abzusehen gewesen war. Das Mädchen hat sich allerdings gemacht. Sie ist zwar nur ein Mensch, trotzdem lässt es sich nicht leugnen, dass sie seit damals hübscher geworden ist. Außerdem ist sie sehr schlagfertig mit ihren Worten.“

Jin, der mit hinter dem Kopf verschränkten Armen am offenen Fenster auf der Fensterbank saß, teilte diese Meinung seines Kameraden nicht unbedingt.

„Pah! Dieses Weib ist einfach nur arrogant und vorlaut!“, entgegnete er genervt. „Sie bildet sich ein, dass keiner ihr etwas anhaben kann, so lange sie Sesshoumaru als ihren Wachhund bei sich hat. Und er ist so erbärmlich und macht dabei auch noch mit. Da wird einem ja kotzübel! Ich verstehe bis heute nicht, wie Takeshi-sama auch einen Hauch von Sympathie für diese Frau empfinden kann...“

Eine Frohnatur wie eh und je... Yu machte sich nicht die Mühe, sein amüsiertes Lächeln zu verstecken.

„Vielleicht würde es dir helfen, wenn auch du dich ein wenig mehr den Frauen zuwenden würdest?“, schlug er Jin vor, woraufhin dieser ihn aber nur ziemlich verwundert anschaute.

„Ich? Was soll ich denn mit einer Frau?“

„Oh? Dann vielleicht lieber einen Mann?“

„Wa...? Spinnst du!? Lass diese geschmacklosen Scherze, Yu! Da wird einem ja schlecht!“

Jin war sich dessen bewusst, dass Yu das alles nur sagte, um ihn zu aufzuziehen. Nein, weder für das eine und noch weniger für das andere hatte er im Moment Interesse. Weibliche Gesellschaft konnte ja unter Umständen ganz unterhaltsam sein, aber im Grunde waren Frauen einem doch nur ein Klotz am Bein! Und auch sonst lagen seine Vorlieben ohnehin ganz woanders und hatten gewiss nichts mit so einer dummen Gefühlsduselei zu tun.

Als sein Kamerad sich nach draußen wandte, merkte Yu auf.

„Jin? Was hast du vor?“

„Es ist mir hier zu ruhig und friedlich. Mir reicht's! Ich brauche etwas Abstand von dem ganzen Zeug hier. Ich geh jagen...“

„Solltest du da nicht vorher um Erlaubnis bitten? Schließlich ist das hier nicht unser Territorium.“

Jin blickte über seine Schulter zurück zu Yu. Um Erlaubnis BITTEN? Er?! Etwa bei Sesshoumaru?

„Wenn die Köter damit ein Problem haben, sollen sie ruhig kommen! Ich gebe mich auch gerne mit Hundefleisch zufrieden.“

Mit diesen Worten stieß sich Jin von der Fensterbank ab und flog Richtung Wälder. Yu trat nun an das offene Fenster. Typisch... Jin ließ sich nur von einem etwas sagen und das war Akuma.

Allerdings schien Jin seit dem letzten Kampf gegen die Inu-Youkai noch öfter schlecht gelaunt zu sein. Offenbar hatte er sich noch immer nicht damit abgefunden, dass er niemals erfahren würde, ob er Renhou jemals im Kampf hätte besiegen können. Dabei lag das Ganze schon lange zurück...
 

Da Sesshoumaru noch einige Dinge mit Akuma zu bereden hatte, war Kimie bei Katô geblieben. Wenig später hatte sich Takeshi zu ihr gesellt, zumal er auch einen Blick auf das Baby hatte werfen wollen. Dass der Kleine Sesshoumarus Sohn war, war in der Tat unverkennbar gewesen.

„Mutter, hm? Irgendwie ist es seltsam, dich so zu sehen“, fand Takeshi, während er so mit Kimie zusammensaß und sie Katô in den Armen hielt. Dass sie tatsächlich ein Kind hatte... Er musste zugeben, ein wenig merkwürdig fühlte er sich schon dabei, unter diesen Umständen so neben ihr zu sitzen. Es war allerdings nicht so, dass er sich unwohl fühlte.

Kimie lächelte ein wenig verlegen.

„Findest du? Na ja, aber nicht nur ich scheine mich ein wenig verändert zu haben. Als du von hier weggingst, waren wir beide fast gleich groß. Jetzt überragst du mich um gut einen Kopf. Außerdem bist du viel stärker geworden, wie mir scheint.“

„Findest du? Dann hat sich das harte Training ja gelohnt“, lachte Takeshi. „Ich hatte in China die Möglichkeit, meine Magie noch etwas mehr zu erweitern und zu verbessern.“

„Wie gefällt es dir denn da so? Hast du dich schnell eingelebt?“

„Ja, schon. Eigentlich unterscheidet sich das Leben dort nicht sonderlich von dem, das ich bis dahin hier geführt hatte. Allerdings verstehe ich mich inzwischen mit Akuma deutlich besser.“

„So? Das freut mich für dich.“

Das tat es wirklich. Kimie war erleichtert, dass Takeshi offenbar gut zurechtkam. Aber er war ja auch kein kleiner Junge, den man immer bei der Hand nehmen musste. Das hatte er schon damals unter Beweis gestellt.

Takeshi hingegen war schon vorhin die Kette aufgefallen, die Kimie um ihren Hals trug. Es war jene Kette, die er ihr vor seinem Weggang geschenkt hatte.

„Du hast den Anhänger also noch immer“, stellte er fest, was ihn durchaus freute.

„Natürlich! Oder dachtest du, ich hätte ihn weggeworfen?“, fragte Kimie lächelnd.

Nein, das hatte Takeshi in der Tat nicht gedacht. Trotzdem freute es ihn, dass sie das Schmuckstück nach wie vor in Ehren hielt.

Irgendwann fiel Kimies Blick auf das Schwert, welches Takeshi an seinem Gürtel trug. Irgendwie kam es ihr bekannt vor. Eigentlich war sie sich sogar sehr sicher bezüglich dessen, wo und wann sie es schon mal gesehen hatte.

„Sag mal, Takeshi... Dieses Schwert... Ist das...?“

„Hm? Ja, das ist Renhous Schwert. Ich trage es seit damals bei mir“, antwortete Takeshi. Er hatte schon an Kimies Gesichtsausdruck bemerkt, dass diese die Waffe wiedererkannt hatte.

Nachdenklich ruhte Kimies Augenmerk eine Zeit lang auf dem Schwert. Gut konnte sie sich noch daran erinnern, wie Renhou damals gestorben war. Ausgerechnet er, der Takeshis engster Vertrauter gewesen war, fast wie ein großer Bruder; der große Bruder, den Takeshi so lange nicht gehabt hatte.

„Hmm... Es sieht nicht so aus, als hättet ihr bereits drei neue Hüter gefunden, oder?“, fragte Kimie nach einem Moment weiter. Immerhin hatten die Ryû-Youkai im damaligen Kampf neben Renhou ja auch den Verlust von Toba und Rokou hinnehmen müssen. Drei ihrer fünf Hüter...

„Nein, aber so einfach ist das auch nicht“, antwortete Takeshi ihr. „Ich habe Akuma mal genauer danach gefragt. Demnach werden wir möglicherweise keine neuen Hüter für Wasser, Feuer und Erde finden, da jeder Hüter seine Aufgabe an seinen Nachfolger weitergeben müsste. Aber dazu hatten Toba, Rokou und Renhou ja nicht die Gelegenheit.“

Kimie merkte auf. So war das also?

„Dann bleiben also wirklich nur noch Jin und Yu?“

„So scheint es wohl zu sein. Damals ist einiges schiefgelaufen. Ich frage mich noch heute, ob die Opfer nicht hätten vermieden werden können...?“

Ja, das hatte sich auch Kimie häufig gefragt. Und noch immer spürte sie jedes Mal einen Kloß in ihrem Hals, wenn sie an den Ausgang des Kampfes dachte. Als es so ausgesehen hatte, als wäre auch Takeshi dem Tode geweiht gewesen...

„Danke, noch mal“, sagte dieser plötzlich, woraufhin Kimie ihn fragend anschaute.

„Danke? Wofür denn?“

„Was du damals für mich getan hast. Obwohl das auch hätte schiefgehen können...“

Hatte er gerade ihre Gedanken gelesen? Fast hätte man diesen Eindruck bekommen können.

„Hör schon auf“, entgegnete Kimie lächelnd. „Es ist ja schließlich nicht so, als hättest du mir die ganze Zeit über überhaupt keinen Gefallen getan. Ich hatte nicht viele Möglichkeiten, mich bei dir für deine Hilfe erkenntlich zu zeigen. Außerdem... wollte ich nicht, dass du stirbst.“

Takeshi erwiderte ihr Lächeln und beobachtete sie und Katô wieder eine Zeit lang.

„Übrigens... Während ich die Füchse ein wenig überwacht habe, habe ich erfahren, das Sesshoumaru mit deren Prinzessin verlobt gewesen sein soll. Ist das wahr, Kimie?“

„Was? Uhm... Ja, das stimmt“, gab sie nach kurzem Zögern zu. „Er hatte es mir nie gesagt und deswegen hatten wir so einige Differenzen.“

Kimie erläuterte Takeshi, was in den letzten Monaten geschehen war. Und er war doch ziemlich überrascht, das zu hören. Dann hatte Sesshoumaru Kimie die ganze Zeit über wirklich kein einziges Wort gesagt? Wie lange hatte er denn vorgehabt, es ihr zu verheimlichen? Hätte er sich nicht denken können, dass das früher oder später ohnehin herausgekommen wäre?

Takeshi wollte sich lieber nicht vorstellen müssen, was Kimie in dieser Zeit alles durch den Kopf gegangen sein musste. Hinzu war ja gekommen, dass sie schwanger gewesen war.

„Hm... Auch, wenn er dieser Verlobung nie seine Zustimmung erteilt hat, hätte er es dir dennoch erzählen sollen. Dann wäre vermutlich einiges anders verlaufen“, fand Takeshi. Auch wenn Sesshoumaru kein Freund der großen Worte war, das hätte er Kimie nicht verheimlichen dürfen.

„Zumindest hätte mich diese ganze Sache in dem Fall nicht so vor den Kopf gestoßen“, erwiderte Kimie nachdenklich, lächelte dann aber. „Ja, es hätte vermutlich wirklich einiges erleichtert. Aber mittlerweile ist alles wieder in Ordnung, was ihn und mich betrifft.“

Und darüber war sie mehr als froh. Wenn jetzt nur noch dieses Problem mit den Füchsen geklärt werden könnte...

Kimie und Takeshi schauten auf, als sich irgendwann die Schiebetür öffnete. Sesshoumaru hatte seine Unterredung mit Akuma beendet und war zurückgekommen. Es war für ihn keine große Überraschung, Takeshi an der Seite seiner Gefährtin zu sehen. Er hatte die Anwesenheit den jungen Ryû-Youkai schon längst wahrgenommen.

Wortlos stand Takeshi auf.

„Nun gut, ich denke, ich geh dann mal. Gute Nacht, Kimie.“

„In Ordnung. Gute Nacht, Takeshi.“

Als er an Sesshoumaru vorbeiging, neigte Takeshi leicht sein Haupt, ehe er auf den Flur hinaus trat. Unvermittelt schloss Sesshoumaru die Tür wieder und hielt ihn auf dem Flur noch mal auf: „Warte!“

Der junge Ryû-Youkai blieb stehen und drehte sich um.

„Denk nicht, ich hätte es nicht bemerkt. Hast du sie also noch immer nicht aufgegeben?“, fragte Sesshoumaru ganz direkt und ohne großes Gerede.

Takeshi, der im ersten Moment ein wenig überrascht schien, zuckte – begleitet von einem leichten Lächeln – mit den Schultern.

„Aufgegeben... Ich habe nicht vor, Kimie gewaltsam von Eurer Seite zu reißen. Doch wenn Ihr sie je unglücklich macht, werde ich zur Stelle sein.“

„Hm! Dann habe ich ja nichts zu befürchten.“

Nein. Jemand, der mit linken Tricks an sein Ziel zu kommen versuchte, so einer war Takeshi nicht. Und da Sesshoumaru nicht vor hatte, Kimie einen Grund zu geben, sich von ihm abzuwenden, sah er in den jungen Ryû-Youkai auch keine wirkliche Gefahr. Auch wenn dieser jetzt wohl wieder häufiger in Kimies Nähe wäre.

„Mit Eurer Erlaubnis ziehe mich nun zurück“, sagte Takeshi und verbeugte sich leicht, ehe er seinen Weg fortsetzte. Sesshoumaru kehrte indes in seine Privaträume zurück.

„Stimmt etwas nicht?“, fragte Kimie ihn sogleich.

„Nein, alles in Ordnung.“

Sesshoumaru beäugte seine Gefährtin und seinen Sohn einen Moment lang eingehend. Kimie ließ Katô überhaupt nicht mehr allein. Vermutlich steckte ihr der Schreck vom Angriff der Füchse noch in den Gliedern, weshalb sie sich nicht traute, den Kleinen unbeaufsichtigt zu lassen.

„Katô wird nichts geschehen. Du solltest dich beruhigen.“

„Hm... Ich weiß, aber...“ Kimies Blick richtete sich auf das Kind in ihren Armen. „Es tut mir so leid... Ich hätte Katô nie einfach so allein lassen dürfen. Wenn ihm wirklich etwas passiert wäre...“

Sie stoppte, als sie spürte, wie Sesshoumaru ihr über das Haar strich.

„Denk nicht darüber nach. Es war nicht deine Schuld“, sagte er ruhig. Sesshoumaru machte Kimie keine Vorwürfe. Daran hatte er nicht mal eine Sekunde lang gedacht. In seinen Augen hatte sie nichts Falsches getan. Sie hatte schließlich nicht wissen können, dass dieser Wächter ein verwandelter Kitsune gewesen war. Und wenn man bedachte, dass die Verwandlungen der Füchse so perfekt waren, dass sie sogar den eigenen Geruch und die eigene Aura verändern konnten, hätte vermutlich nicht mal Sesshoumaru auf Anhieb die Täuschung durchschaut.

Sein nachdenklicher Blick glitt irgendwann zurück zur Tür.

„Er hat sich verändert.“

„Wer?“, fragte Kimie verwundert.

„Akumas Bruder. Ich habe ihn noch gut in Erinnerung.“

Das war Sesshoumaru schon von Anfang an aufgefallen. Takeshi war offenbar nicht nur stärker geworden, sondern hatte auch an Reife gewonnen. Und sicherlich war auch Kimie das nicht entgangen.

Bevor er eventuell genauer darüber nachdenken konnte, klopfte es an der Tür und einer der Bediensteten erschien. Respektvoll verneigte er sich.

„Sesshoumaru-sama, ich habe Eure Anweisung ausgeführt“, teilte er seinem Herrn mit, welcher ihm zunickte.

„In Ordnung.“

Nachdem sie wieder unter sich waren, schaute Kimie Sesshoumaru fragend an.

„Was für eine Anweisung?“

„Da Jaken in seinem Übereifer den Schlafbereich beinahe eingeäschert hätte, habe ich angeordnet, ein anderes Zimmer vorzubereiten, in dem du und Katô schlafen werdet, bis die Schäden behoben wurden. Auch Rin soll erst mal bei euch bleiben.“

„Übereifer? Immerhin hat Jaken unseren Sohn gerettet“, gab Kimie zu bedenken. Und sicherlich war sich auch Sesshoumaru dessen bewusst, aber seinen Diener dafür loben oder ihm danken? Dazu würde es wohl niemals kommen.

Sesshoumaru selbst würde zunächst auf Schlaf verzichten. Nachdem er aufgestanden war, ohne etwas auf die letzte Aussage seiner Gefährtin erwidert zu haben, half er Kimie auf die Beine.

„Du gehst rüber in das vorbereitete Zimmer. Ich hole Rin“, wies er sie an und machte sich direkt auf den Weg. Kimie verkniff sich ein leises Seufzen, lächelte aber, während sie ihm noch kurz nachblickte. Diesen gewissen Befehlston würde Sesshoumaru wohl nie ganz ablegen. Aber sie wusste ja, wie seine Worte gemeint gewesen waren, also ging sie mit Katô, welchen sie zuvor in seinen Weidenkorb gelegt hatte, rüber in das besagte Zimmer. Der Kleine war inzwischen eingeschlafen und schien die Aufregung der letzten Stunden bereits wieder vergessen zu haben.

Einige Zeit später betrat auch Sesshoumaru das Zimmer. In seinen Armen trug er die schlafende Rin. Offenbar war sie nach all der Aufregung und allem, was sie in den letzten Tagen erlebt hatte, schrecklich müde gewesen. Wen wunderte das?

Sesshoumaru legte das Mädchen auf eines der vorbereiteten Schlaflager ab und deckte es sorgsam zu. Rin schlief so tief und fest, dass sie nicht mal mitbekam, wie er ihr noch mal sanft über die Wange strich.

„Nach all der Aufregung wird sie sicherlich gut schlafen“, meinte Kimie lächelnd. Sie selbst wollte sich auch so langsam hinlegen, da sie inzwischen deutlich spürte, wie die Müdigkeit sie überkam.

„Du solltest dich auch schlafen legen“, meinte Sesshoumaru. Es war bisher eine nervenaufreibende und viel zu kurze Nacht gewesen. Kimie sollte dringend ein wenig Schlaf nachholen. Und genau das hatte sie auch vor. Wenigstens ein paar Stunden Schlaf wollte sie nach all der Aufregung noch haben.
 

In der Zwischenzeit hatte sich Takeshi in den ihm zugeteilten Räumlichkeiten zurückgezogen. Genau genommen waren es die Räume, die sowohl ihm als auch seinem Bruder Akuma zugewiesen worden waren. Und eigentlich müsste dieser auch bald hier auftauchen.

Einige Zeit später öffnete sich die Tür und Akuma betrat das Zimmer.

„Ich habe den anderen noch einige Anweisungen erteilt, aber fürs Erste dürfte alles erledigt sein“, erzählte er Takeshi, während er das Fenster öffnete und sich auf das Fensterbrett setzte. „Und? Wie lief die erste Unterhaltung mit deiner alten Flamme, kleiner Bruder?“

Seine alte Flamme? Typisch, dass Akuma das so bezeichnete, weshalb Takeshi leicht lächelte.

„Lass den Quatsch, Akuma. Sag mir lieber, wie deine Unterredung mit Sesshoumaru gelaufen ist.“

Akuma erzählte seinem Bruder daraufhin, was er von Sesshoumaru erfahren hatte, und das war einiges. Angefangen vom ersten Auftauchen der Kitsune bis hin zum Tod von Taiga und den jüngsten Ereignissen.

„Zumindest wissen wir jetzt, was eigentlich los ist. Allerdings kann auch ich mir keinen genauen Reim darauf machen, warum die Füchse auf einmal so ausgerastet sind.“

„Möglicherweise gekränkte Eitelkeit? Kämpfe wurden schon aus den unmöglichsten Gründen begonnen“, meinte Takeshi. Und da Sesshoumaru die Verlobung mit der Prinzessin der Füchse wegen Kimie und dem gemeinsamen Kind als nichtig erklärt hatte, wäre das zumindest ein möglicher Grund für all den Ärger.

„Kann sein, aber vielleicht kommen wir noch dahinter. Auch was den Tod des Prinzen der Füchse betrifft“, überlegte Akuma. Denn natürlich war auch dieser Umstand ein möglicher Grund für die plötzliche Feindseligkeit der Kitsune.

Einen Moment lang beobachtete Takeshi seinen Bruder eingehend.

„Sei ehrlich, Akuma, interessiert du dich wirklich dafür?“

Die Arme hinter dem Kopf verschränkend lehnte sich Akuma an den Fensterrahmen.

„Weniger für den Fall an sich, aber ich interessiere mich für die Abgründe, die dahinter stecken könnten. So etwas offenbart einem doch erst die finstersten Gedanken eines Einzelnen, findest du nicht auch?“

„Hmm...“

Takeshi schwieg dazu. Sein Bruder mochte zwar umgänglicher geworden sein, doch ein gewisser Sadismus war ihm immer noch eigen.

„Und, Takeshi? Wie ist er denn so?“

„Hm? Wen meinst du?“

„Sesshoumarus Sohn, natürlich. Was macht der Kleine auf dich für einen Eindruck?“

„Er ist doch noch ein Baby, Akuma. Und überhaupt, warum interessiert dich das?“

„Reine Neugier. Es interessiert mich eben.“

Nun gut, dass Akuma sich für Sesshoumarus Erben interessierte, war an sich keine Überraschung. Trotzdem...

„Akuma... Du hast doch nicht irgendwas vor, oder?“, fragte Takeshi nach kurzem Zögern vorsichtig nach. Denn so richtig war sein Bruder manchmal nach wie vor nicht einzuschätzen. Selbst für Takeshi.

„Keine Sorge, Brüderchen“, winkte der Ältere jedoch ab. „Ich bin nicht hergekommen, um Streit mit Sesshoumaru zu suchen, auch wenn wir beide in diesem Leben gewiss keine Freunde mehr werden. Aber wie ich damals schon sagte, sollten 1000 Jahre der Feindschaft genug sein, selbst für Youkai. Und daran halte ich mich auch.“

Diese Aussage beruhigte Takeshi zugegebenermaßen. Und er hatte auch nicht den Eindruck, als ob Akuma ihm gerade etwas vorgemacht hätte.
 

Die restlichen Stunden der Nacht über blieb es ruhig. Sowohl die Inu-Youkai als auch die Ryû-Youkai hatten das Schloss und die Umgebung überwacht, doch hatten sie nichts mehr von den Kitsune entdecken können.

Nach Anbruch des Morgens hatte sich Miroku mit Kirara auf dem Weg zurück zum Dorf gemacht, um Sango, Kaede und Shippou von dem zu berichten, was sich zugetragen hatte. Rin sollte auf Sesshoumarus Anweisung hin erst mal im Schloss bleiben, vorrangig zu ihrem eigenen Schutz. Ansonsten bestand die Gefahr, dass diese Füchse sie wieder in ihre Gewalt brachten und dem wollte Sesshoumaru das Mädchen kein weiteres Mal aussetzen. Sie sollte erst ins Dorf zurückkehren, sobald diese Angelegenheit erledigt wäre.

Nachdem er noch einige Dinge erledigt hatte, kam Sesshoumaru in die Räumlichkeiten zurück, wo Kimie, Rin und Katô noch seelenruhig schliefen. Rin hatte sich während der Nacht an Kimie gekuschelt, welche ihrerseits einen Arm um das Mädchen gelegt hatte. Daneben lag Katô friedlich in seinem Bettchen.

Alles, was Sesshoumaru in seinem Leben am meisten bedeutete, befand sich hier in diesem Zimmer. Ohne jemanden zu wecken, setzte er sich neben das Schlaflager und beobachtete seine schlafende Familie.

Nach einer Weile vernahm Sesshoumau von Katô eine kleine Regung. Es schien, als wachte der Kleine als Erster auf. Eingehend beobachtete der Youkai seinen Sohn, als dieser die Augen öffnete und seinen Vater nicht minder interessiert anschaute.

Nach einem Augenblick des Zögerns nahm Sesshoumaru Katô auf die Arme. Das hätte letzte Nacht auch schiefgehen können. Allein die bloße Vorstellung fachte Sesshomarus Wut auf die Füchse erneut an. Dass sie es versucht hatten, seinem Sohn etwas anzutun! Der Kitsune, den Kakeru unschädlich gemacht hatte, befand sich noch gut bewacht in einer Zelle im Kerker. Doch mit ihm wollte sich Sesshoumaru erst zu gegebener Zeit befassen. Zudem bezweifelte er es ohnehin, dass der Kerl einfach plaudern würde. Trotzdem wollte Sesshoumaru ihn noch gehörig in die Mangel nehmen. Und auf keinen Fall würde er dabei zurückhaltend vorgehen...
 

Nach dem Aufstehen und dem Frühstück hatte sich Kimie direkt in den Trainingsraum des Schlosses verzogen. Bereits seit einer Stunde hielt sie sich hier auf und versuchte, den Angriff, den sie in der Nacht mit ihrem Schwert ausgeführt hatte, zu wiederholen. Aber es tat sich nichts, egal, was sie auch versuchte. Im besten Fall bekam sie gerade mal einen kleinen Blitz hin, der kaum ausreichte, um einen Grashalm zu beeindrucken, sofern man angesichts der Schneedecke von so etwas reden konnte.

Resignierend seufzend ließ Kimie ihr Schwert irgendwann sinken.

„War wohl reiner Zufall... Schade...“

Zumal der Angriff ganz schön Power gehabt hatte. Weitaus mehr als das Raigeki. Wenn sie diese Technik in Zukunft gezielt einsetzen könnte, wäre das ein enormer Vorteil.

„Training ist zwar wichtig, doch du solltest es nicht übertreiben.“

Sesshoumarus Stimme vernehmen, wandte sich Kimie zu dem Youkai um, der an der Tür zum Trainingsraum stand.

„Wie lange stehst du schon da?“, fragte sie ihn überrascht.

„Lange genug. Du versuchst, den Angriff von letzter Nacht zu wiederholen?“

„Ja... Aber irgendwie will es nicht funktionieren. Wenn ich mich wenigstens genauer daran erinnern könnte, was ich gemacht habe...“

Denn so richtig war Kimie das nicht klar gewesen. Sie war in diesem Augenblick so in Rage gewesen, dass sie einfach gehandelt hatte. Kopflos und ohne nachzudenken...

„Erzwinge es nicht“, meinte Sesshoumaru. „Das führt meistens zu nichts. Das habe ich schon oft genug bei Inu Yasha beobachten können.“

Ungewollt musste Kimie bei diesem Kommentar ein wenig schmunzeln. Auch wenn die Brüder sich schon lange nicht mehr wie die Wilden bekämpften, herzlich war ihre Beziehung zueinander nach wie vor nicht. Obwohl die beiden für ihre Verhältnisse in den letzten Jahren deutliche Fortschritte gemacht hatten.

Da sie es für heute gut sein lassen wollte, steckte Kimie ihr Schwert wieder ein. Sesshoumaru hatte Recht. Es brachte nichts, wenn sie es erzwingen wollte. Stattdessen öffnete sie das Fenster ein wenig.

„Hm? Sesshoumaru, schau mal! Was ist da unten los?“, fragte Kimie und deutete nach draußen. Denn auf dem Hof hatten sich allerhand Schaulustige versammelt, sowohl aus Sesshoumarus als auch aus Akumas Gefolge. Das war ja ein richtiger Auflauf. Gab es etwa Streit?

„Wir sehen nach“, meinte Sesshoumaru sogleich und ging mit Kimie hinaus. Draußen angekommen, mischten sie sich unter die anderen.

„Was ist hier los, Tôya?“, wollte Sesshoumaru von seinem General wissen, welcher sich respektvoll vor seinem Herrn verbeugte.

„Nun, Ashitaka scheint noch eine alte Rechnung begleichen zu wollen, Sesshoumaru-sama.“

Eine alte Rechnung? Kimie blickte in die Mitte der Versammlung. Dort entdeckte sie tatsächlich Ashitaka und ihm gegenüber stand in einigen Metern Entfernung... Takeshi? Was hatten die beiden denn vor? So stand man sich doch eigentlich nur dann gegenüber, wenn man kämpfen wollte. Aber wozu sollte das jetzt gut sein? Eine alte Rechnung...

„Du brauchst nicht zurückhaltend zu sein, hörst du?“, sprach Takeshi Ashitaka an.

„Keine Sorge. Hatte ich nicht vor“, entgegnete dieser, als sie beide ihre Waffen bereit hielten und in Kampfposition gingen.

„Die kämpfen doch nicht wirklich gegeneinander, oder?“, fragte Kimie verunsichert. Denn nach Training sah das hier nicht aus.

„Es ist ein Kräftemessen“, entgegnete Sesshoumaru. „Es wird gekämpft, bis einer aufgibt oder besiegt ist.“

Und gewiss hatte er nicht vor, sich da einzumischen. Außerdem interessierte es ihn zugegebenermaßen, ob und was Takeshi gegen Ashitaka aufzubieten hatte.

Kimie und Kagome wechselten untereinander kurz ihre Blicke. Zwar glaubten sie nicht, dass die beiden sich wirklich ernsthaft etwas antun wollten, aber alles, was über einen Trainingskampf hinausging, machte sie doch in gewisser Weise nervös. Passieren konnte schließlich immer etwas...

Nur einen Augenaufschlag später gingen Ashitaka und Takeshi aufeinander los.

Bereits der erste Schlagabtausch hatte es in sich. Fast bekam man den Eindruck, als wollten die beiden den jeweils anderen wirklich in Grund und Boden prügeln. Laut klirrend stießen die Klingen der Waffen immer wieder aufeinander.

Kimie wusste nicht so recht, was sie davon halten sollte. War das so eine typische „Männersache“?

„Kimie!“

Die Stimme ihrer Cousine, die soeben zusammen mit Inu Yasha auf der Bildfläche erschien, ließ Kimie aufhorchen. Diese erklärte den beiden kurz, worum es offenbar ging, sofern sie das selbst bisher erfasst hatte.

„Ein Schaukampf? Klingt doch interessant. Mal sehen, was dabei herauskommt“, fand Inu Yasha und verfolgte das Gefecht zwischen Ashitaka und Takeshi äußerst interessiert.

„Ein alte Rechnung... Ob es um die Sache von damals geht?“, überlegte Kagome, wobei ihr der Vorfall in den Sinn kam, bei dem Takeshi Ashitaka von hinten mit seiner Waffe niedergestreckt hatte, um den Bannkreis, den dieser zum Schutz um das Schloss herum errichtet hatte, aufzulösen.

Bisher machte es den Eindruck, als wären beide Kontrahenten etwa gleichauf. Zumindest kristallisierte sich noch kein eindeutiger Favorit heraus. Allerdings schien Ashitaka die Sache schließlich beenden zu wollen und holte mit seinem Schwert aus. Takeshi wehrte den Schwertangriff mit dem Stab seines Naginata ab und setzte seine Waffe nun selbst wie eine Art Hebel ein, um Ashitaka mit genügend Schwung und Kraftaufwand rücklings zu Boden zu werfen.

Nachdem der aufgewirbelte Staub sich gelegt hatte, war das Kampfgeschehen zum Erliegen gekommen. Ashitaka lag auf dem Boden, doch sein Schwert war direkt auf Höhe von Takeshis Brust, wo sich sein Herz befand. Takeshi, welcher über Ashitaka gebeugt diesen am Boden hielt, hatte die Klinge seines Naginata hingehen so platziert, dass diese sich direkt am Hals seines Gegners befand. Egal, wer von beiden den letzten Schritt tun würde, tödlich wäre er in jedem Fall. Es sah also nach einem Unentschieden aus.

„Ziemlich gut“, fand Ashitaka anerkennend. „Ich muss gestehen, ich beeindruckt. Und dieses Mal musstest du mich nicht mal von hinten niederstrecken, so wie damals.“

„Nichts für ungut“, entschuldigte sich Takeshi. „Ich hatte auch nur meine Anweisungen, auch wenn dies keine Entschuldigung ist.“

Er ließ wieder von Ashitaka ab und half ihm beim Aufstehen.

„Vergessen wir die Angelegenheit einfach. In Ordnung?“, schlug Ashitaka vor und reichte Takeshi seine Hand, welche dieser ohne zu zögern ergriff.

„Gut. Ich danke dir.“

„Dann ging es also tatsächlich um die Sache von damals“, sah sich Kagome nun in ihrer anfänglichen Vermutung bestätigt.

„Du hast damals in der Tat für einiges Aufsehen gesorgt“, sprach Tôya den jungen Ryû-Youkai nun an. „Und streng genommen müsste ich dich auch herausfordern. Immerhin hast du mich manipuliert, damit ich Ashitaka angreife.“

Allerdings zielte Tôya es nicht darauf ab, weshalb er die Sache auf sich beruhen ließ und Takeshi ebenfalls die Hand reichte.

Die Arme vor der Brust verschränkt, hatte auch Akuma der Situation aufmerksam beigewohnt. Takeshi war kämpferisch in der Tat besser geworden. Allerdings gab es da etwas, was ihn störte. Es war zu ruhig. Akuma vermisste einen sarkastischen Kommentar von einer ganz gewissen Person.

„Yu, wo ist Jin?“

„Er wollte jagen gehen, Akuma-sama. Er brach schon in der Nacht auf und schien ein wenig gereizt. Es ist sicherlich nicht verkehrt, wenn er sich etwas austobt.“

„Das sieht ihm ähnlich. Lassen wir ihn am besten“, meinte Takeshi. Als er spürte, wie ihm jemand auf die Schulter tippte, drehte er sich um und sah Kimie hinter sich stehen.

„Takeshi? Können wir wirklich davon ausgehen, dass Jin keine Probleme machen wird?“, flüsterte sie ihm hinter vorgehaltener Hand zu. Denn von allen hier anwesenden Personen war er gewiss derjenige, der am wenigsten ihr Vertrauen genoss. Nicht, dass er noch die ganze Gegend verwüstete...

„Ist schon gut“, erwiderte Takeshi beruhigend, wobei auch er flüsterte. „Ich weiß, er ist schwierig und kann manchmal unberechenbar sein, aber er würde sich meinem Bruder nie widersetzen.“

„Hm...“ Kimie war zwar noch nicht ganz überzeugt, aber wenn Takeshi meinte, es wäre in Ordnung...

Aufmerksam beobachtete Sesshoumaru, wie nahe Kimie und Takeshi gerade zusammenstanden. Da er nicht allzu weit von ihnen entfernt stand, hatte er mitbekommen, worüber sie geredet hatten. Trotzdem... Mussten sie so nah beieinander stehen?

Als es ihm irgendwann zu bunt wurde, schritt Sesshoumaru kurzerhand ein, schnappte sich Kimie, hob sie mühelos hoch und setzte sie einen guten Meter weiter wieder ab, so dass er selbst nun genau zwischen ihr und Takeshi stand. Kimie war von der Aktion so überrumpelt gewesen, dass sie es wort- und regungslos über sich hatte ergehen lassen. Erst nachdem Sesshoumaru sie „umgeparkt“ hatte, fand sie ihre Sprache wieder: „Hey, Sesshoumaru! Was sollte das denn?“

„Du standest direkt in der Sonne. Das ist nicht gut für deine Haut.“

„Hä?“

Nicht gut für ihre Haut? Wollte er sie verschaukeln? Außerdem bekam sie jetzt auch nicht mehr Schatten ab als eben. Kimie sprach es zwar nicht aus, aber sie konnte sich denken, was Sesshoumarus wahrer Beweggrund gewesen war. Auch Takeshi schien es zu ahnen, weshalb er nur mit einem Schulterzucken lächelte.

„Übrigens, Akuma!“, richtete Sesshoumaru mit einem Mal ernst das Wort an den Anführer der Drachen. „Deine Leute und eure Reittiere sollen hier von mir aus jagen, aber wenn sie das nur zum Spaß tun, lasse ich ihnen dafür die Flügel abschlagen.“

Denn unkontrollierte Wilderei duldete Sesshoumaru nicht auf seinem Grund und Boden. Seine Ländereien waren schließlich keine Barbarenarena.

„Keine Sorge, Sesshoumaru. Wir werden deine Wälder schon nicht ausrotten, aber ich weiß nicht, wie es mit Jin aussieht...“, entgegnete Akuma in aller Ruhe, wenngleich mit diesem Unterton in der Stimme, als wollte er Sesshoumaru necken, um dessen Reaktion auszutesten. Doch außer einem kühlen Blick kam von diesem nichts zurück.

„Vielleicht solltet ihr in Zukunft doch öfter mal zu Besuch kommen. Irgendwie ist es lebhafter geworden, seit ihr hier seid“, meinte Kimie amüsiert an Takeshi gerichtet, welcher ihr belustigt zustimmte.

Als sie nach einer Weile für einen Moment nach oben schaute, entdeckte Kagome etwas am Himmel.

„Seht mal! Das ist doch Toutousai-ojii-san!“

Tatsächlich! Im gemütlichen Tempo flog alte Schmied auf dem Rücken von Mou-Mou geradewegs auf das Schloss zu. Die Tatsache, dass die Ryû-Youkai da waren, machte ihn zwar für einen kurzen Moment stutzig, doch da es nicht so aussah, als würde da unten gekämpft werden, traute er sich doch, auf dem Hof zu landen.

„Ah! Es ist schon eine Weile her, nicht wahr, meine Freunde?“, grüßte er Kagome und die anderen.

„Toutousai-ojii-san! Was machst du denn hier?“

„Ich habe bemerkt, dass hier offenbar wieder irgendetwas los ist. Also wollte ich mal vorbeischauen.“

Inu Yasha verschränkte die Arme vor der Brust.

„Da hast du dir aber ziemlich viel Zeit gelassen. Hier ist schon seit ein paar Monaten einiges los.“

„So?“ Der alte Schmied kratzte sich am Kopf, während von seiner Schulter plötzlich ein kleines Etwas direkt auf Inu Yasha zusprang und punktgenau auf dessen Nasenspitze landete.

„Inu Yasha-sama!“

Reflexartig hatte der Hanyou zum Schlag ausgeholt und schaute verdutzt auf das nunmehr plattgedrückte Wesen auf seiner Handfläche.

„Myouga-jijii? Du bist auch hier?“

Der alte Flohgeist raffte sich wieder auf und verschränkte seiner vier Ärmchen vor seinem Körper.

„Es ist zwar ganz und gar nicht die Jahreszeit für einen Floh, aber was tut man nicht alles für seinen Herrn?“

Stimmt, der Winter dürfte für Myouga alles andere als eine angenehme Zeit sein. Zum Glück war er kein gewöhnliches Insekt, ansonsten hätte er längst ziemliche Probleme bekommen.

„Es ist schön, euch mal wiederzusehen. Aber seid ihr wirklich nur hergekommen, weil ihr uns besuchen wolltet?“, fragte Kimie die beiden alten Youkai neugierig. Denn eigentlich tauchten sie doch meistens nur dann auf, wenn es dafür auch einen triftigen Grund gab.

„Nun ja, genauer gesagt, bin ich ja wegen dir hergekommen“, antwortete Toutousai der jungen Frau. „Dein Schwert. Ich würde es mir gerne mal ansehen. Die letzte Inspektion ist schließlich schon länger her. Außerdem habe ich mitbekommen, dass du zum ersten mal das Rakurai eingesetzt hast.“

„Rakurai?“, wiederholte Kimie verwundert. Meinte Toutousai diese Technik, die sie zufällig angewendet hatte? Musste wohl so sein...

„Und bei der Gelegenheit könnte ich mir auch die anderen Schwerter mal wieder ansehen“, meinte der Schmied weiter. „Besonders Tessaiga, Inu Yasha. Ich hoffe, du hast nicht schon wieder unzählige Scharten hineingeschlagen.“

Inu Yashas anfängliche Irritation bezüglich dieser plötzlichen Anschuldigung wich rasch einer gewissen Entrüstung.

„Stell mich nicht hin, als wäre ich noch immer ein blutiger Anfänger! Diese Zeiten sind lange vorbei!“

„Es ist ja schön und gut, dass du Tessaiga inzwischen so gut beherrschst, aber wie wäre es trotzdem mit ein wenig mehr Eleganz und Grazie? Schwertkampf ist schließlich eine hohe Kunst, die viel Feingefühl erfordert!“, entgegnete Toutousai ernst, als wäre er irgendein Weiser.

„Feingefühl, Eleganz und Grazie? Ich glaube, da verlangst du ein wenig viel von Inu Yasha, Toutousai-ojii-san“, meinte Kagome, wobei sie Inu Yasha neckend anlächelte und ihn leicht an einem seiner Öhrchen zog. So stark der Hanyou auch war, in dieser Disziplin würde er wohl nie einen Blumentopf gewinnen.

Nachdem er sich wieder von Kagomes Griff befreit hatte, grummelte Inu Yasha mürrisch vor sich hin. Feingefühl, Eleganz und Grazie... Wozu brauchte er denn so etwas, wenn er bisher auch ohne diesen Quatsch zurechtgekommen war?

Myouga und Toutousai hatten von den jüngsten Problemen mit den Kitsune Wind bekommen und waren vorrangig aus diesem Grund in die westlichen Länder gekommen. Besonders Myouga fand das alles mehr als seltsam. Bisher hatte es nie irgendwelche Probleme mit Aoshis Clan gegeben und auf einmal machten die einstigen Verbündeten derartige Schwierigkeiten... dem musste natürlich nachgegangen werden!

Von den anderen erfuhren Myouga und Toutousai erst mal grob, was sich weiterhin zugetragen hatte. Die Tatsache, dass Aoshis Sohn bei alldem den Tod gefunden hatte, machte die ganze Sache nicht gerade einfacher.

„O nein... Klingt nach einer verfahrenen Situation.“ Myouga schüttelte seufzend den Kopf. Erst die geplatzte Verlobung mit Aoshis älterer Tochter und dann auch noch die Sache mit seinem Sohn...

„Hey, Myouga-jijii?“, sprach Inu Yasha den Flohgeist prüfend an. „Müsstest du nicht eigentlich von dieser Verlobung zwischen Sesshoumaru und dieser Prinzessin gewusst haben, wenn mein Vater sie schon damals arrangiert hat?“

„Eh? Nun ja... Ich...“

„Lass mich raten... Du hattest es vergessen“, vermutete der Hanyou ungeniert und Myouas peinlich berührtes Schweigen schien ihn darin zu bestätigen. Aber im Grunde war das jetzt auch nicht mehr wichtig.

Dennoch wunderte sich Myouga über Aoshis Verhalten. Der Fürst der Füchse war nie dafür bekannt gewesen, streitsüchtig zu sein. Das passte alles irgendwie nicht zusammen...

„Vielleicht hat ja das Kind das Fass letztendlich zum Überlaufen gebracht“, wagte Inu Yasha in den Raum zu werfen, womit er natürlich auf Katô anspielte. Myouga und Toutousai jedoch schauten im ersten Moment reichlich verwirrt drein.

„Ein Kind? Welches Kind?“, fragten die beiden Alten wie aus einem Mund.
 

Keiner von den beiden hätte es vermutlich geglaubt, hätten sie es nicht mit eigenen Augen gesehen, aber es war wahr! Und der Beweis lag klar und deutlich vor ihnen in Form von Katô. Auf dem Rand des Weidenkorbes sitzend, begutachtete Myouga das Baby ausgiebig von allen Seiten.

„Ach, du liebe meine Güte! Ich hätte zwar damit rechnen müssen, aber wirklich daran geglaubt hatte ich nicht so recht.“

Kimie stutzte. Wie sollte sie das denn verstehen? Meinte Myouga damit, dass er nicht davon ausgegangen war, dass Sesshoumaru je eine eigene Familie haben würde? Zugegeben, der typische Kandidat für die Rolle des treusorgenden Familienvaters war er wohl nicht gerade...

„Oh, wie mich das an alte Zeiten erinnert“, begann der alte Flohgeist auf einmal zu schwärmen und hüpfte auf das Gesicht des kleinen Erben. „Es ist lange her, dass es hier in diesem Schloss ein Kind gegeben hat. Und bestimmt hat der Kleine sehr schmackhaftes Blut.“

Für diese Bemerkung fing er sich von Kimie sogleich einen mahnenden Blick ein.

„Wenn du das wagst, Myouga, trinkst du in Zukunft nur noch aus der Schnabeltasse“, drohte sie ihm mit beängstigender Ruhe, was den Flohgeist augenblicklich inne halten ließ, als er gerade eine Kostprobe von Katôs Blut hatte nehmen wollen.

„Eh... V-Vielleicht warte ich lieber, bis er erwachsen ist“, überlegte er kleinlaut.

Sich am Kopf kratzend begutachtete auch Toutousai den kleinen Katô.

„So lange sie noch so klein sind, sind sie alle niedlich. Hmm... Ich frage mich, wessen Charakter er geerbt hat?“

„Das wird sich schon noch früh genug zeigen“, meinte Inu Yasha. „Und wenn wir Glück haben, kommt er mehr nach seiner Mutter.“

Diese kleine Stichelei, die ganz klar an Sesshoumaru gerichtet war, wurde von diesem jedoch gekonnt überhört.

Indes richtete der alte Schmied wieder das Wort an Kimie: „Okay, kommen wir jetzt aber zu deinem Schwert. Zeig mal her!“

Nachdem er das Schwert ausgehändigt bekommen hatte, begutachtete Toutousai es zunächst eingehend.

„Gut gepflegt und keine Scharten... Schön, schön! Es hat aber ganz schön gedauert, bis du hinter das Rakurai gekommen bist. Ich hatte nicht damit gerechnet, das in diesem Leben noch mal zu erleben.“

„Ich danke dir für das überschwängliche Lob...“, erwiderte Kimie trocken. „Aber ein Problem habe ich trotzdem. Vorhin habe ich versucht, diesen Angriff noch mal hinzubekommen, habe es aber nicht geschafft.“

Einen Moment lang schwieg Toutousai. Es war nicht klar, was er gerade dachte, doch dann seufzte er resignierend.

„Hach... Dann habe ich dich wohl zu früh beglückwünscht. Warum bin ich nicht überrascht...?“

Diese Bemerkung brachte Kimies Augenbraue leicht zum Zucken. Okay... Einfach ganz ruhig bleiben...

„Vielleicht hat auch das Erscheinen der Ryû-Youkai einen Teil dazu beigetragen. Immerhin reagiert das Schwert auf sie.“ Toutousai legte eine Hand an sein Kinn. „Wie dem auch sei, ich kümmere mich dann mal um das Schärfen. Und was dich angeht, gib dir einfach ein wenig Mühe, dann wird das schon.“

Die Tatsache, dass im Augenblick offenbar alle gerade abgelenkt waren, wollte Myouga nutzen und krabbelte unbeobachtet auf Katôs Wange.

„Nur ein kleines Schlückchen...“, flüsterte er zu sich selbst und wollte sein Vorhaben gerade in die Tat umsetzen, als er diese unheilvolle Aura hinter sich vernahm und kurz darauf am Kragen gepackt wurde.

„Myouga...“, sprach Kimie den Flohgeist mahnend an, ehe sie ihn prompt ohne Gnade zwischen Daumen und Zeigefinger plattdrückte.

„Tja, ziehe dir nie den Unmut einer Mutter zu“, kommentierte Kagome das Ganze.
 

Für diese Nacht war unter anderem Tôya zusammen mit Ashitaka dafür verantwortlich, die Nachtwache zu übernehmen. Im Gegensatz zur Nacht davor schien es jedoch nicht so zu sein, als würde diesmal etwas Aufsehenerregendes geschehen. So kam es, dass sich bei Ashitaka irgendwann die Langeweile breit machte, während sie beide ihre Zeit auf der Schlossmauer verbrachten.

„Ich kann mir vorstellen, dass du jetzt lieber woanders wärst, hm?“, fragte Tôya seinen Freund zweideutig.

„Woanders ja, aber gewiss nicht wegen der Sache, die dir offenbar gerade durch den Kopf geht“, entgegnete Ashitaka, lächelte jedoch dabei belustigt. Ja, er wäre jetzt viel lieber bei Miyuki. Zumindest wäre es deutlich angenehmer, sich mit ihr zu unterhalten, als hier in die Dunkelheit zu starren. Andererseits war Ashitaka natürlich froh darüber, dass es heute Nacht ruhig blieb. Die letzte Nacht war schließlich nervenaufreibend genug gewesen. Und immerhin war Tôya hier, mit dem er sich unterhalten konnte.

„Hey, Tôya! Hat Miyuki-chan dir gegenüber eigentlich schon mal ein Wort darüber verloren, was sie neuerdings immer heimlich mit Yukina-chan zu flüstern hat?“

„Yukina? Ach, du meinst die Kleine, die immer so schnell nervös wird und sich kaum traut, jemanden anzuschauen. Ja, mir scheint, die beiden hecken irgendetwas aus, aber was genau das ist, kann ich dir auch nicht sagen.“

Ashitaka gähnte müde. Wenn Tôya auch keine Ahnung hatte, würde er einfach mal Miyuki direkt fragen, sobald sich dazu die Gelegenheit bot. Denn was genau sie mit ihrer Freundin neuerdings so häufig miteinander in aller Heimlichkeit zu bereden hatte, interessierte ihn doch sehr. Mädchen hatten ja gerne mal so ihre Geheimnisse. Ob Miyuki ihm überhaupt erzählen würde, was da los war? Vielleicht war das ja so eine typische „Mädchensache“.

Während sie beide weiterhin die Gegend im Auge behielten, schaute Tôya irgendwann zum Himmel hinauf. In der Ferne entdeckte er etwas, was sich offenbar an diesem zu bewegen schien. Und bei genauerem Hinsehen konnte er erkennen, dass es sich auf das Schloss zubewegte. Auch Ashitaka entdeckte die Erscheinung nun.

„Das ist doch...!?“

Ein Kitsune! Kein Zweifel, am Himmel flog einer dieser weißen Füchse und zwar genau in Richtung des Schlosses. Was sollte das? Griffen sie jetzt nicht mehr aus dem Hinterhalt an, sondern zeigte sich ganz offen ihrem Gegner?

„Die haben vielleicht Nerven... Tôya, wir sollten Alarm schlagen.“

„Warte noch! Dieser Kitsune ist offenbar allein.“

Als Ashitaka genauer hinsah, bemerkte auch er das. Tatsächlich, es machte den Anschein, als wäre dieser Kitsune allein hergekommen. Außerdem schien es nicht so, als wäre er auf einen Kampf aus, wenngleich er zielstrebig auf das Schloss zuflog. Auch die anderen Inu-Youkai hatten ihn inzwischen bemerkt. Sie blieben zwar in Bereitschaft, dennoch ließen sie den Kitsune unbehelligt auf dem Hof landen. Die blauen Flammen an den Pfoten und den neun Schweifen erloschen und seine Gestalt wurde getaucht in ein helles Licht. Und mit der Person, die sich wenig später offenbarte, hatte im Moment wohl niemand gerechnet. Es war... Aoshis Tochter, Prinzessin Saori! Aber warum? Warum war die Prinzessin der Füchse allein hierher gekommen?

Kakeru, welcher mittlerweile aus dem Schloss getreten war, empfing die Prinzessin im Beisein von Tôya und Ashitaka. Saori sagte zunächst nichts, doch irgendetwas war in ihren Augen, dass zu bestätigen schien, dass sie nicht in feindlicher Absicht hier erschienen war. Im Gegenteil, sie schien... nach Hilfe zu suchen, trotz der größtenteils ablehnenden Haltung, die ihr entgegen schlug. Saori konnte es regelrecht spüren... Eine Tatsache, die sie nicht überraschte. Aber sie hatte keine andere Wahl, als das hier jetzt durchzuziehen, und trat einige Schritte vor. Vor Kakeru und den anderen blieb sie stehen.

„Ich bitte Euch... Gewährt mir eine Audienz bei Eurem Herrn“, bat Saori zur Überraschung aller. Als sie nicht sofort eine Antwort erhielt, verbeugte sie sich gar. „Bitte... Ich muss in aller Dringlichkeit mit Sesshoumaru-sama sprechen. Ich bitte Euch!“

Von der Veranda ihrer Privaträume aus hatten auch Sesshoumaru und Kimie das Geschehen mitverfolgt. Leicht verunsichert schaute sie zu ihm auf. Was würde er tun? Würde er Saori ihre Bitte gewähren? Zumal... Um was ging es, dass sie sogar ganz allein hergekommen war?
 

Sesshoumaru hatte Saori ihre Bitte schließlich gewährt und sie in den Empfangsraum des Schlosses führen lassen. Mit anwesend waren neben Kimie auch Kagome und Inu Yasha, sowie Kakeru und einige andere Inu-Youkai, ebenso wie Toutousai und Myouga. Auch Akuma, Takeshi, Yu und Jin hatten sich eingefunden, um in Erfahrung zu bringen, was die Prinzessin der weißen Füchse zu sagen hatte.

Trotz der Tatsache, dass sie sich hier sozusagen im Lager der Feinde befand und gänzlich auf sich gestellt war, behielt Saori ihre erhabene Ruhe. Allerdings spürte man eine gewisse Verzweiflung und Angst, welche jedoch nicht von der Umgebung und den anwesenden Person herrührte.

Mit leicht gesenktem Blick begann die Prinzessin nun zu erzählen: „Mein Vater... Er verhält sich seit einiger Zeit sehr seltsam. Ich erkenne ihn gar nicht mehr wieder und ich weiß nicht, was ich tun soll...“

Überraschte Blicke kreuzten sich untereinander. Was sollte das bedeuten?

„Was genau ist vorgefallen, Prinzessin?“, fragte Kakeru als Erster nach.

Saori erhob ihren Blick ein wenig.

„Es kommt mir vor, als wäre er geistig überhaupt nicht mehr anwesend. Diesen Eindruck habe ich, seit wir wieder in unsere Ländereien zurückgekehrt sind. Kurz danach hat es angefangen. Mein Vater wollte angeblich niemanden mehr in seine Privaträume lassen. Sogar Wachen postieren seither vor seiner Tür. Letzten Endes konnte ich mir trotzdem Zugang verschaffen und da...“ Sie stoppte. Offenbar fiel es ihr schwer, darüber zu sprechen. Trotzdem schilderte Saori die Situation weiter so gut es ihr möglich war.

Nachdem die anderen alles gehört hatten, herrschte eine Zeit lang Stille.

„Könnte es vielleicht, dass etwas von ihm Besitz ergriffen hat?“, wagte Kagome irgendwann zu vermuten. Denn so wie sich das angehört hatte, machte es auf sie genau diesen Eindruck. Bei Menschen hatte es so etwas schließlich schon öfter gegeben. Zumindest in dieser Zeit.

„Aber können Youkai denn von anderen Youkai besessen sein?“, fragte Kimie nun. Natürlich kam es vor, dass schwächere Youkai zu Untergebenen stärkerer Youkai werden konnten, aber durch Besessenheit? Noch dazu waren die Kitsune aus dem Süden doch keine schwachen und niederen Youkai, die sich allzu leicht zu Marionetten machen lassen konnten.

„Auszuschließen ist das nicht“, warf Takeshi ein. „Möglicherweise handelt es sich um eine ähnliche Magie, die ich verwende. Das würde allerdings bedeuten, dass derjenige, der diese Magie wirkt, ebenfalls über große Kraft und ein hohes Maß an magische Fähigkeiten verfügt.“

Zugegeben, das wäre möglich. Aber wer hätte ein Interesse daran, Aoshi derart zu manipulieren? Und immerhin war er der Fürst der weißen Kitsune, welche selbst überaus magisch begabt waren. Hinter alldem konnte demzufolge kein niederer Youkai stecken, sofern denn die bisherigen Vermutungen zutrafen.

„Möglicherweise hat ja dieser General etwas damit zu schaffen“, warf Inu Yasha plötzlich in den Raum Er hatte diesem Kerl ohnehin nie über den Weg getraut.

Erschrocken blickte Saori auf.

„Aber Kuro würde meinen Vater niemals hintergehen!“, widersprach sie. „Und abgesehen davon kenne ich niemanden in unseren Reihen, der ein derartiges Interesse haben könnte.“

„Aber warum sollte ein Außenstehender allein auf die Idee kommen, die Füchse und die Inu-Youkai aufeinander zu hetzen?“, fragte Yu nun in die Runde. Natürlich gab es da draußen niederträchtige Youkai, die nur zu gerne Hass und Zwietracht säten, aber lag es zunächst nicht näher, den Verantwortlichen im näheren Umfeld zu suchen, anstatt sich eventuell auf die Jagd nach einem Unbekannten zu machen?

Nachdem er sich das alles bisher schweigend angehört hatte, richtete Sesshoumaru das Wort an Saori: „Selbst wenn dies alles der Wahrheit entspricht, nenne mir nur einen guten Grund, weshalb ich dir helfen sollte. Deine Leute haben es gewagt, das Leben meines Sohnes zu bedrohen. Bilde dir nicht ein, ich würde dies so einfach vergessen. Sie werden dafür bezahlen! Allen voran dieser Kuro!“

Saori neigte demütig ihr Haupt.

„Ich bin mir dessen bewusst, dass Kuro Euren Zorn auf sich gezogen hat, Sesshoumaru-sama. Und ich möchte sein Tun auch keinesfalls entschuldigen. Aber... Ihr seid der Einzige, an den ich mich wenden kann. Obwohl ich weiß, dass Ihr keinerlei Grund habt, mir Eure Hilfe zuzusichern...“

Fragend blickte Kimie zu Sesshoumaru. Würde er Saori helfen oder nicht? Kimie selbst empfand irgendwie Mitgefühl für die Prinzessin. Ihre Verzweiflung wirkte echt. Vorhin hatte Kimie noch den schwachen Verdacht gehegt, das alles könnte ein falsches Spiel sein, welches die Kitsune inszeniert hatten, doch inzwischen glaubte sie nicht mehr daran.

Letztendlich ging Kimie auf Saori zu, aufmerksam beobachtet von den anderen Anwesenden.

„Ich nehme an, Ihr könnt unter den gegebenen Umständen nicht wieder zurück zu Euch nach Hause“, vermutete Kimie.

Saori, welche im ersten Moment ein wenig überrascht wirkte, angesichts der Tatsache, dass Sesshoumarus Gefährtin so einfach auf sie zugekommen war, bestätigte deren Aussage kurz darauf, wenngleich es ihr deutliches Unbehagen bereitete. Nein, Saori konnte nicht wieder zurück zu ihrem Clan. Nicht jetzt... Sie war zwar die Prinzessin, doch angesichts dessen, was dort gerade geschah, konnte sie unmöglich abschätzen, wie es dort aufgenommen werden würde, sollte man erfahren, dass sie hier gewesen war. Saori gab es nicht gerne zu, aber sie fürchtete sich vor der möglichen Reaktion ihrer Untergebenen. Aber Sesshoumaru so einfach darum bitten, dass sie hier bleiben konnte...? Dazu fühlte sie sich nicht im Recht.

Als Kimie auf einmal die Hand der Prinzessin nahm, zeichnete sich deutlich die Überraschung in deren Augen ab. Kimie jedoch lächelte ihr aufmunternd zu. Auch wenn Saori Sesshoumarus Verlobte gewesen war, so hatte sie doch nie irgendetwas getan, um sich gewaltsam ihren Platz an seiner Seite zu ergattern. Kimie sah daher keinen Grund, ihr gegenüber ablehnend zu sein und drehte sich zu Sesshoumaru um. Dieser wusste natürlich, worauf Kimie hinaus wollte. Seine eigene Begeisterung hielt sich zwar in Grenzen, aber Saori einfach wieder vor die Tür setzen... Damit wäre Kimie nicht einverstanden, obwohl die Prinzessin so gesehen ihre Nebenbuhlerin gewesen war. Also gut, dann würde er es Saori gestatten, dass sie vorerst blieb. Und wegen der Sache mit Aoshi würde er entsprechende Nachforschungen anordnen.

„Ich bin dagegen!“

Dieser plötzliche Einspruch von Jin ließ alle schlagartig aufhorchen.

„Im Ernst! Was soll das alles, Akuma-sama?“, fragte der Ryû-Youkai seinen Herrn nun ganz direkt. „Unser Clan hat nie mit anderen Youkai-Stämmen kooperiert. Das ist doch lächerlich! Was gehen uns die Belange dieser Hunde oder gar dieser Füchse an? Soll diese Prinzessin ihre Probleme doch selbst lösen!“

Dass Jin mal wieder quer schlagen musste, war keine große Überraschung gewesen. Trotzdem oder gerade deswegen war insbesondere Kimie ein Mal mehr genervt von ihm, was sie ihm sogleich ohne jegliche Scheu wissen ließ: „Kannst du endlich mal den Rand halten? Ich sagte dir doch schon, dass du gerne wieder gehen kannst, wenn's dir hier nicht passt!“

„Wie bitte? Unverschämtes Weib! Willst du mir etwa sagen, was ich zu tun habe?“

Als Jin Anstalten machte, auf Kimie zuzugehen, hatte Sesshoumaru augenblicklich Bakusaiga gezogen und versperrte ihm mit dessen Klinge den Weg.

„Noch einen Schritt weiter und du bist des Todes“, drohte er Akumas Gefolgsmann mit eiskalter Stimme. Jin knurrte erzürnt, doch verharrte er tatsächlich zunächst an Ort und Stelle. Sein Blick ruhte auf der Klinge von Sesshoumarus Schwert. Eine starke Kraft ging von diesem aus, und obwohl Jins Instinkt ihm davon abriet, seinen Gegenüber weiter zu reizen, wollte der Ryû-Youkai sich nicht von einem Hund herumkommandieren lassen.

Bevor die Situation eventuell wirklich eskalieren konnte, mischte sich Akuma ein: „Jin, da wir schon mal hier sind, sollten wir uns auch mit dieser Sache auseinandersetzen. Ich zwinge dich nicht dazu, dich dem anzuschließen. Halte dich von mir aus heraus, aber mach keine Schwierigkeiten.“

Sich heraushalten? Jin war sich zunächst nicht sicher, was er von dieser Option halten sollte. Akuma konnte ihm schließlich auch einfach befehlen, sich dieser Angelegenheit anzuschließen. Stattdessen stellte er es seinem Gefolgsmann jedoch frei. Aber Jin wusste, was das eigentlich bedeuten sollte. Das war Akumas Art, um zu überprüfen, wie weit es mit dem Engagement seiner Leute wirklich her war. Würde Jin wirklich nichts tun, dann käme dies trotz allem einer Befehlsverweigerung gleich. Und so etwas konnte und wollte er sich nicht leisten.

Als wollte er sich ein wenig Luft verschaffen und Stress loswerden, schlug Jin ein Mal mit seinen Schwingen, ehe er sich abwandte.

„Unfassbar...“ Genervt fuhr er sich mit der Hand durchs Haar. Dann würde er eben in den sauren Apfel beißen und sich dieser Sache anschließen.

Akuma hingegen lächelte nur souverän. Auch wenn Jin das alles hier nicht gefiel, sich ausklinken oder ihm gar widersetzen würde er trotzdem nie.

Kimie hatte die Situation ebenso aufmerksam mitverfolgt wie die anderen. Sesshoumarus und Akumas Führungsstil und ihr Umgang mit ihren Leuten unterschied sich merklich, doch behauptete jeder von ihnen auf seine Weise seine Führungsposition und konnte sich der Treue seiner Untergebenen gewiss sein.

Die weiteren Angelegenheiten wurden auf den nächsten Tag vertagt. Sesshoumaru ordnete an, dass für Saori ein Zimmer zurechtgemacht werden sollte. Kimie wollte sogar das persönlich übernehmen und führte die Prinzessin zu den besagten Räumlichkeiten.

Nachdem sich die Versammlung wieder aufgelöst hatte, befanden sich schlussendlich nur noch Sesshoumaru und Akuma im Raum.

„Verlobte, hm? Die Kleine ist wirklich ansehnlich. Schade, dass sie eine Füchsin ist...“, merkte der Ryû-Youkai an.

„Deine Art bleibt offenbar gerne unter sich“, stellte Sesshoumaru nüchtern fest.

„Vorwiegend, ja. Während deine Art sich gerne mit Menschen umgibt. Zumindest scheint es sich für dich mittlerweile gelohnt zu haben. Deine Gefährtin hat dir schließlich einen Sohn geschenkt. Hat ja lange genug gedauert.“

Ein mahnender Blick schlug Akuma entgegen.

„Halte dich von den beiden fern!“, befahl Sesshoumaru ihm regelrecht. „Das gilt auch für deine Leute und besonders diesen Jin! Wenn ich ihn in der Nähe meiner Gefährtin oder meines Sohnes erwische, bring ich ihn um!“

„Wir haben nicht vor, einem von beiden etwas anzutun, Sesshoumaru. Zugegeben, du und ich hatten in der Vergangenheit unsere Differenzen, aber das ist lange vorbei. Oder sagt dir dieser Gedanke vielleicht nicht zu? Möchtest du immer noch gegen mich kämpfen?“

„Hm! Lächerlich!“

Das Gespräch an dieser Stelle beendend, verließ auch Sesshoumaru nun den Raum. Akuma behielt sein Lächeln bei, als auch er sich zurückzog. Das könnte noch interessant werden...

Saat des Umbruchs

Die Tatsache, dass sich Kimie persönlich darum kümmerte, dass für Saori ein Zimmer zurechtgemacht wurde, verwunderte die Prinzessin zugegebenermaßen sehr. Welche Fürstin legte bei solchen Dingen schließlich selbst Hand an? Für so etwas hatte man schließlich Diener... Für Kimie jedoch schien es ganz selbstverständlich zu sein. Das sah man schon daran, wie zügig und geübt sie alles vorbereitete.

Nachdem Sesshoumarus Gefährtin sie in einen der Gästeräume geführt hatte und sich nun daran machte, es entsprechend herzurichten, beobachtete Saori sie schweigend. Die Prinzessin war sich nicht sicher, ob und was sie hätte sagen sollen. So herrschte Stille, bis Kimie schließlich mit den Vorbereitungen fertig war.

„So, das dürfte erst mal alles gewesen sein. Falls Euch noch etwas fehlen sollte, sagt einfach Bescheid, in Ordnung?“

Warum war Kimie so freundlich zu ihr? Saori verstand es einfach nicht. Denn immerhin war sie doch so gesehen der Grund dafür gewesen, weshalb Sesshoumaru und seine Gefährtin zuletzt so viele Probleme gehabt hatten. Kimie hatte sogar das Schloss verlassen, weil sie es hier nicht mehr ausgehalten hatte...

„Stimmt etwas nicht?“, fragte diese die Prinzessin nach einem Augenblick. Saori schüttelte leicht den Kopf.

„Nein, es ist nichts. Ich danke Euch.“ Und nach einem kurzen Moment der erneuten Stille fuhr sie fort: „Kimie-dono? Ich möchte die Gelegenheit gerne nutzen, um mich für all die Probleme zu entschuldigen, die wegen mir und meinem Clan entstanden sind.“

Jetzt war Kimie diejenige gewesen, die verwundert dreinschaute. Denn mit einer Entschuldigung seitens Saori hatte sie nicht unbedingt gerechnet.

„Hm... Widrigkeiten gehören zum Leben dazu. Macht Euch deswegen keine Sorgen“, erwiderte sie nach einem Augenblick lächelnd.

Abermals war Saori war ein wenig irritiert. Nahmen Menschen so etwas immer so gelassen hin? Oder waren sie es einfach gewohnt, mit Problemen konfrontiert zu werden?

„Habt Ihr sonst noch etwas auf dem Herzen?“, fragte Kimie die Prinzessin. Offenbar schien Saori noch mehr zu beschäftigen.

„Nein, nicht wirklich“, antwortete diese zunächst, überlegte dann aber kurz. Doch, da gab es noch etwas, was sie gerne wissen wollte, aber... konnte sie diese Frage einfach so stellen?

„Prinzessin?“

„Vielleicht... Ich hätte da nur noch eine Frage. Bitte haltet mich nicht für unverschämt. Das Leben hier... Wie sagt es Euch zu?“

Wie ihr das Leben hier zusagte? Diese Frage kam für Kimie doch recht unerwartet. Warum fragte Saori überhaupt danach? Aber gut, es sprach ja im Grunde nichts dagegen, ihr darauf zu antworten.

„Es gefällt mir hier sehr. Zugegeben, anfangs war es nicht immer ganz so leicht, aber inzwischen fühle ich mich hier wirklich wohl“, meinte Kimie daher lächelnd.

Ein Mensch mitten unter Youkai... Saori hätte nicht gedacht, dass so etwas ohne Probleme möglich wäre. Und dass es Kimie hier sogar gut zu gehen schien...

„Sesshoumaru-sama scheint viel für Euch zu empfinden“, sprach die Prinzessin ein wenig nachdenklich weiter. „Während der Zeit, als Ihr fort ward, hatte ich immer den Eindruck, als würde er ständig an Euch denken. Nur gesprochen hat er darüber nie.“

„Das tut er sowieso nicht gerne. Ich meine, über seine Gefühle reden. Die behält er lieber für sich.“

Ja, das war Saori auch schon aufgefallen.

„Er wirkt immer so distanziert“, überlegte sie weiter. „Mir scheint, Ihr seid die einzige Person, die er wirklich an sich heran lässt.“

„Vielleicht, aber die kleine Rin steht ihm auch sehr nahe.“

„Ich verstehe. Das Mädchen, das in Kuros Auftrag entführt worden war.“

Dass Sesshoumaru sich gleich mit mehreren Menschen umgab... Bisher hatte Saori immer eher etwas anderes über ihn gehört. Was wusste sie im Grunde überhaupt über ihn? Eigentlich gar nichts. Wie auch? Schließlich hatte sie ihn erst vor nicht mal einem Jahr das erste Mal gesehen und ihn trotz des verhältnismäßig langen Aufenthaltes hier im Schloss nie wirklich kennengelernt. Denn etwaigem hatte er sich die ganze Zeit über erfolgreich verwehrt. Der arrangierten Verlobung mit Sesshoumaru hatte sich Saori nie widersetzt. Es war schließlich nichts Ungewöhnliches daran, wenn unter Adligen – sei es nun bei Menschen oder Youkai – Ehen lange im Vorfeld geplant und vollzogen wurden. Nur war Sesshoumaru offenbar der Typ Mann gewesen, der von so etwas überhaupt nichts hielt. Und als ob es nicht genügt hätte, dass er sich lediglich eine andere Frau gesucht hätte, hatte er sich sogar für einen Menschen an seiner Seite entschieden.

„Sesshoumaru hasst es, wenn andere das Entscheiden für ihn übernehmen“, sprach Kimie mit einem Mal weiter, als hätte sie gewusst, worüber Saori gerade nachgedacht hatte. „Er kann verdammt eigensinnig sein. Das muss an seinem Stolz liegen. Davon hat er so viel, dass es eigentlich schon arrogant ist...“ Sie lachte kurz. „Aber inzwischen ist es besser geworden. So ganz wird er sich wohl nie ändern, aber das verlange ich auch gar nicht von ihm. Schließlich habe ich ihn so kennengelernt und liebe ihn so, wie er ist.“

Dass sie so frei heraus von Liebe sprach... Trotzdem oder gerade deswegen hörte Saori Kimie aufmerksam zu und kam auch um ein leichtes Lächeln nicht herum.

Warum sie der Prinzessin so viel erzählte, wusste Kimie selbst nicht, aber sie hatte nicht das Gefühl, als wäre es falsch. Normalerweise war es ja so, dass man sich mit der Nebenbuhlerin im Clinch befand. Allerdings bot Saori Kimie dafür keinerlei Anlass. Und das hatte sie eigentlich von Anfang nicht getan.

„Es ist spät geworden. Wenn es für Euch in Ordnung ist, dann gehe ich erst mal wieder“, sagte Kimie letztendlich, woraufhin Saori nickte.

„Natürlich. Ich wollte Euch nicht aufhalten. Vielen Dank für Eure Mühen. Und richtet bitte auch Sesshoumaru-sama meinen Dank aus.“

„Das werde ich tun. Gute Nacht, Prinzessin.“

Nachdem Kimie das Zimmer verlassen hatte, dachte Saori noch ein wenig über die Unterhaltung von eben nach. Liebe... Dass Kimie Sesshoumaru liebte, war nicht zu übersehen gewesen. Und er liebte sie, auch wenn er es wohl nur ihr gegenüber wirklich zeigte. Sesshoumaru war zweifellos ein Mann, dessen Aufmerksamkeit sich in der Vergangenheit sicherlich so einige Frauen gewünscht hatten. Auch Saori musste sich eingestehen, dass sie ihm nicht abgeneigt gewesen war, als sie ihn das erste Mal gesehen hatte. Ihn jedoch mit gewaltsamen und aggressiven Mitteln für sich zu gewinnen, war ihr allerdings nie in den Sinn gekommen und es entsprach auch nicht ihrer Natur. Außerdem wäre es wohl ohnehin vergebliche Mühe gewesen, selbst wenn sie es auf diesem Weg versucht hätte. Sesshoumaru war niemand, der sich manipulieren ließ, auch nicht von den Waffen einer Frau. Und das war auch gut so.
 

Indes befand sich Kimie auf den Rückweg zu ihren und Sesshoumarus Privaträumen. Vermutlich war er bereits wieder dort. Diese Vermutung stellte sich jedoch als Trugschluss heraus. Denn als Kimie um die nächste Ecke bog, entdeckte sie Sesshoumaru dort mit dem Rücken an der Wand stehen. Offenbar hatte er auf sie gewartet.

„Es war unnötig, dass du dich selbst um diese Sache gekümmert hast“, meinte er ohne irgendeine Vorrede. „Es hätte ausgereicht, ein oder zwei Diener damit zu beauftragen, ein Zimmer für sie vorzubereiten. Eine derartige Arbeit ist unter deiner Würde. Immerhin bist du die Herrin in diesem Schloss.“

„Mh... Mag ja sein, aber nenn' mich bitte nicht so. Da komme ich mir irgendwie komisch vor“, entgegnete Kimie. Das hatte sie in der Vergangenheit schon öfter Sesshoumaru gegenüber geäußert. Manche Menschen würden sogar töten, um in eine hohe Position mit einem entsprechenden Titel aufsteigen zu können, aber Kimie gehörte definitiv einer anderen Kategorie an. Sie hatte schon immer ihre Angelegenheiten selbst erledigt, anstatt die Dienerschaft damit zu beauftragen. Sesshoumaru hatte es Kimie gegenüber zwar bisher nie erwähnt, aber die Tatsache, dass sie eher um Dinge bat, wenn es mal von Nöten war, als streng danach zu verlangen, schien ihr unter den Inu-Youkai im Laufe der Zeit ein gewisses positives Ansehen eingebracht zu haben. Sie war halt nicht der charakterliche Typ, der irgendwelche Befehle erteilte oder andere gar wie minderwertiges Vieh durch die Gegend scheuchte. Das mochte auch daran gelegen haben, dass sie im Grunde ja in einer ganz anderen Zeit mit entsprechend anderen Ansichten und Wertvorstellungen aufgewachsen war.

Ohne auf ihre vorangegangene Aussage einzugehen, deutete Sesshoumaru seiner Gefährtin an, mit ihm zurück in ihre Räumlichkeiten zu gehen.

„Ich werde übrigens veranlassen, dass auf dich und Katô in Zukunft gesondert geachtet wird“, teilte er ihr noch während des Weges mit.

„Hm? Meinst du damit, ich bekomme Leibwächter?“, fragte Kimie nach.

„So ist es. Ich muss davon ausgehen, dass diese Füchse, allen voran Kuro, es nicht nur auf Katô, sondern auch auf dich abgesehen haben könnten. Um euch beide besser schützen zu können, sollen sich ab jetzt insbesondere Ashitaka und Subaru um eure Sicherheit kümmern, wenn ich gerade nicht in eurer Nähe bin.“

Ein guter Nah- und ein hervorragender Fernkämpfer. Subarus Verletzung war bereits fast vollständig verheilt und er würde spätestens morgen wieder einsatzfähig sein. In der Hinsicht gab es also keine Probleme. Sesshoumaru überlegte, noch drei oder vier Wächter zusätzlich zu verpflichten, aber darüber wollte er noch entscheiden.

Kimie dachte kurz über darüber nach. Leibwächter... Bodyguards, wie man es in der modernen Zeit ausdrücken würde. Eigentlich war das so gar nicht ihr Ding, aber sie verstand Sesshoumarus Beweggründe. Und um Katôs Sicherheit zu gewährleisten, wollte sie sich dem nicht entgegenstellen.

„Von mir aus, wenn es dich beruhigt... Aber die beiden sollen mir bitte nicht auf Schritt und Tritt folgen, und schon gar nicht ins Bad oder dergleichen“, bat sie ihn dennoch mit einem gewissen ironischen Unterton, denn das wäre ihr wirklich des Guten zu viel. Hauptsache, Katô wäre sicher.

Sesshoumaru war damit einverstanden. Kimie war ohnehin oft bei Katô, von daher ließ sich der Schutz der beiden gut miteinander kombinieren. Seine hauptsächliche Intention war ohnehin die, dass keiner von beiden allein gelassen wurde. Der zusätzliche Schutz sollte vorrangig dann erfolgen, wenn sich wieder Ärger anbahnte. Und er selbst war schließlich auch noch da. Allzu leichtfertig würde er in Zukunft weder seine Gefährtin noch seinen Sohn aus den Augen lassen.
 

Die Schritte eines Einzelnen hallten in den unterirdischen Gefilden des Kerkers wider, als Akuma die Stufen zu diesem hinabstieg. Zwar hatte Sesshoumaru ihm keinerlei Erlaubnis erteilt, sich hier unten aufzuhalten, noch hatte er diesen um etwas derartiges gefragt, doch die Neugier hatte ihn hierher geführt. Der gefangen genommene Kitsune... Was mochte das für ein Krieger sein?

Natürlich gewährten die beiden Inu-Youkai, die die Zelle des Gefangenen bewachten, dem Anführer der Ryû-Youkai nur widerwillig die Erfüllung seines Anliegens, doch mischten sie sich nicht ein, als Akuma sich dem Kitsune in der Zelle zuwandte. Dieser war an den Handgelenken an die Wand gekettet worden und hatte seinen Blick gesenkt. Selbst, als Akuma das Wort an ihn richtete, schaute er nicht auf: „Hmm... Was für eine Art Krieger ist das, der ohne zu zögern sein Schwert gegen ein wehrloses Kind erhebt, um es zu töten? Hat dein Fürst dir den Auftrag dazu erteilt? Oder doch eher dein missratener General?“

Keine Antwort. Nicht mal irgendeine Form der Reaktion.

Akuma musterte den Kitsune ein wenig genauer. Er wirkte noch recht jung. Gewiss war er noch nicht alt genug gewesen, um demzufolge die vollkommenen magischen Fähigkeiten, die er als Vertreter seiner Art ansonsten innehätte, zu besitzen. Akuma schätze ihn stattdessen auf höchstens 200 Jahre ein. Aber vermutlich war er eher noch jünger.

„Nun“, sprach Akuma seelenruhig weiter. „Mir scheint, deine Prinzessin – Saori – ist über die gegenwärtige Situation alles andere als glücklich. Das arme Ding sah ziemlich verzweifelt aus, als sie Sesshoumaru um Hilfe anflehte.“

Erst jetzt hob der Kitsune seinen Blick. In seinen Augen erkannte man eine Spur von Irritation angesichts von Akumas Worten. Dieser sah ihm an, dass er ihm nicht glaubte. Ein amüsiertes Lächeln stahl sich auf Akumas Lippen.

„Die Prinzessin der verräterischen Füchse kriecht vor dem Fürsten der Inu-Youkai zu Kreuze, ist auf seine Gnade angewiesen, obgleich einer der ihren seinen Sohn und Erben töten wollte, und jetzt... jetzt weilt sie hier im Schloss. Aus Angst kehrt sie nicht zu ihrem eigenen Clan zurück. Welch bedauerliche Gestalt und dabei doch so wunderschön. Die in ihren Augen stehende Verzweiflung und Hilflosigkeit schmeicheln ihr zusätzlich.“

Ein verächtliches Knurren drang aus der Kehle des Kitsune. Wie konnte dieser Youkai, der vom Kontinent hier herübergekommen war, es wagen, solch unverfrorene Dinge über die Prinzessin zu sagen? Sie sollte aus Angst ihrem eigenen Clan den Rücken gekehrt und hier Zuflucht gesucht haben?

„Schwarzer Drache... Hüte deine Zunge!“

„Oh? Du kannst ja doch sprechen.“ Akuma lachte leise und belustigt. „Was willst du denn tun? Mir die Zunge eigenhändig herausreißen? Das dürfte dir schwer fallen, und erst recht in deiner gegenwärtigen Situation. Ganz abgesehen davon lässt sich kein Drache, der etwas auf sich hält, von einem räudigen Fuchs auch nur ankratzen. So was wie dich fresse ich, ohne kauen zu müssen.“

Der Unterton in Akumas Stimme hatte zum Ende hin einen mehr als deutlich bedrohlichen Klang angenommen, wenngleich er sein herablassendes Lächeln beibehalten hatte. Doch anstatt dem noch etwas hinzuzufügen, wandte er sich nun wieder zum Gehen um. Wie gedachte Sesshoumaru wohl, mit diesem Fuchs zu verfahren? Nun, das würde sich gewiss noch zeigen...
 

* ~ * ~ * ~ *
 

Die Einmischung der Ryû-Youkai hatte das Vorhaben der Kitsune ordentlich durcheinandergewirbelt. Kuro platzte fast vor Wut. Nur mühsam hielt er seinen Zorn im Zaum, welcher auch nach der Rückkehr ins Schloss der Füchse nicht abgeklungen war.

„Akuma, Sohn von Khan... Was für ein Interesse hat dieser Drache daran, den Inu-Youkai zu helfen? Schon sein Vater war ein erklärter Feind von Inu no Taishou. Was also hat Sesshoumaru ihnen versprochen, dass die Drachen diesen Hunden im Kampf beistehen?“

Ja, was war es gewesen? Kuro konnte sich nicht vorstellen, dass die Ryû-Youkai Sesshoumaru und dessen Clan einfach so zur Hilfe gekommen waren. Bis vor wenigen Jahren waren sie noch erklärte Feinde gewesen und jetzt kämpften sie Seite an Seite? Das machte doch alles keinen Sinn!

„Kuro!“

Die Stimme von Aoshis jüngerer Tochter ließ den General aufhorchen. Soeben betrat diese den Raum, in welchem sich Kuro mit einigen Soldaten zur Beratung zurückgezogen hatte.

„Prinzessin Harumi. Was kann ich für Euch tun?“

„Meine Schwester ist verschwunden. Hast du sie gesehen?“

Irritation spiegelte sich in Kuros Augen wider. Prinzessin Saori war verschwunden?

„Verzeiht, aber darf ich etwas sagen?“, ergriff einer der Soldaten nun das Wort.

„Sprich!“, forderte der General seinen Gefolgsmann sogleich auf, welcher demütig sein Haupt neigte.

„Prinzessin Saori verließ das Schloss vor geraumer Zeit. Allerdings mit mir unbekanntem Ziel.“

Kuro war wie vor den Kopf gestoßen. Das konnte doch alles nicht wahr sein!? Zuerst tauchte Akuma mit seinem Clan als Verbündeter der Inu-Youkai wieder in Japan auf, dann verschwand auch noch Aoshis ältere Tochter, Prinzessin Saori, ohne irgendein Wort! Sie war doch nicht etwa...?

Unwillkürlich kam in Kuro der Verdacht auf, die Prinzessin könnte gar in die westlichen Länder gegangen sein. Aber war das wirklich möglich?

„Kuro?“, sprach Harumi den obersten General erneut an. „Der schwarze Drache... Sesshoumaru-sama hat sich also seine Unterstützung im Kampf zugesichert?“

„So scheint es zumindest, Prinzessin“, antwortete er. „Ein taktischer Zug, den ich nicht hatte kommen sehen. Das erschwert unser Vorhaben, denn die Ryû-Youkai verstehen sich ähnlich wie wir gut auf den Einsatz von Magie. Ganz davon abgesehen, dass sie ihre Kräfte vorrangig dazu einsetzen, um zu zerstören...“

Kuro hatte es ja deutlich genug am Beispiel von Jin gesehen. Der silberfarbene Drache, der wie ein unheilvoller Sturm über sie hereingebrochen war... Und gewiss war das nur ein Vorgeschmack dessen gewesen, was die Fähigkeiten der Ryû-Youkai betraf.

Kapitulation oder den Kampf wagen... Das waren die beiden Optionen, die den Kitsune blieben. Doch Kuro hatte nicht vor, wie ein erbärmlicher Feigling den Schwanz einzuziehen! Irgendwie musste er sich der Bedrohung durch die Drachen entledigen. Der einfachste Weg, eine Streitmacht zu schwächen, war in der Regel, den Oberbefehlshaber auszuschalten. Aber an Akuma heranzukommen durfte sich schwierig gestalten. Mit ihm waren seine zwei verbliebenen Hüter sowie sein jüngerer Bruder gewiss das größte Hindernis, das es zu bewältigen galt. Elende Drachen... Was mischten die sich überhaupt in die Belange der Kitsune und der Inu-Youkai ein?

„General? Ob man die Ryû-Youkai vielleicht dazu bringen könnte, sich unserer Sache anzuschließen?“, wagte einer der Soldaten zu fragen.

„Nein“, widersprach Kuro jedoch sofort. „Sie sind keine Söldner, die man für eine entsprechende Gegenleistung so einfach für sich gewinnen kann. Sie machen, was sie wollen.“

Nein, das war keine Option. Wären die Drachen erpicht auf gewisse Dinge, die ihnen die Kitsune hätten bieten können, dann vielleicht ja, aber so... Und da Kapitulation für Kuro keine Option darstellte, blieb nur nicht sonderlich viel übrig, was getan werden konnte...

„Oho! Hat der große Kuro etwa Probleme mit einem Haufen räudiger Hunde und ein paar fliegenden Echsen?“

Schon als Kuro diese ihm wohlbekannte Stimme vernahm, spürte er, wie sein Frust nur noch mehr wuchs. Und als er sich umdrehte, konnte er sich nur schwer im Zaum halten, als er den Kitsune entdeckte, der mit einem amüsierten Grinsen und hinter dem Kopf verschränkten Armen an der noch offenen Tür stand. Takuya... Bekannt für seine provokanten Kommentare, die stets begleitet waren von einem herablassenden Lächeln. Er hatte einen älteren Zwillingsbruder namens Kazuya, war von den beiden aber eindeutig derjenige, der den größeren Spaß daran hatte, andere mit geheuchelter Freundlichkeit und seinen Lügen hinters Licht zu führen. Kuro hatte die Brüder noch nie leiden könne, am allerwenigsten aber Takuya.

„Was willst du? Wenn du Ärger suchst, kann ich ihn dir gerne bescheren!“, drohte er diesem. Takuya jedoch blieb vollkommen unbeeindruckt.

„Immer mit der Ruhe. Es ist doch schließlich nicht meine Schuld, dass du und die anderen wie Versager hierher zurückgekrochen seid, nicht wahr? Und jetzt ist auch deine heißgeliebte Prinzessin verschwunden. Davongelaufen in die westlichen Länder.“

Das war der Punkt, an dem der letzte Tropfen das Fass bei Kuro zum Überlaufen gebracht hatte und er sich mit gezogenem Schwert auf Takuya stürzte. Dieser hatte allerdings bereits mit einem solchen Ausbruch gerechnet – ihn eigentlich sogar bewusst heraufbeschworen – und konterte seinerseits mit seinem Schwert den Angriff. Und wie um Kuro noch mehr zu provozieren, lächelte er amüsiert.

„He, he... Wie impulsiv! Möchtest du, dass ich dir mehr erzähle? Dann musst du mich ganz lieb darum bitten, mein Freund. Nun? Sag 'bitte'.“

„Mistkerl! Ich bring dich um!“, knurrte Kuro und stieß seinen Gegner von sich, um anschließend mit seinem Schwert auszuholen, doch Takuya brachte sich mit einem Satz nach hinten außer Reichweite. Bevor die beiden ihren Disput fortsetzen konnte, mischte sich Harumi entnervt ein: „Takuya! Hör auf mit diesem Unsinn und sag uns gefälligst, was du weißt!“

Selbst vor seiner Prinzessin machte sich Takuya nicht die Mühe, Respekt zu zeigen, denn obwohl er ihr auf ihre Aufforderung hin antwortete, hielt er es nicht für nötig, sie dabei anzuschauen. Stattdessen balancierte er sein Schwert auf seinem Zeigefinger, während er sprach: „Wie Ihr wünscht, Harumi-sama. Mein Bruder und ich können Euch bestätigen, dass Eure verehrte Schwester sich in den Westen begeben hat. Und sie ist dort geblieben. Als Gast von Sesshoumaru.“

„Das ist doch nur wieder eine von deinen Lügengeschichten!“, fuhr Kuro ihn erbost an.

„Oh, du verletzt meine Gefühle, Kuro...“, seufzte Takuya gespielt betroffen, wobei er sogar seine freie Hand auf seine Brust legte, als hätte er tatsächlich Herzschmerzen. Und dieses typische und so provokante Lächeln auf seinen Lippen schien seine respektlose Haltung gar noch weiter zu unterstreichen.

„Takuya! Was treibst du schon wieder?“

Erst, als er diese Stimme vernahm, hörte Takuya fürs erste mit seinen Scherzen auf, wenngleich sein Lächeln nicht von seinen Lippen verschwand. Kuro hingegen verkniff sich nur mit Mühe ein genervtes Knurren. Nicht genug, dass Takuya ihm schon auf die Nerven fiel, jetzt war auch noch dessen Zwilling Kazuya hinzugekommen. Aber wen wunderte das? Die beiden hingen schließlich meistens zusammen. Im Gegensatz zu seinem Bruder war Kazuya zwar zweifellos die weniger große Nervensäge, doch dafür war er in gewisser Weise unberechenbar, was seine Eigenarten betraf. Denn Kazuya konnte von einer Sekunde auf die andere vollkommen durchdrehen und tötete in einem Anflug von Rage vor gut 100 Jahren sogar seine eigene Verlobte, von der er der festen Überzeugung war, dass sie ihn hintergangen hätte. Ein Vorfall, dem jedoch keine weitere Beachtung geschenkt wurde, obwohl Aoshi zunächst versucht hatte, die genaueren Hintergründe in Erfahrung zu bringen.

„Kazuya! Stimmt es, was Takuya gesagt hat?“, fragte Harumi den Neuankömmling nach dessen Erscheinen.

„Ja, dem ist in der Tat so. Ich kann bestätigen, was er Euch erzählt hat“, antwortete Kazuya scheinbar vollkommen gelassen, fast schon gleichgültig. Er und sein Bruder hatten es sich nicht nehmen lassen, ohne das Wissen ihrer Clanmitglieder ein wenig die westlichen Länder auszukundschaften und hatten sie mitbekommen, wie Saori sich ins Schloss der Inu-Youkai begeben hatte. Bevor man sie beide vielleicht hätte entdecken können, hatten sich die Brüder jedoch wieder zurückgezogen. Außerdem waren die Zwillinge während der Zeit, in der sich Aoshi mit seinem Gefolge in den westlichen Ländern befunden hatte, nicht mit dabei gewesen. Es hatte sie schlichtweg nicht gekümmert, was dort vorgefallen war.

Als wäre es vollkommen selbstverständlich setzte sich Takuya schließlich auf den Tisch, der mitten im Raum stand.

„Wo liegt denn eigentlich das Problem? Wenn der Frontalangriff mit einem Haufen von Kriegern fehlgeschlagen ist, versuchen wir doch einen anderen Weg. Gewalt ist doch ohnehin so etwas Verwerfliches! Wir sind immerhin Füchse. Lasst uns doch mit List und Tücke an die Sache herangehen. Das ist zudem sehr viel spannender.“

Kuro konnte nicht leugnen, dass allein Takuyas Stimme ihn ermüdete. Wenn der Kerl den Mund aufmachte, kamen entweder Lügen oder Provokationen aus diesem heraus. Selbst jetzt hatte dieser sarkastische Unterton in seinen Worten mitgeschwungen. Denn wenn es darum ging, Blut fließen zu lassen, war Takuya im Grunde immer einer von denen gewesen, die als erste nach vorne sprangen, um direkt am Geschehen teilzuhaben. List und Tücke... Vermutlich meinte er damit mehr, dass die Kitsune ihren Feinden einfach von hinten einen Dolch in den Rücken stoßen sollten.

„Was genau schwebt dir vor, Takuya?“, wollte Harumi aber dennoch wissen. Ablehnen konnte sie den Vorschlag schließlich immer noch.

Belustigt bewegten sich Takuyas Fuchsohren, wobei der Schmuck seines rechten Ohres klimpernd aneinanderschlug, während er den anderen seine Idee mitteilte...
 

* ~ * ~ * ~ *
 

Die restliche Nacht verging ohne weitere Vorkommnisse. Während Sesshoumarus Leute die unmittelbare Umgebung rund um das Schloss abgesichert hatten, waren einige der Ryû-Youkai zu Patrouillenflügen aufgebrochen, um eine potenzielle Bedrohung vorzeitig zu entdecken und – wenn nötig – zu eliminieren.

Noch bevor die Sonne am nächsten Morgen richtig aufgegangen war, hatte sich Sesshoumaru auf den Weg zu Kakeru gemacht, um mit ihm einige Dinge zu besprechen. Auch Kimie war zu diesem Zeitpunkt bereits wach gewesen, war jedoch im Zimmer bei Katô geblieben, welcher sich im Gegensatz zu seinen Eltern in seinem Schlaf nicht hatte stören lassen. Stattdessen erwachte er erst, als sich bei ihm der Hunger meldete, welchen seine Mutter sogleich stillte. Amüsiert musste Kimie daran denken, dass sich Sesshoumaru offenbar noch immer nicht an die Sache mit dem Stillen gewöhnt hatte, denn nach wie vor zog er es in diesen Situationen vor, Mutter und Kind in Ruhe zu lassen.

Nachdem Sesshoumaru bereits seit gut zwei Stunden fort gewesen war, trug Kimie Katô ein wenig im Zimmer herum und beschäftigte sich mit ihm. Zumindest konnte sie nicht behaupten, dass ihr langweilig war. Im Gegenteil, sie verbrachte gerne ihre Zeit mit ihrem kleinen Sohn. Aber das war wohl nur natürlich.

Irgendwann vernahm Kimie Geräusche auf dem Gang, die darauf schließen ließen, dass sich jemand näherte. Im ersten Moment glaubte sie, dass es Sesshoumaru sein musste, doch dann hörte sie genauer hin. Nein, das war nicht Sesshoumaru. Seine Schritte klangen anders. An sich wäre das keine große Sache gewesen, wenn dieser Jemand nicht wenig später – noch dazu ohne angeklopft zu haben – die Tür geöffnet hätte.

„Akuma... Kann ich dir irgendwie helfen?“, fragte Kimie überrascht, aber dennoch ruhig, als sie den Ryû-Youkai erblickte. Dieser lehnte sich gelassen an den Türrahmen.

„Ich schaue mich hier nur ein wenig um. Ein schönes Schloss ist das. Hm... Sesshoumaru scheint aber gerade nicht anwesend zu sein.“

„Er bespricht sich vermutlich noch mit Kakeru. Es geht wohl um den gefangen genommenen Kitsune.“

Als sich Akuma daraufhin einen kleinen Schluck Sake genehmigte, bemerkte Kimie erst den mit einem Korken verschließbaren kleinen Krug, sowie die Trinkschale, die der Youkai dabei hatte.

„Interessant. Falls der Kerl nicht plaudern möchte, könnte man ihm ja ein wenig drohen. Ihm bei vollen Bewusstsein den Schweif abschneiden zum Beispiel...“

Kimie wurde allein bei dem Gedanken ganz anders. Warum erzählte Akuma das ausgerechnet ihr? Betrunken war er jedenfalls nicht.

„Verzeih, ich habe nur laut gedacht“, sprach er seelenruhig weiter, als er ihren wenig begeisterten Gesichtsausdruck bemerkte. „Es würde mich jedoch wundern, wenn Sesshoumaru dem Gefangenen gegenüber zimperlich sein sollte. Immerhin wollte dieser seinen Sohn töten... Vielleicht bekommen wir ja doch ein blutiges Spektakel zu sehen.“

„Nichts, worauf ich sonderlich versessen wäre...“, entgegnete Kimie trocken.

„Natürlich nicht. Ich frage mich nur, ob Sesshoumaru über die Jahre möglicherweise ein wenig weicher geworden sein könnte? Aber eines muss ich euch dennoch lassen: der Sake hier ist ausgesprochen gut. Darf ich dir vielleicht etwas davon anbieten?“

„Nein, danke. Vielleicht ein andermal“, lehnte Kimie das Angebot ab. Abgesehen davon stillte sie ja Katô. Alkohol war da absolut tabu!

Mit den Schultern zuckend, genehmigte sich Akuma hingegen noch einen Schluck. Kimie war sich immer noch nicht sicher, was er wollen könnte. Bedroht fühlte sie sich nicht, aber trotzdem empfand sie die momentane Situation als ein wenig befremdlich. Anstatt jedoch weiter zu reden, kümmerte sie sich zunächst weiter um Katô.

Akuma beobachtete nunmehr schweigend, wie Sesshoumarus Gefährtin ihren Tätigkeiten nachging und ihren Sohn in dessen Bettchen legte. Das war das erste Mal, dass der Ryû-Youkai den Kleinen zu Gesicht bekam.

Nachdem Kimie Katô abgelegt hatte, fiel ihr jedoch etwas auf. Bis eben war der Kleine vollkommen ruhig gewesen, doch jetzt waren seine Augen weit geöffnet und er schien in Richtung Tür schauen zu wollen. Genau dorthin, wo Akuma stand. Verängstigt wirkte Katô allerdings nicht, eher neugierig und in gewisser Weise misstrauisch angesichts der Gegenwart dieser fremden Person.

Auch Akuma entging dies nicht, weshalb sich ein amüsiert anmutendes Lächeln auf seine Lippen stahl. Obwohl der Kleine noch ein Kind, sogar erst ein Baby war, schien er instinktiv schon zu wissen, wem er sofort sein Vertrauen schenken konnte und bei wem er besser zunächst vorsichtig sein wollte.

Als Kimie rüber zum Fenster ging, um dieses ein wenig zu öffnen, stellte Akuma Krug und Trinkschale erst mal zur Seite. Da Sesshoumaru ja gerade nicht hier war, bot sich die Gelegenheit geradezu an. Also näherte er sich Kimie mit langsamen Schritten. Diese bemerkte zwar, wie Akuma auf sie zukam, doch umdrehen tat sie sich zunächst nicht. Dicht hinter ihr blieb er letztendlich stehen, ohne sie jedoch in irgendeiner Form zu berühren. Sein Blick ruhte an der Stelle zwischen ihrer linken Schulter und ihrem Hals, wo er sie damals mal gebissen hatte. Es hatte zu der Zeit keine Bedeutung gehabt, er hatte lediglich sein Spiel spielen wollen. Und er bemerkte, dass Kimie mitzubekommen schien, woran er gerade gedacht hatte.

„Das weckt Erinnerungen, nicht wahr?“, fragte Akuma sie daher ganz ungeniert. Er meinte es nicht ernst, er spielte wieder nur. Das dachte sich auch Kimie. Vermutlich wollte er testen, wie sie im Vergleich zu damals jetzt auf ihn reagierte. Anstatt ihn daher gewaltsam von sich zu stoßen, zumal er sie auch nach wie vor nicht berührte, blieb sie ganz ruhig, als sie ihrerseits das Wort an ihn richtete: „Schon komisch. Ich dachte, Youkai von deinem Schlag hätten nichts für Menschen übrig. Oder bist du einfach nur nicht wählerisch, dass du dich mit mir abgibst?“

Hm... Sie konterte mit offensiven Worten und schien ihn ebenso prüfen zu wollen, wie er sie. Offenbar konnte er sie dieses Mal nicht festnageln. Trotzdem oder gerade deswegen behielt Akuma sein selbstsicheres Lächeln bei. Er mochte Herausforderungen und hatte sich bisher noch vor keiner gedrückt.

„Diese abgebrühte Haltung... Hast du sie dir von deinem Gefährten abgeschaut?“, fragte er neugierig. „Ich könnte dich problemlos hier und jetzt töten, wenn ich es wollte.“

„Tja, das könntest du tatsächlich, aber zu welchem Sinn und Zweck? Abgesehen davon glaube ich nicht, dass du die Sauerei danach aufwischen möchtest. Blutflecke gehen so schwer raus.“

„Und du hast offenbar einen ziemlich derben Humor“, fand Akuma. War Kimie schon immer so gewesen?

„Ich steh eben nicht mehr so auf die Rolle der Opferbraut“, entgegnete sie.

„Hm... Schade eigentlich. Der Ausdruck von Angst steht einer Frau doch eigentlich ziemlich gut.“

„Ja, dass du das so empfindest, kann ich mir vorstellen.“

Irgendwie amüsierte Akuma diese Art der Konversation mit Kimie. Vielleicht konnte er sich noch den einen oder anderen Spaß mit ihr erlauben? Nun, zumindest hätte er das gerne versucht, allerdings war ihm das heute wohl nicht vergönnt, als sich die Tür des Zimmers abermals öffnete und Sesshoumaru auf der Bildfläche erschien.

Schlagartig herrschte eine derart kühle Atmosphäre im Raum, dass man den Eindruck hätte bekommen können, der Winterwind hätte sich seinen Weg in die Gemächer erschlichen. Trotzdem blieb Akuma fast schon unheimlich ruhig, als er von Kimie wegtrat und stattdessen auf Sesshoumaru zuging.

„Deine Gefährtin scheint eine eiserne Lady geworden zu sein, Sesshoumaru. Schwer aus der Fassung zu bringen“, meinte er amüsiert, ehe er ohne einen weiteren Kommentar den Raum wieder verließ. Er machte nicht mal die Tür hinter sich zu, das erledigte Sesshoumaru.

„Was war hier los?“, fragte er danach, woraufhin Kimie aber bereits abwinkte.

„Kein Grund zur Aufregung. Er wollte mich offenbar testen. Alles halb so wild.“

Das mochte ja sein, aber Sesshoumaru widerstrebte es einfach, sich bloß vorstellen zu müssen, wie ein anderer Mann seiner Gefährtin zu nahe käme. Und Akuma... Er hatte es damals schon gewagt, Hand an Kimie zu legen. Sesshoumaru hatte das nicht vergessen und das würde er auch nie. Es war reines Glück gewesen, dass dieser Drache damals nicht noch weiter gegangen war. Vielleicht sollte Sesshoumaru es doch veranlassen, dass Kimie und Katô permanent bewacht wurden? Mit ein oder zwei fähigen Wachen vor der Tür wäre das eben vermutlich nicht passiert.

Ein schnippendes Geräusch, ausgelöst von Kimies Fingern direkt vor seinem Gesicht, holte Sesshoumaru wieder aus seinen Grübeleien.

„Denk daran, was ich dir erst kürzlich über Falten gesagt habe“, erinnerte sie ihn neckend, ehe sie, begleitet von einem Lächeln, Sesshoumarus Gesicht zu sich drehte und ihm – für ihn in dieser Situation doch ziemlich unerwartet – einen sanften Kuss gab.

„So! Und nun Erlaube deiner dich liebenden Frau, dir zur Entspannung einen schönen heißen Tee zuzubereiten.“

Die Art und Weise, wie sie gesprochen hatte, war zwar begleitet gewesen von einem scherzhaften Unterton, trotzdem kümmerte sich Kimie sogleich um die Zubereitung des Tees.

„Wie lief es denn bei Kakeru? Hast du schon darüber entschieden, was du mit dem Gefangenen machen willst?“, fragte sie währenddessen.

„Genau genommen, war ich mit Kakeru eben unten im Kerker. Doch dieser Fuchs machte keine Anstalten, irgendetwas zu sagen“, antwortete Sesshoumaru. Dass er keine näheren Informationen erhalten hatte, hatte er zwar erwartet, trotzdem nervte ihn das beharrliche Schweigen des Gefangenen selbst jetzt noch.

„Hmm... Und was bedeutet das jetzt?“, wollte Kimie wissen.

Zunächst schwieg Sesshoumaru, allerdings nicht, weil er sich etwa davor scheute, seiner Gefährtin zu sagen, was er dachte.

„Was auch immer mit Aoshi passiert sein und wie viel Wahrheit hinter Saoris Geschichte stecken mag, dieser Kitsune wusste genau, was er tat, als er sich hier einschlich und sein Schwert gegen Katô erhob. Allein für den bloßen Versuch kann es nur eine Strafe geben.“

Und es war Kimie sofort klar, was er damit meinte...
 

„Dann will Sesshoumaru den Kitsune hinrichten lassen?“, fragte Kagome irgendwo erschrocken, nachdem ihre Cousine ihr und Inu Yasha wenig später von dem Gespräch mit Sesshoumaru erzählt hatte.

„Er will es sogar selbst in die Hand nehmen, hat aber noch nicht gesagt, wann er es in die Tat umsetzen wird“, antwortete Kimie, wobei sie leise seufzte. „Nun ja... Er hat noch immer eine unsagbare Wut in sich wegen der Sache mit Katô. Viel hatte schließlich nicht mehr gefehlt...“

Inu Yasha verschränkte hingegen ungerührt die Arme hinter dem Kopf.

„Tja, Pech für diesen Fuchs! Ich gebe es ja nicht gerne zu, aber dieses eine Mal kann ich Sesshoumarus Handeln verstehen.“

„Aber hältst du es für richtig, Gleiches mit Gleichem zu vergelten?“, gab Kagome zu bedenken, doch zeigte sich der Hanyou davon wenig beeindruckt.

„Wir befinden uns hier immerhin in einem Kampf! Diese Füchse sind selbst Schuld, weil sie mit alldem angefangen haben! Die hätten ja auch einfach zu Hause bleiben und still halten können, dann hätten wir alle noch unsere Ruhe!“

Davon ließ sich Kagome jedoch wenig überzeugen. In einem Kampf konnte man sich bis zu einem gewissen Grad immer noch wehren, bei einer Hinrichtung hingegen war man ausgeliefert...

„Ich geh an die frische Luft“, meinte Inu Yasha auf einmal und verließ den Raum, als wollte er einer weiteren Diskussion um die Frage nach richtig oder falsch lieber aus den Weg gehen. Kagome und Kimie hatten eigentlich auch vor, sich gleich auf den Weg zu machen, da sie schon im Vorfeld zu der heißen Quelle hatten gehen wollen. Und genau das taten sie nach einem Moment letztendlich. Während sie sich auf dem Weg machten, fiel Kimie auf, dass ihre Cousine merkwürdig still geworden war.

„Stimmt etwas nicht, Kagome?“, fragte sie diese daher schließlich.

„Ich mache mir nur Gedanken...“, antwortete Kagome. „Inu Yasha... Er denkt noch immer an Kikyou...“

Sie schilderte Kimie kurz, wie sie die Situation erlebt hatte, als die Kitsune das Schloss angegriffen hatten und Kuro die Gestalt von Kikyou angenommen hatte, um Inu Yasha zu täuschen.

„Er verliert kein Wort darüber, aber ich bin mit sicher, dass er noch darüber nachdenkt. Aber auch ich habe ihn nicht mehr auf diese Sache angesprochen.“

„Möchtest du es noch tun?“

Kagome schüttelte den Kopf.

„Ich denke nicht. Ich möchte keine alten Wunden bei ihm aufreißen. Außerdem...“ Sie lächelte wohlwollend. „Außerdem macht es mir nichts mehr aus.“

Zumindest nicht so viel, wie noch zu Anfang. Kagome hatte ihre negative Einstellung Kikyou gegenüber längst überwunden. Auch wenn dies nichts daran änderte, dass sie die Tatsache, dass Inu Yasha Kikyou damals in den Tod hatte folgen wollen, nach wie vor beschäftigte. Natürlich war sie deswegen verletzt, doch gab sie weder Kikyou noch Inu Yasha die Schuld daran.

An der Quelle schließlich angekommen, legten Kagome und Kimie ihre Kleider ab und stiegen in das warme Wasser. Nachdem sie die erste Zeit lang schweigend beieinander gesessen hatte, richtete Kimie erneut das Wort an ihre Cousine: „Sag mal, Kagome... Hast du dir eigentlich überlegt, was aus uns wird, wenn sich der Brunnen wieder schließen sollte, ohne sich erneut zu öffnen?“

„Eh?“ Von dieser Frage war Kagome im Augenblick doch ein wenig überrascht. Wenn sich der Brunnen wieder schließen sollte...?

„Ich meine ja nur... Es könnte doch passieren, oder?“, überlegte Kimie. „Damals kam das alles so unerwartet und plötzlich... Ich frage mich, ob so etwas in der Art wieder geschehen könnte. Und hast du dir eigentlich schon mal überlegt, inwiefern wir mit unserem Eingreifen hier die Vergangenheit beeinflussen? Wie wäre alles verlaufen, wenn keiner von uns beiden je hierher in diese Zeit gekommen wäre? Ich kann mich zwar nicht an irgendetwas erinnern, womit wir maßgeblich die uns in der Neuzeit bekannte Geschichte verändert hätten, aber was, wenn es doch so etwas gegeben hat oder noch geben wird? Meinst du, das hätte schlimme Auswirkungen?“

Wie sie ausgerechnet jetzt darauf gekommen war, wusste Kimie selbst nicht. Es war ihr auf einmal einfach in den Sinn gekommen.

„Hm... Ich weiß es nicht“, entgegnete Kagome nachdenklich. „Das Beste ist wohl, wir halten uns so gut es geht aus gewissen Dingen heraus. Nun gut, dass wir uns erst jetzt darüber Gedanken machen, mag zwar irgendwie unsinnig sein, aber das, was bisher schon passiert ist, können wir eh nicht mehr ändern.“

Stimmt, ändern konnten sie das nicht mehr. Andererseits konnten sich weder Kimie noch Kagome gerade an ein Ereignis erinnern, das maßgeblich für die Geschichte gewesen war und welches sie eventuell beeinflusst hätten. Denn bisher hatten sie es ja hauptsächlich mit irgendwelchen größenwahnsinnigen Youkai oder dergleichen zu tun gehabt, nicht mit berühmten Feldherren der Sengoku-Ära, welche diese Zeit nachweislich geprägt hatten.

Die Überlegungen diesbezüglich brachten Kimie auf einen weiteren Gedanken.

„Kagome? Hast du dir schon mal überlegt, ob es in unserer Zeit auch Youkai gibt, aber nur kein Mensch von ihnen weiß?“, fragte sie.

„Darüber habe ich noch nie so recht nachgedacht“, entgegnete Kagome. Doch sie erinnerte sich noch gut an gewisse Vorkommnisse, die sich nachdenklich stimmten. Zum Beispiel die Noh-Maske, die damals einen Juwelensplitter besessen hatte und im Besitz der Familie Higurashi gewesen war... Sie hatte doch aus Kagomes und Kimies Zeit gestammt! Warum sollte es also nicht noch weitere Youkai in der Neuzeit geben? Oder... war das mit der Maske nur ein Zufall gewesen? Andererseits hatte Kimie Inuki auch in der Neuzeit gefunden, obwohl er dämonischen Ursprungs war. Bis heute wusste sie nicht, warum er dort gewesen war und ob er schon immer in der Neuzeit gelebt hatte oder erst durch irgendeinen unerklärlichen Einfluss dorthin gelangt war. Und wenn in der Neuzeit doch Youkai existierten, wie konnte es dann sein, dass es die Menschen waren, die sich augenscheinlich an die Spitze hatten setzen können? Oder waren alle starken Youkai-Clans im Laufe der Zeit verschwunden? Aber wie hatte das passieren können?

Resignierend ließ Kagome irgendwann einen langen Seufzer verlauten.

„Oh je... Das ist anstrengend... Wie damals, als ich mit dem Lernen für die Schule nicht mehr hinterher kam...“, murmelte sie, was Kimie unweigerlich zum Schmunzeln brachte, ehe sie mitbekam, wie sich noch jemand der Quelle näherte.

„Kimie-san! Kagome-sama!“

„Oh! Hallo, Rin-chan! Wie geht es dir?“, fragte Kagome das soeben eingetroffene Mädchen, welches erfreut lächelte.

„Sehr gut! Darf ich zu euch ins Wasser?“

„Natürlich!“

Und so waren sie wenig später zu dritt in dem entspannenden Wasser.

Während Rin sich ein wenig mit Kagome unterhielt, musterte Kimie das Mädchen. Den Schock über ihre Entführung durch die Kitsune schien sie bereits vollkommen überwunden zu haben. Zum Glück schleppte sie solche Erlebnisse nie allzu lange mit sich herum. Wie alt war Rin eigentlich inzwischen? 13? Eigentlich ein Alter, in dem man in der Neuzeit in der Regel bereits mindestens ein Mal verliebt gewesen war, aber sie wirkte noch immer so unschuldig wie am ersten Tag. Wie Sesshoumaru wohl reagieren würde, wenn sie irgendwann anfangen würde, sich für Jungs zu interessieren? Wer auch immer derjenige wäre, der das Herz des Mädchen eroberte, er sollte sich vor dem Youkai gehörig in Acht nehmen.

„Hm... Ich frage mich, ob Kohaku noch im Dorf ist“, meinte Rin auf einmal.

„Ist er euch besuchen gekommen?“, fragte Kimie daraufhin.

„Ja, kurz bevor diese unheimlichen Youkai gekommen sind und mich mitgenommen haben.“

Das erklärte zumindest, weshalb Miroku nach Rins Entführung durch die Kitsune auf Kirara hierher zum Schloss gekommen war. Denn Sangos treue Dämonenkatze begleitete ja schon seit längerer Zeit deren jüngeren Bruder auf dessen Weg, ein guter Dämonenjäger zu werden. Hin und wieder besuchte Kohaku seine Schwester im Dorf und dass er sich schon lange gut mit Rin verstand, war Kimie nicht entgangen. Die beiden waren bereits Freunde gewesen, als Naraku ihnen allen noch das Leben schwer gemacht hatte. Wer weiß? Vielleicht würde sich in ein oder zwei Jahren tatsächlich etwas ergeben? Aber darüber würde Kimie erst nachdenken, wenn es wirklich so weit wäre.

Nachdem sie noch eine Zeit lang so zusammen im Wasser gesessen hatten, stand Kimie schließlich als Erste auf. Es war keine Absicht gewesen, doch gerade zu dem Augenblick, als sie aus dem Wasser gestiegen war und sich das Handtuch umlegte, hatte Takeshi sie von einem der Fenster aus entdeckt. Es war nur einen Spalt weit offen gewesen und er hatte mehr zufällig hinaus gesehen, da er von draußen sie Stimme vernommen hatte. Dummerweise hatte er seinen Blick danach aber auch nicht mehr abwenden können und eindeutig mehr gesehen, als es ihm eigentlich erlaubt gewesen wäre. Innerlich verfluchte er sich selbst dafür. Wenn Kimie das je erfahren sollte, wäre sie bestimmt stocksauer... Aber... sie bot wirklich einen betörenden Anblick. So hatte Takeshi sie bisher noch nie zu Gesicht bekommen. Wie auch? Und das hier war auch wirklich reiner Zufall gewesen.

„Was gibt es denn da draußen so Spannendes zu sehen, kleiner Bruder?“

Die Stimme seines Bruders ließ Takeshi fast einen Herzstillstand erleiden. Hastig schob er das Fenster wieder zu. Er selbst fühlte sich schon schäbig genug dabei, dass er sich nicht hatte beherrschen können, aber Akuma musste Kimie erst recht nicht so sehen.

„Gar nichts! Das Fenster war zufällig offen, deshalb habe ich mal einen Blick nach draußen geworfen“, versuchte Takeshi zu erklären. Ironischerweise war das ja nicht mal gelogen gewesen...

„Ist irgendetwas? Du scheinst mir ein wenig nervös zu sein“, fand Akuma, ehe sein Blick auf das Fenster fiel. Takeshi hatte doch irgendetwas gesehen... Was mochte das gewesen sein, dass er jetzt so hektisch wirkte? Vielleicht sollte er selbst mal einen Blick nach draußen werfen? Doch da machte ihm sein Bruder gleich einen Strich durch die Rechnung.

„Nein, es ist gar nichts! Komm, lass uns gehen, Akuma!“

Mit diesen Worte wollte Takeshi den Älteren den Flur entlangschieben, ohne sich noch mal zum Fenster umgedreht zu haben. Akuma jedoch hatte andere Pläne und wollte sich von diesen auch nicht abbringen lassen.

„Was hast du denn, Takeshi? Was ist es, was du vor mir zu verstecken versuchst?“

Denn irgendetwas musste da ja sein, was Akuma nach Ansicht seines jüngeren Bruders auf keinen Fall sehen durfte. Das schürte allerdings nur dessen Neugier umso mehr und so öffnete er das Fenster dieses Mal vollständig, ohne dass Takeshi ihn davon hatte abhalten können.

Kimie hingegen hatte in der Zwischenzeit nach oben gesehen. Ihr war, als hätte sie eben etwas gehört... Aber offenbar hatte sie sich das nur eingebildet. Zumindest hatte sie das zunächst gedacht, doch als just in diesem Augenblick das Fenster geöffnet wurde, traf sie regelrecht der Schlag. Anstatt jedoch zu verschwinden, nahm sich Akuma genügend Zeit, die junge Frau eingehend zu mustern.

„Oh! Verstehe... Das war es also, was dich eben so fasziniert hat, Brüderchen“, meinte er auch noch höchst amüsiert, als Takeshi ihn eindringlich an der Schulter fasste.

„Akuma, bitte! Geh da weg! Sonst...!“

„Kyaaah! Verschwindet sofort! Alle beide!“, schrie Kimie indes aufgebracht und schleuderte einen Stein nach oben, welchem die beiden Youkai noch auswichen, ehe Takeshi seinen Bruder energisch wegzog und eiligst das Fenster wieder zuschmiss.

Von der Situation nach wie vor irgendwie angetan, war Akuma recht belustigt.

„Feurig. In gewisser Weise ist sie also doch noch genau so aufbrausend wie früher“, meinte er, aber als er zu seinem Bruder schaute, stand dieser mit einer Hand an der Wand abgestützt irgendwie ziemlich geknickt ein paar Meter entfernt. „Hey, Takeshi?“

„Sprich... mich jetzt nicht an...“, murmelte dieser nur resignierend, was von Akuma aber nur mit einem amüsierten Lächeln kommentiert wurde.

Unweit der beiden Brüder rollte noch der von Kimie geworfene Stein auf dem Fußboden herum, bis er kurz darauf zum Stehen kam.
 

Der kleine Vorfall während des Bades bereitete Kimie auch im Nachhinein noch leichtes Kopfweh. Nein, Sesshoumaru würde sie davon nichts erzählen. Dieser hätte das ansonsten möglicherweise nur in den falschen Hals bekommen und das wollte sie vermeiden. Zumal Akuma sich ja bereits am Morgen seine kleinen Späße erlaubt hatte. Und wenn Sesshumaru erfuhr, dass nicht nur dieser sondern auch Takeshi sie gesehen hatte... Nein, die Szene, die das mit sich ziehen würde, wollte sie sich lieber nicht vorstellen.

Kimie glaubte zwar nicht daran, dass Takeshi sie absichtlich beobachtet hatte – über Akuma wagte sie hingegen kein Urteil abzugeben – aber dennoch war es ihr mehr als peinlich. Wenn sie Takeshi allerdings richtig einschätzte, war es diesem vermutlich genau so unangenehm gewesen wie ihr.

„Und ich war immer der Ansicht, Miroku-sama wäre der Einzige, vor dem man sich in Acht nehmen müsste...“, meinte Kagome trocken. Und Miroku war momentan ja nicht mal hier.

Inzwischen hatten die Frauen ihre Kleider längst wieder angelegt und Kimie hatte Rin schon mal zurück ins Innere des Schlosses geschickt, damit sie sich nicht eventuell erkältete. Kagome fragte sich hingegen, wo Inu Yasha abgeblieben war. Dieser hatte vorhin ja lediglich gemeint, dass er frische Luft schnappen wollte. Das konnte vieles bedeuten.

„Hoffentlich fängt er keinen Streit mit den Ryû-Youkai an...“, überlegte sie. Zuzutrauen wäre es ihm zumindest. Immerhin war der Hanyou ein ziemlicher Hitzkopf und viel für die Ryû-Youkai hatte er noch immer nicht übrig. Allerdings konnte Kagome das nachvollziehen. Auch sie selbst war sich noch nicht so sicher, was sie von Akumas Auftritt während des letzten Kampfes gegen die Kitsune halten sollte. Wollte er den Inu-Youkai wirklich helfen? Oder verfolgte er mal wieder eigene Ziele? Jedenfalls konnte sie sich nicht vorstellen, dass er das alles so vollkommen selbstlos tat. Und natürlich teilte sie auch Kimie ihre Bedenken mit.

„Tja“, erwiderte diese nach kurzem Nachdenken. „Ich weiß nicht, ob noch mehr dahinter steckt, aber zumindest bei Takeshi bin ich mir sicher, dass er keine krummen Dinger dreht.“

„Ja, stimmt wohl. Und genau genommen war er es ja schließlich auch, der Akuma dazu bewegt hat, herzukommen. Vielleicht mache ich mir einfach zu viele Gedanken.“

Das Gespräch der beiden kam zum Erliegen, als Inu Yasha mit einem Mal auf der Bildfläche erschien. Dieser hatte sich offenbar außerhalb des Schlossgeländes herumgetrieben, denn unvermittelt hockte er auf der Schlossmauer, von welcher er nun auf Kagome und Kimie hinunter blickte.

„Hey! Worüber redet ihr da schon wieder? Irgendetwas Spannendes?“, fragte er, als er von der Mauer sprang.

„Kommt darauf an, was du unter 'spannend' verstehst.“, erwiderte Kagome amüsiert. „Aber wo hast du dich eigentlich herumgetrieben, Inu Yasha? Du hast doch hoffentlich keinen Streit mit Akumas Leuten gesucht, oder?“

„Nein, aber ich gebe zu, es juckt mir in den Fingern“, entgegnete Inu Yasha ganz ungeniert. Dummerweise hatten diese fliegenden Echsen noch nichts getan, weshalb er sie sich mal ordentlich hätte zur Brust nehmen können.

Ein tiefes Brummen erregte mit einem Mal die Aufmerksamkeit der kleinen Gruppe. War einer der Flugdrachen der Ryû-Youkai in der Nähe? Es schien aus dem hinteren Teil des Gartens zu kommen. Kurzentschlossen schauten die drei nach. Schaden konnte es ja nicht. Doch was sie entdeckten, damit hatten sie nicht unbedingt gerechnet: Da lag doch tatsächlich Jin in seiner Drachengestalt auf der breiten Schlossmauer und... schien zu schlafen.

„Was soll denn das?“, fragte sich Kimie irritiert. Es war ja nicht so, dass sie das erste Mal etwas Merkwürdiges sah, aber ein tief schlafender Drache auf der Schlossmauer... Da es sich um Jin handelte, machte es fast den Eindruck, als machte er das mit Absicht, um die Inu-Youkai damit zu ärgern.

„Hm... Ich könnte ihn ein wenig mit Tessaiga kitzeln“, schlug Inu Yasha vor und die Versuchung war wirklich mehr als groß. Von daher wollte er auch sogleich – ungeachtet von Kagomes abratenden Erwiderungen – loslegen, als Jin auf einmal dicke, schwarze Rauchringe aus seiner Nase stieß.

„Versuch es, Hanyou, und ich fress' dich mitsamt deinem Spielzeug!“, drohte der Drache mit tiefer bedrohlicher Stimme, den Blick seines zu der Gruppe gekehrten tiefroten Auges auf Inu Yasha und die anderen gerichtet.

Der Hanyou schnaubte verärgert. „Tse! Pass lieber auf, dass dir nicht die Schuppen abplatzen, wenn du dich weiter so aufpumpst, du fliegende Echse!“

„Und du bist ganz schön vorlaut, Hundeschnauze! Je lauter sie bellen, umso harmloser sind sie am Ende“, entgegnete Jin tief knurrend, klang dabei aber eher gelangweilt, was er offenbar mit einem herzhaften Gähnen unterstreichen wollte. Der Blick auf die langen dolchartigen Zähne, von denen jeder mindestens so lang war, wie ein ausgewachsener Mann, in seinem Maul war schon Angst einflößend.

„Jin, komm da runter! Und verwandle dich bitte nicht, wenn es nicht unbedingt sein muss“, drang mit einem Mal Takeshis Stimme zu den Anwesenden vor, als Akumas jüngerer Bruder sich zu ihnen gesellte. Denn so, wie Jin da auf der Mauer lag, wirkte das doch recht provokant. Als wollte er die Anwesenden im Schloss tatsächlich herausfordern...

Erst auf die Aufforderung von Takeshi hin verließ Jin seinen aktuellen Ruheplatz. Trotz seiner gigantischen Gestalt bewegte er sich keinesfalls plump, sondern sehr geschmeidig, und legte seine Drachenform wieder ab.

„Keh! Wenn erst mal die ganze Luft raus ist, wirken sie alle nicht mal mehr halb so imposant“, murmelte Inu Yasha an Kagome gewandt, die nun doch unwillkürlich lächeln musste.

Um etwaige weitere Provokationen seitens Jin zu vermeiden, schickte Takeshi diesen erst mal wieder weg. Allerdings fiel es ihm im Augenblick merklich schwer, Kimie ins Gesicht zu schauen. Er wollte besser auch erst mal wieder von hier verschwinden.

„Ich... geh mal nach meinem Flugdrachen schauen“, meinte er von daher, auch wenn es mehr als deutlich herauszuhören gewesen war, dass er dies zur Ablenkung gesagt hatte und einfach nach einer Möglichkeit suchte, sich aus dem Staub zu machen.

Kaum, dass Takeshi der Gruppe den Rücken zugewandt hatte, sprach Kimie ihn an: „Kann ich mitkommen?“

Verwirrt und überrascht zugleich hielt Takeshi abrupt inne. Sie wollte mitkommen? Warum? Ob sie ihm etwa wegen der Sache von vorhin unter vier Augen in die Mangel nehmen wollte?

„Uhm... Wenn du möchtest“, antwortete er nach kurzem Zögern, ehe er weiterging. Kimie folgte ihm direkt. Nein, in die Mangel nehmen, wollte sie ihn nicht. Sie hatte einfach mal mit ihm reden wollen. Und das beste wäre wohl, wenn sie gar nicht mehr auf die Sache von vorhin eingehen würde. Auch deshalb, damit sie Takeshi nicht noch weiter in Verlegenheit brachte. Denn dass ihm das alles unangenehm war, konnte sie ihm mehr als deutlich ansehen. Deshalb verlor Kimie sowohl während des kurzen Weges, als auch nach der Ankunft bei Takeshis Flugdrachen kein Wort über vorhin.

„So ein Flugdrache frisst bestimmt so einiges... Hat er eigentlich einen Namen?“, fragte sie stattdessen, während sie beobachtete, wie sich Takeshi um sein Reittier kümmerte, welches es sich in einer Ecke des großen Hofes gemütlich gemacht hatte. Die Winterkälte schien den Flugdrachen der Ryû-Youkai nichts auszumachen. Aber viele Drachen oder drachenähnliche Wesen schienen ohnehin bergige und somit auch kältere Regionen gewohnt zu sein.

„Nein, unsere Flugdrachen haben keine Namen“, antwortete Takeshi, während er beobachtete, wie sich Kimie schließlich traute, eine Hand vorsichtig an den Kopf des Tieres zu legen, welches vollkommen gelassen blieb. Das Tier war ohne Zweifel ziemlich imposant. Und obwohl es sich im Augenblick ruhig verhielt, ließ es einen nicht vergessen, wie gefährlich es werden konnte. Trotzdem war es auch ein schönes Wesen.

„Wirklich nicht? Und wie ruft ihr sie dann?“, fragte Kimie weiter.

„Sie wissen schon, wann wir sie brauchen. Das haben sie im Gespür.“

Während Takeshi ihr noch das eine oder andere erzählte, hörte Kimie ihm interessiert und aufmerksam zu. Ah-Un war so gesehen eigentlich das bisher größte Tier gewesen, mit dem sie zu tun gehabt hatte. Obwohl es an sich schon merkwürdig war, solche Wesen schlicht als „Tiere“ zu bezeichnen, zumal es ja im Grunde Geschöpfe dämonischen Ursprungs waren.

Abrupt hielt sich Kimie die Hand vor den Mund, als sie unvermittelt zu husten begann.

„Oh? Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte Takeshi sie sogleich, woraufhin Kimie beruhigend lächelte und nickte.

„Ja, es ist nur ein wenig kalt hier draußen.“

„Dann solltest du vielleicht besser wieder reingehen, bevor du dich erkältest.“

Vielleicht war der Ratschlag gar nicht so dumm. Kimie konnte es sich gerade nicht leisten, krank zu werden, zumal sie vielleicht noch immer ein wenig angeschlagen war. Allerdings bot sie Takeshi an, sich nachher bei einer Tasse Tee mit ihm im Warmen zusammenzusetzen, um noch ein wenig zu reden. Das Angebot nahm Takeshi gerne an und beobachtete noch, wie Kimie sich in Richtung des Schlosses begab. Kurz darauf vernahm er die amüsierte Stimme seines Bruders: „Hm! Es ist im Grunde fast schon dreist, wie du diese Frau umgarnst. Und das auch noch auf Sesshoumarus Grund und Boden... Das möchte man dir eigentlich gar nicht zutrauen.“

Das Erscheinen von Akuma überraschte Takeshi nur minder, ebenso wie dessen Kommentar.

„Ich umgarne sie nicht! Ich unterhalte mich nur mit ihr. Und ich zwinge sie schließlich zu nichts, oder?“, entgegnete er daher vollkommen ruhig, was den Älteren jedoch nur minder überzeugte.

„Ja, aber wenn du so weitermachst, bringst du sie vielleicht noch dazu, gewisse Dinge mit dir zu tun, die ihr beide garantiert nicht vergessen werdet. Heiße Spielchen zu zweit... Und wäre Sesshoumaru nicht so verbohrt, könnte er darin sogar etwas Positives sehen, du verstehst? Wenn du hin und wieder bei seiner Gefährtin für 'Ablenkung' sorgen würdest...“

Takeshi wusste nur zu gut, was Akuma damit meinte, aber angetan war er davon nicht gerade.

„Akuma, allein die Vorstellung... Das ist ungeheuerlich...“

„Findest du? Nun, vielleicht wirst du ja dann zumindest ihre zweite Wahl. Wenn das passiert, bedeutet das vermutlich, dass ihr irgendetwas fehlt. Ansonsten bräuchte sie ja keine zweite Wahl, nicht wahr? Viele Männer von hohem Rang haben mehrere Frauen. Warum sollte eine Frau in hoher Position dann nicht auch mehrere Männer haben dürfen?“

„Jetzt hör aber mal auf! Auch wenn du nur Scherze machst, diese ganzen Überlegungen sind Unsinn und das weißt du selber.“

„Du willst mir also erzählen, dass es dich gar nicht mehr stört, dass die Frau, die du so sehr begehrst, Nacht für Nacht in den Armen eines anderen Mannes liegt?“

„Einen Mann, den sie lange vor mir kennengelernt hat.“

„Na und? Was sagt das schon aus?“

Akuma sprach zwar nach wie vor mit einem Unterton, der darauf schließen ließ, dass er seine Worte nicht hundertprozentig so meinte, aber in gewisser Weise eben doch. Er sah diesen ganzen Beziehungskram eben nicht so eng, wie manch anderer. In dieser Zeit wurden viele eheliche Arrangements aus politischen oder taktischen Gründen geschlossen. Nur manchmal kam es in diesen Fällen vor, dass beide Partner im Endeffekt wirklich etwas füreinander empfanden. Meistens ging es doch lediglich um Besitzansprüche. Und eine „Liebesheirat“ war im Grunde nur etwas für hoffnungslose Romantiker. In erster Linie ging man eine Bindung ein, um für Nachkommen zu sorgen. Aber da tickte Takeshi wieder ein wenig anders, dessen war sich auch Akuma bewusst.

Das Gespräch der beiden Brüder kam abrupt zum Erliegen, als sie mitbekamen, wie plötzlich die Türen des Schlosses geöffnet wurden. Heraus trat Sesshoumaru, welcher den gefangenen und gefesselten Kitsune ins Freie schleifte und ihn alles andere als sanft die Treppenstufen hinunterwarf. Nicht nur Akuma und Takeshi beobachteten das Geschehen, sondern auch die sich in der Nähe aufhaltenden Youkai beider Clans.

„Na also! Sieht ganz so aus, als bekämen wir doch noch etwas Interessantes zu sehen“, meinte Akuma interessiert. Er war mehr als gespannt auf das, was als nächstes passieren würde. Zumal es nicht den Anschein machte, als wäre diese Aktion von Sesshoumaru geplant gewesen. Vielmehr sah es so aus, als hätte er sich spontan dazu entschlossen, sich diesen Kitsune vorzunehmen. Sesshoumarus eiskalter Blick ruhte auf dem Gefangenen.

„Du möchtest also nach wie vor nicht reden? Loyalität gegenüber seinem Herrn zu haben, ist eigentlich eine Eigenschaft, die ich zu schätzen weiß. Nur...“ Anstatt seinen Satz direkt zu beenden, holte er aus und schlug urplötzlich mit seiner Lichtpeitsche auf den Kistune ein. „In diesem Fall passt sie mir ganz und gar nicht!“

Und noch während der Gefangene vor ihm auf dem Boden im Schnee lag, überließ Sesshoumaru es seiner Peitsche, das auszudrücken, was gerade in seinem Inneren vorging. Wenn schon nicht an Kuro, so wollte er wenigstens an diesem Fuchs hier seine Wut auslassen dürfen. Und niemand der Anwesenden hielt ihn davon ab. Warum auch?

Von weitem beobachtete Akuma und Takeshi das Geschehen.

„Ich bin überrascht. Sesshoumaru kann ja doch die Beherrschung verlieren“, kommentierte Akuma das Schauspiel, welches er nach wie vor mit großer Aufmerksamkeit und Interesse verfolgte. Auch wenn Sesshoumaru die ganze Zeit über kühl auftrat, so musste er doch innerlich kochen.

Takeshi hingegen fühlte sich bei alldem eher unwohl. Unwillkürlich erinnerte er sich daran, als er damals für kurze Zeit als Gefangener bei den Inu-Youkai gewesen war. Zwar war er nicht ausgepeitscht worden oder dergleichen, aber angenehm war es dennoch nicht gewesen.

Sesshoumaru schlug so lange auf den am Boden liegenden Kitsune ein, dass es diesem regelrecht den Stoff der Kleidung zerriss und sein Rücken von den Peitschenhieben mit lauter blutigen Striemen bedeckt war. Selbst wenn Sesshoumaru erwartet hätte, dass er ihm noch etwas erzählte, es war fraglich, ob der Kitsune überhaupt noch hätte antworten können. Und noch immer schien Sesshoumaru keinerlei Grund darin zu sehen, seinem eigenen Tun Einhalt zu gebieten.

„Ob nun dein Herr oder dein missratener General dir den Befehl dazu gegeben hat... Allein dein Versuch, meinen Sohn zu töten, soll dir selbst einen qualvollen Tod als Lohn zukommen lassen. Bedingungslose Loyalität wird eben nicht immer positiv belohnt. Und es wird mir ein großes Vergnügen sein, eigenhändig das Leben aus dir herauszureißen!“

Wieder hörte man das Knallen der Peitsche. Es machte mehr den Anschein, als wollte Sesshoumaru den Kitsune auf diese Weise langsam aber sicher zu Tode prügeln. Soeben holte er zu einem weiteren Schlag aus, als Kimies Stimme an sein Ohr drang: „Sesshoumaru! Hör bitte damit auf!“

Augenblicklich hatte Sesshoumaru inne gehalten. Es war weniger wegen der Bitte an sich gewesen, sondern eher eine Reflexreaktion. Als er sich umwandte, lief Kimie gerade wieder die Treppen, nachdem sie erst wenige Minuten zuvor wieder ins Schloss gegangen war, hinunter und stellte sich zwischen ihren Gefährten und dem verletzten Kitsune.

„Was soll das? Was willst du?“, fragte Sesshoumaru. Seine Stimme klang kühl. In diesem Ton hatte er schon seit langer Zeit nicht mehr mit Kimie geredet.

„Lass es bitte gut sein!“, sprach diese weiter. „Ich kann verstehen, dass du wütend bist. Das bin ich auch, das kannst du mir glauben. Aber das hier kann trotzdem keine angemessene Maßnahme sein.“ Sesshoumaru musterte Kimie eingehend. Warum stellte sie sich ihm in den Weg? Und was ihn bei alldem zusätzlich verwunderte, war die Tatsache, dass ihre Stimme nicht etwa bittend oder flehend klang, sondern ernst und direkt. Und genau das spiegelte auch ihr Blick wider. Warum? Warum nahm sie diesen elenden Fuchs in Schutz, der beinahe ihren Sohn getötet hätte? Sprach da das für Menschen typische Gefühl von Mitleid aus ihr? Aber wie konnte man Mitleid für seinen Feind empfinden? Das war doch dumm!

Takeshi hingegen wunderte es nicht, dass Kimie versuchte, die Situation dadurch zu entschärfen, dass sie Sesshoumaru Einhalt gebieten wollte. Vermutlich wäre sie im Augenblick sogar die einzige Person, der er Gehör schenken würde. Und so schien es tatsächlich auch zu sein, als er seine Hand schließlich sinken ließ, ohne irgendwelche Anstalten, den Kitsune weiterhin seine Wut spüren zu lassen.

„Danke“, sagte Kimie an ihren Gefährten gerichtet, ehe sie sich dem Gefangenen zuwandte. Es hatte ihn wirklich übel erwischt... Seine Wunden sollten besser versorgt werden. Dass Kimie etwas in der Art vorhatte, ahnte Sesshoumaru bereits. Und obwohl es ihm widerstrebte, das so einfach zuzulassen, versuchte er erst gar nicht, Kimie davon abzuhalten. Stattdessen richtete er nach einem Moment streng das Wort an den Gefangenen: „Fühle dich bloß nicht zu sicher! Solltest du es wagen, in irgendeiner Form Widerstand zu leisten, stirbst du auf der Stelle. Meine Geduld ist nicht grenzenlos.“

Nachdem der Gefangene erst mal wieder abgeführt worden war, trat Akuma an Sesshoumaru heran.

„Du lässt tatsächlich den Kerl mit dem Leben davonkommen, der um Haaresbreite deinen Sohn getötet hätte? Sesshoumaru... Bist du etwa wirklich weich geworden?“

Die Worte seines einstigen Widersachers entlockten Sesshoumaru ein kurzes, aber mahnendes Knurren.

„Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten, Akuma! Und stelle meine Entscheidungen nicht in Frage!“

„Ich frage mich nur, ob dies eine kluge Entscheidung war. Bildest du dir etwa ein, dieser Fuchs fürchtet sich vor dem Tod? Du kannst ihm damit drohen, so oft du willst, das wird ihn kaum abschrecken. Ich kann nur für dich hoffen, dass irgendwo in ihm doch ein kleiner Feigling steckt, der an seinem erbärmlichen Leben hängt. Ansonsten wirst du deine Nachsicht früher oder später ganz sicher bereuen. Schlage deine Zähne in die Hälse deiner Feinde, bevor sie das selbe bei dir tun. Das ist zumindest das Prinzip, dem ich folge. Nun, mir scheint, meine Reißzähne sind um einiges schärfer als deine, hm?“

Sollte das eine Provokation oder gar eine Drohung sein? Bei Akuma war alles möglich, das wusste Sesshoumaru. Trotzdem schwieg er diesmal und ließ seinen Gegenüber weitersprechen.

„Du möchtest es deiner Gefährtin offenbar ersparen, dass sie zu viel Blut sehen muss. Aber verwechsle falsche Rücksichtnahme nicht mit Torheit. Das gilt auch für deine reizende Gefährtin.“

Torheit? Jetzt wurde der Kerl wirklich unverschämt! Doch bevor Sesshoumaru eventuell etwas darauf erwidern konnte, schritt Akuma an ihm vorbei.

„Merk dir meine Worte.“

Mit dieser letzten Bemerkung wandte sich der Ryû-Youkai ab.

Sesshoumaru kehrte kurz darauf ins Schloss zurück, wo er sich dazu entschloss, erst mal wieder zurück in seine Privaträume zu gehen. Dort hatte er Katô zuvor schlafend zurückgelassen, allerdings nicht, ohne zuvor Subaru und Ashitaka mit dessen Schutz zu beauftragen. Seinen Sohn unbeobachtet lassen, während hier noch einer von den Kitsune war und noch dazu Akuma und dessen Gefolge? Gewiss nicht! Und wegen dem Gefangenen wollte er anschließend noch mal das Gespräch mit Kimie suchen, sobald dies möglich wäre.

Takeshi, welcher natürlich ebenfalls alles aufmerksam mitverfolgt hatte, war von Kimies Verhalten nicht wirklich überrascht gewesen. Das passte zu ihr und erinnerte ihn selbst daran, wie sie damals schon versucht hatte, ihn in Schutz zu nehmen.

Als Takeshi schließlich beschloss, sich noch ein wenig um einige Dinge zu kümmern, überkam ihn auf einmal ein seltsames Gefühl. Ihm war, als würde jemand ihn beobachten. Ihn? Nein, vielmehr das Schloss...
 

Sowohl von den Inu-Youkai als auch den Ryû-Youkai unbemerkt, hatten sich Kazuya und Takuya schon vor geraumer Zeit in die westlichen Länder geschlichen und beobachteten bereits seit einiger Zeit das Schloss. So hatten sie auch von dem, was zuletzt geschehen war, einiges mitbekommen. Und besonders Takuya schien sich mehr als köstlich darüber zu amüsieren.

„Da hat unser Freund wohl noch Glück gehabt, hm? Obwohl ich schon gerne gesehen hätte, was weiter passiert wäre“, meinte er und begleitet von einem belustigten Lächeln, während er auf dem Ast eines Baumes saß. Was für ein Schauspiel... Eine Menschenfrau, die sich anschickte, einen Youkai zu beschützen? Eine merkwürdige Person, die sich dieser Sesshoumaru an seine Seite geholt hatte.

Im Gegensatz zu seinem Bruder hatte sich Kazuya, welcher auf der anderen Seite des Baumes auf einem weiteren Ast stand, noch mit keinem einzigen Wort geäußert. Aber auch er hatte alles haargenau mitverfolgt. Und sein Blick verfinsterte sich mit einem Mal merklich.

„Was ist los, Nii-san?“, wollte Takuya sogleich wissen, obwohl dies mehr eine rhetorische Frage gewesen war. Er kannte diesen Gesichtsausdruck bei seinem Bruder und ahnte, was diesem wohl gerade so zu missfallen schien.

Kazuyas Antwort war begleitet gewesen von einem leisen Knurren: „Dieses Weib... Ich kann sie nicht ausstehen...! Genau so ein Luder, wie alle von ihrem Schlag!“

Luder? Takuya wusste gleich, was sein Bruder damit gemeint hatte. Kazuya hegte schon lange generell eine tiefe Abneigung gegenüber Menschenfrauen. Und Takuya konnte sich denken, was sein Bruder am liebsten tun würde. Aber noch blieben die beiden Kitsune im Verborgenen, denn dass Takeshi offenbar ein wenig auf sie aufmerksam geworden war, war ihnen nicht entgangen.

„Wie lästig...“, gähnte Takuya gelangweilt. „Schade, dass der Kleine nicht herkommt, dann könnten wir ein wenig mit ihm spielen.“

„Ja, dass du das gerne tun würdest, kann ich mir vorstellen“, erwiderte Kazuya, welcher nun eher gleichgültig klang. Aber ein wenig würde sich sein Bruder noch gedulden müssen.

„Soll ich ihn herlocken? Dann könnten wir uns schon mal ein wenig aufwärmen“, schlug Takuya vor, doch sein Bruder schob dem sogleich einen Riegel vor.

„Nein! Du solltest lernen, dich mehr in Geduld zu üben. Du kommt noch früh genug zu deinem Vergnügen.“

Anstatt etwas darauf zu erwidern, grinste Takuya nur voller Vorfreude. Gewiss hätten er und sein Bruder mit den Inu- und den Ryû-Youkai schon bald eine Menge Spaß...
 

* ~ * ~ * ~ *
 

In der Zwischenzeit hatte Kimie den Kitsune in eines der Zimmer mitgenommen, doch bisher hatte dieser kein Wort gesagt. Im Augenblick sah er auch alles andere als nach einem grausamen Krieger aus. Er saß da wie ein Häufchen Elend, den Blick gesenkt, sogar seine Ohren hingen nach unten. Außerdem war Kimie schon vorhin aufgefallen, dass er noch relativ jung sein musste.

Wenig später klopfte es an der Tür und Kagome betrat den Raum. In den Händen hielt sie eine Schüssel mit Wasser.

„Kimie? Hier ist das Wasser, das du haben wolltest.“

„Gut! Danke, Kagome. Könntest du mir bitte auch hier noch etwas helfen?“

„Natürlich.“

Während Kagome sich nun darum kümmerte, einige Heilkräuter durchzusehen, die sich von Kakeru bekommen hatte, machte sich Kimie daran, mit einem Tuch und dem Wasser vorsichtig die Wunden des Kitsune zu versorgen.

„Sag, wenn ich vorsichtiger sein soll“, teilte sie diesem mit, doch er blieb stumm. Also machte Kimie erst mal so weiter.

„Mh... Wie heißt du eigentlich?“, fragte sie irgendwann weiter, erhielt jedoch wieder keine Antwort. Sie hakte da auch nicht weiter nach, sondern kümmerte sich weiter um die Wunden. Sesshoumaru hatte ganze Arbeit geleistet, das ließ sich nicht leugnen... Selbst die Tatsache, dass Verletzungen bei Youkai eigentlich schnell heilten, schien hier gerade von eher geringer Bedeutung zu sein, denn die Verletzungen waren noch immer blutig und machten noch keine Anstalten, sich zu schließen. Möglicherweise lag es auch daran, dass es so viele waren.

„Kimie? Hier ist die fertige Medizin.“

Kagome reichte ihrer Cousine eine Holzschale, in welcher sie eine Heilkräutermixtur vorbereitet hatte und die bei der Heilung der Verletzungen helfen sollte. Dankend nahm Kimie diese entgegen.

„Hast du das Rezept dafür auch von Kaede-obaa-chan gelernt?“

„Ja, aber ich habe das Gefühl, dass ich noch längst nicht so viel weiß wie sie.“

„Das kommt noch. Ist alles nur eine Frage der Erfahrung.“

Während die beiden jungen Frauen sich unterhielten, hörte der Kitsune dem Gespräch zu, ohne aber weiterhin auch nur einen Muskel zu bewegen. Erst, als Kimie etwas von der Kräutertinktur auf seinen Rücken gab, zuckte er ungewollt ein wenig zusammen.

„Oh, tut mir leid“, entschuldigte sich Kimie bei ihm und zögerte kurz. Da jedoch keinerlei Proteste von dem Kitsune zu vernehmen waren, machte sie kurz darauf weiter, stets darauf achtend, vorsichtig zu sein.

„Ich frage Kakeru-sama mal, ob er mir noch ein paar Kräuter geben kann“, schlug Kagome vor und verließ noch mal das Zimmer. Die folgenden Minuten herrschte Schweigen im Raum.

„Dass Sesshoumaru so die Beherrschung verloren hat, tut mir leid“, sagte Kimie schließlich, noch während sie mit der Behandlung der Wunden beschäftigt war. Sie rechnete nicht damit, dass der Kitsune noch mit ihr reden würde, aber das verlangte sie auch gar nicht von ihm. Umso überraschter war sie, als er auf einmal das Wort an sie richtete: „Warum tust du das? Das ist absurd... Ich habe versucht, deinen Sohn zu töten, und was machst du? Du entschuldigst dich dafür, was dein Gefährte getan hat... Aber warum?“

Seine Worte ließen Kimie in ihrem Tun kurz innehalten. Ja, warum machte sie das hier überhaupt? Vielleicht hatte er in gewisser Weise ihre Mutterinstinkte angesprochen, weil sie ihn als noch relativ jung einschätzte?

„Ich kann dir die Frage nicht beantworten. Ich verstehe es ja selbst nicht so recht... Es ist nur so ein Gefühl, dass es falsch von mir gewesen wäre, dir nicht zu helfen. Das hört sich für dich womöglich komisch an, aber so ist es nun mal“, erwiderte Kimie ruhig. Stimmt, eigentlich müssten sie diesen Kitsune hassen für das, was er versucht hatte. Es war auch nicht so, als wäre sie nicht noch immer wütend auf ihn. Aber irgendwie konnte sie ihn dennoch nicht hassen. Möglicherweise wäre es anders gewesen, hätte er Katô tatsächlich getötet. Jedoch hatte Kimie irgendwie den Eindruck, als wäre dieser junge Kitsune nicht von Grund auf böse und niederträchtig. Da hatte sie in der Vergangenheit schon ganz andere Youkai getroffen.

Erneut hüllte sich der Kitsune in Schweigen. Tickten Menschen etwa so? Nun, sie waren ja ohnehin Wesen voller Gegensätze und Widersprüchlichkeiten.

„Shirou...“

„Huh?“ Kimie horchte auf. Der Kitsune hatte nur leise gesprochen, aber... hatte er ihr nicht gerade einen Namen genannt?

„Meine Name... Ich heiße Shirou.“

Gut, dann hatte sie nun also doch seinen Namen erfahren. Kimie lächelte leicht, nutzte die Gelegenheit aber auch, um kurz darauf etwas klarzustellen: „Shirou, also... Nun gut, nur um Missverständnisse zu vermeiden: Auch, wenn ich verhindert habe, dass Sesshoumaru dich tötet, bedeutet das nicht, dass du damit einen Freifahrtschein bekommen hast oder dass ich dir verziehen habe. Solltest du Katô nämlich erneut etwas antun wollen, lernst du mich von einer anderen Seite kennen. Ist das angekommen?“

Dieser Unterton, mit dem sie das gesagt hatte... Shirou blieb keinerlei Raum für Zweifel bezüglich dessen, dass sie es auch so meinte, auch wenn Kimies Ausdrucksweise ihm reichlich fremd vorkam. Da er aber wusste, was sie gemeint hatte, musste er nicht nachfragen. Wenn er noch mal versuchen würde, ihren Sohn zu töten... Shirou wusste im Moment nicht, ob er eine solche Gelegenheit ergreifen würde, sollte sie sich ihm bieten, allerdings wollte er auch gerade nicht intensiver darüber nachdenken. Also schwieg er dazu, während sich Kimie weiterhin um seine Verletzungen kümmerte.

Unruhe

Als Kimie letzten Endes zu Sesshoumaru zurückgegangen war, hatte dieser sie bereits erwartet. Und er fackelte auch nicht lange herum, sie mit einer kritischen Frage zu begrüßen, kaum, dass sie hinter sich die Tür geschlossen hatte: „Was hast du mit diesem jungen Fuchs vor? Möchtest du ihm ebenfalls den Kopf verdrehen, wie es schon damals bei Takeshi der Fall war?“

Kimie zog leicht eine Augenbraue hoch.

„Falls das eben als Witz gemeint war, finde ich ihn nicht gerade gelungen“, erwiderte sie trocken. Schließlich war es ja nicht etwa so gewesen, als hätte sie Takeshi damals zu irgendetwas verführen wollen. Damals nicht und dieses Mal ebenfalls nicht.

„Ich wundere mich nur“, sprach Sesshoumaru mit kühler Ruhe weiter. „Du verzeihst dem Kerl, der um ein Haar deinen Sohn getötet hätte?“

„Unseren Sohn. Und nein, ich verzeihe ihm nicht. Ich wollte nur nicht dabei zusehen, wie du ihn Stück für Stück mit deinen Peitschenhieben zerfetzt.“

„Dann hättest du auch einfach wegbleiben und dich heraushalten können.“

„Mag sein, aber wegschauen ist in so einer Situation nicht so mein Ding. Shirou ist ja fast selbst noch ein Halbstarker.“

Kimie ging zu der Tür des Nebenzimmers, wo Katô lag.

„Deine Leute haben ihn übrigens wieder in den Kerker gebracht. Zumindest musst du also keine Angst davor haben, dass er hier frei herumläuft. Und keine Sorge, ich habe nicht vor, dich darum zu bitten, ihn rauszulassen.“

„Worauf ich in diesem Fall ohnehin nicht eingegangen wäre“, meinte Sesshoumaru strikt. Shirou? Das war also der Name dieses Fuchses? Nun, eine überflüssige Information, wie er fand. Aber die Art und Weise, wie Kimie eben geredet hatte, kannte er ebenfalls gut. So ähnlich hatte sie in der Vergangenheit immer mal geklungen, wenn sie wegen irgendetwas beleidigt gewesen war. Dies schien auch Kimie selbst bewusst zu werden, denn als sie kurz darauf erneut das Wort an Sesshoumaru richtete, klang sie wieder ganz ruhig: „Tut mir leid. Die alte Gewohnheit...“

Manchmal fiel sie eben noch immer in dieses alte Muster zurück, obwohl sie das gar nicht wollte. Und schließlich hatte Sesshoumaru nichts getan, was ihren Unmut gerechtfertigt hätte. Allerdings nahm er Kimie ihr Verhalten nicht übel. Vermutlich war die ganze momentane und auch in gewisser Weise unsichere Situation für sie manchmal einfach zu viel. Kein Wunder, wenn er sich ins Gedächtnis rief, wie die letzten Wochen und Monate für sie gewesen sein mussten.

„Es ist nur so...“, sprach sie nach einem Moment nachdenklich weiter. „Vielleicht... hat Shirou zu Hause ja noch jemanden, der auf ihn wartet. Eine Familie, eine Mutter... Welche liebende Mutter verliert schon gerne ihr Kind?“

Ebenso wenig wie ein Vater. Sesshoumaru konnte zumindest in gewisser Weise nachvollziehen, was Kimie vorhin wohl dazu verleitet hatte, sich einzumischen. Es hatte mal eine Zeit gegeben, da hätte er solchen Bedenken nicht mal irgendeine Form der Beachtung geschenkt. Doch diese Zeiten waren für ihn vorbei. Und er konnte nicht mal von sich behaupten, dass ihm das leid täte.

Als Kimie auf einmal leicht zu husten begann, horchte Sesshoumaru auf. Hatte sie sich erkältet? Wundern würde ihn das nicht wirklich. In letzter Zeit war es schließlich spürbar kühl gewesen. Wortlos holte er eine leichte Decke und legte ihr diese über die Schultern.

„So empfindlich... Ich frage mich immer wieder, wie ihr Menschen es schafft, zu überleben“, meinte er.

„Ach so? Trotzdem bist du dir nicht zu schade, dich mit mir abzugeben.“ Sie lächelte ein wenig neckend. „Aber vielleicht passe ich erstmal ein bisschen besser auf, wegen Katô. Ich möchte nicht, dass er sich vielleicht etwas von mir einfängt.“

Denn wenn sie sich wirklich erkältet hatte, wollte sie den Kleinen auf keinen Fall anstecken.

„Vielleicht täte dir ein heißes Bad ganz gut“, schlug Sesshoumaru vor. Und sicherlich hatte Kakeru etwas in seinem Sortiment an Kräutern, woraus sich ein guter Erkältungstee machen ließe.

„Ja, mag sein“, erwiderte Kimie, als ihr in dem Zusammenhang plötzlich etwas einfiel. „Ach, apropos! Ich habe da mal eine Frage, Sesshoumaru. Die heiße Quelle hier auf dem Schlossgelände... Warum ist es möglich, vom Schloss aus einen Blick auf diese zu werfen? Ich meine, warum gibt es Fenster, von denen aus man sie sehen kann?“

Es wurde ihr erst jetzt so wirklich bewusst, aber seltsamerweise hatte sie sich früher darum gar nicht gekümmert.

Sesshoumaru hingegen war von diesem plötzlichen Themenwechsel zunächst leicht verwirrt, zeigte dies aber nicht. Nach außen hin machte es den Anschein, als wäre es ihm sogar egal. Aber Kimie hatte das doch gewiss nicht ohne Grund erwähnt. Ob etwas vorgefallen war, von dem er noch nichts wusste?

„Diese Fenster bleiben für gewöhnlich geschlossen. Und jeder hier unterlässt es in der Regel, sie zu öffnen. Schon aus Prinzip“, antwortete er schließlich. Was aber nicht wirklich die Frage beantwortete, warum es diese Fenster überhaupt gab, wie Kimie fand. Hatte sich da in grauer Vorzeit etwa jemand einen Scherz erlauben wollen? Von wem genau war das Schloss der Inu-Youkai eigentlich ursprünglich erbaut worden? Vielleicht hatte der Architekt ja sogar unanständige Hintergedanken gehabt?

Nachdem er sich Kimies Worte noch einmal durch den Kopf hatte gehen lassen, wurde Sesshoumarus Blick auf einmal prüfender.

„Die Ryû-Youkai... Hat etwa einer von ihnen...?“

Doch er kam gar nicht dazu seine Frage zu Ende zu stellen, denn Kimie kreuzte sogleich ihre Arme vor ihrem Körper, als wollte sie ihn damit zum Schweigen bringen.

„Hey! Denk jetzt bloß wieder nicht irgendetwas Falsches!“, erwiderte sie eindringlich. Auf keinen Fall würde sie im Zusammenhang mit diesem Thema Akumas oder gar Takeshis Namen erwähnen. Eigentlich hatte die diese Sache Sesshoumaru gegenüber gar nicht erwähnen oder zumindest versuchen wollen, sie nicht allzu offensichtlich anzusprechen. Aber wie üblich gestaltete es sich schwierig, ihn austricksen zu wollen. Offenbar traute er es seinen eigenen Leuten nicht zu, dass diese so dreist gewesen wären, einen verbotenen Blick durch eines dieser Fenster zu werfen. Den Ryû-Youkai hingegen dafür aber umso mehr.

Die beiden kamen nicht dazu, sich weiter darüber zu unterhalten, denn sowohl Sesshoumaru als auch Kimie merkten auf, als vom Flur her auf einmal die Stimme von einem der Inu-Youkai zu hören war. Das aktuelle Gespräch mit seiner Gefährtin vorerst ruhen lassend, kehrte Sesshoumaru daraufhin zurück in den Hauptraum seiner Gemächer, ehe er seinem Gefolgsmann die Erlaubnis zum Eintritt gewährte.

„Sesshoumaru-sama. Prinzessin Saori wünscht, Kimie-sama zu sprechen.“

Als sie ihren Namen vernahm, kehrte auch Kimie in den Hauptraum zurück. Saori wollte mit ihr sprechen? Kurz darauf betrat die Prinzessin das Zimmer und verneigte sich.

„Verzeiht bitte die Störung“, begann Saori zu sprechen.

„Ihr stört nicht. Uhm... Stimmt es, dass Ihr mit mir reden wolltet?“, fragte Kimie ein wenig verwundert, woraufhin die Prinzessin nickte und ihren Blick leicht senkte.

„Ich habe von dem Vorfall mit Shirou gehört. Und dass Ihr Euch für ihn eingesetzt habt, Kimie-dono. Dafür wollte ich mich bei Euch bedanken. Und Euch, Sesshoumaru-sama, möchte ich dafür danken, dass Ihr trotz allem sein Leben verschont habt.“

„Ich tat es nicht unbedingt freiwillig. Und erst recht nicht tat ich es für ihn oder für dich“, entgegnete Sesshoumaru gewohnt kühl und mit diesem typisch abweisenden Ton. Zwar spürte er direkt einen leichten Stoß in die Seite, den Kimie ihm mit ihrem Ellenbogen verpasst hatte, blieb davon jedoch gänzlich unbeirrt. „Wieso sprichst du überhaupt erst jetzt von ihm?“, fragte er Saori stattdessen. Immerhin war sie ja die Prinzessin der Füchse. Warum hatte sie es vorhin nicht übernommen, für Shirou zu sprechen und um sein Leben zu bitten? Wenngleich er ohnehin nicht vorgehabt hätte, auf diese Bitte ihrerseits einzugehen, glaubte Sesshoumaru nicht, dass sie nicht bemerkt hatte, was vorgefallen war. Hatte sie sich vielleicht absichtlich zurückgehalten?

„Ich gebe zu, ich habe bemerkt, was geschehen war“, gestand Saori nach kurzen Zögern. „Und ich wollte Euch, Sesshoumaru-sama, zunächst selbst darum bitten, Shirou zu verschonen, aber wie hätte ich das tun sollen? Er wollte schließlich Euren Sohn töten, auch wenn er nur einen Befehl von Kuro hatte ausführen sollen. Mit welchen Argumenten hätte ich Euch von Eurem Vorhaben abhalten können? Mh... Ziemlich erbärmlich von mir, nicht wahr?“

Kimie hatte sich bisher mit Worten zurückgehalten, aber sie konnte es Saori ansehen, dass diese mit der Situation alles andere als glücklich war. Vermutlich fühlte sie sich im Moment ziemlich hilflos. Kein Wunder, war sie immerhin praktisch allein mitten unter Feinden, auch wenn sie gewiss keine Gefangene war.

„Mir scheint, Ihr habt im Moment so einiges um die Ohren, nicht wahr?“, fragte Kimie die Prinzessin. Diese verstand zunächst nicht so ganz, was das bedeuten sollte. Um die Ohren? Offenbar hieß es so etwas wie, dass man viele Dinge hatte, um die man sich kümmern musste oder über die man nachdachte. Und nachgedacht hatte Saori in letzter Zeit in der Tat ziemlich viel.

Als sie den etwas verwunderten Blick seitens Saori bemerkte, lächelte Kimie aufmunternd.

„Man kann nicht immer Haltung bewahren, auch nicht als Prinzessin“, meinte sie. „Ich weiß gar nicht, wie oft ich schon in meinem Leben die Fassung verloren habe oder vor etwas weggelaufen bin. Es waren auf jeden Fall einige Male.“

Und in der Vergangenheit hatte Kimie schon mehr als ein mal die Flinte ins Korn werfen wollen, wenn es nicht immer irgendjemanden gegeben hätte, der sie wieder aus diesem Trott gezogen hätte. Aufzugeben erschien halt in vielen Situationen so viel einfacher, als weiterzumachen und zu kämpfen.

Als Kimie letztendlich auf einmal Saoris Hände ergriff, war die Prinzessin ziemlich überrumpelt, zumal sie mit so einer Geste überhaupt nicht gerechnet hatte.

„Wollt Ihr nicht ein wenig bleiben? Kann ich Euch einen Tee anbieten?“

Einen Tee? Kimie wollte ausgerechnet mit ihr einen Tee trinken? Allerdings war Saori viel zu überrascht, um abzulehnen, weshalb sie nur nicken konnte und ein kurzes „Ja, gerne“ herausbrachte.

Sesshoumaru hingegen zog es vor, die beiden Frauen in Ruhe zu lassen. Also verließ er das Zimmer. Dass sich Kimie ausgerechnet mit Saori so gut zu verstehen versuchte... Aber vielleicht war das keine so schlechte Idee. Trotzdem wollte Sesshoumaru die Prinzessin weiterhin im Auge behalten. Bei Füchsen wusste man schließlich nie so genau, woran man bei ihnen war. Möglicherweise war sein Misstrauen unbegründet, dennoch war Vorsicht bekanntlich besser als Nachsicht. Diesen Leitspruch wollte er in Zukunft häufiger berücksichtigen.
 

Während es so schien, als wäre die Ruhe im Schloss inzwischen wieder eingekehrt, machte sich Takeshi nach wie vor Gedanken bezüglich des seltsamen Gefühls, welches ihn nicht loslassen wollte. Noch immer glaubte er, dass sie alle beobachtet wurden, aber hätten nicht entweder Sesshoumarus oder Akumas Krieger längst etwas entdecken müssen? Immerhin behielten diese sowohl das Schloss als auch die Umgebung genau im Auge.

In dem Zimmer, welches ihm und seinem Bruder zugeteilt worden war, sitzend, starrte Takeshi schon seit geraumer Zeit aus dem Fenster und ließ suchend seinen Blick schweifen. Akuma war das schon länger aufgefallen, weshalb er den Jüngeren schließlich darauf ansprach: „Takeshi, warum bist du so nervös? Ich habe das Gefühl, du bist die letzten Stunden ständig ruhelos.“

Die Anwesenheit des Älteren bisher fast gänzlich außer Acht lassend, drehte sich Takeshi nun zu ihm um.

„Akuma... Hast du nicht auch das Gefühl, dass man uns beobachtet?“

„Beobachtet? Du meinst Spione?“

„Ich bin mir nicht sicher, aber ich werde den Eindruck nicht los, dass irgendjemand da draußen ist.“

Akuma dachte kurz über Takeshis Worte nach. Es würde ihn zumindest nicht überraschen, wenn an diesen etwas dran wäre. Natürlich lag die Vermutung nahe, dass die Füchse ihre Feinde im Blick behielten und deren Schritte verfolgten. Auch wenn den ganzen Tag über nichts Verdächtiges außerhalb der Schlossmauern geschehen war.

„Vielleicht sollte Sesshoumaru darüber nachdenken, Späher ins feindliche Territorium zu schicken“, überlegte Akuma. „Man sollte schließlich immer darüber im Bilde sein, was seine Gegner planen könnten. Das würde einiges einfacher machen.“

„Ich vermute, Sesshoumaru möchte lieber die Verteidigung des Schlosses gewährleistet wissen und deshalb behält er seine Leute hier“, erwiderte Takeshi.

„Mag sein, aber mit Verteidigung allein gewinnt man auf Dauer keinen Kampf“, entgegnete Akuma, wobei es aber mehr so klang, als wäre es ihm weitestgehend egal. Oder zumindest schien er sich keine allzu großen Sorgen zu machen, wobei das ohnehin nicht in seiner Natur lag.

Takeshi hingegen konnte das nicht so einfach. Aber vielleicht wäre ja alles in Ordnung, solange es keinen Angriff gab. Wobei, den letzten Angriff der Füchse hatten sie ja auch relativ leicht abwehren können, allerdings war dort auch das Überraschungsmoment auf der Seite der Inu- und Ryû-Youkai gewesen.

Takeshis Gedanken schweiften irgendwann ab. Was hätte Renhou jetzt wohl getan oder gesagt? In den letzten Jahren hatte er sich häufiger diese oder ähnliche Fragen gestellt. Takeshi hatte sich noch immer nicht so recht daran gewöhnt, dass Renhou längst nicht mehr da war. Manchmal ertappte er sich selbst dabei, wie er Selbstgespräche führte, als wäre dieser mit ihm im selben Zimmer. Denn auch, wenn er sich mit Akuma inzwischen besser verstand, so sprach Takeshi noch längst nicht über alles mit diesem. Anders als damals mit Renhou... Und vielleicht diente es auch dazu, sich selbst ein wenig mehr ein inneres Gefühl der Ruhe zu verschaffen, dass Takeshi ständig Renhous Jian mit sich trug, obgleich er dieses bisher noch nie selbst eingesetzt hatte. Es war, als fühlte er sich dazu nicht berechtigt.

Während er seinen Bruder so beobachtete, meinte Akuma genau zu wissen, was diesem gerade durch den Kopf ging. In der Vergangenheit hatte er Takeshi öfter dabei beobachten können, wie dieser sich scheinbar in seine eigene Gedankenwelt zurückgezogen hatte.

„Hm... Es ist einiges nicht so gelaufen, wie es wohl hätte sein sollen“, meinte Akuma irgendwann im Bezug auf die letzten Geschehnisse hier in Japan vor einigen Jahren. Und irgendwie kam es Takeshi so vor, als wollte sich sein Bruder ein Mal mehr auf seine Weise dafür entschuldigen, dass er sich damals von Naraku so hatte vorführen lassen.

„Kimie erzählte mir, dass Naraku einige Zeit später vernichtet werden konnte“, erzählte der Jüngere nun.

„Ja, ich hörte auch davon“, bestätigte Akuma ruhig. „Ein wenig früher und es hätte uns einiges an Ärger erspart.“

Darin mag ein Funken Wahrheit gelegen haben, trotzdem war er sich dessen bewusst, dass er selbst einen Großteil der Verantwortung dafür trug, dass er einige seiner zuverlässigsten und besten Krieger verloren hatte. Und Takeshi hatte seinen besten Freund verloren, der anders als Akuma stets wie ein großer Bruder auf ihn geachtet und ihn praktisch aufgezogen hatte.

„Weißt du, was komisch ist?“, fragte Takeshi irgendwann. „Manchmal bilde ich mir ein, ich würde Renhous Stimme hören. Verrückt, oder?“

Er lächelte leicht, als empfand er seine eigene Aussage irgendwie als lächerlich.

„Seine Stimme?“, fragte Akuma. „Und was hörst du dann genau?“

Takeshi schüttelte den Kopf.

„Ach, Akuma... Das ist doch ohnehin nur Einbildung gewesen. Das weißt du genau so gut wie ich.“

Einbildung... Richtig, die Toten sprachen nicht mit einem, außer, es war irgendein fauler Zauber im Spiel. Akuma war sich dessen bewusst, dass er für Takeshi in der Vergangenheit nie wirklich da gewesen war, obwohl dieser den Zuspruch seines älteren Bruders gebraucht hätte. Und auch jetzt merkte er, wie sie beide in manchen Situationen noch ihre Schwierigkeiten miteinander hatten. Takeshi war ruhiger als früher und oft nachdenklich. Akuma hatte das gemerkt, aber ihm fehlten halt für vieles die richtigen Worte. Guter Zuspruch war noch nie eine von seinen Stärken gewesen. Anders als bei Renhou...
 

„Was für ein Durcheinander... Ist das anstrengend...“

Ashitaka gähnte einmal herzhaft und wischte sich ein paar Müdigkeitstränen aus den Augen. Die letzten Nächte hatte er kaum geschlafen. Nicht, dass er es nötig gehabt hätte, aber die ganze Aufregung und ständig in Alarmbereitschaft sein zu müssen, zerrte doch an seinen Energiereserven.

„Lass das Sesshoumaru-sama nicht hören, sonst kriegst du nur wieder Schelte“, meinte Miyuki neckend und reichte Ashitaka einen Tee. „Hmm... Vielleicht wäre es besser, wenn ich erstmal wieder die Nächte in meinem Zimmer verbringe.“

„Huh? Was hat das denn damit zu tun?“

„Was ist? Gefällt dir der Vorschlag etwa nicht?“

Sie schien Spaß daran zu haben ihn aufzuziehen. Ashitaka kannte dieses Lächeln von Miyuki. In seiner Gegenwart traute sie sich, solche zweideutigen Witze zu machen, aber wehe, wenn Tôya in der Nähe war...

„Miyuki? Darf ich dich etwas fragen? Was veranstaltest du neuerdings immer mit Yukina-chan?“, fragte Ashitaka auf einmal, auch um das Thema zu wechseln. Miyuki jedoch legte ihren Zeigefinger an ihre Lippen.

„Geheimnis! Ich habe Yukina zugesichert, nichts zu verraten.“

„Aber ihr Mädchen könnt doch sowieso nie etwas für euch behalten. Früher oder später plappert ihr alles aus.“

„Was? Das stimmt doch gar nicht!“

Sie mit einem prüfenden Blick beobachtend, nahm Ashitaka einen Schluck von seinem Tee. „Und wenn ich dir erzählen würde, dass Tôya sich deswegen schon Sorgen um dich macht? Er ist es nicht gewohnt, dass seine kleine Schwester Geheimnisse vor ihm hat.“

„Was? Hat er dir das so gesagt?“, fragte Miyuki nun. Zugegeben, ihrem Bruder wollte sie kein Kopfzerbrechen bereiten, auch wenn es da wirklich nichts gab, was ein Anlass dafür wäre. „Hmm... Versprichst du, es für dich zu behalten?“

„Sicher. So lange es nichts Schlimmes ist, versteht sich“, meinte er.

„Keine Sorge, ist es nicht“, winkte Miyuki ab, ehe sie nach einem Moment mit der Sprache herausrückte: „Es ist so: Yukina mag Subaru sehr. Und ich versuche nur, ihr ein wenig dabei zu helfen, ihm näher zu kommen. Aber das ist gar nicht so leicht. Yukina ist furchtbar schüchtern, fast schon ängstlich, und macht immer einen Rückzieher, wenn sie mal die Chance hat, länger mit Subaru zu sprechen.“

„Ah, so ist das also.“ Ashitaka stützte seinen Kopf auf eine Hand ab. So, so, Subaru hatte also eine heimliche Verehrerin?

„Aber vergiss nicht, dass du das für dich behalten musst!“, ermahnte Miyuki ihn nochmals.

„Klar! Kannst dich drauf verlassen“, versicherte er ihr. Und es war ja schließlich kein schlimmes Geheimnis gewesen. „Übrigens, Tôya hat sich gar nicht den Kopf zerbrochen. Aber ich war mir sicher, dass du darauf anspringen würdest“, gab er nun mit einem frechen Grinsen zu.

Da er es mal wieder geschafft hatte, sie an der Nase herumzuführen, schnappte sich Miyuki das Tuch, mit welchem sie zuvor den Tisch abgewischt hatte. „Argh! Du Blödmann! Du bist unmöglich!“

Sie warf das Tuch nach ihm, doch er wich dem Geschoss gekonnt aus, noch immer begleitet von diesem amüsierten Gesichtsausdruck.
 

Da er sich mittlerweile wieder von seiner Verletzung erholt hatte, hatte Subaru sein Training wieder aufgenommen und übte hinter dem Schloss wie gewohnt seine Treffsicherheit mit Pfeil und Bogen. Nur wurde er dieses Mal – wie so oft in jüngster Vergangenheit – von jemandem beobachtet. Yukina verbarg sich hinter einer Ecke eines der Gebäude. Gerne wollte sie zu Subaru rüber gehen, allerdings hatte sie nicht vor, ihn beim Training zu stören. Also blieb sie vorerst, wo sie war und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand, während sie nachdenklich die am Himmel vorüberziehenden Wolken beobachtete. Dabei scharrte sie ein wenig mit einem Fuß im Schnee herum. Als Kuro ihr in der Gestalt von Subaru erschienen war und sie zu diesem Spaziergang mitgenommen hatte, hatte sie deutlich dieses Herzklopfen gespürt, auch wenn sich im Nachhinein alles als Täuschung herausgestellt hatte.

Yukina seufzte leise. Als sie schließlich ihren Blick wieder umwandte, bemerkte sie, dass Subaru sie ansah. Wie lange beobachtete er sie schon so? Wobei, eigentlich war sie es ja gewesen, die ihn beobachtet hatte...

„Yukina? Wie lange möchtest du da noch herumstehen?“, fragte Subaru vollkommen unbefangen drauf los, als er ihren verdutzten Gesichtsausdruck bemerkte. „Ist etwas passiert? Möchtest du mir vielleicht etwas sagen?“

„Nein, nicht wirklich...“

„So? Und unwirklich?“, fragte Subaru weiter, wobei er irgendwie amüsiert zu sein schien. Doch da widmete er sich bereits wieder seinem Training.

Yukina war sich nicht sicher, was genau sie jetzt tun sollte. Sollte sie einfach wieder gehen?

„Wenn du dich in meiner Nähe unwohl fühlst, warum bleibst du dann hier?“

Yukina horchte auf. Ob sie sich in seiner Nähe unwohl fühlte? Subaru hatte nicht kühl oder abweisend gesprochen. Es hatte mehr wie ein gut gemeinter Ratschlag geklungen.

„Nein! Ich... fühle mich nicht unwohl!“, widersprach sie, jedoch wirkte er wenig überzeugt.

„Aber dein Gesicht sagt mir: Ich fühle mich zum Sterben unwohl.“

Wirklich? Schaute sie so drein? Irgendwie war Yukina die ganze Sache ziemlich peinlich.

„Brauchst du Hilfe? Hast du irgendwelchen Ärger?“, fragte Subaru sie nun, doch wieder verneinte sie seine Frage.

„Uhm... Nein, es ist wirklich alles in Ordnung.“

„Hmm...“ So langsam wusste er auch nicht mehr, was er ihr noch hätte sagen können. Also ließ Subaru es erst mal gut sein und beschloss, sie einfach in Ruhe zu lassen und sich um sein Training zu kümmern. Yukina schaute ihm ihrerseits ein wenig zu. Mittlerweile war sie auch nicht mehr so nervös wie zu Anfang, auch wenn sie noch immer ziemliches Herzklopfen hatte. Sie wollte nicht einfach nur so dastehen und schweigen. Nachdenklich blickte sie auf den Schnee hinab. Da kam ihr auf einmal eine Idee und sie hockte sich hin, um ein wenig von dem Schnee aufzusammeln. Anschließend lief sie ein wenig in unmittelbarer Nähe herum.

Subaru hielt inne, als er Yukina auf einmal so eifrig herumlaufen sah. Was machte sie da? Suchte sie etwas? Von einem Busch, dessen robuste, längliche Blätter selbst im Winter ein dunkles Grün aufwiesen, pflückte sie sie sich zwei ab und sammelte anschließend noch zwei kleine, runde Steine auf. Das alles fügte sie dem oval förmigen Schneeball hinzu, den sie in der Hand hielt.

„So, fertig!“

„Was ist das?“, fragte Subaru, der es sich nicht hatte nehmen lassen, einen Blick über Yukinas Schulter zu werfen. Lächelnd zeigte sie ihm, was sie gemacht hatte.

„Ein Schneekaninchen. Süß, nicht wahr?“

Indem sie dem Schneeball die zwei Blätter wie ein Paar Ohren angesteckt und die kleinen Steine als Augen verwendet hatte, hatte sie ihm tatsächlich das Aussehen einen Kaninchens gegeben. An sich ziemlich simpel, dennoch oder gerade deshalb war es eine niedliche Idee.

„Macht es dir Spaß, solche Dinge zu basteln?“, fragte Subaru interessiert.

„Ja, ich arrangiere auch gerne Blumen“, antwortete Yukina. „Nur jetzt im Winter kann ich das ja nicht. Deshalb freue ich mich schon auf den Frühling, obwohl ich den Winter und den Schnee auch sehr mag.“

„Hm... Dein Name bedeutet 'Schneeblume', nicht wahr? Wie passend.“

„Eh?“ Yukina schaute zu Subaru und bemerkte, dass er lächelte. Unwillkürlich wurde sie ein wenig rot, doch dieses Mal war es nicht so, dass sie am liebsten weggelaufen wäre, damit er es nicht mitbekam. Im Gegenteil, sie fühlte sich sehr wohl. Das war das erste Mal, dass sie mal länger mit ihm zusammen war...
 

Dass Toutousai hier war, kam vielen im Schloss nur gelegen, denn sie nutzten die Gelegenheit, um von ihm ihre Waffen inspizieren zu lassen. Dementsprechend viel hatte der alte Waffenschmied zu tun.

„Hätte ich das geahnt, wäre ich zu Hause geblieben“, meinte er, als er gerade dabei war, ein Katana näher in Augenschein zu nehmen. Kimie stand neben ihm und beobachtete ihn dabei. Toutousai hatte sich eine Arbeitsecke auf dem großen Schlosshof eingerichtet, da es für ihn praktischer war, unter freiem Himmel zu arbeiten, statt innerhalb des Schlosses. In der Nähe befand sich Ah-Uns Stall, in welchem er auch Mou-Mou untergestellt hatte.

„Hast du denn sonst keine Arbeit zu erledigen, Toutousai?“, fragte Kimie ihn beiläufig.

„Natürlich habe ich das, nur habe ich jetzt praktisch doppelt so viel Arbeit. Ich bin ja eigentlich nur deshalb hergekommen, weil ich nach deinem Schwert schauen wollte. Aber wenn ich jetzt einfach wieder verschwinde, wird Sesshoumaru mich gewiss umbringen.“

Er machte eine kurze Pause, in der er den Blick prüfend zu Kimie umwandte.

„Was macht eigentlich Raidon? Kommst du inzwischen damit klar, das Rakurai einzusetzen?“

„Hm... Nein, nicht wirklich“, gab Kimie ein wenig geknickt zu. „Ich habe es versucht, aber es hat nicht mehr funktioniert.“

Toutousai seufzte resignierend.

„Ich wusste, es war keine gute Idee, ein magisches Schwert in die Hände eines einfachen Menschen zu geben. Sein volles Potenzial wird wohl nie ausgeschöpft werden...“

Kimie verkniff sich einen etwaigen Kommentar dazu. Sie kannte ja inzwischen Toutousais Art und wusste, dass er es ja eigentlich nicht böse meinte. Aber trotzdem... Musste er ihr das ausgerechnet so sagen?

„Falls ich es in diesem Leben nicht mehr schaffe, kann Katô ja später mal versuchen, mehr aus Raidon herauszuholen“, meinte Kimie nach einem Moment, was Toutousai aufmerken ließ. In diesem Leben... Richtig, Kimie würde es wohl nicht mehr miterleben, wie ihr eigener Sohn erwachsen werden würde.

„Hm... Und du bist dir wirklich sicher, dass das funktionieren wird?“

„Huh?“ Kimie war ein wenig verwirrt, denn sie wusste diese Frage von Toutousai zunächst nicht so ganz einzuordnen.

„Sesshoumaru als Vater“, erklärte er ihr daraufhin. „Irgendwie befürchte ich, dass das arme Kind ein Trauma zurückbehalten wird oder im schlimmsten Fall so wird wie er.“

Im schlimmsten Fall? Sesshoumaru war doch nicht der leibhaftige Tod, auch wenn die Bedeutung seines Namens einen auf den ersten Blick vielleicht etwas Anderes vermuten lassen könnte.

„Ich denke, Sesshoumaru kann schon ganz gut mit Kindern umgehen, auch wenn man es ihm nicht zutrauen möchte“, meinte Kimie zuversichtlich. „Immerhin hat er sich ja auch lange um Rin gekümmert und tut es noch heute.“

Und wenn sie sich überlegte, wie er bisher mit Katô umgegangen war, sah sie die Sache alles andere als hoffnungslos.

Toutousai musterte Kimie einen Augenblick lang, wobei er irgendwie einen skeptischen Eindruck machte.

„Und was ist mit dir? Meinst du, du kriegst das hin?“

„Was soll das heißen? Glaubst du, ich bin dafür zu doof?“, fragte sie einfach mal ganz konkret zurück, zumal sie seine Frage auch nicht so recht einordnen konnte. Wie hatte er das gemeint?

„Zumindest scheint Intelligenz nicht deine größte Stärke zu sein.“

Diese Bemerkung kam jedoch nicht von Toutousai, sondern von einem der Ryû-Youkai. Genauer gesagt, war es Jin gewesen, welcher die letzten paar Fetzen der Unterhaltung zwischen Toutousai und Kimie mitbekommen hatte.

„Dass du bis zum heutigen Tag überlebt hast, wundert mich“, sprach er herablassend an Kimie gerichtet weiter. „Andererseits... Mit einem Wachhund an deiner Seite, der dir ständig nachläuft, kann offenbar selbst jemand wie du hier überleben.“

Toutousai hatte seine Arbeit unterbrochen und auch Kimie beäugte Jin misstrauisch. Offenbar suchte er Streit... Aber es wäre dumm gewesen, sich darauf einzulassen, auch wenn der Drang groß war, ihm Konter zu geben. Trotzdem oder gerade deshalb stichelte Jin ungeniert weiter: „Ich will gar nicht versuchen, zu verstehen, weshalb du wolltest, dass Sesshoumaru diesen Fuchs verschont. Denn eine derart dumme Gefühlsduselei ist unter meiner Würde.“

Gefühlsduselei? Sprach er von Mitleid? Wenn ja, dann wunderte es Kimie nicht, dass jemand wie Jin damit nichts anfangen konnte.

„Bist du hier, weil dir langweilig ist oder möchtest du etwas anderes?“, fragte sie nun doch zurück, woraufhin Jin sich ihr bis auf einen fast schon bedrohlich anmutenden kleinen Abstand näherte.

„Ich würde dir gerne den Kopf abschlagen, damit ich dein Gesicht nicht mehr sehen muss“, antwortete er ihr ganz direkt und als wäre es ganz normal.

„So? Dann schau doch einfach nicht hin!“, konterte sie, nun doch etwas energischer. Jin jedoch lächelte nur. Er schien sogar belustigt zu sein.

„Diese bodenlose Arroganz... Die kannst du dir doch nur erlauben, weil Sesshoumaru dir nachsteigt, wie ein nach Aufmerksamkeit lechzender Straßenköter, dem zu lange kein Knochen hingeworfen wurde! Dass du ihm jetzt auch noch ein Halbblutbalg unterschieben konntest, passt dir gewiss ganz gut in den Kram, nicht wahr?“

„Du musst es ja wissen“, erwiderte Kimie, womit sie sich darauf bezog, dass Jin ja weder eine Frau geschweige denn Kinder vorzuweisen hatte. Sie wusste zwar, dass bei den Ryû-Youkai bezüglich Familie ganz andere Sitten herrschten, aber trotzdem... Wobei, die Frau, die den Typen mal abkriegen sollte oder je abgekriegt hatte – und sei es auch nur für eine einzige Nacht gewesen – hatte ihr Mitgefühl.

Jin fühlte sich von Kimies letzter Aussage nun aber doch provoziert. Hatte sie damit andeuten wollen, dass er möglicherweise frustriert sein könnte, weil er aktuell keine Frau an seiner Seite vorzuweisen hatte? Abgesehen davon, dass feste Bindungen so gar nicht sein Ding waren, ließ allein die Vorstellung, dass Kimie ihn hatte provozieren wollen, seinen Unmut schlagartig wachsen.

„Auch deine Dummheit ist offenbar grenzenlos. Bildest du dir etwa ein, ich hätte Hemmungen, dich in Stücke zu reißen, bloß weil das hier Sesshoumarus Grund und Boden ist?“, fragte er bedrohlich und machte einen Schritt auf sie zu.

„Ich habe mir doch gleich gedacht, dass du und seine Sippschaft nur Ärger machen würden!“

Inu Yashas Stimme vernehmend, hielt Jin inne und schaute über seine Schulter nach hinten. Dort stand dieser Hanyou in seiner überheblichen Art und Weise und schien offenbar der Meinung zu sein, er könnte ihn herausfordern. Und wie sollte es auch anders sein? Neben ihm stand natürlich diese Miko...

„Wird es euch nicht lästig, ständig wie die Schmeißfliegen aneinanderzukleben?“, fragte Jin, ohne auf Inu Yashas vorangegangene Bemerkung auch nur ansatzweise einzugehen. Stattdessen stahl sich nun ein herablassenden und zugleich amüsiert wirkendes Lächeln auf seine Lippen. „Allerdings scheinen kleine Hunde ja gerne mit ihrem Herrchen oder Frauchen zusammen zu sein. So langsam verstehe ich die Mentalität von euch Kötern. Machst du auch weiterhin schön Sitz, wenn dein Frauchen es dir sagt, Halbblut?“

„Mach dich nicht über ihn lustig!“, ermahnte Kagome den Ryû-Youkai aufgebracht.

„Sonst was?“, fragte Jin bedrohlich, wobei er sie genau fixierte, noch ehe sie eventuell hatte weitersprechen können. „Glaubst du etwa, ich habe Angst vor dir? Vielleicht ziehe ich zuerst dir die Haut ab, bevor ich mich um deine werte Cousine kümmere.“

„Pah! Versuch es und du kriegst es mit mir zu tun!“, drohte ihm Inu-Yasha, als er auch schon Tessaiga gezogen hatte. Jin nahm diese Herausforderung gerne an, allerdings machte er sich nicht die Mühe, eine seiner Waffen zu ziehen.

„Hey! Was soll das werden?“, fragte Inu Yasha misstrauisch. Warum zog Jin sein Schwert nicht? Zumal er nicht nur sein Jian bei sich trug, sondern gekreuzt hinter seinem Rücken auch zwei chinesische Säbel.

„Um eine Promenadenmischung wie dich zurechtzuweisen, brauche ich keine Waffen. Ich prügel dir einfach den Gehorsam ein, der dir fehlt, wie man es mit unerzogenen Hunden eben so macht.“

Inu Yasha knurrte missmutig. Typisch Youkai! Diese Arroganz...

Verunsichert schaute Kimie zu Kagome. Ein Kampf? Hier? Es schien unausweichlich. Aber...

„Halt! Hier wird nicht gekämpft!“, mischte sie sich auf einmal ein und stellte sich zwischen Jin und Inu Yasha. Zugleich fragte sie sich, welcher Teufel sie bitte gerade dazu getrieben hatte. Als ob gerade sie etwas ausrichten könnte... Zumindest Inu Yasha würde doch auf sie hören, oder? Aber selbst wenn... Jin würde dies gewiss nicht tun.

„Ich wusste es“, hörte man diesen auch direkt sagen. „Deine Dummheit kennt wahrlich keine Grenzen. Meinst du wirklich, es interessiert mich, was du zu sagen hast, nur, weil Sesshoumaru dich seine Gefährtin nennt? Was willst du denn tun?“

Er näherte sich ihr und streckte wiederum die Hand nach ihr aus, um sie zu packen. Allerdings wurde er urplötzlich daran gehindert, denn Tôya ergriff Jin am Handgelenk und hielt ihn zurück. Indes stellte sich Ashitaka an Kimies Seite.

„Hey! Ist es in deinem Clan üblich, junge Frauen zu belästigen?“, fragte er Jin ganz direkt, wovon dieser sich aber wenig beeindruckt zeigte. Stattdessen befreite er sich zunächst mit einem kräftigen Ruck wieder von Tôyas Griff.

„Hm! Das Leben muss sehr angenehm sein, wenn ständig die persönlichen Kettenhunde einem sämtlichen Ärger vom Hals halten“, meinte er an Kimie gerichtet.

„Kimie-chan ist als Sesshoumarus Gefährtin zugleich unsere Herrin. Natürlich beschützen wir sie!“, antwortete Ashitaka an ihrer Stelle, doch auf Jin wirkte das alles andere als überzeugend. Stattdessen lachte er nur. Er verschränkte die Arme vor der Brust und bedachte die Anwesenden mit einem abwertenden Blick und dazu diesem herablassenden Lächeln.

„Armselig! Eurem Clan scheint wirklich sämtlicher Stolz abhanden gekommen zu sein, wenn er sogar schon ein gewöhnliches Menschenweib als Herrin anerkennt. Offenbar hat sie es geschafft, euch alle zu Weichlingen verkommen zu lassen. Selbst euren Herrn, dessen Ruf einst ein ganz anderer gewesen war. Kein Wunder, dass ihr gegen diese Füchse so hilflos zu sein scheint, sodass Sesshoumaru sogar bei Akuma-sama zu Kreuze kriechen musste, um sich Hilfe zu erbetteln.“

Jins Blick richtete sich wieder auf Kimie.

„Sesshoumaru hätte dich als Konkubine halten sollen. Auf diese Weise hätte er sich zumindest einen kleinen Funken seiner Würde bewahrt.“

Konkubine? Zwar hätte Kimie gerne etwas darauf erwidert, aber sie ließ es besser bleiben. Irgendwie hatte Jin es letztendlich doch geschafft, sie zu verunsichern. Denn so ungern sie es zugab, er hatte in gewisser Weise Recht. Wer war sie schon? Ja, gut, sie war Sesshoumarus Gefährtin, aber was sonst? Im Grunde war sie ohne ihn oder die anderen wie ein hilfloses Kind, auch wenn sie gerne mal so tat, als wäre sie durch fast nichts einzuschüchtern. Alles nur Fassade... Eine bittere Erkenntnis, die sie wütend auf sich selbst machte.

„Jin, lass es für heute gut sein“, erklang stattdessen mit einem Mal die ruhige Stimme von Yu. Und wenngleich er sich offenbar schlichtend in dieses Gespräch einmischen wollte, sein Lächeln konnte nicht verbergen, dass ihn die Situation zugleich irgendwie zu amüsieren schien. Wenngleich Kimie im Augenblick nicht zu deuten vermochte, was genau Yu so amüsant fand.

Jin horchte auf und wandte seinen Blick zu seinem Kameraden um.

„Du weißt doch, was Akuma-sama angeordnet hat“, sprach dieser indes weiter, „Keinen Streit. Du kannst deine überschüssige Energie an den Füchsen ablassen, sobald sich die Gelegenheit dazu bietet.“

„Tse!“

Finster schaute Jin abermals zu Kimie.

„Es wird nicht immer jemand in deiner Nähe sein, um dich zu beschützen“, meinte er, als wollte er ihr drohen, ehe er sich zum Gehen umwandte. Yu deutete den anderen gegenüber eine leichte Verbeugung an und folgte ihm kurz darauf.

„Oh je... Was für ein unangenehmer Zeitgenosse...“, murmelte Toutousai in sich hinein. Er hatte schon Blut fließen sehen, denn dieser Jin war ganz offenbar auf Ärger aus gewesen. Oder der Kerl verstand es einfach, die Gemüter auf Trab zu halten.

Mürrisch ließ Inu Yasha sein Schwert wieder in dessen Scheide verschwinden. Er hätte nichts dagegen gehabt, diesem Drachen ein paar Schuppen abzusäbeln.

Tôya schaute den beiden Ryû-Youkai so lange nach, bis diese aus seinem Blickfeld verschwunden waren. Jins Auftritt eben mochte ihm so gar nicht gefallen.

„Wir sollten Sesshoumaru-sama davon erzählen, damit...“

„Nein, lasst es bitte gut sein“, unterbrach ihn Kimie sogleich.

„Bist du dir da sicher?“, fragte Kagome ihre Cousine, welche dies mit einem Nicken bejahte. Jin hatte keine hohe Meinung von ihr, dessen war sie sich schon immer bewusst gewesen. In seinen Augen war sie unnütz und stand nur im Weg. Das war seine Ansicht. Die konnte sie ihm schlecht verbieten oder verbieten lassen. Und immerhin war er sie ja zumindest nicht körperlich angegangen. Von daher wollte Kimie die Sache auf sich beruhen lassen. Auch wenn Jin wohl weiter gegangen wäre, wenn er die Gelegenheit dazu gehabt hätte. Trotzdem... Kimie hatte irgendwie nicht die Nerven, sich weiteren potenziellen Ärger mit Jin einzuhandeln, indem sie Sesshoumaru etwas davon erzählt hätte. Das hätte vermutlich nur zu neuen Konflikten mit den Ryû-Youkai geführt und im Augenblick konnte man so etwas hier nicht gebrauchen. Vielleicht war das nicht die klügste Entscheidung gewesen, aber das würde sich über kurz oder lang vermutlich noch zeigen.

Währenddessen entfernten sich Jin und Yu vom Ort des Geschehens, wobei Letzterer nach wie vor amüsiert wirkte.

„Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, dass du dich hier langweilen könntest, Jin.“

„Pah! Allein, wenn ich dieses Weib schon sehe, könnte ich kotzen!“, knurrte dieser.

Yu ahnte, woher dieses Gefühl kam. Jin war noch immer voller Zorn und sein Stolz war extrem angekratzt. Immerhin hatte Kimie es damals mal geschafft, ihn mit ihrem Schwert zu verletzen. Wohl mehr ein Zufallstreffer ihrerseits, aber für Jin Grund genug, sie abgrundtief zu hassen. Natürlich sah mal von der Wunde nicht das geringste, doch er hatte noch nie jemanden am Leben gelassen, der es mal gewagt hatte, ihn zu attackieren oder gar zu verletzen. Erst recht keinen Menschen oder gar eine Frau. Jin wollte Genugtuung dafür und Kimie endgültig zeigen, dass sie unter ihm stand und lediglich ein Stück Beute für ihn war, unabhängig davon, was für einen Rang sie bei den Inu-Youkai auch bekleiden mochte.

„Es dürfte schwierig für dich sein, noch mal an sie heranzukommen“, gab Yu zu bedenken. „Außerdem war es immerhin Sesshoumarus Gefährtin, die damals Takeshi-sama gerettet hat.“

„Gerettet...“, wiederholte Jin abfällig. „Übertreib nicht, Yu! Sicherlich hätte jemand anders das ebenso gekonnt. Außerdem hätte sie ohne die rote Perle, die Renhou Takeshi-sama überlassen hatte, auch nichts ausrichten können.“

Und genau deshalb ging es ihm auch so gegen den Strich, dass Yu das Thema angesprochen hatte. Denn es war schließlich nicht so gewesen, als hätte dieses Weib etwas getan, wozu nur sie allein imstande gewesen wäre. Sie war schließlich keine Heilige oder etwas in der Richtung. Ganz im Gegenteil...

„Die soll nicht glauben, jeder hier könnte sie immer vor allem beschützen. Früher oder später kratzt die sowieso ab. So wie alle Menschen das eben tun.“

„So wie wir auch“, entgegnete Yu ruhig. „Wir werden geboren, wir leben, wir sterben. Genau wie die Menschen.“

Jin schnaubte. „So ein Unsinn! Du vergleichst uns mit Insekten. Hundert Jahre sind für uns doch nur ein Wimpernschlag.“

Dem konnte Yu nicht widersprechen und er hatte dies auch gar nicht vorgehabt. Im Grunde interessierte ihn dieses Thema auch nur oberflächlich.

Das Gespräch der beiden wurde von Akuma unterbrochen, welcher soeben zu ihnen kam.

„Wenn du Abwechslung brauchst, dann hätte ich eine Aufgabe für dich, Jin“, verkündete er, ohne vorher groß herumzureden. Jins Aufmerksamkeit war ihm dennoch gewiss.
 

Der dumpfe Klang vom Schlagen mächtiger Schwingen ließ die Anwesenden aufhorchen. Einen Augenaufschlag später erhob sich Jin in seiner Drachengestalt hinter dem Schloss und flog davon. Aber wohin und wieso? Zudem flog er so dicht über das Gelände hinweg, dass er die oberste Schneeschicht komplett aufwirbelte.

Insbesondere Sesshoumarus Misstrauen war geweckt. Er war soeben auf die Veranda seiner Privaträume herausgetreten und hatte so noch mitbekommen, wie Jin weg geflogen war. So fackelte er nicht lange damit herum, Akuma aufzusuchen und ihn zu konfrontieren. Das war nicht schwierig, denn dieser stand noch mit Yu genau an der Stelle, wo kurz zuvor auch noch Jin gewesen war.

„Akuma! Wohin hast du Jin geschickt?“

Akuma blieb vollkommen gelassen, als er antwortete: „Er ist als Kundschafter für mich unterwegs. Gibt es damit ein Problem?“

„Wenn du solche Entscheidungen ohne Absprache mit mir triffst, dann ja“, stellte Sesshoumaru klar.

„Absprache? Meine Leute, meine Befehle. Ich rede dir ja auch nicht in deinen Führungsstil rein, nicht wahr? Obwohl ich der Meinung bin, dass du weniger passiv und viel mehr aktiv sein solltest. Früher hast du doch schließlich auch gerne mal die Dinge direkt in die Hand genommen, nicht wahr?“

Sesshoumaru bedachte Akuma mit einem abschätzenden Blick. Ihm gefiel nicht, wie dieser Kerl auf einmal lächelte. So überheblich... und als wüsste er etwas, was Sesshoumaru bislang verborgen geblieben war. Natürlich könnte das alles auch nur ein Eindruck gewesen sein, trotzdem sagte Sesshoumaru die Situation gerade alles andere als zu. Zumal er Akuma gewiss nicht blind vertraute.

„Wenn du ein falsches Spiel spielen willst, dann wirst du es bereuen!“, ermahnte er diesen daher sogleich. Akuma schwieg dieses Mal zunächst.

„Angenommen, du hättest recht und ich spiele tatsächlich ein falsches Spiel, was gedenkst du, dagegen tun zu wollen, Sesshoumaru?“, fragte er nach einem Moment. „Du hast mich und meinen Clan selbst hierher in deine Ländereien und in dein Schloss geholt. Sollten wir hier und jetzt beschließen, euch anzugreifen, bliebe von diesem Ort mit ziemlicher Sicherheit nicht mehr viel übrig. Oder siehst du das anders? Ich gebe jedoch zu, diese Vorstellung hat einen gewissen Reiz.“

Drohte er ihm etwa? Für Sesshoumaru hörte sich das verdächtig danach an. Trotzdem behielt er seine eiskalte Ruhe bei.

„Im Grunde bist du ein ziemliches Risiko eingegangen“, sprach Akuma indes weiter. „Wenngleich ich damals, als ich mit meinem Clan von hier fortging, der Meinung gewesen war, dass tausend Jahre der Feindschaft genug wären, soll das nicht bedeuten, dass ich Skrupel hätte, die alte Fehde wieder aufzunehmen. Gib mir einen Anlass dafür und ich werde darauf entsprechend reagieren. Wir sind schließlich keine Freunde und ich nehme an, in diesem Punkt stimmst du mit mir überein.“

In der Tat, die Inu-Youkai und die Ryû-Youkai waren keine Freunde und würden es wohl auch nie werden. Weder Sesshoumaru noch Akuma hatten in dieser Richtung irgendwelche Intentionen.

Nachdem Akuma ohne ein weiteres Wort gegangen war und auch Yu sich zurückgezogen hatte, beschlich Sesshoumaru das Gefühl, dass es in der Tat ein riskanter Schritt gewesen war, die Ryû-Youkai in seine Ländereien zu holen. Aber so ungern er es auch zugab, im Moment war er auf deren Unterstützung angewiesen. Hätte Sesshoumaru nicht gewisse Personen in seinem näheren Umfeld, deren Schutz er höher schätzte als seinen Stolz oder seine Bedenken, dann hätte er sich nie zu diesem Schritt entschieden. Auch auf die Gefahr hin, dass er sich damit vielleicht eine sogar noch gefährlichere Lage geschaffen hatte, deren mögliches Ausmaß er noch nicht abzusehen vermochte...

Indes hatte sich Akuma auf dem Weg zu seinem Flugdrachen gemacht und war gerade dabei, diesem seinen Sattel aufzulegen und festzuschnallen, als er hinter sich die Stimme seines Bruders vernahm: „Akuma! Warte! Was sollte das eben?“

„Ich könnte dir diese Frage eventuell beantworten, wenn du ein klein wenig konkreter werden würdest, Takeshi.“

„Du hast mir selbst gesagt, dass du nach all der Zeit der Feindschaft nicht vor hast, den Kampf gegen die Inu-Youkai wieder aufzunehmen. Also, was sollte diese Bemerkung, die du Sesshoumaru gegenüber gemacht hast?“

Ohne zunächst darauf einzugehen und als würde ihn das gar nicht interessieren, legte Akuma seinem Flugrachen als nächstes die Zügel an.

„Verstehe, du hast es also mitbekommen“, erwiderte er schließlich. „Ich habe dir gesagt, dass ich mich an das halten werde, was ich gesagt habe. Aber wie ich es auch Sesshoumaru mitgeteilt habe, werde ich entsprechend reagieren, wenn man mir einen Anlass dafür geben sollte. Das ist alles.“

Takeshi schwieg. Akuma war damals wie heute in gewisser Weise unberechenbar. Dessen war sich sein Bruder bewusst und ebenso wusste er, dass Akumas Laune – ganz gleich, wie sehr sich ihr Verhältnis zueinander verbessert haben mochte – schnell umschlagen konnte.

Takeshis Schweigen veranlasste Akuma dazu, sich zu ihm umzudrehen.

„Was ist los mit dir? Hast du deine Zunge verschluckt?“, fragte er. Takeshis ernstes und zugleich ratloses Gesicht ließen ihn jedoch ungewollt etwas lachen. „Ach, Brüderchen... Du magst zwar älter und stärker geworden sein, aber in mancher Hinsicht bist du noch immer zu leicht aus der Fassung zu bringen. Daran musst du noch arbeiten.“

Akuma tippte seinem Bruder mit dem Zeigefinger gegen die Stirn, womit er diesen wieder aus seiner Starre holte.

„Halte hier die Stellung, so lange ich weg bin. Es wird nicht lange dauern“, fügte Akuma noch hinzu Anschließend stieg er in den Sattel und nahm die Zügel in die Hand, woraufhin sich sein Flugdrache erhob. Nachdem sein Bruder sich auf den Weg gemacht hatte, blickte Takeshi ihm noch ein wenig verwirrt hinterher, während er sich die Stirn rieb.
 

Gleich nach seiner Unterredung mit Akuma hatte Sesshoumaru Kakeru aufgesucht. Es gab ohnehin das eine oder andere Thema, über das er mit diesem hatte reden wollen. Wie hatte er sich nur dazu hatte verleiten lassen können, den Ryû-Youkai ungehinderten Zugang zu seinen Ländereien und seinem Schloss zu gewähren? So verzweifelt war er wegen der Füchse schließlich nicht gewesen, zudem er Akuma und seinen Leuten nach wie vor nicht vertraute. Wer garantierte ihm, dass von ihnen nicht tatsächlich irgendwann jemand quer schießen würde?

Kakeru saß derweil an seinem Tisch und gönnte sich einen Tee. Sesshoumaru hatte ihm inzwischen von seinem Gespräch mit Akuma berichtet.

„Auch mir ist bewusst, dass es ein riskanter Schritt war, Euch dazu zu raten, die Ryû-Youkai hierher zu holen“, gab Kakeru zu.

„Und dennoch hast du mir dazu geraten.“

„Weil es mir in dieser Situation als das beste erschien. Und so lange unter ihnen und uns kein Kampf ausbricht, bleibe ich bei dieser Ansicht. Man kann sich seine Verbündeten nicht immer nach Belieben aussuchen. Akuma ist unberechenbar, aber sogar jemand wie er besitzt so etwas wie Ehre.“

Ehre... Das mochte sein, doch hatten die Ryû-Youkai andere Grundsätze und Werte, wenn man das so bezeichnen konnte. Nur die Starken und Mächtigen hatten Anrecht auf eine Platz innerhalb des Clans. Wer dem nicht gewachsen war, ging unter. Allerdings hatte es mal eine Zeit gegeben, da hätte wohl auch Sesshoumaru die Ansichten der Drachen ohne Beanstandung geteilt. Doch diese Zeiten lagen hinter ihm.

„Übrigens, Kimie scheint sich erkältet zu haben“, merkte Sesshoumaru an. „Ich möchte dich fragen, ob du aus deinem Bestand an Kräutern einen Tee für sie zubereiten kannst.“

Kakeru horchte auf. „Ach, dann stimmt es also. Es ist mir schon aufgefallen, dass Eure Gefährtin etwas angeschlagen zu sein scheint. Es würde mich nicht wundern, wenn sie sich erkältet hat. Die letzten Wochen scheinen doch stärker an ihren Kräften gezehrt zu haben. Vielleicht schickt Ihr sie am besten mal zu mir. Dann sehe ich sie mir genauer an.“

Sesshoumaru hatte gegen diesen Vorschlag nichts einzuwenden. Es wäre ihm so sogar lieber, als wenn Kimie wirklich noch ernsthaft krank werden würde. Es erstaunte ihn jedoch nach

wie vor, dass Kakeru trotz des Verlustes seiner Sehkraft all das tun konnte, was er schon davor getan hatte. Sesshoumaru hatte es zwar nie gesagt – davor würde er sich stets hüten – aber die Gewissheit, dass Kakeru dem Clan stets eine so gute Hilfe war, nahm ihm selbst eine große Last. Selbst der stärkste Herrscher brauchte wohl einen zuverlässigen Berater an seiner Seite.

Nach einem Moment der Stille richtete Kakeru erneut das Wort an seinen Herrn: „Sesshoumaru-sama, gestattet Ihr es mir, wenn ich Euch etwas Persönliches frage?“

„Das tust du doch ohnehin“, meinte Sesshoumaru gelassen, was Kakeru ein wenig zum Schmunzeln brachte.

„Mag sein. Es ist nur so, ich habe Euch die letzten Jahre beobachtet. Auch ohne mein Augenlicht war mir dies möglich. Ihr habt eine Gefährtin und inzwischen auch einen Nachkommen. Und Eure Leute stehen loyal an Eurer Seite. Gibt es dennoch irgendetwas, was Euch fehlt?“

Ob ihm was fehlte? Was war das denn auf einmal für eine seltsame Frage gewesen? Sesshoumaru konnte nicht gerade oft von sich behaupten, irritiert gewesen zu sein, aber in dieser Situation war er es in gewisser Weise. Kakeru war wohl einer der wenigen Personen, die so etwas bei ihm schafften. Jedoch antwortete er nach einem Moment mit gewohnter Ruhe: „Ich habe alles, was ich brauche“

„Hm... Gut.“

Gut? Das war alles, was Kakeru dazu zu sagen hatte?

„Verzeiht. Ich war einfach nur neugierig, wie Ihr Eure eigene Situation momentan seht“, erklärte sich dieser nun. Während der erneuten kurzen Pause im Gespräch nahm er einen weiteren Schluck von seinem Tee. „Bedauerlich, dass Euer verehrter Vater nicht hier sein kann. Sicherlich hätte es ihn gefreut, seinen ersten Enkel zu sehen.“

Im Stillen konnte sich Sesshoumaru das sogar sehr gut vorstellen. Sein Vater hätte mit Katô sicherlich seine Freude gehabt und hätte den Kleinen wohl gar nicht mehr aus den Augen gelassen. Seine Mutter war da wieder eine ganz andere Nummer gewesen. Von dieser hatte Sesshoumaru seit dem letzten Mal, als er sie wegen Tenseigas Meidou aufgesucht hatte, nichts mehr gehört oder gar gesehen. Allerdings wäre es auch sehr untypisch für sie gewesen, hier einfach auf einen Besuch aufzukreuzen. Gut möglich, dass sie nie wieder was von sich hören lassen würde. Obwohl er sich schon fragte, wie eine Begegnung zwischen ihr und Kimie wohl ablaufen würde. Allerdings hatte er nicht vor, sie mal mit zu seiner Mutter zu nehmen, um sie ihr vorzustellen. Das war ohnehin eine Sache, um die er sich gerade keine weiteren Gedanken machen wollte. Es gab Wichtigeres zu tun.
 

Nach dem Zwischenfall mit Jin hatte sich Kimie ein wenig in den Trainingsraum zurückgezogen. Da niemand sonst gerade hier war, hatte sie ihre Ruhe und nutzte die Zeit, um ein wenig mit ihrem Schwert zu üben. Katô hatte sie in der Zwischenzeit in Sakuras Obhut gegeben. Dort wusste sie ihn in guten Händen. Und falls sie sich wirklich eine leichte Erkältung eingefangen hatte, wollte sie ihn nicht eventuell anstecken. Seltsamerweise fühlte sie sich gar nicht so, als hätte sie sich erkältet. Aber das musste ja nichts heißen.

Das Training half Kimie einerseits, wieder ein wenig mehr in Form zu kommen, zumal sie ohnehin das Gefühl hatte, deutlich nachgelassen zu haben, andererseits sorgte es dafür, dass sie sich etwas ablenken konnte. Denn zufrieden fühlte sie sich gerade nicht wirklich. Es war, als würde irgendetwas immerzu an ihr nagen, von dem sie aber nicht genau sagen konnte, was es war.

Kimie war so sehr in ihre Gedanken vertieft, dass sie gar nicht bemerkte, wie jemand hinter ihr die Tür zum Trainingsraum öffnete. Gerade schwang sie ihr Schwert, während sie sich zugleich drehte, und erschrak, als sie dem unerwarteten Besucher mit der Klinge gefährlich nahe kam.

„Woah! Sachte!“ Takeshi hob beschwichtigend die Hände angesichts dieses unerwarteten Vorgehens seitens Kimie. Diese senkte sofort ihre Waffe.

„Oh! Bitte, verzeih!“, entschuldigte sie sich, wobei man ihr anmerkte, dass ihr die Sache mehr als unangenehm gewesen war. „Ich... habe nicht damit gerechnet, dass du hinter mir stehst. Hast du mich gesucht?“

„Mehr oder weniger“, antwortete Takeshi. „Ich möchte dich auch nicht lange stören. Yu hat mir nur von dem Vorfall mit Jin berichtet. Tut mir leid, ich dachte, er hätte sich besser im Griff.“

„Hm? Bist du extra deswegen hergekommen? Du musst dich nicht entschuldigen. Ich weiß schließlich so ungefähr, wie er tickt.“

Aus Kimies Sicht war es wirklich nicht von Nöten gewesen, dass Takeshi sie extra deswegen aufgesucht hatte. Zumal ihr das nur noch mehr das Gefühl gab, alle müssten sich ständig um sie kümmern. Doch das sagte sie Takeshi so nicht.

„Es ist ja nichts weiter passiert“, fügte sie lediglich am Ende noch hinzu.

Takeshi schwieg einen Moment lang, während er Kimie nachdenklich musterte. Irgendetwas schien sie zu beschäftigen.

„Vielleicht würde er sich ja mehr zurückhalten, wenn Renhou noch da wäre“, überlegte er. Wobei, selbst das war fraglich, wenn Takeshi sich daran erinnerte, wie oft die beiden gegeneinander gekämpft hatten, was stets von Jin ausgegangen war... Zwar respektierte dieser Akuma und sah ihn auch als den uneingeschränkten Anführer des Clans an, aber es war im Grunde Renhou gewesen, der Jin stets wieder auf den Boden zurückgeholt hatte. Allerdings hatte er es auch noch nie gewagt, Akuma herauszufordern. Mit Renhou hingegen hatte er ja ständig irgendwelchen Streit gehabt. Jedoch hatte dieser Jin auf diese Weise auch immer wieder in seine Schranken gewiesen. Takeshi war sich schon damals dessen bewusst gewesen, dass Renhous Kraft der von Akuma gleichgekommen war. Hätte Renhou es gewollt, dann hätte er Akuma womöglich von dessen Position verdrängen können, aber er hatte es nie versucht. Dazu war Renhou viel zu loyal gewesen. Und trotzdem hatte Akuma ihm zu genüge misstraut, dass er ihm diesen Fluch auferlegt hatte, der Renhou letzten Endes das Leben gekostet hatte. Ohne diesen Fluch wäre er mit ziemlicher Sicherheit noch am Leben gewesen.

„Akuma hat vorhin mit seinem Flugdrachen das Schloss verlassen“, merkte Takeshi an. „Er spricht nicht darüber, aber ich glaube, er macht sich noch heute Vorwürfe wegen dem, was damals passiert ist und dass er sich von Naraku so hatte manipulieren lassen.“

„Naraku hat viele manipuliert und sie nach seiner Pfeife tanzen lassen. Er hat es ganz am Anfang sogar mal geschafft, Sesshoumaru für einen seiner Pläne zu gewinnen und auf Inu Yasha anzusetzen. Dein Bruder befindet sich sich daher in bester Gesellschaft.“

„Hast du das mitbekommen?“

„Nein, das war vor meiner Zeit hier. Kagome hat es mir mal erzählt.“

„Verstehe.“

Takeshi erinnerte sich nicht wirklich gerne an die Zeit, als Naraku sich in den Clan der Ryû-Youkai eingeschlichen hatte und alles nach seiner Pfeife hatte tanzen lassen. Damals hätte einiges anders laufen können, wenn sie sich von ihm nicht hätten beeinflussen lassen. Doch brachte es niemandem etwas, sich jetzt noch den Kopf drüber zu zerbrechen, dessen war er sich bewusst.

Sowohl Takeshi als auch Kimie horchten auf, als abermals die Tür aufgeschoben wurde. Dieses Mal war es Sesshoumaru gewesen, der auf der Bildfläche erschien. Takeshi nahm dies zum Anlass, sich fürs Erste wieder zurückzuziehen.

„Ich geh dann mal wieder“, meinte er lächelnd an Kimie gerichtet, ehe er mit einer angedeuteten Verbeugung an Sesshoumaru vorbei ging. Dieser warf daraufhin einen leicht prüfenden Blick rüber zu seiner Gefährtin.

„Jetzt schau nicht schon wieder so! Oder glaubst du, Takeshi und ich haben gerade irgendetwas Unanständiges gemacht?“, fragte Kimie doch leicht amüsiert. Sesshoumaru jedoch verzog wie üblich keine Miene.

„Wo ist Katô?“, fragte er stattdessen, da es nicht den Anschein machte, als hätte Kimie den Kleinen mit hierher genommen.

„Sakura hat sich angeboten, auf ihn aufzupassen“, erklärte sie ihm.

„Und du?“, fragte Sesshoumaru. „Du solltest dich besser ausruhen, anstatt hier zu trainieren. Kakeru möchte sich ohnehin gerne mit dir unterhalten und nach dir sehen.“

„In Ordnung. Ich werde nachher zu ihm gehen.“

Zunächst wollte Kimie sich noch ein wenig mit ihrem Training beschäftigen. Doch da wurde ihr ihr Schwert von Sesshoumaru abgenommen.

„Geh jetzt zu ihm. Er hat gerade Zeit“, forderte er sie auf, was sie schon ein wenig seltsam fand. Es war ja schließlich nicht so, als fühlte sie sich tatsächlich krank. Ein wenig müde vielleicht.

„Kann das nicht warten? Ich möchte jetzt erstmal ein wenig trainieren. Ich hänge ohnehin schon ziemlich hinterher.“

„Dann wird dich ein weiterer Tag auch nicht weiter beeinträchtigen.“

„Sesshoumaru, bitte! Du hast doch selbst immer gesagt, ich solle mein Training nicht vernachlässigen.“

„Mag sein, aber man sollte wissen, wann man es gut sein lassen sollte.“

„Aber ich muss trainieren! Sonst verliere ich irgendwann komplett den Anschluss! Mir reicht es!“

Diese zuletzt mit deutlich mehr Nachdruck gemachte Aussage von Kimie ließ Sesshoumaru aufmerken. Warum bestand sie auf einmal so vehement darauf, trainieren zu wollen? Sie biss sich ja regelrecht an dieser Idee fest und schien in ihr altes, dickköpfiges Verhaltensmuster zurückzufallen. Dabei sollten ihre Prioritäten zur Zeit eigentlich woanders liegen.

„Was ist los mit dir?“, fragte er sie ruhig, ohne ihr nach wie vor ihr Schwert zurückzugeben.

Kimie seufzte leise, als sie ihren Blick ein wenig von ihm abwandte.

„Ich... ich habe nur die Nase voll davon, dass mir ständig jemand helfen muss“, gab sie zu und schien plötzlich mehr mit sich selbst, als mit ihm zu sprechen. „Zwar tue ich gerne so, als wäre ich stark und hätte keine Angst. Und als wollte ich das unterstreichen, werde ich gerne mal laut, aber in Wirklichkeit zeigt das wohl nur, wie unsicher ich eigentlich zu sein scheine.“

Was waren das auf einmal für Töne? Sesshoumaru wunderte sich nun erst recht über Kimies Verhalten. Was ging ihr wieder durch den Kopf?

„Es würde mich nicht wundern, wenn du in deinem Alter graue Haare bekämst. So oft, wie du dir Sorgen machst“, merkte er an, was Kimie wieder zu ihm hochschauen ließ. Graue Haare? Hatte er das gerade wirklich gesagt?

„Sesshoumaru, bleib bitte ernst!“

„Ich bin ernst“, erwiderte er ruhig. „Wie wäre es, wenn du mir erzählst, was genau dich beschäftigt?“

Kimie fuhr sich mit einer Hand durch ihr Haar und machte dabei irgendwie einen etwas aufgelösten Eindruck. Sie hatte eigentlich nicht vorgehabt, über dien Vorfall mit Jin zu sprechen. Hauptsächlich, um keinen unnötigen Streit aufkommen zu lassen. Jedoch war sie sich dessen bewusst, dass ihr Schweigen in der Vergangenheit eher das Gegenteil von dem bewirkt hatte, was sie eigentlich wollte. Es war wohl doch besser, Sesshoumaru alles zu erzählen. Und das tat sie nun auch. Wie erwartet war Sesshoumaru alles andere als begeistert von dem, was er da hörte. Zumal ihn das nur in seiner Vermutung bestärkte, dass man den Ryû-Youkai nicht trauen konnte. Daran änderten auch Kimes beschwichtigende Worte nicht viel.

„Ich wollte es dir eigentlich nicht sagen, damit du dich nicht aufregen musst“, erklärte sie. „Jin ist eben so. Da kann man nicht viel machen.“

„Vielleicht, aber dennoch gibt es Grenzen, die er gefälligst zu respektieren hat“, stellte Sesshoumaru klar.

„Mag sein, aber das ist nicht mein Hauptproblem“, erwiderte Kimie. „Es ist nur... Es nervt! Jedes Mal, wenn ich mir vornehme, endlich etwas allein hinzubekommen, haut es nicht hin! Immer brauche ich Hilfe von irgendjemandem...“

Sie hatte sogar den Eindruck, dass sie noch weniger allein bewerkstelligte, als es früher der Fall gewesen war. Hatte sie so sehr nachgelassen?

„Du bist ein Mensch“, erinnerte Sesshoumaru sie. „Bist du wirklich davon überzeugt, du hättest es allein mit Jin aufnehmen können?“

Dazu schwieg Kimie nun. Zugegeben, das wäre wohl wirklich ein wenig utopisch gewesen, aber trotzdem...

„Du kannst dich nicht kopflos in jede erdenkliche Gefahr stürzen. Schließlich bist du jetzt Mutter. Du hast andere Pflichten als den Kampf“, sprach Sesshoumaru weiter. Kimie wusste zwar, wie das gemeint gewesen war, aber dennoch... Sie wollte nicht nur „Hausfrau“ sein.

Ihr Verhalten erinnerte Sesshoumaru hingegen gerade sehr an die Vergangenheit. Kimie war durchaus dazu in der Lage, auch allein gegen gewisse Dämonen anzukommen und erst recht gegen Menschen, aber höhere Youkai mit entsprechendem Kampfgeschick und magischen Begabungen waren für sie allein eben doch nach wie vor eine Nummer zu groß und würden es wohl auch immer bleiben. Und aus seiner Sicht war dies kein Grund für sie, Trübsal zu blasen. Es war schließlich nicht so, als bekäme sie gar nichts allein auf die Reihe, aber offenbar hatte Kimie gerade genau dieses Gefühl.

„Hältst du dich für unnütz?“, fragte Sesshoumaru seine Gefährtin schließlich, woraufhin diese leicht zu ihm schaute. Unnütz... Das vielleicht nicht unbedingt, aber sie hatte den Eindruck, noch immer viel zu sehr auf die Hilfe Anderer angewiesen zu sein, obwohl sie mittlerweile schon seit einigen Jahren in dieser Zeit lebte. Zugegeben, besonders seit Narakus Ende hatte sie die meiste Zeit hier im Schloss verbracht und eigentlich keinen Grund mehr zum Kämpfen gehabt, wenngleich sie nach wie vor regelmäßig mit dem Schwert trainiert hatte.

„Hmm... Hältst du mich denn für unnütz?“, fragte Kimie nach einem Moment, wobei sie gerade einen Blick drauf hatte wie ein kleines Kind, das ganz vorsichtig danach gefragt hatte, ob es etwas falsch gemacht hatte. Sie wartete darauf, was Sesshoumaru ihr antworten würde. Ob er ihr überhaupt antworten würde? Doch stattdessen spürte sie auf einmal, wie er ihr mit dem Zeigefinger gegen die Stirn tippte und dafür von ihr einen mehr als irritierten Blick kassierte.

„Du redest Unfug. Wie so oft“, teilte er ihr wie nebenbei mit. „Stell dich nicht selbst als dumm oder nutzlos dar und erwarte dann, dass andere dir das Gegenteilige sagen, nur damit du dich besser fühlst. Damit machst du dich nur lächerlich.“

„Huh?!“

Kimie stutzte. Hatte sie das getan? Zumindest schien es so bei Sesshoumaru angekommen zu sein, obwohl sie das eigentlich nicht beabsichtigt hatte. Aber... vielleicht hatte er ja recht. Sie sollte endlich damit aufhören. Andernfalls würde sie ihm damit wohl auf Dauer auf die Nerven gehen. Und nicht nur ihm...

„Das genügt für heute“, meinte Sesshoumaru. „Lass dein Schwert ruhen und hol Katô. Danach gehst du zu Kakeru.“

„Uhm... Ja, gut“, antwortete sie bereitwillig, wenngleich sie ein wenig peinlich berührt zu sein schien.

Sesshoumaru gab Kimie zunächst ihr Schwert wieder zurück, ehe er zusammen mit ihr den Trainingsraum verließ. Doch kaum waren sie auf den Flur hinaus getreten, kreuzte sich ihr Weg mit dem von Rin und Jaken.

„Sesshoumaru-sama! Kimie-san!“, rief Rin die beiden erfreut.

„Hallo, ihr beiden! Was macht ihr denn hier?“, fragte Kimie überrascht.

„Ich habe Sesshoumaru-sama und dich gesucht. Ich wollte nämlich Katô-chan gerne nochmal sehen. Und Jaken-sama ist mir einfach nachgelaufen.“

Sofort protestierte Jaken laustark: „Was? Das stimmt doch gar nicht! Ich bin bloß mitgekommen, weil du dich sonst garantiert hier im Schloss verlaufen hättest!“

Kimie musste unweigerlich etwas schmunzeln. „Wenn das so ist, dann geht ihr drei doch Katô holen. Ich gehe in der Zwischenzeit zu Kakeru.“

Sesshoumaru hatte nichts dagegen, doch Rin fiel auf. Das wäre wirklich besser, denn Kimie sah müde aus. Das fiel auch Rin auf, denn sie fragte nur kurz darauf: „Bist du krank, Kimie-san?“

„Nur eine kleine Erkältung. Nichts Schlimmes“, beschwichtigte Kimie sogleich und wandte sich zum gehen um. „Also, bis gleich.“

Auf dem Weg zu Kakeru bemerkte sie aber schnell, wie erschöpft sie sich mit einem Mal fühlte. Vieleicht war das mit dem Training doch keine so gute Idee gewesen. Da hatte sie sich wohl mal wieder übernommen.

Nachdem Kimie bei Kakeru angekommen war, nahm dieser sich ausgiebig Zeit, um ihren Zustand zu überprüfen.

„Eine Erkältung scheint es nicht zu sein. Aber Ihr habt leichtes Fieber“, stellte er schließlich fest. Dass sie Fieber hatte, hatte Kimie selbst noch gar nicht wahrgenommen.

„Hmm... Und was jetzt?“, fragte sie ein wenig unsicher.

„Ich gebe Euch erstmal einen Tee, der Eure Beschwerden lindern wird“, antwortete Kakeru ihr und kümmerte sich direkt drum, den besagten Tee zuzubereiten. „Eure Symptome sind nicht so stark, aber um sicherzugehen, solltet Ihr in der Nähe Eures Sohnes vorsichtig sein, damit er sich nicht eventuell ansteckt.“

„Ja, ich verstehe.“

Als der Tee fertig war, reichte er ihr eine Tasse. „Hier. Trinkt am besten jeden Tag mindestens drei Tassen am Morgen und drei am Abend jeweils über eine Stunde verteilt. Und wenn es sich doch nicht bessern sollte, lasst es mich wissen.“

„In Ordnung.“

Dann wäre es wohl doch das beste, wenn sie die nächsten Tage ein wenig kürzer treten würde.

„Wie geht es Euch ansonsten?“, fragte Kakeru nach einem Moment.

„Mh... Eigentlich ganz okay. Bis auf den Husten“, antwortete Kimie. „Aber vielleicht kommt das auch nur durch die Kälte.“

„Sorgt auf jeden Fall dafür, dass Ihr stets warm angezogen seid. Der Winter in diesem Jahr ist kälter als sonst. Außerdem solltet Ihr darauf achten, dass Ihr genug esst.“

Kimie nickte. Genug essen... Dabei fiel ihr auf, dass sie zuletzt eher wenig gegessen hatte. Sie hatte einfach keinen großen Hunger gehabt. Nachdenklich schaute sie rüber zum Fenster.

„Youkai bekommen nie eine Erkältung, oder?“, fragte sie auf einmal, wobei sie ein wenig so wirkte, als wäre sie mit ihren Gedanken teils woanders.

„Nun, zumindest war ich noch nie erkältet“, antwortete Kakeru scherzend. Um Kimie ein wenig abzulenken, wechselte er das Thema: „Übrigens, Euer Sohn scheint sich gut zu machen. Das freut mich.“

„Ja, er macht sich ganz gut“, bestätigte Kimie. „Und Seshoumaru macht als Vater keine so schlechte Figur. Er könnte den Kleinen nur etwas häufiger auf den Arm nehmen. Aber mir scheint, er möchte nicht, dass jemand anders ihn so sieht.“

Kakeru musste etwas lachen. „Das kann ich mir gut vorstellen. Sesshoumaru-sama ist nach wie vor stets darum bemüht, einen gewissen Eindruck von sich zu vermitteln. Das Bild des treusorgenden Vaters passt da nach seiner Ansicht wohl nicht so ganz hinein.“

„Dabei steht Katô ihm so gut“, meinte Kimie amüsiert, wobei sie ebenfalls lachen musste. Es tat gut, einfach ein wenig loszulassen. Besonders jetzt...
 

Allmählich wurde es Abend. Gleich, nachdem sie von Kakeru zurückgekommen war, hatte sich Kimie ein wenig im Schlafraum hingelegt, während sich nebenan Sesshoumaru zusammen mit Rin, Jaken, Inuki und Katô aufhielt. Da Katô im Moment noch ziemlich munter war, beschäftigte sich Rin ausgiebig mit ihm. Sesshoumaru stellte überrascht fest, wie gut das Mädchen offenbar mit kleinen Kindern umgehen konnte. Sie schien von der alten Miko im Dorf einiges gelernt zu haben. Und bei alldem hatte sie sich ihre kindliche Unschuld nach wie vor erhalten.

„Jaken-sama, halte mal deine Hand hier hin“, forderte Rin den Krötendämon irgendwann auf. Als dieser sich jedoch zierte, zog sie ihn einfach so in Katôs Nähe, sodass dieser nach einem von Jakens Fingern greifen konnte. Während Jaken sich nicht sicher zu sein schien, wie er darauf reagieren sollte, lächelte Rin erfreut. „Wie süß! Findest du nicht auch, Jaken-sama?“

Jaken murmelte nur etwas Unverständliches in sich hinein, ließ es aber zu, dass Katô ihn festhielt. Irgendwann schien der Kleine jedoch schläfrig zu werden und gähnte herzhaft.

„Sesshoumaru-sama, Katô-chan ist offenbar müde geworden“, erzählte Rin, woraufhin Sesshoumaru von den Unterlagen aufschaute, welche er sich gerade durchlas.

„Möchtest du ihn schlafen legen, Rin?“, schlug er vor, was sie sogleich fröhlich bejahte und den Kleine vorsichtig hochhob, um ihn in sein Bettchen zu legen. Nachdem sie ihn zugedeckt hatte, dauerte es nicht lange, bis Katô eingeschlafen war. Anschließend setzte sich Rin zu Sesshoumaru, wobei sie kurz zu der Tür des Schlafraumes schaute.

„Kimie-san schläft wohl noch.“

„Wenn sie wirklich krank ist, sollte sie nicht aufstehen, und schon gar nicht zu nahe an das Kind herankommen“, meinte Jaken, wobei das weniger abfällig gemeint war, als es auf den ersten Blick vielleicht klang. „Zuerst soll sie wieder gesund werden. Wenn sie sich ausruht, geht es ihr sicher bald besser.“

„Jaken-sama, machst du dir etwa Sorgen?“

„Wer? Ich? Unsinn! Wenn überhaupt, dann sorge ich mich um das Wohl von Sesshoumaru-samas Sohn! Ein Kind in diesem Alter könnte sich schnell etwas einfangen, auch wenn es ein Hanyou ist.“

„Dann passen wir für Kimie-san auf Katô-chan auf, Jaken-sama.“

„Eh?“

„Natürlich! Immerhin hast du ihn doch beschützt, nicht wahr?“

Unwillkürlich wurde Jaken rot. Woher wusste Rin das? Jemand hatte ihr es offenbar erzählt und das machte ihn doch verlegen.

„Nun, ich glaube, ihr beide bekommt das sicher hin“, hörte man Kimie auf einmal sagen. Sie war inzwischen aufgestanden und hatte sich etwas angezogen. Zwar wirkte sie noch ein wenig müde, aber zumindest lächelte sie.

„Warum bist du aufgestanden?“, fragte Sesshoumaru sie, als er sich erhob, um auf sie zuzugehen. „Es ist ohnehin bald Zeit für die Nachtruhe. Du hättest liegen bleiben können. Oder hast du vielleicht Hunger?“

In der Tat wäre es nicht verkehrt, wenn Kimie eine Kleinigkeit essen würde, doch sie schüttelte den Kopf.

„Nein, ich wollte mich nur ein wenig bewegen, bevor ich wieder schlafen gehe.“

„Dann solltest du zumindest etwas von dem Tee trinken, den Kakeru dir gegeben hat“, fand Sesshoumaru.

„Ich kümmere mich darum!“, verkündete Rin sogleich und holte alles, was sie zum Zubereiten des Tees brauchte. Indes setzte sich Kimie mit an den Tisch. Sie sah, dass Katô etwas abseits in seinem Bettchen lag und schlief. Gerne hätte sie ihn sich etwas näher angesehen, doch sie wollte lieber kein Risiko eingehen. Kurz darauf kam Rin mit dem Tee an den Tisch.

„Kimie-san, hier ist dein Tee.“

„Danke, Rin.“

Kimie nahm zunächst einen kleinen Schluck. Wenn sie gerade nicht trank, hielt sie sich ein kleines Tuch vor Mund und Nase, da sie auch Rin auf keinen Fall anstecken wollte.

„Tut mir leid“, murmelte sie in das Tuch hinein, wobei nicht ganz klar war, an wen genau diese Entschuldigung gerichtet war. „Schon wieder mache ich allen nur Umstände.“

„Hm... Es ist ja nicht so, dass dies etwas Neues wäre“, erwiderte Jaken mit einem Schulterzucken.

Kimie musste unwillkürlich etwas schmunzeln. „Ja, das stimmt wohl.“

„Huh?“ Verwundert schaute Jaken zu Kimie hoch. Kein bissiger Kommentar? Dann ging es ihr wohl wirklich schlecht... Andererseits, seit sie wieder hier im Schloss war, hatte sie sich nicht mehr mit ihm angelegt. Im Gegenteil, sie war erschreckend freundlich zu ihm gewesen, besonders seit der Rettung von Katô.

Indes schaute Sesshoumaru nach Katô, doch ihm schien es an nichts zu fehlen. So lange Kimie nicht wieder vollständig genesen wäre, würde er eben alle nötigen Aufgaben übernehmen. Zumindest die, bei denen er keine Hilfe in Anspruch nehmen musste.

Gerade wollte sich Sesshoumaru zurück an den Tisch begeben, als er bemerkte, wie sich etwas von draußen näherte. Ein Schatten kam dem Fenster stetig näher. Er hatte bereits seine Hand an Bakusaiga gelegt, als das Fenster von draußen aufgeschoben wurde und Akuma in den Raum schaute. Vor lauter Schreck hätte sich Kimie fast an ihrem Tee verschluckt.

„Ah! Habe ich doch auf Anhieb das richtige Fenster erwischt“, merkte Akuma amüsiert an. Sesshoumaru jedoch war weniger belustigt.

„Akuma... Verschwinde da, bevor ich mich vergesse!“

Sein Gegenüber winkte gelassen ab, als er sich wie selbstverständlich auf die Fensterbank setzte.

„Immer mit der Ruhe, Sesshoumaru. Übrigens... Bei meinem Rundflug habe ich diesen kleinen Fuchs außerhalb des Schlosses gefunden. Ich dachte, vielleicht interessiert dich das ja.“

Mit diesen Worten zeigte Akuma einen ziemlich panischen und aufgebrachten Shippou vor. „Aah! Finger weg! Lass mich gehen, du mieser Typ! Ich hab doch überhaupt nichts gemacht! Lass mich los!“

„Shippou?“, fragte Kimie verdutzt. Was machte der kleine Kitsune denn hier?
 

Einige Zeit später und nachdem die erste Aufregung wieder abgeklungen war, saß Shippou mit Inu Yasha und Kagome zusammen.

„Ist etwas passiert, Shippou-chan?“, fragte sie ihn sogleich.

Shippou schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich. Eigentlich wollte ich nur nachsehen, ob hier bei euch alles in Ordnung ist. Sango und Miroku machen sich auch Sorgen, aber wegen der Kinder können sie ja nicht einfach herkommen. Und Miroku möchte seine Familie im Augenblick nur ungern wieder allein lassen.“

„Schon klar“, erwiderte Inu Yasha, wobei er die Arme hinter dem Kopf verschränkte. Die kleine Gruppe saß auf der Veranda des Zimmers, welches Inu Yasha und Kagome während ihres Aufenthaltes zur Verfügung gestellt worden war. Shippou ließ misstrauisch seinen Blick schweifen. Überall sah er hier und da vereinzelte Krieger der Ryû-Youkai. Sogar am Himmel zogen sie ihre Kreise. Es sah mehr so aus, als hätten sie das Schloss belagert...

„Und die Ryû-Youkai sind tatsächlich als Verbündete hierher gekommen?“, fragte er leise, um sicher zu gehen, dass von Akumas Leuten bloß keiner etwas mit anhören konnte. „Wer ist denn auf die blöde Idee gekommen, die einzuladen?“

„Das wäre dann wohl ich“, hörte man Kakeru auf einmal amüsiert sagen, welcher soeben des Weges daherkam. Zunächst vor Schreck darüber, dass er sozusagen ertappt worden war, senkte Shippou kurz darauf sichtlich peinlich berührt den Blick.

Kagome hingegen grüßte Kakeru erfreut: „Guten Abend, Kakeru-sama! Ist alles in Ordnung?“

„Ja, ich wollte nur ein wenig an die frische Luft. Und da wollte ich die Gelegenheit für einen kleinen Rundgang nutzen.“

„Wegen der Drachen musst du dir jedenfalls keine Sorgen machen“, meinte Inu Yasha gelassen. „Wir haben sie im Blick und bringen ihnen schon Manieren bei, wenn sie es darauf anlegen.“

Diese Bemerkung hatten einige der Ryû-Youkai durchaus gehört, allerdings hatte Inu Yasha auch nicht versucht, extra leise zu sprechen. Jedoch kassierte er außer einigen abfälligen Blicken keine weiteren Drohgebärden. Trotzdem ermahnte Kagome den Hanyou zu mehr Ruhe. Man musste ja schließlich keine schlafenden Hunde wecken.

Nachdem Kakeru wieder gegangen war, zogen sich Kagome, Inu Yasha und Shippou ebenfalls zurück. Es wurde allmählich spät.
 

Als die Nacht hereinbrach, hockte Shippou wieder im Freien. Obwohl alles ruhig war, bemerkte er, dass sowohl die Inu- als auch die Ryû-Youkai stets aufmerksam blieben und die Umgebung im Auge behielten. Und irgendwie wünschte er sich, dass auch er etwas tun könnte, um seinen Teil beizutragen, denn immerhin befanden sich hier im Schloss auch seine Freunde. Sango und Miroku hätten ihre Hilfe sicherlich auch angeboten, wenn ihre Kinder nicht gewesen wären. Also wollte Shippou an ihrer Stelle etwas tun. Aber was konnte er machen? Zwar hatte er in den letzten Jahren viel gelernt und seine Magie war ausgereifter und besser geworden, aber zu einem wahren Kämpfer fehlte ihm noch viel. Er war eben trotz allem immer noch ein Kind. Kein Vergleich zu den Füchsen aus dem Süden. Shippou machte sich nichts vor. Sollte er einem von ihnen mal im Kampf gegenüberstehen, hätte er nicht den Hauch einer Chance.

Shippou horchte auf, als er auf einmal glaubte, Schritte zu hören. Als er sich umdrehte, sah er die Prinzessin der Füchse auf sich zukommen und stand auf.

„Oh! Prinzessin Saori... Guten Abend.“

Saori lächelte ihn freundlich an. „Guten Abend. Du heißt Shippou, nicht wahr?“

„Ja, mein Vater gab mir diesen Namen.“

Ihr Lächeln beibehaltend ließ es sich Saori nicht nehmen, sich an Shippous Seite zu setzen. Dieser war von dieser Geste mehr als überrascht und auch ein wenig verlegen. Mit leicht geröteten Wangen setzte er sich ebenfalls wieder hin, während Saori ihren Blick zum Mond gerichtet hatte.

„Ich... habe davon gehört, dass Ihr hier seid, um Sesshoumaru um Hilfe zu bitten“, begann Shippou schließlich zu sprechen.

„Ja, das ist richtig“, bestätigte Saori. „Ich kam her in der Hoffnung, auf diese Weise meinem Vater und meinem Clan helfen zu können. Ich konnte nicht länger dort bleiben. Jedoch...“ Sie schwieg einen Moment und wirkte auf einmal irgendwie traurig. „Vielleicht ging es mir insgeheim auch nur darum, zu fliehen. Weil ich die Situation dort nicht länger ertragen habe. Ich hatte das Gefühl, sämtliche Kontrolle zu verlieren und selbst dazu verdammt zu sein, bloß zuschauen zu können, wie alles in die Brüche geht...“ Plötzlich besann sie sich und blickte entschuldigend zu Shippou. „Ah, bitte verzeih mir. Ich wollte dich nicht mit solchen Dingen belästigen. Du bist immerhin noch ein Kind.“

„Mag sein, aber ich bin viel erwachsener, als man meinen würde“, entgegnete Shippou selbstbewusst. Warum die Prinzessin gerade ihm gegenüber so offen gesprochen hatte, wusste er nicht. Vielleicht hatte sie einfach mal den Wunsch verspürt, sich ein bisschen was von der Seele zu reden. Und irgendwie machte es ihn stolz, dass sie mit ihm darüber geredet hatte. Während er noch so darüber nachdachte, schaute er zum Sternenhimmel hinauf. „Um ehrlich zu sein, ich bewundere Euch und Eure Krieger. Ob ich... irgendwann auch so stark werden kann, wie die Füchse aus Eurem Clan?“

Wiederum schenkte Saori ihm ein warmes Lächeln. „Wenn du fleißig weiter übst, warum nicht? Ich glaube, aus dir wird mal ein sehr begabter Kitsune werden.“

Diese Worte von Saori ließen Shippou vor Verlegenheit leicht erröten, zugleich machten sie ihm auch Mut, fleißig so weiterzumachen wie bisher. Er wollte auf jeden Fall auch irgendwann, wenn er mal erwachsen wäre, so ein beeindruckender Kitsune sein, wie die Krieger aus Aoshis Clan.
 

* ~ * ~ * ~ *
 

Im Schloss der Füchse herrschte seit geraumer Zeit alles andere als Ruhe. Das unerwartete Auftauchen der Ryû-Youkai beschäftigte die meisten nach wie vor und hatte die weitere Planung bezüglich des Kampfes gegen Sesshoumarus Clan mehr oder minder zum Erliegen gebracht.

Kuro ging gerade mit einem seiner untergeordneten Befehlshaber, Kirikaze, durch die Gänge des Schlosses und besprach die aktuelle Lage.

„Meinst du, Kazuya und Takuya werden es schaffen, Shirou zurückzubringen?“, fragte Kirikaze. „Ich befürchte eher, sie verlieren sich wieder in ihren eigenen Interessen.“

„Vielleicht, aber darum muss sich dann Prinzessin Harumi kümmern“, erwiderte Kuro.

Kirikaze war von dieser Antwort nur wenig angetan und es fiel ihm schwer, das zu verbergen. Seufzend fuhr er sich durch das schwarze Haar.

„Kuro? Was ist wirklich mit unserem Herrn los?“

Auf diese Worte hin blieb Kuro stehen. „Warum fragst du mich das?“

Es gefiel Kirikaze zwar nicht, wie sein Gegenüber ihn gerade anschaute, doch er wollte endlich sagen, was ihn beschäftigte: „Weil ich den Verdacht habe, dass du etwas darüber weißt. Aoshi-sama war nie jemand, der eine Affinität zum Krieg hatte und außerdem pflegte er stets einen guten Kontakt zu Inu no Taishou. Doch auf einmal kämpfen wir gegen die Inu-Youkai, und als ob das nicht genügen würde, haben sich auch noch die Ryû-Youkai aus China eingemischt. Wenn wir nicht aufpassen, wird uns dieser Konflikt das Genick brechen!“

Prüfend beäugte Kuro den anderen Kitsune. „Hast du so wenig Vertrauen in deine eigenen Fähigkeiten?“

„Darum geht es nicht und das weißt du auch!“, entgegnete Kirikaze entschieden. „Ich habe hingegen den Eindruck, du weichst mir aus. Kuro! Siehst du eigentlich nicht, wo wir stehen? Prinz Taigas Tod ist noch nicht aufgeklärt, unser Herr verschanzt sich in seinen Gemächern und Prinzessin Saori ist fort! Noch dazu stehen wir mitten in einem Krieg! Du bist unser oberster General! Liegt es wirklich in deinem Interesse, was hier geschieht?“

„Du hast recht. Ich bin euer oberster General. Und als solcher bin ich es, der euch im Kampf die Befehle erteilt. Merk dir das!“, erwiderte Kuro nun merklich bedrohlicher. Kirikaze hingegen konnte nicht glauben, was er da hörte.

„Hörst du dich eigentlich reden?“, fragte er fassungslos. „Weißt du, wie du dich anhörst? Wärst du nur ein halb so guter General, wie Seitarô es war, dann...!“

Im selben Augenblick spürte er die kalte Klinge von Kuros Schwert an seinem Hals. Allein die nun herrschende Stille schnitt regelrecht durch die Luft, ebenso wie Kuros nachfolgende drohende Worte: „Wage es nicht noch einmal, diesen Namen in meiner Gegenwart auszusprechen, sonst schneide ich dir eigenhändig die Stimmbänder heraus! Hast du mich verstanden?“

Kirikaze hatte reflexartig die Hand ans eigene Schwert gelegt, sah jedoch davon ab, dieses zu ziehen. Auch schwieg er zu dem eben Gesagten. Kuro sente letztendlich sein Schwert wieder.

„Ich habe noch was zu erledigen. Mach dich nützlich und geh deiner Arbeit nach“, wies er Kirikaze an und ließ diesen einfach im Gang stehen.

Kirikaze rührte sich erst wieder, nachdem Kuro aus seinem Sichtfeld verschwunden war. Er musste dringend mit Harumi sprechen. Zugegeben, ihm wäre es lieber gewesen, wenn Saori noch hier gewesen wäre, doch vielleicht konnte ihre jüngere Schwester ihm ja auch etwas Nützliches sagen.

Bei den Gemächern der Prinzessin angekommen, machte Kirikaze zunächst auf sich aufmerksam: „Prinzessin? Verzeiht bitte die Störung. Ich muss Euch in einer dringenden Angelegenheit sprechen.“

Kurz darauf wurde ihm von Harumi die Tür geöffnet.

„Was ist los?“, fragte sie, klang aber nicht wirklich interessiert. Kirikaze war sich nicht sicher, ob er bei ihr wirklich etwas erreichen konnte, aber er wollte es zumindest versuchen.

„Ich belästige Euch nur ungern damit, aber...“, begann er zunächst zögerlich, ehe er sich jedoch ein Herz fasste und seine Bedenken aussprach: „Heißt Ihr es wirklich gut, was Kuro zur Zeit tut? Ihr habt ihm die freie Hand über das weitere Vorgehen bezüglich der Inu-Youkai überlassen. Aber warum? Was ist mit Eurem Vater?“

„Wie du mitbekommen haben dürftest, ist mein Vater ist zur Zeit nicht dazu in der Lage, die Befehlsgewalt über die unsere Streitmacht zu wahren. Kuro ist der oberste General. Ich vertraue darauf, dass er die richtigen Entscheidungen treffen wird.“

O nein... Kirikazes Gesicht spiegelte seine Besorgnis wider. Harumi war zwar eine Prinzessin, aber vom Militär oder dem Krieg verstand sie nichts. Dazu war sie auch schlichtweg einfach noch zu jung. Politik hatte sie auch nie wirklich interessiert. Immerhin war sie stets mit dem Wissen darin aufgewachsen, dass ihre beiden älteren Geschwister die Geschicke des Clans eines Tages leiten würden; Taiga als Nachfolger seines Vaters und Saori als Gemahlin eines einflussreichen und starken Lords, dessen Clan mit den Füchsen im Bund stand. Doch alles hatte sich innerhalb kurzer Zeit geändert. Taiga war tot und Saori nicht mehr hier. Sollten die Geschicke des Clans nunmehr darin bestehen, dass ein verblendeter General und eine unerfahrene Prinzessin diese lenkten?

„Kirikaze? Mir scheint, du bis unzufrieden mit der Situation“, bemerkte Harumi.

„Ich gebe zu, ich bin besorgt“, gestand er ihr. „Euer Vater hatte nie die Intention, einen Krieg gegen die Inu-Youkai zu beginnen.“

„Sie sind verantwortlich für Taigas Tod. Sollen wir sie damit davonkommen lassen?“

„Der Tod Eures Bruders ist wahrlich ein großer Verlust für unseren Clan, doch wissen wir, dass die Inu-Youkai dafür verantwortlich sind?“

„Er starb während unseres Aufenthaltes in den westlichen Ländern. Das dürfte Beweis genug sein, mein Vater hat dies nur nicht sehen wollen.“

Das war kein Beweis, nur eine Mutmaßung, wenngleich Kirikaze die Vorstellung anwiderte, jemand aus den eigenen Reihen könnte eventuell für den Tod des Prinzen die Schuld tragen. Vielleicht war das alles sogar ein Komplott? Aber wer hätte davon profitiert? Diese ganze Geschichte machte überhaupt keinen Sinn!

„Wenn das alles war, dann geh jetzt wieder“, forderte Harumi ihren Untergebenen auf, ehe sie auch ohne ein weiteres Wort die Tür direkt vor der Nase schloss. Unverrichteter Dinge ging Kirikaze wieder seines Weges. Sollte er das alles einfach so stehen lassen? Aber was sollte er schon tun können...?


Nachwort zu diesem Kapitel:
Noch ein kurzes Nachwort, weil das in den Kommis bereits erwähnt wurde: Nein, Shirou wird sich NICHT auch noch in Kimie verlieben. Das wäre wirklich des Guten zu viel... ^^'
Ehrlich gesagt hasse ich die meisten dieser fiktiven weiblichen Charaktere, denen die gesamte Männerwelt nachrennt (und eben diese weiblichen Charaktere zudem auch noch den IQ einer Knallerbse haben, absolut nix allein auf die Reihe kriegen und sich dessen nicht mal bewusst sind XD). Und Kimie hat so gesehen ja lediglich Sesshoumaru und Takeshi am Hacken kleben. XD
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Kommentare zu dieser Fanfic (254)
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Von:  Kaia16
2018-12-28T19:16:31+00:00 28.12.2018 20:16
Es ist wieder soweit. Habe wiedermal die Triologie durchgelesen. Sie gewinnt mit jedem lesen an noch mehr Spannung.
Und auch etwas Angst meinerseits. Es sind soviele Fragen offen. Ich hoffe ich werde Irgendwann auch noch die Antworten bekommen.
LG du einen guten Rutsch
Von:  snqehng
2018-09-13T07:24:30+00:00 13.09.2018 09:24
Wann geht es weiter? Hab deine Ff's jetzt schon viermal durchgesuchtet. 😄
Von:  jeaquline
2018-06-04T22:46:22+00:00 05.06.2018 00:46
ich habe jetzt die letzten beiden wochen deine drei ff's gesuchtet... ich würde mich tierisch freuen, wenn du weiterschreiben könntest! du hast so einen verdammt guten schreibstil. sehr flüssig und nicht zu ausschweifend und auch nicht zu kurzatmig. ich fände es sehr schade, wenn diese ff-triologie kein ende finden könnte. bitte sei so lieb *hundeblick*

lg jeaquline
Von:  Silberwoelfin
2017-02-24T10:33:21+00:00 24.02.2017 11:33
Erschreckent... an dieser FF seh ich wie alt ich geworden bin :D
2008 bin ich eingestiegen... jetzt ist das schon wieder fast 10Jahre her *seufz*
Hoffe es geht bald weiter
Gruß
Antwort von:  feuerregen
10.04.2017 21:07
so geht's mir auch.
Von:  Ookami-no-Tenshi
2017-02-11T12:14:08+00:00 11.02.2017 13:14
Ich habe alle drei Teile deiner Story jetzt schon mehrmals gelesen und wünsche mir nichts mehr, als dass du sie weiterschreibst. Eine der besten Fanfics überhaupt. Bin dein größter Fan. Schreibe bitte ein weiteres Kapitel.
Lg. Ookami-chan
Von:  snqehng
2017-01-01T22:38:36+00:00 01.01.2017 23:38
Joa ich bin jetzt schon etwas länger dabei (ich glaube seit dem ersten Teil), also lass ich es mir nicht geduldig auf ein neues Kapitel zu warten. Hoffe nur, dass wieder mal eins kommen wird. Das wünsche ich noch einen schönen Abend (oder Morgen Mittag, wann auch immer das Kommentar gelesen wird).
LG. Sonique
Antwort von:  snqehng
01.01.2017 23:39
*...lass ich es mir nicht nehmen geduldig...
Von:  Hotaru-chan_
2016-11-23T09:52:04+00:00 23.11.2016 10:52
Oh nein, schon das "letzte" Kapitel 😱 (OK, ich hoffe mal nicht... 😅)
Ok, auch, wenn das komisch klingen mag... Jin is zwar ein Arsch, aber irgendwie mag ich ihn trotzdem haha xD

Und zu Sabaru und Yukina kann ich nur immer wieder sagen... Sooo süß! :D <3

Arme Kimie, schon wieder krank - aber kein wunder, wenn man bedenkt was sie bis vor kurzem alles mitgemacht hat und dann ists auch noch Winter.. :s


Mach dir nicht so einen Kopf, weil die Abstände zu den Kapiteln doch relativ groß mittlerweile sind.
Klar, als Leser zwar sehr schade, aber den Autor zu stressen bringt es ja auch nicht immer unbedingt. Da kann nämlich sonst die Qualität sehr drunter leiden oder die Lust komplett vergehen... 🙈
Nichts desto trotz, bin ich schon wahnsinnig gespannt, wie es wohl weitergeht und freue mich schon riesig drauf! :)
Wenn du mir dann eine ENS schicken könntest, wäre das super!


glG <3
Von:  Hotaru-chan_
2016-11-22T21:59:57+00:00 22.11.2016 22:59
Hach ja, die liebe Kimie... ^^ Aber gut, so ist sie nun mal. Und ich finde, dass passt zu ihr und kann auch viel positives mit sich bringen. :)
Werde morgen das nächste Kapitel lesen und freue mich schon drauf! ^^
Von:  Hotaru-chan_
2016-11-22T20:23:12+00:00 22.11.2016 21:23
Ich muss wirklich sagen... Egal, wie ernst es in einem Kapitel zugeht... Du schaffst es fast immer, noch Witz mit einzubauen :'D Respekt dafür. Und danke, für ein weiteres, tolles Kapitel! <3
Von:  Hotaru-chan_
2016-11-22T19:31:08+00:00 22.11.2016 20:31
Awww, die Ryû-Yokai *___* ich bin so froh dass du sie wieder hast auftauchen lassen. <3

Und das Pairing Subaru und Yuki... Hach, ich mag die beiden :3
... Mal ne Pause zu machen beim lesen, ist echt schwer! :D man will einfach wissen, wie es weitergeht *g*... Ich Trauer jetzt schon, weil das "letzte" Kapitel so nahe ist... Naja :)


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