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Schattentochter

von

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Marcin bemerkte die Blicke der Dörfler, die immer nur kurz auf ihm ruhten. Die Einwohner zeigten sich erstaunlich gelangweilt, nicht einmal die Kinder kamen, um nach Süßem oder Geschichten zu fragen.

Es störte ihn nicht. Die Aufregung, die an manch anderen Orten seiner Reise um ihn gemacht wurde, entsprach nicht seinem Charakter. Dennoch verwunderte ihn die Teilnahmslosigkeit, mit der sich die Menschen nach einem flüchtigen Blick wieder ihrer Arbeit zuwandten.

Im Licht der Sonne erstrahlte das Dorf in vielfältigen Farben. Rote und blaue Bänder schmückten die Häuser und grüne Zweige lagen auf den Schwellen. Überall liefen Frauen, Männer und Kinder in Festtagskleidern umher.

Das Pochen von Hämmern erfüllte die Luft, Stimmen dagegen waren kaum zu hören. Dafür zog sich der Duft von frischem Brot und Zuckerware durch die Straße.

Marcin konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als er zwei kleine Jungen sah, die um Gunst eines fein herausgeputzten Mädchens buhlten. Doch dann verschwand das Lächeln wieder und machte dem Kummer Platz, der seinen Ausdruck seit so langer Zeit bestimmte.

Er fand die Schenke schnell. Es war das einzige Haus im Dorf, dessen Fensterläden um diese Zeit noch geschlossen waren; wohl, um die Trunkenbolde zu schonen, die am Abend zuvor den Weg nach Hause nicht gefunden hatten. Aber auch hier lag ein Zweig auf der Schwelle.

Der Mann hob ihn auf und drehte ihn nachdenklich zwischen den Fingern. Vermutlich fand heute Abend das Frühlingsfest statt. Feierte man in die Ankunft der lebensbringenden Zeit in diesem Teil des Landes mit Bänden und Zweigen?

Er merkte, dass er nicht mehr wusste, wo er sich befand. Aber er brauchte keine Ortsnamen und keine Himmelsrichtungen. Er folgte nur den Gerüchten.

Seinen Beutel fest in der Hand trat er in den Schankraum.

Sonnenlicht fiel durch eine geöffnete Hintertür, durch die der Ankömmling auf den Hof schauen konnte. Zwei Männer lagen über den Tresen gebeugt. Ein Wirt war nicht zu sehen.

„Ihr seid eine Schande!“

Marcin ließ seinen Beutel auf das Holz krachen, sodass die Trunkenbolde aufschreckten. „Habt ihr keine Familien, die auf euch warten?“ Den Blicken der beiden entnahm er, dass dies wohl nicht der Fall war. Er schüttelte den Kopf.

„Halt den Mund“, murmelte der eine, dann ließ er den Oberkörper wieder auf die Theke fallen.

„Na, vielleicht hat das wenigstens den Wirt aufgeweckt“, murmelte der Marcin mehr zu sich selbst. Als nichts geschah, brüllte er: „He! Wirt!“

Der hagere Mann ließ sich Zeit, bis er die Treppe in einer kleinen Nische heruntergepoltert kam. Seine tief eingefallenen Augen musterten den Neuankömmling. „Guten Tag, Fremder. Ihr nehme an, Ihr seid auf der Suche nach jemandem?“

Seine Stimme klang, als beständen seine Stimmbänder aus Sandpapier, und sie warf erstaunlich tief für den schmalen Körper. Marcin glaubte, einen leicht spöttischen Unterton darin zu vernehmen, aber beschloss, nicht darauf einzugehen.

Erstaunt ließ sich er sich auf einen Hocker sinken. „Woher wisst ihr das?“

Der Wirt zuckte mit einer Schulter. „Es verschwinden in dieser Gegend in letzter Zeit viele.“ Er musterte den Mann an seiner Theke gründlich. „Wie ist Euer Name?“

„Marcin. Ich heiße Marcin. Sehr erfreut…“

„Hört zu, Marcin“, ließ ihn der Wirt kaum zu Wort kommen. „Wir haben jemanden, der sich um das Problem kümmern. Faraday sieht nach dem Rechten, und Euch würde ich empfehlen so lange zu warten, bis er damit fertig ist. Bringt Euch nicht unnötig in Gefahr. Entweder, Faraday findet, wen ihr sucht, oder es ist zu spät.“

Heißes Feuer durchschoss Marcin. Alarmiert setzte er sich auf. „Was meint Ihr damit? Wer ist Faraday? Was ist jenes Problem, von dem Ihr sprecht?“

Wieder musterte der Wirt ihn gründlich, und Marcin glaubte, dieses Mal ein leichtes Misstrauen in seinem Blick zu erkennen. „Ihr wisst also nichts davon?“, stellte der Wirt die offensichtliche Frage, und Marcin schüttelte den Kopf.

„Vampire.“

Das Wort reichte, um Marcin zusammenfahren zu lassen. Er schluckte. Das Feuer in ihm verwandelte sich in Eis. Seine Hände zitterten und er presste sie auf die Oberschenkel, um es zu stoppen. Der Blick des Wirts wurde immer misstrauischer.

„Wo kommt Ihr her, wenn Ihr noch nicht von den Vampiren in der Gegend gehört habt? Und wieso sucht Ihr jemanden?“

Der Schwankraum schien dunkler geworden zu sein. Marcin spürte, wie das Blut sein Gesicht verließ. Er schüttelte kurz den Kopf und zwang sich zur Ruhe.

„Meine Tochter ist … sie ist weggelaufen.“

Der Wirt kniff die Augen zusammen. „Wann?“

„Vor über einem Jahr.“

Marcin wusste, wie merkwürdig sich diese Aussage inzwischen anhören musste. Ein Jahr war eine lange Zeit für ein Mädchen auf den Straßen Rodans, zumindest für ein gewöhnliches.

„Ein Jahr! Und ihr macht Euch erst jetzt auf, sie zu suchen?“ Verachtung sprach aus der Stimme des Wirts, und Marcin freute es fast, ihm mit Aufrichtigkeit entgegnen zu können: „Nein. Ich suche sie seit über einem Jahr.“

Der Wirt schwieg. Sein Ausdruck verschloss sich vor Marcin. Sie schauten sich kurz an, dann wandte der Wirt sich ab. „Ihr seid verrückt. Geht nach Hause, geht zu Eurer Frau, zeugt ein neues Kind, statt Eure Zeit hier zu verschwenden. Ein Jahr! Und dann kommt Ihr hierher. Ihr habt Hoffnung, Mann.“

Marcin schwieg. Seine Gedanken beschäftigten sich noch mit dem, was der Mann zuvor gesagt hatte.

Vampire.

Inzwischen brachte das Wort kaum mehr als ein unruhiges Kribbeln in seinem Magen hervor. Seit einem Jahr übte er sich bereits darin, sich mit dem Tod seiner Tochter abzufinden. Dieses Wort lief nur auf das hinaus, was er schon lange befürchtete.

„Ich will wenigstens ihre sterblichen Überreste nach Hause bringen“, sagte er tonlos.

Der Wirt seufzte. Kurz ließ er einen Anflug von Missbilligung auf seinem Gesicht erkennen, dann verschwand alles daraus. „Habt Ihr Geld?“

„Ein wenig, ich bin Barde, ich…“

„Gut“, schnitt der Wirt Marcin das Wort ab. „Dann spielt heute Abend hier auf dem Frühlingsfest. Dafür lasse ich Euch umsonst übernachten. Getränke müsst Ihr selbst bezahlen.

Ruht Euch aus, genießt das Fest, und überlasst alles weitere Faraday.“

Der letzte Satz klang scharf. Marcin horchte auf.

„Faraday ist …?“

„…ein Vampirjäger.“

Damit verschwand der Wirt durch die geöffnete Tür in den Hinterhof.
 

Vampire. Marcin zupfte an den Saiten seiner Laute. Davon hatte er also gehört. Wann immer er nach einem besonderen Mädchen gefragt hatte, hatten sie ihm also von Vampiren erzählt, nicht von seiner Tochter. Er spielte ein paar Töne, um sich von dem Gedanken abzulenken, das letzte Jahr vergeblich gesucht zu haben. Er hatte sich von falschen Hinweisen leiten lassen. Vielleicht irrte Melissa in einem anderen Teil des Landes herum, ohne …

„He, Barde, zieh nicht so ein trübes Gesicht! Spiel uns etwas!“, unterbrach eine raue Frauenstimme seine Gedanken. Sie holte ihn in die Wirklichkeit zurück, in das das Schankhaus, in dem er mit seiner Laute in der Hand auf dem Tresen saß. Um ihn herum herrschte reges Gedränge. Im gelben Licht der Lampen lachten und schwatzen die Leute, die Luft roch nach Schweiß und Bier und Erbrochenem.

Marcin lauschte kurz auf das Summen, dann wandte er sich an die Frau, die ihm zugerufen hatte. „Natürlich, meine Dame“, wobei er lächelte, „aber lasst Eurem Barden doch auch die Gelegenheit, sich zu erleichtern.“

Die Frau brummte etwas, aber drehte schließlich den Kopf zur Seite.

Auch Marcin hatte schon einiges getrunken, er spürte es in den Beinen, als er vom Tresen herunter sprang. Er schob sich durch die Menge der feiernden Leute, bis er den Ausgang zum Hof erreicht hatte. Erleichtert atmete er die kühle Nachtluft ein.

Am anderen Ende des Hofes sah er zwei Gestalten beim Liebensspiel, ein leises Kichern drang zu ihm hinüber. Wenn er der Vater des Mädchens wäre … Er schüttelte den Kopf und versuchte, die dunstige Schwere des Biers daraus zu vertreiben.

Nachdem er sich erleichtert hatte, blieb er noch ein wenig draußen, um die Frische der Nacht zu genießen.

Er wollte gerade die Schankstube wieder betreten, als er Schreie hörte. Gläser fielen klirrend zu Boden, ein schweres Möbelstück stürzte um.

Marcin sprang zurück und drückte sich an die Wand neben der Tür. Er hielt die Luft an. Der Aufruhr dauerte nur wenige Sekunde, dann wandelten sich die Schreie in leises Schluchzen und aufgeregte Stimmen.

Marcin hoffte auf eine kurze Schlägerei, aber noch bevor er den Raum betrat, wusste er, dass er sich irrte.

Direkt neben der geöffneten Tür kauerte eine junge Frau am Boden. Ein Mann beugte sich über sie und redete tröstend auf sie ein. Marcin ließ den Blick über die Menge wandern. Die meisten drängten sich verängstigt an die Seiten, nur eine kleine Schar hatte sich um einen Tisch in der Mitte versammelt.

Jegliche Benommenheit verschwand aus Marcins Kopf, als er sah, was dort lag.

„Was … was ist passiert?“, fragte er und drängte sich mit schnellen Schritten zu dem Tisch durch. Fast überkam ihn Erleichterung, als er die Tote sah. Er kannte sie nicht. Schnell verdrängte er die Angst um seine Tochter und fragte abermals: „Was ist passiert?“

„Ein Vampir“, sagte ein Mann neben ihm. Marcin schaute ihn an. Der Mann war in seinem Alter, die Zeit hatte bereits ihre Spuren in Form von Falten und Narben hinterlassen. Ein spitzer Hut verbarg seine Augen hinter Schatten. Der sorgfältige Blick, mit dem der Mann die Leiche betrachtete, zeigte Marcin, dass es sich um jenen Faraday handeln musste.

„Wir können nichts mehr für sie tun. Verbrennt die Leiche“, wies der zwei junge Männer an. Die beiden nickten mit sichtlichem Unbehagen, doch das interessierte den Vampirjäger nicht. Er fuhr herum, und bevor jemand ihn aufhalten konnte, verschwand er in die Nacht.

„Ich hoffe, er kriegt dieses Monster“, knurrte jemand in die Stille hinein, die er zurückließ.

Marcin beugte sich über die Leiche und versuchte, die starrenden Augen zu ignorieren. Die weiße Haut war am Hals mit zwei Bissen verletzt. Blut sickerte daraus auf den Tisch. Es färbte die hellen Haare der Frau dunkelrot. Für einen beunruhigenden Moment fragte sich Marcin, ob sie wirklich tot war.

Er setzte gerade dazu an, etwas zu sagen, als sich vor seinen Augen Buchstaben aus dem Blut formten. Die Schrift erschien nur für den Bruchteil einer Sekunde, doch es reichte, um sie zu lesen:

In den Wald

Erschrocken zuckte Marcin zurück. Er schaute sich um, aber außer ihm schien niemand die Worte bemerkt zu haben. Kurz glaubte er an Einbildung, doch dann blitzten abermals Buchstaben auf:

Melissa

Sein Herz begann zu rasen. Ein Blick auf die anderen bestätigte ihm, dass sie die Schrift nicht gesehen hatten. Er drängte sich an den Herumstehenden vorbei. Schnell griff er nach seiner Laute. Unter den fragenden Rufen der Dörfler rannte er aus dem Wirtshaus.
 

Der Wald ragte wie eine schwarze Wand vor ihm auf. Marcin holte tief Luft, dann ließ er sich von der Dunkelheit verschlucken.

Er lief, so schnell er konnte. Immer wieder verfingen sich Äste in seinem Gesicht, er stolperte über Wurzeln und Zweige. Blut floss seine Wange hinab, doch er kümmerte sich nicht darum.

Etwas zog ihn weiter.

Fast war ihm, als hörte er eine Stimme, die ihn rief. Ein leiser Gesang klang in seinen Ohren, der dem Rhythmus seines Herzschlags folgte.

Keuchend blieb er stehen. Um ihn herum ragten die Bäume hoch auf, nur das Licht des Mondes schimmerte an einigen Stellen durch das dichte Blattwerk.

„Melissa?“, rief er in die Dunkelheit. Der Wald schien seine Stimme zu verschlucken.

Marcin wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. Seine Lunge brannte in der Brust. „Melissa!“

Die einzige Antwort war das Kreischen eines Vogels, der in der Nähe aufgeschreckt davon flatterte. Stille kehrte ein, auch die Melodie war wieder verschwunden.

Die Lippen fest aufeinander gepresst ließ Marcin sich auf den Boden sinken. Er schloss die Augen, um nicht in die Finsternis zu blicken, die sämtliche Gefahren vor ihm verbarg.

Kaum zwei Sekunden später drang ein Licht durch seine Lider. Erschrocken riss er die Augen auf, nur um sie gleich darauf wieder geblendet zuzukneifen. „Melissa?“, fragte er, den Arm über das Gesicht gelegt.

Er spürte eine kalte Hand auf seiner Wange, die langsam zu seinem Hals glitt. Das Licht ließ nach, und als er dieses Mal die Augen öffnete, blickte er in das bleiche Gesicht einer Frau. Sie kniete vor ihm, eine Hand nach ihm ausgestreckt. Lange, schwarze Haare fielen über ihre Schultern bis auf den Boden. Ihre blutroten Augen musterten ihn langsam.

„Wer bist du?“, flüsterte er. Ein Zittern durchlief seinen Körper, doch er konnte sich nicht von der Stelle bewegen.

„Melissa wartet auf dich“, sagte sie, und es war, als fuhr ein Wind durch ihn hindurch. Noch immer strahlte ihr Körper in einem diffusen Licht. Ihr langes weißes Kleid ließ sie wie eine Heilige erscheinen, als sie sich aufrichtete.

Silberarmreifen klimperten um ihr schmales Handgelenk, als sie stumm auf zwei Baumreihen zeigte, die sich in ihren Kronen vereinten. Zusammenbildeten sie einen Gang, auf den sie zu schritt.

Marcin folgte ihr hastig, zu verwirrt, um etwas zu sagen.

Geblendet von dem Licht, das die Frau umgab wie ein Schleier, nahm er nur Dunkelheit um sich herum wahr. Sie gingen für eine Ewigkeit, kam es ihm vor, bis die Frau schließlich stoppte.

„Wir sind da“, hauchte sie. Eine Bewegung ihre Hand reichte aus, um tausend Kerzen in Kronleuchtern aufflammen zu lassen. Sie erhellten einen Saal aus Blättern und Pflanzen, der sich über ihnen zu einer Kuppel wölbte. Musik erklang. Aus dem Nichts tauchten tanzende Paare auf. Die Tänzer trugen Masken und bewegten sich wie Figuren einer Spieluhr.

Marcin machte einen Schritt zurück, um eine Pärchen vorbeizulassen. Keine der anwesenden Personen lächelte, keine sprach. Die Kleider raschelten, die Musik spielte, aber die Menschen – waren es Menschen? – gaben keinen Ton von sich.

„Vater.“

Die Stimme kam von überall. Marcin wirbelte herum, aber konnte Melissa nirgendwo erblicken. Auch die Frau, die ihn geführt hatte, war verschwunden.

„Vater.“

Die Tänzer wirbelten zur Seite und offenbarten eine junge Frau, die in der Mitte des Saales stand. In dem aufwändig geschneiderten Kleid und mit hochgesteckten Haaren hätte er sie fast nicht erkannt. Als Mädchen war sie stets mit einem nachlässig zusammengebundenen Zopf und einem einfachen Leinenkleid herumgelaufen.

Es schmerzte Marcin, sie so zu sehen. Auch von ihr ging ein Schimmer aus, der die Edelsteine in ihrem Haar zum Funkeln brachte. Sie war zu einer jungen Frau herangereift, auch wenn ihr Gesicht die kindlichen Züge bewahrt hatte.

Langsam schritt er auf sie zu. „Melissa.“ Doch sie stand nur da und schaute ihn an. Der Blick ihrer roten Augen durchbohrte ihn. Er stoppte einen Meter vor ihr und schluckte.

Um sie herum begannen die Paare wieder mit ihrem stummen Tanz.

„Mein Hof“, sagte Melissa auf Marcins Blick hin. „All jene, die nicht werden wie wir, werden zu meinen Dienern. Es sind nur Körper. Ihre Seelen sind in den Boden eingegangen.“ Sie flüsterte die letzten Worte.

Marcin bemerkte, dass sie den Mund kaum beim Sprechen öffnete. Tränen stiegen ihm in die Augen. „Melissa, was ist mit dir passiert?“

Er wollte sie in den Arm nehmen, konnte sich aber nicht dazu überwinden. Stattdessen sah er sie nur an.

Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen, ihre Züge wurden raubtierhaft. „Es war meine eigene Entscheidung“, fauchte sie. „Ich habe mich dazu entschieden, so zu werden!“

Sie hob den Kopf leicht an. Marcin sah, dass sie um ihre Fassung sah. Sie musste lange darauf gewartet haben, ihm all das zu sagen. Nun sprudelten die Worte aus ihr heraus, sie schleuderte ihm die Vorwürfe wie Messer entgegen. „Es gibt mir Freiheit, die Freiheit, die du mir nie geben wolltest.“

Marcin schüttelte den Kopf. „Melissa, es tut mir Leid. Wenn ich …“

Das Knurren kam tief aus ihrer Kehle. Sie fletschte die Zähne. „Spar dir deine Entschuldigungen! Wenn, wenn, wenn! Es musste doch so weiter kommen, bis du mir zuhörst!“

„Dann sag mir, was du zu sagen hast.“ Er versuchte, nicht flehend zu klingen, auch wenn alles in ihm nach einer Erklärung schrie. Die Kuppel schien sich um ihn zu schließen, ihm war schwindelig und statt Freude über ein Wiedersehen verspürte er nur Verzweiflung. Selbst die tanzenden Masken wirkten voller Verachtung.

„Dafür ist es zu spät.“ Verbitterung klang in Melissas Stimme mit. Sie zeigte auf ihren Körper. „Meine Magie hat mir erlaubt, eine Vampirkönigin zu werden. Das ist mein Schicksal, meine Aufgabe. Ich habe dadurch die Freiheit gewonnen, ich habe mein altes Leben dafür aufgegeben.“

Die Diener um sie herum bleiben stehen. Die Muskeln in Marcins Rücken zogen sich unwillkürlich zusammen, als er ihre toten Blicke auf sich spürte. Schweiß lief ihm von der Stirn, aber er wollte nicht, dass Melissa seine Angst spürte. Zu spät. Ihre Nasenlöcher blähten sich und ihr Mund verzog sich zu einem humorlosen Grinsen.

Was ist nur aus dir geworden?, schoss es Marcin durch den Kopf.

Melissas Ausdruck fiel in sich zusammen und machte Enttäuschung Platz. „Ich höre deine Gedanken“, flüsterte sie heiser.

Marcin wäre gerne einen Schritt zurückgewichen, doch hinter ihm reihten sich Melissas Diener auf. Er fühlte sich, als würde die Luft immer dünner. Verzweifelt keuchte er auf.

„Was ist los?“, knurrte Melissa, doch dann hielt sie inne. Sie schnupperte. Wieder bleckte sie die Zähne, doch dieses Mal voller Hass.

„Du hast mich verraten! Du hast ihn hierher geführt!“, brüllte sie auf, die Augen starr auf einen Fleck gerichtet, der sich hinter Marcin befand. Der Barde wollte sich umdrehen, doch konnte den Blick nicht von seiner Tochter lassen. Ihre hellen Haare schwebten wie ein Kranz um ihren Kopf, das Licht um sie herum pulsierte immer stärker. Das Rot ihrer Iris schien von innen heraus zu leuchten.

Marcin hörte eine Stimme hinter sich, die laut sagte: „Zurück, Mann!“

Doch er kam der Aufforderung nicht nach. Endlich löste sich der Bann, den der Anblick seiner Tochter auf ihn gelegt hatte, und er fuhr herum.

Hinter ihm stand Faraday, in den Händen einen Dolch, den er abwehrend von sich gestreckt hatte. Ein grüner Stein im Griff leuchtete hell und sammelte Melissas gleißendes Licht in sich. „Hatten die beiden Säufer doch Recht, dass es sich lohnen würde, Euch zu folgen“, keuchte der Jäger mit einem Grinsen. „Wer hätte das gedacht.“ Dann wurde sein Blick wieder ernst. „Aber Ihr habt mir genug geholfen. Geht zur Seite!“

Marcin brauchte etwas, bis ihm klar wurde, dass der Mann die beiden Betrunkenen vom Morgen meinte. Sie mussten das Gespräch belauscht haben. Innerlich verfluchte er sich für seine Achtlosigkeit. Er drehte sich halb zu seiner Tochter um, deren weit aufgerissene Augen ihn anklagten. „Melissa …“

„Geht doch zur Seite, verdammt!“, schrie Faraday. „Bringt Euch in Sicherheit, bevor dieses Monster Euch etwas antut!“

Melissa duckte sich, bereit zum Sprung. Ihre Finger hatten sich in Krallen verwandelt, aus ihren Augen war alles Menschliche verschwunden. Ein wildes Knurren drang aus ihrer Kehle und rührte etwas in Marcin an.

„Nein!“, brüllte er. „Nein, ich rühre mich nicht von der Stelle!“ Tränen liefen ihm die Wangen hinab. Der Stein berührte etwas in ihm und brachte es zum Zittern. Er raubte ihm die Kraft.

„Ihr habt doch gesehen, was Monster wie sie anrichten! Ihr habt die Tote gesehen, Ihr habt diese Puppen hier gesehen!“ Faraday richtete sich zur vollen Größe auf und holte mit dem Dolch aus. „Lasst es mich beenden!“

„Nein!“ Marcin holte aus. Voller Verzweiflung riss er den Arm herum. Mit der Hand schlug er den Dolch zur Seite.

Der Jäger schien nicht damit gerechnet zu haben. Er strauchelte, doch fing sich im letzten Moment wieder.

In diesem Moment sprang Melissa auf ihn zu. Ihr Kleid wehte an Marcin vorbei und strich über seine Wange wie ein sanfter Kuss. Sie riss den Vampirjäger zu Boden. Der Dolch fiel aus seiner Hand, der Stein erlosch.

Die Diener, die zuvor in eine Starre verharrt waren, machten einen Schritt vorwärts. Marcin sah, wie Melissa ihren Kopf an den Hals des Vampirjägers legte. Ein schmatzendes Geräusch ertönte. Aus Faraday Kehle drang ein Gurgeln, dann erstarb jedes Geräusch außer Melissas Saugen. Als sie sich wieder aufrichtete, waren ihre Lippen blutverschmiert.

Die Hand erhoben taumelte sie zurück, als könnte sie nicht begreifen, was sie eben getan hatte. Kaum war sie zurückgewichen, stürzten ihre Diener sich auf die Leiche.

Marcin schaute mit starrem Blick zu. „Das nennst du Freiheit, Melissa?“ Seine Stimme bebte. Ihm war schwindelig und er wusste nichts zu sagen. Erleichterung mischte sich in Angst und Abscheu und zwang ihn fast in die Knie.

Melissas blutrote Augen glühten. Sie leckte sich langsam über die Lippen. „Ja, Vater. Diese Freiheit ist besser als alles, was du mir bieten konntest.“

Sie durchschritt den Saal, bis sie bei einem Thron aus Ranken und Laub angekommen war. „Die Hochzeit, die du für mich geplant hattest, hätte mir alles geraubt, was ich liebte.“ Schwerfällig ließ sie sich auf die Sitzfläche fallen, trunken vom Blut. „Meine Spaziergänge im Wald, meine Freundinnen – meine Magie!“

Ihr Lachen klang müde und wütend zugleich. „Ach, Vater“, sagte sie traurig, „ich wünschte, es wäre anders gekommen. Ich rechne es dir hoch an, dass du all die Zeit nach mir gesucht hast, aber du kommst zu spät. Meine Magie rettete mich vor dem endgültigen Tod, als der Vampir über mich herfiel. Sie machte mich zu mehr, als ich als Mensch hätte jemals sein können. Der Tod“, sagte sie mit einem gequälten Lächeln, „bietet mir mehr als das Leben.“

Marcin konnte sie nur anschauen. Die Trauer und Sorge seiner Wanderschaft kehrte auf sein Gesicht zurück. Langsam ging er zu ihr hinüber und legte seine Hand an ihre kalte Wange.

„Es tut mir Leid“, flüsterte er. „Bitte vergib mir, was ich dir angetan habe.“

Sie schloss die Augen und lehnte ihren Kopf in seine Hand. Es war ihm Antwort genug.

„Tu mir einen Gefallen. Bevor du gehst, Vater, spiel für mich. Wie früher.“

Er lächelte traurig, dann setzte er an. Die sanfte Melodie erfüllte den Saal. Er hörte erst auf zu spielen, als Melissa eingeschlafen war.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Evaleska
2010-05-18T06:40:48+00:00 18.05.2010 08:40
Hallo,
nimms mir nicht übel, aber ich fang mit den Fehlern an. Das sind so wenig, das geht auch ganz schnell.
"Zusammenbildeten sie einen Gang, auf den sie zu schritt." -> Das erste Wort sind zwei Wörter.
"Marcin sah, dass sie um ihre Fassung sah." -> "rang" klingt besser und ist außerdem nicht doppelt
Ein Stückchen weiter: "Es musste doch so weiter kommen, bis du mir zuhörst!" -> mach "weit" draus
"Die Diener um sie herum bleiben stehen." -> und du bleib bitte bei einer Zeit, also "blieben"
Das wars auch schon. Genug gemosert.
Also erst mal hast du ein sehr schönes Ende geschrieben. Ist zwar nicht gerade ein Happy End, aber wirklich ein klasse Abschluss.
Super, dass die Betrunkenen vom Anfang noch eine Rolle spielen. Hätte ich gar nicht mit gerechnet. Irgendwie spielt in deiner Geschichte jeder seine Rolle. So was gefällt mir ^^
Insgesamt ist alles kurz, aber sehr schön. Die Atmosphäre ist klasse. Toll beschrieben und gut vorstellbar.
LG Lianora



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