Kann das sein...?
Sonnenstrahlen brannten auf meiner gut gebräunten Haut, als ich erwachte. Ich blinzelte ein paar mal, dann streckte ich mich und sprang mit Schwung auf die Füße. Seit wir bei den Cullens wachten, hatte sich so viel verändert. Aber das Beste war, dass ich endlich von Sam loskam. Zumindest fing ich seit einiger Zeit damit an... Monate lang hatte ich unter seinen Gefühlen zu Emily gelitten... Doch trotz meines Leidens wollte er mich in seiner Nähe haben.. An seiner Seite... Es war die reinste Folter für mich, seine Gedanken an seine glückliche Zweisamkeit mit Emily teilen zu müssen. Endlich waren seine für mich abscheulichen Gedanken in meinem Kopf verschwunden. Doch ebenso schrecklich musste es für die anderen des Packs gewesen sein, meine Gedanken zu teilen.
Ich sah ein, dass ich ziemlich egoistisch gewesen sein musste, denn niemand hatte mich gemocht oder versucht, mich zu trösten. Niemand außer mein Bruder Seth.
Als Seth Jacob folgte, als dieser sich von Sams Pack und seinem Befehl, Bella mitsamt dem Baby zu töten, trennte, traf ich die Entscheidung, mit ihm zu gehen. Von da an war ich ein Teil von Jacobs Pack , eine mehr oder weniger akzeptierte Werwölfin. Jedoch trug diese Entscheidung auch ihre Nachteile mit sich. Zum Beispiel musste ich jeden Tag diesen grauenvollen Vampirgeruch einatmen und seltsamerweise tat mir Jacobs Leiden um Bella schrecklich leid. Ich konnte ihn wirklich nachvollziehen... es ist fast so wie mit Sam und mir.
Gedankenvoll blickte ich in den blauen Himmel. Heute gab es weder Wolken noch erfrischenden Wind. Ich schätzte die Temperatur auf gute 30 Grad. Viel zu heiß – dachte ich müde.
Jacob und Seth waren nicht bei unserem Lager. Wahrscheinlich war Seth auf Patrouille und Jacob – wie immer – bei Bella. Er hasste es, dort zu sein, doch er tat es trotzdem – Bella zu liebe. Er war wirklich tapfer. Sicherlich um einiges tapferer als ich es war; immerhin fiel er uns nicht zur Last. Reden wollte er auch nicht viel über seine Gefühle, auch wenn ich es schon einige Male versucht hatte.
Als schließlich doch etwas Wind aufkam und in der Ferne ein paar Wölkchen sichtbar wurden, umspielte ein seltsamer Geruch meine empfindliche Nase. Angewidert rümpfte ich sie. Vampir. , urteilte ich. Diesmal war er mit etwas Anlockendem vermischt. Mhhm... Essen.
Bei dem Gedanken fing mein Magen an, zu knurren, als wollte er mich dazu zwingen, die Speisen der Vampirmutter zu verputzen.
Angeekelt drehte ich dem Wind den Rücken zu. Nie im Leben! , verabschiedete ich den Gedanken, doch etwas zu essen. Aus Protest begann mein Magen erneut zu knurren.
Wütend schaute ich mich um. Als ich sichergestellt hatte, dass niemand in der Umgebung war, zog ich mir mein Top über den Kopf und warf es zu Boden. Dann fing ich an, zu rennen. Immer schneller trugen mich meine Beine, bis mich eine nahezu unerträgliche Hitze durchflutete und nach ein paar Sekunden stützten mich vier mit Fell bewachsene Beine.
Jetzt waren meine Sinne schärfer: Ich konnte weiter sehen, mehr Geruchsinformationen verarbeiten und vor allem mehr hören.
Allerdings konnte ich nun auch hören, was Seth und Jacob, falls diese auch verwandelt waren, dachten.
- Hey Schwesterchen. , sagte Seth grinsend in seinen Gedanken.
- Hi, gibt’s was neues? , fragte ich ihn.
- Nö, alles ruhig. Wie immer! , dachte er, scheint eh so, als würde Sam uns nicht angreifen wollen. Immerhin sind wir zu dritt!
Laub raschelte und Erde wirbelte unter den rhythmischen Bewegungen meiner Pfoten. Ich vernahm einen tierischen Geruch, Hirsch.
- Keine Lust auf Wild, Schwester? , lachte Seth.
- Haha. Witzig, Seth.
Er wusste genau, dass ich es hasste, in Wolfsgestalt zu essen. Es kam mir einfach unmoralisch vor, ein Tier zu erlegen und es ohne zu kochen aufzufressen.
Und trotzdem: Ich musste es, denn nach La Push konnten wir fürs Erste nicht zurück und auf die Gerichte der Cullens konnte ich wirklich verzichten. Geleitet von meinem Hunger nahm ich die Fährte des Hirsches auf, beschleunigte etwas, als er in mein Blickfeld kam und biss ihm ohne zu zögern und ohne dass er sich überhaupt wehren konnte die Kehle durch. Ich schloss die Augen und lies meinem Instinkten die Vorhand.
Während ich das Rohfleisch fraß und durch meine Unersättlichkeit gezwungen war, weitere Wildtiere zu töten, konnte ich deutlich spüren, wie sich das Wetter weiter verschlechterte. Eine stärkerer Windstoß verriet mir, dass sich Regenwolken gebildet hatten. In der Luft lag etwas Nasses.
Plötzlich wanderten meine Gedanken zu Jacob.
Hatte er Unterschlupf? War er immernoch bei den Cullens?
- Er ist in die Stadt gefahren, nach Seattle. ,dache Seth verwirrt
Warum denkst du denn gerade jetzt an Jake?
Tja... Warum, dass fragte ich mich auch. Wahrscheinlich konnte ich mich einfach gut mit ihm auseinandersetzen. Vielleicht auch, weil ich ihn in den letzten Wochen besser kennengelernt habe. Ich mochte ihn wirklich gerne.
- Du magst ihn? , kicherte Seth , Das ist mir neu... Bist dus noch, Leah?
- Scherzkeks. , erwiderte ich bissig.
Abrupt drehte ich mich um, als ich bemerkte, dass ein Augenpaar auf mir ruhte. Es kam mir vertraut und doch fremd vor.
- Sam?! , wunderte sich Seth. Ich schnappte nach Luft; es war wirklich Sam. Er machte zögernd einen Schritt auf uns zu, noch war er in Menschengestalt. Wütend funkelte ich ihn an und wand mich von ihm ab, dann rannte ich zurück zu unserem Lager.
- Was denkt der sich nur, uns hier aufzusuchen?! Immerhin ist es unsere Angelegenheit, was wir machen... oder nicht? Wenn er nicht damit klarkommt, dass ich diesmal nicht zu ihm stehe, hat er eben Pech gehabt! Er weiß ja garnicht wie sehr ich unter ihm gelitten habe.
Voller Zorn und mit großen, aggressiven Sätzen erreichte ich endlich unsere kleine Lichtung.
Doch ich sah, dass ich nicht allein war: Jacob, als Mensch, kauerte zusammengerollt auf dem Boden. Ich blieb mit etwas Abstand vor ihm stehen. Als es anfing zu nieseln und die kalten Regentropfen Jacob berührten, schüttelte er sich kurz und verharrte dann in seiner ursprünglichen Position.
Ich hätte schwören können, ihn schluchzen gehört zu haben...
Langsam ging ich auf ihn zu und stupste ihn von hinten zärtlich mit meiner Schnauze an. Er zuckte erschrocken zusammen und wand sich mir zu.
Als ich sein Gesicht sah, wich ich erschrocken ein Stück zurück: Aus seinen glasigen, geröteten Augen kullerten ein paar Tränen, seine Mund bebte... so hatte ich ihn noch nie gesehen, so emotional. Voll Scham schaute er weg.
Bella... , dachte ich wütend. Sie musste einfach der Grund für Jacobs Zustand sein...
Ich lies mich nieder und rollte mich neben Jake zusammen. „Ach Leah...“ , seufzte er schwach und drehte sich zu mir um. Abermals tippte ich ihn mit meiner Schnauze an und schaute ihm traurig in seine nassen Augen. So gerne würde ich ihn jetzt trösten...
Nach einer Weile lächelte mich schwach an und legte seinen Kopf vorsichtig an meine warme Schulter, welche vom Regen völlig durchnässt war. Dann schloss er die Augen und sah ganz nachdenklich aus.
Ich jedoch konnte mich ganz und gar nicht konzentrieren. Irgendetwas irritierte mich, doch ich wusste nicht, was es sein könnte. Ich fühlte, wie Jake sich mit seinem warmen Körper an mich kuschelte und seine Hände in meinem Fell vergrub. Wäre ich jetzt in Menschengestalt, so würde ich garantiert rot werden...
Mir war komisch zu mute; alles schien sich um Jacob und mich zu drehen und mir wurde immer heißer und schwindeliger. Es war fast wie – und ich denke nicht gerne daran – an jenem Tag, an dem ich Sam zum ersten Mal sah.
Moment! , dachte ich verwirrt, Das kann nicht sein!!
Was? Was kann nicht sein, Leah? , wisperte Seth neugierig in meinem Kopf. Ich nahm ihn kaum war...
Doch ich verstand, was mit mir geschehen war – ich hatte mich gerade in Jacob verliebt... und das genauso stark wie damals in Sam.
Verwirrt schaute ich Jake an, der friedlich an meiner Schulter eingeschlafen war.
