Zum Inhalt der Seite

Hanashí

OS-Sammlung
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Grausame Gefühle

Mit aller Kraft peitschte der Regen auf die Trauernden mit ihren pechschwarzen Regenschirmen nieder, als wollte er sie in zwei schlagen, zerstören, bis nichts mehr von ihnen übrig war. Als wären sie sein größter und schlimmster Feind, welcher auf der Stelle vernichtet werden musste.

Aber nicht nur diese Trauergemeinde war der Feind, nein alles musste dem Erdboden gleich gemacht werden, alles und jeder zerstört. Nichts durfte übrig bleiben.

Nichts!!!

Weder Gebäude, ob Haus oder Geschäft, noch die Bäume, Sträucher und Blumen. Selbst die Erde, auf der alles fußte, dufte nicht verschont bleiben.
 

Zerstöre alles Unwetter!!! Zerstöre alles!!!!

Unwetter, Unwetter, lasse nichts, wie es war. Wasche alles fort, egal ob Gut oder Böse. Es muss alles fort, spüle es weg, auf dass es nie wieder kommen kann!!!
 

Fest presste er die Hand zur Faust, ließ die Fingernägel in sein Fleisch fahren, bis dass das Blut an ihnen entlang lief, von der Hand zum vollkommen aufgeweichten und einem kleinen Schlammmeer gleichenden Boden tropfte. Der Schmerz blieb aus, pochte nur dumpf, ohne wirklich aufzufallen. Vielleicht hatte er dies einfach schon zu oft getan, um zu überprüfen, ob er denn noch lebte.

Wieso er denn noch lebte.
 

Unwetter!!! Unwetter, fahre nieder, auf das nichts mehr auf diesen Tag folgen kann!!!!
 

Doch so sehr er es sich auch wünschte, so sehr er auch zum Himmel betete und sich sein Herz danach verzehrte, der Regen ließ allem zu Trotz allmählich nach. Wieso nur ließ er nach? Eigentlich hätte er bis in alle Ewigkeit weiter anhalten müssen....
 


 

>>>>

Einige Tage zuvor.
 

„Meinst du nicht auch, dass es langsam reicht?“

Mit gehobenen Augenbrauen blickte sie herablassend zu dem Jungen, welcher sich nicht einmal zu ihr umdrehte. Er wusste genau, wer ihn dort erwarten würde.
 

„Nein, Kyouyama. Es reicht nicht!!!“, bluffte er etwas ungehalten zurück, was sonst nicht seine Art war. Dennoch ließ sich Anna nicht aus der Ruhe bringen.

Vorerst.

„Sollte die Post kommen, kann Yoh dich noch immer rufen. Aber hier unten nervst du mich.“

„Dann verzieh dich doch endlich zu deiner Glotze, wie sonst auch immer.“
 

Wollte er sie aus der Fassung bringen oder wieso klang er so angriffslustig? Wie auch immer. Er nervte wirklich!!

„Tao, das war keine Bitte. Geh gefälligst nach oben!!“

Nun hatte auch die Stimme der jungen Itako etwas bedrohliches angenommen. Etwas, dass Ren noch mehr reizte als es nicht sowieso schon der Fall gewesen war. Seine eisig kalten goldgelben Augen fixierten nun nicht mehr die Tür, sondern das Mädchen, welches es gewagt hatte ihm einen Befehl zu erteilen.
 

„Ähm...“

Yoh, welcher das Ganze schon skeptisch aus der Küche beobachtet hatte, stellte sich schnellst möglich zwischen die Beiden, welche sich schon elektrische Todesblicke zuwarfen. Es war zwar nicht ungefährlich, besonders wenn man davon getroffen wurde, dennoch hatte sich der Braunhaarige todesmutig dazu entschlossen, die Spannung, die sich hier aufgebaut hatte, wieder zu entladen. Wenigstens am Morgen sollte es noch einigermaßen ruhig bleiben. Wenn es die Bewohner dieses Hauses denn zuließen....
 

„Ren, könntest du bitte Horohoro wecken? Er ist doch heute mit der Gartenarbeit dran.“

Mit dem unschuldigsten Lächeln, dass Yoh auf Lager hatte, versuchte er den Chinesen zu erweichen. Denn etwas besseres als diese magere Ausrede war ihm nicht eingefallen.

Der Blick des Jungen vor ihm hatte an seiner Intensivität allerdings nichts verloren und langsam fühlte sich der Japaner, als würde man ihn gerade erdolchen.

Und das von allen Seiten.
 

Dann wandte Ren endlich den Blick ab.

„Kchz... Von mir aus....“

Mit diesen Worten rauschte er an Yoh vorbei, warf Anna noch einmal einen herausfordernden Blick zu und machte Godzilla nicht schlecht Konkurrenz, als er die Treppe hinauf stampfte. Ein leichter Seufzer entwich dem Jungen mit den Kopfhörern, der zufrieden festgestellt hatte, dass er soeben den Dritten Weltkrieg verhindert hatte. Anna blickte ihrem Zukünftigen nur einmal spöttisch in die Augen, ehe sie auf der Verse kehrt machte und schnurstracks zur Küche marschierte.

„Das wird ja immer schlimmer...“, murmelte sich der Braunhaarige missmutig zu, ehe er seiner Verlobten folgte.
 

Mit einem heftigen Ruck schob Ren die Tür zur Seite, sodass sie nicht einfach nur zur Seite glitt, sondern fast schon flog und einen viel zu lauten Knall von sich gab. Das die Decke davon keine Risse bekam, war ein schier unglaubliches Wunder.
 

„Baka!!!“, schrie er in den Raum, noch ehe er ihn sich genauer betrachtet hatte. So war ihm gar nicht erst aufgefallen, dass in dem äußerst einseitig aufgeräumten Zimmer eben genannter „Baka“ mit angstverzerrten und schockgeweiteten Augen auf der im ureigenen Chaos versinkenden Fensterbank saß und in der Bewegung verharrt war.

Wahrscheinlich hatte er Angst auch nur Luft zu holen.
 

Ren ließ das Ganze wie immer völlig kalt. Er fixierte das blauhaarige Häufchen Elend, dass ehemals wohl Horohoro Usui geheißen haben musste, und murrte ihm nur eines zu:

„Garten!!! Sofort!!!“
 

Nachdem ein weiterer, noch lauterer Knall zu hören war und die Tür auch dies überlebt hatte, fiel der Ainu seitlich, noch immer in seiner Position erstarrt, auf den von ihm höchstpersönlich zugemüllten Boden.

Nun konnte er wohl froh sein, dass seine Seite vom Zimmer, im Gegensatz zu der Rens, immer mit allem möglichen voll gestellt war. Denn so war er einigermaßen weich auf seiner dreckigen Wäsche gelandet.
 

Was war dem denn schon wieder über die Leber gelaufen? Und das am frühen Morgen?

Horohoro setzte sich, noch immer etwas zittrig nach dieser morgendlichen „Begrüßung“, auf und rieb sich schmerzhaft den Hintern. Womit hatte er nur so eine unausstehliche Person in seiner Nähe verdient?

Zwar hatte der Chinese durchaus nettere Seiten an sich, die viel zu selten ihr Debüt feierten, aber an manchen Tagen war er durch und durch bösartig. Diese Tage mochte der Blauhaarige kein bisschen, wie man nur all zu gut nachvollziehen konnte.
 

Von draußen konnte man nun ein Stimmengewirr hören, welches vermuten ließ, dass der naiv-dumme Postbote es soeben gewagt haben musste, an der Haustür zu klingen und nun von allen Bewohnern gleichzeitig angegriffen wurde um ihm die heiß begehrte Post zu entreißen.

Es war wahrlich kein Wunder, dass in dieser Gegend immer wieder der Bote wechselte, nachdem er Bekanntschaft mit dem Gasthaus En gemacht hatte. Oder zumindest mit einem dessen Bewohner.

Den Kopf schüttelnd raffte sich der Ainu auf. Immerhin war er heute mit dem Garten dran und wenn die erste Erinnerung schon so „nett“ ausgefallen war, dann wollte er nicht wissen, was die darauf folgende Mahnung mit sich bringen würde. Außer einem Gehörschaden und dem Herzinfarkt von gerade eben, der zu jeder Nachricht kostenlos als Extra in der Wundertüte dabei war, die Horohoro jedes verdammte Mal zu eigen wurde.
 

>>>>

Sie wusste nicht genau, zum wievielten Male sie sich gerade entschuldigt hatte. Aber dem Postboten waren diese Worte sowieso vollkommen egal, denn er lag noch immer ohnmächtig auf dem Sofa. In seiner krampfhaft verdrehten Hand den letzten Rest der Post, welche man ihm aus der Hand gerissen hatte, ehe er überhaupt lesen konnte an wen der Brief denn nun adressiert war.

Obwohl er noch nicht wieder zu Bewusstsein gekommen war, murmelte er vollkommen eingeschüchtert und dem Wahnsinn nahe, leise seine wohl letzten Worte vor sich hin, welche Tamao nicht recht verstehen konnte. Aber wenn sie ehrlich war, wollte sie es wohl auch nicht wirklich wissen, denn höchstwahrscheinlich war es das Selbe, was auch die anderen Boten vor ihm von sich gegeben hatten, als sie alle dem selben Schicksal erlegen waren.
 

Nachdem sie ihm den kühlen Lappen wieder auf die Stirn gelegt hatte, stand sie sachte auf. Heute war Horohoro-kun mit dem Garten dran und sie konnte sich noch sehr lebhaft an seine letzte Arbeit erinnern, als er ihre geliebten Rosen mit Unkraut verwechselt hatte.

Deswegen zog sie es doch vor, ihm zur Hand zur gehen, auch wenn sie eigentlich mit dem verwirrten und seelisch am Boden zerstörten Postboten beschäftigt war.

Noch einmal warf sie einen mitleidigen Blick auf ihren Patienten, ehe sie die große Tür zum Garten öffnete und zögerlich auf den Ainu zu schritt.
 

Dieser war schon eifrig mit buddeln beschäftigt und so flog die Erde, die einst so schön im Beet gelegen hatte, der jungen Frau um die Ohren.
 

„Ho-Horohoro-kun...“, leise und bedacht nahm sie den Namen des Jungen vor sich in den Mund. Man wusste ja nie, ob seine Hundegene nun mit ihm durchgegangen waren und er sie mit seinen dreckigen Pfoten anspringen würde, wenn er sie erst einmal bemerkt hatte.

Zwar hatte er sie auch wirklich registriert, allerdings blieb ein freudiges Winseln mit anschließendem Gesichtabschlabbern aus.

Sehr zur Freude Tamaos.
 

„K-kann ich dir helfen? Vielleicht... wenn es keine Umstände macht meine ich...“

Kurz blickte er etwas irritiert drein, ehe ein breites Grinsen sich in sein Gesicht schlich und ein lautes „Logo!!“ erklang.

Mit seiner dreckigen Hand, welche wohl mehr Erde weg geschleudert hatte als die Schippe selbst, reichte er ihr eine Schaufel und deutete ihr, welche Stelle sie zu bearbeiten hatte.
 

Keine zwanzig Minuten später konnte Tamao, zufrieden mit der Welt, schon ihr kleines ordentliches Werk begutachten, während neben ihr ein Tornado hausiert haben musste.

Mit Entsetzen musterte sie die Erde, welche zusammen mit den von ihr vor ein paar Tagen säuberlich und mit vollem Einsatz eingepflanzten Blumen, überall auf der Wiese verstreut war.

Wie es schien waren sie alle im Eifer des Gefechts samt und sonder ausgerupft worden, sodass nur noch das Unkraut stehen geblieben war und einem entgegenblicken konnte.

Es schmerzte ihr Herz sehr, aber im Moment war dies zweitrangig. Denn es gab einen weiteren Grund, wieso Tamao dem ungeschickten Tölpel von Ainu zur Hand gehen wollte. Heute war der Tag, das hatte sie sich vorgenommen, an dem sie mit ihm über diese eine Sache sprechen würde.

Mit dem Versprechen an die armen Blümchen sie bald möglichst wieder einzupflanzen, stand sie auf, klopfte sich den Dreck von der schwarzen Hose und fixierte Horohoro, welcher noch immer damit beschäftigt war, die armen Pflanzen Büschelweise aus der Erde zu zerren.
 

„Ähm..., Horohoro-kun?“

Der Angesprochene reckte blitzschnell den Kopf zu ihr, sodass das schüchterne Mädchen kurz schreckhaft zurückwich.

„Schon fertig?“, stutzte der Ainu nicht schlecht und starrte sie mit großen Augen an.

„Nun... ja...“

Kurz huschte ihr Blick über das Chaos, welches der Junge vor ihr verursacht hatte.

„Und... nein...“
 

Horohoro schien verwirrt. Sie war fertig und nicht fertig?

„Ähm... Horohoro-kun... i-ich muss mit dir sprechen.“

„So?“

Noch immer etwas irritiert, ließ er sich schließlich auf seine vier Buchstaben fallen. Eine Pause war immer gut.
 

„Was gibt’s denn?“, lächelte er ihr aufmunternd zu. Tamao setzte sich erst einmal nach langem Überlegen vor ihr Gegenüber und blickte ihn danach zaghaft an. Als würde sie einen direkten Blickkontakt lieber meiden.

„N-Nun... Du musst mir aber aufmerksam zuhören... Ver-versprichst du das?“

Wieder schaute sie unsicher zu ihm auf, nur um gleich darauf wieder den Kopf zum Boden zu wenden.

„Klar. Kein Problem.“

Freundlich grinste er ihr entgegen. Sie war noch immer viel zu unsicher.

„Es geht... um Tao-san... und dich...“
 

Schnell blickte sich das rosahaarige Mädchen um, als müsste sie befürchten, dass Ren schon bei der Nennung seines Namens aus einem der nächsten Gebüsche springen würde.

„Ja? Was ist mit uns?“

„Also.... du... du liebst Tao-san, nicht wahr Horohoro-kun?“
 

Verschreckt starrte der Ainu ihr direkt mit geweiteten Augen ins Gesicht, was wiederum Tamao selbst ebenfalls zurückschrecken ließ, nachdem sie, um seine Reaktion zu überprüfen, wieder zu ihm aufgesehen hatte. Ein kleiner flüchtiger Blickkontakt entstand, welcher sofort abgebrochen wurde. Dann liefen sie beide tiefrot an.

Horohoro fühlte wie ihm das Herz bis zum Halse schlug und er mit seiner Schamesröte einer überreifen Tomate Konkurrenz machte.
 

War es denn so auffällig?
 

„Ta-Tamao...“

Kurz musste er hart schlucken, um seine Stimme zurück gewinnen zu können.

„Wie... wie kommst du darauf?“

Wenn er Glück hatte, würde er sie davon überzeugen können, dass sie sich irrte. Wenn er Pech hatte (und das hatte er in letzter Zeit viel zu oft), war sein Gefühlsleben lesbarer als jedes Buch auf der lieben weiten Welt. Sodass man nun befürchten musste, dass der Chinese ebenfalls davon wusste.

Das schüchterne Mädchen hingegen, wagte zwar nicht den Blick wieder anzuheben, war dafür aber keineswegs dumm.

„Es... ist mir so aufgefallen. Wie du ihn anblickst und mit ihm sprichst... Manchmal wirkt dein Blick so... sehnsüchtig.... Außerdem habe ich.... ein paar Fotos von Tao-san in deiner Hosentasche gefunden.“
 

Verdammt!!!
 

Mit hochrotem Kopf viel es ihm siedend heiß wieder ein. Tamao war ja für die Wäsche verantwortlich und meistens stopfte der Blauhaarige ohne genauer darüber nachzudenken seine Kleidung in die Wäschetonne. Und er hatte sich schon gewundert, wo sein Lieblingsbild von Ren geblieben war...
 

Mit verkrampfter, zum äußersten geballter Faust, musste er sich kurz räuspern, um überhaupt ein Wort über seine zittrigen Lippen zu bekommen.

„Weiß denn... noch jemand davon?“

Zu seiner Erleichterung schüttelte das zierliche Mädchen vor ihm ihren Haarschopf.

„N-nicht das ich wüsste...“
 

Eine eigenartige, fast schon unheimliche Stille legte sich über die beiden Jugendlichen. Unerträglich. Einfach unerträglich. Als Horohoro schon Gänsehaut davon bekam, setzte er unwillig fort.

„Und... was wolltest du jetzt mit mir.... besprechen?“

Er war unsicher geworden, weswegen er kaum zu der Person vor ihm sehen konnte und sein Lächeln wirkte ebenfalls etwas planlos und verängstigt. Allein der Gedanke, was denn nun folgen würde, ließ pure Panik in ihm aufsteigen. Sogar Angstschweiß hatte sich schon wie von Geisterhand auf sein sonst so bräunliches, nun kreidebleiches Gesicht geschlichen und er fühlte, wie sich sein Magen schmerzhaft zusammen zog.

Nun war er froh, dass er eben nur ein kleines Brötchen hatte verschlingen können, ehe Anna ihn mit einem Fußtritt in den Garten befördert hatte. Denn wenn sich zu allem anderen nun auch noch die Übelkeit gesellen würde, wusste er wenigstens, dass da nicht viel sein konnte, was er raus kotzen musste.
 

Glücklicher Weise bekam Tamao aber nichts davon mit. Noch immer waren ihre Augen dem Boden zugewandt, als wäre er das Interessanteste, das die Welt zu bieten hatte.

„Ich wollte... dich nur warnen....“

Der Ainu horchte auf. Krampfhaft bemüht, nicht gleich reißaus zu nehmen, oder das schüchterne Mädchen vor ihm hin und her zu schütteln, warum sie die ganze Sache so grässlich lang ziehen musste.

Aber etwas anderes war nun wichtiger.

Warnen?

Vor was denn warnen? Doch nicht etwa...?
 

„Du solltest dir, keine fal....“

„Schon gut!!“
 

Tamao sah verschreckt auf. Es war einfach aus Horohoro herausgeplatzt und zusammen mit diesen Worten war er blitzartig aufgestanden. Mit einem ernsten Ausdruck blickte er die junge Frau vor ihm an, wie man es kaum von ihm gewohnt war.

Er hatte es doch geahnt. Das was sie sagen wollte war... Nein!!! Das wollte er nicht hören. Diesen Satz wollte er unter keinen Umständen hören müssen!!!

Selbst in seinen eigenen Gedanken war er bisher niemals gefallen, das hatte er sich selbst verboten. Mit solchen Sachen sollte man sich nicht selbst fertig machen!!
 

„Schon gut Tamao. Das brauchst du nicht sagen. Am Besten...“

Er fuhr sich fahrig, fast schon zittrig durch die schweißnassen Haare und blickte ohne etwas genauer zu betrachten weiter in den großen Garten.

„...am Besten wäre es, wenn ich jetzt weiter mache, ehe Anna merkt, dass ich nicht mehr arbeite.“

„A-Aber...“

Wieder versuchte sie ihm es zu sagen, das was ihr auf dem Herzen lag und von welchem sie nicht wollte, dass er es anders erfahren würde. Doch wieder unterbrach er abrupt.

„Komm ich helf' dir hoch.“

Schon hatte er sie am Arm gepackt und mit einem betont lässig wirkenden Lächeln zerrte er Tamao fast schon auf die Beine, ehe er fluchtartig, mit der rechten Hand orientierungslos winkend, das Weite suchte.

Er durfte auf keinen Fall weiter in ihrer Nähe bleiben. Die Gefahr, dass sie es dennoch aussprechen würde war einfach zu groß.

Schnellen Schrittes, bemüht die weichen Knie welche zusammen zu brechen drohten zu ignorieren, entfernte er sich immer weiter von der Rosahaarigen, die ihm traurig nachschaute und schließlich wieder einmal ihr Gesicht dem Erdboden zuwandte.
 

Horohoro war kaum außer Sicht geraten, als seine Beine schließlich doch nachgaben. Es war einfach zu viel. Schon zu lange hatte ihn dies gequält, ihn mürbe gemacht. Lange würde er nicht mehr aushalten. Noch ein bisschen mehr und er würde zerbrechen, schneller als ein Stixi, welches man doch so schnell in Zwei brechen konnte.

Bald würde auch er selbst diesen Gedanken nicht mehr unterdrücken können.

„Urgs....!!“

Schwer keuchend hielt er sich die Hand vor den Mund.

Ihm war schlecht geworden. Kotzübel!!!

Sie hatte ihn einfach so mit seinen Gefühlen konfrontiert. Gefühle, die er kaum noch im Zaum halten konnte. Und sie wollte zu allem Überfluss auch noch diese Worte benutzen.

Diese schmerzhaften Worte, schlimmer als jeder Messerhieb.
 

„Lass es endlich sein!!“
 

Horohoro lauschte auf. Was war das denn?
 

„Ich will doch nur wissen, wieso du auf einmal alles beendest!!“

„Das weißt du ganz genau!!!“
 

Diese beiden Stimmen kamen dem Ainu äußerst bekannt vor. Doch sein Gehirn fühlte sich so leer an, als hätte man mit einem gigantischen Besen sämtliche Informationen, die sich zuvor darin befunden hatten, heraus gefegt und auf den nächstbesten Komposthaufen geworfen. Wahrscheinlich waren es seine eigenen, durcheinander geratenen Gefühle, die nun sein Denken beeinflussten.
 

„Warum hast du dich dann erst darauf eingelassen?!“
 

Besonders die männliche Stimme ließ den Blauhaarigen zusammenfahren, sodass sich eine Gänsehaut auf seinen Armen ausbreitete. Aber es war keineswegs unangenehm. Dieses Gefühl bekam er immer bei dieser so vertrauten Stimme.

Wieso nur, wollte ihm einfach nicht der dazugehörige Name einfallen?!
 

„Antworte gefälligst!!“
 

Allmählich bildeten sich zähflüssig ein paar Buchstaben im Kopf des Blauhaarigen, die wohl die Lösung dieses Rätsel werden wollten. Er hätte nun schwören können, dass er die Namen dieser beiden Personen auf der Zunge liegen hatte.

Nur wollte der Groschen einfach nicht endgültig fallen.
 

„Als wüsstest du das nicht...“
 

Die weibliche Stimme war zum Ende des Satzes hin immer leiser und gebrechlicher geworden, bis sie nur noch ein Flüstern war, sodass Horohoro sie kaum mehr wahrnehmen konnte. Nur das sie zutiefst traurig klang, konnte er mitfühlend erkennen.

Ja, denn auch er kannte diese Art von Traurigkeit, die diese leidende Stimme ausstrahlte. Sicher fühlte sie den selben Schmerz wie er, tief in sich drin.

Mit Samtpfoten begann sich der Ainu aufzurichten, versuchend die noch immer flüsternde, so verdammt vertraute Stimme ausfindig zu machen. Er war schon so neugierig geworden, dass er seine eigenen aufgebrachten Gefühle, die ihm zuvor fast schon den Atem geraubt hatten und ihn übermannen wollten, hinter sich ließ. Geduckt kam er leisen Schrittes den vielen dichten Sträuchern und Bäumen immer näher, die am Ende des Asakuragartens standen und ihm immer wieder nur zu gerne Probleme bei der Gartenarbeit machten.

Langsam wurde die Stimme des Mädchen wieder lauter, weswegen er sich sicher sein konnte, dass er diese beiden, ihm sehr wohl bekannten Menschen, bald zu Gesicht bekommen würde.

Ein leises Rascheln ließ ihn dann aber an Ort und Stelle verharren, aus Angst, man habe ihn entdeckt. So lehnte er sich mucksmäuschenstill an eine Baumrinde und lauschte mit gespitzten Ohren.

Doch was er dann mitbekam, ließ ihm den Atem stocken.
 

„Das alles weiß ich doch, Anna... Aber....“

„Bitte Ren, lass mich los. Du musst das verstehen.“

„Ich kann aber nicht!! Das hier ist... das erste Mal, dass ich solche Gefühle habe!! Woher soll ich denn bitte wissen, wie ich damit umgehen soll, wenn du dich von mir abwendest?“

„Ren... ich....“

„Anna. Sieh mir in die Augen und sag mir, wieso du das tust!!“

„Ich... Ich habe mich zu sehr von meinen Gefühlen treiben lassen... Niemals hatte ich die Absicht, dass ich dich dann einfach so verletze, aber.... Yoh...!!“

„Liebst du Yoh?“

„Ren, ich kann ihn nicht auf diese Weise verlassen. Nach all dem, was er für mich getan hat... Yoh ist...“

„Das habe ich nicht gefragt!! Liebst du ihn? Liebst du Yoh?!“

„Nein!!! Nein, nein!!!! Ich... ich liebe dich, Ren... I-ich...“
 

Annas Stimme verstummte augenblicklich.

Horohoros ganzer Körper, jede einzelne Faser schrie auf, er solle das nicht tun. Sein Körper wehrte sich mit allen ihm zur Verfügung gestellten Mitteln, doch der Ainu wollte, nein er musste es einfach tun!!
 

Schau nicht nach, schau auf keinen Fall nach!!!
 

Horohoros Augen weiteten sich bei dem, was er erblickte. Mit einmal Mal verspürte er, wie sein Herz mit gröbster Gewalt in Zwei gerissen wurde und jemand ohne Mitgefühl darauf herum sprang, ihn auslachte und verhöhnte.

Seine große, erste und einzige Liebe Ren Tao küsste ein Mädchen!!!

Und nicht nur irgendein Mädchen. Nein, es war Anna Kyouyama persönlich, welche er an sich gezogen und mit Leidenschaft küsste, als wollte er sie nie mehr loslassen.

Schwer atmend wusste der Ainu nun, was Tamao ihm zuvor sagen, weswegen sie ihn warnen wollte.
 

Mach dir keine falschen Hoffnungen.
 

>>>>

Ungeduldig lief Yoh Asakura immer wieder auf und ab, sein Blick huschte wieder und wieder an der Uhr vorbei, die leise tickend an der Wand hing.

Sie war schon viel zu lange draußen, dafür dass sie nur kurz nach Horohoro schauen wollte. Was genau konnte denn dermaßen lange andauern?

Der Braunhaarige blieb vor der Wohnzimmertür stehen. Mit nachdenklichen Blick versuchte er zu hören, ob seine Verlobte vielleicht gerade den Ainu verprügelte oder anschrie. Vielleicht auch beides, man wusste ja nie.

Aber es war nichts zu hören. Nichts bis auf das leise rhythmische Ticken des Zeitmessers, welcher sich hinter ihm befand.
 

Sollte er einen Blick riskieren?
 

Nein!! Was dachte er da schon wieder?!

Yoh schlug sich mit der flachen Hand selbst gegen die Stirn. In letzter Zeit schien er paranoid zu werden und er konnte sich nicht einmal erklären, woher das stammte.

Aber dieses Gefühl, dass ihn jedes mal beschlich und sich tief in der Magengegend ausbreitete, wenn Anna zu lange nicht an seiner Seite war, konnte er einfach nicht unterdrücken. Es war stark, viel stärker als alles andere, das er jemals gefühlt hatte. Er konnte es nicht einmal benennen, geschweige denn beschreiben.

Dennoch war es da und es brannte schmerzhaft im tiefsten seines Inneren, wie eine Vorahnung. Eine Ahnung, dass etwas nicht stimme.

Das etwas mit seiner Beziehung zu Anna nicht stimmte.

Manchmal war er der Ansicht, dass ihm das hübsche blonde Mädchen etwas verbarg, ein Geheimnis, dass sie mit niemandem teilte.
 

Oder nur nicht mit ihm selbst.
 

Wieder schüttelte Yoh seinen braunen Haarschopf, in der Hoffnung, diese Gedanken würden verschwinden. Er wollte seiner Verlobten nicht misstrauen. Das war alles andere als das, worauf man eine Beziehung, nein, sogar eine baldige Ehe aufbauen sollte.

Dennoch war sich der Japaner sicher, dass er es nicht mehr lange hier im Wohnzimmer aushalten konnte, sondern einfach nach seiner großen Liebe suchen würde.
 

Yoh schreckte aus seinen Gedanken auf. Schritte!!

Erleichtert öffnete er die Tür, in Erwartung die geliebte Frau zu sehen und sie sehnsüchtig in die Arme schließen zu können.

Doch es war niemand anders als Horohoro, der da nun vor dem braunhaarigen Jungen stand.
 

„Horoho....“

Der Ainu schwieg, ließ den Kopf hängen, schien nicht einmal den Freund vor sich wahrzunehmen.
 

„Alles in Ordnung?“

Yoh blickte besorgt auf sein Gegenüber, hatte seine eigenen Probleme die an ihm zerrten, schon längst in einen anderen Ecken seines Bewusstseins gedrängt. Doch noch ehe er wieder die Stimme heben konnte, bemerkte er, dass Anna und Ren ebenfalls den Flur betreten hatten.

„Was ist denn hier los?“, hob die Blonde ihre Stimme an und blickte mit gehobenen Augenbrauen auf Horohoro, welcher noch immer im Türrahmen des Wohnzimmers stand und somit den Weg blockierte.
 

„Tss, sieht ziemlich nach Stau aus...“, bemerkte Ren arrogant, ehe er sich der Treppe zuwandte.

„Höchstens Gefühlsstau....“, murmelte der blauhaarige Junge, ehe sich sein Blick zum Chinesen wendete.

„Das müsstest du ja verstehen, nicht wahr Ren?“

Ren verharrte an Ort und Stelle. Wie war das denn gemeint?

Irritiert blickte der Junge in die so unnatürlich finsteren blauen Augen, mit welchen sein Gegenüber in betrachtete, fast schon durchbohrte. So viele Fragen und missbilligende Antworten hatte der Dunkelhaarige auf Lager, aber er war einfach nicht in der Lage etwas zu sagen.
 

„Wie meinst du das?“, fragte schließlich Yoh nach, welcher nicht ganz verstand was Horohoro da gerade gesagt hatte.

„Wie ich das meine?“

Der Ainu hatte sich wieder Yoh zugewandt und blickte ihm höhnisch in die Augen.

„Du verstehst wirklich gar nichts Yoh. Du siehst nicht einmal, was sich in deinem eigenen Haus abspielt!! Hast du eine Ahnung, was deine liebliche Verlobte hinter deinem Rücken treibt? Was passiert, wenn sie die Tür hinter sich schließt?!“
 

Horohoro wurde gegen Ende immer lauter. Er konnte, nein er wollte auch gar nicht in einer anderen Lautstärke sprechen. Schon zu lange hatte er Stillschweigen bewahrt. All seine Gefühle hinter einer dicken Mauer zurückgehalten, da ihm die Freundschaft zu den Bewohnern des Gasthauses wichtiger gewesen war.

Immer und immer wieder waren seine Gedanken dazu gewandert, was seine Freunde von ihm halten würden, wenn sie um sein Innersten wussten. Wie sie reagieren würden. Es hätte sie verletzen oder bedrücken können.

Ja, Horohoro war wahrlich zu nett, immer auf die Anderen bedacht hatte er nicht ein Sterbenswörtchen gesagt.

Dabei war es schwer, unerträglich sogar. Er lebte in ein und dem selben Zimmer mit der Person, die sein Herz auserwählt hatte. Mit dem Menschen, den er um alles in der Welt liebte, den er begehrte wie keinen Zweiten.
 

Sein Leben hätte er für ihn gegeben!!
 

Horohoro liebte Ren, er konnte sich ein Leben ohne diesen an seiner Seite gar nicht mehr vorstellen. Es war unmöglich ohne ihn einen Tag weiter zu leben!!

Dennoch, dennoch...!!!!!!!
 

Er hatte nichts gesagt, versucht sich nichts anmerken zu lassen. Immer wieder nur aus Rücksicht!!!

Und wie dankte man ihm das alles?!

Man stach ihm heimlich ein Messer in den Rücken und drehte es auch noch mehrmals um, damit er diesen Schmerz auch ja nicht vergessen würde. Damit er niemals wieder diese elendigen Gefühle, die schmerzenden, atmenraubenden und grausamen Tatsachen die sich in ihn brannten, vergessen konnte.

Er fühlte sich schwer. Entsetzlich schwer und dennoch so leer. Schon viel zu lange hatte er alles in sich reingefressen. Und nun war es an der Zeit!!
 

Für Anna und Ren zählte nur ihr eigenes Verlangen. Die Gefühle ihrer Mitmenschen waren ihnen doch egal. Wie er und auch Yoh sich fühlen würden, daran hatten sie nicht einmal einen Gedanken verschwendet.
 

Nun aber war Schluss!!!!
 

Horohoro war lange genug freundlich und Jedermanns Kumpel gewesen, er hatte genug gelitten und sich selbst hinten angestellt. Jetzt war es an den Anderen zu leiden!!!
 

„Ich werde dir etwas verraten Yoh.“

Mit einem unheimlichen Funkeln in den Augen, hatte er seinen Gesprächspartner anvisiert. Die beiden Anderen, die sich im Flur befanden, ignorierte er einfach.

Für ihn zählte nur eines: er wollte Yohs geschocktes Gesicht sehen!!
 

Er wollte sehen, wie sich der Schmerz in die Gesichtszüge seines Freundes schlich. Ein Gefühl, dass er einfach nicht unterdrücken konnte, ein Verlangen stärker als jedes Andere.
 

„Deine liebe Verlobte Anna Kyouyama macht klammheimlich mit deinem besten Freund Ren Tao rum. Und das in deinem eigenen Garten.“
 

Der Ainu konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als er genüsslich dabei zusah, wie sich Yohs Pupillen bei jedem seiner Worte weiteten. Wie sie den Schmerz ausstrahlten, den er selbst all die Zeit verspürt hatte.

Endlich!! Endlich war nicht mehr er es, der hier wie ein Hampelmann alles abbekam, der alles allein erdulden musste. Nein, nun waren die anderen an der Reihe zu bluten!!!
 

„Was...?!“

Yoh konnte es noch gar nicht fassen, taumelte ein paar Schritte nach hinten, konnte sich aber dennoch fangen und schaffte es, seinen glasigen Blick auf Anna zu richten, deren Züge ebenfalls schmerzverzerrt die Wahrheit an Horohoros Worten erkennen ließen. Diese blank liegenden Emotionen die sie ausstrahlte, wie man es nicht von ihr kannte.

Es war, als würde der braunhaarige Japaner in ein Buch blicken, dass ihm direkt ins Gesicht schleuderte, was er niemals zu denken gewagt hatte: Anna Kyouyama, seine Verlobte, der Mensch den er über alles liebte, betrog ihn!!!
 

„A-Anna...?! .... Wieso...?“

Tränen verschleierten seinen Blick auf das Mädchen, dass zitternd die Hände vor ihr leichenblasses Anlitz geschlagen hatte. Seine brüchige Stimme, flüsterte es immer wieder.
 

„Wieso...wi...eso?!“
 

Anna begann zitternd den Kopf zu schütteln, als wollte sie damit jegliche Schuld von sich weisen. Das sonst so wortgewandte junge Mädchen, welches nichts auf sich hatte sitzen lassen und immer galant mit dem Kopf durch die Wand lief, brachte nicht ein Wort über ihre bebenden Lippen.
 

„WIESO?!!“
 

Ihr Verlobter hingegen hatte seine Stimme in voller Lautstärke zur Verfügung und nutze sie dazu, seine am Boden verstörte zukünftige Braut noch weiter in Tränen aufzulösen.
 

„Warum tust du mir das an?! Sag, dass das nicht wahr ist!! Sag es, sag es, SAG ES!!!!“
 

Immer lauter und fordernder brachte Yoh seine Gedanken hervor. Sie überschlugen sich schon fast, doch er wollte das nicht wahr haben. Das durfte nicht wahr sein, das konnte nicht...!!!

Mit einem Mal wurde es Yoh klar: es stimmte und nichts konnte etwas daran ändern.
 

Es war wahr!!! Die einzige Wahrheit.
 

„Nein....“

Seine Stimme glich einem Wimmern. Kaum hörbar, aber dennoch vorhanden.

Der Mensch, den er am Meisten auf dieser Welt liebte, hatte ihn betrogen und belogen. Obwohl er ihr alles gegeben hatte, was er zu Verfügung hatte, obwohl er alles getan hatte, was er für sie hatte tun können.... es war einfach nicht genug gewesen.
 

Sie liebte einen Anderen.
 

Nun wusste Yoh, was es hieß, wenn man Liebeskummer hatte. Wenn einem das eigene Herz aus dem Leibe gerissen wurde, nur um darauf herum zu trampeln. Um es zu zerreißen, in zwei Hälften. Nein, in hunderte kleine Stücke!!!!

Es war grausam, so grausam. Er konnte nichts tun, nichts daran ändern. Etwas das geschehen war, konnte man nicht einfach ungeschehen machen!!!
 

Schluchzend krallten sich Yohs zittrige Finger in seine Haare, ehe er taumelt gegen die Wand fiel. Der Schmerz breitete sich aus, fühlte sich an wie ein Pflock, den man ihm mit gröbster Gewalt in den Brustkorb gehämmert hatte. Die Tränen konnte er nicht mehr zurück halten, sie liefen ungehalten in Strömen seine schon nassen Wangen hinunter. Sie waren warm und doch fühlten sie sich entsetzlich kalt, eiskalt an, als sie an Yohs Händen hinabliefen und schließlich auf den Boden tropften.
 

Man hatte ihn ausgenutzt, ihn betrogen und heimlich hinter seinem Rücken über ihn gelacht. Er war nur ein dummes Spielzeug gewesen, ein Hindernis, das man aus dem Weg räumen musste. Seine Gefühle waren niemandem wichtig gewesen, niemand hatte darauf Rücksicht genommen, niemand hatte sich Gedanken darüber gemacht, was mit ihm geschehen würde, was er ertragen müsste!!!!

Niemand, niemand, niemand, NIEMAND!!!
 

Durch alle seine unendlich scheinende Traurigkeit, die ihn aufzufressen drohte, bohrte sich die Wut hindurch. Eine Wut, wie er sie noch niemals gefühlt hatte, wie er sie nie in sich getragen hatte. Sie schrie ihm zu, lass mich raus, lass mich, lass mich!!!

Es brannte, es brannte entsetzlich, heißer als jedes Feuer, heißer als alles, was es auf dieser Welt gab. Und nichts konnte es aufhalten!!!!
 

„Yoh...“

Anna hatte ihre Tränen allmählich wieder im Griff und versuchte sich, dem Menschen, der all die Jahre für sie da gewesen war, zu nähern. Langsam und zögernd lies sie ihre Hand zu dem braunhaarigen Japaner gleiten.
 

„Fass mich nicht an!!!“
 

Wutentbrannt schlug Yoh die Hand seiner Verlobten zur Seite. Diese zuckte sogleich zusammen. Diese Reaktion war das Letzte gewesen, dass sie erwartet hatte. Auch Ren und Horohoro, dem sein Grinsen auf der Stelle vergangen war, wichen einige Schritte zurück.
 

„Was glaubst du eigentlich wer du bist...“

Der Japaner hatte Anna fixiert und sein Blick schien, als würde er ihr am liebsten an die Gurgel springen. Sie würgen, erwürgen!!!

„Was glotzt du so bestürzt?! Ich bin es, der von dir, von euch allen betrogen wurde!!! An MIR wäre es, bestürzt zu sein. Hast du denn allen ernstes geglaubt, ich würde dir entgegen lächeln, nach dem, was du mir gerade antust?! Dachtest du, ich würde deine widerliche Beziehung zu Ren gutheißen, dir vergeben? Dir und diesem Kerl?!!!“
 

Entschlossenen Schrittes war Yoh auf Anna zugegangen, hatte sie an den Schultern gepackt, damit sie nicht klammheimlich verschwinden konnte. Festen Griffes stierte er ihr unmittelbar in die Augen. Seine hasserfüllten braunen Augen brannten sich in die ihren ein, ihre verzweifelten, weit aufgerissenen Seelenspiegel.

Yohs Griff wurde fester.

„Du hast das also wirklich geglaubt? Du hast... du...!!!!“
 

Weit holte Yohs rechter Arm aus. Geschockt blickte Anna dem entgegen, was ihr nun blühte. Er wollte sie schlagen!!! Yoh wollte...!!!!
 

„Lass sie los!!!!“
 

Ren war nun endlich eingeschritten. Er hatte nicht fassen können, wie Yoh, sein Freund, sich hatte so gehen lassen. Sich hinreißen ließ, Anna zu schlagen!!
 

„Du...!!“, funkelte Yoh schließlich und drückte Anna mit seinem linken Arm von sich, sodass sie gegen die Wand prallte.

Angewidert starrte Yoh auf die Hand Rens, mit der er verhindert hatte, dass die Blonde nun auch noch Opfer häuslicher Gewalt wurde.
 

„Yoh, komm endlich wieder zu dir!! Das bist doch nicht du!“, schrie Ren ihm Gesicht, ehe sich Yoh von ihm losriss.

„Was weißt du schon?! Du hast keine Ahnung wie ich wirklich bin!!! ICH war es doch gar nicht, der dich interessierte, warst wohl schon immer scharf auf MEINE Verlobte, nicht wahr? Bist du deswegen zu uns gekommen? Um mit der Frau die ich liebe rumzuvögeln?!!!“
 

Das war zu viel. Ren langte kräftig zu, sodass es nun Yoh war, der nähere Bekanntschaft mit der Wand schloss. Schallernd konnte man den Schlag im ganzen Haus hören, ehe Yoh gegen die Wand krachte.
 

„Was laberst du da eigentlich?!“

Ren kochte vor Wut und seine eisig kalten Augen fixierten den Braunhaarigen, welcher sich keuchend das Blut von der Lippe wischte.
 

„Denkst du denn, ich hätte all das nur vorgetäuscht? Das ich mich geändert habe und Freundschaft mit dir und den Anderen geschlossen habe? Das es mir nur um Anna ging?!!!

Da liegst du falsch, sogar sehr falsch!!!! Ich konnte doch nicht ahnen, dass ich mich verlieben würde und dann auch noch ausgerechnet in...!!!“
 

Rens Gesichtsausdruck nahm Emotionen an, die er zuvor niemals im Leben gezeigt hätte. Mit schmerzverzerrtem Gesicht blickte er wieder zu Yoh, der noch immer auf dem Boden saß und sich die schmerzende Wange mit der Hand hielt.
 

„Yoh...“

Die Stimme des Chinesen klang weich, zittrig, als würde sie drohen in sich einzufallen.

„Ich wollte dir niemals wehtun! Wir sind doch Freunde...“

„FREUNDE?!“
 

Mit einem Ruck stand Yoh wieder in voller Größe vor dem Dunkelhaarigen und blickte wütender denn je auf ihn herab.

„Freunde würden so etwas niemals tun!!! Du bist nicht mein Freund, du bist nichts weiter, als ein dreckiger Mörder!! Ein Mörder, welcher noch immer ein widerlicher Mörder wäre, wenn es MICH nicht gäbe!!!! Du hast mir alles zu verdanken, was du jetzt besitzt und das ist dein Dank?!

DAS IST DEIN DANK?!!!!“

Hasserfüllt blickte er dem Chinesen direkt in die Augen.
 

„Ich wünschte, ich hätte dich damals getötet, als ich die Chance dazu hatte!!“
 

Geschockt konnte Ren nur noch auf den Punkt starren, an dem ihm sein Gegenüber zuvor noch seinen Hass entgegengeschrieen hatte.

Wieso? Wieso?!!!
 

Yoh hatte sich derweil wieder Anna zu gewendet, die ihm auf wackeligen Beinen verschrocken entgegen sah.

Das war nicht Yoh. Das war NICHT Yoh!

Das konnte er nicht sein. Wie er sie anstierte, als wäre er verrückt geworden, mit soviel Hass, soviel Wut. Solch einen düsteren, angsteinflößenden Blick kannte sie nicht von ihm.

Wo war nur das Lächeln hin, dass sie schon immer auf eine gewisse Art und Weise beruhigt hatte? Das ihr immer wieder zu verstehen gegeben hatte, dass alles Gut werden würde, dass nichts Schreckliches mehr geschehen konnte?
 

Anna wusste, dass es falsch gewesen war, einfach eine Beziehung mit Ren begonnen zu haben, ohne Yoh darin einzuweihen. Zu groß war die Angst gewesen, was geschehen würde, wenn sie ihm hätte sagen müssen, dass sie einen Anderen liebte.

Das sie Ren Tao liebte und nicht den Mann, der die ganze Zeit über bei ihr gewesen war. Der immer alles tat, um ihr helfen zu können. Aus Angst hatte sie es verschwiegen, ihm weiterhin ihre schon längst erloschene Liebe vorgespielt.
 

Ja, es stimmte:

Anna Kyouyama war feige gewesen. Und sie war noch immer feige!

Kein Wort brachte sie heraus. Aber es gab auch keine Worte die angemessen waren. Die all ihre Schuldgefühle hätten ausdrücken können. Es gab nichts, dass sie genügend und ausführlich genug hätte schildern können.
 

Nichts!!
 

Doch genauso wenig gab es Worte dafür, Yohs Schmerz zu lindern. Ein einfaches „Entschuldigung“ wäre niemals ausreichend. NIEMALS!!

Dafür hatte sie ihn zu sehr verletzt.
 

„Yoh...“, wimmerte sie so leise, dass der Junge vor ihr sie nicht einmal hören konnte.

Verschwommen konnte sie erkennen, wie er wieder die Hand hob. Wollte er sie schlagen? Wollte er sie nun endlich erwürgen?

Sie wusste es nicht. Sie wusste überhaupt nichts mehr!!!

Ihr Kopf war so leer. Was war richtig, was war falsch?

Hatte sie es nicht verdient, dass Yoh seine Wut an ihr ausließ? Hatte sie nicht verdient, die selben grausamen Schmerzen über sich ergehen lassen zu müssen?

Anna war es gewesen, die ihn dermaßen verletzt hatte, sie hatte ihm diese Qualen auferlegt.
 

Nur sie!!
 

Sollte er sie doch erwürgen!! Sie hatte nichts anderes verdient!!

Und dennoch, war da die Angst. Sie zerrte an Anna, ließ sie am ganzen Körper zittern, als die Hand Yohs ihr immer näher kam. Krampfhaft schloss sie ihre verweinten Augen, darauf hoffend, dass der Tod nicht so schrecklich war, wie alle immer sagten.

Doch statt des Schlages, spürte die junge Japanerin nur eine Hand, die ihr sanft über das Gesicht strich.

Irritiert schlug sie zaghaft die Augen auf.

Yoh stand vor ihr, sein Blick so weich, sein Gesicht vollkommen übergossen von Tränen.

„Anna...“, hauchte er weinerlich.

„Ich liebe dich... ich liebe dich!!! Ich werde dich immer lieben!!“

Wieder kamen die Tränen, kullerten eine nach der anderen über seine Wangen.

Diese Worte waren nicht gelogen. Sie waren das, was Yohs Innerstes beherrschte, das was ihm so sehr zusetzte. Jetzt, da er von der Verbindung Annas mit Ren wusste.
 

Wieso nur? Wieso ließ Yoh sie nicht dafür bluten, was sie getan hatte?

Noch immer war er dieser gütige Mensch, der es nicht über sein Herz brachte, die Frau zu verletzen, die er liebte.

Dabei hatte sie es verdient!!!

Sie, die ihn...!!!
 

„Nein.... nein...“

Wirr schüttelte Anna ihren Kopf, trat einige Schritte zurück.

„Du darfst mir nicht vergeben und schon gar nicht, darfst du solche Worte an mich richten!! Das ist... falsch... Das ist....!!“

Schnell schlug sie die Hände vor den Mund, ehe sie sich wegdrehte und davon lief.
 

Yoh starrte dem Mädchen nur entgeistert nach, ehe seine Gedanken sich ordnen konnten.

„Anna!!!“

Schnellen Schrittes lief er ihr nach, stolperte über ein paar der Schuhe am Eingang, raffte sich wieder auf und eilte dem Mädchen, dem sein Herz gehörte hinterher.
 

Zurück blieben Ren und Horohoro, welche nichts hatten tun oder sagen können.

Was geschehen war, was in dieser kurzen Zeit wirklich geschehen war, vermochte keiner von beiden zu sagen. Nur ein paar Worte hatten ihr Glück zerstört.

Glück?

War diese Seifenblase, in der sie gelebt hatten, wirklich... Glück?
 

„Ren...“

Horohoro wandte seinen Blick dem Chinesen zu, der noch immer stillschweigend dastand.

„Ren, ich...“

Ehe er weiter sprechen konnte, schlug der Chinese mit aller Kraft gegen die Wand. Der Ainu schreckte zurück und verstummte auf der Stelle.

„Schei...“, konnte er den Jungen vor sich flüstern hören.
 

Wie mochte es dem anderen jetzt gehen?

Wie fühlte er sich?

Auf einmal spürte Horohoro, wie es ihm unsagbar schwer ums Herz wurde. Es breitete sich immer weiter aus, bis er verstand, woher dies rührte.
 

Was hatte er nur angerichtet?
 

Wieso nur hatte er seinen Verstand so in den Wind geschlagen und warum nur hatte er seinen Freunden solche Schmerzen zufügen wollen? Was in aller Welt hatte ihn nur geritten, dieses Geheimnis auszusprechen, dass Ren und Anna bewahrt hatten?

Warum, warum?!
 

„Warum?“
 

Horohoro schreckte aus seinen Gedanken heraus. Vor ihm stand der Chinese, keine zwei Schritte von ihm entfernt und blickte ihm ernst in die Augen.

„Ren...“, entkam es dem Mund des Ainus und er bemerkte, wie ihm das Herz bis zum Hals schlug. Diesmal aber nicht, weil der Mensch den er liebte vor ihm stand.

Nein, das war Angst.

Die Aufregung wegen dem, was nun kommen würde.
 

„Warum hast du das alles Yoh gesagt?“

Noch immer klang Ren ruhig, fast schon monoton, als würde er überhaupt nichts fühlen. Sein Blick war fest, aber auch so furchtbar leer.

Horohoro konnte diesem Ren, wie er ihn überhaupt nicht kannte, nicht ins Gesicht blicken. Das konnte er einfach nicht aushalten!!
 

„Sag es mir. Warum?“

Noch immer wollte er eine Antwort auf diese Frage. Er stellte sie beharrlich weiter, ohne Unterlass. Dabei erinnerte er schon fast an eine kaputte Schallplatte.

Warum? Wieso? Was sollte das?
 

Woher sollte er das wissen?!
 

Horohoro verstand es selbst nicht. Er konnte nicht sagen, was da geschehen war, weshalb er seinen Mund nicht halten konnte. Er war aufgebracht gewesen.

Ja, der Blauhaarige erinnerte sich, dass er einfach nicht mehr weiter schweigen konnte, dass alles in ihm danach geschrieen hatte, dieser ganzen Sache ein Ende zu bereiten.

Es waren Schmerzen gewesen, die mit keiner Folter der Welt vergleichbar gewesen waren.
 

Es hatte so geschmerzt, dass es ihm selbst schon unheimlich gewesen war. Und dann, dann.... hatte er sich auch schon sprechen hören. Sich selbst, wie er die Worte in den Mund nahm, die alles so schwer gemacht hatten, die alles ruinierten, was er zuvor zu schützen versucht hatte.

Aber wieso? Wi....?!
 

„Sag es mir Horohoro.“

Ren blickte ihm noch immer entgegen, als der Ainu seinen Kopf hob und dem Jungen vor sich ebenfalls in die eisigen gelben Augen starrte.

Ja, er tat das, weil....
 

„Weil ich dich liebe Ren.“
 

Traurig schaute er dem Chinesen in die Augen und schon spürte er, wie ihm die Tränen hochkamen, Eine nach der Anderen seine Wangen herab glitt. Sein Körper begann zu zittern, wie im tiefsten Winter, als er den irritierten Blick Rens bemerkte, der nun auf ihm ruhte. Der Chinese schien nicht zu verstehen.
 

„Ich liebe dich Ren.“, wiederholte der Ainu leise und wischte sich über die feuchten Augen.

„Ich liebe dich mehr als alles Andere, deswegen... konnte ich nicht ertragen dass... du...“

Weiter konnte er nicht mehr sprechen. Das brachte er nicht über seine Lippen. Das konnte er nicht!!

Noch immer starrte ihn Ren ungläubig an. Er verstand und glaubte es noch immer nicht.

Sanft strich Horohoro dem Jungen über die Wangen, ehe er sich ihm immer weiter näherte, bis seine Lippen, die des Anderen berührten.
 

Schockiert riss Ren seine Augen weit auf, nun hatte er verstanden, was der Ainu ihm hatte mitteilen wollen.

Nein, nein!!!
 

„Nein!!“

Der Chinese schlug Horohoro hart zur Seite. Das wollte er nicht!! Das waren nicht die Lippen, die er berühren wollte!! Diese Person war nicht der Mensch, für den sein Herz schlug.

In seinem Inneren schlängelte sich allmählich spürbar etwas in ihm hoch. Ekel? Hass?
 

Nein, Schande!!
 

Die Schmach, nichts gegen diesen Kuss unternommen haben zu können, obwohl der Andere ein Junge war, obwohl es nicht der Mensch war den er liebte.

Die Schmach, welcher er sich nun ausgesetzt fühlte, war für ihn nur noch eine Last mehr, die er nun zu tragen hatte.

Ein undefinierbarer Blick hatte sich in Rens Gesicht gebildet. Er wusste nicht, ob diese Gefühle die ihn übermannten gut oder schlecht waren, er wollte nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob er damit seinem Gegenüber, seinem Freund weh tat.

All das war in diesem Moment auch gänzlich unwichtig!!!
 

„Ich kann... deine Liebe nicht erwidern.“

Kühl betrachtete er den am Boden liegenden Blauhaarigen, welcher ihn aus leeren Augen anblickte. Nichts mehr sagen und nichts mehr tun konnte. Vielleicht auch nichts mehr spürte...

Ein trostloser Anblick.
 

Erbärmlich wie er war, saß er einfach da, vermochte nichts mehr zu tun. Konnte nicht einmal mehr den Chinesen, den Menschen der sein Herz gestohlen hatte, daran hindern zu gehen.

Einer Anderen nach zu laufen.

Horohoro fühlte nichts mehr. Eine unendliche Leere hatte Besitz von ihm ergriffen und mit einem Mal, war ihm klar, dass er alles falsch gemacht hatte.

Er hatte sich selbst belogen. Sich vorgemacht, er würde den Anderen sein Innerstes verschweigen, um diese zu schützen. Um ihnen unnötiges Leid zu ersparen. Weil er den Zustand, den Zustand der einfachen Freundschaft beibehalten wollte.
 

Alles Lüge!!
 

In Wirklichkeit hatte er Angst gehabt. Angst davor, wie die Anderen reagieren würden. Würden sie ihn nicht mehr mögen, wenn sie wussten, dass er nicht „normal“ war? Das er homosexuell war und einen von ihnen liebte?

Zusammen hatten sie schon so viel unternommen. Schwimmen, baden,.... Was, wenn sie ihn ausschließen würden? Ihn einfach hätten links liegen lassen?

Und Ren. Wie hätte Ren darauf reagiert?

Angst, Angst... Immer diese Angst!!

Er war ihr erlegen, hatte sich weiß gemacht, alles aus Rücksicht zu verheimlichen um seine eigene Schwäche zu verbergen.
 

Oh ja, Horohoro war schwach. Er war unendlich schwach. Und diese Schwäche war es, die alles kaputt gemacht hatte.

Warum nur?

Hätte er doch nur etwas gesagt!! Vielleicht hätten auch dann Anna und Ren Mut gehabt, zu ihren Gefühlen zu stehen. Natürlich hätte es an einem Streit nichts geändert und auch die Schmerzen der unerwiderten Liebe würden zweifellos genauso stark an einem zerren, doch...
 

Horohoro schlug die Hände vor sein Gesicht. Es machte keinen Unterschied zu dem hier und jetzt, wenn er andere Lösungen suchte zu einem Problem, dass längst explodiert war. Welches ein Ausmaß entsetzlicher Größe angenommen hatte.

Was sollte er nur tun?!

Was nur? Was nur??!
 

>>>>

Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, seit er Anna hinterher gelaufen war. Aber es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, als er das letzte Mal in ihr liebliches Gesicht hatte blicken können. Es schmerzte so sehr, so schrecklich, sie nicht in seiner Nähe zu wissen. Es grenzte schon an körperliche Qualen, sodass Ren nur noch einen Gedanken kannte:

Er musste Anna finden!!!
 

Sein Gefühl sagte ihm, dass er mindestens schon tausend Wege abgelaufen sein musste. Seine Lunge schmerzte, als hätte man versucht ihn zu ertränken und seine Beine drohten ihm, ihren Dienst zu verweigern, weswegen er widerwillig eine Pause einlegen musste.

Keuchend lehnte er sich an eine Mauer, sein Blick durchsuchte unruhig die dunklen Gassen, immer in der Hoffnung, den blonden Haarschopf zu entdecken, welchen er sich sehnlichst an seine Seite wünschte.
 

Annas Gesicht hatte so viel Qual ausgedrückt. Gefühle, die sie all die Zeit immer wieder unterdrückt haben musste. Gefühle, die sie niemals jemanden hatte zeigen wollen.

Immer wieder hatte er das Bild vor Augen, wie sie tränenüberströmt das Haus verlassen hatte, so gebrechlich wirkend, so allein und unendlich verletzt.

Ren wünschte sich, er könnte sie in die Arme nehmen, sie beschützen, ihr Leid lindern!!!

Er wollte sie spüren, ihre weiche zarte Haut, ihre wohltuende Wärme. Ihren Atem auf seiner Haut, während ihr Herzschlag an seiner Brust ihn beruhigte und ihm versicherte, dass sie bei ihm war.

Das es ihr gut ging.
 

Ren erschrak vor seinen eigenen Gedanken.

Wann hatte es begonnen?

Wann war Anna zu etwas geworden, ohne dass er nicht mehr leben konnte und auch nicht mehr wollte?

Wie war es nur dazu gekommen, dass er sich ein Leben ohne dieses Mädchen nicht mehr in seinen kühnsten Träumen vorstellen konnte?

Wieso nur, war er so abhängig von ihr geworden?
 

Fahrig strich er sich einige dunkle Haarsträhnen aus der verschwitzten Stirn.

Ein schwaches Lächeln schlich sich über seine Lippen, als er verstand.

Er suchte Anna nicht nur um ihretwegen, nicht nur, weil er sie vor allem Übel dieser Welt schützen und sie trösten wollte.

Nein, er brauchte sie!! Er brauchte Anna wie sonst niemanden auf dieser Welt. Sie war in dieser kurzen Zeit sein Ein und Alles geworden. Etwas, dass er zuvor nicht gekannt hatte, beherrschte nun sein ganzes Handeln und Denken.

Etwas, dass er zuvor als unwichtig und nicht existent gehalten hatte.
 

Liebe.
 

Ren liebte Anna.

Zuerst war es ihm nicht aufgefallen. Er hatte keinen Gedanken daran verschwendet, bis zu jenem Tag, als er Anna Nachts im Garten gesehen hatte. Das Licht des Mondes hatte sie beschienen und zum ersten Mal in seinem Leben hatte er bemerkt, dass sie ein Mädchen war.

Ihre zierliche Gestalt, das weiche Gesicht. Ihr Lächeln, dass sie so selten zeigte, dass es ihm allmählich den Atem rauben wollte, wenn er es doch einmal erhaschen konnte.

Ihre Stimme, die ihn zu Tagträumereien zwang, selbst wenn sie sich nur anschrieen.

Oh ja, was hatten sie oft gestritten.

Es war immer wieder aufregend, denn die Blonde war nie Jemand, der ohne weiteres nachgab, sondern zu ihrer Meinung stand.

Ihr ganzes Wesen verzauberte ihn immer weiter, ohne dass er es hatte aufhalten können. Und schließlich... hatte er sie eines Tages einfach geküsst.

Sie waren allein zu Hause gewesen, als die Anderen unbedingt hatten Einkaufen wollen (bzw. von Anna dazu gezwungen worden waren). Sie stritten sich um das Fernsehprogramm und plötzlich war es geschehen.
 

Wie geschockt sie ausgesehen hatte. Weit aufgerissene braune Augen hatten Ren damals angestarrt. Und tatsächlich lag dem jungen Chinesen eine Entschuldigung auf den Lippen, ehe sie ihn zu sich gezogen hatte.
 

In der ersten Zeit hatte Ren keinen einzigen Gedanken daran verschwendet, wie sich Yoh wohl dabei fühlen würde. Ren hatte es nie als Betrug angesehen, dass er sich heimlich mit Anna traf, sie küsste und umarmte. Ihre Nähe genoss und ihre Lächeln, welches sie ihm manchmal schenkte.

Doch nachdem er das erste Mal mit Anna geschlafen hatte, sie friedlich in seinen Armen schlief und sich an ihn schmiegte, da kam blanke Panik ihn ihm auf.
 

Was, wenn Yoh davon erfahren würde?!
 

Yoh Asakura war immerhin schon eine Ewigkeit mit Anna verlobt und es war nicht zu übersehen, dass er das Mädchen wirklich sehr liebte.

Und nun, da sie eine Beziehung mit ihm, Ren Tao begonnen hatte, ohne dass Jemand davon wusste...

Was würde er sagen? Was würde Yoh tun?
 

„Ren...“

Yohs Stimme riss den jungen Chinesen sofort aus seinen Gedanken.

Ren lief es eiskalt den Rücken herunter.

Wie lange stand der andere Junge schon hinter ihm?
 

„Ich nehme an, dass du sie wohl auch noch nicht gefunden hast?“, fragte Yoh ruhig, doch das Beben in seiner Stimme verriet, wie aufgewühlt er wirklich sein musste.

Seine Augen wirkten leer, als hätte man ihm nicht nur symbolisch das Herz aus dem Leib gerissen.

Ren zog sich die Brust zusammen, als er sich wieder einmal bewusst wurde, dass er selbst der Grund dafür war, dass Yoh nun mehr einem lebenden Toten glich, als dem vertrottelten, naiven Typen mit dem Dauergrinsen, welchen er damals kennen gelernt hatte.

Das Schuldgefühl, welches sich in ihn fraß, war so schwer und erdrückend, doch Ren hatte noch immer das Gefühl, dass es nicht ausreichte. Dass er noch viel mehr erleiden musste, um diesem Jungen gegenüber stehen zu dürfen.
 

„Es tut mir Leid, Ren.“
 

Ungläubig riss der Chinese die Augen weit auf.

Das war gerade nicht geschehen. Er musste sich verhört haben!!

„Es tut mir so Leid... ich... ich hab überreagiert und nicht daran gedacht dass... dass ihr...“

„Nein...“
 

Yohs Worte blieben ihm augenblicklich im Halse stecken. Auch wenn Rens Stimme so leise, kaum hörbar gewesen war, so hatte der junge Japaner sie so klar wie schon lange nicht mehr gehört.

„Hör auf damit Yoh. Hör auf, hör auf!“

Ren richtete sich nun auf, sein Gesicht zu einer Maske aus Wut verzerrt.
 

„Hör bloß auf damit!!“, schrie er und schlug zeitgleich gegen die Wand, gegen welche er eben noch gelehnt hatte.

„Das will ich nicht hören!! Du hast das verdammte Recht dazu sauer zu sein!! Du hast alles Recht dieser beschissen Welt, mir Vorwürfe zu machen und all deinen Hass gegen mich zu richten!! Also komm mir bloß nicht mit dieser Scheiße an!!!“
 

Ohne es selbst wirklich zu realisieren war Ren mehrere Schritte, fast schon bedrohlich wirkend, auf Yoh zugegangen und seine Stimme war sicherlich in der ganzen Gasse zu hören gewesen.

Doch noch bevor er sein Gegenüber ganz erreicht hatte, erschlafften seinen Schulter und mit ihnen seine Wut.

Verletzlichkeit spiegelte sich in den katzenähnlichen Augen und krampfhaft presste er nun seine Lippen zusammen.
 

„Du bist immer noch zu gutmütig... Asakura.“
 

Die Worte hallten noch immer in Yohs Ohren wieder, als Ren schon längst außer Sicht war.

Noch nie hatte er den Tao-Erben so gesehen. So schrecklich... einsam.
 

>>>>

Anna fühlte sich wie verfolgt von einem Raubtier, welches sie jeden Moment einholen und zerreißen würde. Sie hatte schon längst die Orientierung verloren. Wusste nicht mehr wohin sie sollte oder woher sie überhaupt gekommen war.

Schuld zerfraß sie, wie sie es nicht kannte, Gefühle kamen in ihr hoch, wie sie sie zuvor noch niemals gespürt hatte.

Wieso nur fühlte sie sich so elend? So schrecklich zerrissen und ausgebeutelt?

Was war es, dass sie auffraß und wieder ausspuckte, nur um sie am Boden liegen zu sehen und nochmals zuzutreten, wenn sie sich rührte?

Annas ganzer Körper bebte und schmerzte, ohne das sie den Grund dafür kannte. Sie hatte alles vergessen, nein verdrängt. Wollte nichts mehr wissen und nichts mehr hören.

Alles war so schwer geworden, so unerträglich!!!
 

Ihr Beine zitterten unerlässlich, weswegen sie schließlich einfach stehen blieb. Es war anstrengend zu laufen, sie wollte nicht mehr. Es sollte leichter werden!!

Leichter!!!!
 

Erschrocken drehte sie ihren Kopf, als ein helles Licht aufleuchtete. Ein warmes Licht, blendend und doch so sanft.

Ihre Arme, welche sie zuvor schützend um sich gelegt hatte, lösten sich aus der krampfhaften Umklammerung und ein Lächeln huschte ihr über das Gesicht.
 

Ja, das macht es einfacher, dachte sie sich und schloss ihre Augen.
 


 

>>>>

Es war danach mehrere Tage in den Nachrichten gewesen. Vielleicht kam es ihm aber auch nur so lange vor, da er es sich immer wieder in den Nachrichten ansah.

Den ganzen Tag über, immer und immer wieder.

Hatte eine der Sendungen geendet, so hatte er sofort auf den nächsten Sender geschaltet.
 

Er konnte es nicht glauben.
 

Als er sie zusammen mit Yoh leblos auf der Straße hatte liegen sehen.

Als er zusammen mit den Anderen im Leichenschauhaus gewesen war.

Als er mit den Anderen bei ihrer Totenwache gewesen war.

Als er mit Run an seiner Seite den Rauch zum Himmel schweben sah, als man sie verbrannte.

Und auch jetzt nicht. Jetzt, auf ihrer Beerdigung.
 

Er konnte es nicht glauben.
 

„Ren?“

Er reagierte nicht, drückte seine Fingernägel nur noch weiter in sein eigenes Fleisch.

Hände drückten ihn sanft zur Seite, sodass er schließlich in das Gesicht Yoh Asakuras blicken konnte. Ein Gesicht voller Trauer, so ausgemergelt und dennoch mit einem Hauch eines Lächeln.

„Wir sollten ebenfalls gehen.“
 

Vorsichtig umfasste Yoh Rens Hand und zog ihn vom Grab fort. Das Grab ihrer gemeinsamen Geliebten. Der Frau, welche sie liebten.
 

Und während Yoh ihn zu den Anderen zog, alle in ihre eigene Art der Trauer und Schuld gehüllt, wusste Ren, dass er niemals wieder Jemanden lieben würde.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück