Zum Inhalt der Seite

[24/7] Zwischen den Zeilen

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Homo Faber

Homo Faber
 

Seitdem die Ermittlungen wieder mit Erfolg voranschritten, war es in der Zentrale geschäftig geworden. Die Mitglieder der Sonderkommission gingen mit neuem Mut an ihre Aufgaben, obwohl Aizawa sie erst kürzlich verlassen hatte.

Nun, da der Abend anbrach, ließ das Treiben allmählich nach. Der Arbeits- und Überwachungsraum wurde leerer, bis nur noch L und Light übrig blieben, um sich auf die geöffneten Dateien ihrer jeweiligen Computerbildschirme zu konzentrieren. Lange Zeit sprach keiner ein Wort, während die Minuten unbemerkt verstrichen.

Endlich lehnte sich Light in seinem Stuhl zurück und spannte die schmerzenden Glieder an. Erst jetzt bemerkte er, dass er leicht fror. Seine Finger waren eiskalt, als er sein Gesicht auf die Handfläche stützte und zu L hinüberschaute. Dessen Aufmerksamkeit war noch immer von dem Monitor in Beschlag genommen, welcher den starren Gesichtsausdruck des Detektivs mit einem unnatürlichen Licht erhellte. Während L manchmal, dem Anschein nach wahllos, eine Taste des Keyboards anschlug, biss er gedankenversunken auf einem Fingernagel herum oder strich sich mit dem Daumen über den Mund. Unbewusst folgte Light der Bewegung und heftete den Blick auf die blassen Lippen.

„Was ist, Light-kun?“

Der Detektiv hatte den Kopf zur Seite gewandt und richtete seine großen, schwarzen Augen auf ihn. Ohne Umschweife stellte Light die Frage:

„Was wird eigentlich passieren, wenn das hier alles vorbei ist?“ L verschränkte die Arme über seinen angezogenen Knien und bettete den Kopf darauf, wobei er den Anderen weiterhin interessiert betrachtete. „Ich meine damit“, erklärte Light, „wenn wir diesen Fall erfolgreich abschließen und ich mich wieder frei bewegen kann, wird dann alles wieder so sein wie zuvor? Werden wir dann nicht mehr als Team zusammenarbeiten?“ Zuerst wollte Light seine Frage anders formulieren. Er hatte wissen wollen, ob sie beide später keine Freunde mehr sein würden, nicht einmal zum Schein, weil der Meisterdetektiv dann vermutlich keine Notwendigkeit mehr für eine solche Beziehung sah oder sie für seine Unabhängigkeit als hinderlich einschätzte. Im Moment befand sich Light auf der Innenseite der Barriere, die L um sich errichtet hatte. Trotz der damit einhergehenden Gefangenschaft verursachte die Gewissheit, diesen Grenzwall irgendwann wieder verlassen zu müssen, ein unangenehmes Gefühl in Lights Magengegend.

Nach einer ganzen Weile reagierte L mit einer Gegenfrage, ohne dass sich in seiner ausdruckslosen Miene eine Regung zeigte.

„Warum sollten wir nicht?“

„Weil ich deine Sicherheit gefährde“, antwortete Light sogleich. „Man wird angreifbarer, wenn man sich nicht nur um sich selbst kümmern muss. Das hast du selbst zugegeben.“ Angesichts der Tatsache, dass dahingehend nie eine derart explizite Äußerung gefallen war, nahm L die korrekte Deutung verblüfft auf und meinte lediglich:

„Man wird durch die Hilfe anderer doch auch stärker, nicht wahr?“ Light bezweifelte, dass L jene Aussage wirklich ernst meinte. Seufzend gab er zu bedenken:

„Und wie sieht es mit dem kontroversen Aspekt aus, Ryuzaki? Da du mich unentwegt im Verdacht hast, Kira zu sein, scheint sich jede vergleichbare Anschuldigung genauso im Bereich des Möglichen zu bewegen. Vielleicht wirst du mir niemals vertrauen können, solange du mich nicht vollständig unter Kontrolle halten kannst.“

„Bist du etwa der Meinung, ich hätte dich durch meinen Verdacht für die Zukunft gebrandmarkt? Soll ich dir erst Absolution erteilen, damit du dich besser fühlen kannst?“ Der Sarkasmus in Ls Stimme war emotionslos und trocken, doch Light ließ sich davon nicht beirren. Während der Meisterdetektiv scheinbar unbeteiligt eine der Schachteln nahm, die nicht weit von ihm entfernt neben der Tastatur aufgestapelt waren, bohrte Light nach:

„Wenn ich deine Worte nicht auf die Goldwaage legen müsste, dann könnte ich jetzt davon ausgehen, dass ich dich auch in Zukunft unterstützen darf. Es spricht ja offenbar nichts dagegen, oder?“

„Erstickungsgefahr“, las L den Hinweis auf der Verpackung der Mochis vor, die er mit spitzen Fingern in der Luft hielt. „Bitte das Lebensmittel vor dem Hinunterschlucken gründlich zerkauen.“

„Ryuzaki“, drang Light ein wenig ungehalten auf seinen Partner ein und zog an der Metallkette der Handschellen, um dessen Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. „Wieso weichst du ständig meinen Fragen aus?“ Nur für einen kurzen Moment wurde L aus dem Konzept gebracht und erwiderte Lights Blickkontakt, doch kurz darauf beschäftigte er sich erneut mit dem Packungsverschluss seiner Süßigkeiten.

„Du siehst noch immer Kira in mir“, fuhr Light ernst fort, „und berufst dich dabei in unseren Diskussionen stets auf meine gutmütige, idealistische Natur. Aber was ist mit meiner Grausamkeit?“ Bei diesen Worten langte Light nach der Schachtel in Ls Händen und entwand sie seinem Griff. Dieser schaute ihn zuerst schockiert, dann vorwurfsvoll an. Light seufzte. „Mal ehrlich, Ryuzaki, hast du Angst vor mir? Du traust dich in meiner Gegenwart ja noch nicht einmal zu schlafen.“

„Das liegt nur daran“, gab L beleidigt zurück, wobei er den Arm nach den Mochis ausstreckte, „dass du viel zu viel schläfst. Ich dagegen brauche keinen Schlaf.“

„Ach, bist du ein Perpetuum Mobile?“

„Nein, ich laufe mit Zucker.“ Mit einer Hand stützte sich L auf Lights Knie ab und beugte sich vor, um die Packung zu erreichen, die dieser angestrengt außer Reichweite hielt.

„Nimm dir doch einfach eine andere Schachtel“, meinte Light lachend.

„Die hier sind mit Taropaste“, erklärte L unbeeindruckt, während er beharrlich die Mochis zurückzuerlangen versuchte. „Die anderen Sorten dagegen sind mit Matcha, roten Bohnen, Erdnussbutter...“ Als er sein Gewicht weiter nach vorn verlagerte, mit einem Fuß noch halb auf dem eigenen Stuhl balancierend, ein Knie zwischen Lights Beinen abgestützt, legte dieser überrascht eine Hand an die Rückseite von Ls Oberschenkel, um ihn festzuhalten, damit sie nicht beide mitsamt Stuhl umfielen. Für einen Moment hatte Light tatsächlich das Gefühl, er befinde sich im freien Fall.

Ihre Blicke trafen sich, ohne Absicht, in flüchtigem Erstaunen. Light suchte verwirrt nach seinem Atem und schüttelte leicht den Kopf, bevor er nachgab und L die Mochis reichte. Dieser hockte sich damit umgehend zurück auf seinen Stuhl und nahm eine introvertierte Haltung ein. Wortlos öffnete er die Packung und angelte sich einen der kleinen Reisbälle, um dann mit den Fingern in der weichen Masse herumzudrücken. Währenddessen sank Light resignierend mit verschränkten Armen gegen die Rückenlehne seines Stuhls.

Vielleicht machte er sich nur etwas vor, vielleicht gab es zwischen den beiden Männern wirklich keine Freundschaft, die über eine Zusammenarbeit hinausging. Doch sollte Light lediglich von dem Meisterdetektiv instrumentalisiert werden, änderte das nichts an seinem Willen, ihm auch in Zukunft helfend zur Seite zu stehen.

Wie oft er auch subtil oder eindeutig eine Stellungnahme von L provozierte, eine Antwort auf seine Frage sollte Light vermutlich niemals erhalten.
 

„Ein Betrüger und eine Diebin?“, fragte Herr Yagami am darauf folgenden Tag ungläubig und starrte von dem großgewachsenen Mann in Anzug zu der gutaussehenden Blondine.

„So ist es“, antwortete L mit ruhiger Selbstverständlichkeit und stellte dem Team die beiden neuen Mitglieder Aiber und Wedy vor.

„Wir sollen mit Kriminellen zusammenarbeiten?“ Skeptisch richtete Herr Yagami den Blick auf den Detektiv, der seinerseits völlig gelassen blieb.

„Sie mögen Verbrecher sein“, gab L zu, „aber sie unterscheiden sich doch von denen, die Kira hinrichten würde.“

Für einen Moment ließ sich Light diese Aussage durch den Kopf gehen, da sie in seinen Ohren so klang, als würde L mit einer differenzierenden Anschauung konform gehen, die dem jungen Studenten verdächtig bekannt vorkam. Nur schwerwiegende Gesetzeswidrigkeiten, die sich durch Menschenverachtung und Grausamkeit auszeichneten, wurden normalerweise von Kira mit dem Tode bestraft, sodass sich hieran eine individuelle Unterscheidung zwischen einzelnen Verbrechern erkennen ließ. Nun wies L mit seinen Worten einerseits darauf hin, dass für Aiber und Wedy keine Gefahr bestand, von Kira gerichtet zu werden, wodurch sie für das Team von entscheidendem Nutzen sein konnten. Andererseits offenbarte sich hiermit auch, dass L eine Abstufung in seiner eigenen Rechtsvorstellung vornahm, die es ihm erlaubte, für die Durchsetzung seiner Gerechtigkeit auch auf ungerechte Mittel zurückzugreifen. Möglicherweise war dieses Vorgehen sogar erschreckend kommensurabel mit dem von Kira.

Dass die Sonderkommission auf solcherlei Mittel nicht verzichten konnte, schien für Light jedoch außer Frage zu stehen. Nach einem kurzen Zögern reichte er deshalb diesen Spezialisten der Unterwelt, wie L sie nannte, die Hand und hieß sie willkommen.
 

Später zogen sich die beiden jungen Männer schweigend in ihre gemeinsamen Räumlichkeiten zurück. L hatte sich in der Nähe des Bettes auf den Boden gesetzt, den Körper zum Fenster gewandt, die Beine in einer meditierenden Haltung übereinandergeschlagen. Nur äußerst selten kam es vor, dass sich der Detektiv derart vorbehaltlos seinen Gedanken hingab. Im Grunde genommen zeigte er sich nur Light gegenüber so offen, fast schon angreifbar.

Light setzte sich hinter L auf das Bett und hoffte, diesen nicht in seinen Überlegungen zu stören, als er mit gedämpfter Stimme zu sprechen begann.

„Manchmal habe ich das Gefühl, wir würden uns auf einem sehr zerbrechlichen Fundament bewegen.“ L zeigte während der Worte seines Partners keinerlei Regung. Obzwar Light den Blick nur auf dessen Rücken und den schwarzen Haarschopf gerichtet hatte, meinte er doch zu wissen, dass jener ihm zuhörte. Aus diesem Grund fuhr er leise fort. „Die meisten Schritte, die uns im Kira-Fall überhaupt voranbringen, sind solche, mit denen wir anderen auf die Füße treten oder uns zumindest auf Wegen im Zwielicht befinden. Um Gerechtigkeit zu erlangen, suchen wir uns die Hilfe von Verbrechern, als würde der Zweck die Mittel heiligen. Ist es nicht so, Ryuzaki?“

„Ein Schmied, der Zangen hat, wird das glühende Eisen nicht mit seinen Händen aus dem Feuer nehmen“, entgegnete der Detektiv schlicht, ohne sich zu rühren.

Zustimmend nickte Light, obwohl L diese Geste nicht sehen konnte, und fügte dann hinzu:

„Die Frage ist nur, entscheidet das Ziel darüber, was richtig ist, oder entscheidet der Weg?“

„Das liegt im Ermessen jedes Einzelnen“, antwortete L. „Unsere Gesetze regeln zwar das Recht, aber sie können nicht über unser persönliches Gefühl von Gerechtigkeit bestimmen. Demgemäß entwickeln wir oftmals ein doppeltes Rechtsempfinden und müssen in manchen Fällen abwägen, ob wir unrechte Mittel verwenden wollen oder nur stur Regeln befolgen.“

Beiden Männern war klar, dass L hiermit Tatsachen aussprach, die seinem Partner durchaus bewusst waren. Gerade die Erkenntnis und Gewissheit dieses Dilemmas machte es für Light so schwer, das alles zu akzeptieren. Sein mutloses Schweigen veranlasste L dazu, in ruhigem Tonfall und um Analytik bemüht fortzufahren.

„Wir haben es hier nicht mit einem exklusiven Phänomen unseres sozialen Zusammenlebens zu tun. Sogar die Naturwissenschaften, die durch Logik zu eindeutigen Schlüssen zu kommen versuchen, offenbaren uns eine derartige Widersprüchlichkeit. Seit Einstein wissen wir zum Beispiel, dass die Verwendung einiger Newtonscher Gesetze eigentlich falsch ist. Zeit ist keine feste Konstante mehr, sie ist veränderlich. Der Raum, in dem wir uns befinden, hat nicht mehr drei, sondern vier oder noch mehr Dimensionen. Im Moment ist die Relativitätstheorie experimentell bestätigt, lässt sich aber nicht mit der Quantentheorie vereinbaren, während wir uns bei allen anderen Dingen in der Welt, die wir noch nicht begreifen können, von einer Erklärung zur nächsten retten und damit im wahrsten Sinne des Wortes Dunkle Materie erschaffen. Und trotzdem verwenden wir, nachdem wir auf die Erde und damit auf den Boden der Tatsachen zurückgekehrt sind, noch immer die alten Berechnungen, ohne auf die Abweichungen zu achten, die schließlich so minimal sind, dass sie uns nicht tangieren. Das bedeutet, die Gesetze sind zwar wissentlich falsch, aber am Ende bleibt das Ergebnis richtig.“

In solchen Momenten, wenn L mit logischen Vergleichen an ein komplexes Problem heranging, stellte sich Light die Frage, ob der Detektiv damit den emotionalen Schwierigkeiten seiner eigenen Thesen aus dem Weg gehen wollte. Oder ob er zwanghaft eine Distanz zwischen ihnen aufzubauen versuchte, um ihre Beziehung auf den Bereich des Verstandes zu reduzieren, jene begrenzte Region, die kalkulierbar und erträglich war.

Seufzend beugte sich Light nach vorn, stützte die Ellbogen auf die Knie und den Kopf auf die Hände. Während er aus dem Fenster sah, formulierte er seine folgenden Gedanken mit einer unterschwelligen Melancholie in der Stimme.

„Früher war das alles nie so kompliziert. Als ich noch ein Kind war, schien es so einfach zu sein, gerecht zu handeln. Wenn andere Menschen mit Taten oder Worten verletzt wurden, wenn jemand sich etwas genommen hat, das ihm nicht gehörte, dann war das eben böse. Es waren nur schlichte, wenn auch ziemlich pathetische Kleinigkeiten, die einem in der Kindheit sagten, dass man immer wissen kann, was richtig ist. Irgendwann, das habe ich mir damals fest vorgenommen, irgendwann wollte ich genauso Hilfe leisten wie mein Vater und selbst zum Helden werden. Dabei habe ich anfangs selten darüber nachgedacht, welche Motive und welche Konsequenzen das Handeln von Menschen haben kann. Ich glaubte früher immer zu wissen, was Gerechtigkeit bedeutet. Heute bedaure ich es manchmal, dass mir diese Naivität verloren ging. Aber das gehört vermutlich zum Erwachsenwerden dazu.“

„Alles, was du bisher getan hast“, meinte L daraufhin leise, „hat im Prinzip funktioniert. Aber immer musstest du dich entscheiden, immer musstest du einen Weg wählen und einen anderen dafür verlieren. Sobald du dich fragst, welchen Preis du dafür bezahlt hast, jetzt hier zu sein, fragst du dich im nächsten Augenblick auch, ob der Preis geringer hätte sein können.“

„Solange man hinter seinen Entscheidungen steht, hat man doch keinen Grund, sie zu bereuen. Wichtig ist demnach nur, dass man sie mit seinem Herzen gefällt hat.“

„Das Herz ist nur ein Muskel“, erklärte L monoton, „zuständig für die Zirkulation des Blutes, um die Zellen mit Sauerstoff zu versorgen. Es besitzt keine nachweislich neuronale Aktivität oder hormonelle Regulation, die für Handlungsentscheidungen ausschlaggebend...“

„Du weißt genau, was ich meine“, unterbrach ihn Light. Ohne darauf einzugehen, da diese Bemerkung ohnehin unerheblich war, knüpfte L an das vorige Thema an.

„So oder so, nicht die Entscheidung, sondern die Gewohnheit lässt uns die meiste Zeit handeln. Das läuft im Prinzip ab wie eine Programmierung, nur dass wir in diesem Fall nicht von Optimierung, sondern von Konditionierung sprechen.“

„Du meinst“, fragte Light, „dass eine bewusste Wahl nur dann erforderlich ist, wenn gewohnte Handlungsabläufe zusammenbrechen?“

„Oder wenn so viel auf dem Spiel steht, dass es sich lohnt, die Mühen des Denkens auf sich zu nehmen.“

„Entscheidungen sind also nicht die Regel, sondern die Ausnahme“, fasste Light die Ansicht seines Partners zusammen.

„Es gibt sogar Menschen, die niemals Entscheidungen treffen.“ Light konnte zwar Ls Gesichtsausdruck nicht sehen, um möglicherweise ein abwertendes Mienenspiel darin zu erkennen, doch deutete die Selbstverständlichkeit in dessen Worten auf den Schluss hin, dass sich der Detektiv diesbezüglich nichts vormachte. Er erhoffte sich von niemandem etwas und verließ sich darum auch auf niemanden. Light versetzte es einen Stich, obwohl das pulsierende Organ in seinem Brustkorb, analytisch betrachtet, doch eigentlich nichts fühlen sollte.

Mit abwesendem Tonfall fügte L noch hinzu:

„Die meisten lassen sich nur von einer Handlung zur nächsten treiben. Das bedeutet nicht, dass Entscheidungen keine Rolle spielen würden, aber sie werden sehr viel seltener gefällt, als uns das Bild vom Menschen als Entscheidungsträger weismachen will.“

„Das trifft bestimmt nicht auf dich zu, Ryuzaki. Ich glaube schon, dass du dir sehr genau überlegst, welchen Weg und welche Mittel du wählst. Darum vertraue ich auch auf Aiber und Wedy. Nichtsdestotrotz, selbst wenn es sich nicht um dubiose Hilfskräfte handeln würde, kommt es mir oftmals während unserer Ermittlungen so vor, als...“

Light schwieg und ließ den Blick nachdenklich in ein unbestimmtes Nichts entgleiten. Bevor er vergessen konnte, dass er seine Aussage noch nicht zu einem Ende gebracht hatte, übernahm L diese Aufgabe und sagte:

„...als würden wir andere Menschen nur benutzen? Ich leugne nicht, dass es so ist.“

„Nein, das tust du in der Tat nicht“, ging Light mit milder Stimme darauf ein. „Ganz im Gegenteil, du bist schon fast absichtlich darauf bedacht, dich nicht in einem guten Licht darzustellen. Aber das kaufe ich dir nicht ab, Ryuzaki. Menschen werden nur dadurch benutzt, indem man sie lediglich als Mittel und nicht selbst als Zweck ansieht.“ Light stand kurzerhand auf und ließ sich ebenfalls auf dem Boden nieder, einen Meter von seinem Freund entfernt. Er lehnte sich gegen den Fensterrahmen und schaute hinaus. Nach einer Weile schüttelte er kaum merklich den Kopf. „Auf den ersten Blick mag es so aussehen, als würdest du Menschen instrumentalisieren. Wenn das allerdings zuträfe, dann würdest du nicht die Verantwortung für deine Entscheidungen übernehmen und sie stattdessen anderen auf die Schultern laden. Dabei achtest du jedoch ganz genau auf die Person jedes Einzelnen.“

„Bist du dahingehend nicht ein wenig zu blauäugig, Light-kun? Deine Gutmütigkeit vernebelt dir die Sicht auf die Realität.“

„Und deine hindert dich daran, dich selbst zu sehen“, erwiderte Light mit einem Lächeln. „Was ist zum Beispiel mit Aizawa-san? Natürlich ist er wütend und enttäuscht, aber auf der anderen Seite ist sein Ausschluss aus dem Team das Beste für ihn und seine Familie. Darum wird er sicher erleichtert darüber sein. Was du getan hast, Ryuzaki... das war keine Heuchelei, sondern Dankbarkeit.“

Offenbar fand L hierauf keine passende Entgegnung. Während er stumm blieb, sprach Light weiter.

„Sei mal ehrlich, du bist doch froh, dass Aizawa deinen kleinen Test nicht bestanden hat, oder? Somit schwebt er nicht mehr in Gefahr und muss sich selbst weniger Vorwürfe machen. Die Schuld dafür kann er dir zuschieben, da es dir ohnehin nicht wichtig ist, Anerkennung für dein Tun zu erhalten.“

„Womöglich habe ich dich unterschätzt und du bist überhaupt nicht blauäugig, Light-kun. Aber ich rate dir, versuch nicht, dich bei mir einzuschleimen. Das bringt dir rein gar nichts und erhöht nur meinen Verdacht gegen dich.“ Light nahm diesen Hinweis mit Irritation entgegen. Als er jedoch in Ls schwarze Augen blickte und dessen unzufrieden verzogenen Mund sah, musste er schmunzeln.

Anstelle eines verbalen Konters erhielt der Detektiv ein gutmütiges Grinsen, bevor Light ihm kurz durch das Haar strich und ohne ein weiteres Wort aufstand.


Nachwort zu diesem Kapitel:
1. Der Titel ist eine Anspielung auf „Homo faber“ von Max Frisch und bedeutet wörtlich „schaffender Mensch“.
2. Die Gedanken zum Preis menschlicher Entwicklung und Entscheidungen basieren teils auf Virginia Satir.
3. Den Menschen nicht als Mittel, sondern als Selbstzweck anzusehen, das ist die Formulierung des kategorischen Imperativs nach Immanuel Kant. Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (3)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Juih
2010-07-12T18:17:35+00:00 12.07.2010 20:17
Huhu ^0^

Da ist das Kapitel nun endlich. Hab es schon am ersten Tag gelesen aber komme erst jetzt dazu ein Kommi zu schreiben. Und siehst du! Dein anderes Kapi hat doch noch einen Kommi bekommen x333

Nun haben wir ja schon echt das ein oder andere was hier thematisiert wird in unseren ENSen besprochen! Macht aber nichts XD dann greife ich eben mal den Rest auf!

Zuerst muss ich mal lobend erwähnen, dass du L so was von toll beschreibst XD Hast du seinen Charakter studiert? Ich habe noch keine FF gelesen in der er so gut getroffen ist! Light bekommen die meisten schon eher hin aber bei L wird er immer schwierig, nur du scheinst da kein großes Problem zu haben. Die Sache mit der Erstickungsgefahr von der Verpackung XD - einfach toll! ^^ Ob die Antwort vielleicht auch eine verstecke Antwort auf Light´s Frage war~?
Was ich auch super getroffen finde ist, wie L sich so gegen Lights Annäherung wehrt. Am Ende sagt er ja, dass Light einschmeicheln nichts nützen würde aber ich glaube da hat L mal wieder gelogen, weil seine Reaktion danach nicht dazu passt. Es klang einfach so, als würde es nur sagen damit Light es glaubt.

Und dann immer diese leichten Andeutungen von Annäherung, die du so perfekt und fließend in die vorhandene Story einbaust! Mehr kann ich mir echt nicht wünschen x333 Bald glaube ich noch, dass das hier die wirkliche Geschichte ist XD

So viel zu meinem "Mal-anders"-Kommi XD ich hoffe es kann mit den anderen mithalten, aber so was muss ja schließlich auch mal gesagt werden!!
Freue mich schon aufs nächste Kapi x33
Lg Juih
Von:  Science
2010-07-05T14:23:26+00:00 05.07.2010 16:23
Vorab, um Dich nicht zu enttäuschen - dies wird vermutlich mehr eine Erklärung, warum ich bisher noch keinen Kommentar geschrieben habe, als ein solcher.

Ich bin vor etwa zwei Monaten auf diese Geschichte gestoßen und wirklich begeistert gewesen, nachdem ich den Teil, der zu lesen war, durch hatte. Mit dem festen Vorsatz, einen Kommentar zu schreiben, klickte ich also auf den Link... und musste feststellen: Ich wusste nicht, was ich schreiben sollte. Zumal die Kommentare, die Du bekommst, im Durchschnitt so wahnsinnig lang sind. (Da ist es der Stolz, der sich meldet: Ich will keinen Ein-Satz-Kommentar schreiben! Und was ich geschrieben hätte, hätte neben Deinen anderen Kommentaren definitiv wie einer gewirkt.)

Ich kann an dieser Fanfiction nichts kritisieren und auch nicht wirklich etwas loben, weil es mir schwer fällt, meine Begeisterung in Worte zu fassen: Ich kann nicht genau sagen, WAS mir an dieser Geschichte so wahnsinnig gut gefällt. Ich habe Freunden davon vorgeschwärmt, aber auf die Frage, warum ich sie mag, konnte ich nichts antworten.
Außer, dass Du "in character" geblieben bist, so weit, wie das eben geht, bei diesem Pairing. Das ist mir bisher, glaube ich, nur einmal untergekommen, und es erstaunt mich, dass so etwas überhaupt möglich ist.

Aber irgendwie hast Du das geschafft, mit dieser so langsamen Annäherung, die zwar von beiden registriert, aber nicht wirklich verarbeitet wird, wie es mir scheint.

Auch Dein Schreibstil passt. Auch wenn ich sagen muss: Er ist mir sehr anstrengend. Neben Deiner Geschichte habe ich immer mindestens zwei Tabs offen, für das Synonym-Wörterbuch und Wikipedia, manchmal noch Google, wenn beide nicht weiterhelfen können. Mit Musik im Hintergrund kann ich problemlos Hausaufgaben machen, aber nicht "24/7" lesen. Will heißen: Ich halte mich mit Müh und Not mehr oder weniger auf dem Niveau Deiner Geschichte. Ich bin mir nicht sicher, ob ich alles so verstanden habe, wie es gemeint war, aber ich komme größtenteils mit (hoffe ich).

Und jeder andere Schreibstil wäre auch unpassend für diese Fanfiction, die Dialoge, die Beschreibungen müssen genau so bleiben, wie sie sind, weil das nun einmal Light und L sind.

Abschließend: Ich liebe diese Geschichte und werde sie weiterlesen und entschuldige mich im Nachhinein und im Voraus für die fehlenden Kommentare meinerseits.

Grüße & Verehrung,
Science
Von:  angeljaehyo
2010-07-05T14:04:09+00:00 05.07.2010 16:04
Haha, wie schön, das L meinen Kommentar von vorhin so präzise widerlegt. :D Von wegen, der Mensch als jemand, der sich durch seine Entscheidungen definiert. Ich könnte jetzt Ls (oder deine?) Ansicht des Menschen totdiskutieren, aber das hat nichts in diesem Kommentar zu suchen.

Wenn L zuvor mehr oder weniger subtil von all den "Herzensangelegenheiten" ablenken wollte, tut er dies immer offensichtlicher, und damit, dass du Raito dies auch denken lässt, wird das in diesem Kapitel ziemlich klar.
Was ich sowieso liebe, und was mir hier auch wieder sehr gut gefallen hat, sind sämtliche Arten von Bildern. Wie L die Warnung auf der Süßigkeitenschachtel vorliest - "Erstickungsgefahr" - nachdem Raito fragte, was dagegen spräche, weiterhin als Team zusammenzuarbeiten, finde ich grandios.
Dieser ganze Aspekt war wieder sehr charakterisierend für L, Raito stand wieder sehr im Hintergrund. Aber der hat ja noch seine Bombe, die er in der Zukunft hochgehen lassen kann, nicht wahr? (:

"...stammen logischerweise von Kant." Warum ist das so logisch? :D Irgendwie musste ich da schmunzeln.
Ja, das ist natürlich DIE Frage, die sich bei Ls Methoden stellt. Viel will ich jetzt auch nicht dazu sagen, du hast durch Ls und Raitos Münder das ganze ohnehin schon schön erläutert. Du könntest echt einen dieser Learning through Manga-Mangas schreiben, zum Thema Philosophie natürlich (OT: Hast du schon gehört, dass die Japaner "Mein Kampf" als Manga veröffentlicht haben? :D).
Allerdings kam durch dieses Thema deine Meinung über L - falls es die ist, aber auf jeden Fall die Figur, die L in dieser Geschichte darstellt - durch Raitos Ausführungen sehr gut zur Geltung, beim Beispiel Aizawa natürlich. Vor allem am Schluss, als L absichtlich so tun will, als sei er so böse und eiskalt etc., kam sein wahrer Charakter dann doch gut zum Ausdruck.

Gefällt.
Wenn ich nur beim Schreiben so viel nachdenken könnte wie du... :D


Zurück