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All You Wanted

Taichi x Yamato
von

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So Busy Outside (Takeru/Yamato)

Das Kapitel ist nicht Korrektur gelesen.
 


 


 


 

~ Takerus POV ~
 


 


 


 


 

Hier. Sonst wirst du noch nass.“
 

Hikari lachte und hielt den Regenschirm auch über mich, rutschte so nah an mich heran, wie es eben nötig war, damit sie nicht durchnässt wurde. Der Schirm war wie ein kleines Schutzschild, das leider nur bis zur Hüfte reichte. Um uns herum prasselte der Regen in Strömen und unaufhaltsam zu Boden, die Wasserströme schossen neben dem Rindstein her und versanken gluckernd in den Abflüssen. Bunte Blätter von den umstehenden Bäumen und Sträuchern verstopften die kleinen Spalte und das Wasser warf hohe Wellen, während es viel zu langsam in den kleinen Versenkungen verschwand.
 

„Danke“, murmelte ich zerstreut und nach einem kurzen Blick zu ihr, nahm ich ihr den Regenschirm aus der Hand, hielt ihn über unsere Köpfe. Da ich weitaus größer war als sie, musste ich dabei meinen Arm nicht so sehr in die Höhe recken.
 

Hikari lächelte mich freudig an und schlang die Arme um mich.
 

„Nur, damit keiner nass wird und wir beide unter den Regenschirm passen“, grinste sie schelmisch und ich konnte nicht anders als zu lachen. Hikari hatte so eine positive, aufmunternde Art, dass ich sogar Yamato für ein paar Minuten vergessen konnte, dabei schwirrte er doch dauernd in meinem Kopf herum. Nur um mir ein bisschen mehr Ablenkung zu schaffen, schlang ich meinen freien Arm um sie und fügte hinzu: „Weil wir ja auch gar nicht nass sind.“
 

Ich blickte demonstrativ auf ihren durchnässten Rock und meine Jeans und sie folgte meinem Blick.
 

Dann lachte sie.
 

„Ja. Stimmt.“
 

Auf dem restlichen Weg zu dem Anwesen der Yagamis sprach keiner von uns ein Wort. Ab und zu ließ Hikari ein Niesen hören, aber ansonsten blieb sie still. Ich wusste nicht, ob ich sie nicht lieber hätte reden hören. Einfach nur um die Stille zu vertreiben und nicht mehr an das Unabwendbare denken zu müssen. Vielleicht würde dieses bohrende, schmerzhafte Gefühl durch ein paar ihrer erheiternden Worte verschwinden. Das Pochen hinter meinen Schläfen, das Brennen meiner Augäpfel; durch ein einziges Lächeln von ihr.
 

Aber Hikari tat nichts davon. Sie hing stumm an mir und hielt zum Spaß die Hand in den Regen, um zu beobachten, wie die Tropfen an ihrer Haut abprallten und von den Fingerspitzen zu Boden glitten. Es schien sie zu amüsieren, aber mich heiterte ihr kleines Spiel nicht auf. Als wir vor dem großen Tor standen, tippte Hikari in ein geschütztes Feld in dem steinernen Torpfosten eine Zahlenfolge ein und nur einen Augenblick später ertönte ein lautes Summen und das Gatter öffnete sich wie von Geisterhand.
 

Hikari zog mich hindurch.
 

Der weiße Kies glänzte geisterhaft in der milchigen Dunkelheit, die zu dieser späten Mittagsstunde schon herein gebrochen war, und knirschte unter unseren Schritten. Beiläufig warf ich noch einen Blick zurück und beobachtete, wie das Tor sich eigenhändig hinter uns wieder schloss. Hikari kramte neben mir in ihrer Schultasche nach dem Hausschlüssel und als sie ihn fand, löste sie sich von mir.
 

An der Stelle, an der sie eben gerade noch gewesen war, wurde es plötzlich unangenehm kalt.
 

„Hoffentlich haben die drin überall die Heizung an“, murmelte Hikari geistesabwesend. Das Schloss knackte und sie öffnete die Tür. Strahlendes Licht flutete die Trübheit um uns herum und hastig schlüpften wir in die Wärme, zogen uns Jacke und Schuhe aus und verstauten alles sorgfältig in der Garderobe. Eigentlich scherte ich mich nicht sonderlich um Ordnung, aber aus irgendeinem Grund tat ich es in diesem Moment; aus der Tasche von Hikaris Jacke hing eine rote Mütze, die nicht in das saubere Bild passen wollte. Ich zog sie hervor und legte sie auf die Kommode.
 

Hinter mir lachte Hikari auf.
 

„Da seid ihr ja!“
 

Wir drehten uns um und sahen Yuuko, die breit lächelnd auf uns zu kam. Sie trug ihre rosa Schürze und darunter das makellose, bronzefarbene Kleid, was auf skurrile Art nicht miteinander harmonierte. Der glitzernde Samt, mit dem ausgewaschenen Stoff darüber. Ich fragte mich, ob sie dieses Kleid immer nur in der Küche trug und es sich extra dafür gekauft hatte. Reiche Leute scherten sich wahrscheinlich nicht so darum, ob die Sachen schmutzig wurden.
 

„Wir haben schon auf euch gewartet“, sagte Yuuko und strich Hikari durchs Haar. Sofort gab diese ein empörtes „Mum!“ von sich und strich ihre braune Mähne sorgfältig wieder glatt. „Ich hab euch was zu essen gemacht, es steht in der Küche. Taichi hat schon gegessen, aber er wird euch sicherlich noch Gesellschaft leisten. Wartet, ich hohl ihn.“ Sie eilte zum Fuße der breiten Treppe und rief laut den Namen ihres Sohnes. Einen Augenblick geschah nichts, dann tauchte Taichi auf.
 

Imposant, braungebrannt und gut aussehend wie immer. Aber etwas versetzte seinem Anblick einen Stich und erst als er die Stufen herunter gekommen war und direkt vor uns stand, fiel mir auf, was es war. Er hatte dunkle Augenringe, das Haar war unordentlich verstrubbelt und der Ausdruck in seinen Augen wirkte leer. Hikari zuckte erschrocken zurück, als sie ihn sah und fragte noch im selben Moment: „O Gott, was ist denn mit dir los, Tai?“
 

„… hm“, machte er nach kurzem Zögern und zuckte die Achseln. „Nichts.“ Es klang weder sonderlich aufrichtig noch interessiert. Seine Schultern hingen schwer herab und seine ganze Haltung drückte eine gewisse Mutlosigkeit aus, wie als hätte er die schrecklichste Nachricht seines Lebens erhalten. Aber Yamato war bei ihm, eigentlich müsste es ihm doch…
 

Erst in diesem Augenblick fiel mir auf, dass Yamato gar nicht bei ihm war. Kurz sah ich mich suchend um, wie als könnte er plötzlich aus einem anliegenden Raum treten und sich zu uns gesellen.
 

Aber er kam nicht.
 

„Wo ist Yama?“, wollte ich wissen und presste angespannt die Kiefer aufeinander. Das bohrende Gefühl in meinem Magen wandelte sich in Übelkeit um und ich schluckte hart.
 

„Oh… ach ja“, Yuuko machte ein bedauerndes Gesicht und lächelte mich in einer Mischung aus Beschämung und Verlegenheit an. „Dein Vater war vorhin da, Takeru. Er hat Yamato abgeholt, weil er wohl nicht wollte, dass Yamato uns noch länger auf der Pelle sitzt. Dein Bruder ist schon seit ein einigen Stunden nicht mehr da.“ Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht, aber die Bewegung ihrer Hand wirkte unsicher und stockend.
 

Ich meinte, mich jeden Moment erbrechen zu müssen.
 

Dad war hier gewesen und hatte Yamato mitgenommen? Aber wieso? Woher wusste er denn, dass er hier war? Ich hatte ihm nichts erzählt und die Yagamis kannten ja nicht mal seine Telefonnummer. Und Yamato selber hätte Dad nicht angerufen. Nicht in solch einer Situation.

Er war zwar unser Vater, aber verständnisvoll und fürsorglich war er nicht. Er kümmerte sich nicht um uns, flog für mehrere Monate ins Ausland wegen seiner Arbeit und alles was wir als Nachricht bekamen war ein Zettel auf dem Küchentisch, mit einem Bündel Scheine. Er interessierte sich nicht dafür, wie es uns ging. Als ich mir das Bein beim Fußballspielen gebrochen hatte, hatte er mich nicht einmal im Krankenhaus besucht. Während Yamato die ganze Zeit bei mir blieb und sich mit Händen und Füßen gegen die Schwester wehrte, die sagte, dass die Besuchszeit nun zu Ende sei, war mein Vater am Abend meiner Entlassung nur ein bisschen früher nach Hause gekommen.
 

Es scherte ihn herzlich wenig, ob Yamato oder mir etwas passierte, er mochte es nicht, mit Verantwortung belegt zu werden und wenn früher der Unterricht ausgefallen war und wir jemanden brauchten, der auf uns aufpasste, hatte er die alte Nachbarsdame damit beauftragt. Dad war alles andere als ein guter Vater, das hatte ich schon vor Langem begriffen. Aber es hatte mich nicht gestört, schließlich hatte ich ihn nie gebraucht.
 

Schließlich war Yamato da gewesen. Immer. Und ihn brauchte ich.
 

Kurz malte ich mir in den Gedanken aus, wie Dad wohl reagieren würde, wenn er von Yamatos Tat erfuhr. Wäre er wütend? Oder enttäuscht? Aber ich kam nicht weit. Es lag nicht nur daran, dass er sich sonst nicht für uns interessierte und es somit keine vergleichbare Situation gab, sondern daran, dass ich es mir nicht weiter vorstellen wollte.
 

Dad war der Meinung, dass man Kinder mit einer harten Hand erziehen müsste. Er schlug mich—und Yamato noch öfter. Es gab viel, was wir in seinen Augen falsch machten und es gab wenig, was wir richtig machen konnten. Yamatos Selbstmordversuch wäre sicherlich ein Fehler. Und wenn nicht, dann war die Tatsache, dass er die Hilfe von den Yagamis angenommen hatte, anstatt sich selbst darum zu kümmern, Fehler genug um beides zu decken. Denn Dad hasste es, wenn andere Leute von unserem Privatleben erfuhren, Dinge, die seiner Ansicht nach niemanden außer uns etwas angingen. Und sei es nur unsere Hausnummer.
 

Ob er Yamato für sein angebliches Vergehen schlagen würde?
 

„Wie lange ist er schon weg?“, fragte ich mit hohler Stimme.
 

„Ich weiß nicht genau… so um die vier, fünf Stunden. Vielleicht ein wenig mehr“, sagte Yuuko achselzuckend. „Aber wollt ihr nicht erst einmal etwas essen? Und euch was Trockenes anziehen? Sonst werdet ihr noch krank und das geht nun wirklich nicht.“ Sie lächelte, aber nicht einmal Hikari erwiderte es, obwohl sie sonst immer so heiter war. Sie schien an der Stimmung gemerkt zu haben, dass etwas nicht stimmte. Unruhig kaute sie auf der Unterlippe herum und strich über ihren nassen Rock.
 

„Ist das schlimm?“, fragte sie schließlich leise, wie als hätte sie den Einwurf ihrer Mutter nicht gehört. Ihre Frage richtete sich sowohl an mich, wie als auch an Taichi.
 

„Was ist schlimm?“, stellte Taichi die Gegenfrage.
 

„Dass Yamas Vater hier war und ihn abgeholt hat“, erklärte Hikari und schenkte mir einen flüchtigen, unsicheren Blick. „Ist das schlimm?“

Ich zuckte als Antwort mit den Schultern. Ich war mir nicht sicher, ob ich ihr von meinen Gedanken erzählen sollte.
 

Was würde sie dazu sagen, wenn sie erfuhr, was für ein verklemmter und herrischer Mensch mein Vater war? Würde sie dann überhaupt noch etwas mit mir zu tun haben wollen? Oder war sie so wie Taichi und ließ sich von nichts und wieder nichts erschüttern, egal um wen es ging? Ich hoffte letzteres, aber sicher war ich mir nicht.
 

Schließlich hatte sie im Gegensatz zu Taichi anfangs auch einige Schwierigkeiten gehabt sich damit abzufinden, dass Yamato keine psychiatrische Mittel helfen konnten und er damit alleine fertig werden musste. Natürlich hatte sie es damit nur gut gemeint, aber das hätte vielleicht dazu geführt, dass sie mir meinen Bruder weg nahmen. Und allein deshalb war es in meinen Augen etwas Schlechtes.
 

Ich schluckte die Worte hinunter, die mir auf der Zunge lagen und wandte mich an Taichi. Er wirkte merkwürdig zerknirscht, wie als wäre ihm just in diesem Moment etwas äußert Unangenehmes aufgefallen. Als er meinen Blick bemerkte, erwiderte er ihn und verzog dabei den Mund, zog die Schultern hoch. Die Geste wirkte leicht trotzig. Ich spielte mit dem Gedanken, ihn zu fragen, ob er mich nicht nach Hause fahren könnte. Dann müsste ich nicht durch den Regen laufen und wäre beim Ankommen noch einigermaßen trocken, zudem war es mit dem Auto um einiges schneller als zu Fuß.
 

Doch konnte ich das einfach so fragen ohne allzu unhöflich zu wirken? Schließlich war ich mit Hikari hier her gekommen, ich konnte sie doch jetzt nicht einfach so alleine lassen, denn eigentlich wollten wir zusammen Hausaufgaben machen.
 

„Willst du zu Yama?“, fragte Taichi nach einer Weile. „Ich könnte dich fahren.“
 

Verdutzt sah ich ihn.
 

Woher wusste er denn, dass ich jetzt lieber zu Yamato wollte, als hier zu sein?
 

Er blickte eindringlich zurück und mir wurde klar, dass er nicht irgendwie ahnte, dass ich hier weg wollte, sondern dass er hauptsächlich von seinen Gefühlen ausgegangen war. Und die Tatsache, dass er sich genauso um Yamato sorgte wie ich, überraschte mich. Bewies das nicht, dass er es wirklich ernst mit ihm meinte und ich nicht befürchten musste, dass er ihn einfach wieder fallen ließ, wenn er etwas Besseres erspäht hatte?
 

Wahrscheinlich.
 

Trotzdem machte es den Gedanken daran, Yamato teilen zu müssen, nicht leichter. Bisher war Yamato nur für mich da gewesen. Für mich alleine. Und jetzt… jetzt gab es Taichi.
 

„… ja“, sagte ich schließlich und schenkte Hikari ein entschuldigendes Lächeln. Sie zuckte nur mit den Schultern und erwiderte mein Lächeln. Ich war wirklich froh, dass sie mich verstand. „Das… das wäre wirklich nett von dir.“
 

Taichi sah kurz zu meiner Mutter und nickte dann in Richtung der Haustüre.
 

„Gehen wir“, meinte er knapp, angelte sich seine Jacke und zog sie sich über. An Hikari und seine Mutter gewandt fügte er hinzu: „Ich bin bald wieder da. Mal sehen, wann.“
 

„Das ist keine genaue Zeitangabe, junger Mann“, kritisierte Yuuko ihn schnippisch. „Spätestens um zwölf Uhr will ich dich heute wieder sehen. Dein Vater kommt heute nach Hause und wir haben einiges zu besprechen. Also trödele nicht so rum—und im größten Notfall rufst du an, verstanden? Lass das mit den SMS’ an Kari, die bekomm ich nämlich nie mit.“ Sie schenkte ihrer Tochter einen tadelnden Blick und Hikari lief verlegen rosa an.
 

Ich konnte nicht anders als dabei zu lächeln.
 

Yuuko war die Mutter für mich, die ich mir immer gewünscht hatte. Sie sah bezaubernd aus, sie war verständnisvoll, tolerant und gleichzeitig vernünftig und streng genug, um ihre Kinder zu erziehen. Unser Dad setzte uns nie Zeiten, zu denen wir zu Hause sein mussten. Und eine Mutter, die das hätte tun können, hatten wir nicht mehr. Manchmal machte Yamato das, aber nur halbherzig und sehr selten. Er wollte meistens nur, dass ich überhaupt irgendwann wieder zurück kam.
 

„Ist gut. Wird gemacht“, Taichi grinste sie schelmisch an, „und die nächste SMS geht auch an dich, Mum. Versprochen.“
 

„Das will ich auch hoffen!“, sie drückte ihm einen Kuss auf die Wange und umarmte ihn kurz. Dann wandte sie sich an mich und verabschiedete sich auf die gleiche Weise bei mir. Verdutzt sah ich sie an, aber Yuuko schien sich dafür nicht zu schämen. „Richtet Yamato von mir gute Besserung aus. Und das Angebot mit dem Wohnen steht immer noch—für dich auch Takeru.“
 

„Ich… ähm… danke“, stotterte ich verwirrt und kratzte über meine Ellenbeuge. Ich wusste nicht, was sie mit dem Angebot meinte. Wieso sollte Yamato hier wohnen? Für immer? Und ich auch? Was… ?
 

„Komm jetzt“, knurrte Taichi und packte mich am Arm, ich schaffte es gerade noch meine Jacke in die Finger zu bekommen. Taichi hob eine Hand zum Abschied und von Hikari ertönte ein lautes „Sagt Yamato von mir auch gute Besserung!“. Dann fiel die Türe hinter uns ins Schloss und das Licht und die Wärme, die im Haus noch geherrscht hatten, waren abrupt verschwunden.
 

Fröstelnd schlüpfte ich in meine Jacke, zog den Kragen hoch und sah zu Taichi.
 

„Mein Wagen steht da vorne“, sagte er und deutete mit dem Kopf auf eine große Gruppe von Bäumen. Ich nickte und folgte ihm rasch zu seinem Auto. Das dunkle Rot des Lacks glitzerte matt in dem prasselnden Regen. Mir fiel auf, dass neben dem Sportwagen noch ein zweites Auto stand. Größer, in schwarz und eindeutig ein Mercedes. Verwundert hob ich die Augenbrauen und sah zu Taichi, aber dieser war gerade damit beschäftigt seinen Schlüssel aus der Jackentasche zu kramen und mit einem leisen Piepen seinen Wagen zu öffnen. Kurz leuchteten die hellen Scheinwerfer durch die Dunkelheit, dann erloschen sie wieder.
 

Helle Pünktchen tanzten vor meinen Augen, während ich mich hastig auf den kalten, ledernen Sitz fallen ließ und die Türe hinter mir zuschlug. Taichi setzte sich hinter das Steuer, steckte den Schlüssel ein und startete mit einem sanften Brummen den Motor. Er drehte kurz an ein paar Knöpfen herum und schon konnte ich spüren, wie von allen Seiten eine laue Brise auf mich zuströmte. Der Sitz unter mir erwärmte sich langsam. Ich seufzte leise auf und ließ mich nach hinten sinken, während ich registrierte, dass das klamme Gefühl aus meinem Körper wich.
 

Taichi fuhr zwischen den Bäumen hervor, in Richtung des Tores und stoppte. Verwirrt sah ich zu ihm hinüber, aber er starrte mit verkniffenem Blick nach vorne, biss sich auf die Lippe. Mit einem beiläufigen Griff schaltete er das Fernlicht ein und ich zuckte erschrocken zusammen, als ich eine dunkle Gestalt erkannte, die hinter dem Tor stand. Die Eisenstangen glitten beiseite und die Person kam auf uns zu, langsam, die Schultern tief herab hängend, als ob er eine Tonnenschwere Last tragen würde.
 

„Wer ist…?“, fing ich an, aber da war Taichi auch schon aus dem Wagen gesprungen. Er packte die Gestalt an den Armen, zog sie mit sich in Richtung seines Autos und dabei rutschte ihr die nasse Kapuze vom Gesicht.
 

Vor Schreck verschluckte ich mich an meinem eigenen Atem.
 

Shusuke.
 


 


 


 


 

~ Yamatos POV ~
 


 


 


 


 


 

Kein Geräusch durchdrang die Stille.
 

Sie waberte um mich herum, lullte mich ein und verstopfte meine Ohren. Hockte in meinem Gehörgang wie dicke, undurchdringliche Watte. Ich konnte nicht einmal meinen eigenen Herzschlag hören. Meinen Atem. Um mich herum herrschte ein eisiges Schweigen, dass ich nicht durchbrechen konnte. Dass niemand durchbrechen konnte. Es drückte mich zu Boden, presste mich auf den alten, billigen Teppich und saß gackernd auf mir. Unsichtbare Finger strichen über meinen Hals, meine Brust, wieder hinauf und legten sich sanft um meinen Kopf. Drückten seitlich gegen meinen Schädel und ein hoher Piepston hallte hinter meinen Augen wider.
 

Ich sah mich um, doch in der Dunkelheit konnte ich nichts sehen. Meine Vorhänge waren zugezogen, der Rollladen hinunter gelassen worden. Die Wohnung hinter der Türe war leer, die Lichter waren allesamt ausgeschaltet. Mein Vater war fort. Schon seit einiger Zeit. Ich wusste nicht, wohin er gegangen war; wann er gegangen war. Er hatte mir noch einen wüsten Ausdruck an den Kopf geschleudert, ein letztes Mal gegen das Holz gehämmert und war dann verschwunden. Die Glühbirnen erloschen und die Schwärze war unter dem Türschlitz zu mir gekrochen, hatte sich neben mich gesetzt und mich mit weit geöffnetem Rachen angestarrt.
 

Ich spürte meinen Körper nicht mehr, obwohl ich mich noch bewegen konnte. Ich strich über meinen Unterarm und fühlte die Berührung, das federleichte Tasten meiner Hände auf meinem Arm, aber nicht das Gefühl des Kontakts in meinen Fingerspitzen. Als ob jemand anders meine Glieder führen würde, wie eine Marionette zur Belustigung meines dunklen Gasts. Kurz schloss ich die Augen, aber ich wusste nicht, ob ich es wirklich getan hatte. In der Wohnung war es dunkel. In meinem Zimmer war es dunkel. Hinter meinen Lidern war es dunkel.
 

In meinem Kopf war es dunkel.
 

Von draußen begann der Regen die Fensterscheiben zu trommeln und durchbrach die Stille im Raum wie ein Peitschenschlag. Ich zuckte zusammen, starrte nach vorne, aber ich konnte mein Fenster nicht erkennen. Noch immer war ich von Schwärze umgeben, die nicht einmal Schatten und Schemen erkennen ließ. Das Prasseln hämmerte gegen mein Trommelfell, lachte und gackerte leise. Dann begann er leise zu jaulen, ein getretener Hund in einem weit entfernten Käfig.
 

Vorsichtig hob ich die Hände, prüfte mit einem fahrigen Berühren der Finger, dass ich sie auch wirklich bewegte, und presste sich gegen meine Ohren. Das Rauschen wurde tiefer, das Piepsen kam zurück. Wurde laut, schrie kurz auf und verschwand dann abrupt. Das tiefe Rauschen blieb. Umso näher ich die Handflächen gegen die Seiten meines Kopfes presste, umso dunkler wurde es, bis es fast zur Gänze verschwand. Aber meine Arme konnten nicht in dieser Situation bleiben, meine linke Hand begann zu beben und zu zittern und ich ließ sie wieder sinken.
 

Das Prasseln schlug in voller Lautstärke wieder auf mich ein.
 

Ich rappelte mich hoch, stützte mich an der Tür ab und lehnte mich an das Holz. Meine Beine waren weich, als ob ich schon Tage regungslos hier gesessen und sie nicht mehr benutzt hätte. Dabei waren es doch höchstens einige Stunden gewesen… oder? Irgendwo dort im Dunkel stand mein kleiner, digitaler Wecker auf dem Nachttisch. Ich müsste nur hinüber gehen, auf die Spitze tippen und das Ziffernblatt würde aufleuchten. Aber meine Füße machten keinen Schritt. Blieben an Ort und Stelle, verwurzelt wie alte Bäume.
 

Meine Hand glitt an dem Türrahmen hinunter, über die blättrige, alte Farbe, bis ich das Schlüsselloch gefunden hatte. Zaghaft umfasste ich das kleine Stück Metal, ruckelte daran und begann ihn zu drehen. IM Uhrzeigersinn, zu mir hin. Einmal, Zweimal. Doch kurz vor dem dritten Mal stoppte ich. Ich wusste nicht wieso. Meine Hände machten einfach nicht weiter. Selbst als ich mich umdrehte, die zweite Hand dazu nahm und den Schlüssel fest mit beiden Händen packte, konnte ich nicht fortfahren. Dabei gab es keinen Grund, jetzt nicht endlich wieder aus meinem Zimmer zu kommen.
 

Dad war doch verschwunden. Er hatte aufgehört gegen das Holz zu hämmern und war gegangen. Er war verschwunden, verschwunden, verschwunden, verschwunden, ver—
 

Meine Arme zitterten, meine Hände umfassten bebend den Schlüssel. Ich lehnte die Stirn gegen die Tür, atmete tief ein und aus und merkte gleichzeitig, dass mein Atem sich nicht beruhigen wollte. Er wurde wieder panischer, die Luft strömte aus meinen Lungen heraus und presste sich dann wieder viel zu schnell hinein. Ich verschluckte mich, hustete und würgte. Presste meinen Oberkörper gegen das Holz, schloss die Lider und biss die Zähne zusammen. Meine Augen begannen heiß zu brennen, zu jucken und ich wusste, dass ich gleich wieder zu heulen anfangen würde.
 

Ich hielt die Luft an und drückte die Lippen zusammen. Zählte bis zehn. Bis zwanzig. Bis dreißig
 

Bunte Pünktchen begannen hinter meinen geschlossenen Lidern zu tanzen, drehten sich im Kreise und flogen über meinem Kopf durch die Luft. Beinahe schon panisch öffnete ich den Mund wieder, holte rasselnd Luft und lauschte meinem eigenen Atem, der sich langsam wieder rationalisierte. Hörte mir so lange zu, bis ich mich vollkommen beruhigt hatte. Mein Herz wieder in seinem normalen Rhythmus schlug. Mein Puls das Blut wieder in einem sanften Pumpen durch meinen Körper strömen ließ.
 

Mit einem Ruck drehte ich den Schlüssel ein letztes Mal herum. Es knackte laut, die Türe löste sich aus ihrer Starre und kam mir mit leichtem Druck entgegen, als ich die Klinke hinunter drückte. Der übrige Teil der Wohnung war genauso dunkel wie mein Zimmer. Glücklicherweise kannte ich mich so gut aus, dass ich nicht Gefahr lief, gegen eine Kommode oder einen Schrank zu laufen. Langsam tasteten sich meine Füße über den Boden, der alte, abgewetzte Teppich drückte seinen Borsten gegen meine Ballen als ob er mich zurück halten wollte.
 

Ich blieb stehen, kratzte mich am Knöchel. Hörte ein lautes Rascheln, Stimmen im Flur und erstarrte. Noch bevor ich die Möglichkeit hatte wieder zurück in mein Zimmer zu flüchten, in irgendein anderes Zimmer oder auch nur ansatzweise in Deckung zu gehen, sperrte jemand von außen die Wohnungstür auf und platzte laut polternd hinein.
 

Grelles Licht stürmte herein, stürzte sich auf meine geweiteten Pillen und ich riss erschrocken die Hände vors Gesicht. Die fremden Stimmen rauschten in meinem Kopf und ich brauchte einen Augenblick, um mein Herz zu beruhigen, das seinen Marathon von vorhin wieder aufgenommen hatte. Dann nahm ich die Hände wieder runter, erkannte die Personen vor mir und trat überrascht einen Schritt zurück. Stolperte beinahe über meine eigenen Füße.
 

„T—Taichi? Takeru?“, hauchte ich perplex und dann fiel ich doch noch nach hinten, als ich die dritte Person im Bunde erkannte, die gebückt und mit gesenktem Kopf hinter meinem Bruder und meinem Freund stand. „Shusuke?“
 

Shusuke zuckte bei der Erwähnung seines Namens zusammen, hob den Kopf und sah aus blutunterlaufenen Augen zu mir hinüber. Er sah so schlecht aus, wie ich mich fühlte und für einen kurzen Moment verspürte ich Mitleid mit ihm. Ich biss mir auf die Unterlippe, hinderte das lodernde Mitgefühl in meinem Innern daran auszubrechen. Die drei Jungen zogen sich die Schuhe aus, Takeru schloss die Türe und schaltete das Licht im Flur ein. Als ich Taichis graues Gesicht besser erkennen konnte, war ich erleichtert und fühlte mich gleichzeitig schlecht. Sah er wegen mir so grauenvoll aus?
 

„Hey, Yama“, sagte Taichi erschöpft, schenkte mir ein erleichtertes Lächeln und kam auf mich zu. Zog mich an seinen warmen, großen Körper und ich lehnte mich widerstandslos an ihn. Schlang die Arme um seine Hüfte und atmete seinen herben, maskulinen Geruch ein. Es tat gut, ihn so nah zu spüren. Nach dem Streit mit meinem Vater brauchte ich das, seine Nähe, die Zuflucht, die er mir bot, das Vertrauen, das durch jede seine Poren zu strömen schien. Ich spürte, wie er mich sanft auf den Kopf küsste und lächelte.
 

„Wieso seid ihr hier?“, fragte ich leise, löste mich ein Stück von ihm und sah zu ihm hinauf. Sein Gesicht hatte allein in den letzten paar Sekunden ein wenig mehr Farbe bekommen, er wirkte wieder lebendiger und das Lächeln auf seinen Lippen fröhlicher.
 

„Wir haben uns Sorgen um dich gemacht“, antwortete mein Bruder an Taichis Stelle, stellte sich neben uns und musterte mich nachdenklich. „Ist auch alles in Ordnung mit dir? Was hat Dad gemacht? Habt ihr euch gestritten?“ Er strich mir besorgt eine Haarsträhne aus dem Gesicht, ich fing seine Hand ein und drückte sie beruhigend.
 

„Keine Angst, mir geht’s gut, ehrlich.“
 

„Dafür siehst du aber ziemlich scheiße aus“, bemerkte Shusuke brummend von seinem Platz aus, direkt neben der Garderobe.
 

„Du siehst nicht besser aus“, fauchte ich reflexartig zurück und bekam augenblicklich ein schlechtes Gewissen, als Shusuke ertappt zusammen fuhr. Er biss sich auf die Lippe, wich meinem Blick aus und zog die Schultern hoch. Sein dunkles Haar betonte die Ringe unter seinen Augen, er war merkwürdig blass und seine Lippen blutig gebissen.
 

„Jetzt geht euch nicht gleich wieder an die Gurgel“, fuhr Taichi hastig dazwischen. „Shusuke ist hier, um mit dir zu reden. Und ich will, dass du ihm zuhörst – nur einmal. Bitte Yama.“
 

Ich seufzte leise. Ich wollte mich nicht von Taichi lösen, seine warmen Hände auf meinem Rücken missen, und erst recht wollte ich mich nicht mit Shusuke unterhalten. Er war sicherlich ein netter junger Mann, möglicherweise annähernd intelligent und humorvoll. Aber das zählte für mich nicht. Yuri und er hatten mich fünf Jahre lang fast täglich geschlagen, manchmal so schlimm, dass ich an etlichen Stellen blutete und die blauen Flecken über Monate nicht mehr verschwanden.
 

Es würde durch ein einfaches Tut mir leid nicht wett gemacht werden. Worte wogen nicht gegen Fäuste auf.
 

„… in Ordnung“, antwortete ich schließlich leise, mied Shusukes Blick und sah stattdessen zu meinem Bruder. Takeru lächelte mich aufmunternd an, reckte beide Daumen in die Höhe und ich wünschte mir einmal mehr in meinem Leben, dass ich mir etwas von seinem Optimismus leihen könnte, um endlich alles so positiv zu sehen wie er. Er hatte eine genauso schwere Vergangenheit gehabt wie ich, aber er ließ sich nicht davon nieder machten. Er hatte keinen Nervenzusammenbruch, keine hysterischen Anfälle. Er schlitzte sich nicht die Pulsadern auf. Er war stark. Er war fröhlich. Er war mein kleiner Bruder.
 

Irgendwo in meiner Brust glühte ein kleiner Funken Stolz.
 

Ich ging ins Wohnzimmer, Shusuke folgte mir. Takeru und Taichi blieben im Flur und ich wollte schon den Mund öffnen, sie fragen, warum sie uns alleine ließen, aber sie schüttelten beide nur den Kopf und ich schwieg. Da ich annahm, sie wollten, dass wir uns in Ruhe aussprachen, lehnte ich die Türe an. Shusuke setzte sich zögernd auf die Couchkante, als hätte er Angst, sie könnte ihn fressen. Sein Blick schweifte unruhig durch den Raum, blieb an mir hängen und wanderte hastig wieder davon.
 

Schweigend setzte ich mich neben ihn.
 

„… hast du geweint?“, fragte er mich nach einer Weile leise und ich stutzte überrascht. Woher –
 

„Deine Augen sind rot“, er zeigte auf mein Gesicht und ein sanftes Lächeln huschte über seine Züge. Ich war viel zu perplex, um auch nur in irgendeiner Weise zu reagieren. Starrte ihn nur an, wie er seufzte, das Kinn auf den Händen abstützte und zu unserem Fernseher sah. Er war nicht an, der Bildschirm war schwarz, aber das schien Shusuke nicht zu stören.
 

„D-deine auch“, platzte es schließlich aus mir heraus und er sah zu mir, offenbar überrascht, dass ich überhaupt etwas sagte.
 

Dann lachte er leise. Freudlos und ein klein wenig verzweifelt.
 

„Kein Wunder. Ich hab die ganze letzte Nacht geheult wie ein Kleinkind und heute Morgen auch noch“, sagte er und schien dabei ein wenig beschämt. Auf seinen blassen Wangen erschien ein sanfter Rosaschimmer, der ihn gleich ein wenig gesünder aussehen ließ. „Ich… ich war richtig deprimiert. All der Mist mit Selbstmitleid und… hm, meistens hab ich wegen dir geheult.“
 

„Wa… wegen mir?“, hauchte ich irritiert. „Aber wieso?“
 

„Weil… tja“, er verzog den Mund, „Weil ich ein ziemlicher Idiot bin. Ein Arsch. Ein dummer, dummer Egoist. Weil ich dich vier –“
 

„—fünf“, rutschte es mir heraus, aber Shusuke nahm es mir nicht übel.
 

„Weil ich dich fünf Jahre lang geschlagen habe. Ich bin einfach ein… ein Trottel“, er sah auf seine Hände, krallte sie nervös ineinander, um das Zittern zu unterdrücken. Im Moment wirkte er zerbrechlich, angreifbar. Einsam und elend. Nie hätte ich mir vorstellen können, ihn einmal so zu sehen. Gerade Shusuke, der mich geschlagen hatte, der immer ein so großes Ego, ein so großes Selbstbewusstsein an den Tag gelegt hatte und sich von nichts und wieder nichts unter kriegen ließ. „Ich… willst du wissen, wieso wir mit dem Mist angefangen haben? Wieso ich damit angefangen und Yuri dann da mit rein gezerrt habe?“
 

Ich wollte es nicht hören.
 

Der Grund würde die Narben nicht verblassen lassen, genauso wenig wie seine Entschuldigung. Seine Reue. Aber Taichi hatte gesagt, dass ich ihm zuhören sollte. Damit ich ihm verzeihen konnte. Noch war ich mir nicht ganz sicher, ob ich das konnte. Nach fünf Jahren, in denen sich mein Magen vor Angstkrämpfen praktisch in Nichts aufgelöst hatte, fiel es mir schwer an so etwas wie Vergebung überhaupt zu denken. Schließlich konnte er sich nicht damit heraus reden, dass er nicht gewusst hätte, was er da tat. Er war jedes Mal bei vollem Bewusstsein gewesen, genauso wie Yuri, sein kleiner, greller Freund, und sie waren oft genug hämisch und demütigend gewesen. Sie hatten mich nicht nur physisch verletzt, sondern auch psychisch so unter Druck gesetzt, dass ich mich manchmal Morgens vor der Schule mehrere Male übergeben hatte, so sehr hatte die Panik mir zugesetzt.
 

Trotzdem nickte ich.
 

„Ja.“
 

Shusukes Mundwinkel zuckten erneut, in einem kläglichen Versuch ein Lächeln zu bilden.
 

„Ich…“, er atmete tief durch. „Ich…. bin in dich verknallt, Yamato. Schon seit ich sieben oder acht Jahre alt bin.“
 

Entsetzt starrte ich ihn an.
 

„Wa–?!“
 

„Richtig gehört“, schnitt er mir das Wort ab, vergrub das Gesicht in den Händen und gab ein trockenes Schluchzen von sich. „Ich bin so heftig in dich verknallt, dass ich seit Jahren nur noch von dir Träume. Nachts und tagsüber auch. Sogar wenn ich mir einen runter hole denke ich an dich! Und verdammt, ich hasse mich dafür! Ich hasse es, dass ich in dich verliebt bin. Und… o Yamato, es tut mir so leid. Ich war so wütend, dass… dass dir nie aufgefallen ist, dass ich dich liebe. Ich konnte sagen, was ich wollte, du hast es einfach nicht gerafft! Und wenn ich versucht habe, dir näher zu kommen, bist du auf Abstand gegangen. Irgendwann bin ich dann ausgerastet. Und ich hab mit Yuri drüber geredet. Und—und er meinte, wenn er so sehr in jemanden verknallt wäre und der würde es nicht merken, dann würde er ihm in schlimmsten Falle gewaltsam zeigen, wie sehr er ihn mochte!“ Er japste, biss sich auf die Lippe und holte tief Luft.
 

„Ich hab natürlich total überreagiert. Ich hab—ich hab dich geschlagen und es tat mir so leid, aber ich konnte nicht aufhören! Solange ich dir weh tat, war ich dein Mittelpunkt. Du hast immer nur mich angesehen und—und das war so… ich hab mich so gut gefühlt… Endlich hatte ich deine volle Aufmerksamkeit! Du hast mich in den Pausen beobachtet, genauso wie ich dich immer beobachte. Und im Unterricht auch. Ich – Herrgott, ich weiß, dass ist alles so scheiße von mir. Aber ich konnte einfach nicht aufhören. Ich wollte nur… ich wollte nur, dass du mich so ansiehst, wie du Taichi ansiehst… nur ein einziges Mal“, ein kläglicher Laut entschlüpfte seiner Kehle und ich brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, dass er weinte.
 

Starr vor Schreck saß ich neben ihm und konnte mich nicht rühren, wusste nicht, was ich tun sollte. Mein Atem und sein ersticktes Schluchzen waren das einzige Geräusch in dem sonst so stillen Raum. Es war kalt, niemand hatte sich die Mühe gemacht, die Heizung anzuschalten und ich sah die sanfte Gänsehaut auf Shusukes Unterarmen. Er zitterte am ganzen Körper und ich fühlte einen stechenden, brennenden Schmerz, der nicht körperlich war. Und obwohl ich mir fest auf die Lippe biss, verschwand er nicht.
 

Ich hatte Mitleid mit ihm. Mit Shusuke. Ich war dabei ihm zu verzeihen, dabei wollte ich das doch gar nicht. Er hatte mir weh getan. Er hatte die letzten Jahre auf der Schule für mich zur Hölle gemacht, ich hatte meinen Bruder wegen ihm angelogen. Ich hatte mir selbst die Nase gerichtet, als er sie gebrochen hatte! Ich hatte meine eigenen Wunden flicken müssen, während er mit seinem dummen Freund in der Besenkammer rum machte! Er… war ein rabiater Arsch. Diese…Ausrede war ein grauenhaftes Klischee; es war lächerlich! Wenn er mich liebte, wenn er es wirklich tat, dann hätte er nicht zur Gewalt gegriffen, ganz gleich was sein minderbemittelter kleiner Freund dazu gesagt hätte.
 

Ein harter, schmerzhafter Knoten krampfte sich in meinem Magen zusammen, der nicht fort ging. Ein Knoten aus all den Erinnerungen an Schmerz und Tränen und Blut und blaue Flecken und Schürfwunden. Die Erinnerung brannte hinter meinen Augen, während ich wusste, dass das fehlende Feuer der Wut bedeutete, das sich dabei war, ihm wirklich zu verzeihen.
 

Aber ich wollte ihm nicht verzeihen.
 

Vorsichtig streckte ich die Hand aus, berührte ihn zaghaft an der Schulter und er fuhr mit einem lauten Keuchen zusammen. Seine gehetzten, wässrigen Augen suchten meine, hielten meinen Blick fest und sahen mich verständnislos an.
 

„Es… es tut mir wirklich leid“, flüsterte er mit belegter Stimme. „Wirklich Yamato. I—ich weiß, dass das durch ein paar Worte nicht wieder ungeschehen gemacht werden kann. Ich weiß, dass… dass wir dir unglaublich weh getan haben, aber… Yamato, es tut mir so leid. Wenn ich könnte, würde ich die Zeit zurück spulen und alles zurück nehmen. Alles, wirklich. Es tut mir so leid.“ Seine Wangen waren tränennass und für einen kurzen Moment zwickte mich die Schadenfreude, doch ich schupste sie zurück. Atmete tief durch.
 

Ich konnte ihm nicht für immer böse sein oder? Irgendwann würde es mich mehr zerstören als ihn…
 

Zaghaft nahm ich seine zitternde Hand in meine, merkte, dass auch meine Finger leicht zitterten, und erwiderte seines fassungslosen Blick. Sein Mund ging auf und zu, wie der von einem Karpfen, er schnappte nach Luft, sagte ein oder zwei Mal meinen Namen, aber er gab keinen sinnvollen Satz von sich. Sein Blick klebte auf mir, seine Finger verkrallten sich fest mit meinen. Er legte seine zweite darüber, drückte zu und sah mit glasigem Blick zu Boden. Seine Unterlippe zitterte verdächtig, aber ich sagte nichts. Ich hätte gar nicht gewusst, was.
 

„… danke, Yamato“, wisperte er nach einer Weile nur, seine Stimme ein leiser Hauch, der warm meinen Handrücken streifte.
 

Stumm sah ich ihn an.
 

„D-doch, ehrlich“, er lächelte kläglich, „das bedeutet mir wirklich viel. Ehrlich.“
 

Er hatte ein bisschen mehr Farbe im Gesicht als vorher. Seine Augen wirkten nicht mehr so trüb. So leer. Mit einem sanften Seufzen richtete er sich auf, drückte den Rücken gerade durch und sah zu mir. Ich konnte seinen Blick nicht deuten. Er leckte sich langsam über die Lippe, musterte mich und dann lief er klein wenig rosa an.
 

„Darf ich… ich meine, wü—würde es dir etwas ausmachen, wenn… wenn ich dich umarme?“
 

Wie bitte?
 

„Um… na ja, um es zu besiegeln. Ich tu sonst auch nichts, versprochen“ –für einen winzigen Augenblick schlich ein schelmisches Lächeln über sein Gesicht– „ich weiß ja, dass du Taichis Eigentum bist.“
 

Meine Wangen begannen zu glühen, ich wusste, dass ich regelrecht leuchten musste wie eine Verkehrsampel und zuckte unschlüssig mit den Schultern, ein unangenehmes Gefühl im Bauch; am liebsten wäre ich aufgestanden und gegangen. Er näherte sich mir zaghaft, legte seine Hände auf meinen Rücken und drückte kurz seinen kantigen Körper an meinen. Es fühlte sich anders an, als jegliche Umarmungen mit Taichi. Ungewohnt. Kühler. Vorsichtig fuhren meine Hände hoch zu seinen Schultern, krallten sich sanft in sein T-Shirt und überrascht merkte ich, dass der Stoff feucht war. Aber ich fragte nicht, warum. Stattdessen lauschte ich seinem warmen Atem, der auf mein Schlüsselbein traf, spürte sein wild hämmerndes Herz.
 

Dann löste er sich wieder von mir. Behutsam, jede Bewegung in Zeitlupe ausgeführt. Seine braunen Augen sahen mich gutmütig an, mit dem Hauch eines Lächelns. Ich wusste nicht recht, was ich erwidern sollte. Shusuke ließ den Kopf wieder sinken, sah hinunter auf seine Hände und seine Lippen formten lautlose Worte. Er kratzte sich über die Wange. Sagte nichts mehr.
 

Kraftlos sank ich zurück in die Kissen, spürte Shusukes Präsenz neben mir regungslos auf der Couch. Er rührte sich nicht, nur seine Augen strichen ruhelos durch den Raum. Fanden einen Fixpunkt und blieben wie hypnotisiert darauf kleben. Ich wandte mich, folgte seinem Blick zu dem Regal, das neben dem Fernseher stand, bis hin zu dem kleinen Bilderrahmen und dem alten, vergilbten Foto.
 

Das unscharfe Profil von Mum, ein kleiner, lachender Takeru und ein kleines, schlafendes Ich zusammen auf einer bunten Picknickdecke, im Hintergrund ein Spielplatz.
 

Neben mir schniefte Shusuke, räusperte sich leise und ich spürte den durchdringenden Blick seiner Augen auf meinem Gesicht. Aber ich weigerte mich, ihn anzusehen. Eine Weile blieb es noch still zwischen uns, während ich unverwandt auf das Bild starrte und mich an den kleinen fremden Jungen erinnerte.
 

An Shusuke.
 

„Also…akzeptierst du meine Entschuldigung?“, fragte Shusuke schließlich zögerlich und rutschte unruhig auf dem Sofa umher, schluckte laut.
 

Ich nickte und hörte ihn erleichtert ausatmen, nur um dann den Atem anzuhalten;
 

„Aber das heißt nicht, dass ich dir verzeihe.“
 


 


 


 


 


 

Part XVII
 

END
 


 


 


 


 


 


 


 


 


 


 

tbc...
 


 


 


 


 

Happy New Year!
 

Mein Neujahrsgeschenk an euch, ein neues Kapitel. Ein riesiges Dankeschön, an alle Leser und natürlich an alle, die so fleissig und so lieb kommentieren (Sethan, abgemeldet, Heromi, GeezKatsu, SayuriKon, Mirrowdothack, kitty007, Seto, u.v.m), ihr seid wirklich mein größter Antrieb! Es freut mich, dass ihr der Geschichte immer noch folgt, obwohl ich immer so lange mit neuen Kapiteln brauche.
 

Ab jetzt geht es in den Endspurt, nur noch 2 Kapitel!
 

Love you guys



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  kitty007
2015-02-01T12:27:15+00:00 01.02.2015 13:27
Kann mich gilgamesh nur anschließen ^.^

Schnell weiter schreiben!
Von:  gilgamesh-2009
2014-01-07T19:43:53+00:00 07.01.2014 20:43
ich weiß echt nich was ich schreiben soll .... ich liebe deine taito und hoffe das es bald wieder weiter geht ^^

viel erfolg beim schreiben <3


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