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Shadows of the NewMoon

von
Koautor:  Caracola

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4. Kapitel

Wie konnte sie das denn schon vor dem Frühstück ertragen?

Die Ärztin hatte sie mit einem strahlenden Lächeln bereits vor dem gemütlichen Speisesaal abgefangen und in gewöhnlicher Manier auf sie eingeplappert. Um das Ganze nicht noch schmerzhaft in die Länge zu ziehen, hatte Amanda auf das Frühstück verzichtet, Mrs. Cauley einen genervten Seitenblick zugeworfen und Teresa auf den Parkplatz hinausgedrängt.

Eigentlich hätte man das Gespräch in drei Sätzen abhandeln können. Sie wollten heute den Panther freilassen. Sehr gut. Noch dazu sollte Amanda dabei sein, um ihrem Naturschutzartikel durch eine Reportage ein wenig mehr Glanz verleihen zu können.

„Oh, das ist wirklich eine tolle Idee. Vielen Dank für diese Chance, Teresa.“ Gott, wahrscheinlich würde sie demnächst auf ihrer eigenen Schleimspur ausrutschen, wenn sie nicht aufpasste.

Irgendwann war sie die Dunkelhaarige losgeworden und hatte sich aus Verzweiflung ein labbriges Sandwich im 24-Stunden-Shop gekauft, um wenigstens etwas in den Magen zu bekommen. Nach der Meditation heute Morgen und einer heißen Dusche hätte sie eigentlich gern noch einen Kaffee getrunken, aber auch der würde heute ausfallen, denn gegen Mittag hatte sie schon etwas Anderes vor.

 

 

***
 

Amanda lehnte bereits an der Tür des Hintereingangs, als der Koch in die Seitenstraße einbog. Er erstarrte mitten in der Bewegung und seine Augen zuckten hin und her auf der Suche nach einem Fluchtweg. Der Einzige war genau hinter ihm. Die Hauptstraße, von der er gerade gekommen war.

„Du glaubst doch nicht, dass ich dich nicht finden würde, wenn du jetzt davonläufst.“

Der Canidae sah so aus, als würde er sich gleich in die Hosen machen, als Amanda sich von der Tür abstieß und zwei Schritte auf ihn zukam. Das war der Vorteil, wenn man die Leute schon beim ersten Mal einschüchterte. Die folgenden Treffen gestalteten sich immer viel einfacher.

„Ich will nur wissen, ob du den hier kennst.“

Sie hielt ihm den PDA mit dem Bild des alten Jaguars entgegen, woraufhin der Koch leicht zusammenzuckte. Seine Augen fokussierten sich auf den kleinen Bildschirm und er sah sich das Gesicht lange an, bevor er mit zitternder Stimme antwortete.

„Ja, den kenn ich. Hab ihn aber schon lange nicht mehr gesehen. Der kam selten in die Stadt. Wohnt irgendwo weiter draußen, glaube ich.“

„Was heißt schon lange nicht mehr?“

Amanda versuchte ihn nicht zu aggressiv anzugehen, weil sie befürchtete, der Kerl könnte doch noch den Schwanz einziehen und winselnd davonlaufen.

„Ich … Ich weiß nicht. Ein paar Wochen? Vielleicht länger?“

„Und was ist mit dem Kerl, den sie angefahren haben? Was weißt du über den?“

Sein Gesicht zeigte ehrliches Unverständnis und seine Augen weiteten sich schon jetzt vor Schreck, da er eine ihrer Fragen nicht würde beantworten können.

„Was? Wen? Ich …“

Diesmal kam ihr die Wut hoch und sie zog doch noch die Waffe aus ihrem Gürtel und hielt sie ihm unter die Nase. Allerdings ohne sie zu entsichern, was ihm in seiner Panik sicher nicht aufgefallen war.

„Der schwarze Jaguar. Ich will wissen, was du über ihn weißt!“

Ihr Zischen war schneidend und brachte seine Augen dazu, sich nur noch mehr zu weiten. Er brachte nicht einmal ein Fiepsen hervor.

Mit einem erzürnten Laut stieß sie ihn zur Seite, was ihn lautstark gegen einen der Müllcontainer taumeln ließ und steckte ihre Waffe weg, bevor sie auf die Hauptstraße hinaustrat.

Dieser Felidae regte sie wirklich langsam auf. Warum war er nicht in der Datenbank? Wer hatte da geschlafen?

Ein heißer Schauer lief durch Amandas Körper, als ihr einfiel, welcher Sammler als Letztes hier gewesen war.

Ihre Miene wurde steinhart, während ihre hellen Augen funkelten. Wenn er Eric nur ein Haar gekrümmt hatte, würde er so sehr dafür büßen, dass nicht nur er dabei in die Hölle kam.

 

 

***
 

Der Geländewagen sank immer wieder tief in den Waldboden ein, als die Straßen immer unwegsamer wurden und sie bald nur noch einem Trampelpfad in den Wald folgten. Teresa warf immer wieder einen sorgenvollen Blick auf die Kiste, da sie Angst hatte, die Seile könnten sich lösen und der Panther auf der holprigen Fahrt doch noch verletzt werden.

Er hatte sich gut erholt und Amanda war sich sicher, dass dieses bisschen Hin- und Herschlingern ihm nicht schaden würde. An diesem Nachmittag waren sie nur zu zweit unterwegs, da Teresa keinen passenden Freiwilligen gefunden hatte, um bei der Auswilderung zu helfen.

Irgendwann kamen sie an einer Waldlichtung an und Amanda stellte den Motor ab. Zum ersten Mal vertraute sie Teresa, die von diesen Dingen mehr Ahnung hatte, als sie selbst.

„Was jetzt?“

Wie sollten sie den Kater aus der Kiste lassen, ohne sich selbst zu gefährden? Aber Teresa hatte eine Lösung in Form eines Stricks, an dem sie ziehen mussten, um die Klappe an seiner Kiste zu öffnen.

„Hier im Auto sind wir sicher und können ihn beobachten, bis er sich zurechtgefunden hat und im Wald verschwindet.“

Teresas Augen leuchteten fast romantisch verliebt.
 

Er hatte sich wirklich gewehrt, als der Betäubungspfeil ihn getroffen hatte. Aber wer hasste es nicht, ausgeknockt zu werden? Wer konnte schon wissen, wo er wieder aufwachen würde? Falls er wieder aufwachen würde?

Zum Glück für alle Beteiligten wurde er tatsächlich in einer Holzkiste wieder wach. Die Verbände waren ab und er konnte endlich wieder scharf sehen. Allerdings würde es noch eine Weile dauern, bis er sein Bein wieder vollkommen belasten konnte. Immerhin fühlte es sich schwach an, aber es würde ihn nicht im Stich lassen. Da war er sich sicher.

Da er erst während der Fahrt aufgewacht war, verlor er für eine Weile die Orientierung, befand schließlich aber, dass sie sich durch den Wald kämpften. Die unebene Straße, die Gerüche und zusammen mit den kleinen Löchern in der Holzkiste, aus denen er Bäume, Farn und allerhand anderes Grünzeug sehen konnte, beruhigten ihn etwas. Dennoch klopfte sein Herz rasend schnell in seiner Brust und er hatte Mühe, ruhig zu bleiben.

Als sie schließlich auf einer Waldlichtung ankamen, war er ein totales Nervenbündel. Unkontrolliert knurrte er vor sich hin, zuckte bei dem kleinsten Geräusch zusammen und bewegte sich in seiner winzigen Box hin und her so gut er konnte, bis jemand die Klappe hochschob und er regelrecht erstarrte.

Das Gefühl in ihm war nicht zu beschreiben. Er sah grünen Wald, witterte den vertrauten Geruch des Bodens und frischer Wind blies zu ihm herein.

Dennoch betrachtete er die Umgebung zuerst ganz genau. Lauschte auf auffällige Geräusche, schnupperte in die Luft und sah sich mit seinen Augen um. Doch da war nichts, das ihn hätte beunruhigen können. Bis auf die beiden Menschen im Wagen.

Ungläubig riss er die Augen weit auf, als er den Geruch der beiden Frauen erkannte. Der eine gehörte zu Teresa, aber das hatte er erwartet. Der andere war unverkennbar der Duft der Blondine.

Sie hatte also die Wahrheit gesagt.

Obwohl er nicht wusste, wie fit er im Augenblick war, sprang er mit einem Satz vom Wagen, kam ins Straucheln und wäre beinahe auf die Schnauze geknallt, als seine rechte Vorderpfote sein Gewicht nicht halten konnte und einknickte. Doch so schnell er konnte, raffte er sich wieder hoch und schoss ins Dickicht davon.

Er war unendlich lahm, zumindest kam es ihm so vor, auch wenn er gut vorankam. Doch umso länger er lief, umso mehr offenbarte sich seine Schwäche. Zum Glück hatte er noch genug Nahrung bekommen, da er in den nächsten Tagen wohl auf Diät stand, bis er wieder richtig laufen konnte. Trotzdem war das im Augenblick seine geringste Sorge.

Er wollte einfach nur noch weg. Weg von dem Wagen. Weg von den beiden Frauen und insbesondere weg von der Blondine. Sie war ihm nicht geheuer. Ganz und gar nicht.

Er lief, solange er konnte, bis ihm seine Kräfte vollkommen auszugehen drohten. Danach suchte er sich einen passenden Baum, der in seinem Zustand nicht zu schwer zu erklimmen war, ihn dennoch versteckt hielt und suchte sich einen gemütlichen Platz in den Ästen, ehe er leise hechelnd liegen blieb, und versuchte das Zittern seines Körpers in den Griff zu bekommen.

Erst einmal musste er sich beruhigen, danach konnte er die Lage einschätzen. Immerhin hatte er keine Ahnung, in wessen Revier sie ihn gebracht hatten, auch wenn ihm bei seiner Flucht keine auffällige Duftmarke aufgefallen war. Das musste noch nichts heißen.
 

Die Rückfahrt war eine echte Qual gewesen.

Nachdem sich Teresa erstmal von dem Schock erholt hatte, dass ihr Schützling sich einfach davon gemacht hatte, ohne auch nur einen dankbaren Blick zurückzuwerfen, quasselte sie ununterbrochen auf Amanda ein. Dass es ihr leidtat, dass die Journalistin keine guten Bilder hatte machen können, dass sie eigentlich gedacht hatte, der Kater würde sich eine Weile umsehen, bevor er ins Unterholz rannte. Aber sei es denn nicht ein überwältigendes Gefühl, ihn wieder in Freiheit zu wissen?

Da stimmte Amanda der Dunkelhaarigen zu, grinste aber etwas schief, denn ihre Gründe lagen ganz anders, als die Ärztin es sich bestimmt je erträumt hätte.

Teresa wollte die andere Frau noch zum Abendessen einladen, was Amanda allerdings dankbar ablehnte. Sie sei ziemlich müde und müsse die Eindrücke, die ihr dieser aufregende Nachmittag vermittelt hätte, sofort aufschreiben, um die Details nicht zu vergessen. Das konnte Teresa natürlich nur allzu gut nachvollziehen.

„Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben, nicht wahr?“, verabschiedete sie sich winkend und ließ Amanda vor dem B&B endlich allein.

Wieder musste sich Amanda in Geduld üben, denn es wäre zu sehr aufgefallen, wenn sie sofort in ihren Dodge gestiegen und den Weg zurückgefahren wäre, aus dem sie gerade mit der Ärztin gekommen war.

Aber das kam ihr eigentlich ganz gelegen. Immerhin musste sie sich auf die nächste Zusammenkunft mit dem Felidae noch ausreichend vorbereiten. Sie hatte da draußen zwar den Vorteil, dass sich ihre Kraft verstärkten und er sie noch dazu nicht einschätzen konnte. Aber dafür kannte er sich aus und seine Größe und Kraft war nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.

 

 

***
 

Diesmal nahm sich Amanda zwei volle Stunden Zeit, ihren Körper auf das vorzubereiten, was sie heute Nacht vielleicht tun musste. Es würde einfacher sein als beim letzten Mal, aber trotzdem schmerzhaft wie immer und genauso lebensgefährlich. Nicht nur für ihren Gegner. Denn sie hatte sich vorgenommen, ihn zum Sprechen zu bringen. Egal, was es kostete.

Gewissenhaft schnürte sie ihre Wanderstiefel, zog sich eine dicke, dunkle Jacke über und steckte ihre Waffe in das Schulterhalfter, bevor sie den PDA in ihre Jeanstasche gleiten ließ. Es würde trotz technischer Hilfe eine Weile dauern, bis sie ihn gefunden hatte.

Amanda war sich nämlich inzwischen sicher, dass der Kerl nicht registriert war. Aber seine Bewegungen konnte sie trotzdem verfolgen. Wie schön, dass Teresa sofort Amandas Drang verstanden hatte, dem großen Tier durchs Fell streichen zu wollen.

Dieser verträumten Ärztin war nicht einmal aufgefallen, wie sie eine winzige Wanze unter dem Kinn des Katers angebracht hatte. An einer Stelle, wo er sie sicher nicht versehentlich und auch willentlich nur schwer selbst entfernen konnte. Allerdings hatte die Wanze keine besonders große Reichweite. Erst wenn sie auf der Lichtung war, an der sie ihn ausgesetzt hatten, würde das Signal den PDA in ausreichender Stärke erreichen.

So war es auch und ein erfreuliches gelbes Blinken ging von dem Gerät in ihrer Hand aus, als sie mit dem Finger das Gebiet heranzoomte, in dem sie sich befand. Er war ein ganz schönes Stück weit weg, aber Amanda war ebenfalls eine ausdauernde Läuferin. Sie konnte diesbezüglich mit seiner tierischen Gestalt nicht mithalten, aber sie würde ihn schon irgendwann erreichen. So stur wie er, war sie schon lange.
 

Als er sich sicher sein konnte, dass er sich genügend ausgeruht und ihn auch niemand verfolgt hatte, kam er wieder von dem Baum herunter und machte sich zuerst auf die Suche nach Wasser. Er war schrecklich durstig, was vermutlich an dem Betäubungsmittel lag.

Nach einer Weile fand er eine übergroße Pfütze. Nichts Besonderes, aber es würde seinen Durst stillen. Doch ehe er auch nur einen Schluck nahm, sah er sein Spiegelbild an. Zwei große blaue Augen blickten ihm entgegen, allerdings wurde sein Blick eher auf die längliche Fleischwunde gezogen, die sich von seiner rechten Augenbraue bis knapp ein Stück über sein unteres Augenlied hinauszog.

Deshalb also der Verband.

Im Moment sah die Narbe nicht gerade gut aus, aber sie war geschlossen, und wenn sie genug Zeit zum Heilen hatte, würde man nur noch eine Unebenheit im Fell feststellen können. Für ihn spielte das keine sehr große Rolle.

Seine Vorderpfote war da schon eher ein oder zwei Gedanken wert. Auch hier zeigte sich deutlich ein langer Schnitt, aber ihm ging es eher darum, wann er sie bald wieder richtig benutzen konnte. Er musste einsatzfähig sein, wenn er überleben wollte. Noch hatte er keine frischen Markierungen finden können, weshalb er vielleicht noch eine Weile Ruhe von etwaigen Besitzern dieses Gebiets hatte, aber so oder so, er würde unweigerlich schon bald auf Andere treffen.

Schon während er trank, spürte er jemanden auf sich zu kommen. Er konnte nicht genau sagen, was es war, da der Wind ungünstig stand, aber auf jeden Fall brachte es ihn dazu, sofort aufzubrechen.

Wieder lief er, solange er konnte, doch dieses Mal war die Strecke noch kürzer und die Erholungspause würde noch länger dauern. Etappenweise kämpfte er sich weiter, bis er wieder einen geeigneten Baum fand, um sich darauf völlig erschöpft niederzulassen. Was auch immer ihn da verfolgt hatte oder zumindest in seine Richtung gelaufen war, würde ihn hier oben hoffentlich nicht entdecken. Er war einfach nicht mehr in der Lage noch länger wegzulaufen.

Das wollte er auch gar nicht mehr.
 

Langsam aber kontinuierlich verfolgte sie ihn und merkte schon bald, dass er Schwierigkeiten hatte, seine Flucht fortzusetzen. Die Verletzung musste ihn doch sehr mitnehmen, denn immer wieder legte er Pausen ein, um sich dann langsamer von ihr zu entfernen als zuvor. Das konnte Amanda nur recht sein.

Irgendwann hielt der Punkt auf dem Display, an dem sie sich immer wieder orientierte, inne und blinkte wie ungeduldig wartend an einer Stelle. Sie würde ihn bald erreicht haben. Vielleicht noch zweihundert Meter.

Amanda wollte sich nichts vormachen. Er konnte sie bestimmt riechen oder sogar schon hören. Immerhin waren seine Sinne diesen Lichtverhältnissen sehr viel besser angepasst als ihre. Deshalb zog sie schon jetzt ihre Waffe und achtete kaum noch darauf, wie viel Lärm sie verursachte, als sie durchs Unterholz auf die Stelle zuging, an der er sich aufhalten musste.

In ihrem Kopf lief ein Leitfaden ab, den sie bereits in der Grundausbildung gelernt und der sie bis jetzt nicht im Stich gelassen hatte. Sie wusste, wie er aussah, wie groß er war und welche Verletzungen sie ausnutzen konnte, um seine überlege Körperkraft, zu kompensieren. Außerdem war er ein Jaguar. Wenn auch ein Schwarzer. Aber das machte im Grunde jetzt keinen Unterschied. Wichtig war, welches Verhalten diese Katzen an den Tag legten und damit, wo genau er auf sie warten würde. In einem Baum, von wo er sie sehen konnte und sich gleichzeitig vermeintlich in Sicherheit befand. Zumindest vor natürlichen Feinden. Davon konnte aber bei Amanda nicht die Rede sein. Sie hatte eine Waffe und sie war selbst für einen Menschen alles andere als 'natürlich'.

Ihre letzten Schritte setzte sie gewählt und vorsichtig, sah sich dabei in den Baumkronen um, durch die sich das Mondlicht nur beschwerlich einen Weg bis auf den Waldboden bahnen konnte.

Der PDA vibrierte in immer kürzer werdenden Abständen in ihrer Tasche wie ein Abstandssensor. Sie kam näher, hatte ihn gleich erreicht und konnte seine Augen bereits auf sich spüren.

Als sie die reflektierenden Punkte auf einem dicken Ast etwa fünf Meter vor sich erkennen konnte, blieb sie stehen. In dieser Dunkelheit hätte sie nie einschätzen können, wie groß er tatsächlich war. Information war wie immer das A und O. Amanda richtete den Lauf ihrer Waffe genau zwischen seine Augen.

„Na, hast du mich vermisst?“
 

So gut er konnte, versuchte er ruhig zu bleiben, als er nun deutlich etwas näherkommen hörte, aber es gelang ihm nicht. Denn was auch immer ihn da die ganze Zeit schon verfolgte, musste ebenso gute Sinne haben wie er. Menschen konnten unmöglich seine Spur bei dieser Finsternis verfolgen, selbst wenn es sich um einen gut ausgebildeten Fährtenleser handelte.

Adrenalin schoss ihm durch die Adern wie Feuer, als er die blonde Frau aus dem Dickicht kommen sah.

Das war unmöglich!

Sie konnte nicht wissen, dass er hier war. Sie war ein Mensch, ein verdammt seltsamer und mit viel Hartnäckigkeit ausgestattet, aber trotz allem wirkte sie auf ihn sehr menschlich. Wie also hatte sie ihn gefunden?

Als sie auch noch eine Waffe auf ihn richtete, war er endgültig ertappt und konnte ein bedrohliches Fauchen nicht unterdrücken.

Schieß doch, aber freiwillig bekommst du mich hier nicht runter!, zischte er wütend und zugleich bekam er Panik. Er saß auf diesem Ast wie auf einem Präsentierteller und war nicht in der Lage einfach hinunterzuspringen, um ihr den Rest zu geben, obwohl sie so nahe war. Trotzdem wollte er auch nicht einfach erschossen werden, jetzt, da er endlich wieder frische Luft atmen konnte. Das war einfach nicht fair!

Aber was verdammt noch mal war auf dieser Welt schon fair?

Da er nicht wirklich glaubte, dass sie sofort auf ihn schießen würde, da sie ja offensichtlich etwas von ihm wollte, tat er das Einzige, das ihm in dieser Lage einfiel. Er kletterte noch weiter den Baum hinauf und versuchte dabei aus der Schusslinie zu kommen.

Egal wie sie ihn hier gefunden hatte, Menschen waren unglaublich schlechte Kletterer, wenn sie nicht irgendwelche Hilfsmittel dazu hatten. Und da er sicherlich nicht runterkommen würde, würde sie ihn entweder umbringen oder zu ihm raufkommen müssen. Letzteres wäre ihr Todesurteil, denn auch wenn er nicht mehr weit laufen konnte, zubeißen und kratzen ging auf alle Fälle noch einwandfrei.
 

„Warum machst du es uns beiden eigentlich so schwer?“

Amanda versuchte ihn im Visier zu behalten, was allerdings ziemlich schwierig war, denn sein schwarzer Körper hob sich von den schwarzen Schatten des Baumes nicht ab. Er kletterte weiter nach oben, damit sie ihn aus den Augen verlor. Aber damit würde er ihr auch nicht entkommen. Das konnte sich bloß zu einem Geduldsspiel auswachsen, wo jeder der beiden darauf wartete, dass der Andere die Deckung fallenließ.

Allerdings fühlte sich Amanda zurecht im Vorteil. Sie war nicht angeschlagen und hatte eine Waffe. Der Panther konnte sie nicht einfach vom Baum anfallen, aber sie konnte durchaus hier auf ihn warten, bis die Sonne aufging und sie wieder freie Sicht hatte, um ihn auf die eine oder andere Art von dort runterzuholen.

„Hey! Panther! Glaubst du wirklich, dass dir das Klettern was nützt? Ich werde nicht einfach verschwinden, nur weil du dich da oben versteckst.“

Ihre Augen suchten verzweifelt die Äste ab, ohne ihn irgendwo zu entdecken.

„Du musst mir doch nur sagen, was du über Eric weißt. Inzwischen hab ich auch kapiert, dass du nicht registriert bist. Schön und gut. Da kann ich ein Auge zudrücken, wenn du mir hilfst.“

Sie hatte wirklich nicht vor ihn zu verpfeifen. Früher oder später würde er sowieso einem anderen Sammler über den Weg laufen und dann sein Tattoo bekommen. Darum brauchte sich Amanda also keine Sorgen zu machen. Warum stellte sich der Kerl bloß so an? Und wie konnte sie ihn nur aus der Reserve locken?

Das Bild des alten Mannes fiel ihr wieder ein und dass er wahrscheinlich eine Verbindung zu diesem Jaguar hier hatte. Es war einen Versuch wert.

„Du kennst William Hunter, oder? Seid ihr verwandt?“
 

Da er wirklich nicht vorhatte, die ganze Nacht hier zu hocken und zu warten, bis es einem von ihnen beiden zu blöd wurde, kletterte er fast lautlos die andere Seite des Baumstammes wieder hinunter.

Wenn schon Wildtiere immer wieder auf diese Jagdmethode hereinfielen, würde ein Mensch wohl erst recht nicht daraufkommen. Weshalb er zuversichtlich war, auch wenn er dazu beide Vorderpfoten voll belasten musste, was ihn sich ziemlich verausgaben ließ.

Kurz bevor er den letzten Ast unbemerkt erreicht hatte, horchte er auf.

„William Hunter“, hörte er sie sagen und ließ ihn damit vollkommen in der Bewegung verharren.

Seine Gedanken überschlugen sich regelrecht in seinem Kopf, denn diesen Namen kannte er.

Bilder wollten sich ihm aufdrängen. Da war ein anderer Gestaltwandler, der ... für gewöhnlich mit den Raben flog. Er hatte eine Botschaft für ihn von … von William Hunter ... seinem …

Die Muskeln seiner verletzten Pfote ließen nach und er verlor den Halt. Zwar schaffte er es irgendwie noch, nicht mit dem Rücken aufzuschlagen, trotzdem landete er lautstark und hart im Dickicht.

Benommen blieb er einen Moment liegen, während das Klingeln in seinen Ohren nachließ.

Gestaltwandler … Gestaltwandler? Was zum Teufel hatte das alles zu bedeuten?

Doch bevor er noch darüber nachdenken konnte, wurde er sich wieder der Gefahr bewusst, in der er nun schwebte. Also kam er wieder auf die Pfoten, sprang aus dem Gebüsch und stellte sich seiner Widersacherin. Sollte sie doch versuchen, ihn zu erschießen. Er würde sie auf alle Fälle mit in den Tod reißen. Seine Geduld war längst am Ende, als er bedrohlich knurrend auf sie zukam und sie keinen Moment lang aus den Augen ließ.

Seine Klauen gruben sich tief in die Erde, um sich für den Sprung bereitzumachen. Schluss mit den Spielchen, jetzt würde es hart auf hart kommen. Ein gezielter Biss in ihre Schädelbasis würde genügen und sie wäre tot. Falls er sie dort nicht erwischte, konnte er ihr auch das Genick durchbeißen. Stark genug waren seine Kiefer dafür. Es wäre also besser für sie, sie würde schießen, bevor er ihr zuvorkommen konnte.

Seine Hinterläufe spannten sich an, als er sich kurz vor dem Sprung befand.
 

Sie wäre wirklich auf ihn hereingefallen.

Wut brannte sich von ihrem Magen bis in ihren Kopf hinauf, als sie den Körper des Panthers hinter dem Baum aufschlagen hörte. Er hatte sie verarscht und wäre ihr ein Stück weit entkommen, wenn sie weiter so unaufmerksam gewesen wäre.

Reflexartig steckte sie die Waffe in das Schulterhalfter und schätzte die Entfernung bis hinter den Baum ab, wo er gelandet sein musste. Es würde ein Zufallsgang werden und sie umbringen, wenn sie sich verschätzte, aber wenn sie Glück im Unglück hatte, konnte sie ihn wenigstens mitnehmen.

Als sie bereits die Augen schließen wollte, kam er hinter dem Baum aus dem Dickicht hervor. Sein Gewicht grub seine Tatzen ein Stück in den weichen Waldboden und seine Krallen blitzten im Mondlicht auf. Amanda hatte die Waffe nicht mehr in der Hand, was Panik in ihr aufsteigen ließ. Wenn sie jetzt danach griff, wäre sie viel zu langsam, um seinem Angriff zu entkommen. Warum hatte sie so falsch reagiert?

Blieb also nur eine Möglichkeit. Dafür musste er aber noch ein Stück in den Schatten gehen. Bloß noch einen Schritt.

Mit ihrem Verstand versuchte sie ihn weiterzutreiben, indem sich ihre Augen in seine bohrten und sie sich von seinen weißen Reißzähnen kaum beeindrucken ließ.

Sollte der Schlagschatten des Baumes einen Teil seiner sehnigen Körpers treffen, war das alles, was Amanda brauchte. Er würde sie anspringen, wenn sie sich nicht sofort entschied. Der Schatten, der seine Flanke streichelte, war genug – musste genug sein.

Wie weit? Drei Meter.

Ihre Augen fixierten kurz die des Panthers, bevor sie sich fallenließ und keinen Sekundenbruchteil später neben ihm wieder auftauchte, die Hand auf seine Flanke gelegt. Ihre Finger hatten keine Form, sondern waren immer noch vom Schatten zerrissen, als Amanda sie durch sein Fell und bis auf seine Haut gleiten ließ. Die Elemente ihrer Hand – Knochen, Haut, Sehnen, Muskeln und vor allem der alles umhüllende und zerreißende Schatten schnitten sich durch jedes kleinste Teilchen seines Körpers.

Der Schmerz sollte ausreichen, um ihm klarzumachen, dass er sie nicht einfach mit einem Sprung und einem geübten Biss töten konnte. Trotzdem versuchte sie nicht zu tief zu greifen und weder Knochen noch Organe zu verletzen, sondern zog ihre vor Schmerz pochende Hand zurück und rettete sich ins Mondlicht, wo sich ihre Finger wieder vollständig zusammensetzten und langsam wieder Farbe bekamen, während sich Amandas Augen schwarz färbten, wie der Nachthimmel über ihnen.

Angestrengt sog sie die Luft ein und griff nun doch nach ihrer Waffe, die sie zittern wieder auf ihn richtete. Die Schatten ließen bereits wieder von ihr ab, es war ein einfacher Gang gewesen. Hoffentlich trotzdem beeindruckend.

„Rede endlich“, brachte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
 

Das, was als Nächstes passierte, ging so schnell, dass sein Geist nicht mitkam. Erst war die Blondine plötzlich verschwunden, als wäre sie nie da gewesen und dann spürte er sie auch schon ganz deutlich an seiner Flanke. Doch bevor er sich herumdrehen und nach ihrer Hand schnappen konnte, oder besser gesagt, nach dem, was ihn da berührte, überkam ihn ein Schmerz, der so intensiv und zugleich irgendwie so vertraut war, dass er sich nicht rühren konnte.

Es fühlte sich an wie … wie …

Der Schmerz ließ nach, doch er war nicht fähig sich zu bewegen. Stattdessen riss er ungläubig die Augen auf, als sein ganzer Körper heftig zu beben begann.

Es fühlte sich an wie … seine Wandlung …

Sein Schädel schien zu explodieren als haufenweise Erinnerungsfetzen auf ihn einhämmerten, bis er glaubte, wahnsinnig zu werden. Doch, noch ehe er es verhindern konnte, führte sein Körper diesen Sinnesreiz fort, dem ihn diese verdammte Frau verpasst hatte.

Er wandelte sich.



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