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In Good Faith

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Chapter 1 - Gone

In Good Faith – Chapter 1: Gone
 

„Hast du Angst?“

„Sag du es mir.“

Stille. Schweigen. Konzentration. Dann:

„Ja. Ja, die hast du.“
 

„Was hältst du von Mary?“ Lucas Robertson grinste, während er sich beschwingt auf das Sofa in dem hellen Wartezimmers fallen ließ und aufmunternd auf die Polsterung neben sich klopfte, um seine Freundin zu sich zu locken. Allerdings ließ Anne Lewis sich nicht besonders lange bitten, sie brauchte nur einen Moment, um ihre dünne Jacke an einen der Haken neben der Tür zu hängen, dann nahm sie neben ihm Platz, lehnte sich bequem zurück, bevor sie antwortete. „Hm... nicht viel. Mary ist viel zu altmodisch... wer nennt sein Kind denn heute noch Mary?“

„Ich, nehme ich an.“ Lucas grinste. „Wenn du einen aktuellen Namen möchtest... was hältst du von Kayla?“

„Nein. Kayla ist dann sogar mir zu modern.“

Er legte den Kopf schief, betrachtete sie von der Seite mit einem schelmischen Blick, der sie fast ein wenig an einen kleinen Jungen erinnerte. „Wenn dir meine Vorschläge nicht gefallen... mach doch selbst einen?“

„Für ein Mädchen? Hm...“ Sie starrte in die Ferne, doch ohne wirklich nachzudenken, und nannte dann den ersten Namen, der ihr in den Sinn kam. „Emma?“

Kaum hatte sie das Wort ausgesprochen, als ein Schatten über das Gesicht ihres Freundes zog und er unbewusst ein Stück von ihr abrückte. „Nein. Nein, Emma gefällt mir nicht.“

„Wieso nicht? Es ist ein hübscher Name.“ Widerspruch um des Widerspruchs willen lag ihr normalerweise nicht, und doch hatte sie das Gefühl, dass mehr hinter seiner Antwort steckte, als ihr – und vielleicht sogar ihm – bewusst war, eine Abneigung gegen eine gewisse Emma, die sie kannte...

„Trotzdem. Er gefällt mir nicht.“ Lucas klang bestimmt, fast wütend, sein Mund zog sich ärgerlich zusammen, wurde zu einem dünnen, weißen Strich, und doch schien er sich zu bemühen, um ihretwillen. „Wie wäre es mit William? Für einen Jungen, meine ich.“

Der Scherz war schlecht, und doch lächelte sie gezwungen, bemüht, die düstere Wolke zu vertreiben, die sich über ihrem Sofa zusammengezogen hatte. „Solange du nicht Robert vorschlägst... Robert Robertson würde wirklich grauenvoll klingen.“

Lucas grinste ebenfalls, auch er schien im Moment nicht das Bedürfnis zu haben, über ihr größtes Streitthema nachzudenken, und Anne tat es bereits Leid, dass sie nicht besser aufgepasst, nicht mehr nachgedacht hatte, bevor der Name über ihre Lippen gekommen war. „Also? Was sagst du zu William?“

„Ich weiß nicht recht...“ Langsam wiegte sie den Kopf hin und her. „Außerdem haben wir für diese Frage ja noch genügend Zeit... mindestens neun Monate, wenn alles gut geht. Wir könnten uns eines von diesen Kindernamensbüchern kaufen, was meinst du?“

„Ja.“

Das eine Wort von Lucas wirkte geistesabwesend, und auch Anne spürte, wie ihre Gedanken eine andere Richtung nahmen, sich von ihrem ersten, noch in Planung befindlichen Kind abwandten und sich auf das Wartezimmer richteten, in dem sie gerade saß. Lucas hatte auf einem Test bestanden, wollte unbedingt herausfinden, ob sich in ihrem Erbgut das X-Gen befand, das für die verschiedensten Mutationen verantwortlich war – auch für die ihrer Schwester. Anne konnte seine Sorge verstehen, besonders, nachdem sie miterlebt hatte, wie Emma in der Schule ausgegrenzt wurde, wie sie weinend in ihrem Zimmer lag und sich so verzweifelt wünschte, dass sie nur normal wäre und so wie alle anderen... wie sie selbst, Anne, die ihr einfach nicht helfen konnte. Fast unwillkürlich griff sie nach ihrem Unterarm.

Niemand wollte das seinem Kind antun... wirklich niemand. Und auch das neu entwickelte Serum, das vor einigen Monaten schließlich auf den Markt gekommen war, schien nicht der überwältigende Erfolg zu sein, den seine Erfinder sich erhofft hatten. Es schlug nicht bei allen Mutanten an, bei vielen von ihnen wurden ihre Kräfte nur zeitweilig unterdrückt oder geschwächt... oder aus dem Gleichgewicht gebracht, was auch für die Patienten gefährlich werden konnte.

„Alles in Ordnung mit dir?“

Lucas musste ihr leises Seufzen gehört haben, denn er wandte sich ihr mit einem beschützenden Blick zu, nahm sie vorsichtig in den Arm, und sie kuschelte sich gemütlich an ihn. Das Wartezimmer war leer, bis auf sie beide, und so gab es niemanden, der sie beobachten oder sich gar daran stören könnte, wofür sie im Moment wirklich sehr dankbar war. „Ich... ich bin nur ein wenig nervös, fürchte ich.“

„Dafür gibt es doch keinen Grund, Prinzessin. Wirklich nicht...“ Sie lächelte, spürte, wie Erleichterung sie durchflutete. Lucas liebte sie... und mehr brauchte sie im Augenblick nicht zu wissen.

Natürlich, ein wenig merkwürdig war es schon, dass das private Labor die Ergebnisse ihrer Untersuchung nicht zu ihr nach Hause geschickt hatte wie abgesprochen, sondern sie noch einmal hierhergebeten wurde, aber...

„Miss Lewis?“

Sie hatte sich erhoben, bevor Lucas seinen Arm von ihrer Schulter ziehen konnte, und für einen Moment rieb er sich die schmerzende Stelle, dann stand er ebenfalls auf, trat zu ihr. Der misstrauische Blick und der unwillige Unterton in der Stimme der jungen Frau, die ihre Finger so fest um ihr Klemmbrett gelegt hatte, dass ihre Knöchel weiß hervortraten, schien auch ihm nicht zu gefallen, und Anne spürte, wie sich ein merkwürdig dumpfes Gefühl in ihrer Magengegend ausbreitete. Dieser Blick kam ihr viel zu bekannt vor. „Ja?“

„Kommen Sie.“

Mehr oder weniger einladend wies die Assistentin auf die Tür und widerwillig ging Anne vor, ihre Hand hatte sich ohne ihr Zutun in Lucas' geschlichen. Seine beruhigende Wärme tat ihr gut, und sie bedauerte, sie aufgeben zu müssen, als sie in einem kleinen, in warmen Farben gestrichenen Büro auf zwei Stühle dirigiert wurden. „Der Doktor ist in einem Moment bei Ihnen.“

Der Doktor? Ihr Magen schien sich zusammenzukrampfen... was, wenn man bei der Überprüfung eine Krankheit gefunden hatte, die ihr bisher entgangen war? Etwas Schweres? Doch sie hatte nur Zeit, einen beunruhigten Blick mit Lucas zu tauschen, denn in dem Moment, in dem sie zögerlich ihre Lippen befeuchtete, um etwas zu sagen, schwang die Tür erneut auf und ein schlaksiger Mann, fast zu jung, um wirklich Arzt zu sein, trat mit einem beschwingten Lächeln ein. „Miss Lewis, ich...“ Sein Blick fiel auf Lucas. „Oh, ich hatte nicht damit gerechnet, dass noch jemand hier ist. Und Sie sind?“

„Mr Robertson. Annes Lebensgefährte.“

Der Mann schien kurz aus dem Konzept gebracht, fing sich aber schnell wieder, und nickte dann langsam. „Miss Lewis, dieses Gespräch unterliegt der ärztlichen Schweigepflicht.“ Anne spürte, wie sich ein Kloß in ihrem Hals bildete, den sie nur schwer herunterschlucken konnte. „Wenn Sie es allerdings wünschen, kann Mr Robertson gerne hier bleiben... es ist selbstverständlich Ihre Entscheidung.“ Doch in seinem Blick schien der dringende Wunsch zu liegen, Lucas sofort loszuwerden, und Anne fragte sich, warum – wenn die Nachrichten wirklich schlimm waren, brauchte sie ihn doch erst recht.

„Er bleibt.“ Ihre Stimme klang nicht so fest, wie sie sich gewünscht hätte, doch ein kleines Lächeln von Lucas half ihr, sich wieder auf den Doktor zu konzentrieren, der gerade hinter seinem Schreibtisch Platz nahm. „Selbstverständlich... nun, wo war ich gerade? Ja. Ich bin Doktor Daniel Reese, der wissenschaftliche Leiter dieser Einrichtung, und ich möchte mit Ihnen über die Ergebnisse Ihres Gentests sprechen.“

Der erste Teil seines Satzes war Anne neu, der zweite, für sie wichtigere allerdings nicht, und sie konnte kaum verhindern, dass sie ungeduldig auf ihrem Stuhl hin und her rückte. Zum Glück schien man von ihr keine Antwort zu erwarten, denn Reese nickte nur, musterte sie wieder mit diesem intensiven Blick, dann holte er tief Luft. „Nun, zunächst möchte ich Sie fragen, ob alle Angaben auf dem Fragebogen, den Sie für uns ausgefüllt haben, der Wahrheit entsprechen.“

Anne runzelte die Stirn. Nun... sie hatte bei ihrem aktuellen Gewicht wohl zwei Kilo zu wenig angegeben, da sie davor länger auf keiner Waage gestanden hatte, aber ansonsten konnte sie sich an keine Frage erinnern, bei der sie nicht nach bestem Wissen und Gewissen geantwortet hatte... aber anscheinend war das nicht genug. „Ähm... ja, natürlich.“

Reese kniff die Augen zusammen. „Sind Sie sich da vollkommen sicher?“

„Ja.“ Sie hatte ihre Verwirrung ein wenig abgeschüttelt, gab ihrer Stimme nun einen festeren Klang, und auch der Doktor schien damit zufrieden... mehr oder weniger jedenfalls. „Nun... wenn das so ist...“ Er schoss erneut einen scharfen Blick auf Lucas ab, der so gar nicht zu seinem gedankenverlorenen Selbstgespräch passen wollte. „Wollen Sie wirklich, dass Mr Robertson hier bleibt?“

„Nun spucken Sie's schon aus.“ Lucas war ihr mit seiner Erwiderung zuvor gekommen, er schien fest entschlossen, dem Satz einen humorigen Unterton zu geben, allerdings gelang es ihm kaum, auch ihn hatte diese unterdrückte Anspannung befallen, die Anne auf der Vorderkante ihres Stuhles hocken ließ. „Ich bin mir sicher, wenn wir erst wissen, wovon Sie reden, ist alles nur mehr halb so schlimm...“

Reese wirkte ein wenig zweifelnd, was den letzten Satz anging, schien sich allerdings nun ihren Wünschen zu beugen und griff seufzend nach der einzigen Akte, die auf seinem Schreibtisch lag, und schlug sie auf. „Nun, die Sache ist die, Miss Lewis – obwohl Sie in Ihrem Fragebogen angegeben haben, dass Sie keine Mutantin sind... unsere Testergebnisse zeigen etwas vollkommen anderes.“ Anne hatte nicht gewusst, dass vollkommene Stille so laut sein konnte.

„Verzeihung... was haben Sie gerade gesagt?“ Lucas hatte sich vor ihr gefangen, doch in seinen tiefen, blauen Augen stand noch immer der pure Unglaube, er starrte Reese an, als hätte der ihm gerade eröffnet, dass der Himmel grün wäre.

„Dass Miss Lewis eine Mutantin ist, Mr Robertson.“ Der Doktor wirkte, als würden ihm Reaktionen wie diese mindestens drei Mal am Tag entgegengebracht, und seine routinierte, gleichmäßige Stimme half ihr, ihre eigene Fassung wiederzufinden, bis Lucas sich ihr zuwandte. „Hast du... hast du davon gewusst, Anne?“

Stumm schüttelte sie den Kopf.

„Sicher... ich meine, hast du nie etwas bemerkt, das an dir merkwürdig wäre, anders...?“ Der Ausdruck in seinem Blick tat weh, diese verzweifelte Hoffnung, an die er sich noch klammerte, und doch... da war noch etwas tief in seinen Augen, das sie schaudern ließ, etwas, von dem sie nicht wissen wollte, was es war.

„Nein... nein, mir ist nie etwas aufgefallen... ich meine, ich wusste, dass meine Schwester eine Mutantin ist, und deswegen hab ich immer besonders darauf geachtet...“ Ein plötzlicher Instinkt ließ sie verschweigen, dass sie das getan hatte, weil sie, bevor sie die Konsequenzen begriffen hatte, so sein wollte wie Emma... etwas Besonderes. „Aber da war nichts...“

„Könnten Ihre Ergebnisse falsch sein?“

Ein kleiner, widerspenstiger Teil ihrer Seele wollte sich beschweren, dass Lucas das Gespräch so einfach an sich riss, doch die Regung erreichte nie ihre Lippen – zu fest hielt sie der Schock im Griff, als dass sie dafür noch hätte Kraft erübrigen können. Reese betrachtete sie, nickte ihr aufmunternd zu, wahrscheinlich war sie gutes Mittelmaß, was ihre Aufnahme der Neuigkeiten anging.

„Nein. Da Miss Lewis angegeben hatte, dass sie keine Mutantin ist, haben wir unsere Tests wiederholt und nochmals das gleiche Resultat erhalten. Die Fehlerquote liegt bei unter einem Promille.“

Etwas an Lucas schien zusammenzufallen, seine Schultern sackte nach unten und Anne fragte sich abwesend, was ihn eigentlich so mitnahm. Nun, nachdem der erste Schock vorbei war, sie bemerkt hatte, dass sie durch die plötzliche Eröffnung über ihre genetische Struktur keine unheimlichen, unkontrollierbaren Fähigkeiten entwickelt hatte, war ihre Ruhe zurückgekehrt. In ihrem Leben musste sich nichts ändern... denn sie hatte sich nicht geändert durch das, was sie eben erfahren hatte. Also wovor fürchtete Lucas sich?

„Gehen wir.“ Der harsche, fast metallische Ton seiner Stimme erschreckte sie, und sie hatte sich schon erhoben, war schon fast zur Tür hinaus, als ein Ruf von Doktor Reese sie wieder zurückholte. „Miss Lewis?“

„Ja?“

„Sie haben die Mappe mit Ihren Ergebnissen vergessen.“ Er hielt sie ihr hin, spürte seinen Blick auf sich und verstand jetzt, warum er nicht gewollt hatte, dass Lucas bei ihr war, wenn sie die Ergebnisse erfuhr... fast lag der Anklang einer Entschuldigung in seinem Verhalten, als er ihr noch einmal langsam zunickte. Mit zittrigen Fingern griff sie nach der dünnen Mappe, klammerte sich beinahe an sie, bevor sie ihrem Freund hinaus auf den Parkplatz folgte.
 

Anne ertrug die drückende Stille nur bis zu dem Moment, in dem die Tür ihrer Wohnung mit einem lauten Knall hinter ihnen zuschlug. „Lucas?“

Langsam blickte er auf, sah sie an, zum ersten Mal, seit er aus Doktor Reese' Büro gestürmt war, und die Scheu, die sie in seinen Augen sah, verwirrte sie. Er war ein erfolgreicher Bankangestellter gewesen, sie eine Studentin, als sie sich kennen lernten, und irgendwie – Anne wusste nicht, wie es gekommen war – hatte er in ihrer Beziehung den Ton angegeben... und sie sich damit wohl gefühlt. Und jetzt wagte er es kaum, in ihrer Nähe zu sein?

„Lucas, ich weiß nicht, was mit dir los ist... aber bin ich jetzt wirklich so anders als letzte Woche? Oder gestern? Oder noch vor zwei Stunden?“

„Nein...“ Seine Stimme klang belegt, so als ob er gegen die Tränen kämpfen würden, etwas, das an ihm noch erschreckender wirkte als die ohnmächtige Wut, die sie vorhin gesehen hatte.

„Was ist dann los mit dir?“ Er antwortete nicht, und sie lächelte, macht einen Schritt auf ihn zu, während sie versuchte, ihn aufzumuntern. „Du hast doch nicht etwa Angst vor mir, oder?“

Sie hatte es mit dem Anklang von Fröhlichkeit ausgesprochen, fast neckend, und doch spürte sie in dem Moment, in dem die Worte dumpf auf den Teppich zwischen ihnen zu fallen schienen, dass es die Wahrheit war – Lucas hatte Angst vor ihr.

„Nein... ich...“ Er verstummte, und irgendwie erleichterte es sie – sie hätte es nicht ertragen, eine Lüge anzuhören. „Ja... ja, das habe ich wohl.“

Das Eingeständnis traf sie mehr, als sie erwartet hatte, sogar sie selbst hörte, wie fragil, wie brüchig ihre Stimme nun klang. „Das musst du nicht...“

„Nicht? Und was ist, wenn irgend etwas mit dir passiert, wenn du plötzlich irgendwelche... irgendwelche unheimlichen Kräfte entwickelst, die das Haus in Schutt und Asche legen, während wir schlafen? Wenn du damit irgendjemanden verletzt? Oder sogar tötest?“

Jedes seiner aufgebrachten Worte hatte sie einen Schritt weiter zurück zur Tür getrieben, der plötzliche Stimmungsumschwung überraschte sie... und dann doch irgendwie nicht. Lucas war schon immer impulsiv gewesen, viel mehr als sie selbst, und seine plötzliche Wut traf nicht auf den Wunsch, sie zu erwidern. Sie spürte nur den Schmerz und die Traurigkeit. „So denkst du also von mir?“

„Nein... ich weiß ja, wenn das passieren würde, dass du nichts dafür könntest... ich meine, du tust doch nicht mit Absicht schreckliche Dinge wie dieser... dieser Magneto in San Francisco, du bist doch meine Anne... aber es kann doch immerhin sein...“ Für einen Moment spielte er hilflos mit seinen Fingern, dann blickte er auf, und irgendwie hatte sie das Gefühl, dass er jetzt aussprach, worauf er schon seit dem Moment der Erkenntnis hinauswollte. „Kannst du dich nicht behandeln lassen?“

„Behandeln?“ Die Art, wie er das Wort aussprach, ließ etwas tief in ihr erschaudern – er hielt sie für krank... für abnormal. Und er wollte nur, dass sich das so schnell wie möglich änderte, damit er wieder in sein schönes, perfektes Leben zurückfinden konnte... egal, ob sie sich das jemals verziehen hätte oder nicht. „Ich weiß nicht, ob das möglich ist... oder ob ich das überhaupt möchte“, fügt sie zögerlich hinzu.

„Wieso nicht?“ Er starrte sie an, als ob sie ihn verraten hätte, in seinen blauen Augen funkelte dumpfe Wut und Anne spürte, wie sich ihr Herz zusammenkrampfte. „Ich meine... willst du nicht einfach weiterleben wie bisher?“

Hilflos zuckte sie mit den Schultern. „Ich... ich weiß nicht einmal, was meine Mutation überhaupt ist oder wie stark... das bedeutet auch, dass niemand abschätzen kann, welche Nebenwirkungen durch das Serum hervorgerufen werden, und ich denke nicht, dass irgendein verantwortungsvoller Arzt unter diesen Umständen einer Behandlung zustimmen würde.“

Ihr Argument schien zu Lucas durchzudringen, allerdings nur für einen Augenblick – dann schlich sich wieder dieser störrische, fast wütende Unterton in seine Stimme, von dem sie nicht wusste, ob er sich gegen sie, die Welt im Allgemeinen oder gegen das Schicksal richtete. „Aber... irgendetwas muss man doch tun können... wir... wir könnten einen Spezialisten konsultieren, gleich morgen früh...“

Mühsam schluckte sie die harsche Erwiderung, die auf ihren Lippen lag, hinunter, indem sie sich erinnerte, dass die Situation für ihn ebenso neu und ungewohnt war wie für sie, dann bemühte sie sich, beruhigend zu lächeln und so sanft, so wenig provozierend wie möglich zu sprechen. „Lucas?“

Abrupt hob er den Kopf. „Ja?“

„Willst du mir nicht ein wenig Zeit lassen, zu überlegen, was ich tun möchte?“

„Überlegen?“ Seine Gesichtszüge entgleisten bei dem Wort, und Anne spürte, wie der Stich der Enttäuschung immer tiefer drang, nicht nur wegen seiner Reaktion, sondern auch, weil sie ihn für einen wundervollen Menschen gehalten hatte... bis heute. „Wieso? Da gibt es nichts zu überlegen.“

„Doch.“ Der Frost in ihrer normalerweise weichen Stimme überraschte auch sie selbst, und Lucas zuckte bei dem einen, eisigen Wort zusammen. „Aber... du bist krank, genau wie deine Schwester. Du musst dir doch helfen lassen, Anne...“

„Ich bin nicht krank.“ Sie zischte wütend, und doch begriff sie mit seltener Klarheit, dass es wegen Emma war, nicht wegen dem, was Lucas über sie selbst sagte oder dachte. „Ich bin nicht krank, und ich muss mich nicht behandeln lassen – auch wenn du das nicht zu begreifen scheinst.“ Es war das erste Mal, dass sie laut geworden war, in mehr als drei Jahren Beziehung, und etwas Wildes, Urtümliches kochte unter der Oberfläche ihrer rissigen Beherrschung hoch, drohte, sich von seinen Ketten zu befreien. „Und jetzt lass mich in Frieden.“

Mit einem lauten Klirren fiel der Schlüssel, nach dem sie mit fahrigen Fingern gegriffen hatte, zu Boden, und sie hob ihn auf, schlug die Tür ins Schloss, dass sie die Scheiben klirren hörte. Ihre Füße konnten sie nicht schnell genug die Treppen nach unten tragen, hinaus auf die Straße, in den frühen Abend, der viel zu sanft und warm wirkte für alles, was eben geschehen war. Und obwohl sie rannte, konnte Anne dieses eine Bild nicht loswerden...ihr Unterbewusstsein zeigte es ihr immer und immer wieder, bis es sich in ihre Netzhaut einbrannte, sie es sah, egal, ob sie die Augen offen hielt oder so fest zusammenkniff, dass es sich mit bunten Schlieren vermischte.

Angst. Furcht. Entsetzen. Arme, abwehrend erhoben, so als ob Lucas einen Schlag fürchten würde, von dem sie wusste, dass er niemals gekommen wäre, und hätte er sie auch noch so wütend gemacht. Es hatte eine Zeit gegeben, zu der auch er nicht einmal auf den Gedanken gekommen wäre, dass sie ihm wehtun würde... war jetzt alles so anders? Oder täuschte sie sich? War die Welt um sie herum dieselbe geblieben... und hatte sie selbst sich verändert?

Es war eine Frage, die Anne nicht beantworten konnte... eine, von der sie gedacht hatte, dass sie sich ihr niemals würde stellen müssen, und sie war dankbar dafür gewesen... so dankbar. Das Leben hatte eindeutig einen beschissenen Sinn für Humor.

Und doch... so sehr sie auch hoffte, sich richtig verhalten zu haben, so sehr spürte sie auch, wie unlogisch, wie irrational ihre Wut gewesen war... wenn sie das Leben behalten wollte, in dem sie bis jetzt glücklich gewesen war, dann hatte Lucas ihr genau den richtigen Ratschlag gegeben... nämlich morgen einen Spezialisten zu konsultieren. Warum hatte sie sich dann als gefühlt, als ob er ihr etwas wegnehmen wollte... etwas, von dem sie zuvor nicht gewusst hatte, dass es überhaupt ein Teil von ihr war?

Vorsichtig schüttelte sie den Kopf, die Abendluft und ihre harten, schnellen Schritte hatten ihre Wut mit derselben Plötzlichkeit verrauchen lassen, mit der sie gekommen war, zwar konnte sie noch immer einen Schatten davon tief in ihrem Inneren spüren, aber nun überwog die Nachdenklichkeit, und langsam zuckte sie mit den Schultern. Was auch immer die Fragen waren, die sie quälten, sie konnte darüber auch in der heimischen Küche nachdenken, am Besten mit einer großen Tasse Tee zwischen den Händen, der ihre angeschlagenen Nerven beruhigte – wenn sie die Nachrichten nämlich wirklich so ruhig, so gelassen aufgenommen hätte, wie sie sich einreden wollte, dann hätte sie Lucas sicherlich nicht angebrüllt.

Und dafür sollte sie sich entschuldigen... sicher, auch seine Reaktion war nicht perfekt gewesen, aber immerhin war die Situation für ihn ebenso belastend für sie.

Anne lenkte ihre Schritte zurück nach Hause, zu ihrer Wohnung, hoffte, die Unruhe hinter sich zu lassen... und wurde vom Chaos hektisch geleerter Schränke und hastig gepackter Sachen begrüßt, das der absoluten Stille in ihrem Inneren widersprach. Lucas war fort.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Alaiya
2009-11-11T17:00:20+00:00 11.11.2009 18:00
Hi!

Ich hab mich schon vor einigen Tagen entschlossen hier zu lesen und ein paar Kommentare da zu lassen und fange jetzt erst mal an.
Inhaltlich gefällt es mir bisher wirklich sehr gut, du beschreibst schön und baust auch gut stimmung auf. Einzig ein wenig Umgebungsbeschreibung bei der Wohnung hätte ich mir da mehr gewünscht.
Inhaltlich passt es auch zu X-men, jedenfalls zu den Filmen, sehr gut ^^
Dumme Frage: Erwähnte Emma ist "Emma Frost"?

Einzig negativ aufgefallen sind mit ein paar Interpunktionsfehler und einige klein geschriebene Worte, die eigentlich groß gehört hätten.
Naja, werde morgen mal schaun, dass ich das nächste Kapitel lese.


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