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Desteral Storys - Krieg auf Aira / Erzählungen

Zwischen den Zeilen....
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Kindheitserinnerungen [Ricci] - Abendrot

Zugegebenerweise konnte sich Ricci nicht mehr wirklich an die Zeit im Königreich der Nacht erinnern. Es gab nur noch Erinnerungsfetzen, die mit jeden Tag seines Lebens immer mehr verblassten. So ist es kein Wunder, dass er die Familie Lily, die ihn adoptiert hat, als seine richtige Familie ansah. Er war gerade mal zwei Jahre alt, als sie ihn adoptierten, doch verstand er sich mit der gleichaltrigen Tochter Sunny von Anfang an und sie wurden ein Herz und eine Seele.

Der kleine Fledermausjunge vergaß so schnell die dunkle Zeit in seiner Heimat: Er vergaß, dass er von seinen Eltern immer mehr vernachlässigt wurde, von anderen Kindern schikaniert und beschimpft wurde und all dies, weil seine Flügel seit Geburt verkürzt waren. So war er nicht in der Lage, im Königreich der Nacht zu überleben, bestand das Königreich nahezu nur aus Gebirgen und Klippen, die Gebäude der Bewohner befanden sich in gigantischen Höhlen und in Felsvorsprüngen. Durch die Höhe gab es Bereiche des Königreiches, die das Sonnenlicht nie erreichte. Nur, wer in der Lage war, zu klettern oder zu fliegen, konnte in diesem dunklen Königreich auf Dauer überleben. Schließlich fassten sich Riccis Eltern ein Herz und gaben ihren Sohn zur Adoption frei, auch wenn ihnen klar war, dass niemand im Königreich ein Kind aufnehmen würde, was nahezu nicht lebensfähig war.
 

Doch traf dieser Zustand glücklicherweise nur auf das Königreich der Nacht zu und eine junge Mutter fasste eines Tages einen kühnen Entschluss und adoptierte den Jungen. Sie brachte ihn nach Passion, eine kleine, ländliche Stadt im Königreich der Katzen - plötzlich hatte Ricci eine ältere Schwester namens Tracy und eine jüngere Schwester namens Sunny.

Der Fledermausjunge hatte auch seine Probleme in der „hellen“ Seite Paloozas, er war ohne Brille nahezu blind und konnte immernoch nicht richtig fliegen. „Doch warum werde ich nie fliegen? Ich habe doch nur seeeee~hr kleine Flügel…oder?“, fragte er seine Adoptivmutter eines nachmittags, als er ihr mit der Wäsche im Garten half. „Du musst verstehen, mein Schatz.“, seine Mutter lächelte: „Du brauchst sehr viele Dinge zum Fliegen, nicht nur angemessene Flügel, auch Kraft und Hilfe von der Natur.“ „Achso…“ „Wenn du lesen kannst, kannst du lernen, was du zum Fliegen brauchst.“ „Kann ich dann lernen zu fliegen?!“ Der Junge sah sie hoffnungsvoll durch die dicken Gläser an, doch seine ältere Schwester schnaufte nur, während sie die Bettwäsche ausklopfte: „Du bräuchtest schon eine Flugmaschine um zu fliegen, so etwas gibt es aber doch gar nicht!“ „Tracy! Sag so etwas nicht!“, war der Kommentar der Mutter. „Was denn, das ist die Wahrheit!“, die Neunjährige prügelte dabei leicht trotzig auf die Decke regelrecht ein, denn sie mochte es nicht, von ihrer Mutter zu Recht gewiesen zu werden. Dann warf sie den Teppichklopfer ins Gras und lief zu Sunny, um sie vor irgendetwas zu beschützen – Das war ihr liebstes Hobby. Der kleine Ricci im zarten Alter von 4 Jahren sah zu seiner Schwester, dann zu Magret, seine Mutter. Er senkte den Blick: Man konnte deutlich die Traurigkeit in seinen Augen erkennen. Doch dann lächelte er, während er den Korb mit Wäsche anhob: „Dann baue ich diese Flugmaschine und fliege dann ins Königreich der Nacht!“ Ricci wusste, dass er aus diesem Königreich von Palooza stammte - Wie sollte man sonst auch einem kleinen Kind erklären, dass es eben so vollkommen anders aussah als die restlichen Bewohner Passions und tatsächlich Flügel besaß? „Das ist eine schöne Idee, mein Schatz.“, erwiderte Magret, ehe sie ihm den viel zu schweren Korb abnahm. „Ja! Dann zeige ich es Tracy und fliege wie ein Vogel!“ „Oder wie ein Engel~.“

„Mama, was ist ein Engel?“, fragte die kleine Sunny, die dazugekommen war, doch konnte ihre Mutter zunächst nur den Kopf schütteln: Ihre kleine Tochter war vollkommen verdreckt, in der Hand hielt sie eines von Riccis Spielzeugautos. „Sunny, was habe ich dir über die Kleidung gesagt?“ Sie lächelte daraufhin und begann, leicht zu singen: „Sie darf keinen einzigen Flecken haben, das ist gar nicht gut für das Betragen – Oh.“ Während sich Sunny nun den Dreck vom Kleidchen klopfte, fing Magret an, zu erklären: „Ein Engel, das ist wie ein Vogelmensch ohne lästigen Schnabel und ohne Federkleid, sie haben nur zwei große Schwingen auf dem Rücken. Man könnte auch sagen, es sind Menschen mit Flügeln.“ „Ich habe noch nie einen Engel gesehen.“, meinte Tracy, da sagte ihre Mutter: „Kein Wunder, sie leben im Himmel.“ „Solche Feiglinge!“ „Bekommen sie denn keinen Sonnenbrand? Das ist doch so nah an der Sonne…“ Riccis Antwort verblüffte leicht seine beiden Schwestern, doch Magret wusste, dass Ricci sehr wissbegierig war und öfters solche Antworten gab. Sie hatte noch nicht die Zeit gefunden, mit ihm das Lesen zu üben, so hätte er seinen Wissensdurst von allein stillen können. Nun blieb dem kleinen Jungen nichts anderes üblich, als die Erwachsenen in seiner Umgebung auszufragen: „Wo wohnen die Engel denn im Himmel, Mama?“ Magret schmunzelte daraufhin nur leicht: „Sie wohnen auf dem Mond. Deswegen sehen wir auch so selten einen, der Weg vom Mond ist sehr weit.“ Das war natürlich vollkommener Unsinn, doch wusste die junge Frau ehrlicherweise selber nicht, wie die Engel genau lebten – Vielleicht war die alte Sage ja doch wahr? Es gab ein paloozianisches Märchen, dass die Geschichte des erstens Engels auf Palooza erzählte und eben jener kam vom Mond. Wie sagte man so schön? In jeder Geschichte steckt ein Körnchen Wahrheit… „Oh!“, Sunny gab einen begeisterten Laut von sich: „Dann…Dann können sie fangen mit den Sternen spielen?!“ „Aber Sunny, Sterne sind-.“, Ricci wollte etwas sagen, doch hielt ihn im diesen Moment Tracy den Mund zu, um ihrer kleinen Schwester das schöne Bild nicht zu verderben. Magret lächelte und strich der Kleinen vorsichtig mit ihren Schweif über den Kopf, ehe sie halblaut sagte: „Vielleicht.“
 

Im Haus trennten sich ihre Wege: Während Tracy mit Sunny baden ging, folgte Ricci seiner Mutter durchs ganze Haus und fragte sie noch die verschiedensten Dinge, warum sein neuer großer Bruder Phil doch nicht austrocknete, obwohl er ein Fischmensch war, wer von all’ den verschiedenen Typen von Tiermenschen am besten hören könnte und warum sich der Himmel jeden Abend entweder rot, orange oder manchmal gar rosa färbte.

Magret wusste darauf nicht immer eine Antwort, doch gab sie ihr Bestes, ihren kleinen Sohn nicht allzu sehr zu enttäuschen. Sie war ganz froh, dass bald ein alter Freund der Familie ihre sieben Kinder unterrichten würde. Auf Palooza gab es zwar eine Schulpflicht, doch waren ihre Adoptivkinder all’ unterschiedlichen Alters und wurden vor ihrer Adoption nicht unbedingt liebevoll behandelt, sodass sie alle einen unterschiedlichen Wissenstand besaßen. Deswegen hatte sie eines Tages festgelegt, dass mit Tracys zehntem Geburtstag ihre Kinder zuhause unterrichtet werden würden. Noch wussten die Kinder nichts von den Plänen der Mutter, doch wusste sie, dass sich Ricci freuen würde, endlich lesen zu lernen.
 

Der kleine Fledermausjunge war seiner Mutter durch das ganze Haus gefolgt und hatte sie beim Wäsche sortieren ausgefragt, sodass er nun zufrieden in sein Zimmer lief. Er konnte die Worte seiner großen Schwester nicht vergessen, so nahm er seinen Malblock und begann zu zeichnen. Er versuchte sich an den Entwürfen einer Flugmaschine, doch waren dies in den Augen eines kleinen Jungen Rücksäcke mit angeschnallten Luftballons oder riesige Stangen voller Federn, die Flügeln imitieren sollten. Er konnte seine Schwestern einige Türen weiter hören, wie sie ihre „Benimmstunde“ hatten – Er wollte auch lernen, wie man sich zu benehmen hatte, doch meinte Tracy stets, das dürften nur die Mädchen lernen. Das machte ihn etwas traurig, doch tröstete er sich damit, dass er sie mit seinem Gehör selbst durch die geschlossene Tür hören konnte, so fein und ausgeprägt war es. Noch dazu erzählte Sunny ihm oft heimlich, was sie gelernt hatten. Das brachte die beiden oft in heikle Situationen, denn Ricci verstand nicht, dass es sich bei den Lektionen um die Verhaltensmuster einer echten Dame handelte, er durfte keinen Knicks machen und nicht erwarten, dass jemand ihn den Handrücken küsste.

Doch was sollte man von einem vierjährigen Jungen erwarten, der scheinbar mit seiner Schwester verwachsen war? Ricci liebte Sunny wirklich sehr, so sehr wie ein Bruder seine Schwester lieben konnte. Ihre Verhalten färbten auf den jeweils anderen ab, ganz gleich, dass sie unterschiedliche Tiermenschen waren und nicht dasselbe Geschlecht hatten. Einzig Sunnys Verträumtheit und Riccis Wissensdrang waren die einzigen Dinge, die die beiden nicht teilen zu schienen.
 

Es änderte sich im Laufe der Zeit. Es zogen zwei Jahre ins Land und der kleine Fledermausjunge wurde sechs Jahre alt. Durch den Unterricht bei seinen Hauslehrer – den er sehr bewunderte, doch mit seiner lockeren Art auch etwas kindisch fand – lernte Ricci sehr schnell lesen und schreiben und verfolgte sein Ziel weiter, eine Flugmaschine zu bauen, die es ihn ermöglichte, zu fliegen. Er spürte, nein, er wusste es, es war nicht unmöglich! Die Bücher, die sein Lehrer ihn immer mitbrachte, waren sehr ausschlussreich. Er konnte eines Tages vielleicht tatsächlich fliegen, doch wusste er auch, dass dies noch lange dauern würde, denn er hatte noch viele Lücken in seinem Wissen – Was waren Ober- und Unterdruck? Drückte wer da die Luft? Er saß auf seinen Zimmerboden über das dicke Buch gebeugt, was das Fliegen genau beschrieb, doch an sich zur Fachliteratur gehörte und noch viel zu schwer für ein Grundschulkind war. Immer wieder schob er seine Fliegerbrille nach oben – Er hatte sie zum Geburtstag bekommen, doch war sie ihn an sich viel zu groß und er fand es doof, dass sie ihn nicht ganz auf dem Kopf passte. Er „würde noch rein wachsen und später froh sein, dass sie so groß sei“, das waren die Worte seiner Mutter, doch konnte ihren Worten keinen Glauben schenken – Er sah mit den Gläsern aus wie ein Eulenmensch! Er las jedes einzelne Wort sich leise vor, in der Hoffnung, sie dann besser verstehen zu können. So merkte er nicht, dass jemand in sein – und mittlerweile auch Otos - Zimmer gekommen war: „Hallo Ricci!“ Er sah auf und erkannte Sunny, die einen Teller Kekse in der Hand hatte: „Tracy sagt, ich soll’ sie dir bringen, sonst stirbst du noch vor Hunger!“ Sie kicherte, ehe sie weitersprach: „Was liest du da?“ „Ein Buch übers Fliegen.“ Ricci nahm sich hastig einen Keks, denn der kleine Junge hatte tatsächlich nicht gemerkt, wie hungrig er eigentlich war. Er zuckte leicht mit seiner Nase, sie rochen gut und frisch, höchstwahrscheinlich hatten seine Schwestern Tracy und Rain sie zusammen gebacken. Die zehnjährige Rain war die einzige Person der Familie Lily, die kein Tiermensch war, sie war eine Elfe und lebte eigentlich in einen Wald, jenseits von Palooza, hinter einen Ort namens „Arcan“. Ihre Eltern hatten sie auf Palooza einfach „vergessen“ – Doch wer vergaß ernsthaft sein eigen Fleisch und Blut? Rain hatte eine liebenswerte Natur, schon als Kind, und nahm die Sache unglaublich gelassen, vielleicht war sie auch nur unglaublich naiv und glaubte tatsächlich, ihre Eltern würden sie eines Tages wieder abholen. Ricci war von seiner neuen älteren Schwester fasziniert, sie war vollkommen anders und roch immer nach exotischen Blüten, selbst nach den Baden.
 

In zwei Jahren würde der Hauslehrer die Völkerkundestunde einführen, dann würde er alle Völker Airas in Detail erklären, doch mussten dafür alle alt genug sein, schließlich war die Geschichte mancher Rassen nicht ganz unblutig. Nun war erst die Geschichte von Palooza an der Reihe – Diese war ebenfalls an manchen Stellen ziemlich grausam, doch nahmen das Tiermenschen seltsamerweise gelassener, denn sie wussten, zum Teil waren es ihre Instinkte, die sie so handeln ließen. So konnte Ricci Veränderungen an seinen Geschwistern erkennen – Es gab Tage, an denen sein Wolfsbruder Kiba sehr aggressiv war und seinen besten Freund und Bruder Anton ununterbrochen zu einem Wettstreit herausforderte. Seine Schwester Chiga schlief, genau wie seine anderen Katzenschwestern, manchmal einen ganzen Tag und Oto aß an manchen Tagen das Dreifache von seinen üblichen Portionen. Ihre Mutter Magret hatte ihnen erklärt, dass ihre Instinkte nun langsam erwachen würden, das wäre normal und überhaupt nichts Schlimmes, solange sie später lernten, sie zu zügeln. Der Fledermausjunge konnte noch keine Veränderung an sich selbst feststellen, doch musste er auf japsen, als er erneut in einen Keks biss. „War der Keks verbrannt?!“, fragte Sunny voller Sorge und nahm ihn sofort die Leckerei aus der Hand, doch schüttelte er nur den Kopf: „Mein Zahn tut nur weh.“ „Oh!“, sie kicherte: „Dann kommt wohl bald die Zahnfee!“ „Ja.“ „Soll ich ihn dir rausziehen?“ „Nein!“ „Aber Tracy hat das bei mir auch gemacht und es tat kaum weh~!“ „Trotzdem nicht!“ „Ach Menno!“ Leicht beleidigt, wie Sechsjährige es sein können, drehte sich Sunny um und tapste aus dem Zimmer: „Dann tut’s es halt weiter weh!“
 

Ricci sah ihr in diesen Moment leicht verwirrt nach. Neben den Schmerzen hatte Sunny plötzlich einen neuen Geruch, der sich fein über den seines so vertrauten Duft seiner Schwester legte – Er wusste es nicht, doch es war der Geruch ihres Blutes. Voller Sorge lief er zu seiner Mutter, die gerade dabei war, in ihrem Zimmer ein Kleidungsstück zu flicken. Während des kurzen Ganges war ihm der Gedanke gekommen, er könnte krank sein, sehr sehr krank, und seine Nase würde deswegen verrückt spielen. Schon leicht den Tränen nahe drückte er seinen Kopf an Magrets Hüfte: „Mama, ich bin krank!“ Die Katzenmutter legte das Nähzeug beiseite und strich den Kleinen über das violette Köpfchen: „Was hast du denn Ricci? Hast du dich wieder an den Papier geschnitten?“ Doch schüttelte er nur den Kopf und begann, zu quasseln: „Nein, Sunny riecht ganz komisch und meine Zähne tun weh! Ich bin krank, bestimmt habe ich mir etwas ganz Schlimmes geholt, einen Virus, der mein Gesicht von innen auffrisst und mich wie eine Rosine aussehen lässt, Mama, ich will keine Rosine sein…“, er hickste und sah zu ihr auf: „Ich will keine Rosine sein, die schmecken eklig!!!... meine Zähne tun so weh…“ Der kleine Fledermausjunge spürte, wie seine Mutter ihn im Arm nahm und erstmal mit sanften Wiegen und Streicheln beruhigte. Manchmal war es auch nicht gut, als kleines Kind viel zu wissen, Ricci hatte des Öfteren Angstattacken oder dachte zuviel nach. Dann flüsterte sie: „Alles wird gut, du bist sicher nicht krank…Mach mal deinen Mund auf.“ Ricci gehorchte, dann im nächsten Moment, biss er seine Mutter reflexartig, denn sie berührte genau den Zahn, der so unheimlich schmerzte. Ricci schluchzte ein leises „Entschuldige“, doch konnte sie nur lächeln: Als sie ihm adoptiert hatte, wurde ihr gesagt, dass das Großziehen eines Kindes des Stammes der Domenden schwer sein würde, weil ihre Instinkte sehr ursprünglich und komplex seien. Das erste Anzeichen der Veränderung waren meist schmerzende Schneidezähne und eine veränderte Geruchswahrnehmung – Das traf auf Riccis momentane Situation zu. Sanft bekam Ricci einen Kuss auf die Stirn und die Worte, die er hören wollte: „Du brauchst dir keine Sorgen machen, deine Zähne wachsen nur.“ „Sie wachsen…?“ „Ja, das tun Zähne des Öfteren. Und Sunny riecht so anders, weil deine Nase sich ebenfalls verändert, du wirst älter, mein Schatz.“ „Oh…“ Vorsichtig trat Ricci an seine Mutter und schnupperte, doch konnte er keinen anderen Geruch feststellen. „Dann…bin ich nicht krank?“ „Nein.“ „Okay…Danke Mama…Darf ich heute mit Sunny in einem Bett schlafen?“ Magret schnaufte leicht; An sich wollte sie nicht, dass die beiden in einen Bett schlafen, doch konnte sie es seinen leicht verschreckten Blick nicht ausschlagen. Noch dazu wusste sie, dass nichts mehr den kleinen Jungen beruhigte, als bei seiner geliebten Schwester zu schlafen. „Frage erstmal Oto und Alice, ob sie damit einverstanden sind, ja?“ Glücklich nickte er hastig, ehe er aus dem Zimmer rannte.
 

Oto und Alice waren einverstanden und während langsam die Sonne unterging, machten sich die Kinder der Familie Lily fertig für die Schlafenszeit. Ricci saß auf Alices Bett und rieb sich die Augen: Er mochte ihr Bett nicht besonders, es war vollkommen rosa und voller Rüschen. Selbst für seine Verhältnisse war das zu feminin und er wusste, er würde sich nach dem Gute-Nacht-Kuss zu seiner Schwester ins Bett stehlen. Er konnte Sunny kichern hören, wie sie im Flur vor Tracys Gute-Nacht-Kuss weglief. Im nächsten Augenblick kam sie hereingeflitzt und wollte sich unter ihr Bett flüchten, doch packte sie ihre große Schwester noch zuvor und drückte ihr einen Kuss auf die Wange: „Gute Nacht, Sun!“ Sie kicherte: „Gute Nacht, Groschen!“ „Gute Nacht Ricci.“ „…Gute Nacht, Tracy.“, antwortete der Fledermausjunge, ehe er auch einen Kuss auf die Wange bekam. „Träumt etwas Schönes, ja? Deine Zahnschmerzen gehen sicher bald weg.“ „Danke.“
 

Er und seine Schwester sahen Tracy nach, wie sie die Tür anlehnte. In der nächsten Sekunde fiel die kleine Sunny ihren Bruder um den Hals: „Das wird so witzig! Wir können die ganze Nacht uns heimlich Geschichten erzählen und lesen!“ Sie fügte kichernd hinzu: „Natürlich nur, wenn du willst – Tut dein Zahn immernoch weh?“ „Ja.“ Dabei log Ricci ein bisschen – Denn die Zahnschmerzen waren beim Zähneputzen noch schlimmer geworden. Er zuckte leicht mit der Nase: Sunny roch immernoch so komisch und ihm schien von ihrer Nähe schlecht zu werden. Darum schubste er sie leicht weg, das hatte er noch nie getan, noch nie seitdem sie sich kannten. „Ricci, ist alles in Ordnung?“, das Kichern war verstummt und Sorge machte sich in der Stimme des Mädchens breit. Ricci merkte es nicht, doch seine Atmung war schneller geworden und er sah sie mit einen intensiven Blick an, den man sonst nur von Erwachsenen kannte, wenn sie gerade dabei waren, übereinander herzufallen, im positiven wie im negativen Sinne. „Warte, ich hole Mama und Tracy!“ Sie drehte sich um und lief zur Tür, um sie zu öffnen, doch wurde sie in der darauffolgenden Sekunde gegen diese gedrückt, sodass sie ins Schloss fiel. „Ricci, sei nicht so gemein!“, doch ignorierte der Junge die Worte seiner Schwester und lächelte sie nur an, seine Zähne blitzten im Abendrot. Er war nicht mehr bei Sinnen, doch wusste Sunny dies nicht. „Du tust mir weh!“ Sie schubste ihn kurz weg, dass sich sein Griff löste, doch drückte er mit diesen ihren Mund zu – Er tat das intuitiv, aus reinen Instinkt, denn Schreie seiner Beute konnte er nicht gebrauchen. Dann sah er in das verstörte Gesicht seiner Schwester, die er liebte, ehe er ihr mit ganzer Kraft in den Nacken biss.
 

Der Biss dauerte zum Glück nur wenige Minuten, denn Magret hatte Sunny und Ricci noch keinen Gute-Nacht-Kuss gegeben. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wäre Sunny die ganze Nacht mit ihren Bruder allein geblieben. Von außen konnte die Mutter das Wimmern hören, dass ihre kleine Tochter von sich gab – Sofort machte sie die Tür auf, unwissend, dass die Kinder sich genau hinter dieser befanden. Ricci wich mit Sunny im Arm zurück. Er schien fest entschlossen, sie nicht wieder herzugeben, und ihr Blut weiterhin abzulecken. „Ri…Ricci!“ Wäre Ricci erwachsen gewesen, wie bei seinen zweiten Biss, hätte Magret keine Chance gehabt, ihn von seiner „Beute“ zu trennen. Doch Ricci war ein Kind, ein sechsjähriger Junge, und wusste nicht, was die Instinkte in jenen Moment in ihm ausgelöst hatten. So riss sie ihren ersten Sohn von ihrer Tochter und schüttelte ihn, dass er wieder zur Besinnung kam: „Ricci! Was bei allen Königreichen komm zu dir! Tracy! Komm schnell her!“

Die Älteste kam wie ein treuer Hund zu ihrer Mutter: „Was ist denn-.“ Als sie die blutverschmierte Sunny sah, erschrak sie und lief sofort zu ihr, nahm sie im Arm: „Sunny, was-?!“ „Ricci…er hat…er hat mich…“ Die Kleine schluchzte tief und klammerte sich an ihre große Schwester, denn sie verstand in jener Sekunde die Welt nicht mehr. „Er hat sie gebissen, wohl aus den Instinkt heraus.“, erklärte die Mutter, ehe sie Ricci aus dem Zimmer zerrte: „Kümmere dich um sie, ich muss etwas gegen seinen Blutwahn machen-.“ Das waren ihre Worte, ehe sie den kleinen Fledermausjungen bis nach draußen schleppte, an die frische Luft. Das war gar nicht so einfach, denn der kleine Junge wehrte sich mit aller Kraft, er wollte zurück zu Sunny, beenden, was er begonnen hatte.

An der frischen Luft gab Magret ihren Sohn erstmal eine kräftige Ohrfeige, denn etwas anderes fiel ihr in diesen Moment nicht ein und manchmal bewirkte so etwas wahre Wunder. Die Prügel half tatsächlich ein kleines bisschen, doch dauerte es noch stundenlanges Zureden und eine Ladung kaltes Wasser, bis Ricci wieder vollkommen bei Sinnen war.
 

Der kleine Fledermausjunge weinte – Er wollte seiner Schwester nicht wehtun, unter keinen Umständen. Nun würde sie ihn für immer hassen, da war er sich sicher. Er konnte sich nicht an den Biss erinnern, an nichts konnte er sich erinnern. Ricci saß mit seiner Mutter auf der Bank vor dem großen weißen Lehmhaus, zwischen den beiden war eine Laterne, in der ein weiches Licht brannte. Es war mitten in der Nacht, der Mond schien schwach vom Himmel und seine Mutter hatte ein Buch in den Händen, dessen Titel ganz verblichen war. Es war eine Art Erziehungsbuch, viel eher ein Lexikon für jede Art von Tiermensch. Dort stand zum Beispiel drin geschrieben, dass Birmakatzenmenschen den Hang zur Anhänglichkeit hätten und welche Ausprägungen typisch für einen Stamm wären. Magret seufzte: Domenden, wie Ricci einer war, hatten nicht nur die Angewohnheit, Blut zu saugen, es galt innerhalb des Stammes auch als Liebesbeweis. Dies erklärte, warum Sunny so anders roch für Ricci, schließlich waren die zwei stets zusammen. Wenn die junge Katzenfrau verhindern wollte, dass ihr erster Sohn einen nach den anderen in der Familie wie ein Vieh anfiel, musste sie verhindern, dass er wieder für jemanden so stark empfand. Dies klang überaus grausam, doch sollte es nur solange sein, bis er älter war und in der Lage, seine Instinkte zu kontrollieren. Solange könnte er etwas anderes lieben, schließlich konnte ohne Liebe kein Wesen auf der Welt leben. Etwas, was ihn von Bedeutung wäre und das er dennoch nicht aussaugen könnte wie ein Lebewesen. Wie in etwa…

„Ricci.“, sie sah lächelnd zu ihm: „Na komm, hör auf zu weinen, es war doch nicht deine Schuld.“ „Aber…Aber…Sunny…“, er wimmerte und rieb sich die Augen. „Sieh mal zu mir.“, sie strich ihn sanft durch die violetten Haare: „Tracy hat Sunny erklärt, warum du so grob warst, sie wird es sicher verstehen, sie hat dich doch lieb.“ Er schniefte: „Ich habe ihr Blut an meinen Fingern! Ich habe ihr ganz schrecklich wehgetan und es ist eklig!“, dann drückte er sich an seine Mutter: „Instinkte machen mir Angst.“ „Sssh…Schon gut.“ Vorsichtig stellte sie das Licht zur Seite: „Weißt du was, Ricci? Du könntest lesen und Sunny in der Schule helfen, dann verzeiht sie dir bestimmt.“ „…Wirklich?“ „Aber ja!“ Sie zeigte ihn das Lexikon: „Bücher sind sehr wichtig für deinen Traum vom Fliegen und lenken dich noch dazu von deinen gemeinen Instinkten ab.“ Dann schlug sie es auf und zeigte auf einen Absatz: „Magst du ihn mir vorlesen?“ Der kleine Junge nickte zaghaft und versuchte, die teils schwierigen Wörter auszusprechen. Es dauerte bis zum Morgenrot.
 

Am nächsten Morgen wurde Ricci von Sunny beim Zähneputzen stürmisch umarmt: „Dir geht es wieder gut!“ Er war in diesen Moment etwas überfordert, hatte er doch nicht eine so fröhliche Reaktion von ihr erwartet: „Ja…Geht es dir… gut?“ Seine Frage war zaghaft, konnte er doch den Verband an ihren Nacken sehen, doch nickte das Katzenmädchen nur: „Ich hab’ dich schrecklich lieb!“ Sie drückte ihn fester und der kleine Junge zögerte leicht, ehe er halblaut meinte: „Soll ich mit dir wieder etwas lesen üben?“ „Au ja! Du kannst das so gut!“ Ihr Gesicht strahlte und von dieser Sekunde an, waren Ricci und Bücher schier unzertrennlich. Seine Liebe zum Lesen und Wissen stieg mit jeder Sache, die er besser verstand, sodass sie sogar an die Liebe zu seiner Schwester grenzte. Sunny behandelte er von dieser Nacht an vorsichtiger, er wollte sie nicht noch einmal verletzen und seine gleichaltrige Schwester verstand es vollkommen. Sie war zwar manchmal traurig, dass Ricci lieber in seinen Zimmer las als draußen in der Sonne zu spielen, doch war er glücklich und das war für sie das Wichtigste.

Seine Instinkte verloren sich tatsächlich im Laufe der Zeit und damit auch die Erinnerung an diesen schlimmen Vorfall. Doch bedeutete dies auch, dass er das Interesse verlor, sich zu verlieben, denn er handelte immer mehr mit den Verstand als mit den Herzen. Er wusste instinktiv, wenn er jemand sein Herz schenkte, würde dies nicht ohne Konsequenzen bleiben.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Ireilas
2011-09-06T22:07:24+00:00 07.09.2011 00:07
Sehr schön geschriebenes Kapitel. :3
Man kennt sich prima aus und kann sich die Szenen gut vorstellen.

> „Oder wie ein Engel~.“

Daher die Legende von den Mondengeln! Na, wie man im RPG sieht, ist sie gar nicht so abwegig... xD

> „Aber Sunny, Sterne sind-.“, Ricci wollte etwas sagen, doch hielt ihn im diesen Moment Tracy den Mund zu, um ihrer kleinen Schwester das schöne Bild nicht zu verderben.

Schlimm, wenn man die Wahrheit kennt, sie Kindern aber nicht sagen darf. |P

> [...] denn Ricci verstand nicht, dass es sich bei den Lektionen um die Verhaltensmuster einer echten Dame handelte, er durfte keinen Knicks machen und nicht erwarten, dass jemand ihn den Handrücken küsste.

Jajajaja, jetzt wird mir einiges klar - zumindest was das RPG angeht xDD

> Immer wieder schob er seine Fliegerbrille nach oben – [...] und er fand es doof, dass sie ihn nicht ganz auf dem Kopf passte.

Die "nebensächlichen" Details sind toll. :3

> sie war eine Elfe und lebte eigentlich in einen Wald, jenseits von Palooza, hinter einen Ort namens „Arcan“.

Sehr passend und perfekt Positioniert für weitere, mysteriöse Länder ;3

Der Teil mit Riccis Instinkten (Zahnschmerzen) ist sehr niedlich und gut erzählt ^-^

> Im nächsten Augenblick kam sie hereingeflitzt und wollte sich unter ihr Bett flüchten, doch packte sie ihre große Schwester noch zuvor und drückte ihr einen Kuss auf die Wange

Ich liieeebe diesen Teil! xD

BADAM- Ricci wird zum Vampir; hm, irgendwo hört sich die Liebe zwischen Geschwistern auf... xD
Wieder sehr gut Beschrieben, wie Magret ihn stundenlang versucht zu beruhigen und abzulenken. Man merkt richtig, dass Riccis Instinkte das Hauptthema des Kapitels sind. :)

Domenden "beißen" sich auch als Liebesbeweis?
*zu viel Vorstellungsvermögen* -> Riccis Zeugung muss ja seehr blutig gewesen sein xDD
Nein, ich weiß schon - Erwachsene aus dem Stamm haben sich mit Sicherheit unter kontrolle und machen das... zärtlich. |3

> Doch bedeutete dies auch, dass er das Interesse verlor, sich zu verlieben, denn er handelte immer mehr mit den Verstand als mit den Herzen

Ein eher trauriger und nachdenklicher Schluss. Ricci wird sich dann wohl nie "richtig" verlieben können, oder?
Und wenn, haltet er vermutlich Abstand (RPG-Beziehung gilt nicht). |P

Wuuuuuunderbaaarr geschrieben!
*Hände faltet und nach vorne leht*
Ich erwarte mir ein gutes nächstes Kapitel, Agent Sunny. 8)


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