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Schlaflos

Der Albtraum endet nie...
von

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Jahrestag

„Was machen Sie denn hier?“

Erschrocken drehte sich Kyo um. Er war so versunken gewesen da zu stehen und ein Gebet zum Wohle ihrer Seele abzuhalten, dass er nicht bemerkt hatte, wie sich jemand genähert hatte. Und jetzt stand er diesem Hiroaki wieder gegenüber. Alleine. Dabei hatte er gehofft, dass er ihn und seine Familie verpasste. Aber warum sollte er auch ein Mal Glück haben?

„Was machen Sie hier?“, fragte der jüngere Japaner erneut, zischte dabei wie eine Schlange. Sein Gift mindestens so giftig wie eine, weshalb Kyo schon ein wenig Angst hatte, dass er gleich gebissen wurde. Solche Blicke hatte er früher auch gekonnt. Vielleicht nicht ganz so Furcht einflößend -wobei ihre Fans das eh nie als solches empfunden hatten- doch er hatte es gekonnt. Noch letzte Woche hatte er das hier für eine gute Idee gehalten. Sich extra frei genommen, weil er geahnt hatte, dass es an seinen Nerven nagen würde. Nur nicht auf diese Art und Weise.

„Nun...“ fing er an, wollte sich rechtfertigen dafür, dass er hier stand und ein Räucherstäbchen an Ayakas Grab entzündet hatte. „Heute ist der -“

„Der Jahrestag. Ganz recht. Und glauben Sie wirklich, dass meine Schwester ausgerechnet Sie heute sehen will?“, schnauzte der Bruder weiter und stampfte immer weiter auf Kyo zu. Dieser Mann machte ihm Angst. Und dieser stechende Blick...

'Eiskalte Augen.'

Da war er wieder. Dieser Vergleich, der ihm schon bei seinem letzten Besuch hier aufgefallen war. Zusammen mit diesem kalten Schauer, der seinen Rücken rauf und runter jagte.

„Sie haben uns nicht einmal gefragt, ob Sie hier sein dürfen.“

„Ich wollte eigentlich auch schon längst wieder weg sein“, verteidigte sich Kyo kleinlaut.

„Vielleicht sollte ich mal einen kleinen Anruf bei der Polizei machen? Und Sie wegen Störung der Totenruhe anzeigen.“

Kyo war geschockt. „Das- Das meinen Sie nicht ernst?“ Er konnte sich keinen Ärger mit der Polizei leisten. Nicht einmal, wenn es falsche Vorwürfe waren. Denn wer sollte ihm auch schon glauben, dass er nichts getan hatte? Das würde seine Bewährung gefährden. Was, wenn er wieder gehen musste? Wieder herausgerissen wurde aus dem Leben, das er jetzt lebte und so lieb gewonnen hatte? Am besten verschwand er von hier. Augenblicklich.

„Ogenki de“, verabschiedete er sich und eilte zum Ausgang. Diese Augen... Aus ihnen sprach der Wahnsinn und man hatte das Gefühl, als würde einem das Blut in den Adern gefrieren. Ängstlich warf er einen Blick über die Schulter, traf dabei auf den des anderen Mannes. Und er hatte ein Handy in der Hand. Schnell wandte sich Kyo wieder um und fing an zu rennen. Runter vom Friedhof. Bloß runter von diesem Platz. Erst an der Haltestelle der Straßenbahn hielt er an. Was sollte er jetzt nur tun? Hatte Takeno-kun vielleicht schon die Polizei verständigt? „Bitte nicht“, keuchte er, vom Rennen und der Angst so völlig außer sich. Gab es noch eine Möglichkeit das alles abzuwenden? Den Schaden einzugrenzen? Vielleicht sollte er...? So schnell wie möglich holte er sein Handy aus der Innentasche seiner Jacke und wählte die Nummer seines Bewährungshelfers. Hoffentlich hatte Kibo-san auch gerade Zeit für ihn. Das Tuten hörte sich unheilvoll an. „Gehen Sie ran. Gehen Sie doch bitte ran.“

Als er die Stimme seines Bewährungshelfers hörte knickten ihm vor Erleichterung die Knie ein.

„Kibo-san, hier ist Niimura Tooru.“

„Nii- Ah, natürlich Niimura-san.“ Der Beamte hatte einen Moment gebraucht, bis er den Namen einem Gesicht zuordnen konnte, da er sich gerade mit einem anderen Klienten beschäftigte, den er ab der nächsten Woche betreuen sollte. „Was kann ich für Sie tun?“ Es kam immerhin selten genug vor, dass sich die Menschen, um die er sich kümmerte, freiwillig bei ihm meldeten.

„Ich brauche ihre Hilfe“, kam Kyo auch gleich auf den Punkt. „Ich war gerade auf dem Friedhof. Bei dem Grab von Takeno-san.“ Völlig aufgewühlt und zittrig lehnte sich der Schwarzhaarige gegen den Unterstand, suchte mit einer Hand nach Halt, rutschte an der dünnen Plexiglaswand nach unten, als er keinen fand. „Heute jährt sich nämlich ihr Todestag. Da wollte ich einfach nur ein Räucherstäbchen entzünden und-“

„Ich verstehe.“ Dennoch konnte sich Kibo-san keinen Reim darauf machen, weshalb der Ältere anrief.

„Ich will nur, dass Sie wissen, dass ich nichts weiter gemacht habe, als ein Räucherstäbchen zu entzünden und dazustehen.“ Er musste ihm glauben. Und wenn nur er es war.

„Das ist ja alles schön und gut, aber warum erzählen Sie mir das?“ Schließlich war das noch lange kein Grund für einen Anruf.

Kyo seufzte. „Ihr Bruder ist aufgetaucht. Und... Er hat mir gedroht, bei der Polizei anzurufen und mich anzuzeigen. Wegen Störung der Totenruhe und sowas.“ Es kostete ihn viel Kraft zu erzählen, das Gespräch aufrecht zu erhalten und nicht einfach wieder aufzulegen und nach Hause zu eilen, um sich dort zu verbarrikadieren. „Ich habe die Befürchtung, dass er das auch tun wird. Dieser Mann hasst mich. Was ich verstehen kann, aber-“ Das andere konnte er nicht verstehen. Tat er denn nicht genug, um zu büßen? Reue zu zeigen? Hatte er sich bisher nicht genug Schmerz zugefügt? Ihre Eltern hatten ihm bereits verzeihen können, warum war ihr Bruder also so dermaßen wütend auf ihn? „Ich habe wirklich nichts gemacht. Nur gebetet. Nur gebetet.“ Beteuerte er immer wieder. Er bemerkte bereits, wie seine Sicht schlechter wurde. Doch er wollte jetzt nicht weinen, wenngleich die Angst, die von ihm Besitz ergriffen hatte, ihn dazu verführte. Was, wenn ihm niemand glauben würde? Wenn ein Richter ihn wegen seiner Vorgeschichte abstempelte und seine Bewährung aufhob? Ihm sogar noch eine weitere Haftstrafe aufbrummte deswegen? Das würde alles zerstören. Nicht nur ihn, sondern auch seine Freunde. Sowohl seine Alten, wie auch seine Neuen. Was sich wiederum auf deren Umfeld auswirken würde. All die zarten Bande, die er aufgebaut hatte, würden wieder zerreißen. Denn sie waren wie Spinnenfäden. Sie hielten Wind und Wetter stand, aber wenn man sie mit den Fingern berührte zerfiel das ganze Netz. Und die Verbindung, die er mit seinen engsten Freunden hatte? Mit Daisuke, Kaoru, Toshimasa und Shinya? Sie waren stark, wie Schiffsseile. Über Jahre hinweg hatten sie ihn fest gehalten. Selbst als er weggesperrt gewesen war. Aber auch sie waren nicht immun gegen all die Strapazen. In letzter Zeit hatten sie so viel an Belastung aushalten müssen. Wenn er ein weiteres Mal fort gehen musste, wäre dieser Sturm dann so stark, dass sie ihn nicht mehr am sicheren Steg des Lebens halten, sondern zerreißen würden? Wenn das passierte und er wie ein unbemanntes Schiff hinaus auf die tosende, windgepeitschte See getragen wurde, dann war er dem Untergang geweiht. „Nur gebetet“, flüsterte Kyo jetzt nur noch.

Kibo-san wusste nicht, was er sagen sollte. Er glaubte dem, was ihm gerade erzählt worden war, konnte aber nicht fassen, warum ein Mensch etwas derartiges tun sollte. Gut, es gab viele Menschen, denen er einige Dinge nicht zutrauen würde, aber die Ordner, die sich hier in seinem Büro sammelten, die Strafgefangenen, mit denen er tagtäglich zu tun hatten, belehrten ihn immer wieder eines Besseren. Doch das hier war wirklich jenseits von dem, was er sich hätte ausmalen können. Warum sollte man seinem Klienten etwas derartiges zur Last legen, obwohl er doch nichts getan hatte? Er glaubte an den guten Kern in diesem Mann. Nach all den Gesprächen mit ihm und dem was er über ihn gelesen hatte, da war es einfach nicht möglich, dass er ein Grab schänden würde. Nein, er schätzte den älteren Mann als jemanden ein, der sich eher beide Hände abhacken würde, ehe er etwas tat, was er später bereuen könnte. „Ich glaube Ihnen, Niimura-san“, sagte er schließlich, hörte er doch die Verzweiflung in der Stimme des Anrufers. „Und wenn mir eine Beschwerde dieser Art vorgelegt werden sollte, dann werde ich gleich dagegen vorgehen. Das verspreche ich Ihnen.“

Dass sein Bewährungshelfer ihm glaubte, schwächte seine Verzweiflung bereits ein wenig.

„Domo Arigatô“, war alles, was er darauf sagen konnte. Damit beendete er das Telefonat und hob seinen Blick. Eine Straßenbahn näherte sich. Kyo las die Anzeige vorne an der Lok. Sie fuhr in den Bereich Tokyos, in dem Kaoru sein Büro hatte. Sollte er ihn besuchen und hiervon erzählen? Er konnte aber auch auf die nächste Bahn warten, die ihn nach Hause brachte. Aber was sollte er da? Sich wieder einschließen und seinen Freunden erst Recht Sorgen bereiten?

Also erhob er sich und löste noch schnell ein Ticket am Automaten, als der Zug auch schon hielt. Wie üblich fand sich kein freier Platz, weshalb er sich in den Eingangsbereich stellte. Seine Augen richteten sich auf die vorbeihuschende Umgebung außerhalb der Bahn, aber gedanklich war er ganz woanders. Wie brachte er Kaoru und den Anderen bei, dass seine Freiheit auf dem Spiel stand? Wo er doch selbst nicht einmal wirklich verstand, warum. War es denn so verwerflich gewesen, dass er ohne Ankündigung zum Friedhof gegangen war? Hätte er vorher vielleicht wirklich wieder anfragen sollen? Er hatte doch gar nicht lange bleiben wollen. Nur eben ein kleines Gebet und ihrer Gedenken wollen. Dann wäre er auch schon wieder verschwunden gewesen.

Gerade jetzt, wo er ein weiteres Stück Glück -er hatte immer die berühmten Schmetterlinge im Bauch, wenn er seiner Nachbarin begegnete- gefunden hatte, musste ihm irgendwer oder was dazwischen pfuschen. Was kam denn noch? Dass jeder Mensch mal Höhen und dann wieder Tiefen hatte, war ihm bewusst. Und dass sich auch jeder von ihnen in einem Tief fragte: Warum eigentlich immer ich? Aber es war genau diese Frage, die er sich selbst gerade stellte. Er liebte den Gedanken wieder ein Mensch zu sein. Leben, Lachen und auch ein bisschen Lieben zu können. Zeit mit den Jungs zu verbringen. In ihrem Proberaum zu sitzen und ihrer gemeinsamen Leidenschaft nachgehen zu können. Im Laden von Daisuke und Toshiya zu arbeiten und sich über völlig belanglose Dinge mit seinen Kollegen zu unterhalten. In seinem Wohnzimmer vor der Fensterfront zu stehen und die letzten Strahlen der Sonne auf der Haut zu genießen. Das wollte er nicht wieder verlieren.

Etwa zehn Minuten später war er an seiner Haltestelle angekommen. Er verließ die Bahn und ging zu Fuß weiter. Das sparte Geld, zögerte das Treffen aber auch hinaus, das ihn erwartete.

Und die ganze Zeit saß ihm die Angst im Nacken. Hatte Takeno-san wirklich die Polizei angerufen? Waren sie bereits auf der Suche nach ihm? Panisch sah er sich nach allen Seiten um, um sicherzugehen, dass dem nicht so war. Sie sollten warten, bis er mit Kaoru gesprochen hatte. Mit einem mulmigen Gefühl betrat er den Gebäudekomplex, in dem ihr Lead-Gitarrist arbeitete. Einigermaßen zielsicher ging er zur Rezeption.

„Guten Tag“, begrüßte er die junge Dame hinter dem Tresen.

„Schönen guten Tag. Was kann ich für Sie tun?“, fragte sie mit einem strahlenden Lächeln, dass einen fast blenden konnte.

„Ich würde gerne zu Niikura Kaoru-san“, antwortete er, fing an von einem Fuß auf den anderen zu treten.

„Haben Sie einen Termin?“

„Nein, habe ich nicht. Wenn Sie so freundlich wären und ihn dennoch anrufen könnten? Sagen Sie einfach Kyo wäre hier.“ Da musste Kaoru ihn doch schon fast persönlich holen.

„Einen Moment bitte“, vertröstete sie ihn und rief Kaorus Sekretärin an, teilte ihr mit, dass jemand ihren Chef sprechen wollte. Sie erzählte ihr noch, wer hier unten wartete. Etwa eine Minute später hatte sie ihre Antwort legte auf und wandte sich wieder an Kyo. „Niikura-san erwartet Sie.“

„Domô“, murmelte er der Frau zu, eilte dann zu den Fahrstühlen. Vor wenigen Minuten hätte er sich zwar noch am Liebsten in seine eigenen vier Wände zurück gezogen, aber nun brauchte er nichts mehr, als einen Freund um sich. Angespannt und nervös sprang er in den nächsten Aufzug und betätigte die Taste für das gewünschte Stockwerk. Und während der Fahrstuhl sich von einem Stockwerk ins nächste schleppte, überlegte Kyo sich schon einmal, wie er Kaoru am besten erzählen sollte, was ihn so sehr beschäftigte. Warum er unangemeldet hier erschien. Doch es fielen ihm keine passenden Worte ein. Hoffentlich taten sie das, wenn er gleich im Büro seines Freundes saß. Seine Augen klebten an der Anzeige mit den Stockwerken. Hin und wieder stiegen Leute ein und auch wieder aus, aber das bemerkte er nur am Rande. Er war ein nervöses Wrack. Was ihn wieder zu seinem Vergleich von vorhin mit den Stricken führte. Ja, er war ein Wrack. Ein rostiges, altes Wrack, das kurz davor war zu sinken. Aber er klammerte sich an die Seile, die ihn noch an diese Welt banden. Auf Kaorus Etage angelangt flüchtete er regelrecht aus dem Aufzug. Jetzt musste er nur noch... dort entlang. Einige Meter vor sich erkannte er auch schon Kaorus Sekretärin. Eine Frau, er schätzte sie auf Ende zwanzig, der die rotbraunen, großen Locken weit über den Rücken fielen. Die funkelnden, blauen Augen der Europäerin richteten sich auf ihn, als er an ihren Tisch trat.

„Kyo-san, nicht wahr?“

„Hai, watashi wa Kyo desu.“

„Einen Moment, ich kündige Sie an“, erklärte sie ihm mit einem Lächeln, betätigte einen Knopf, der sie telefonisch mit Kaoru verband. „Niikura-san, ihr angekündigter Besuch ist hier. Ja, ich schicke ihn sofort hinein.“ Sie nahm den Finger wieder von dem Knopf, dann wandte sie sich wieder lächelnd an Kyo. „Sie können jetzt reingehen.“

„Danke.“ Sofort ging er auf die Bürotür zu, ließ das Klopfen aus, trat direkt ein.

Kaoru zu sehen, wie er da hinter seinem hochmodernen Schreibtisch in seinem schicken, schwarzen Bürostuhl saß, eine schwarz umrandete Brille trug und ein Jackett, der etwas feineren Sorte, war für den Sänger immer noch ein sehr ungewohnter Anblick, aber einer, der in ihm gerade alle Mauern nieder riss. Was nicht zuletzt daran lag, dass der Gitarrist ihm ein erfreutes Grinsen schenkte, immerhin kam es ja nur selten vor, dass ihn einer seiner Freunde hier aufsuchte und er es immer schön fand einen von ihnen zu sehen. Er schloss die Tür, lehnte sich daran und sah den langjährigen Freund mit einem Blick an, der so traurig, so entschuldigend war, dass der Ältere gar nicht anders konnte, als besorgt aufzuspringen und auf ihn zu zu eilen. „Was ist passiert?“

„Es tut mir Leid, Kaoru. Ich weiß nicht wie, aber ich habe es verbockt. Sie werden mich holen kommen und dann ist es vorbei.“

„Kyo, was redest du da? Was hast du verbockt? Wer kommt dich holen und warum?“ Völlig verwirrt ergriff Kaoru den Freund an den Oberarmen. So zittrig wie dieser war, hatte er Angst, dass er ihm jeden Augenblick zusammen brechen würde. „Was ist passiert?“, fragte er erneut, in der Hoffnung dieses Mal eine vernünftige Antworte zu erhalten. Doch nachdem Kyo es lediglich schaffte einige Male nach Luft zu schnappen, sich aber kein Wort über seine Lippen traute, lockerte er seinen Griff wieder, legte seine Hände nun auf die Schultern seines Gegenübers und dirigierte ihn zu dem größten der Sofas in seinem Büro. In seinem Kopf ratterte es eifrig. So aufgelöst und fertig hatte er den Kleineren schon eine sehr lange Zeit nicht mehr gesehen. Es musste also etwas schreckliches passiert sein. Und so, wie er Kyos Leben derzeit einschätzte, hatte es etwas mit seiner Vergangenheit zu tun. „Möchtest du etwas trinken?“ Manchmal bewirkte so ein Schluck Wasser wahre Wunder.

Aber Kyo schüttelte den Kopf, stützte diesen gleich darauf in seinen Händen ab. „Ich will nicht wieder zurück ins Gefängnis. Ich will da nicht wieder hin“, schluchzte er, kämpfte immer noch gegen die Tränen an.

„Das musst du doch auch gar nicht. Du erfüllst doch alle Auflagen deiner Bewährung. Da gibt es doch gar keinen Grund dafür, dass man dich wieder in eines steckt.“

„Aber wenn ihnen jemand einen Grund gibt?“ Kyo sah auf und in das Gesicht des Älteren. Mittlerweile war bereits die ein oder andere Träne über seine Wangen geflossen.

Für einen langen Moment herrschte völlige Regungslosigkeit in der Mimik des Gitarristen und Produzenten, dann blinzelte er einige Male und Verwirrung, gemischt mit Angst war zu erkennen. „Was ist geschehen?“ Kaoru wollte sich kein Urteil bilden, ehe er die Geschichte kannte, die hinter all dem steckte. Natürlich hielt er Kyo nicht für so blöd etwas zu tun, was seine Freiheit gefährden würde, aber man hatte ihm das Andere auch nicht zugetraut.

„Ich schwöre dir, dass ich nichts getan habe, aber... aber...“ Wo sollte er nur anfangen? Wie sollte er anfangen? Wo er doch selbst noch immer nicht verstand, was da eigentlich ab ging. „Ich war bei ihrem Grab“, begann er schließlich, bemühte sich um kurze, einfache Sätze, damit er seine Stimme in den Pausen dazwischen immer wieder unter Kontrolle bekommen konnte. „Es ist der Jahrestag. Da wollte ich ihr die Ehre erweisen. Du weißt schon. Ein Gebet sprechen und so. Dann ist ihr Bruder plötzlich da gewesen. Er hat mich angeschrien. Mich beschimpft. Und am Ende damit gedroht, die Polizei zu rufen. Ihnen zu erzählen, dass ich... dass ich-“ Dahin war die Kontrolle. Die Angst war zu groß. „Ich habe nichts getan. Ich bin unschuldig.“ Immer wieder sagte er diese beiden Sätze. Er wusste, dass sie wahr waren, aber wer noch? Würde die Welt da draußen ihm glauben? Würde Kaoru ihm glauben?

„Womit hat er dir gedroht?“ Kaoru wurde wütend. Dieser Kerl entwickelte sich wirklich zu einem Problem. Er hätte es ahnen müssen, nachdem was damals im Krankenhaus war. Ganz zu schweigen von der Nummer im Gerichtssaal. Er musste jedoch von Kyo wissen, womit ihm gedroht worden war. Sonst war er machtlos. „Mir kannst du es sagen“, versicherte er und strich dem Anderen über den Rücken. „Ich glaube dir, wenn du mir sagst, dass du nichts getan hast.“

Hoffnungsvoll sah Kyo wieder auf. „Wirklich?“

„Wirklich. Und jetzt sag mir, womit er dir gedroht hat.“

Kyo holte tief Luft: „Dass ich ihr Grab geschändet hätte.“ Er ließ diese Nachricht einen Moment wirken, dann fuhr er fort: „Ich bin dann so schnell wie möglich gegangen, aber als ich mich noch ein Mal umdrehte, da hatte er sein Handy in der Hand und es sah aus, als würde er wählen.“

Das brachte Kaoru erst Mal zum Schlucken. Bis jetzt war das ganze nur eine Drohung gewesen, aber das hörte sich gerade an, als wäre es auch in die Tat umgesetzt worden. Jedenfalls würde es erklären, warum der Jüngere so aufgelöst war. „Aber du weißt nicht, ob er das auch wirklich getan hat, oder?“ Denn da bestand immer noch ein himmelweiter Unterschied, zwischen er hat und er hat nicht.

„Nein, das weiß ich nicht. Doch irgendetwas in mir drin sagt mir, dass er es tun würde oder bereits getan hat. Und wenn er das hat, dann ist alles wieder vorbei. Alles wieder zunichte, was ich gerade wiedererlangt hatte. Aber ich will dieses Leben nicht wieder her geben. Nicht jetzt, wo ich doch anfange es wieder zu genießen. Mir ein normales Leben zuzugestehen.“

„Vielleicht solltest du deinen Bewährungshelfer anrufen und ihn darauf vorbereiten. Wenn du ihm versicherst, dass du-?“

„Das habe ich schon. Gleich, nachdem ich vom Friedhof runter war, habe ich Kibo-san angerufen.“

„Und?“

„Er hat gesagt, dass er mir glaubt und dass er mir helfen wird, diese Vorwürfe zunichte zu machen, sollte es so weit kommen.“

„Das ist doch gut, oder nicht?“

„Schon. Aber diese Angst in mir...Ich weiß, dass das, was ich getan habe, nicht richtig war. Dass ich ihm und seiner Familie etwas sehr grausames angetan habe. Aber warum will er mir das antun?“

„Das weiß ich nicht, Kyo.“ Beruhigend strich der Gitarrist dem anderen auch weiterhin über den Rücken. Er verstand dessen Angst. Konnte aber auch nicht verstehen, warum man seinem Freund so etwas vorwerfen wollte. Gleichzeitig fühlte er sich aber auch in ihrer Freundschaft und seinen Glauben an ihren Sänger bestätigt. Dass Kyo sich nicht wieder verkrochen, sondern den Kontakt zu einem von ihnen gesucht hatte, war ein gutes Zeichen. Dass Kyo nur deshalb bei ihm saß, weil sein Büro nicht allzu weit vom Friedhof entfernt war, war ihm zwar auch bewusst, aber es störte ihn nicht. „Mach dich nicht so verrückt, Kyo. So lange du noch nichts gehört hast, ist das ein gutes Zeichen. Findest du nicht?“

In dem Moment klingelte Kyos Handy. Der Schwarzhaarige musste schlucken, holte dann das Gerät aus seiner Jackentasche. Der Name auf dem Display ließ jegliche Farbe aus seinem Gesicht weichen: Kibo-san.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Dieses Kapitel widme ich allen Lesern, die sich beschwert haben, dass zu wenig passieren würde ;)
Vielen Dank an aku-chi für deinen Kommentar. Habe mich sehr gefreut <3
Und weil es jetzt 2 Uhr morgens ist, werde ich mich schlafen legen und die Batterien fürs nächste Kapitel aufladen :P Obwohl mein Kopf eifrig an einem groben Handlungsstrang für den weiteren Verlauf arbeitet...

Ich hoffe, das Kapitel hat Anklang bei euch gefunden.
Liebe Grüße
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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Astrido
2012-08-11T06:24:04+00:00 11.08.2012 08:24
das kapitel hier fand ich wieder gut. der bruder is echt ein arsch, aber wenigstens kommt jetzt bewegung in die sache, sodass sie ganz zuende gehen kann.
lg
yuura
Von:  Ray-dou
2012-08-10T20:45:15+00:00 10.08.2012 22:45
hey

Ich schreib dir heute zum ersten mal, ich mach das sonst nicht,

aber du hast dir eine sehr BLÖDE stelle ausgesucht um den Teil zu beenden!!!
Und mit tränen in den Augen liest es sich schlecht, ich möchte damit nur sagen ich konnte mich sehr gut in KYO rein versetzten
und so liefen bei mir auch die Tränen. Ich bin gespannt auf den nächsten Teil, mach weiter so!
Liebe Grüße von deiner Leserin^^


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