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In Good Faith

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Chapter 5 - Belief

In Good Faith – Chapter 5: Belief
 

„Ich habe mir das Mitleid schon vor langer Zeit abgewöhnt.“

„Jemand, der so wunderschön ist, sollte nicht so zornig sein.“

„Manchmal hilft dir der Zorn, zu überleben, verstehst du?“

„Das kann auch der Glaube.“
 

„Wie fühlst du dich?“

Für einen Moment glaubte Ororo, Kurt hätte sie nicht gehört, das fröhliche Treiben der Kinder im Garten hätte ihre scheuen Worte verschluckt, doch schließlich wandte er den Kopf, lächelte leicht. „Gut... denke ich.“

Der nachdenkliche Ausdruck, mit dem er sie anblickte, verriet ihr mit Leichtigkeit, dass die Angelegenheit nicht so einfach lag, wie er ihr zu erklären versuchte – wahrscheinlich war er zu lange alleine gewesen, um seine Gefühle noch wirkungsvoll vor anderen zu verbergen. So wie sie das konnte. Trotzdem erwiderte sie die Geste, ließ sich auf der steinernen Bank nieder, auf deren Lehne Kurt hockte, und blickte zu ihm hoch. „Trotzdem... ich möchte mir deine Wunde noch einmal ansehen.“

„Nicht jetzt“, winkte sie ab, als er von seiner erhöhten Position auf die Sitzfläche nach unten glitt und dazu ansetzte, seine zerschlissene Jacke auszuziehen. „Heute Abend... und ich denke wirklich, dass du dich auch von Hank untersuchen lassen solltest.“

Für einen Moment wirkte Kurt unschlüssig, doch dann lehnte er sich zurück, schüttelte langsam den Kopf. „Der Botschafter ist sicher ein vielbeschäftiger Mann... und ich möchte keine Ungelegenheiten machen.“

Halb und halb hatte Ororo mit dieser Reaktion gerechnet, trotzdem konnte sie nicht behaupten, dass sie davon besonders begeistert gewesen wäre. So harmlos die Verletzung auch wirkte, daraus konnte schnell etwas bedeutend Unangenehmeres werden, und sie war keine Ärztin. Wenn sie irgend etwas übersehen hatte... aber sie konnte ihn auch nicht zu seinem Glück zwingen. „Wie du möchtest...“

Ihr Unmut musste sich in ihre Stimme geschlichen haben, auch wenn sie sich größte Mühe gegeben hatte, genau das zu vermeiden, und ein vorwurfsvoller Blick aus gelben Augen traf sie, den sie allerdings gekonnt ignorierte. „Aber vielleicht besucht er uns ohnehin in ein paar Tagen...“

„Ich würde ihn gerne kennenlernen.“

Das ehrliche Interesse in Kurts Stimme überraschte sie ein wenig, denn nach dem Kampf bei Alkali Lake hatte er sich relativ schnell wieder in die Sicherheit seiner Kirche zurückgezogen. Zu wenig behagten ihm die Methoden der X-Men, zu sehr lehnte er den Kampf ab – eine Einstellung, die das Attentat auf den Präsidenten, zu dem er gezwungen worden war, nur noch zementiert hatte. Umso mehr wunderte es sie, dass er ein weiteres – ehemaliges – Mitglied der Truppe kennenlernen wollte, allerdings war sie nicht bereit, sich darüber zu beschweren. Wenn er dadurch bessere medizinische Versorung erhielt und nicht Gefahr lief, wieder von diesen Verrückten angegriffen zu werden, war ihr das nur recht.

„Also bleibst du noch ein wenig hier?“

Die Frage ließ Kurt nicht zusammenzucken... knapp. Trotzdem merkte sie, wie unvorbereitet sie ihn damit getroffen hatte, wahrscheinlich hatte er nach dieser Nacht selbst noch nicht darüber nachgedacht, was er nun tun sollte – und darüber, dass seine Kirche, die für ihn ein Zuhause gewesen war, nun keine Sicherheit mehr bot. Sie kannte dieses Gefühl, hatte selbst nach Strykers Angriff auf Westchester gefühlt, dass seine Leute das Anwesen beschmutzt hatten... und dass es nie wieder ein Ort der vollkommenen Entspannung für sie sein konnte, da sie wusste, dass sie auch hier in Gefahr war. Immer.

„Ich... bin mir nicht sicher.“

Nachdenklich starrte er die Kinder an, die damit beschäftigt waren, sich über den Basketballplatz zu jagen, die freie Zeit genossen, bevor er gedankenverloren einen Rosenkranz aus seiner Jackentasche zog. Der weiße Verband schimmerte durch den groben, dicken Stoff hindurch, dort, wo die Kugel ihn getroffen hatte, und Ororo schluckte leicht. Das war eine Entscheidung, bei der sie ihm nicht helfen konnte. „Lass dir ruhig Zeit. Du kannst dein Zimmer so lange behalten, wie du willst... und ich möchte, dass du weißt, dass dir unsere Tür immer offen steht.“

Er nickte, langsam, auch wenn er ihre Worte kaum gehört zu haben schien, und Ororo erhob sich in einer einzigen, fließenden Bewegung, ohne noch einen Versuch zu machen, ihn anzusprechen, ging dann über einen der zahlreichen Gartenwege zurück. Er hatte jedes Recht, allein zu sein – und es war nicht so, als ob sie selbst unterbeschäftigt gewesen wäre.

Sie wusste noch immer nicht, wie sie auf die neue Bedrohung, die sich ihnen gestern Nacht so plötzlich präsentiert hatte, reagieren sollte, wusste nicht, was sie den Kindern sagen sollte... normalerweise wäre das Charles' Gebiet gewesen. Er konnte sich in sie hineindenken, wusste, wie viel von der Wahrheit sie verkraften konnten... wusste, was zu tun war... und nur einmal hatte diese Fähigkeit ihn im Stich gelassen. Sie hingegen hatte keine Ahnung... und doch war ihr die undankbare Aufgabe zugefallen, in jemandes Fußstapfen zu treten, den man einfach nicht ersetzen konnte.

„Ororo? Was ist denn los?“ Sie musste bedrückt ausgesehen haben, anders konnte sie sich den besorgten Blick, den Marie ihr von der Treppe her zuwarf, einfach nicht erklären, und für einen Moment war sie versucht, zu lächeln und zu erklären, dass alles in Ordnung wäre. Nur, dass das nicht gestimmt hätte – und im Moment war sie wohl keine besonders gute Lügnerin. „Du hast uns ja in der Nacht gesehen...“

Marie nickte, während sich ihre Augenbrauen zusammenzogen, sie hatte, seit sie ihre Mutation abgelegt hatte und nicht mehr Rogue war, manchmal ein wenig verloren gewirkt, besonders während der Trainingsstunden der anderen Schüler, doch nun mischte sich neben der Besorgnis auch Stolz in ihre Miene. Stolz darüber, dass Ororo ihr ihre Sorgen anvertraute, auch wenn es nur zwischen Tür und Angel war. „Ja... und die ganze Schule redet darüber, falls du dir in diesem Punkt noch irgendwelche Illusionen gemacht hast. Wie geht es Kurt? Und was ist passiert?““

Der Satz hätte respektlos klingen können, doch Maries fröhliche Art machte daraus eine bloße Feststellung, und Ororo unterdrückte ihr Stirnrunzeln bereits im Ansatz. „Schon besser, auch wenn ich mir immer noch Sorgen um ihn mache... er ist im Garten, wenn du mit ihm sprechen möchtest, auch wenn ich glaube, dass er im Moment lieber alleine sein will.“

Die junge Frau lächelte trotz des mahnenden Tonfalls in ihrem letzten Satz. Kurt hatte ihr das Leben gerettet – und sie hatte ihn dafür in ihr Herz geschlossen... trotzdem ließ sie sich davon nicht von den wichtigeren Dingen ablenken. „Also was ist passiert?“

Für einen Moment oder zwei zögerte Ororo, spürte, wie der Zweifel sie befiel, sich in ihren Kopf schlich, doch dann schüttelte sie sich, warf ihn ab und traf endlich eine Entscheidung. „Kurt wurde von Extremisten angeschossen, die sich von Mutanten bedroht fühlen. Und wenn ihm das passieren konnte, dann euch auch...“ Sie seufzte leise auf. Etwas zu wissen, war eine Sache, es auszusprechen und den enttäuschten Ausdruck auf dem Gesicht eines Teenagers zu sehen, eine ganz andere. „Ich werde heute Abend mit allen sprechen... aber es wird wohl keine unbeaufsichtigten Ausflüge in die Stadt mehr geben.“
 

Wie Ororo diese vorwurfsvollen Blicke hasste. Die verletzte Miene der Kinder, die stumme Empörung in ihrem ganzen Gebaren, die zu äußern sie sich der Gefahr viel zu bewusst waren und die doch in jeder ihrer Bewegungen, in jedem ihrer oberflächlich fröhlichen Worte mitschwang und sie für mindestens eine Woche begleiten würde... sie konnte es kaum ertragen.

Also ob sie sich selbst nicht schon genug Vorwürfe machte, sie in Westchester fast einzusperren, zweifelte, dass es die richtige Entscheidung wäre... so bekam sie jedes Mal, wenn sie eines von ihnen sah, wieder das Gefühl, wenn schon nicht schuld, dann doch wenigstens verantwortlich für ihre Situation zu sein. Und das schlimmste daran war, dass es stimmte.

Deswegen war sie aus dem überfüllten Wohnzimmer geflohen, hatte es Marie, Kitty, Peter und Bobby überlassen, die Kleineren zu beruhigen, die Situation in schöneren Farben darzustellen, und lehnte hier, draußen im Garten, an der noch von der Sonne warmen Steinmauer, die das Anwesen umgab, versuchte, ihr Ruhe zu entziehen, die sie selbst nicht besaß.

„Ororo.“

Sie zuckte zusammen, konnte es nicht verhindern, als Logan sie ansprach, wieder einmal hatte er sie überrascht, was sie hier im Garten eigentlich nicht überraschen sollte – so sehr sie die Natur auch liebte, er war in einer Art und Weise Teil von ihr, wie sie es nie sein konnte. „Ja?“

Langsam ließ sie sich auf den Boden sinken, in das Gras, das nun, in der hereinbrechenden Dunkelheit fast grau wirkte, während sie spürte mehr spürte als sah, dass seine Augen sie verfolgten. „Hör auf damit.“

Ihre Stimme hatte nicht halb so scharf, so bestimmt geklungen, wie sie sich das gewünscht hätte, und sie seufzte leise auf, als Logan noch einen Schritt auf sie zu machte. „Womit?“

„Damit, mich so anzusehen. Sag mir deine Meinung oder verschwinde, aber hör auf mit diesem verdammten vorwurfsvollen Blick. Wenn ich darauf gerade Lust hätte, wäre ich im Wohnzimmer geblieben.“

„Was bringt dich auf die Idee, dass ich dich kritisieren möchte?“ Ororo zwang sich, noch einmal tief Luft zu holen und ihren ersten Impuls – Logan zumindest verbal ins Gesicht zu springen – zu unterdrücken, damit sie den beruhigenden Tonfall seiner Worte überhaupt wahrnehmen konnte, während er sich neben ihr ins Gras sinken ließ. „Hast du es ihnen also gesagt?“

Sie nickte stumm, auch ohne nachzufragen wusste sie, welches Thema er gerade ansprach, und auch wenn sie nicht besonders begeistert darüber war... was sollte sie schon dagegen tun? Ihn noch einmal anfauchen? „Ja... ich denke, sie haben es ganz gut aufgenommen, auch wenn die Begeisterung sich natürlich in Grenzen hält.“

Logan streckte seine Beine aus. „Damit war zu rechnen, denke ich.“

Stumm nickte sie, wusste nicht, ob er die Geste in der zunehmenden Dunkelheit sehen konnte, denn das Licht, das in schimmernden Rechtecken aus den großen Fenstern auf das Gras fiel, drang kaum bis zu ihnen, hier in den Schatten der Bäume.

„Trotzdem denke ich, dass es die richtige Entscheidung ist... zumindest, bevor wir mehr wissen. Mir ist es lieber, Marie schmollt ein wenig, als dass ich sie wieder einmal aus den Fängen irgendeines Idioten befreien muss.“

Ihre Erleichterung darüber, dass Logan demselben Gedankengang wie sie auch gefolgt war, musste man ihr wohl angemerkt haben, denn er klopfte ihr kameradschaftlich auf die Schulter, sein schräges Grinsen konnte sie zwar kaum sehen, sich aber umso besser vorstellen. „Hey... ich mag zwar die pädagogischen Fähigkeiten nicht gerade mit dem Löffel gefressen zu haben... aber mir liegt diese Chaostruppe genauso am Herzen wie dir.“

„Ich weiß.“ Eigentlich hätte sie das ohnehin wissen sollen, diese zusätzliche Erwähnung nicht brauchen... und doch war ihr klar, dass sie in den letzten Wochen und Monaten diese Tatsache aus den Augen verloren hatte, während die Arbeit für die Schule sie niederdrückte, ganz alleine auf ihren Schultern zu lasten schien. Dass Logan jetzt neben ihr saß und nicht in einem neuen Wohnwagen durch Kanada brauste, auf der Suche nach Erinnerungsfetzen, die er nach William Strykers Tod wohl niemals würde zusammenfügen können, war der beste Beweis dafür. Und machte ihre Schuld nur noch größer. „Und ich bin froh, dass du hier bist, auch wenn wir jetzt endlich ein wenig Unterstützung bekommen.“

Sie erwähnte nicht, dass sie nicht nur froh war... sondern dass er der einzige Grund war, warum auch sie noch hier war, warum ihr Verantwortungsgefühl dem dringenden Wunsch, vor all diesen schmerzhaften Erinnerungen zu fliehen, noch nicht nachgegeben hatte. Das wusste er ohnehin, er kannte sie zu gut, als dass er das nicht hätte bemerkt haben können.

„Ja, wir scheinen das Haus wieder vollzukriegen. Zuerst Lewis, jetzt Kurt – wenn jetzt noch rauskommt, dass das Mädchen eine Telepathin ist, ist alles wieder so wie früher...“

Der Zynismus in seiner Stimme überraschte sie, erinnerte sie schmerzhaft daran, dass nicht nur sie manchmal von der Trauer fast in die Knie gezwungen wurde, sondern auch Logan... und dass er, wenn er Jean, Scott und den Professor schon nicht so lange gekannt hatte wie sie, doch ebenso viel Recht hatte, sie zu vermissen. Mindestens. „Sie sind kein Ersatz, und das weißt du auch.“

„Ja.“ Für einen Moment glaubte sie, dass ihre Antwort, die sie so sanft und ruhig hatte klingen lassen, wie sie gerade noch vermochte, ihm den Wind aus den Segeln genommen hatte, doch da hatte sie sich getäuscht – das merkte sie in dem Moment, in dem er er weitersprach. „Niemand kann sie ersetzen.“

Mit einer abrupten, fast unbeholfen wirkenden Bewegung, die so gar nicht zu seiner normalen, gefährlichen Eleganz passen wollte, erhob er sich vom Boden, klopfte sich fahrig die Grashalme von der Hose, bevor er in die entfernteren Teile des Parks verschwand. Und Ororo war sich noch immer nicht sicher, ob dieses letzte sie eines im Singular oder im Plural gewesen war.
 

„Und du bist dir sicher, dass du das tun möchtest?“

Gelbe Augen musterten sie, schienen fast empört, dass sie diese Frage überhaupt stellte, dann nickte Kurt, abgehackt aber doch. „Ja.“

Trotz des Angriffs, der kürzlich auf ihn stattgefunden hatte, wollte er unbedingt in seine alte Kirche zurückkehren, wenigstens einen Teil seiner Sachen holen, und da er und Logan sich nicht besonders grün waren, hatte Ororo sich freiwillig für diese Aufgabe gemeldet. Nun, freiwillig gemeldet war vielleicht nicht mehr der korrekte Ausdruck, eher hatte sie beschlossen, dass sie die Richtige für die Mission war, und dies Kurt mitgeteilt. Die Position als Anführerin hatte auch Vorteile, das musste sie zugeben. „Können wir dann?“

Kurt nickte, schlang seine Arme um sie, etwas, an das sie sich noch immer nicht ganz gewöhnt hatte, so notwendig das für ihre Teleportation auch war, aber der enge Körperkontakt war einfach etwas, das noch immer gelindes Unbehagen in ihr auslöste. Wenigstens war es nicht so schlimm wie beim letzten Mal – diesmal wusste Kurt wenigstens, wohin sie gingen, und auch, was er tat. Zumindest hoffte sie das.

Das charakteristische Geräusch der Teleportation würgte den Gedankengang ab, während sie für einen Augenblick aufhörte, in der ihr bekannten Dimension zu existieren, nur um einen Moment später an einem vollkommen anderen Ort wieder zusammengesetzt zu werden. „Pst.“

Sie mochte sich einbilden, den Laut gehört zu haben, aber der dicke, blaue Finger an ihren Lippen war sehr real, während Kurt sie so leise wie möglich losließ und geduckt nach vorne an das steinerne Geländer schlich. Sie waren über der Eingangstür auf der Orgelempore gelandet, die Stille in der alten Kirche wirkte absolut, wurde nur vom kaum wahrzunehmenden Geräusch von Kurts nackten Füßen auf dem Steinboden unterbrochen.

Zumindest konnte sie nichts anderes hören, als sie angestrengt horchte, bis ihr Geist begann, Geräusche zu erfinden, nur um diese unnatürlich, fast bedrohlich wirkende Ruhe zu unterbrechen. „Hier ist niemand.“

Auch Ororo war zu demselben Schluss gekommen wie Kurt, doch vermochte sie nicht, die Anspannung abzuschütteln, die die Umgebung in ihr auslöste, vielleicht auch die Tatsache, dass hier vor kurzem einer von ihnen angegriffen war. Dass diese Kirche nicht mehr sicher war für Mutanten. Nicht mehr sicher für Mutanten... Der Gedanke hinterließ einen schalen Nachgeschmack in ihrer Seele, und doch konnte sie die Wahrheit darin nicht leugnen – doch was war in diesen Zeiten schon noch sicher für Mutanten?

„Komm.“

Kurt teleportierte nicht noch einmal mit ihr, er hatte wohl bemerkt, wie unangenehm sie es fand und wie nervös es sie machte, sondern führte sie stattdessen zu einer schmalen, steinernen Wendeltreppe, die hinunter in das Hauptschiff führte. Ihre Finger, die über den Handlauf glitten, tauchten ein in Staub, doch dazwischen waren immer wieder freie Stellen, die wirkten, als hätte sich jemand nur gelegentlich abgestützt, während er die Stufen hinauf- oder hinuntergegangen war.

Mit einem leisen Wort wies sie Kurt darauf hin, fast instinktiv hatte ihre Stimme sich seinem gedämpften Tonfall angepasst, doch ob der von seiner Angst, jemanden auf sie aufmerksam zu machen oder von seinem Respekt vor dem Ort herrührte, konnte sie beim besten Willen nicht sagen. Er nickte nur traurig, zum Zeichen, dass er ebenfalls bemerkt hatte, dass die Kirche nicht so verlassen war, wie er es sich ganz offensichtlich erhofft hatte. „Bleib besser bei mir...“

Obwohl die Rolle der Anführerin noch neu für sie war, widerstrebte es ihr, sich einfach so Befehle geben zu lassen, besonders von jemandem, der die X-Men vor mehr als drei Jahren verlassen hatte – bedauerlicherweise konnte sie nicht abstreiten, dass der Vorschlag Sinn ergab. Viel zu viel Sinn. „Mach ich.“

Die Plastikplanen, mit denen man die Kirchenmöbel abgedeckt hatte, um sie gegen den allgegenwärtigen Staub zu schützen, raschelten leise, als sie an ihnen vorübergingen, das Seitenschiff ansteuerten, in dem Kurt sein Lager aufgeschlagen hatte, doch auch hier konnte Ororo Spuren kürzlicher Aktivität entdecken. Einige der hölzernen Bänke waren abgedeckt, die Planen waren achtlos auf den Boden geworfen worden und neben den verstreuten Kissen, die noch von der ehemaligen Benutzung übrig geblieben waren, lagen leere Bierdosen, verströmten ihren typischen, ranzigen Geruch.

Ein kurzer Blick zu Kurt, die Art, wie seine Kiefer mahlten, seine drei Finger sich zur Faust ballten und wieder öffneten, verriet ihr, wie wütend dieser sanfte Mann gerade war, welchen Zorn er empfand – und sie konnte es nachvollziehen. Dieser Ort hatte eine Ausstrahlung, der auch sie sich nicht entziehen konnte, die bunten Glasfenster, durch die das Licht hereinschimmerte, der leere Altar, die ganze Architektur, all das strahlte eine gewisse Ehrwürdigkeit aus. Weder die Planen noch der Staub noch die hohe Bretterwand vor der Kirche konnten etwas daran ändern – und auch die Bierdosen nicht, das Bild von lachenden, gröhlenden Männern, das sie in ihr heraufbeschworen. Und trotzdem schien dieser Platz dadurch merkwürdig... entweiht worden zu sein. Es wunderte sie kaum mehr, dass sie sich fast instinktiv Kurt anschloss, der die Bierdosen zur Seite räumte, und ihm half, die Plane wieder über die Bank zu breiten.

Für einen Moment betrachteten sie ihr gemeinsames Werk, dann nickte Ororo, griff vorsichtig nach seiner Schulter – so ruhig es jetzt, mittags, auch war, zu lange zu verweilen war wohl nicht ungefährlich. „Komm.“

Langsam nickte er, man konnte ihm ansehen, wie schwer es ihm fiel, sich abzuwenden, doch schließlich führte er sie zwischen den massiven Säulen, die das Dach des Gebäudes trugen, hindurch – und erstarrte erneut. Auch Ororo konnte ein leichtes Schlucken nicht unterdrücken, als sie das Lager sah, das er sich so bemüht eingerichtet hatte... und was damit geschehen war.

Die Heiligenbilder, die Plakate des Zirkus, die er mit so viel Mühe an die dicke, verputzte Wand gehängt hatte, waren heruntergerissen worden, ihre Fetzen vermengten sich mit denen der Decke auf seinem Bett. Bäche aus erstarrtem Wachs ergossen sich von dem umgestürzten Kerzenhalter auf den Boden, malten Tränen auf das Gesicht des gekreuzigten Jesus; die Statue war zerstört. In Splittern lag sie auf dem Bett, und auch das hölzerne Kreuz, an dem sie gehangen hatte, war in der Mitte zerbrochen worden – Ororo konnte kaum mit ansehen, wie Kurt sich darum bückte, es vorsichtig wieder zusammensetzte.

Wo er vorhin wütend gewirkt hatte, kamen seine Bewegungen ihr nun vorsichtig, fast sanft vor, als er den Kopf der Figur nun aufhob, das Wachs davon ablöste und für einen Moment in die blinden Augen starrte, bevor er sie auf dem Bett ablegte.

Auch Ororo kniete nun auf dem Boden, mehr, um eine Beschäftigung zu haben, als aus Hoffnung, wirklich etwas zu finden, durchwühlte mit fahrigen Fingern das viele Papier auf dem Boden, bis sie auf eine herausgerissene Seite aus einer Bibel stieß. Das Buch Exodus war es, doch sogar das zynische Lächeln blieb ihr im Hals stecken, als sie zu Kurt hinaufblickte.

„Gehen wir.“

Eigentlich hätte der kalte Stahl in seiner Stimme sie nicht überraschen sollen, und doch erschreckte er sie, der Tonfall passte besser zu Logan – zu einem wütenden Logan – als zu diesem normalerweise so sanften Mann. Hastig kam sie zurück auf die Füße. „Bist du dir sicher?“

„Hier gibt es nichts mehr für mich.“

Sein Tonfall war ebenso fest wie seine Schritte, während sie zurück in den Altarraum gingen, und doch konnte er sie nicht täuschen – er wollte sich verabschieden, sonst wäre er bereits mit ihr teleportiert, und die Art, wie er seinen Blick über die Gerüste und die verdeckten Bänke wandern ließ, bestätigte diesen Eindruck. So friedliebend er auch war, ganz offensichtlich widerstrebte es ihm, diesen Ort, der ihm so viel bedeutete, diesen... Menschen zu überlasen. Und Ororo teilte dieses Gefühl – wenn man immer zurückwich, war bald nichts mehr da, wohin man gehen konnte.

Der Anblick des umgestürzten Leuchters für die kleinen Kerzen, die Gläubige zum Gedenken entzünden konnten, schien seinen Entschluss endgültig ins Wanken zu bringen, die Kasse, die daran gehangen hatte, war aufgebrochen worden, einige alte Münzen lagen verstreut auf dem Boden, und Kurt war mit wenigen Schritten dort. In einer einzigen, fließenden Bewegung, die seine doch beträchtliche Körperkraft verriet, hatte er ihn wieder aufgerichtet, mit einem lauten Scheppern schlugen die metallenen Füße auf den Steinplatten unter ihren Füßen auf, doch dann erfasste eine merkwürdige Ruhe ihn.

Langsam, fast bedächtig griff er in die Tasche seiner Jacke, zog eine Packung Streichhölzer hervor, bevor er eine der Kerzen wieder entfachte und sich bekreuzigte, für einen Moment in den hellen Schein starrte, der mit dem Licht, das durch die Buntglasfenster fiel, konkurrierte. „Möchtest du auch...?“

Scheu hielt er ihr ebenfalls die Packung hin, und Ororo war schon fast dabei, danach zu greifen, einfach, weil es ihm etwas zu bedeuten schien, als die schweren Flügel der Kirchentür aufgestoßen wurden. „Der Freak ist wieder da!“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Alaiya
2009-11-16T13:45:23+00:00 16.11.2009 14:45
Bin ich froh, dass das nächste Kapitel schon da ist :D
Wäre böse, wenn das ganze einfach so endet und man aufs nächste Kapitel würde warten müssen @.@
Also ich muss echt sagen: Ich bin schon ein richtiger Fan von deinen Beschreibungen. Die Art wie du die Kirche und das zerstörte Lager von Nightcrawler beschrieben hast, war richtig klasse. Ich konnte es mir vorstellen und es kam auch wirklich Stimmung auf.
Wenngleich es ja teilweise seltsam ist, das ganze so rein auf Filmbasis zu lesen. Ich mein, wenn ich an Logan und seinen "Elf" (Kurt) in den Comics denke, wie die immer zusammenhängen... *lach*
Wobei ich es etwas seltsam finde, das Marie/Rogue Storm mit Vornamen anspricht... Miss Munroe oder Storm fände ich normaler... ^^"


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