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Große Klappe...

...nichts dahinter
von

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Große Klappe- nichts dahinter …oder?
 

„Alles läuft scheiße! Du verstehst rein gar nichts!“, ruft er aufgebracht.

Ich antworte nicht, und schaue ihn einfach nur mit schief gelegtem Kopf an.

„Ach, verpiss dich einfach, wie konnte ich nur! Darauf hätte ich mich niemals einlassen dürfen!“, mokiert er sich wütend über meine Anwesenheit. Er hätte sich niemals drauf einlassen sollen? Wie darf ich das denn verstehen?

Ich versuche in sein Gesicht zu sehen, aber er ignoriert mich.

Eigentlich sieht er echt hübsch aus, auch wenn er gerade so muffelig ist. Seine Augen sind eine hübsche Mischung aus dunklem, fast schwarzem Blau, mit einem Gelb wirkenden Ring um die Pupille. Ich mag seine Augen, gestern hatte ich endlich mal die Gelegenheit sie aus der Nähe zu betrachten.

Wenn auch stark alkoholisiert und daher bestimmt nicht so ausdrucksstark wie sonst: Sie waren (sind!) wunderschön!

Seine schwarzen Haare, die bestimmt über 10cm lang sind, fallen ihm immer locker ins Gesicht, aber nicht soweit, dass sie seine Augen verdecken. Egal wann ich ihn sehe, sie sind immer am perfektesten an ihm!

Sicher weiß ich es nicht, aber ich könnte mir vorstellen, dass er deshalb morgens Stundenlang das Bad blockiert.
 

Das macht aber nichts, denn er wohnt alleine. Am Anfang hatte ich es nicht geglaubt, aber er ist erst 20.

Erst. Nicht, dass ich mir da mit meinen 17 besonders viel rausnehmen kann, aber ich hatte ihn mindestens auf 24 geschätzt.

Er ist auch mindestens einen Kopf größer als ich. Mit seinen 1,80 cm komme ich mir wie ein Winzling neben ihm vor.

Bei einer eigenen Wohnung arbeitet er natürlich auch schon, richtig erwachsen also. Nicht wie ich, sich zu Hause von Mama und Papa durchfüttern lassen.
 

Er hat mir den Rücken zugewandt und zieht die Decke mit einem wütenden Zischen enger um seinen bloßen Körper, als er meine Blicke bemerkt.
 

„Ich hab dir gesagt, dass du dich verziehen sollst, du kleine Mistratte!“, schimpft er wieder.

Oh, wie nett.

Schon klar, dass er mir heute nicht seine unendliche Liebe gesteht. Aber doch zumindest ein wenig... freundlicher, das hätte er sein können. Ich gucke ihn mit großen Augen an. Ich habe keine Lust, jetzt schon zu gehen. Draußen ist es noch dunkel.

Das sagt aber nicht viel aus, denn es ist Winter. Da ist es immer dunkel.

Trotzdem ist es wirklich noch zu früh für mich. Ich wüsste um diese Uhrzeit auch gar nicht, wo ich hinsollte.

Nach Hause währe wohl auch unpassend- Mum und Dad gehen schließlich davon aus, dass ihr kleiner Schatz bei Tante Silke im schönen Sauerland ist.

Würde wahrscheinlich dumm kommen, wenn ich dann plötzlich auf der Matte stehen würde.
 

Selbstverständlich bin ich nicht bei Tante Silke- die praktischerweise erst knapp 10 Jahre älter ist als ich, und sich so mit mir verbündet hat. Sie hat mir ein Alibi gegeben, damit ich ein Wochenende tun kann, was ich will.

Ähm, nun ja, fast zumindest.

Sie weiß, wie streng ihr ältester Bruder und seine Frau sind- und dass ich daher so gut wie nie rausgehen darf um zu feiern.

Unter der Bedingung, dass ich bei einem Freund schlafe, haben wir ausgemacht, dass ich also einen Freifahrtschein für ein Wochenende habe, an dem ich tun kann was ich will, weil sie mich deckt.
 

Als ich die Sauerlandreise vorgeschlagen habe, waren Mum und Dad auch recht schnell zu überzeugen. Hinfahren müsse ich aber selber mit der Bahn, haben sie gesagt.

Ich wusste dass sie das sagen würden, und habe das also grummelnd akzeptieren „müssen“.

Ich armes Kind.
 

Und so habe ich getan, was wohl jeder in meiner Lage getan hätte: die Situation schamlos ausgenutzt.

Ich habe natürlich nicht bei einem Freund geschlafen, sondern mich auf die Suche nach meinem hübschen jungen Traummann gemacht. Es ist zwar dumm, es zu sagen, weil ich ihn kaum kenne, aber ich liebe ihn.
 

Ich sehe ihn oft, wenn ich von der Schule komme aus dem großen Bürogebäude gehen.

Er sieht mich nie, nur einmal, da sind wir zusammen gestoßen.

Ich bin natürlich im hohen Bogen auf meinen Hintern geknallt, weil ich den Bus noch erwischen wollte und gerannt bin. Meinem Ordner, in dem ich die meisten Blätter lose reinlege, weil ich zu faul bin sie abzuheften, erging es nicht besser und mein halber Schulkrämpel lag auf der Straße verteilt.

Er war sehr nett und freundlich, hat mir geholfen alles aufzuheben und… da hat’s eben peng bei mir gemacht.
 

Bei einem Gespräch, das er am Handy geführt hat, konnte ich dann entnehmen, dass er am Freitag ins ‚Glöckchen’ gehen will und habe dann alles in die Wege geleitet, auch dorthin gehen zu können. Dass ich ihn dann auch direkt auf der Tanzfläche (ein verdammt heißer Anblick!) finden würde, damit konnte ja keiner rechnen. Dass er auch noch auf mich eingeht auch nicht. Er hat sich kein bisschen an mich erinnert. Wie auch? Er war sternhagel voll! Aber das hat mir wenig ausgemacht, irgendwie kam eins zum andern und schließlich… nun ja, bin ich heute in seinem Bett aufgewacht.

Unnötig zu erwähnen, dass er weder schwul ist (ahahaha, zumindest behauptet er das stock und steif), noch sehr viel für mich übrig zu haben scheint.

Jedenfalls weniger als ich für ihn.
 

„Ähm, ich weiß aber nicht, wohin…“, nuschele ich vor mich hin und besitze sogar den anstand rot zu werden.

Das weiß ich wirklich nicht. Für die Hin- und Rückfahrt zu meiner Tante habe ich zwar Geld bekommen, aber selbstverständlich ist das gestern alles drauf gegangen. Ich sollte wohl erwähnen, dass ich nicht ganz nüchtern war, als ich mit ihm nach Hause gegangen bin.
 

„Ja, meinst du, das juckt mich? Vermach dich jetzt, oder ich schmeiß dich raus!“, knurrt er wütend, und wendet sich mir jetzt vollkommen zu.

Die Decke hat er zwar immer noch peinlich eng um sich geschlungen- als ob es da noch was geben würde, das ich nicht schon kenne- aber wenigstens traut er sich jetzt, mir ins Gesicht zu sehen. Welch Fortschritt.
 

„Du würdest mich also einfach rausschmeißen?“, frage ich ungläubig und mit großen Augen. Ich weiß natürlich, dass er nicht allzu lang zögern würde. Aber ein wenig muss ich noch den tief verletzten Jungen spielen. Wer weiß, vielleicht appelliert das ja an sein Gewissen?

Scheint nicht so, denn auf einmal geht ein Ruck durch ihn und er steht mit einem mal auf. Das Laken wickelt er sich gekonnt so um die Hüften, dass es nicht runterrutscht und schon im nächsten Moment ist er bei mir.

„Ja, habe ich vor, jetzt zieh dich an und verschwinde aus meiner Wohnung! Gleich kommt meine Freundin und ich will nicht, dass sie deinen Anblick ertragen muss!“, droht er mir gefährlich nah.

Eine Sekunde spiele ich mit dem Gedanken, mich vorzubeugen und ihn zu küssen, aber wahrscheinlich käme das eher schlecht an.

Ich empöre mich. Meinen Anblick ertragen? FREUNDIN?
 

„Du hast eine Freundin? Ich dachte eher, du stehst auf knackige Hintern von hübschen Kerlen?“, rutscht es mir heraus.

Ups!

Das hätte ich wohl besser sein gelassen, aber ich habe meine große Klappe mal wieder nicht halten können.
 

Auch an seinem Verhalten sehe ich, dass das besser ungesagt geblieben wäre. Seine Augen, die zu kleinen Schlitzen werden funkeln wütend in meine und ich wünsche mir auf einmal, ich wäre lieber doch bei meiner Tante.

„Ich zähle verdammt noch mal bis 10, solange hast du Zeit, aus meiner Wohnung zu verschwinden, bevor ich dich umbringe!“, zischt er. Und er zischt wirklich.

Ich muss sagen, dass er mir besser gefällt, wenn er lächelt.

Aber ich halte jetzt lieber meinen Mund, und tue was er sagt.

Eingeschüchtert bin ich jetzt nämlich schon ein wenig… haha…
 

„10……9….8“, beginnt er auch schon seinen Countdown.

Mein Gott, der macht das ja wirklich!

In Windeseile suche ich also die auf dem Boden verstreuten Kleidungsstücke zusammen und versuche mich gerade anzuziehen, da ist er auch schon bei Null angekommen.

„…2……3……1…0! So, hau jetzt ab!“

„Hey, wie wär’s mit 1 Minute? Oder 2? Ich bin ja noch nicht mal angezogen! Oder willst du, dass ich nackig bei deinen Nachbarn klingele, und dort frage ob ich Frühstück oder eine warme Dusche bekomme, weil der Herr Hermes aus dem achten Stock mich einfach rausgeschmissen hat, nach einer Nacht mit mir, die er furchtbar, furchtbar bereut.“, absichtlich übertrieben verziehe ich den Mund nach unten und versuche besonders mitleiderregend auszusehen. Es gelingt mir glaube ich, oder er hat angst, dass ich die Drohung wahr mache. Jedenfalls antwortet er: „Duschen. Dann verschwindest du.“
 

Er presst die Worte ja nahezu heraus. So richtig, mit hasserfülltem Blick und dem ganzen Programm.

Allmählich bin ich nicht mehr allzu sicher, ob das alles eine gute Idee gewesen ist.

Ich meine, das alles generell. Mit dem Alibi von Tante Silke, dem Rumtreiben nachts, alleine, ohne Freund, bei dem ich vermeintlich schlafe. Mit dem Sex.

Mit dem Schwärmen für Ben.
 

Ich nicke nur knapp und… starre ihn weiterhin an. Ich weiß nicht wo das Bad ist. Und ich will auch nicht fragen. Erstens weil ich mich nicht mehr so recht traue- yeah, wie ist das? Große Klappe nichts dahinter?- und zweitens weil das jetzt einfach dumm käme.

Wahrscheinlich kann er sich nicht so recht erklären, warum ich immer noch vor ihm stehe, und sein Blick wird immer unheilvoller, in den letzten Sekunden.

Also entscheide ich mich doch für eine winzig kleine Frage.

„Ähm, wo ist denn… das Bad?“ Zittert meine Stimme?
 

Da ihm jetzt auf einmal auch klar wird, dass ich nur noch deshalb hier stehe, und nicht aus absoluter Bösartigkeit, erhellt sich sein Blick ein ganz fitzelkleines Bisschen und er deutet in Richtung Flur.

„Letzte Tür links.“

Ich nicke wieder nur und sprinte an ihm vorbei in Richtung Bad.

Während ich die Tür lautstark aufreiße, und dabei versuche meine Klamotten nicht fallen zu lassen, höre ich aus dem Schlafzimmer- das er wahrscheinlich gerade aufräumt, um mit seiner Freundin gleich weiter vögeln zu können- ein kurioses Gemurmel, aus dem man die Satzfetzen „berechnender Mistkäfer“ „mieser, linker Homo“ und „ich und Hintern von hübschen Kerlen!!!“ deutlich heraushören kann. Na ja, wenn es ihm damit besser geht…
 

Ohne weiter zu lauschen schließe ich die Tür hinter mir ab- auch wenn die Wahrscheinlichkeit, dass er auf einmal hier herein geplatzt kommt, gegen Null liegt- und bewege mich auf die Dusche zu.
 

Ich habe das erste Mal seit gestern die Möglichkeit dazu, mir seine Einrichtung genauer anzuschauen. Wenn auch nur die Einrichtung des Badezimmers. Aber das ist schon okay.

Wobei mir weniger die Einrichtung ins Auge springt- die wie in den meisten Badezimmern aus weißen, gekachelten Wänden und ebenfalls komplett weißer Möblierung besteht.

Was mir auf Anhieb auffällt, ist die erstaunliche Sauberkeit für einen Männerhaushalt.

Natürlich hat er eine Freundin- hahaha, mir ist gleich viel wohler ums Herz- aber muss ja nicht heißen, dass er nur deshalb auch extra immer aufräumt, wenn die Truse kommt.

Oder?
 

Hmm.. ich lasse das Wasser an und wasche mich erstmal ausgiebig, um die letzte Nacht von mir herunter zu spülen. Zwar rieche ich auch nach ihm und nach Sex, hauptsächlich aber nach Alkohol und Zigarettenrauch. Auch wenn ich selber (Heimlich-)Raucher bin, stört es mich besonders.

Muss mich ja nicht jeder sofort im Umkreis von 10m erriechen können.
 

Gerade inspiziere ich seine verschiedenen Duschgels und Shampoos, da werde ich von einem Klingeln der Haustür unterbrochen.

Oh, die geschätzte Freundin steht also auf der Matte! Einen winzig, unglaublich kleinen Moment überlege ich, ob ich nicht etwas von letzter Nacht durchsickern lassen soll. Einfach erwähnen, wie weich sein Bett ist, und dass es ja nicht so penetrant quietscht wie meins, wenn man sich darauf herumwälzt.

Aber ich verwerfe den Gedanken sofort.
 

Ich sehe ja ein, dass mir das nicht so wirklich zusteht. Nur weil ich ihn liebe- ich komme mir allmählich wirklich blöde vor, das so zu sagen, denn wie ich bemerken durfte ist sein Charakter ja alles andere als berauschend- darf ich doch nicht einfach seine Beziehung zerstören. Oder etwa doch? Immerhin war er es, der fremdgegangen ist, so im grünen Bereich kann da eigentlich gar nicht alles sein!

Vielleicht hätten wir uns gestern doch erst ein wenig unterhalten sollen, bevor wir uns erst knutschend und dann fummelnd und anschließend keine Ahnung wie in diese echt gut versteckte Ecke verkrümelt haben. Wo es uns aber auch nicht lange hielt.

Ich denke, das nächste Ziel das wir angestrebt haben, sollte allen klar sein?

Wobei man sich fragen sollte, warum er gestern von Moral noch nicht so viel gehalten hat, wie heute Morgen, um noch nicht mal 8 Uhr. Was mich zur nächsten berechtigten Frage bringt: Warum ist seine Freundin eigentlich schon so früh wach? Ich meine… Samstagmorgen… Wochenende…klingelt’s? Welcher normale Mensch steht da bitte freiwillig um so eine unchristliche Zeit auf?
 

Seufzend stelle ich dann das Wasser ab und steige aus der Dusche. Ich habe vergessen, nach frischen Handtüchern zu fragen und benutze einfach die, die da schon hängen. Diesmal schaffe ich es noch gerade in meine Sachen zu schlüpfen, bevor von der Tür ein Klopfen ertönt… nein eher ein Hämmern, das trifft es wohl eher. So früh am morgen und schon so ein Elan…
 

„Mach hin und verschwinde endlich!“, kommt es gedämpft von draußen. Höre ich da Panik aus seiner Stimme heraus?

Ohne etwas darauf zu erwidern öffne ich die Tür und trete fertig heraus.

„Warum so hastig? Kommt deine Süße etwa schon?“, will ich etwas muffelig wissen. Ist doch klar, dass ich ein stinkig bin, darüber dass er vergeben ist. An eine Frau.
 

„Noch ein Spruch und ich schwöre, dass-“, droht er, aber weiter kommt er nicht.

„Schaaaahaaatz! Da bin ich, und ich hab Brötchen mitgebracht!“, strahlt eine hübsch aussehende junge Frau aus dem Eingangsbereich der Wohnung. Sie ist großgewachsen, ich schätze sie auf 1,70cm, also immer noch ein kleines Stück größer als ich. Sie hat braune, lange glatte Haare, die ihr ohne ein Kräuschen über die Schultern fallen. Neidlos- was ein scheiß Spruch, natürlich bin ich neidisch!- muss ich gestehen, dass sie hübsch ist. Sie hat grüne Augen, die direkt aus dem schmalen Gesicht hervorstechen.

Noch so jemand, neben dem ich mir klein und unbedeutend auf der Welt vorkomme also. Die beiden sind echt ein super Paar, rein wenn’s ums Aussehen geht, versteht sich.
 

„Oh, Besuch, schon so früh am morgen?“, bemerkt sie mich gleich und mustert mich freundlich. Ja, früh am Morgen trifft die Sache ganz gut. Ehe ich jedoch etwas sagen kann, plappert Ben mir dazwischen. Er denkt ganz offensichtlich, ich will ihr von heute Nacht erzählen… was ja auch nicht, ähm, so ganz abwegig ist, war, was auch immer.

„Das ist ein alter Bekannter, den ich gestern wiedergetroffen habe! Und nachdem wir schon… ziemlich viel, ähm, getrunken hatten, ist er einfach mit zu mir gekommen! Du musst wissen, seine Eltern, die sind unheimlich streng, und er hätte ärger zu Hause bekommen, wenn er betrunken gewesen wäre! Darf ich dir vorstellen, das ist Johann, nein, ich meine Jonny! Jordan!“ „Jonas“, komme ich ihm gnädig zur Hilfe. Also, ich finde ja, dass er sich meinen Namen ruhig hätte merken können.

Ich hab mir seinen ja auch gemerkt… Na ja, ich kannte ihn zwar auch schon vorher, aber das tut ja weniger zur Sache, oder?
 

„Ah, hallo Jonas!“, wird mir mein Name ins Gesicht gestrahlt, während ich ihre Hand schüttele.

„Ich bin übrigens Katja, Bens Freundin! Bleibst du etwa noch zum Frühstück? Wäre ja nett!“, sagt sie und ich merke dass sie es alles andere als nett finden würde.

„Ich glaube, der Jonas wollte sowieso gerade gehen“, schiebt Ben schnell dazwischen, ehe ich überhaupt antworten kann. Und dabei zögert er sogar wieder kurz bei meinem Namen! Allmählich nehme ich das persönlich! Was ist bitte so schwer an ‚Jonas’?

„Echt? Ich meine, ich will euch nicht stören, aber ich würde so gern noch ein wenig über alte Zeiten reden, Ben, altes Haus! Gestern hatten wir ja nicht so viel Zeit dazu“, schüttele ich den Kopf über diesen unendlich dramatischen Zustand und bringe mich so wieder unheimlich geschickt ins Rennen.
 

Ben scheint die Sache, dass ich mich gerade eben selber eingeladen habe allerdings mehr zu stören, als die Tatsache, dass wir überhaupt nicht darüber informiert sind, was sich im Leben des jeweils anderen in den letzten Jahren getan hat. Die Blicke, die er mir schenkt, sind ein deutliches Indiz dafür.
 

„Also, ähm, ich habe aber nur 2 Brötchen gekauft...“, zweifelt Katja nun doch an.

Aha… sie hätte ihren kleinen Schnuckel lieber doch für sich allein? Warum bietet sie nicht an, dass sie einfach noch mal losgeht und neue holt? So ungefähr drei, vier Stunden lang? Soviel Zeit dürfte in etwa reichen, den Dickkopf hier- oh ein Blick auf ihn sagt mir, dass er momentan ein ziemlich arg wütender Dickkopf ist- vielleicht noch einmal, und das sogar nüchtern, davon zu überzeugen, dass ich doch viel besser bin als Katja.

Ich sehe ihr in die Augen, und mir wird allerdings unweigerlich übel. Blöde Kuh. Wollte freundlich sein und ist davon ausgegangen, dass ich aus Rücksichtnahme auf die beiden einfach gehe. Pah!!
 

„Hm, ich bin sicher, Ben hat noch Brot, das reicht mir eigentlich schon!“, strahle ich sie jetzt zur Abwechslung an.

Weiter strahle ich in die Runde. Ähm, wir könnten ja zum essen alle in die Küche gehen? Oder ins Wohnzimmer, na? Ist doch ne supi tolle Idee, oder? Im Flur lässt es sich so furchtbar quatschen…

Aber warum bewegt sich keiner und ich werde angestarrt?
 

„Jonas“, werde ich von Ben angesprochen. Ich höre auf mir duselige Gedanken zu machen und schaue ihn an.

„Warum treffen wir uns denn nicht einfach morgen? Katja und ich haben eigentlich auch noch etwas… zu besprechen, und würden dabei lieber ungestört sein. Du weißt schon, unter zwei Augen“, versucht er mich loszuwerden. Er wippt dabei extrem dämlich mit den Augenbrauen, sodass sowohl seine Freundin, als auch ich unmissverständlich mitkriegen, was er meint.
 

„Hey, jetzt sei doch nicht so unhöflich, Schatz! Das ist echt okay! Ich will euch ja auch nicht stören, wenn ihr euch so lange nicht gesehen habt“, versucht sie es jetzt noch mal überhöflich und hofft bestimmt, dass mir das ganze jetzt zu unangenehm wird und ich von mir aus anbiete zu gehen. Man muss als junge, aufgeschlossene Frau ja Manieren zeigen, damit auch jeder sehen kann, wie viel Mühe sich ihre Eltern mit der Erziehung der kleinen süßen Katja gegeben haben.

„Du störst nicht, er stört. Wer wollte denn, dass wir mehr Zeit miteinander verbringen?“, hält er ihr vor. Ich stutze, wird das jetzt ein Streit? Wegen mir? Nicht, dass ich das besonders schlimm fände…

Sie stutzt allerdings auch. Ich schätze, ihr ist das peinlich.
 

„Okay, alles klar. Weißt du was? Wir können auch gar keine Zeit miteinander verbringen, wenn du so drauf bist. Da habe ich nämlich keine Lust zu.“ Oh oh, jetzt kommt der Part, an dem sie nichts auf sich sitzen lassen kann. Obwohl sie eigentlich seiner Meinung ist! Ich amüsiere mich königlich!

„Bitte, lass uns doch nicht wegen ihm streiten! Er geht jetzt, und damit ist die Sache geklärt, denkst du nicht?“, versucht Ben sie zu beschwichtigen. Dabei setzt er ein charmantes Lächeln auf, sodass mir ganz anders wird. Ja, damit ist die Sache geklärt. Ich bin sicher, Katja wird das auch so sehen. Bestimmt sogar. Also muss ich versuchen, sie vom Gegenteil zu überzeugen.

„ ‚Er’ steht neben dir, danke auch“, knurre ich. Damit ziehe ich schnell die allgemeine Aufmerksamkeit wieder auf mich. Katja, für die die Sache anscheinend echt schon erledigt war, schaut mich jetzt wieder, diesmal ein wenig vorwurfsvoll, an. Als würde sie fragen, ob es denn wirklich so schlimm wäre, wenn ich mich wann anders mit ihrem Ben treffen würde. Anscheinend kriselt es wirklich im Paradies.
 

Wenn ich nicht auf ihren Freund stehen würde, würde ihr Blick vielleicht sogar ziehen. Da das aber nicht der Fall ist, geht er einfach an mir vorbei.

Ich weiß, wenn ich jetzt gehe, dann war dass das Letzte mal, dass ich mit ihm ein Wort gewechselt habe.
 

Stille.
 

Irgendwie ist keiner gewillt, etwas zu sagen.

Ich auch nicht. Auch, wenn mir die Situation nicht passt. Sie erwarten, dass ich gehe. Glaube ich. Soll ich wirklich? Das wäre unfair... echt… Wenn er seine Katja echt so liebt, hätte er nicht mit mir schlafen sollen. Steht es mir denn dann auf einmal doch zu, dass ich um ihn „kämpfe“? Eigentlich doch.. schon, oder?
 

„Also, wisst ihr-“, fange ich meinen Satz an, doch ich komme nicht dazu ihn zu beenden.

Denn meine Hose bringt sich in dem Moment laut summend und musizierend in das Gespräch ein.

Ich habe keine Ahnung, wer das sein könnte, weder Silke, noch Mum oder Dad würden im Normalfall zu dieser Zeit anrufen.

Zögerlich krame ich also mein älteres Motorola-Modell aus der Tasche und schaue auf den Display, der selbstredend nur eine „Unterdrückte Rufnummer“ erkennt. Schulternzuckend gehe ich ran.

„Jonas?“, melde ich mich.

„Du schwule Ratte, ich hab dich gestern mit nem Kerl rumlecken gesehen, Schwuchtel!“, begrüßt mich jemand unheimlich freundlich und kreativ auf der anderen Leitung. Oho! Sofort identifiziere ich die Stimme als die von Basti, aus meiner Klasse. Die Stimme ist extrem am leiern. Es ist wahrscheinlich, dass er die Nacht durchgemacht hat und jetzt- hackedicht- die unheimlich lustige Idee hatte, mich anzurufen und zu dissen. Auch das Kichern im Hintergrund weist darauf hin. Fünfte Klasse lässt grüßen?
 

Wenn ich nicht gerade vor Ben und Katja gestanden hätte, dann hätte ich sicher darauf etwas erwidert. So aber tue ich es nicht und lege mit einem Lächeln auf.

„Telefonstreich, ihr kennt das ja“, sage ich nur und stecke es wieder ein.
 

Mir ist klar, dass sie es gehört haben müssen. Mein Handy ist nun mal verräterisch und alt und doof- deshalb lässt es auch immer alle mithören. Privatsphäre?

-Ne Tucke braucht so was nicht!
 

Wieder werde ich angestarrt, von Ben ablehnend, von Katja mitfühlend.

„Oh, nein, was war das denn für eine miese Aktion?“, fragt sie erschüttert. Was soll man darauf noch antworten? ‚Jaaa, unheimlich mies, ich pflichte dir bei!’, oder was?

Aber nun ja, es gab Zeiten, da hätte ich auf dergleichen wohl genauso Reagiert wie sie. Ist ja eigentlich auch eine miese Sache. Aber inzwischen… Pah! Weshalb sollte ich mich deshalb schlechter fühlen, oder verletzt sein? Diese Menschen bedeuten mir nichts. Ich lege keinen Wert auf deren Freundschaft- da interessiert mich auch nicht, wie sie über mich denken. Nicht mehr, zumindest.
 

Das sage ich auch so. Und ganz nebenbei fällt mir auf, dass Katja wohl sofort davon ausgeht ich sei schwul. Bin ich ja auch. Aber ohne irgendetwas zu hinterfragen bemitleidet sie mich einfach!

Ich bin jetzt stinkig.

Eben noch wollte sie mich unbedingt loswerden, mit Charme, falscher Höflichkeit und unausgesprochenen Vorwürfen- und jetzt hat sie einfach so Mitleid!!!
 

„Ich setz dann mal Kaffee auf, oder hast du das schon gemacht Schatz?“, fragt sie. Bin ich jetzt eingeladen? Also, echt und ohne die Absicht, dass ich das Angebot ausschlage?

„Nein noch nicht.“, antwortet Ben kühl.

Natürlich hat Katja den Ton nicht überhört, aber sie wendet sich trotzdem Haare schwingend um und verschwindet in die Küche.
 

Und ich stehe allein mit Ben im Flur. Er schaut mich nicht an und sagt auch nichts. Schätzungsweise versucht er sich gerade Worte zurechtzulegen die mich zum Gehen bewegen sollen. Freiwillig. Und das bedeutet praktisch schon, dass alles was er sagt jetzt eh von einem Gehörgang durch meinen Kopf aus dem anderen wieder heraus gehen wird. Ich werde mich nicht bequatschen lassen! Er hat mit mir geschlafen obwohl er eine Freundin hat! Und überhaupt, was denkt er sich eigentlich, ich habe auch Gefühle!

„Hör zu…“, beginnt er zögernd. „Das ist echt scheiße gelaufen, ich weiß. Aber Katja bedeutet mir wirklich eine Menge. Bitte, bitte geh jetzt. Ich verspreche dir, dass wir uns dann morgen wiedersehen, okay? Eine verbindliche Zusage also. Es… es tut mir leid.“
 

Oh.
 

Es… tut ihm leid? Das ist schlecht. Gut meinte ich. Und doch irgendwie schlecht.

Meine Entscheidung, felsenfest daran zu halten, hier zu bleiben, bröckelt. Seine verbindliche Zusage für morgen ändert daran auch nichts.
 

Ich merke, dass mein Hals ganz furchtbar trocken wird und sich ein mieser Kloß bildet. Okay. Okay, ich werde tun was er sagt. Er hat einfach zu viel Charme…
 

Ich gucke ihm jetzt in die Augen und sehe, dass er mich beobachtet hat- für ein paar Sekunden nur. Trotzdem bin ich froh darüber. Das ist das erste Mal, dass er mich mit klarem Kopf anschaut. Gestern war er „blind“ wegen des Alkohols, heute Morgen wegen seiner Wut auf mich, sich oder uns beide.
 

Er wartet auf eine Antwort und ich lasse die Schultern hängen, und schaue ihm fest in die Augen. Ein Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus, er weiß jetzt schon, dass er gewonnen hat.

„Morgen, 15 Uhr?“, will ich wissen. Er nickt und eilt schnell an mir vorbei, um die Haustür hinter mir zu öffnen.

„Bis morgen dann“, sagt er und ehe ich mich versehe stehe ich auch schon auf der Fußmatte, auf der ein hässlicher gelber Smily mir, mit einem Blumenstrauß einen ‚Schönen Tag!’ wünscht.



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