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Desteral Storys - Krieg auf Aira / Erzählungen

Zwischen den Zeilen....
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Ein anderes Kapitel: Ein typischer Herbsttag

Furah hatte schon hunderte solcher Herbsttage erlebt – Immer mehr Blätter verfärbten sich in den schillerndsten Farben, ehe sie zu Boden sanken. Eine kalte Brise wehte ihn um die Nase und er konnte Vögel in der Ferne kreischen hören, flohen sie doch in den warmen Süden. Trotz der kalten Temperaturen bot der Herbst mit seinen einzigartigen Gerüchen ein wunderbares Schauspiel, über den Waldboden huschten einige Eichhörnchen hin und her. Die verschiedensten Pilze wuchsen unaufhörlich und bedeckten den Waldboden mit ihren lustigen Formen und Farben. An diesen Tag kroch ausnahmsweise kein dichter Nebel über den Boden, stattdessen erhellten die letzten warmen Sonnenstrahlen den Wald. Es war ein typischer, freundlicher Herbsttag, der für einen Spaziergang geradezu wie geschaffen war.
 

Als reinblütiger Arcaner hatte Furah ein langes Leben. Mit seinen 86 Jahren befand er sich gerade mal in seiner Blütezeit. Doch gerade weil er ein so langes Leben hatte, interessierte ihn das Spektakel um ihn herum nur wenig. Er hatte alles schon einmal gesehen. Viel zu leicht konnte er erahnen, was als nächstes passieren würde. Dieses Wissen konnte er nur dazu nutzen, um sich etwas zu essen zu beschaffen. Ansonsten war es ziemlich wertlos.

Etwas gelangweilt schloss er seine Augen und lauschte den Geräuschen um sich herum – Er hatte keine Lust, sich auf die Suche nach Leuten zu machen, die er ausrauben konnte. Er wollte sich keinen Job suchen oder jemanden helfen. Heute wollte er es nicht. Schließlich war er satt und morgen auch noch ein Tag.

Furah wusste nicht, was er mit diesen Herbsttag anfangen sollte, ganz gleich, wie schön er war. So ließ er ihn einfach an sich vorbeiziehen. Wenn sich irgendjemand im Wald verirren sollte, so konnte er es sich ja nochmal überlegen, doch nun wollte er einfach nur das Rauschen der Blätter im Wind hören. Dabei ein Nickerchen halten, vielleicht auch zwei oder drei.

Das Tanzen der Blätter erinnerte ihn stets an Meeresrauschen. Wie einfallslos die Natur doch manchmal war. Zwei komplett unterschiedliche Ereignisse klangen absolut gleich. Mit den Gedanken an das Meer kam er nicht herum, an seinen Erzfeind Avrial zu denken – Wenn er es richtig in Erinnerung hatte, lebte er jetzt auf der kleinen Insel Ikana, die im nördlichen Meer lag. Seit ihren letzten Treffen hatte Avrial sich nicht mehr blicken lassen – Ob sich der Fluch, den Furah ihn aufgedrückt hatte, schon erfüllt hatte? Hatte Avrial sein Liebchen schon betrogen und an eine andere gedacht? Wohl kaum, dafür war sein Erzfeind viel zu weibisch. Höchstwahrscheinlich hätte man auch etwas davon in der Zeitung gelesen – Ein Spinnenmonster, was alles in Schutt und Asche legte, sah man nicht alle Tage.

Wie Furah sich die ein oder andere Überschrift für die Schlagzeile ausdachte, konnte er nicht anders, als zu grinsen: Es war für ihn einfach zu herrlich, ein Dunkelmagier zu sein. So konnte er das Leben anderer spielend leicht zur Hölle machen.
 

Mit einen Mal horchte er auf – Ein schwaches Wimmern wurde fast von den vorbeiziehenden Wind übertönt. Es war kein Wimmern, dass Furah kannte; ausgesetzte Kinder weinten außerdem vielmehr als das sie wimmerten.

Fast klang es wie ein Tier, aber die Tiere des Waldes machten andere Geräusche, wenn es ihnen nicht gut ging. Die ganze Zeit über hatte Furah gemütlich auf seinen Ast hoch oben nahe der Baumkrone gelegen, doch jetzt setzte er sich auf.

Was war das bloß? Irgendwie interessierte ihn dieses ungewohnte Geräusch, aber viel mehr störte es ihn bei seinen Nachmittagsschläfchen.

Doch möglicherweise war der Ursprung des Geräusches ein guter Zeitvertreib für ihn. Etwas, was diese gähnende Langweile endlich vertrieb.

Wie er seinen Blick kurz über den Waldboden gleiten ließ, entdeckte er den Grund für das Gewimmer: Es war ein kleines Kind.

Ein Katzenkind, um genau zu sein. Dabei handelte es sich nicht etwa um ein Kätzchen auf vier Samtpfötchen, sondern um das Kind eines Katzenmenschen.

Mit schnellen Schritten und etwas Magie näherte sich der Erwachsene den Kindchen, ohne dass es ihn bemerkte. Es hatte kurze, schwarze Haare und war etwas wackelig auf seinen Beinchen unterwegs – Sicher war es keine zwei Jahre alt. Zwei weiße, niedliche Katzenöhrchen waren dicht an den runden Kopf angelegt und immer wieder schluchzte es auf. Der kleine weiße Katzenschweif hing auf dem Boden, fast sah es so aus, als würde das kleine Mädchen ihn nur hinter sich her schleifen.

Mit einen leichten Grinsen trat Furah hinter den Baum, an den er sich gelehnt hatte, hervor: „Was machst du hier so ein Theater?“

Das kleine Katzenmädchen sah ihn mit ihren großen Augen verwundert an, ihre Katzenöhrchen waren aufgestellt: Anscheinend war sie von seinen plötzlichen Auftritt überrascht. Es war nur allzu verständlich, war Furah doch aus dem Nichts erschienen und mit seiner hohen Körpergröße ein Riese für sie.

Doch anstatt vor Angst wegzurennen, fing das Kind nur wieder an, zu wimmern und setzte sich auf den Boden: „Ma...ma...“

„Mama?“, Furah hob leicht skeptisch eine Augenbraue und ging langsam auf sie zu: „Ist die etwa hier in der Nähe?“ Leicht kniete er sich zu ihr herab: Es war vollkommen unsinnig, mit den kleinen Katzenkind zu reden. Schließlich konnte es kaum laufen und brabbelte viel eher als das es sprach.

Für einen kurzen Moment verengte sich der Blick des Arcaners und seine Mimik wurde ernst: Konnte es sein, dass er die letzte Zeit etwas zu lang alleine gewesen war? Er wusste doch, dass sie viel zu klein war, um seine Fragen zu beantworten, warum redete er dann mit ihr, als wäre es selbstverständlich?

Furah konnte nicht wirklich darüber nachdenken, dafür war das Gewimmer und das Schluchzen des Kindes viel zu laut. Er wollte es eigentlich auch gar nicht.

„Verdammt, dieses Gejammer ist ja kaum auszuhalten.“, schoss es ihn durch den Kopf. Es ging einen durch Mark und Bein und ohne dass man es wollte oder etwas dafür konnte, bekam man ein schlechtes Gewissen.

Furah war sich klar, warum er nie Kinder haben wollte. Sie machten viel zu viel Ärger. Mit einer Frau einfach nur Spaß zu haben, das war ihn hundertmal lieber als an sich irgendetwas oder irgendjemand binden zu müssen. Nein, dafür war er viel zu frei. Er liebte es, sein Leben zu leben, wie es ihn gerade passte.
 

Dennoch, das kleine Katzenkind tat ihn ein kleines bisschen leid. Vorsichtig legte er eine Hand auf den kleinen Kopf und lächelte: „Hör auf zu heulen, deine Mutter ist nicht hier.“

Das Katzenmädchen sah mit traurigen Augen zu ihn auf und tatsächlich verstummte ihr Weinen: „Ta...ta?“

Ein kleines Schnurren kam aus ihrer Kehle und sie hob ihre kleinen Hände, die in Handschuhe dick eingepackt waren: „Tata!“

„Ich bin nicht dein „Tata“, damit das klar ist-.“, mit einen gezielten Handgriff stellte Furah den Winzling wieder auf die Beine: „Komm, wir suchen deine Mutter, damit sie mir einen Finderlohn für dich geben kann.“

Das Katzenmädchen schnurrte erneut und brabbelte irgendetwas Unverständliches vor sich hin. Dabei fiel Furah auf, dass auf ihren Schal ein Name fein säuberlich gestickt war: „Tracy?“

„Tata!“, mit schnellen Schritten stolperte das Kind auf ihn zu und drückte ihr Gesicht an sein linkes Bein: „Tata lieb!“

Furah lächelte leicht: Anscheinend hörte das Katzenkind tatsächlich auf diesen Namen. Vorsichtig beugte er sich zu ihr herunter und drückte tätschelte sie wie eine Schmusekatze ein paar Mal, ohne ihr dabei wehzutun: „Ja, ich bin lieb, jetzt komm.“

Gerade wollte er sich in Bewegung setzen, damit das Kind ihn folgte, da spürte er etwas an seinen Bein zwicken. Verwundert sah er nach unten, den folgte ein entsetztes „Was tust du da?!“.

Schnell packte er das Kätzchen am Schal und riss es von seinen Bein weg. Er konnte kaum fassen, was es eben gewagt hatte.

Die kleine Tracy hatte tatsächlich versucht, ihn ins Bein zu beißen. Glücklicherweise besaß Furah ziemlich feste Lederstiefel, noch dazu waren die Zähne des kleinen Kindes einfach zu schwach, um sich durch Hose und Schuhe zu bohren. Etwas irritiert und auch wütend funkelte Furah sie an: „Ich bin doch keine verdammte Maus!“

Auf seinen Blick hin wandelte sich der fröhliche Gesichtsausdruck des Kleinkindes in einen kummervollen. Keine Sekunde später fing Tracy wieder an zu weinen: „Tata bös...!“

Mit einen tiefen Seufzen ließ der Arcaner den Schal des Katzenmädchen los, sodass sie mit ihren Hintern auf den belaubten Waldboden fiel. Er murmelte halblaut: „Das ist mir zu blöd.“, ehe er sich umdrehte und für die kleine Tracy in wenigen Schritten verschwunden war.

Tatsächlich befand er sich im Blattwerk eines anderen Baumes, der nur wenige Meter von Tracy entfernt war. Demonstrativ drehte er sich von ihr weg: „So ein kleines Monster ist kein Finderlohn wert.“

Furah war von den kleinen Katzenkind fasziniert gewesen, schließlich traf man so etwas in Desteral nicht jeden Tag. Tiermenschen zogen es vor, auf ihrer Heimatinsel Palooza zu bleiben. Doch wenn dieses Kind ihn biss und die Ohren voll jammerte, so wollte er nichts damit zu tun haben.

Er konnte hören, wie sie weinte.

Dieses Wimmern war unerträglich, so hielt er sich schnell die Ohren zu.

Mit den Händen an seine Ohren gepresst, machte er es sich wieder gemütlich: Irgendwann würde sie schon aufhören. Ihre Mutter sie schon finden. Niemand würde ein so niedliches Kindchen in einen Wald allein zurücklassen.

Doch was, wenn genau dies die Absicht war? Wenn Tracys Mutter wollte, dass sie alleine war?

Leicht schnaufte er mit einen Grinsen: Er konnte es sich gut vorstellen, dass die Heulsuse Tracys Mutter zu viel geworden war.

Ein kurzer Spaziergang im Wald und schon war die Sache erledigt – Es würde keine drei Tage dauern, da wäre das wehrlose Kind von Tieren zerfleischt oder vor Hunger umgekommen.

Problem gelöst.

Alle Sorgen aus der Welt geschafft. Mit einer einzigen, simplen Tat.
 

Es war eine überaus grausame Vorstellung, die Furah da hatte, war das kleine Mädchen doch vollkommen hilflos. Auch wenn es ihn unheimlich auf die Nerven ging, so durfte die kleine Tracy nicht enden. Er hatte ohnehin nichts besseres zu tun – Selbst wenn sie eine kleine Pestbeule war, so sprang sicherlich etwas Gutes für ihn heraus.

„Komm schon, gib dir einen Ruck.“, mit einiger Überwindung erhob sich der Arcaner wieder und sah zum Kind hinab, das mittlerweile wieder dabei war, durch den Herbstwald zu tapsen. Mit einen tiefen Seufzen wendete er seinen Blick ab: Es machte nur Ärger. Er hatte mit den Kind überhaupt nichts zu tun. Dennoch, ein kleiner Teil von ihn wollte ihr unbedingt helfen. Auch wenn es gegen seine Art war und es allen widersprach, was er sonst so liebte.

„Es sieht doch keiner.“, dachte er sich: „Die kleine Pestbeule wird sich in ein paar Tagen ohnehin nicht mehr an mich erinnern.“ An sich hatte Furah nichts zu verlieren.
 

Mit einen leichten Sprung tauchte er genau vor Tracy auf, die einfach stehen geblieben war. Mit verweinten, halb geschlossenen Augen sah das kleine Mädchen ihn an. Deutlich sah man es ihr an, das sie ziemlich müde vom vielen Laufen war. Sehr müde sogar.

Leise schluchzte sie: „Tata?“

„Ja ja.“, vorsichtig schob der Dunkelmagier Tracy an sich und strich ihr sanft über den Kopf: „Tata.“

Furah konnte ein schwaches Schnurren hören. Kleine Arme umarmten sein linkes Bein so fest wie sie konnten.

„Hey-.“, Furah konnte nichts anders, als leicht zu lächeln: „Du brauchst keine Angst mehr haben, ich bringe dich zu deiner Rabenmutter.“

Vorsichtig beugte sich der Arcaner hinunter, um das Katzenkind auf den Arm zu nehmen: Es war ohnehin sinnlos, mit der Kleinen in diesen Zustand zu reden. Wenn er sie auf dem Arm nahm und sie dabei auch noch einschlief, konnte er sich schneller auf die Suche nach ihrer Mutter machen. Doch vor allen Dingen hatte er dann endlich seine Ruhe.

„Ich heiße übrigens Furah, klar?“, flugs griff er ihr unter die kleinen Arme: „Merk' dir das.“

„Fu! Fu-ah!“, sichtlich erfreut, dass sie auf dem Arm genommen wurde, sah Tracy ihn mit ihren hellgrünen Augen an und wedelte mit ihren Schweif hin und her: „Fu lieb!“

„Ja, ich bin die liebste Person auf diesen Planeten.“, mit leichter Ironie sagte Furah diese Worte und hob sie hoch. Immerhin lernte die Kleine schnell.

Weit kam er nicht, denn das kleine Katzenmädchen dachte nicht im Traum daran, mit ihren Händchen sein Bein loszulassen. Viel mehr biss sie erneut in sein Bein, so fest sie konnte, etwas unterhalb seines Knies.

Ein leichter Schauer durchfuhr Furahs ganzen Körper: Nicht, dass sie ihn tatsächlich weh getan hätte, das ganze war nur mehr als grotesk für ihn.

Mit einen leichten Schnaufen wollte er das Katzenkind von seinen Bein losreißen – Sicher hätte er es auch geschafft, schließlich war er erwachsen und noch dazu ein Magier. Doch Tracy gab sich die größte Mühe, nicht von seinen Bein getrennt werden, sodass er nach ein paar Versuchen aufgab.

Er wollte ihr nicht wehtun.

„Wenn ich sie verletze, reißt mir ihre Mutter womöglich den Kopf ab.“, war sein Gedanke, ehe er Tracy vorsichtig losließ: „Mein Gott nochmal, du bist wie ein kleiner Parasit!“

Leicht erstaunt hob der Arcaner eine Augenbraue: Anscheinend hatte das Kleinkind noch genug Kraft, um sich auch ohne seine Hilfe an sein Bein festzuhalten.

Mit einen mürrischen „Mach doch, was du willst.“, setzte er sich in Bewegung: Irgendwann würde sie schon wieder abfallen. Wie ein kleiner, lästiger Käfer.
 

Furah stapfte so durch den Wald – Er konnte sich mit Tracy nicht so schnell bewegen, zumal er jetzt keine Magie anwenden konnte. Etwas ungewöhnlich war das ganze schon für hin; Für normal hätte er den ganzen Wald binnen einer Stunde abgesucht, doch jetzt schien die Zeit zu schleichen. Immer wieder wanderte sein Blick zu Tracy: Das Kind schien strahlend gute Laune zu haben, leuchteten doch ihre Augen wie zwei Saphire. Immer wieder festigte sie ihren Biss an seinen Bein, zwischenzeitlich fühlte es sich sogar so an, als würde Tracy an den Lederstiefel herumkauen.

„Wenn du mich auffrisst, wer sucht dann deine Mutter?“, erwiderte Furah darauf sarkastisch, doch musste er nur vielmehr aufseufzen, als er sah, dass Tracy ihn voll sabberte.

Doch ließ Tracy sich nicht stören – So gut, wie sie es mit einen vollen Mund konnte, gab sie immer wieder Wörter in Kleindkindsprache von sich. Obwohl um die beiden herum der Wald mit seinen Vorbereitungen auf den Winter ein wahres Reizfest für ein kleines Kind wie Tracy war, ließ sie von Furah nicht ab. Viel mehr begann sie, alles zu kommentieren, was sie sah: „Vo-gel!“ „Blad!“ „Fu!“ „Mjammy Mjammy!“ „Maus!“ „Re!“ „Nuss!“ „Baum!“, die Liste schien dabei endlos. Selbst wenn sie ein Wort nicht wusste, so begann sie, die Dinge neu zu benennen. Furah musste erstaunt feststellen, dass Kinder eine außerordentliche Fantasie hatten – Wer würde schon sonst darauf kommen, einen gewöhnlichen Dachs als „Dreckwauwau“ zu bezeichnen?

Je länger der Magier mit ihr durch den Wald stapfte, desto schmutziger wurde das kleine Mädchen – Immer wieder streifte Tracys rundlicher Körper den Waldboden, sodass Erde, Blätter und kleinere Äste an ihr hängen blieben. Tracy ließ sich dadurch nicht stören – Vielmehr fauchte sie sogar einmal auf, als Furah wieder versuchte, sie von seinen Bein zu nehmen. Dabei wollte er nur nett sein und kein verdrecktes Kind bei seiner Mutter abgeben – Das hatte er davon. Schon immer hatte es Furah gewusst: Es lohnte sich einfach nicht, nett zu jemanden zu sein.

Kurz blieb der Magier stehen und starrte für wenige Sekunde in die Leere: Was sollte er eigentlich tun, wenn er ihre Mutter nicht fand? Es musste dabei nicht einmal ihre Mutter sein; Irgendwer, der die Kleine kannte, reichte vollkommen. Furah konnte sie unmöglich wieder im Wald aussetzen, es war mehr als grausam. Das Gejammere von ihr müsste er dann womöglich tagelang hören.

Natürlich war das nicht der wahre Grund, doch konnte er einfach nicht zugegeben, dass er die Kleine irgendwie mochte. Sie war auf ihre unschuldige und naive Art witzig und ließ die Langweile mit ihren unsinnigen Brabbeln verschwinden.

Er konnte sie nicht einfach wieder aussetzen – Nicht einmal in eine Stadt wollte er sie aussetzen. Schließlich war die Kleine ein Tiermensch – Wer oder Was sagte ihn, dass sie nicht verlassen und hungrig in einer Seitengasse endete? Menschen waren sowas von bescheuert, fürchteten sie doch alles befremdliche. Es war einer der Gründe, warum Furah nie in einer Stadt leben wollte. Da blieb er lieber für sich allein im Wald oder zog umher.

Sollte er sich etwa selbst um sie kümmern? Das war eine miserable Idee. Er wusste noch nicht einmal, was kleine Tiermenschen aßen, obwohl er es sich gut denken konnte. Ratten und anderes Kleingetier. Dennoch - Er, eine Vaterfigur? Das war eine absolut lächerliche Vorstellung.

Niemals könnte er sich um sie kümmern: Das widersprach gegen alles, was sein Leben ausmachte. Tracy war süß wie Zucker auf ihre schrullige Art und Weise, doch war sie es nicht wert, dass er sein Leben für sie änderte. Schließlich kannte er sie nicht wirklich. Womöglich dankte sie ihn es noch nicht einmal, wenn sie älter war.

Kurz schloss er seine Augen – Diese aussichtslose Situation erinnerte ihn an etwas, was er sich schon so oft ausgemalt hatte. Etwas, was er schon hunderte Male in seinen Kopf durchgegangen war. Etwas, wobei er hoffte, dass es so gewesen ist, er jedoch nie die Wahrheit erfahren würde. Da kam es ihn in den Sinn – Ein Waisenhaus. Im Notfall konnte er Tracy in ein Waisenhaus bringen. Dort wurde immerhin für sie gesorgt, bis jemand beschloss, das kleine, beißende Monster als seine Tochter zu adoptieren, oder sie erwachsen war.

Das war eine gute Idee. Vielleicht nicht die Beste, aber immerhin noch besser, als wenn er versuchen würde, sie selbst aufzuziehen.

„Tracy?“, Furah konnte spüren, wie die Kleine sich an den Stoff seiner Hose festkrallte.

„Lieb! Lieb!“, brabbelte das Katzenmädchen vor sich hin: „Fu so lieb!“

„Wenn ich wollte, könnte ich dich mit drei Handgriffen in eine Pelzmütze verwandeln.“, erwiderte er trocken. Er war alles andere als lieb. Er beklaute, verfluchte und tötete im selten Fall sogar die Personen, denen er begegnete. Immer zog er seinen Nutzen aus solchen Begegnungen, nie tat er etwas für andere. Schließlich tat auch nie jemand etwas für ihn. Wieso sollte er da den ersten Schritt machen?

Zwar hätte Furah Tracy ebenfalls umbringen können, um sie loszuwerden. Ein klitzekleiner Fluch und er hätte wieder seine Ruhe gehabt. Doch irgendetwas Idiotisches in seinen Unterbewusstsein hinderte ihn daran, es zu tun.

Na gut, vielleicht war er doch ein kleines bisschen nett. Auch wenn er es niemals zugeben würde. Schließlich war es dann zum Großteil eine Lüge.
 

Wie Furah mit seiner kauenden Fußfessel einen kleinen Hügel erklommen hatte, musste er einmal blinzeln: Spielte sein Auge ihn da etwa einen Streich? Nein, das konnte nicht sein.

Er sah Tracy, ein weiteres Mal. Doch diese Tracy, die inmitten der Bäume stand und scheinbar vor sich hin träumte, war erwachsen. Sie hatte ebenfalls pechschwarze Haare, die ihr über den ganzen Rücken liefen,

hellgrüne Augen wie Smaragde und weiche Gesichtszüge.

Leicht hob Furah sein linkes Bein an: Die kleine Tracy war immer noch da und biss voller Freude abermals zu. Wie konnte das sein? Fast schien es Furah, als würde er in die Zukunft blicken. Hatte er etwa einen Zauber ausprobiert und erinnerte sich bloß nicht mehr daran? Oder war das ganze hier nur ein Traum? Hielt er noch auf seinen Lieblingsast ein Nickerchen? Ein leichter Schauer lief Furah über den Rücken.

Da fiel es ihn plötzlich ein. Es war ganz logisch und er verfluchte sich selber dafür, dass er auf solch unsinnige Gedanken gekommen war.

Die erwachsene Tracy war niemand anderes als Tracys Mutter.

„Bei euch scheint nicht viel mit Vererbung zu sein, was?“, sagte er halb zu Tracy, halb zu sich selbst und stampfte den kleinen Hügel hinunter.

Die Odyssee fand ein Ende. Endlich. Schließlich war er sie langsam leid geworden. Irgendwie.

Die erwachsene Tracy schien vollkommen in ihren Gedanken versunken. Immer wieder ging sie ein paar Schritte und zuckte mit ihren Katzenohren. Obwohl sie so durcheinander war, hatte sie eine beruhigende Ausstrahlung, wie Furah fand. Irgendwie hatte diese Katzenfrau etwas, was Furah faszinierte, doch konnte er sich keinen Reim darauf bilden, was es war. Sicher lag es einfach nur daran, dass sie ein Katzenmensch war.

Der Dunkelmagier trat auf einen kleinen Ast, der mit einen lauten Knacken zerbrach. Sofort drehte sich die erwachsene Tracy um: „Tra- Oh!“ Leicht erstaunt blickte sie Furah ins Gesicht.

Dieser hob mit einer leicht verstimmten Mimik sein Bein, an den Tracy hing: „Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass sie kleine Pestbeule zu dir gehört.“ Dabei ließ das Kleinkind Furahs Bein nicht los, obwohl es schon längst seine Mutter hätte riechen müssen.

„Ach- Da bist du ja Tracy!“, ihr überraschter Blick formte sich in einen erleichterten Gesichtsausdruck. Dabei strahlten ihre Augen voller Liebe: „Ich habe dich schon überall gesucht.“

Tracy kaute unbeirrt an Furahs Bein weiter, sodass dieser mit einen ernsten Blick zu ihr hinunter sah: „Hey, Pestbeule, deine Mutter redet mit dir!“

„Myamm!“, mit einen kleinen Schnurren kniff das Katzenkind freudig die Augen zusammen.

„Ist schon okay – Sie scheint Sie zu mögen.“, die erwachsene Tracy lächelte und legte ihre Hand auf den Kopf ihrer Tochter: „Vielen Dank, sie war einfach plötzlich weg.“

„Kann wohl ziemlich schnell davon stolpern.“, erwiderte Furah, doch wurde er das Gefühl nicht los, dass Tracys Mutter ihn etwas verschwieg.

„Ja, das stimmt!“, mit einen leichten Kichern tätschelte sie die Kleine zwischen den Ohren und kniff ihr leicht in das rechte Katzenöhrchen: „Tracy, lass' den lieben Onkel los.“

„Ich bin verdammt nochmal nicht lieb.“, waren Furahs Gedanken, doch zog er beleidigt eine Schnute, ohne dabei ein Wort zu sagen. Diese Tiermenschen hatten alle ein vollkommen falsches Bild von ihn.

Vielmehr stumm sah er zu, wie die große Tracy der Kleinen unter die Ärmchen griff und sie an schnurrte: „Wenn du bei ihn bleibst, gibt es keine warme Milch für dich.“

„Milch!“, genau in diesen Moment ließ das Katzenkindchen Furahs Bein los und sah freudig zu ihrer Mutter auf: „Mama Milch! Sie fing an zu schnurren und drückte ihren Kopf fest an ihre Brust.

Die Erwachsene konnte darauf nur behutsam lächeln und gab ihr einen Kuss auf das schwarze, dünne Haar: „Mein kleiner Wirbelwind, lauf' mir nicht noch einmal weg, hörst du?“

„Ja!“, glücklich schnurrte die Kleine auf: „Mama, Milch!“

Dann sah die Erwachsene zu Furah auf: „Ich kann Ihnen gar nicht genug danken.“

„Schon in Ordnung – Ich hatte ohnehin nichts Besseres zu tun.“, murmelte Furah leicht vor sich her: Eigentlich sollte er einen Finderlohn verlangen. Oder sich zumindest bei ihr beschweren, dass ihr Göre seine kostbare Zeit in Anspruch genommen hatte. Einen Lohn für das anstrengende Babysitten.

Doch irgendwie konnte er es nicht. Etwas schnürte ihn den Brustbereich zu und sein Mund fühlte sich trocken an. Verdammt, was war das bloß?

„Ich würde Ihnen so gerne etwas für ihre Mühe geben, aber ich habe nichts dabei.“, verlegen sah Tracys Mutter den Dunkelmagier an, dann sah sie zu Tracy: „Wir sollten auch langsam zurück nach Hause.“

Leicht stupste sie ihre Tochter, die die ganze Zeit nicht zugehört hatte, weil sie an Milch dachte, an: „Sag' Auf Wiedersehen zum Onkel.“

„Onki...?“, leicht legte Tracy den Kopf schief und sah ihre Mutter verwundert an, ehe sie auf Furah zeigte: Tata...?!“

„Was? Oh nein, mein Schatz, das ist ein Onkel, keine Tante.“, leicht tippte sie auf das Näschen ihrer Tochter, ehe sie bei Furahs entsetzten Gesichtsausdruck laut lachen musste: „Entschuldigen Sie bitte, Tracy versteht den Unterschied noch nicht wirklich!“

Als sie sich von ihren kleinen Lachen erholt hatte, fügte sie hinzu: „Sie glaubt, alle Frauen hätten lange Haare, deswegen waren sie wohl eine Tante für sie.“

Entrüstet schnaufte Furah kurz auf, ehe er sich umdrehte: „Ist eben nur ein Kleinkind!“ Ein dämliches, hilfloses Kleinkind. Ein Kind, was nur seine Zeit verschwendet hatte.

Mit wenigen kurzen Schritten machte er sich bereit, zu verschwinden: „Und Tschüss!“

„Fu!“, Klein-Tracy fing an, auf den Arm ihrer Mutter heftig zu zappeln und griff scheinbar nach den Dunkelmagier: „Nicht!“

Ein lautes, hilfloses Hicksen folgte: „Kuss!“

„Tracy- nicht-.“, ihre Mutter hatte es schwer, sie festzuhalten: „Der Onkel kann dir keinen Kuss geben.“

„Kuss!“, laut und schluchzend drückte die Kleine ihre Fäuste an ihre Augen: „Fu Kuss!“

Mit einen lauten Seufzer drehte sich Furah noch einmal um zu der Kleinen: „Ich kann es nicht ausstehen, wenn du weinst.“

In wenigen Schritten stand er wieder vor ihr und ihrer Mutter und sah das Kleinkind todernst an: „Das ist unerträglich, hör auf.“

„Fu...?“, Furahs Ernst hatte den Kind die Tränen versiegt. Es lehnte sogar die Katzenohren leicht an und seine Augen waren vor leichter Furcht etwas dunkel: „Onki...“

Schnell und mit einer gewissen Achtsamkeit kniff Furah Tracy in die Wange und grinste leicht: „Hör auf zu weinen, mmm? Bringt ohnehin nichts.“

„Kuss!“, fröhlich, dass „Onkel Furah“ anscheinend doch nicht sauer war, hob die Kleine wieder die Arme in die Höhe.

Doch schüttelte dieser nur den Kopf: „Nein nein, lass' dich lieber von deiner Mama küssen.“

Leicht verengte er seinen Blick und flüsterte: „Mach's gut, Tracy.“

Im nächsten Moment war er verschwunden.

Die kleine Tracy sah ihre Mutter fragend an, hatte Furahs Stimme doch einen traurigen Nachklang gehabt. Mit einen warmen Lächeln erwiderte sie: „Onkel Fu kommt sich irgendwann wieder.“

Sofort schnurrte das Katzenkind auf, glaubte es doch den Worten ihrer Mutter sofort.

Tracys Mutter Magret lächelte und drehte sich langsam um, um den Heimweg anzutreten: „Lass uns nach Hause gehen.“

Wenige Meter gut in den bunten Blättern versteckt sah Furah zu, wie Mutter und Kind den Wald verließen.
 

Langsam schloss er die Augen: Es war eine komische Begegnung gewesen, beinahe wie ein Blick in die Zukunft. Dennoch, jede Begegnung hatte etwas Besonderes und zugleich Wertloses an sich. Diese Begegnung war wie jede andere auch – Einzigartig und doch nur von kurzer Dauer.

Furah wusste, es würde keine zwei Jahre dauern, da hatte Tracy ihn ohnehin wieder vergessen. Ganz gleich, wie anstrengend und süß sie doch gewesen war, ihre Begegnung hatte nichts zu bedeuten. Schließlich konnte der Dunkelmagier keinen Nutzen aus ihr ziehen.

„Suchen wir mal uns einen Idioten.“, dachte er sich und streckte sich kurz, ehe er sich umdrehte und tiefer in den Wald verschwand. Einen Wanderer zu erschrecken war jetzt genau das Richtige, um das schwere Gefühl in seiner Brust zu vertreiben.

Irgendwann, so wusste er, würde er das kleine Kind ebenfalls wieder vergessen. Schließlich war es ein typischer Herbsttag. Ein Herbsttag wie jeder andere, ohne besondere Bedeutung.



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