The altar of my ego
Kapitel 2 – The altar of my ego
Es war seltsam, jetzt Yuriys Aufmerksamkeit zu haben. Und einmal mehr wünschte ich mir, seine Gedanken hören zu können. Ich blickte in seine hübschen eisblauen Augen, die schon so viele fasziniert hatten und versuchte darin zu lesen. Aber Yuriy war perfekt darin, seine Gefühle hinter einer Mauer aus Eis zu verstecken. Früher war es mir ein leichtes gewesen, in seinen blauen Saphiren zu lesen, nun aber war es etwas unmögliches für mich. Einmal mehr fragte ich mich, ob wir uns nicht schon längst zu weit von einander entfernt hatten…
Es wäre jetzt einfach gewesen, ihm alles zu erklären. Jetzt, wo ich das ausgesprochen hatte, was ich ihm nun schon seit Jahren sagen wollte.
Aber ich konnte mich nicht mehr rühren, nicht mehr sprechen. Ich hoffte auf eine Reaktion von ihm. Irgendeine. Aber sie blieb aus. Er stand nur da, sah mich unvermittelt an und sprach kein Wort. Und er wartete, so wie auch ich wartete.
„Damals…“, begann ich dann zögerlich, weil ich wusste, es würden sonst nur Minuten voller Schweigen entstehen, „merkte ich plötzlich, dass ich mehr für dich empfinde, als ich sollte.“
Zugegeben, es war nicht meine Art um den heißen Brei herum zu reden. Aber was hätte ich ihm sonst sagen sollen? Dass seine Nähe mich wahnsinnig machte und ich deshalb gegangen war?
„Ich habe geglaubt, ich könnte gegen diese Gefühle ankämpfen, ihnen entkommen und weiterhin dein bester Freund sein, aber es ging nicht.“
Nein, es ging nicht. Und es würde auch nie gehen. Ich könnte nie mehr nur noch ein Freund für ihn sein. Nicht, wo er für mich doch so viel mehr war. Er war ein Gott, mein Gott. Er war meine gesamte, beschissene Welt!
„Als ich merkte, dass ich nicht mehr in deiner Nähe sein konnte, ohne verrückt zu werden, da wusste ich, ich musste etwas ändern. Es hätte mich umgebracht, dich immer neben mir zu haben, so nahe und doch so weit entfernt.“
Das zu sagen fiel mir gar nicht schwer. Es war, als wären all die Worte, die zuvor verschwunden gewesen waren, wieder zurückgekehrt und ich war ihnen dankbar dafür, waren sie doch mein einziger Schlüsse zum Tore seines Herzens.
„Also beschloss ich zu gehen. Je weiter weg, desto besser. Ich habe geglaubt, wenn ich nur weit genug entfernt von dir bin, würden sich meine Gefühle für dich in Luft auflösen. Aber auch in Japan, in China, Europa und sonst wo konnte ich mich nicht vor ihnen verstecken. Du warst immer da und nahmst mir auch an so weit entfernten Orten noch die Luft zum atmen,“ erklärte ich ihm leise und mit zitternder Stimme. Noch immer antwortete nicht, aber das war gut. So konnte ich endlich all das aussprechen, was mir auf dem Herzen lag.
„Verstehst du, Yuriy, es ging einfach nicht. Ich konnte dich nicht aus meinem Kopf verdrängen. Und als wir uns dann wieder sahen, da glaubte ich zu sterben, wenn ich in deiner Nähe war. Die Gefühle waren zu stark, und dann das Wissen, dass ich dich niemals haben könnte. Ich ertrug es nicht. Mein Großvater, Black Dranzer… All das war nicht der Grund, warum ich letztlich wieder ging. Gut, sie trugen dazu bei, aber der wesentliche Grund, dass warst du. Ich werde niemals in deiner Nähe sein können, wenn ich weiß, dass ich dich nicht haben kann, Yuriy.“
Und dann schwiegen wir Beide. Ein beklommenes Gefühl von Einsamkeit, Angst und Leere machte sich in mir breit, schlug mir auf dem Magen und ich unterdrückte den Würgereiz, den die Aufregung der Situation und die gefährliche Mischung aus Gefühlen, in mir auslöste.
„Warum erzählst du mir das dann alles?“, fragte er plötzlich und ich hob meinen Kopf ruckartig an. Bis eben hatte ich voller Bewunderung das Muster auf dem Teppich des Flures bewundert, mein Kopf leer gefegt von Gedanken. Nun sah ich ihn an und meine gesamten Gedanken strömten auf mich nieder, so hart und gnadenlos, dass ich fürchtete, sie würden mich erschlagen!
„Wie meinst du das?“, würgte ich hervor. Mein Mund war staubtrocken. Es hätte nicht schlimmer sein können, hätte ich in der Hitze der Sahara verweilt.
„Warum versuchst du dann noch immer unsere Freundschaft zu retten, wenn du doch eh nicht mehr in meiner Nähe sein kannst?“, fragte Yuriy und ich fühlte mich, als hätte er mir einen Dolch ins Herz getrieben.
Ja… warum? Warum tat ich es?
„Weil ich noch immer die Hoffnung habe, dass aus uns Beiden mehr werden könnte,“ antwortete ich ehrlich und unumwunden.
Ein scharfer, prüfender Blick seinerseits. Ich wusste, dass er nachdachte. Ich konnte es an dem ausdruckslosen Gesicht erkennen, an den Augen, die ins Leere zu blicken schienen, nachdem sie mich gemustert hatten.
Vielleicht waren wir uns doch noch näher, als angenommen. Vielleicht war noch nicht alles verloren. Ich verstand ihn nicht mehr ganz, aber noch immer ein wenig.
Ich sah ihm dabei zu, wie er nachdachte. Studierte sein hübsches Gesicht, markant und doch so zerbrechlich. Ich habe ihn immer für seine makellose Schönheit bewundert. Für die marmorfarbene Haut und die ebenmäßigen Gesichtszüge.
Natürlich war ich auch nicht hässlich. Im Gegenteil. Ich würde schon sagen, dass ich gut aussah. Aber Yuriy war etwas anders. Yuriy war alles…
„Weißt du Kai…“, seine Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Gedanken, voll von ihm.
„Damals… da habe ich dich wirklich geliebt,“ sagte er. Es war nur ein Satz. Aber er ließ mich erstarren. Ließ mich erkalten. Ich glaubte, mein Herz bliebe stehen, ehe es wild zu schlagen anfing. Ich fühlte, wie mir Schweiß auf die Stirn trat und dieser Brechreiz wieder erschien. Er hatte mich geliebt. Er hatte mich all die Jahre geliebt. Und ich habe es nicht erkannt. Ich war gegangen. Ich war ein Idiot!
„Als du gegangen bist, da brach für mich eine Welt zusammen. Und als du nie wieder zurückgekommen bist, da glaubte ich, ich wäre dir egal. Ich habe mit dir abgeschlossen Kai. Und ich kann jetzt nicht mehr zurück. Nicht mehr so weit, wie du es willst,“ offenbarte er mir und ich hörte ihm zu. Seine Worte drangen in mein Hirn, aber es fiel mir unendlich schwer, sie zu verstehen. Bisher hatte alles Sinn ergeben, nun war alles durcheinander. Hatte ich die ganze Zeit in meiner eigenen, konfusen Welt gelebt, in der die Realität Fiktion war, in der die Wahrheit Lüge war.
Hatte ich die ganze Zeit blind dagestanden, unfähig zu erkennen, dass Yuriy mich so geliebt hatte, wie ich ihn.
Warum war ich gegangen, wenn ich ihn hätte haben können? Warum hatte ich mein Leben der Verzweiflung geschenkt, wenn ich es doch mit Liebe hätte füllen können.
„Sag mir Kai, wenn du mich wirklich so geliebt hast, warum hast du mich dann nie dort rausgeholt?“, wollte er nun wissen und ich wusste keine Antwort auf diese Frage. Zugegeben, ich wollte weit weg von ihm sein. Aber ihn in der Abtei zu lassen, ihn unter Balkovs Fuchtel leiden zu lassen, war nicht das, was man Liebe nannte.
„Du weißt es nicht? Schade…“, und er klang wirklich so, als würde er das Bedauern. Und in mir keimte die Angst auf, dass die gerade die letzte Möglichkeit gewesen sein könnte, das Ruder herum zu reißen. Vielleicht würde er mich jetzt verabscheuen. Ich hatte versagt. Auf ganzer Linie.
„Hast du eine Vorstellung davon, wie es in der Abtei gewesen ist? Ich habe dort jeden Tag ums Überleben gekämpft. Balkovs Schikanen und kranke Vorstellungen von Training… das war noch das geringste Problem. Doch als du gegangen bist, da gab es keinen mehr, der Kontakt zu Voltaire hatte. Keinen mehr, der Balkov für Dinge anschwätzen konnte, die selbst Voltaire diesem nicht erlaubt hätte. Dieser kranke Affe hatte freie Bahn und der hat es ausgenutzt!“
Yuriys Erzählungen aus der Abtei - aus dem Leben in der Abtei, nachdem ich gegangen war – ließen mich erschaudern. Ich hätte wissen müssen, dass mein Abgang nicht ohne Folgen bleibt. Ich hätte ahnen müssen, dass es für sie zur Hölle auf Erde werden würde.
Ich hatte Yuriy nicht nur verlassen, ich hatte ihn im Stich gelassen…
„Aber ich will dir nicht mal Vorwürfe machen. Ich würde nur gerne wissen, was das für eine Liebe ist, wenn es dir doch so egal war, wie es mir erging!“, und mit einem Mal war seine Stimme laut und zornig. Und ich wusste, dass er nicht nur enttäuscht war, weil ich gegangen war, sondern dass er mich dafür hasste.
Ws davon schlimmer war, konnte ich nicht sagen. Vielleicht war es auch die Mischung aus ganzen, welche mich ganz in den Abgrund trieb, an dem ich bis jetzt gestanden hatte.
„Glaub mir, daran habe ich gar nicht gedacht. Meine Gedanken kreisten zwar um dir, doch nicht um diese Situation. Es ist kein Tag vergangen, an dem ich nicht an dich denken musste, aber ich war zu sehr mit den Problemen beschäftigt, die meine Gefühle mit sich brachen, als dass ich noch an deine hätte denken können…“, ich versuchte wirklich, mich aus der Affäre zu ziehen, aber Yuriy war erbarmungslos.
„Deine ganze Liebe, Kai… Sie ist doch gar nichts wert. Du liebst nur dich selbst und die Tatsache, dich bemitleiden zu können. Du bist krank und merkst es nicht einmal!“, schrie er.
„Nein, ich liebe dich!“, brüllte ich aus vollem Leib zurück und wir standen uns gegenüber und ich wusste, dass der Hass zwischen uns stärker werden würde, unternahm ich jetzt nichts.
Seine Augen schrieen still nach einem Beweis und ich erbrachte ihm diesen, in dem ich vor trat, ihn an die Wand drückte und küsste.
Wild und leidenschaftlich.
Ich spürte seinen Widerstand und wieder letztlich erschlafft. Und ich glaubte, ich hatte ihn. Aber wie so oft in meinem Leben, hatte ich mich auch darin getäuscht.
Irgendwann stieß Yuriy mich weg und sah mich außer Atem an.
„Ich liebe dich wirklich,“ bestärkte ich noch einmal meine Aussage und er blickte gen Boden. Noch nie hatte ich erlebt, dass er meinem Blick nicht standhalten konnte.
„Kai… Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben,“ meinte er und mein Herz machte einen Freudensprung. Ehe er noch ein Wort sagen konnte, hatte ich ihm wieder meine Lippen aufgedrängt und wir tauschen einen weiteren Kuss, diesmal sinnlicher.
Aber wieder war es Yuriy, der ihn beendete, in dem er mich erneut wegstieß.
„Ich war noch nicht fertig,“ tadelte er mich und wieder brachte er es nicht fertig, mir dabei in die Augen zu sehen.
„Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben, Kai. Du wirst für mich immer einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben sein. Aber anders als du Kai, bin ich mit der Situation fertig geworden. Ich habe dich abgehakt Kai und mir geschworen, dich irgendwann zur Rede zu stellen. In der Hoffnung, dass wir irgendwann wieder eine Freundschaft aufbauen können, so wie es früher war,“ wisperte er und ich konnte dieses Bedauern in seiner Stimme sehr wohl hören. Es war nicht meine Art, aber es trieb mir die Tränen in die Augen.
„Was willst du mir damit sagen Yuriy, was?“ ich war heißer, ob nun von dem aufkommenden Heulkrampf, den ich noch erfolgreich zurückhalten konnte, oder von unserem Streit davor. Vielleicht war es auch nur die Situation, die meine Stimme dazu brachte, ihren Dienst zu versagen. Ich fühlte mich hilflos und verzweifelt. So hilflos und verzweifelt, wie schon lange nicht mehr.
„Ich werde dich nie mehr so lieben können, wie vor einigen Jahren, Kai,“ ließ er die Bombe platzen und ich hatte das Gefühl zu fallen. Es riss mir den Boden unter den Füßen weg. Er liebte mich nicht mehr. Nicht mehr so, wie es hätte sein sollen.
„Aber…“, begann ich stotternd, aber ich wusste nicht, wie weiter. Was hätte ich auch sagen sollen? Das ich es nicht ertragen könnte, wenn er mich jetzt hier stehen ließe? Das wir es noch einmal versuchen müssen, weil ich sonst daran zu Grunde gehe?
„Nein Kai. Es hat keinen Sinn mehr! So Leid es mir auch tut. Ich liebe dich nicht mehr. Ich…“, und mit einem Mal konnte er mich wieder anblicken und seine Stimme festigte sich. „Ich liebe einen anderen!“
Spätestens jetzt war ich innerlich gestorben. Ich konnte nicht mehr atmen, ich glaubte zu ersticken. Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Er konnte nicht einen Anderen Lieben. Er war mein, er war meine ganze Welt. Wie konnte er sich da nur erdreisten, zu einem Anderen zu flüchten?
„Wen?“, fragte ich. Es hätte mir egal sein können. Eigentlich hätte es mir egal sein können. Ich hatte ihn verloren, an wen blieb sich doch gleich.
Aber als Yuriy diesen Namen aussprach, diesen verhassten Namen, den ich als Letztes hatte hören wollen, da ballte sich in mir ein Hass an, der sich ganz auf diese Person übertrug.
„Boris.“