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Götterdämmerung

von

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Nihil

POV Agni
 

Agni beobachtete den jungen Earl, wie er mühsam die grossen Pakete herumschleppte. Sie hatten am Hafen angeheuert und waren bei einer Truppe von Arbeitern untergekommen, die ihr Geld mit dem Abladen von Schiffsgütern verdiente. Natürlich hatte sich der Earl schon am ersten Tag den Spott der bärbeissigen Männer eingefangen, aber er hatte einfach stoisch weitergemacht, so dass die Kommentare irgendwann verstummt waren und sie nur noch erstaunt hatten dabei zusehen können, wie er die schweren Lasten auf seinem schmalen Rücken herumtrug. Der Earl trug sowieso schwer. Immer lastet irgendetwas Unsichtbares auf ihm, das Agni selbst nach all den Jahren der Bekanntschaft nicht fassen konnte.

Auch ihm war es hier im Hafen nicht leicht gefallen. Natürlich sah er sich nicht mit denselben körperlichen Hindernissen wie der junge Earl konfrontiert, doch auch er wurde belastet. Die Anwesenheit der vielen dunkelhäutigen Fremden hier erinnerte ihn auf allzu schmerzhafte Weise daran, dass er selbst ein Fremder in einem fremden Land war, und dass er allein war.

Der Earl war zwar da und war es doch nicht. Stets schien sein Blick auf etwas anderem zu ruhen, nachzudenken, zu beschäftigt mit seinen eigenen Gedanken, um welche an Agni zu verschwenden.
 

„Hey, du da! Inder! Beweg dich!“ Ein unrasierter, ungewaschener Engländer schrie von der anderen Seite der Halle zu ihm herüber. Inder, das war er hier. So nannte man ihn. Die Männer interessierten sich nicht für seinen Namen und selbst wenn, hätte er ihn nicht preisgegeben. Er war zwar bei weitem nicht der einzige seiner Art hier, aber das schien ebenfalls niemanden zu interessieren. Hier am Hafen gab es sowieso nur drei Sorten von Menschen: Männer, Inder und Jungen. Zu den Jungen zählte der Earl.
 

Agni schlenderte ohne grosse Eile zum Steg, wo auch schon ein weiteres grimmiges Exemplar von Mann darauf wartete, ihm eine Kiste aufzuladen. Wortlos nahm er sie entgegen, hob sie hoch und trug sie wieder hinein. Seine Stärke hatte bereits einen legendären Ruf erlangt, weswegen die Arbeiter gerne die besonders schweren Lasten auf ihn abwälzten.

Agni war es egal. Sollten sie doch, wenn sie der Meinung war, es würde ihre Arbeit erleichtern. Sie hatten nicht einen Bruchteil seiner wahren Stärke gesehen…

Er stellte die Kiste zu den Reihen der anderen und betrachtete für einen Moment seine bandagierte Hand. Sie war nutzlos geworden, denn wenn Gott tot war, gab es auch nichts mehr wofür es sich zu kämpfen lohnte.

Neben sich vernahm er ein dezentes Räuspern. Der Earl hatte sich neben ihn gestellt. Sein hageres Gesicht wurde von einem dünnen Schweissfilm überzogen, trotzdem blitzte sein eines Auge warnend auf. „Du solltest durch dein nachlässiges Verhalten keine unnötige Aufmerksamkeit auf uns ziehen, Diener.“ Kurz glitt ein abschätziger Blick zu Agnis Hand, dann hatte sich der Earl schon wieder umgewandt. Agni murmelte ein leises „Verzeiht, Herr, es wird nicht wieder vorkommen“ vor sich hin und machte sich dann ebenfalls daran, von draussen wieder mehr Material hineinzuholen. Natürlich hatte der Earl recht, er war zu nachlässig, zu unkontrolliert, aber seine sündhafte Natur hatte ohne die Präsenz des Prinzen wieder angefangen überhand zu nehmen. Bei der Erinnerung an seine ehrenwerte Majestät Soma zog sich in seiner Brust sowieso sein Herz zusammen, doch er schüttelte den Gedanken schnell wieder ab. Er durfte sich jetzt nicht solcher Melancholie hingeben, sonst würde es ihm unmöglich sein die Dunkelheit, die über ihn gekommen war, zu verbreiten.
 

Er ging hinter der schmalen Form des Earls. Es war offensichtlich, warum sie ihn Junge nannten. Er wirkte jung, obwohl er es doch gar nicht mehr war. Vor fünf Monaten war er offiziell zum Mann geworden und trotzdem wirkte er kleiner und zerbrechlicher als jemals zuvor. Als er ihn vor gut fünfeinhalb Jahren kennengelernt hatte, war er trotz seines Alters erwachsener gewesen als sein Pr-… als diese Person; und jetzt war die Zeit dabei, ihn zu zerstören. Agni wusste, dass es nicht nur die schwere Arbeit, der Schlafmangel und die schlechte Ernährung waren, die an seinem Körper nagten, da war noch etwas anderes.

Die Last, die er auf den Schultern trug, liess ihn langsam in den Schatten versinken, deswegen mussten sie sich beeilen. Sie mussten den Urheber finden und den Hafen wieder verlassen, doch bisher hatte sich das als unerwartet schwierig herausgestellt. Er hielt sich bedeckt und von den Hafenarbeitern konnte man keine brauchbaren Informationen erwarten. Die meisten hier wussten tatsächlich nichts und die wenigen, die etwas wussten, waren sich selbst die nächsten. Es war schwierig sie zum Reden zu bringen ohne dabei Aufmerksamkeit zu erregen.
 

POV Ciel
 

Über ihnen kreischten die Möwen und das stinkende Hafenwasser plätscherte gleichmässig vor sich hin, während Ciel den schmalen Steg erklomm. Er konnte den Hafen nicht ausstehen.

Alles hier war verkommen und dreckig, der Abschaum des menschlichen Daseins.

Mit geübten Handgriffen lenkte er die angeseilte Kiste an sich vorbei, hinunter zu Angi. Er hasste diese Arbeit, sie war nichts für ihn. Das alles hier war unter seiner Würde, trotzdem tat er es stillschweigend. Er hatte ein Ziel, dafür musste man Unannehmlichkeiten ertragen. Es war alles Teil eines grösseren Ganzen.

Er stieg wieder hinunter und half Agni die Kiste auf eine der rollenden Plattformen zu heben. Eigentlich hätte der Inder seiner Hilfe nicht bedarf, das wusste er. Aber es gab gewisse Dinge, die tat man der Form halber. Und wenn Ciel Phantomhive etwas verstand, dann war es die Form zu waren; selbst hier in dieser Hölle auf Erden würde er sich niemals die Blösse geben, das würde er nie wieder tun.
 

Die Möwen kreischten etwas lauter und eine setzte zu einem halsbrecherischen Sturzflug an, welcher gerade knapp seinen Kopf verfehlte. Ciel hob unbeeindruckt seine heruntergefegte Mütze wieder auf. Die Viecher hatten es auf ihn abgesehen, aber es überraschte ihn nicht. All diese niederen Kreaturen schienen ein Auge auf ihn geworfen zu haben – nicht nur die tierischen.

Agni beäugte ihn misstrauisch von der Seite. Er sagte zwar nichts, aber Ciel wusste, dass ihm das seltsame Verhalten der Tiere auch schon aufgefallen war.

Es war sein Werk. Er tat es, um zu sehen, ob Ciel sich dadurch aus der Ruhe bringen lassen würde. Aber dieses Spiel würde er nicht gewinnen, Ciel hatte sich vorgenommen, dass er es auch allein schaffen konnte. Er würde den Gipfel der Leichen dieses Mal allein bezwingen, ohne ihn. Als wäre es das normalste der Welt klopfte er den Dreck aus der Mütze und setze sie wieder auf. Er würde nicht aufgeben.
 

Während er schon dabei war sich wieder in Richtung der Halle zu begeben, vernahm er plötzlich schwere Schritte, die sich ihm von der Seite her näherten. Ciel musste sich nicht umdrehen um zu wissen, wem sie gehörten. Es gab nur einen, der hier so herumstampfte: Bull.

Bull war – ganz seinem Namen entsprechend – etwa so breit wie hoch, glatzköpfig und trug ebenfalls eine Augenklappe; was auch der Grund dafür war, dass er stets mit einem ekelhaften Grinsen im Gesicht betonte, wie viel er und Ciel doch gemeinsam hatten. Ciel versuchte solcherlei Kommentare zu ignorieren. Bull war für ihn eines der widerwärtigsten Individuen, das ihm je vor die Augen gekommen war. Seine Erscheinung zusammen mit der Tatsache, dass er unfähig schien in Ciels Gegenwart seine Hände im Zaum zu halten, sorgten dafür, dass der junge Earl meistens einen grösstmöglichen Bogen um ihn machte. Leider gehörte Bull aber auch zu den wenigen, die hier am Hafen tatsächlich etwas zu sagen hatten, was es etwas schwierig machte ihm aus dem Wag zu gehen.

Sein grosser Schatten fiel in sein Blickfeld. „Na Junge. Bist du nicht müde? Du solltest dich wirklich nicht so überanstrengen.“ Er packte Ciel am Handgelenk und zog ihn zu sich hin. Hinter ihm zuckte Agni zusammen, sich wohl nicht entscheiden könnend, ob es nötig war dazwischen zu gehen oder nicht. Doch Ciel machte eine unauffällige Geste, dass er sich zurückhalten sollte. Bull war vielleicht menschlicher Abschaum, doch leider aufgrund seiner Stellung einer der wenigen hier im Hafen, der ihn tatsächlich zum Urheber führen konnte. Also hiess es nett zu sein.
 

Ciel lächelte. Es war das netteste falsche Lächeln, das er unter gegeben Umständen zustande brachte, aber genug um Bull dazu zu bewegen sein Handgelenk wieder loszulassen.

„Sie wissen doch, Mr. Bull, ich brauche das Geld.“

Bull starrte ihn an. Er schien einen Moment zu brauchen, um sich von dem gebotenen Anblick wieder erholen zu können. Dann aber tätschelte er übertrieben Ciels Schulter und meinte: „Das Leben ist hart, Junge. Aber wie ich dir schon mehrere Male gesagt habe, kannst du jederzeit zu mir kommen. Da kommst du leichter an Geld und ich bin sicher eine bessere Wahl als nachts am Strassenrand zu stehen, wie die da drüben.“ Er deutete zu einer Gruppe von Jungen - alle etwa in Ciels Alter - die nicht unweit von ihnen Kisten aufstapelten.

„Aber Mr. Bull, so was geht doch nicht“ gespielt verschämt senkte er den Blick, was dem grossen Mann nur ein tiefes Lachen entlockte. Er beugte sich zu Ciel vor und erwiderte, während er seine Hand forsch in dessen Kreuz legte: „Natürlich geht das. Aber ich verspreche dir, Junge, dass ich gut sein werde.“ Seine Hand glitt tiefer und umfasste schliesslich Ciels Hintern.

„Wenn du heute Abend zu mir kommst, verspreche ich dir, dass ich nett sein werde. Wir können auch erst etwas essen und reden.“ Er zwinkerte Ciel noch einmal eindeutig zweideutig zu, bevor er schliesslich von ihm abliess und sich schweren Schrittes entfernte.
 

Ciel atmete ganz tief ein. Sein Blick war auf den Boden gerichtet und sein ganzer Körper schien einen Moment lang einfach nur zu zittern. Er konnte die Abscheu, die er empfand nicht in Worte fassen. Seine Arme wurden von einer Gänsehaut überzogen, während er in einer verzweifelten Manier die Hände zu Fäusten ballte. Was für eine Demütigung! Und dass sie auch noch so direkt vor Agnis Augen geschehen musste.

Dieser trat neben ihn. „Herr…“ seine Stimme war leise, „…soll ich ihn dafür bestrafen?“

Doch Ciel winkte bloss wortlos ab. Obwohl es ihn unglaublich viel Überwindung kostete, meinte er schliesslich: „Nein, lass gut sein. Ich ziehe unter Umständen sogar in Erwägung auf Bulls Angebot einzugehen.“ Agnis ungläubiger Gesichtsaudruck sprach Bände, so dass der junge Earl sich genötigt sah hinzuzufügen: „ Er ist der Einzige hier, der vielleicht eine Ahnung bereffend des Urhebers hat. Wenn er sich also daran hält und erst mit mir essen und reden will, musst du nur einschreiten bevor er auf die Idee kommt den Nachtisch einzufordern.“ Ciel machte eine selbstironisch Grimasse, so dass Agni nichts anderes übrig blieb als stumm zu nicken. Er war von diesem Plan nicht überzeugt, aber es war der bisher einzige Anhaltspunkt, den sie hatten.
 

Sie steuerten also beide wieder die Halle an, doch bevor sie das Tor passieren konnten, hatte sich ihnen einer der Jungen, die vorher so unauffällig neben ihnen gearbeitet hatten, in den Weg gestellt. Er schaute Ciel direkt in Gesicht, ja schien ihn regelrecht zu mustern.

„Du solltest nicht zu ihm gehen, er zahlt nicht.“

Der junge Earl hob sein Kinn demonstrativ etwas an. Auch er musterte sein Gegenüber eingehend. Der Junge war nicht viel grösser als er und hatte einen Mob dunkelblonden, zerzausten Haares auf dem Kopf. Seine Erscheinung wirkte heruntergekommen und sein Gesicht wurde geziert von Sommersprossen und Dreck. Alles in allem ein typischer Strassenjunge. Obwohl – Ciel korrigierte sich geistig – es sich wohl doch eher um einen typischen Strichjungen handelte. Er legte ein verächtliches Lächeln auf, während er sich, ohne den Jungen zu berühren, an ihm vorbeischob.

„Vielen Dank für den Ratschlag, aber ich weiss schon was ich tue.“
 

Der Junge liess Ciel passieren, doch als dieser schon ein paar Schritte weiter war, fügte er doch noch hinzu: „Gut, aber sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt, wenn du es dann bereust.“

Damit dreht er sich um und ging zu den anderen zurück.

Ciel konnte es nicht unterdrücken einmal mit den Augen zu rollen. Dieser Abschaum wollte ihn belehren? Also wirklich. Er war schliesslich der Earl of Phantomhive. Er hatte mehr Abscheuliches gesehen, als all diese Strassenjungen zusammen.
 

TBC



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Tsuki14
2011-11-23T16:27:05+00:00 23.11.2011 17:27
Ich denke, ich muss mich Sheska anschließen.
Du wiederholst doch oft und findest manchmal nicht die richtigen Worte, dennoch finde ich mehr Lobenswertes, als Kritik. Deine Beschreibungen sind im Prnzip echt toll und sehr detailiert, was mir durchaus gefällt und auch die Spannung, die du aufbaust sind sehr gut, wo ich das Wiederholen loben muss. Ich finde nicht, dass es langweilt, es macht es spannder, aber du könntest es vielleicht in andere Worte kleiden.

Ansonsten finde ich die FF bisher echt klasse ;)

Lg, Tsuki14♥
Von:  Sheska
2009-07-27T22:06:16+00:00 28.07.2009 00:06
Hallo.

Also erst einmal wollte ich sagen, dass die Idee hinter der FF sehr gut und auch interessant ist.
Jetzt kommt das Aber:
1) Du wiederholst dich beim Schreiben (vor allem mit der "Last auf Ciels Schultern"). Das macht es langweilig, was eigentlich sehr schade ist.
2) Deine Ausdrücke sind nicht immer korrekt oder hören sich nicht gut an, wie z.B. die "schmale Form des Earls". Ich hätte eher die schmale/zierliche Gestalt des Earls geschrieben.
3) Es kann an mir liegen, aber Ciels Gedanken über die Arbeit im Haven(gleich beim POV-Wechsel bevor Bull auftaucht) wecken bei mir Assoziationen... als würde er über seine Arbeit in einem Bordell nachsinnen... Sorry.
Ansonsten ist es gar nicht schlecht. Es ist Sebastian, der die Vögel auf Ciel gehetzt hat, oder? Ist Souma tot? Na ja, ich werde es lesen.

Liebe Grüße, Annie ^_^

Von:  _Louis_
2009-05-25T15:35:12+00:00 25.05.2009 17:35
Nice! Klingt bisher sehr gut, und du kannst mit Wortten Umgeben. Ich hab keinen Bruch oder absatz beim Lesen gefunden, der einen rausgebracht hätte. Und das ist mir extrem wichtig.

Ich hoffe es geht bald weiter. Ich würde gerne wissen, was da noch nachkommt.


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