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Lauter Einzelteile

26 Teile des Lebens, die sich Sterben nennen
von

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Querschläger

Klassenzimmer. Eine von zwei Vorstellungen. Eintritt erst ab sechzehn. Nur ein Tisch im Raum. Decken auf dem Boden in der Mitte. Bitte Schuhe ausziehen. Setzen.

Noch reges Geschwätz unter den Anwesenden. Zögerndes Umschauen. Weiße Laken über Tische und Stühle gelegt. Ein Fernseher in der einen Ecke. Ein Projektor in der anderen. Auf der gegenüberliegenden Seite zwei riesige Plakate an Kartenständern aufgehängt. Dahinter Schränke, vollständig verdeckt. Unfertige Bilder, wo es nicht weiß ist, manche gezeichnet, einige primitiv gemalt, skizzenhaft, wie von Kinderhand.

Die Tür geschlossen.

Schülerin, weiß geschminkt, hinter dem Fernseher auf einem Stuhl. Keine Achtung. Starr geradeaus.

Licht gelöscht.

Nebenan Erschrecken. Kichern. Leises Flüstern. Verstummt. Erstickt.

Nach einer Minute Stille.

In der linken oberen Ecke plötzlich Licht. Eine Taschenlampe. Ein weißes Gesicht, losgelöst über einem der Plakate in der linken oberen Ecke.

„Katzensex.“

Aus der rechten oberen Ecke Miauen, krächzend, verzerrt. Kurz darauf Fauchen hinter dem Fernseher. Katzenkreischen in der Mitte. Laute ausklingend. Erzählung des Gesichts in der linken Ecke. Wie eine Katze vergewaltigt wird. Wie deren Schreie durch den Nachmittag hallen. Wie die Krallen des Katers sich in ihre Hüfte bohren. Wie er tiefer in sie eindringt, je lauter sie schreit. Wie er sie letztlich liegen lässt.

Licht der Taschenlampe erlischt. Entzündet sich hinter dem Fernseher.

Erzählung des Mädchens. Wie sie unbeholfen mit ihrem Freund schlief. In einem heruntergefallenen Haus. Hilfloses Grabschen an ihren Brüsten. Verteilte seinen Speichel auf ihrem Hals und in ihrer Ohrmuschel. Rieb sich an ihrem Körper. Fummelte, sodass es ihr wehtat. Schob seine Zunge in ihre Mundhöhle. Saugte unbeholfen an ihren Lippen. Sie dachte, er stank. Er dachte, er wüsste nicht, was er tat. Peinliches Aufhören.

Licht erlischt.

Klackern von Schuhen. Jemand um die im Kreis sitzenden Leute gehend. Im Kreis. Immer und immer wieder. Eine Taschenlampe. Weiterlaufen. Erzählung der besessenen Stimme, belehrend wie eine Mutter zu ihrem Kind. Geschichten von kullernden Augen. Kullernd und kullernd. Massenseele in uns allen. Schaut euch nicht um. Die Stimme direkt hinter euch. Noch einmal, eindringlich, aufdringlich.

Licht erlischt.

Flüstern.

„Das Monster.“

Von allen Seiten. Stimme aus der rechten oberen Ecke. Von dem Monster, in und um uns. Das Flüstern jedes Mal anschwellend, wenn die Stimme vor Angst von dem Monster schreit.

„Das Monster. Das Monster.“

Alles verstummt.

„Sich selbst.“

Projektor eingeschaltet, wirft sein Licht an die weiße Leinwand. Verschwommen ein Bild, unscharf, nicht erkennbar.

„Bild eins.“

Eine präzise Erklärung. Behandlung. Wie einen Studenten in einer Vorlesung. Das Gesagte nicht auf dem Bild sichtbar. Nicht einmal bildlich vorstellbar.

„Bild zwei.“

Prozedur fortgesetzt. Ein paar Farben, zusammengeklatscht, vermischt auf einer weißen Leinwand. Lauter Einzelteile der gleichen Unschärferelation.

„Bild drei.“

Übergenaue Aussprache. Kein Sinn.

„Bild vier.“

Ein neues Dia. Vielleicht ein Mensch. Vielleicht ein Berg. Ein bisschen Sisyphos. Ein wenig Meer. Endlich Unterrichtsende. Projektor aus.

Fernseher eingeschaltet. Bloß Schnee.

Beschuldigend lang gezogene Stimme ermahnt. Kleines Mädchen, hast deine Puppe aus dem offenen Fenster eines Wagens geworfen. Liegt auf dem weißen Mittelstreifen der Fahrbahn. Ihr nackter Hintern unter dem dreckigen Kleid in die Höhe gestreckt. Bald im Graben. Bald vergessen. Losgelassen aus dem fahrenden Auto. Ob beabsichtigt oder nicht.

„Wieso? Wieso hast du sie fallen gelassen?“

Weiter im Spiel. Licht an. Licht aus. Kälte, Hass, Verzweiflung, Angst, Resignation. Sprachliche Mittel ungenügend. Setzen, sechs. Erst ab sechzehn ohne Sex.

Deckenbeleuchtung an. Augenreiben. Ringsumher aufstehende Menschen. Mit dabei gewesen.

„Sehen diese Personen jetzt anders aus? Vielleicht wärt ihr gern dabei gewesen. Möglicherweise als Zuschauer oder als Schauspieler, als Opfer oder als Täter, auf den Decken, hinter dem Fernseher, auf dem Schrank, mitten unter uns allen.“

„Das seid ihr. Tagtäglich.“



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