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Paradise Delayed

[ZOMBIEVERSE - Orange County/California-Hardcore-Bands]
von

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It's the End of the World as we know It [Zack I]

Als seine Mutter ihn mit aller Kraft in ihre dünnen Arme schloss, ihm süße Worte in fließendem Italienisch ins Haar murmelte und ihn erst losließ, als er ein leises Röcheln von sich gab, war er darin bestätigt, dass es doch eine gute Idee gewesen war, an seinem freien Wochenende hierher zu kommen und seiner Familie einen Besuch abzustatten. Obwohl das Lächeln auf ihrem Gesicht breit, beinahe blendend war, schimmerten die Tränen deutlich in ihren grünen Augen. Trotzdem beobachtete sie ihn mit so viel Liebe und Zuneigung, während er seinen kleinen Bruder umarmte, seiner großen Schwester einen Kuss auf die Wange und dann auf den dicken Bauch gab und schließlich seinen Neffen Gavin hoch in die Luft hob, der die ganze Zeit schrie, dass er dafür mit fast Acht Jahren zu groß war.
 

Es fühlte sich wirklich verdammt gut an sie alle wieder zu sehen und wie immer fragte er sich, warum er es einfach nicht schaffte sein altes zu Hause öfters zu besuchen. Es war ja nicht so, als würden sie Stunden entfernt wohnen, um ehrlich zu sein war es noch nicht einmal eine. Er liebte sie über alles, alle von ihnen, aber er konnte die Erinnerungen nicht aufhalten, die ihn jedes Mal überfluteten, sobald er den ersten Schritt über die Schwelle tat. Die Zeit in der er in diesem Haus gelebt hatte war bei weitem nicht die beste. Es war nicht die Schuld seiner Mutter. Nur seine eigene. Dafür, dass er zu dumm war, zu leichtsinnig und viel zu oft zu zugedröhnt. Sie liebe ihn trotzdem, er wusste das. Er wusste es wirklich, aber vielleicht war es genau das, was es noch schlimmer machte.

Sie ansehen, in ihre liebevollen Augen und sich dabei so scheiße schlecht fühlen, weil er sie einmal so furchtbar behandelt hatte. Nicht nur sie schlecht behandelt, aber auch seine Schwester, die immer das beste für ihn gewollt hatte und seinen kleinen Bruder, dem er ein gutes Vorbild hätte sein sollen und nicht war und der trotzdem grundlos zu ihm aufgeschaut hatte. Diese Tage waren vorbei und sie hatten ihm alles verziehen, aber er selber konnte sich bis heute dafür nicht richtig vergeben.
 

Dieses Wochenende hatte er nichts Besseres zu tun gehabt. Zu genervt davon alleine zu Hause zu sitzen, nur mit seinen zwei Hunden, die ihn erwartungsvoll ansahen. Brian war seid einer Woche weg. Im Studio um mit James das neue Album aufzunehmen. Er allein zurückgelassen. Was okay war, ehrlich, was trotzdem nichts daran änderte, dass ihm langweilig war und er zu sehr daran gewöhnt, dass irgendjemand um ihn herum war. Das Haus war zu groß und alles andere zu ruhig und wenn er nicht genau wüsste, dass Brian ihm dafür ins Gesicht lachen würde, hätte er sich vielleicht bei ihm beschwert. Was auch nichts geändert hätte.
 

Deswegen fühlte sich das Dinner mit seiner ganzen Familie - alle von ihnen um den großen, runden Tisch versammelt und sich unterhaltend über alles und nichts, sich neckend und lachend und schreiend, wie der große, verrückte Haufen der sie waren - verdammt gut an. Und er konnte abschalten. Vergessen was er getan hatte und für ein paar Stunden vergessen, dass er Zacky Vengeance war und einfach Zachary Baker sein.
 

Nach vier Flaschen Wein bestand seine Mutter darauf, dass er über Nacht hier bleiben und nicht nach Hause fahren sollte. Aber Zack sagte ‚Nein‘ und seine Mutter sagte immer noch ‚Ich erlaub es dir nicht!‘ und er sagte ‚Komm schon, Mom, ich bin ein großer Jungs. Ich kann mit Alkohol umgehen!‘ – weil ehrlich, er war nicht einmal angeheitert. Er fühlte sich nur etwas wärmer und geistreicher – aber am Ende schloss er doch um ein Uhr nachts die Tür zu seinem alten Zimmer hinter sich und bekam selbst mit achtundzwanzig noch einen Gute Nacht Kuss von seiner Mama.
 

Für ein paar Minuten stand er da. Alles sah noch genauso aus wie damals, als er mit siebzehn Jahren ausgezogen war. Die alten Rock Poster an der Wand und die Batman Bettwäsche und seine alte, beschissene, mit Stickern und Flyern tapezierte Akustik Gitarre.
 

Sein Lächeln wurde etwas blasser und sein Magen krampfte sich zusammen. Vielleicht war er ein wenig melodramatisch und vielleicht benahm er sich wie eine Pussy. Aber er fühlte sich ein wenig fehl am Platz. Mehr noch als ein wenig.
 

Bevor Zack überhaupt genau wusste was er tat, fummelte er nach seinem Handy und tippte die bekannte Nummer ein. Er wartete geduldig bis endlich jemand abnahm und ein verschlafenes ‚Hallo?‘ von der anderen Leitung zu hören war.
 

»Hey, Brian. Ich bin’s.«
 

»Zack? Jesus Christ… was ist los? Ist was passiert? Steht das Haus noch?«
 

Nervös lachte er auf und setzte sich träge auf das Bett, das unter seinem Gewicht in Schmerzen aufschrie, daran gewohnt einen Jungen zu tragen und nicht einen Mann. »Nein, alles ist..« Er fischte nach dem richtigen Wort. »Super.«
 

»Super? Was zum Teufel…? Ist Icky gestorben oder sonst was?«
 

»Nein! Jesus Christ, nein! Ich wollte dich nur anrufen und sehen wie’s dir geht.«
 

»Zacky, bitte, es ist mitten in der Nacht und ich hab den ganzen Tag gearbeitet und ich bin hier mit einer ganzen Band von Straight Edgern und ich versuche einen guten Rhythmus zu behalten, während ich nicht auf Tour bin, okay?«
 

»Ich bin bei meiner Familie.«

Die Stille aus dem Hörer dauerte nur ein paar Sekunden und war dennoch merkbar. Er war eine Pussy, die größte verdammte Pussy auf dem ganzen Planeten, aber Brian war der einzige neben Matt, der verstehen konnte was es genau bedeutete. Was es bedeutete, dass er daheim war. Aber er wollte Matt nicht anrufen und ihn in seiner wohlverdienten Zeit mit Val stören und ihn hatte er erst zwei Tage zuvor gesehen. Er wollte Brians Stimme hören.
 

Bis jetzt war diese Stimme gedämpft gewesen, wahrscheinlich weil Brian das Gesicht halb im Hotelkissen vergraben hatte, aber jetzt kam sie deutlich, wenn auch etwas müde. Jetzt hörte Brian richtig zu.
 

»Okay…wie läuft’s?«
 

» Alles in Ordnung. Wirklich. Matt geht es gut. Zena kann ihre Füße nicht mehr sehen aber sie ist glücklich. Kannst du glauben, dass es nur noch ein Monat ist und ich zum zweiten Mal Onkel werde? Gavin wird größer jeden Tag. Und Mom… meine Mutter war glücklich mich zu sehen, denk ich. Sie hat nach dir gefragt.« Zack wusste, dass es von ihm nur sinnloses Geplauder war und dass seine Stimme zu leicht und zu sorglos klang um auch nur annähernd natürlich zu sein, aber genauso wusste er, dass Brian konzentriert zuhörte. Er konnte ihn förmlich auf dem Bett sitzen sehen.
 

»Gib ihr einen Kuss und eine Umarmung von mir.«, antwortete Brian leise nach einer Weile und das Lächeln war deutlich in seiner Stimme.
 

»Sie hat mir massenhaft Essen mitgegeben für jeden, dir eingeschlossen. Ich denke wir können nun wochenlang Lasagne essen sobald du Heim kommst.« Und weil er wusste, dass Brian lächelte, konnte er sich selber nicht davon abbringen. Seine Laune, die bis jetzt bedeckt war, hob sich. »Was geht ab in San Francisco?«
 

»Alles funktioniert ziemlich gut. Du weißt, ich denke immer noch, dass James neue Band ein Haufen von kompletten Vollidioten ist, aber sie sind irgendwie doch okay – zumindest kann man mit ihnen arbeiten. Es ist nicht so einfach wie mit dir und dem Rest…aber es ist okay, denk ich, und ich hab meinen Dad gestern gesehen.«
 

»Wie geht’s ihm?«
 

»Unkraut vergeht nicht und das Glas ist immer halbvoll. Der alte Scheißer ist immer glücklich mit dem was er tut – so ist er einfach. Immer das tun, was er will und deswegen dürfte er sich nicht beschweren.« Laken raschelten und im Hintergrund konnte er hören, wie ein Kühlschrank aufgemacht wurde. »Was machst du so? Außer dich im Haus deiner Mutter fett fressen.«
 

»Nichts. Ein paar Sachen für die Line. Ein paar alte Freunde treffen, die ich seid einer Ewigkeit nicht gesehen habe. Den Garten auf Vordermann bringen. Wie die gute Haus Mummy, die ich bin.«
 

»Vermisst du nicht deinen Haus Daddy?«
 

»Aber natürlich.«
 

Während er sich mit Brian unterhielt, schälte er sich langsam aus seinen Klamotten bis er nur noch in Boxern dastand. Seltsam fing nicht einmal an das Gefühl zu beschreiben, das er hatte, als er sich unter die Kühlen Laken seines alten Bettes legte. An der Decke konnte er die ganzen alten Misfits Songtexte lesen, die er dort mit Edding hingekrikelt hatte und andere Lieder, die er nicht mehr alle erkannte. Daneben konnte er ein großes ‚SHADZ WAS HERE, YO!‘ sehen und andere Nachrichten von anderen Freunden auf dem gleichen Niveau.
 

Die Stille war angenehm. In ihrer langen Freundschaft hatten sie nie das Bedürfnis gehabt unbedingt was sagen zu müssen. So laut und nervig Brian sein konnte, Zack schaffte es immer seine ruhige Seite zu sehen. Mit ihm am Telefon konnte er die Macht des Rotweins klar spüren.
 

»Ich denke ich bin in zwei Tagen wieder da.«
 

»So früh?«, murmelte er, rollte sich auf den Bauch und schloss seine Augen. Aber er konnte nicht leugnen, dass er sich deswegen erleichtert fühlte.
 

»Ich denke du solltest schlafen, Zee. Du hast zu viel Rotwein getrunken.«
 

»Bin ich nicht.« Warum erzählte ihm jeder, dass er betrunken war? Er war es ganz sicher nicht. Angeheitert und müde. Aber nicht betrunken. Außerdem hatte er Rotwein nie erwähnt. Wenn er aber nochmal drüber nachdachte, so konnte er wohl auch jeden Typ Trunkenheit von Brian auseinander halten. »Okay. Wir sehen uns am Sonntag. Ruf mich an, wenn du kommst.«
 

»Ja, klar. Gute Nacht. Schlaf schön, kleine Prinzessin.«
 

»Redest du wieder von der selber?«
 

Das sanfte Lachen breitete sich merkwürdig warm in seinem Inneren aus und er vergrub das Gesicht tiefer in das Kissen, das nach Bleiche und zu Hause roch. Oder mehr nach Vergangenheit. Nicht wirklich zu Hause. Zu Hause war woanders. Das Lachen war das letzte das er hörte, bevor er das Telefon auf dem Nachtschränkchen ablegte.
 

Es war eine ruhige Nacht. Ein Hund bellte in weiter Ferne und eine Katze maunzte. Aus Matts Zimmer konnte er die sanften Töne von R.E.M. hören.
 

So viel Zeit zu haben nach einer so großen Tour und bevor man wieder ins Studio ging, war immer eine komische Sache. Er fand niemals wirklich seinen Platz in der normalen Welt. Es war hart sich an eine tägliche Routine zu gewöhnen. Es war hart seine Familie zu besuchen und mit Leuten zu reden, die man normalerweise nicht sehr oft sah. Sein zu Hause war nicht wirklich sein zu Hause und fühlte sich immer seltsam an. Aber sie waren auch gerade mal für einen Monat wieder hier.
 

Aber genau jetzt fühlte er sich friedlich. Ein bisschen. Ein wenig ruhiger und zufriedener.
 


 


 

Am nächsten Morgen wurde er geweckt durch einen grellen Schrei , der ihn augenblicklich aus seinem tiefen Träumen hochschrecken ließ. Sofort saß er senkrecht im Bett und starrte in Richtung Fenster. Desorientiert ließ er den Blick durch das Zimmer schweifen und strich sich dabei die schwarzen Strähnen aus dem Gesicht. Er wusste nicht woher der Schrei kam, ob von draußen oder aus dem Haus. Deutlich drang Lärm durch das gekippte Fenster. Quietschende Bremsen, zersplitterndes Gras, Stimmen.
 

Als erstes glaubte er, dass das nur ein verdammter Traum sein konnte. War er überhaupt richtig wach? Alles klang so unwirklich, der Geruch von Benzin und etwas anderem in der Luft, so deutlich, doch für ihn einfach nicht zuzuordnen. Was war hier los?
 

Sein Körper arbeitete schneller als sein Kopf, als er die Bettdecke zurück schlug und zum Fenster ging um durch das Glas zu schauen. Sein Atem beschlug die Scheibe matt, trotzdem verbarg es nicht das Bild, das Szenario, dass sich draußen in den Straßen der sonst so friedlichen Vorstadt abspielte.
 

Ungläubig starrte er nach draußen. Konnte gar nicht richtig verarbeiten, es nicht richtig begreifen, denn es war so verdammt unwirklich. Wie ein Traum, wie ein schlechter Film und gleichzeitig spürte er deutlich, wie sein Herz nervös anfing zu flattern.
 

Menschen rannten aus Häusern mit Kindern, mit allem was sie noch greifen konnten zu ihren Autos. Rannten weg, fuhren weg. Flüchteten. Aber vor was? Unwirsch griff seine Hand zu der Brille, die er ebenfalls auf dem Nachtschränkchen abgelegt hatte, sah nun alles klarer.
 

Konnte aber seinen Kopf immer noch nicht ganz dazu bringen sich auf diese Idee einzustellen. Auf das was sich ihm gerade offenbarte und er hörte, wie sich ein beinahe hysterisches Lachen aus seiner Kehle hochkämpfte.
 

Weil es konnte doch nicht wirklich sein, dass seine alte Nachbarin sich auf Mister Jefferson stürzte, der seine Tochter Katie an der Hand aus dem Haus zog, auf das Auto zu, wo seine Frau schon wartete. Das entsetzte Aufschreien des Mädchens konnte er bis hier oben hören und das Blut spritzte im gleichen Hohen Bogen wie die Sprenkelanlage auf dem Rasen. Das konnte er gerade einfach nicht sehen.
 

Weil solche Dinge einfach nicht echt waren, weil das nicht sein konnte, weil das einfach verrückt war, weil das beinahe genauso war wie jeder verdammt schlechte Horrostreifen von dem er so Fan war. Wie Night of the Living Dead nur eben echt. Verdammt echt und kaum wirklich.
 

Mit einem Ruck wandte er sich vom Fenster ab und griff nach seinen Klamotten, die er achtlos auf den Boden geschmissen hatte, streifte sie sich so schnell über wie lange nicht mehr und riss die Tür zu seinem Zimmer auf. Im Haus herrschte absolute Stille. Als würden alle noch schlafen und keiner wäre von dem Schreien aufgewacht. Als wäre das nur in seinem Kopf und kein anderer würde es sehen.
 

Und er ermahnte sich selber immer wieder. Zack du musst denken, denken. Du musst den Sinn von diesem Chaos sehen. So besoffen warst du nicht und auf Drogen schon gar nicht.
 

Die Tür zu Matts Zimmer stand weit offen, drinnen war es leer und die Vorhänge flatterten im rauen Wind. Noch immer drang aus der Stereoanlage Musik und Micheal Stipe sang It‘s the end of the world as we know it and I feel fine.
 

Er zwang sich selber weiter zu gehen, sah in das Zimmer seiner Mutter, das ebenfalls leer war. Die Bettlacken auf dem Boden und die Gardienen heruntergerissen. Die ganze obere Etage war leer. Das Gästezimmer in dem Zena mit Gavin geschlafen hatte, das Bad, einfach alles war leer. Verdammt leer, als wäre seine ganze Familie einfach verschwunden, hätte sich in Luft aufgelöst.
 

Und alles was er denken konnte war Oh Gott und Nein und Warum und Was ist hier los?
 

Seine Schritte gefroren fast, als er die Treppe runter ging und er von der Küche leises Wimmern und Schluchzen hörte. Unter den Sohlen seiner Turnschuhe knackten Glasscherben und er wusste nicht genau, warum er sich gerade leise bewegte, aber seine Augen huschten nervös nach links und rechts.
 

Vorsichtig sah er in das Wohnzimmer und tiefe Erleichterung packte ihn, als er in einer Ecke Zena sehen konnte, zwischen ihren Armen Gavin, der mit großen, runden Augen zur Tür sah. Sofort rannte er zu ihrer Seite und packte sie an der Schulter.
 

»Was ist hier los?«, fragte er eindringlich, behielt die Stimme gesenkt, weil es das einzig verdammte Logische war und er sonst nicht wusste, was er tun sollte, weil da seine Schwester saß, die ihn nun mit verheulten Augen ansah, die Hände zerschnitten und an ihrem ganzen Gesicht klebte Blut und in ihren blond gefärbten Haaren auch und generell schienen in der ganzen Wohnung nur noch Blut und Scherben zu sein und ein Chaos, dass er nicht beherrschte und er kam sich vor als hätte er Monate, Jahre, ein halbes Leben geschlafen. So viel schien passiert zu sein.
 

»Zack!«, wimmerte sie und krallte ihre rote Hand in sein weißes T-Shirt, die andere war um Gavin geschlossen in einem so eisernen Griff, als wollte sie ihn nie mehr loslassen. »Zack, Gott, Zack!«, wiederholte sie und die Tränen vermischten sich mit dem Blut auf ihrem Gesicht und sie schluchzte so herzzerreisend auf, dass er sie am liebsten in den Arm genommen hätte.
 

»Zena, du musst mir sagen, was hier los ist!« Seine eigene Stimme war ihm total fremd in den Ohren, verzerrt und wie aus hundert Metern abstand. Denn das war es auch grade für ihn. Handeln auf Autopilot. Nach reinem Instinkt. Sein Körper, sein Kopf, alles schrie Gefahr und Renn! Doch vor was und warum und eigentlich konnte er es ahnen, aber es war zu witzig, oder?
 

Sie kämpfte gewaltsam mit irgendwelchen Worten. »Heute morgen…ich bin aufgewacht…ich weiß nicht!« Erneut schrie sie beinahe erstickt auf. Ihr ganzer zierlicher Körper zitterte und bebte als müsse sie sich gleich übergeben. »Ich ging runter in das Wohnzimmer und da war Mom! Mom war da! Und Mom -! Ich weiß nicht!« Dichter presste sie Gavin an sich, der leichenblass und nur mit großen Augen starrte, die kleinen Hände in Zenas Nachthemd geschlungen. Mucksmäuschenstill und steif. »Ich weiß nicht!«, schrie sie ihm dann entgegen und schüttelte heftig den Kopf, so dass ihre Haare um sie flogen wie ein wilder Heiligenschein.
 

»Ganz ruhig. Alles wird gut.«, redete er ihr leise zu und strich ihr beschwichtigend über den Kopf, als wäre er zum ersten Mal der Ältere, der Starke. Aber er hatte keine Ahnung, ob es wieder gut werden würde, da er gar nicht wusste was ‚es‘ genau war. »Kannst du aufstehen?«
 

Sie schüttelte immer noch den Kopf. Wieder und wieder und Gavin sah sie nur an und sah dann ihn an. »Grandma war voller Blut.«, flüsterte er. »Grandma war voller Blut und sie wollte mich beißen.«
 

Wieder spürte er, wie seine Mundwinkel nach oben zuckten. »Nein, das würde sie nie tun. Sie würde dir nie weh tun wollen.« Sie nicht, da war er sich sicher. Aber vielleicht das, was aus ihr geworden war. Beruhigend strich er Gavin durch die langen dunkelbraunen Haare.
 

»Doch wollte sie.«, flüsterte er stur und seine Unterlippe fing an zu zittern, als kämpfe er mit den Tränen.
 

»Sie ist…sie liegt im Wohnzimmer.«, brachte Zena leise hervor und lockerte langsam ihren Griff in seinem T-Shirt. Noch immer bebte ihr ganzer Körper und lautlos weinte sie.
 

Er musste denken. Er musste denken, was jetzt das vernünftigste war, was das einzig richtige sein würde. Sie konnten nicht hier bleiben. So viel wusste er. Sie mussten von hier weg. Irgendwie weg. Wohin war erstmal egal, einfach nur weg. »Wo ist Matt?«
 

»Ich…weiß nicht. Ich hab keine Ahnung, ich weiß es nicht.« Ihre Stimme tänzelte erneut scharf an der Kante zur Hysterie. Ihre Augen huschten unruhig umher, sahen an ihm vorbei in den Flur und zum Fenster und dann zu Gavin, wieder zu ihm. Er wollte sich gar nicht vorstellen, was sie heute Morgen schon alles erlebt hatte, während er noch geschlafen hatte. Erst jetzt viel ihm der Baseballschläger auf, der an ihrer Seite lag. Ebenfalls getüncht in Rot.
 

Tief atmete er durch. »Okay, hör mir zu. Ihr wartet hier, ich mach die Tür zu. Ich hole die Autoschlüssel, mein Handy und richtige Klamotten für dich und Gavin. Ich schau nochmal nach Matt. Dann verschwinden wir hier.« Seine Stimme war ruhig, gefasst und beschwichtigend. Immer noch war es so, als würde er sich selber reden hören. Also würde er es gar nicht sagen sondern jemand anders oder als würde er sich dabei zusehen, wie er es sagte. Woher er die Fassung nahm, wusste er nicht. Vielleicht weil er bis jetzt nur ahnen konnte, was ihn noch erwarten würde.
 

Es hatte kaum Effekt auf Zena, die ihren Griff wieder festigte und ihn mit weit, weit aufgerissenen, panischen Augen ansah. Ihre Lippen formten Worte, sie schnappte wie ein Fisch und sie schüttelte den Kopf, vehement und entschieden, während sie sagte: »Sie haben gesagt es ist ein Virus. Im Radio. Ein Virus. Ich hab es gehört als ich runter ging. Aber was für ein Virus tut das?« Sie flüsterte nur, wisperte es ihm entgegen, aber doch brachte sie es in einem Stück raus, bevor sie wieder am eigenen Atem fast erstickte. »Geh da nicht raus. Geh da nicht raus. Geh da bitte nicht raus, Zachary!«
 

Noch während sie ihn anflehte, stand er wieder auf und löste ihre Finger aus ihrem Griff. Hilflos streckte sie die Hand weiter nach ihm aus. Er holte den Messerblock von der Arbeitsplatte und stellte ihn neben Zena auf den Boden, während er nach dem Baseballschläger griff.
 

»Ich kann dich nicht auch verlieren! Bleib hier! Zack! Bitte!« Ihre braunen Augen waren so weit aufgerissen, als würden sie ihr gleich aus den Höhlen fallen. Ihr ganzes Gesicht glänzte und klebte. Ihre sonst so schön manikürten Fingernägel waren verkrustet und streckten sich ihm entgegen.
 

Er wollte sie nicht alleine lassen. Sie konnten sich aber auch nicht alle in der Küche verbarrikadieren. Sie mussten weg. Dafür brauchte er das Auto. Es war das sicherste und schnellste, auch wenn jetzt die Straßen bereits in einem Chaos versanken. Darüber nachzudenken was der Grund dafür war, dass anscheinend ganz Huntington Beach – Kalifornien, Amerika, die Welt? – wie ein schlechter Abklatsch von Dawn of the Dead aussah, dafür blieb hoffentlich später noch genug Zeit.
 

Die Küche schien momentan der sicherste Ort zu sein. Wahrscheinlich eine falsche Sicherheit. Noch immer konnte er das Geschirr von gestern sehen, dass seine Mutter erst am nächsten Tag wegräumen wollte. Hier war noch alles normal. Alles unberührt. Die Schränke, der Boden und der Kühlschrank an den ein paar Dutzend Fotos geklebt waren. Von ihm, seiner Band, von früher, von Gavin als Baby, von ihrem Dad. Der einzige Raum mit denen er positive Erinnerungen verknüpfen konnte. Es schien am sichersten. Irgendwie zumindest.
 

»Ich komme wieder so schnell ich kann. Ich bin gleich wieder da. Ich hol die Sachen und wir sind hier raus, okay? Ja?« Flüchtig gab er ihr einen Kuss auf den feuchten Haarschopf. Schwach spürte er ihr Nicken, bevor sie ihre Hand auf ihren Bauch presste und ihr Gesicht in der Brust ihres Sohnes vergrub. »Komm zurück.«, wimmerte sie leise. »Komm zurück, bitte.«
 

Der Baseballschläger lag sicher und fest in seiner Hand, als er wieder raus in den Flur ging. Er könnte nach seinem Bruder rufen, doch auch nur der Gedanke dadurch Aufmerksamkeit von wem oder was auch immer auf sich zu ziehen, ließ seine Stimme in der Kehle gefrieren. Irgendwo musste Matt sein. Er wäre sicher nicht abgehauen ohne nach dem Rest zu sehen. Bestimmt saß er irgendwo in einer Ecke, hatte sich in einem anderen Raum eingeschlossen, in der Hoffnung dort erstmal das schlimmste auszusitzen. Zumindest war es diese Möglichkeit, so absolut lächerlich gering sie ihm vorkam, das einzige, was ihn dazu brachte weiterzugehen und nicht gleich raus zu rennen. Die Tür knarzte hinter ihm, als er sie langsam zuzog.
 

Kurz spreizte er die Finger, die am hölzernen Griff klebten, bevor er ins Wohnzimmer ging, in dem sich bei weitem ein ganz anderes Bild bot als noch in der Küche. Die Fensterfront zum Garten war zersplittert. Die Tiere aus Porzellan, die seine Mutter so leidenschaftlich gesammelt hat, lagen zusammen mit Büchern auf dem Boden verteilt. Alles kaputt und verstreut und warum gab es in diesem Haus so viele Scherben?
 

Als seine Unterlippe anfing zu zittern, biss er sich entschieden drauf. Wenn er jetzt in Panik verfallen würde, dann hätte er verloren. Auch wenn er höchstens seid einer halben Stunde wach war, geschleudert in eine Welt, die plötzlich nichts mehr mit dem zu tun hatte, was er einmal kannte. Wie ein böser Alptraum. Nur er wusste, dass er wach war. Er war wach. Zu wach. Und er wusste, dass wenn er jetzt keinen kühlen Kopf behielt und versuchte in das alles hier einen Sinn und eine Ordnung reinzubringen, dann würde es keiner tun.
 

Schnell scannte er den ganzen Boden ab. Zena hatte gesagt hier würde ihre Mutter liegen, doch er sah sie nirgendwo. Was Zena auch nur annähernd damit gemeint hatte, dass ihre Mutter im Wohnzimmer lag, wollte er gar nicht anfangen zu verstehen.
 

Vorsichtig pirschte Zack sich näher an die Couch heran, mit dem Herz irgendwo in der Hose, und lugte vorsichtig über die Rückenlehne. Bevor ein markerschütternder Schrei ihn aufsehen ließ, seinen Blick auf die Quelle fixieren ließ. Es war nicht wie der Schrei gewesen, der ihn aufgeweckt hatte, nicht wie der von der kleinen Katie, als ihr Dad vor ihren Augen zerfleischt wurde. Es war animalischer. Es war erschreckender und es drückte ein Verlangen nach etwas aus, das nicht mehr wirklich menschlich war. So langezogen und einfach nur grausam. Wie ein wütendes Tier, wie ein wildes, wütendes Monster. Ein hungriges noch dazu.
 

Wäre es nicht der pure Instinkt sich zu verteidigen, der ihn mit dem Schläger ausholen ließ und mit einem widerlich krachenden, schmatzendes Geräusch Knochen und Haut splittern ließ, dann wüsste er nicht, was passiert wäre, dann wüsste er gar nichts mehr.
 

Mit Entsetzen sah er auf das Wesen, das Ding, das zu Boden gegangen war hinab und sich sofort versuchte ächzend aufzurichten mit dem verbleibenden Arm der nicht unnatürlich verdreht und schlapp vom Körper abstand.
 

»Mom.«, flüsterte er so leise, so gebrochen, als wäre er wieder fünf Jahre alt und hätte was schreckliches angestellt. Wie damals den Tränen so Nahe, aber da er ja ein großer Junge war konnte er nicht weinen. Obwohl er wollte, jetzt in diesem Moment wollte er.
 

Doch das Ding zu seinen Füßen, hatte nichts mehr mit seiner Mutter zu tun. Die fast weißen Augen, die wütend, so unglaublich wütend und tot zu ihm hinauf starrten, hatten nichts mehr mit dem warmen Grünton gemein mit der sie ihn noch gestern ins Bett gebracht hatte. Ihre sonst gelockten, dichten Haare klebten an ihrem Schädel. Mit der weiten, klaffenden, blutenden Wunde an der Seite ihres Kopfes – Gott, er konnte den Knochen durch die verkrusteten Strähnen schimmern sehen- , dürfte sie eigentlich gar nicht mehr aufstehen können. Ihr Mund war weit aufgerissen, weit aufgerissen und schnappte auf und zu, während sie erneut auf diese abscheuliche Art schrie. Das weiße Nachthemd nicht mehr hellblau. Sondern nur noch rot. Wie alles hier. Rot und Glas. Sonst nichts. Aus der Ferne konnte er Zena nach ihm schreien hören. Vielleicht aber auch nicht.
 

Erst als das Ding – nicht seine Mutter, alles nur nicht seine verdammte Mutter! – sich wieder auf die Beine geholt hatte, wisch er einige Schritte zurück, den Schläger bereit in beiden Händen, die immer deutlicher zitterten.
 

»Mom, bitte!« Warum er überhaupt flehte, wusste er selbst nicht so genau. Auch wenn er nichts wusste über das was hier vor sich ging, so wusste er zumindest, dass das vor ihm nicht mehr seine Mutter war und sie ihn nicht verstehen würde, egal was er sagte. Am liebsten hätte er den Schläger hingeworfen und wäre einfach nur gerannt, denn obwohl nichts mehr von der Frau übrig war, die ihn großgezogen hatte und ihn geliebt hatte egal was auch passierte, so sah sie immer noch wie sie aus. Irgendwie entstellt, wie eine groteskes Abbild von ihr, aber immer noch seine verdammte Mom.
 

Die ihn nicht höre, die ihn wahrscheinlich noch nicht einmal mehr sah. Geschweige den erkannte. Es war sein Fehler zu zögern. So viel musste er sich im Nachhinein eingestehen. Ihre Bewegungen waren nicht schneller, aber hatten plötzlich eine Kraft dahinter, die nicht mehr menschlich möglich war. Die Glasscherben rammten sich in seinen Rücken und zerschnitten sein T-Shirt mit Leichtigkeit, als sie sich auf ihn stürzte und so hart zu Boden presste, dass ihm für ein paar Sekunden die Luft wegblieb. Gepeinigt stöhnte er auf.
 

Der hölzerne Schläger ächzte und knackte zwischen ihnen, während seine Nasenspitze nur noch wenige Zentimeter von ihrem weit aufgerissenen Mund entfernt war. Mit der Kraft eines Amboss presste sie gegen das Holz.
 

Es konnte sich nur um ein Wunder gehandelt haben. Er wusste nicht wie er es geschafft hatte. Für ein paar Sekunden glaubte er, dass es jetzt vorbei war. Zwar wusste er nicht genau, was mit ihm dann passieren würde, aber es würde bestimmt nichts mit Sonnenschein und heile Welt zu tun haben. Ob sie ihn Abnagen würde bis zum Knochen, ob er auch sowas werden würde wie sie, ob es weh tat oder nicht und ob Zena und Gavin hier auch nur eine Sekunde überleben konnten. Wie gesagt, es musste ein Wunder sein oder einfach nur das pulsierende Adrenalin.
 

Doch es war nicht sein Ende. Anstatt sein Leben an sich vorbei ziehen zu sehen, konnte er ihres sehen. Oder eher die Teile, die er mit ihr erlebt hatte. Belanglose Dinge. Wie sie in der Küche stand und ihm sein Essen machte, als er von der Schule kam. Wie sie ihn ins Bett brachte und ihm einen Kuss auf die Stirn gab. Wie sie ihn tröstete, wenn er mal wieder in der Schule von den Großen zusammen geschlagen worden war und sagte: Alles wird gut, mein kleiner Held.
 

Alles wird gut.
 

Er schrie, als er sie von sich rollte und der Baseballschläger dabei zerbrach. Er schrie als er den Stiel mit beiden Händen fest umschloss. Er schrie, als sie ihm entgegen brüllte wie ein Monster. Er schrie, als er den spitzen, zersplitterten, pflockartigen Rest in ihren Kopf rammte. Als das Blut seine Jeans vollspritzte und in den Teppich sickerte. Als sie sich ein letztes Mal aufbäumte, einen gurgelnden Laut von sich gab und dann regungslos liegen blieb.
 

Danach war es still.
 

Sein Herz hämmerte in einem wilden Takt in seiner Brust und sein Brustkorb hob und senkte sich brutal, als er verzweifelt Luft einzog und wieder ausatmete. Als wäre er aufgetaucht aus hunderten Metern Tiefe, kurz davor zu ersticken. Seine Finger lösten sich nur langsam von dem Griff, bevor sie sich auf sein Gesicht pressten. Sein ganzer Körper fühlte sich leicht an, beinahe schwerelos.
 

Alles wird wieder gut. Das hatte seine Mom gesagt. Das hatte er Zena gesagt. Spätestens jetzt wusste er, dass rein gar nichts mehr gut war. Und es auch nicht mehr sein würde. Sekunden zogen an ihm vorbei wie Stunden, wie eine halbe Ewigkeit. Bis er die Hände langsam wieder vom Gesicht nahm. Vorsichtig griff er sich an den Rücken und zog ein paar Splitter raus, die er mit der Hand erreichen konnte.
 

Am liebsten hätte er sich jetzt übergeben. Die Galle kam ihm hoch bis in den Rachen, die Knie zitterten.
 

Sein Name ließ ihn aufhorchen. Gedämpft durch Holz und das Blutrauschen in seinem Ohr, hörte er Zenas Stimme, wie sie immer wieder nach ihm rief.
 

»Ich bin okay!« Wieder war er es nicht, der ihr antwortete. Denn er fragte sich, ob er auch nur irgendwie weiter von ‚okay‘ entfernt sein konnte als genau in diesem Moment.
 

Erst langsam, dann immer schneller setzte er einen Fuß vor den anderen, ohne noch einen Blick zur Seite zu werfen. Denn musste er es wirklich sehen? Nicht wirklich, oder?
 

»Alles in Ordnung!«, rief er erneut, als er an der Küchentür vorbei kam. Nichts in Ordnung. Mittlerweile rannte er die Treppen hoch. In sein altes Kinderzimmer, das absolut unberührt war, bis auf die unordentliche Decke, keiner mehr da, der sie richten würde. Er griff nach den Autoschlüsseln, nach seinem Handy.
 

Als er im Flur an einem Spiegel vorbei kam, hielt er nur kurz inne, opferte nur einen knappen Blick um zu sehen, dass der Mann, der ihm dort entgegen starrte ein absolutes Wrack war.
 

Im Gästezimmer kramte er kurz ein paar Klamotten aus dem Schrank und noch viel wichtiger Schuhe, bevor er das auch hinter sich ließ und schon wieder auf dem Weg nach unten war. Kurz hielt er inne. Ein Geistesblitz!
 

Ohne weiter nachzudenken, drehte er wieder um und sprintete ins Zimmer seiner Mutter, wo er sofort anfing alle Schränke aufzureißen, zwischen Kleidern zu kramen und Schubladen zu leeren bis alles auf dem Boden verstreut war.
 

Schwer atmend sah er sich um, die Augenbrauen skeptisch zusammen gezogen. Sie musste hier irgendwo sein. Er wusste, dass sie hier irgendwo sein musste. Er konnte sich noch genau an den Tag erinnern, wo sein Dad ihn mit hier hoch genommen hatte und sie ihm gezeigt hatte mit einem toternsten Gesichtsausdruck und ihm klar machte, dass er niemals zögern durfte, wenn es darum ging die zu beschützen, die er liebte und dass die Welt ein dunkler, schlechter Ort war. Damals hatte er ihn noch für melodramatisch gehalten und die Augen verdreht und wenig später mit Matt über kranke alte Männer gescherzt, die sich selbst zu ernst nahmen. Als seine Mom rausgekriegt hatte, was sein Dad getan hat, hatte sie eine Woche nicht mit ihm geredet und ihn angeblich gezwungen sie wegzuwerfen oder zu verkaufen.
 

Zack kannte seinen Vater besser. Der einzige Mensch, dem er es immer recht machen wollte, jedoch immer eine Enttäuschung war. Den Tag an dem er mit seiner Band wirklich erfolgreich wurde, hatte er nie miterlebt.

Mit einem Ruck riss er die Matratze vom Bettkasten, schleuderte die Schutzdecke weg und tatsächlich konnte er unter den hölzernen Streben den grauen Kasten sehen. Die Latten waren schnell heraus gebrochen, der Deckel aufgerissen und innen drinnen die glänzend schwarze Pistole mit dem eingravierten ‚Baker‘ im Griff.

Damals hatte er vielleicht gelacht, jetzt dankte er seinem Dad innerlich dafür, sie nicht wirklich verkauft zu haben. Mit der passenden Gürtelhalterung in der Kiste an seiner Hose befestigt, die zwei Ersatz Magazine in die Taschen gestopft, konnte er sich endlich wieder auf den Weg in die Küche machen.
 

»Zack!« Bereits als er die Tür wieder aufmachte, kämpfte sich Zena schwer wieder auf die Beine, die Hand an der Küchenzeile abgestützt, die andere unter ihren Bauch gepresst. »Was ist passiert?«
 

»Nichts Wichtiges. Ich erzähl es dir im Auto.«, gab er knapp, kurz angebunden zurück und drückte ihnen die Kleider und Schuhe in die Hand. »Zieht euch schnell was richtiges an.« Mit der Hand sicher am Gürtel, stellte er sich in die Küchentür, schaute nach rechts und links in den Flur. Verschwommen konnte er die nackten Waden seiner Mutter sehen.
 

»Woher hast du die Waffe?« Es war beinahe witzig, wie ihre Stimme nun wegen so etwas absolut belanglosen zitterte und er nur darauf wartete, dass sie ihm sagte, dass er sie hierlassen sollte. Zack hatte schon öfters längere Diskussionen mit ihr darüber gehabt, wenn er und seine Freunde in die Schießhalle gingen. Er war kein Waffen Freak, er hatte nur einen Waffenschein, weil er ihn aus Spaß mit Matt zusammen gemacht hatte, der sich eher dafür begeisterte.
 

»Von oben. Von Dad. Beeil dich.« Als Zack sich wieder umdrehte, schlüpfte Gavin in den letzten Schuh. »Wir gehen zu meinem Auto, ohne irgendwelche Umwege, klar?«
 

Schwach nickte Zena und zog ihren Sohn an ihre Seite, umschloss seine kleine Hand eisern mit ihrer. Zack musste dem Kleinen wirklich einiges anrechnen. Bis jetzt hatte er noch nicht geweint oder war in Panik ausgebrochen, ertrug sogar seine Mutter, die einem Nervenzusammenbruch Nahe war. Stoisch, sicher sah er gerade aus. Von seiner Großmutter angefallen, mit einem Wrack als Mutter und einem Onkel, der wohl grade aussah wie ein irrer Psychopath. Wahrscheinlich war er an diesem einen Tag um Jahre gealtert.
 

Bis zur Tür bildete Zacky die Spitze, nicht ohne wieder und wieder über die Schulter zu gucken. Zena schob Gavin schützend vor sich her, sah sich auch immer um, bevor er die Tür öffnete und sie beide mit einem Handwink an sich vorbei nach draußen scheuchte.
 

Die Straßen waren leer geworden. Generell war es sehr still geworden. Eher aus der Ferne konnte man Hupen und Schreie hören. Sein schwarzer BMW stand zum Glück direkt in der Einfahrt und war mit einem Knopfdruck schon aus der Ferne geöffnet.
 

»Schnell, macht schon!« Es war das einzige, an dem er sich gerade festhalten konnte. Er wüsste nicht, was er tun würde, wenn er nicht einen kleinen Teil seiner Familie noch bei sich hätte. Wenn er nicht noch zwei - fast drei, fiel ihm bitter auf - Menschen hätte, die auf ihn angewiesen waren. Vielleicht wäre er dann einfach neben seiner Mutter in die Knie gesunken und wäre dort liegen geblieben.
 

Zina kümmerte sich um Gavin auf der Rückbank, während er schon ums Auto ging zur Fahrertür hin. Seine Augen huschten über die Straße. Immer wieder fuhren Autos in einer Geschwindigkeit vorbei, die weit über dem Limit der Spielstraße war. Alle anscheinend in eine Richtung.
 

»Matt!«
 

Ruckartig riss er seinen Kopf herum. »Nein! Zena! Halt!« Er schaffte es nicht über die Motorhaube nach dem Arm seiner Schwester zu greifen, da lief diese schon auf Matt zu.
 

Wenn es doch nur Matt wäre.
 

»Matt! Zum Glück! Gott, sei Dank!«
 

»Bleib stehen! Sofort! Zena!«
 

Wütend drehte sie sich zu ihm um. »Was redest du da für einen Unsinn!« Bevor sie wieder nach vorne sah und die Hand nach der kauernden Gestalt zwischen den Büschen ausstreckte. »Matt, ist alles okay? Wir können weg! Komm schon!«
 

»Verfluchte scheiße, Zena!«, war alles, was er noch hervor bringen konnte, bevor er die Waffe aus dem Holster riss und anvisierte.
 

Genau in dem Moment, wo sich das Mistvieh – nicht sein Bruder, nicht sein kleiner Baby Bruder, auf den er so verdammt stolz war – umdrehte und den gleichen markerschütternden Schrei von sich gab, drückte er ohne zu zögern ab. Der Schuss hallte laut durch die Gegend, noch viel lauter war das Geräusch, als der nun leblose Körper auf den Boden prallte. Verdammt leise kam ihm dagegen Zenas erstickter Schrei vor.
 

»Wie konntest du nur!« Als sie sich umdrehte war ihre frische, weiße Bluse voller roter Flecken. Durch die Scheibe des Autos starrte ihn Gavin mit tellergroßen Augen an.
 

»Steig ins Auto!«, brüllte er ihr nur entgegen und presste die Waffe wieder an ihren Platz.
 

»Wie konntest du nur! Das war Matt! Das war unser Bruder! Wie konntest du nur!« Ihre Stimme überschlug sich, wurde hysterisch, wurde rau, wurde tränenerstickt.
 

»Steig in das verfickte Auto oder ich garantier für nichts mehr!« Mit einem Ruck riss er die Tür auf und ließ sich in den schwarzen Ledernen Fahrersitz fallen. Noch immer spürte er Gavins angsterfüllten Blick in seinem Nacken. Für ein paar Sekunden atmete er tief ein und aus, die Hände weiß am Steuer.

Verlier nicht den Kopf. Verlier nicht den Kopf. Verlier nicht den Kopf.
 

Es dauerte nicht lange, bis Zena wesentlich leiser, die Tür vom Beifahrersitz schloss und so weit von ihm wegrutschte wie nur möglich. Ihr Körper zitterte, während wieder Tränen über ihr blasses Gesicht liefen.
 

Als er den Wagen anwarf, ging automatisch das Radio an.
 

»Begeben Sie sich sofort zu den Häfen, Flughäfen und Evakuierungspunkten ihrer Stadt. Flüchten Sie nicht ins Landesinnere.

Ich wiederhole: Begeben Sie sich ohne Umwege zu den Evakuierungspunkten.«
 

»Was ist mit Mom?«, fragte Zena nach einiger Zeit leise.
 

»Sie ist tot.«, gab er zurück, ohne den Blick von der Straße abzuwenden, ohne dabei richtig zu sehen, wo er überhaupt hinfuhr. Am liebsten hätte er ihr gesagt, dass sie doch bitte einfach die Klappe halten sollte. Einfach leise sein sollte, da er besseres zu tun hatte, als sich jetzt damit auseinander zu setzen.
 

»Genauso tot wie Matt?«, fragte sie leise, schneidend nach und diesmal konnte Zack wirklich nicht das Lachen zurück halten, dass in ihm hochsprudelte.
 

»Dies ist keine Übung und erst recht kein Test. Dies ist der Ernstfall. Der Virus breitet sich rasant aus und wir befinden uns auf Ground Zero. Flüchten Sie unter keinen umständen ins Landesinnere. Der einfachste Weg, die Ausbreitung aufzuhalten ist, alle Menschen zu evakuieren. Kommen sie zu den Häfen und zu den Flughäfen.«
 

»Ich weiß nicht, sag du es mir, Zena.«
 

»Red nicht so mit mir.«
 

»Wie soll ich dann mit dir reden? Hm? Denkst du mir hat das Spaß gemacht? Denkst du ich fand das witzig, dass mich das geil macht? Denkst du das? Fick dich doch.« Seine Hände griffen immer fester um das Lenkrad. Es hatte ihm keinen Spaß gemacht. Sie waren beide fertig. Wieso konnte sie nicht einfach den Mund halten? Er hatte sich das nicht ausgesucht. Kein Stück. So viel staute sich in ihm auf, ein schier unüberwindbarer Berg an Gefühlen, die einen einzigen Orkan verursachten, bei dem er nicht mehr wusste, wo er sich hinwenden konnte oder sollte.
 

»Hör auf mit deinem asozialem Rockstar Gerede. Red so mit deiner Band aber nicht vor meinem Kind!« Manchmal konnte sie so sehr wie Dad sein, dass es schmerzte.
 

»Was hätte ich an deiner Stelle tun sollen, sag es mir!« Die Straße, die er runterfuhr, eh nur in seinem Hinterkopf, unwichtig, rückte in den Hintergrund. Lieber wollte er ihr störrisches, tränenüberströmtes Gesicht sehen. Zena, die große verdammte heuchlerische Heilige. Wie immer.
 

»Vielleicht hätte es noch einen Weg gegeben, das wieder rückgängig zu machen!« Oh, natürlich.
 

»Sieht es so aus?« Solche Dinge gingen nie gut aus. Die Welt versank nicht an einem Tag in so ein Chaos, in die verdammte Apokalypse nur um am nächsten Tag wieder super drauf zu sein! »Sieht es so aus?!«
 

»Wir können noch nichts über diesen Virus sagen, aber alle Fachkräfte arbeiten daran. Bis dahin bitten wir sie nicht nur, sondern befehlen wir ihnen zu den Posten in ihrer Nähe zu kommen. Bewahren Sie dabei Ruhe. Wir werden das Problem versuchen unter Kontrolle zu kriegen, bis dahin brechen Sie nicht in Panik aus. Brechen Sie auf keinen Fall in Panik aus.«
 

»Schau auf die Straße! Und fahr mich nach Hause!«, zischte sie ihm entgegen, bevor sie sich noch fester die Arme um ihren runden Bauch schlang und ihm fast komplett den Rücken zudrehte.
 

»Nach Hause?« Erneut lachte er auf. »Was verstehst du nicht an Evakuierung und ohne Umwege!«
 

»Jason ist noch zu Hause!«
 

»Muss ich überhaupt auch nur damit anfangen, dir zu erklären-«
 

»Schau auf die Straße!«
 

»- wie absolut lebensmüde-«
 

»Schau auf die Straße, Zachary!«
 

»Hat das mit Mom nicht gereicht?!«
 

»Schauf bitte auf die Straße, Zack!«
 

»Du bist schwanger und du hast deinen Sohn hier, wir haben keine beschissene Zeit-«
 

»Schau auf die Straße!!« Verzweifelt griffen ihre Hände nach dem Lenkrad.
 

Das letzte was Zack hörte, bevor er mit dem Kopf nach vorne knallte, war der grelle Schrei von Gavin, der sich mit Zenas Worten zu einem undefinierbaren Brei vermischte. Das Quietschen von Bremsen, das Bersten von Metall, das Klirren von Glas. Alles vermischt zu einem einzigen Crescendo an Lärm.
 

Danach wurde alles Schwarz. Und, wenn er zu diesem Tag zurückblickte, dann hätte er sich gewünscht, dass es für immer Schwarz geblieben wäre.



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