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Elfeneele & Drachenherz - Prequel

Jeder Weg hat einen Anfang. Einer von ihnen beginnt hier.
von

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Ein harter Winter II - Schweigen

Jugend
 

Wir hatten Glück, und das gleich doppelt. Nicht nur, dass wir am letzten Tag unserer Jagd doch noch Beute machen konnten, wir schafften es im verbleibenden Tageslicht auch weit genug zurück über die schneebedeckten Ebenen, um den Zugang zu einer der wenigen Höhlen zu erreichen, welche sich funkelnden Kristallen gleich unter dem Eis verstecken. Ihre Lage ist mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen, und es braucht sowohl Wissen als auch Erfahrung, um die im Weiß verborgenen Tunnel ausfindig zu machen, welche bis zu fünfzehn Meter hinunter zu ihnen führen können. Erfahrung, die mir fehlt; hätte Arion mich nicht auf das Loch unter dem Schnee aufmerksam gemacht, ich wäre daran vorbei gelaufen oder – schlimmer – ich wäre hinein gestolpert und hätte mir mindestens ein Bein dabei gebrochen.
 

Obwohl er nur wenige Jahre älter ist als ich, ist mein Freund mir in einigen Dingen weit voraus. Das war er schon immer und ich glaube nicht, dass sich an diesem Zustand jemals etwas ändern wird. Schon von Kindesbeinen an war Arion der Lebhaftere von uns beiden und brachte uns mit seiner manchmal schon an Sorglosigkeit grenzenden Liebe zu Abenteuern in größte Schwierigkeiten, war zugleich aber auch der Erste, der sich stets schützend vor mich stellte, drohte auch nur die Ahnung einer Gefahr. Bisweilen scheint es so, als arbeite er nur deswegen so hart an sich selbst: um auf mich aufpassen zu können. So lange er aufmerksam, schnell und stark genug ist, so lange bleibt er der zuverlässige Schild zwischen mir und dem Rest unserer kalten Welt. Dieser Flecken weißer Landschaft, der sich Heimat nennt, ist wirklich kalt – für mich inzwischen in weitaus mehr als nur einer Hinsicht.
 

Zu Anfang war es kaum zu spüren gewesen, versteckte Blicke, mehr nicht. Manche bedauernd, manche mitfühlend, manche verachtend. Immer dann, wenn sie glaubten, ich sähe nicht hin. Inzwischen, einige Monate später, lässt sich die Distanz beinahe greifen, wo sie nicht bereits allmählich in Abneigung übergeht. Es ist ein schleichender Prozess, wie sich langsam ausbreitendes Gift. Sogar Freya benimmt sich seit einigen Wochen merkwürdig, noch merkwürdiger als sonst schon...
 

Ein starker Druck in meinem Rücken lässt mich nach vorne stolpern und nach zwei, drei Schritten in dem Bestreben, mich wieder zu Fangen, mit rudernden Armen zu Boden gehen. Trockenes Eis schneidet mir mit brennender Kälte in die Wange und für einen Moment bin ich blind. Lange genug, um den Versuch, mich mit den Armen in eine wenigstens kauernde Position zu drücken, genauso kläglich scheitern zu lassen wie den, auf den Füßen zu bleiben. Etwas Schweres kracht in meinen Rücken und lässt mich mit einem dumpfen „Hmpf“ wieder in den Schnee sinken. Meine Kraft reicht in dieser Haltung nicht aus, um mich gegen das Gewicht nach oben zu stemmen, also versuche ich, mich auf die Seite zu rollen und zugleich mit eine Hand voll Fell zwischen die Finger zu kriegen. Ich erwische etwas und greife zu, doch durch die dicken Handschuhe kann ich die lohfarbenen Strähnen nicht halten; sie entgleiten meinem Griff fast so schnell, wie ich sie packe.
 

Schnee und Eiskristalle rieseln in meine Kapuze und suchen sich einen Weg unter Leder und Fell, während die Kälte des Untergrunds mich anspringt wie ein hungriges Tier. Das Gewicht auf meinem Rücken verlagert sich nach vorne und droht, meinen Kopf, das Gesicht voran, in den überfrorenen Schnee zu drücken. Ich hole tief Luft und setze dazu an, Arion eine nicht ernst gemeinte Verwünschung an den Kopf zu werfen, da bin ich plötzlich frei und eine nasse Nase schiebt sich an meiner Wange vorbei zum Hals. Nass und -

„Arion! Nimm die Nase da weg, du bist SAUKALT!!“
 

Obwohl ich diese allzu verräterische Regung zu unterdrücken versuche, meine Hand ist schneller an meinem Hals, als meine Gedanken hinterher kommen, und reibt dort über die Gänsehaut, die sich ob der nassen Kälte gebildet hat. Und nicht nur ob der Kälte. Arion weiß ganz genau, dass ich an dieser Stelle empfindlich reagiere, und scheint nur auf diese Reaktion meinerseits gewartet zu haben. Während der Wolf sich vor mir auf sein pelziges Hinterteil sinken lässt, verziehen sich seine Leftzen zu etwas, das sein Äquivalent zu einem belustigten Grinsen bildet. Könnten wir unter diesen Umständen miteinander kommunizieren, wäre ganz sicher noch eine halb ernst, halb scherzhaft gemeinte Bemerkung über meine mangelnde Aufmerksamkeit gefolgt, die mir nun noch für ein paar Minuten erspart bleibt. Arion zu erklären zu versuchen, dass ich mich sicher fühle, wenn ich ihn in meinem Rücken weiß, ist in etwa so sinnvoll wie der Versuch, eine Lawine mit nicht mehr als bloßen Händen aufhalten zu wollen.
 

Während wie einander mustern, weiße Atemwolken vor dem Gesicht, wird das Grinsen breiter und breiter, bis ich bemerke, dass ich noch immer gedankenverloren über meinen Hals reibe. Sofort reiße ich die Hand weg. „Oh, du..!“

Arion ist wenigstens so höflich, überrascht zu tun und zuzulassen, dass ich mit beiden Händen sein Fell am Hals zu packen bekomme. Wieder rutschen mir die Strähnen buchstäblich durch die Finger und es ist ihm ein Leichtes, sich rückwärts aus meinem mehr schlechten als rechten Griff zu befreien und mich damit einmal mehr in den Schnee zu schicken. Ein Japsen, für mich unschwer zu erkennen als eine Art wölfisches Lachen, mischt sich in meine eigene erheiterte Stimme. Es ist ihm ein Leichtes, mich zum Lachen zu bringen, auch das war schon so, seit ich mich erinnern kann.
 

„Warte, ich krieg' dich schon!“ Ich rappel mich auf die Füße und setze meinem gewandten Freund nach. Die angefrorene Schicht auf dem Schnee knirscht unter meinen Stiefeln, macht das Laufen trügerisch. Um mich herum tänzelt leichtfertig der lohfarbene Wolf, immer gerade außerhalb meiner Reichweite; er testet meine Reflexe, meine Voraussicht, vermutlich auch den Rest an Kondition, der mir nach dieser Woche noch zur Verfügung steht. Irgendwann erwische ich Arion doch, begrabe ihn halb unter mir und lege einen Arm um den plüschigen Hals, um ihn festzuhalten. Er knurrt spielerisch und zieht mich mit. Loser Pulverschnee, aufgewirbelt von unseren Bewegungen, tanzt um uns herum wie plötzlich aufgekommener Nebel.
 

Ein Elf, oder Halbelf, hat äußerst wenig Chancen, wenn er es darauf anlegt, einen Wolf von dieser Größe ohne Waffe schachmatt zu setzen. Wie alle Tiere hier sind aufgrund der Witterungsbedingungen auch sie massig und dementsprechend schwer. Selbst ein gutes Jagdmesser dringt nur langsam durch den dicken Pelz und dann ist da immer noch die Muskelmasse, die es neben den Zähnen und Klauen zu berücksichtigen gibt. Ich hätte es also wesentlich einfacher, wenn ich mir ein paar Sekunden Luft verschaffen würde, um die Gestalt meines eigenen Seelentiers anzunehmen. Wahrscheinlich würde Arion mir diese Zeit sogar freimütig zugestehen. Allerdings wissen wir beide, dass ich das nicht tun werde. Sie ist mir unangenehm, diese Gestalt, als würde sie nicht so recht passen. Als wäre sie für mich zu groß. Im Schnee toben können wir auch so, und das tun wir ziemlich ausgelassen.
 

Die Sonne ist im Untergehen begriffen und wir beide sind bis auf die Haut durchnässt – Arion in seinem dicken Pelz und ich in meiner weißen Kleidung aus Leder und Fell – als wir wie auf ein unausgesprochenes Kommando hin voneinander lassen und einen Augenblick nebeneinander im Schnee hockend ausruhen. Ich bin vollkommen aus der Puste und auch meinem Freund im Wolfspelz hängt die rosa Zunge seitlich aus dem Maul. In dem hellen Fell haben sich Schneeklumpen festgesetzt und meine Kleidung fühlt sich nicht an, als sähe sie anders aus. Das Vergnügen der letzten Minuten werde ich mit einer unangenehmen Nacht in nassen Sachen bezahlen müssen.
 

Aus dem Augenwinkel nehme ich wahr, wie Arion zurück in seine eigene Gestalt wechselt und dabei das nasse Fell gegen trockene Kleidung eintauscht. Unweigerlich verzieht die Andeutung eines Lächelns meinen linken Mundwinkel – wenigstens einer von uns wird es heute Nacht warm haben. „Wir sollten rein gehen. Die Sonne geht unter.“ Ich werfe einen kurzen Blick über die Schulter, wo im Westen die Sonne hinter den eisigen Öden um Nakkiga untergeht. Wie magisch angezogen folgen meine Augen dem blauen, scharf geschnittenen Horizont gen Süden, zu den Bergen, die in der Ferne kaum noch zu erkennen sind. Hinter dieser massiven Gebirgskette, getaucht in das sterbende Licht der bereits halb versunkenen Sonne und ihre Schatten, in rotes Feuer und schwarzes Blut, liegt eine andere Welt. Die Welt der Menschen, größtenteils. Die Welt jener, zu denen die Hälfte meines Blutes gehört. Es ist beunruhigend, wie oft sich in den letzten Wochen mein Blick in diese Richtung verirrt hat, ohne erkennbaren Grund und zu den unmöglichsten Momenten, so wie jetzt...
 

„Heimweh?“ Eine kräftige Hand drückt meine rechte Schulter. Ich lege meine dick behandschuhte Hand auf die schlanken Finger, ohne mich zu Arion umzusehen. „Wenn wir morgens mit dem Sonnenaufgang aufbrechen und bis zum Einbruch der Dunkelheit durch laufen, brauchen wir vielleicht drei Tage. Dann sind wir zurück.“ Er weiß, dass ich nicht unser Dorf vor den Augen habe. So wie ich weiß, dass er das Thema niemals von sich aus ungefragt zur Sprache bringen würde. Es ist das einzige Tabu zwischen uns, die Tatsache, dass ich... anders bin. „Steh auf, du holst dir in den nassen Sachen hier im Wind noch den Tod. Wir gehen rein.“
 

Einmal frei gelegt, braucht es eine ganze Weile, bis der Zugang zum Tunnel wieder zu geschneit ist. Da unsere Jagd erfolgreich war und der Geruch von Fleisch und Tod weitere Jäger oder Aasfresser anlocken könnte, verschließen wir den Durchgang jedoch sorgfältig mit aus dem Boden geschnittenen Eisblöcken, bevor wir hinunter gehen. Die ersten Meter legen wir in fast vollständiger Dunkelheit zurück, bis uns das Leuchten der Höhle den Weg weist. Es gibt von diesem Tunnel ausgehend mehrere Abzweigungen, zu klein und eng, als dass wir uns in ihnen verirren könnten. Vermutlich sind auch sie irgendwo mit der Oberfläche verbunden, unverschlossen, und sorgen dafür, dass in den Kristallhöhlen genug Frischluft für nächtliche Gäste zur Verfügung steht. Als Kinder haben wir einmal versucht, das Geheimnis dieser Seitengänge zu erkunden, die Köpfe voller bunter Vorstellungen von schlafenden Drachen und geheimnisvollen, längst vergessenen Orten. Gefunden haben wir nichts – was vermutlich nicht nur daran lag, dass wir irgendwann in einer der engen Spalten feststeckten und stundenlang auf Hilfe warten mussten.
 

Die Höhle, die uns heute Nacht beherbergt, ist klein. Sie besteht aus Eis, funkelnd wie Edelsteine, und scharfkantig wie Kristallsplitter. Ihre Wände, selbst der Boden und die Decke leuchten von innen heraus in einem milchigen, trüben Licht, hell genug, um sein Gegenüber an den Gesichtszügen erkennen zu können. Das am Morgen erlegte Tâchna liegt in einer Ecke auf dem blanken Boden, überhäuft mit hartem Schnee. Durch die Kälte wird sich das Fleisch halten, bis wir zu Hause sind und es verarbeiten können; lediglich die Innereien haben wir gegen Mittag bereits ausgenommen und im Schnee vergraben. Abgesehen von der Fläche, die der Kadaver einnimmt, bleiben Arion und mir gerade einmal noch genug Zentimeter, um nebeneinander sitzend die Beine ausstrecken zu können.
 

Ein Vorteil dieser Höhlen ist, neben der Tatsache, dass hier unten sehr wahrscheinlich kein hungriger Schneebär über uns stolpert, dass sie nicht nur den Wind abhalten, sondern auch die Körperwärme ihrer Gäste festhalten. Ein Feuer zu entzünden ist nicht nötig, zumeist dauert es nur etwa eine Stunde, bis sich die Temperatur auf ein für die Wildnis angenehmes Maß erhöht hat. Für ein solches wäre auch gar kein Platz mehr gewesen.

Arion kauert sich an der dem Kadaver gegenüber liegenden Wand auf den Boden und kramt in seinem Rucksack herum, um die Reste unserer inzwischen mageren Vorräte zu Tage zu fördern: ein bisschen hartes Brot, Trockenfleisch- und Fisch, ein Handvoll Nüsse. In meinem Rucksack befindet sich vielleicht noch einmal die gleiche Menge, das war es dann auch schon. Genug, um den Weg zurück nach Hause zu schaffen, ohne durch Hunger an Kräften einzubüßen – wer hier lebt, wird genügsam.
 

Nebeneinander sitzend kauen wir ein paar Minuten lang recht lustlos auf unserem Abendessen herum, ein jeder seinen eigenen Gedanken nachhängend. Über unseren Köpfen versinkt die Schneewüste in Finsternis, ohne jemals ganz der Dunkelheit anheim zu fallen. Während der Himmel wie mit schwarzer Tinte übermalt scheint, durchbrochen vom Licht der Sterne, reflektiert der Schnee eben dieses Licht wie ein Spiegel und leuchtet noch heller als am Tage in der Sonne. Ich glaube nicht, dass es außerhalb meiner Heimat einen Ort gibt, an dem Licht und Dunkelheit, Leben und Tod, Schönheit und Grausamkeit so nahe und so offensichtlich beieinander liegen, wie hier. Das Leben hier mag hart sein, doch wünsche ich mir kein anderes. Es ist etwas Besonderes.
 

„Träumst du schon wieder?“

Eine vor meinem Gesicht auf und ab bewegte Hand lässt mich zur Seite schauen. Arion streckt die langen Beine aus und lässt sich entspannt gegen die Wand in seinem Rücken sinken, doch in seiner Miene zeichnet sich versteckte Sorge ab. Das ist so typisch für ihn... mein Freund ist in etwa so fähig, mich anzulügen, wie ein Tâchna in der Lage ist, zu fliegen. Auch wenn seine Sprünge bisweilen hoch sind und beinahe den Anschein erwecken, es flöge über den Boden, es wird sich niemals wirklich in den Himmel aufschwingen können.
 

Sein Versuch verleitet mich zu einem nachsichtigen Lächeln. Wir spüren beide, dass etwas nicht stimmt. Wir wissen beide, woran es liegt. Und manchmal glaube ich, Arion weiß, was kommen wird. Ich müsste ihn lediglich fragen... „Ich bin müde, das ist alles.“ Wie auf Kommando macht sich ein Gähnen bemerkbar, das ich hinter der hohlen Hand verstecke. Die Handschuhe habe ich längst ausgezogen, damit sie bis morgen früh wenigstens zur Hälfte trocken. „Was meinst du, ob die anderen Gruppen Glück hatten und schon längst auf dem Rückweg sind?“
 

Es ist ein lahmer Versuch, das Thema zu wechseln. Arion zuckt sachte mit den Schultern. „Es bleibt zu hoffen. Falls nicht, sie müssen langsam zurück ins Dorf, ob mit oder ohne Jagderfolg. Obwohl... wenn ich die Wahl hätte, ein paar Tage zu hungern oder einer Freya mit ihrem Ich-bin-so-enttäuscht-von-dir-Blick über den Weg zu laufen, ich würde hungern, bis ich irgendetwas erlegt habe. Und erst dann den Rückweg einschlagen. Sie ist so zickig in der letzten Zeit!“

Er schüttelt den Kopf, die personifizierte Verständnislosigkeit. Als wären nicht wir es, die der alten Winterelfe manchmal den letzten Nerv rauben. Nun, eher häufiger. Was sie zur Zeit verstimmt, ist uns allerdings wirklich unbekannt. Zumindest können weder Arion noch ich uns ausmalen, was wir angestellt haben sollen – wovon sie Wind bekommen haben könnte.

„Meinst du nicht, dass es klüger wäre, die nassen Sachen loszuwerden?“
 

„Es ist zu eng hier unten. Ich zerquetsche dir höchstens die Beine mit meinem Gewicht.“
 

„Dann zieh' wenigstens die Jacke aus.“
 

Arions Stimme hat einen Klang angenommen, den man bestenfalls mit 'stur' bezeichnen kann. Und nicht nur ich kann mit Sicherheit behaupten, dass er jetzt nicht eher mit sich reden lassen wird, als bis er seinen Willen durchgesetzt hat. Noch während ich dabei bin, mich aus meiner nassen Pelzjacke zu befreien, ohne meinem Begleiter einen Ellenbogen vor die Nase oder in die Rippen zu treiben, streift er sich bereits die seine von den Schultern. Ich rücke näher an Arion heran, ziehe die Beine an den Körper und drehe mich ein gutes Stück seitlich, um mich mit dem Kopf unter seinem Kinn gegen den fremden Oberkörper lehnen zu können. Keine ungewöhnliche Schlafhaltung, weder für uns beide, noch unter Winterelfen allgemein. Eine raue Umwelt schweißt zusammen. Einen Moment später legt sich warmes, schweres Fell um meine Schultern, begleitet von einem kaum verständlichen „Dickkopf!“
 

Ich erspare mir an dieser Stelle jeglichen Gegenkommentar; wer von uns beiden der größere Sturkopf ist, ist hinlänglich bekannt. Stattdessen beschränke ich mich auf ein einfaches „Danke“ und rutsche noch ein bisschen hin und her, bis ich eine wirklich bequeme Position zum Schlafen gefunden habe. Arion bleibt vollkommen reglos sitzen. Ich kann seinem stetigen Herzschlag lauschen, der mit den verstreichenden Minuten schleichend träger wird. Der monotone Rhythmus wirkt einschläfernd, wie die Wärme, die von dem anderen Körper ausgeht. Unbewusst zähle ich die Zahl der Schläge mit, während sich meine Muskeln unweigerlich entspannen und meine Aufmerksamkeit abdriftet. Das Heulen des Windes oberhalb unseres Unterschlupfs, die Kälte, ja selbst der Ort, an dem wir uns befinden, verlieren an Schärfe und Realitätsbezug in einer Welt, die zunehmend mehr nur noch aus der fremden Körperwärme, dem ruhigen Puls und dem bekannten, angenehmen Geruch meines Freundes besteht. Irgendwann beginnt Arion, mir durch die Haare zu streichen, in gleich bleibendem, beruhigendem Tempo. Diese Geste ist neu und dennoch unheimlich vertraut.
 

„Lyo?“ Leise.
 

„Hm?“
 

Schweigen. Es sollte mich vielleicht beunruhigen, doch da sich der Rhythmus der Finger in meinen Haaren nicht verändert und auch der Puls meines Jagdbegleiters langsam und stetig bleibt, verharre ich im schwebenden Zustand zwischen Wachen und Schlafen. Warte, bis Arion von sich aus fortfährt.
 

„Könntest du dir vorstellen, irgendwo anders zu leben? ... Ich meine, die Welt ist ziemlich groß und wenn du... einmal weggehen solltest, dann... du würdest uns hier doch nicht einfach so vergessen, oder?“ Die Frage soll scherzhaft klingen, das höre ich. Aber sie fühlt sich nicht so an. „Du würdest mich nicht vergessen?“
 

Ich hebe den Kopf und richte mich auf, um Arion ins Gesicht schauen zu können. Plötzlich wieder hellwach. „Ich gehe nicht weg“, erwidere ich mit einer Gewissheit, als widerspräche jedes andere Verhalten einem geltenden und unabänderlichen Naturgesetz. „Gleich was passiert. Das hier ist meine Heimat.“
 

Es ist nicht die Antwort, die Arion hören wollte. Die Zeichen dafür sind unschwer zu erkennen, ein sanftes Zucken des Mundwinkels, die Verhärtung der Kieferlinie, das kaum sichtbare Verdunkeln des Grüns seiner Augen. Er setzt dazu an, etwas zu sagen, schließt den Mund aber wieder, ohne dass auch nur ein Ton über seine Lippen gekommen ist. Lässt seine Hand in meinen Nacken gleiten und zieht mich mit sanftem Nachdruck wieder näher, stützt das Kinn auf meinem Kopf ab.

„Natürlich“, bemerkt er schließlich ruhig. „War nur so ein Gedanke. Reden wir nicht weiter darüber. Kannst du schlafen?“
 

„Ja, sicher.“ Ich bin mir sicher, dass ich es nicht kann. Nicht mit dem gehetzten, harten Herzschlag unter meinem Ohr und Arions Blick vor meinem inneren Auge, der so deutlich bittet: Frag!...



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von: Puria
2009-05-27T20:45:25+00:00 27.05.2009 22:45
Wie immer verspätet lass ich mal nen Kommi da ^^°

Mit diesen Kapitel gibst du einen wunderbaren Einblick in die Vergangenheit von Lyone.
Die Wahl des Erzählers macht es noch interessanter!
Nur die düstere Wendung macht das Kapitel so schwermütig, nicht dass ausgerechnet ich mich darüber beschweren würde! Ich kann das nahende Drama förmlich schmecken! *g*
Und ich kann nur sagen: Arion gefällt mir!
Ich möchte mehr. Mehr von den beiden UND mehr von dem drohenden Drama!
Von: abgemeldet
2009-05-24T15:03:57+00:00 24.05.2009 17:03
hey ein super kapitel wirlich^^
sehr schön geschrieben und erst das mit dem kuscheln >.<
schnell weiter schreiben ja ?!^^

lg miha
Von:  ReinaDoreen
2009-05-23T11:48:04+00:00 23.05.2009 13:48
Und doch habe ich das Gefühl, das Lyo nicht mehr lange in dem Dorf ist.
Und Arion hat vielleicht auch so eine Ahnung.
Arions Frage hat Lyo nicht beantwortet. Wahrscheinlich müsste er sonst intensiv über sie beide nachdenken.
Reni
Von:  Toastviech
2009-05-23T09:00:06+00:00 23.05.2009 11:00
Wow.
Dieses Kapi gefällt mir. vorallem die Kuschel-einheit und das Toben.
Das war richtig schön.

lg toasty


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