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Assoziatives Schreiben TSCHAKKA!

passend zum gleichnamigen Zirkel
von

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Satz 13 (15.03.2009)

Sie mochte keine medizinische Ausbildung haben, doch sie hatte ihre Hypothese durch Beobachtungen und das Sammeln empirischer Beweise entwickelt und war auf dem Weg zu einem zwar unglaublichen, aber dennoch möglichen Schluss gelangt.
 

Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen, tief grübelnd und erschüttert von ihrer vermeintlichen Entdeckung. Wie kann das sein? Sind es nur Spinnereien? Produkte ihrer Fantasie, die ihrem miserablen Leben doch noch einen Sinn geben sollen? Vielleicht war sie einfach viel zu lang allein in ihrem kleinen dunklen Zimmer, ihr einziger Draht zur Außenwelt ein alter und langsamer PC, der sie mit all ihren Freunden, deren Gesicht sie meist nicht einmal kannte, verband? All diese Fragen mag sie sich vielleicht gestellt haben, doch wurden sie verdrängt von dem einen, alles entscheidenden Gedanken, der, geboren in vielleicht schon frühster Kindheit, durch Ausschluss oder Aggression durch Eltern oder andere Kinder, seinen Weg aus kindlicher Fantasie in die tägliche Realität eines Erwachsenen fand. „Ich habe es schon immer gewusst!“ Ein Dogma, das alle Vernunft beiseite schiebt und nur den einen Gedanken zulässt, der über Jahre gereift und – so unsinnig er uns auch erscheinen mag – nur darauf wartete, sich in der Wirklichkeit zu beweisen:
 

„Sie sind unter uns. Eine Verschwörung. Vertuschung. Und alles deutet darauf hin: Die Existenz von intelligentem Leben, Außerirdische. So wie im Fernsehen, nur realer. Gefährlicher. Haben sie uns unterwandert? Oder ist es die Regierung? Es kann kein Zufall sein. Dieses neue Buch. Es wird nie erscheinen. Ich habe alles überprüft. Autor, seine Quellen, bekannte wie verschwiegene, sie können nichts mehr erzählen. Verschwunden, tot oder schwer verletzt. Unfälle? Das kann ich nicht glauben. Nicht nach all meiner Recherche, den Berichten. Ich habe Tage im Internet gesucht. Alles was ich hier habe. Es deutet darauf hin.“
 

So fantasierte sie weiter, redete weiter in die Dunkelheit ihrer Wohnung, verdrängend, dass es schon so lange her war, dass sie offen und direkt mit anderen Menschen geredet hatte. Von da an begann ihr Wahn und nahm von Tag zu Tag zu. Die distanzierte sich immer mehr, schloss alle, die ihr noch Nahe standen aus. Familie, Bekannte, die sich sorgten. Sie vernachlässigte sogar sich selbst und ihre Gesundheit. Mehr und mehr fand sie angebliche Beweise. Erfuhr in Foren und über Internetkontakte Aufmerksamkeit. Und einige bestärkten sie noch, halfen ihr zu immer verworreneren Theorien. Bis eines Tages eine ihrer Internetfreundschaften, voller Sorge um ihre Freundin, die Behörden verständigte. Man fand die Wohnung in schrecklichem Zustand vor, ungepflegt mit Bergen von Müll. Das Mädchen selbst zeigte Anzeichen von einseitiger und mangelnder Ernährung, wenig Bewegung und Sonne und eindeutiger Verstörung. Man verwies sie in therapeutische Behandlung und so kam sie schlussendlich zu mir.
 

Doch verglichen mit vielen meiner anderen Patienten, die verwirrt und verschlossen sich meiner Hilfe zunächst entziehen, konnte ich zu ihr sehr schnell Kontakt finden. Sie sprach sehr viel, erzählte von ihren Ideen und Theorien und tat dies mit einer nahezu wissenschaftlichen Korrektheit. Wahrscheinlich wollte sie mich überzeugen. Doch hauptsächlich wollte sie wohl endlich jemandem alles erzählen, alles loswerden, was sie so lange belastete. Dieser Fall, den ich in diesem Buch behandle, ist die einmalige Gelegenheit, einen tiefen Einblick in den schizophrenen Wahn, seine Anfänge, seine Ausgüsse und seine Folgen zu nehmen. Alles, was ich während der Behandlung erfuhr, alles was ich über die Patientin herausfand, werde ich auf den nachfolgenden Seiten umfassend erläutern. Bis hin zu ihrem tragischen Unfall, der sie kurz vor ihrer Genesung ereilte. Doch wir können uns sicher sein, dass dieser Fall die Psychologie wieder ein Stück weiter gebracht hat.
 

Ihr Theodor Luchsburg
 

...
 

Das Vorwort endet.

Doch wird nichts davon gelesen werden. Die Seiten des Manuskripts rascheln. Sie entgleiten der Hand dem Feuer entgegen. Langsam löst sich Wort für Wort aus sich schwärzendem Papier. Wie schon das Buch davor, wie schon sein Autor, wie das Mädchen und ihr Psychologe sowie all die andern verlässt es die Welt und sein Wissen geht verloren. Seine Wahrheit ist Gefahr. Doch nun ist die Gefahr gebannt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Dels
2009-03-18T15:34:06+00:00 18.03.2009 16:34
Sehr interessant.
Also diese Herangehensweise ist auch mal ne sehr außergewöhnlich Idee, das ist schonmal positiv. Am Anfang wusste ich nicht genau, ob das nun eine eindringliche, relativ persönliche Erzählung ist - was aber gegen Mitte zu einem doch eher nüchternen, distanzierter Bericht wurde. Der Übergang war, wenn es denn hier einen gab und/oder beabsichtig wurde, mir ein bisschen zu schwammig. Es muss dann entweder mehr "Eindringlichkeit" sein, oder noch weniger, damit man als Leser nicht das gefühl hat, von beiden Seiten nur die Hälfte mitzubekommen. Es hätte also insgesamt etwas intensiver werden können.
Das Thema hat mir allerdings gut gefallen und das Ende kam überraschend. Eigentlich fast schon Stoff für einen Film über (gerechtfertigte?) Paranoia.
Weiter so, du hast wirklich gute Ideen zur Umsetzung :3
Von: abgemeldet
2009-03-17T19:28:57+00:00 17.03.2009 20:28
Ein schönes Ende. ^^
(Okay, das klingt jetzt wohl doch ein wenig schräg... -.-°)
Auf jeden Fall eine sehr gute Idee - absolut nicht, was man erwartet. Beim Schreibstil könnte eventuell noch ein bisschen mehr Spannung aufgebaut werden, vielleicht hätt man ein wenig mehr aus ihrer Sicht schreiben können, weil es doch recht kurz wirkt... Allerdings mag das auch daran liegen, dass ich selber üblicherweise recht lange Oneshots schreibe und deshalb eher subjektiv bin...
Naja, ich bin jedenfalls wirklich vernarrt in das Ende. Ich mag solche doch relativ unerwarteten Enden. :)
Mls,
Hybie
Von:  _Eisblume
2009-03-15T16:29:01+00:00 15.03.2009 17:29
hey
hört sich gut an
echt schöner schreib stil
gefällt mir


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